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 Die Zukunft eines Königreiches

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Erial

Erial
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BeitragThema: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySa 21 Jan 2023 - 22:00

Die Zukunft eines Königreiches

Die Zukunft eines Königreiches 36ffbe8165bcaa4e464f6532576a8f7d799dc7dd_hq

Charaktere: Erial Novel (@Erial) und Prinzessin Esmée Eléonore Elayne de Bosco (@Esmée)
Setting:
- Ort: Königspalast von Bosco bishin nach Maldina in Fiore
- Anlass: Flucht von Esmée aus Bosco nach Fiore
- Zeitpunkt: während dem Anschlag auf die Königsfamilie (etwas mehr als 1 Jahr vor dem Hauptplay)


Die Zukunft eines Königreiches Erial_10


Zuletzt von Erial am So 29 Okt 2023 - 12:20 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet

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Erial

Erial
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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySo 22 Jan 2023 - 12:34

Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



1)DER PRINZ IST FORT! SIE HABEN PRINZ RAOUL!“ - „SCHÜTZT DEN KÖNIG!“ Erial hatte diese Worte in der letzten Augenblicken häufiger gehört als in seinem ganzen Leben zuvor. Auch wenn sich in jedem Wort ein Befehl versteckte, stand Erial schon seit mehreren Minuten reglos da. Er starrte ins Leere, während alles um ihn herum abgedämpft wirkte. Auch die Schreie der anderen Palastwachen. Seine Gleve war ihm schon längst aus der Hand gefallen und er blickte starr den Gang hinunter. Der Geruch von Blut und auch Rauch lag in der Luft. Ein paar Fackeln mussten in der Hitze der Kämpfe einige Wandläufer in Brand gesetzt haben. Das ganze Schloss war mit Kampfeslauten erfüllt. Klingen, die aufeinander prallten oder schmerzerfüllte Laute von Menschen, die verletzt wurden oder denen sogar der Todesstoß verabreicht wurde. Erial sollte mit seinen Kameraden kämpfen. Auch wusste er, dass es nicht gut um sie stand. Die Revolutionäre hatten nicht nur den Prinz getötet – oder zumindest verschwinden lassen – sie waren auch dabei den Kampf um das Schloss zu gewinnen. Ja, er sollte ebenfalls zum Thronraum eilen und den König mit seinem Leben beschützen. Dafür war er schließlich die letzten 6 Jahre ausgebildet worden. Das wäre seine Pflicht gewesen. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nicht vergessen was er gerade gesehen hatte und wie es eine Welt für ihn hatte zusammenbrechen lassen.

Seit dem sein „Jahrgang“ die Grundausbildung abgeschlossen hatte, wurden auch sie regelmäßiger zu Patrouillen im Palast oder anderen Aufgaben eingesetzt. Er hatte sich mit seinem Platz im Gefüge arrangiert und war stetig bemüht, die Erwartungen seines Onkels zu erfüllen. Wenn es jedoch darum ging, an einem Ort still Wache zu stehen, ohne das irgendetwas passierte, empfand der Novel seine Aufgabe es langweilig. Doch dieses Gefühl durfte er sich nicht anmerken lassen. Schließlich ging er einer ehrenvollen Aufgabe nach und tat seinen Beitrag für die Sicherheit des Königreiches. Wie genau die Bewachung der Speisekammern ein Königreich vor dem Untergang retten konnte, war dem Novel jedoch schleierhaft. Wenn sich jemand an den Weinen des Königs bedienen würde, dann würde man ihn sicherlich irgendwo betrunken finden und so überführen können. Ein Trunkenbold beging jedoch zumeist keine Mordanschläge. Ein Dieb für Brot und Wurst wohl auch nur selten. Aber Aufstände konnten schließlich auch von Instabilität einer Monarchie zeigen und seit die Königin ermordet worden war, waren wieder dunklere Zeiten über das Königreich gekommen. Aber wer war er schon, um Fragen zu stellen. Es war wohl die Einsamkeit und das stetige Dämmerlicht in den Gewölben unter dem Palast die ihn zu sehr in seinen Gedanken gefangen hielten.
Plötzlich knarzte eine Tür. Erials Aufmerksamkeit richtete sich auf dieses Geräusch. Das merkwürdige daran war jedoch nicht, dass jemand hier unten eine Tür öffnete, sondern, dass seit den letzten  Stunden niemand mehr eine der Kammer betreten hatte – oder zumindest hatte es im Wachwechsel so gehießen. Und Erial glaubte nicht daran, dass irgendjemand mehrere Stunden in einer Vorratskammer verbrachte. Außer womöglich für eine Inventur, aber ein solche hätte er wohl bemerkt. „Wer ist da?!“ rief die Palastwache, sein ganzer Körper machte sich bereit zu kämpfen. In der einen Hand hielt er seine Gleve, die andere Griff nach einer nahehängenden Fakel, um sie aus der Halterung zu nehmen und so besser leuchten zu können. Die hintere Tür zu den Weinfässern hatte sich einen Spalt breit geöffnet. Eine Gestalt in dunkler Kleidung huschte durch die Tür hinaus. Erial richtete seine Waffe auf ihn, aber der Mann hielt nur seine Hände nach oben. „Erial, ich bin es.“ Ertönte eine ihm vertraute Stimme. Zwei Schritte weiter und er erkannte im Fackelschein das Gesicht seines Freundes. „Coal?“ fragte er entgeistert und ließ die Waffe wieder sinken. „Was tust du hier?“ Der Searage war die letzte Person gewesen, mit deren Auftritt er gerechnet hatte. „Wie kommst du…“Ein in Vergessenheit geratener Geheimgang.“ Erklärte der Mann ihm. Es gab wohl kein Schloss, das keine Geheimgänge besaß. Vor allem damit Bedienstete nicht die Wege der Adligen kreuzten. „Ja, aber… warum? Wo ist deine Uniform?“ Erst jetzt schien Erial zu realisieren, dass er Coal noch nie in solcher Kleidung gesehen hatte. Er ließ seinen Blick erneut über seinen Freund gleiten und  entdeckte das aufgenähte Emblem der Revolution. Erial glaubte seinen Augen nicht und versuchte nur stammelnd Wörter herauszubringen. „Erial, die Revolution ist längst im Gange. Es wird Zeit für einen Neuanfang. Unsere Heimat versinkt im Chaos. Die Menschen draußen sterben wie die fliegen oder werden versklavt. Dieser goldene Vogelkäfig muss zerstört, damit den Adligen endlich ihre Augen geöffnet werden. Für was beschützen wir sie, wenn ihr Volk im Stich lassen? Kommt mit mir Erial, lass uns unseren Beitrag für die Sicherheit des Königreiches leisten!“ Was redest du? Coal! Ist das ein böser Traum? Nein, du hast dich doch immer von den Ansichten deiner Brüder distanziert…“ Erial war ratlos, vorher dieser plötzliche Wandeln seines Freundes kam. Er hatte ihn noch nie so direkt den Sturz der Monarchie fordern gehört. Er wusste das Niall und Osric, Coals Brüder, die Monarchie für den Verlust ihrer Familie in die Verantwortung zogen, aber Coal hatte immer geschworen dem Ideal seines Vaters und Großvaters zu folgen. Er wollte den König beschützen und so dem Land Stabilität bringen. Stabilität, die es brauchte, um das dunkle im Landesinneren zu besiegen. „Erial wach auf. Alles was wir beschützen sind Lügen und leere Versprechungen. Das Volk leidet. Seit Königin Eléonore verstarb, ist das Land in größeres Chaos verfallen als sie uns alle glauben machen wollen. König Enzo ist machtlos in seiner Trauer um die Königin gefallen und seine Kinder nur eine verwöhnte Göre und ein Charmeur. Andere Königreiche lachen über uns. Sie sehen uns nur als Land in dem Drogen und Menschenhandel regieren. Soll das unsere Zukunft sein? Wir beschützen eine handvoll Adliger, die uns wie Dreck behandelt, während da draußen echte Probleme warten? Während wir da draußen wirklich Menschen helfen könnten und unser Land von Kriminalität befreien könnten?“ Coal was redest du da?! Das ist Hochverrat!“ fasste Erial erschrocken zusammen. Coals Augen zeigten den Schmerzen seiner Verluste. Im Gegensatz zu Erial hatte er oft genug bereits die Welt außerhalb des Palastes mit eigenen Augen gesehen. Und damit war nicht die Hauptstadt gemeint, in dessen Taverne sie häufiger eingekehrt waren, sondern die Schattenseiten, welche von Adligen gerne unter den Teppich gekehrt wurden. Wie Schandflecken, die man einfach nur überdecken musste, damit sie nicht existierten. „Kommt mit mir Erial. Wir erbauen ein neues Bosco. Das Königreich fällt heute Nacht.“ Sprach Coal unbeirrt seiner Worte aus und streckte seinem besten Freund die Hand entgegen.


Die Kampfesgeräusche schienen abzuebben. Hatten sie gewonnen? Waren die Kämpfe nur auf einen anderen Schauplatz verlegt worden?

Als Erial die Worte seines Freundes verstanden hatte, hatte er sich sofort umgedreht und war losgelaufen. Wenn es stimmte, was er sagte, mussten bereits im Palast Kämpfe ausgebrochen sein oder aber es fanden gezielt Anschläge auf die Adligen statt. Er musste den König beschützen! Er musste seine Familie beschützen! Panik stieg in ihm auf und er rannte so schnell er noch nie gerannt war die Wendeltreppe hinauf. Hoffentlich kam er noch rechtzeitig!

„WEITER SO. WIR KÖNNEN SIEGEN! TREIBT SIE WEITER ZURÜCK!“ - „KÄMPFT FÜR DEN KÖNIG! - FÜR BOSCO! HALTET STAND!“ Es waren eindeutig Schreie von Königsgetreuen, die erneut an Erials Ohr drangen. Anscheinend waren einige Minuten vergangen. Noch immer stand er reglos da und konnte nicht glauben, was passiert war.

Im Palast war Chaos ausgebrochen. Sobald er in den oberen Gängen angekommen war, war er ein Teil der Kämpfe geworden. Wie hatte er sie nicht mitkriegen können? Er lief trotz Seitenstiche weiter auf das Kampfgetümmel zu und wurde bald schon in den ersten Kampf verstrickt, den er nur dank der Hilfe eines Kameraden unverletzt überstand. Egal wo er hinsah, kämpfte die Palastwache gegen Revolutionäre. „Sie sind in der Überzahl!“ schrie sein Kamerad ihm zu. „STANDHALTEN!“ rief ein Offizier zurück. „BALD KOMMT DIE VERSTÄRKUNG!“ Ob das stimmte?  Oder war es nur, um die Mitglieder der Wachen aufzumuntern. Hier sahen sie gerade der bitteren Wahrheit entgegen. Die Palastwachen sollten Elitekämpfer sein. Extra ausgebildet um die Königsfamilie von Bosco zu beschützen. Doch in Wahrheit bestand sie zum großen Teil aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die noch nie einen echten Kampf auf Leben und Tod bestritten hatten. Als sie es dennoch geschafft hatten die Revolutionäre in diesem Gang zu beseitigen, wies der hiesige Offizier ihn und eine Handvoll anderer die Truppe in den Gängen zu den Gärten zu verstärken. Sie liefen so schnell sie konnten, trotz ihrer schwächer werdenden Kräfte. Als sie an ihrem Ziel ankamen, war es jedoch bereits zu spät. Ein Dutzend Wachsoldaten lag verstorben im Gras. Der letzte von ihnen gab gerade noch röchelnde Laute von sich als ein Revolutionär ihm mit einem Messer die Kehle durchbohrte. Als dieser wieder aufsah, erkannte er im Fackelschein seinen besten Freund Coal. Erst jetzt realisierte er den zweiten Teil der Worte seines Freundes. Coal war ein überzeugtes Mitglied der Revolution. Erial blieb wie angewurzelt in dem Gang stehen und starrte ungläubig auf seinen Kameraden, der lediglich das Blut von seiner Klinge abwischte und zusammen mit seinen Kollegen, obgleich der Verstärkung den Rückzug antrat. Während seine Kameraden zur Verfolgung ansetzten, blieb Erial einfach stehen. Ein Teil seines Weltbildes war zusammngebrochen.

Es knallte. Eine Hand hatte harte die Wange des jungen Wachsoldaten getroffen und holte ihn in das Hier und Jetzt. „Komm zu Sinnen!“ schallte ihn die eisige Stimme seines Onkels. Erial blickte in die Augen von Hauptmann Lightore, der mit deutlich mehr Feindesblut bedeckt war als Erial. Im Gegensatz zu Erial konnte man seinem Onkel die Erschöpfung, die auch in ihm stecken musste, nicht ansehen. Wie immer zeigte sich eine eisige Aura um den Magier. „Du hast eine Pflicht zu erfüllen.“ Rief er seinen Neffen zur Ordnung. Erial begann seine Umgebung wieder richtig wahrzunehmen. Den Blick ließ er von seinem Onkel in den halboffenen Gang zum Gras wandern, wo er zuvor Coal gesehen hatte. Noch immer lagen dort die erstarrten Leichen im Schneebedeckten Gras. Nein, er hatte doch verhindern wollen, dass sie ihr Leben ließen! „Nimm deine Gleve!“ Gehorsam beugte er sich runter und griff fest um den Stil der Waffe. „Los jetzt, gehen wir.“ Er packte Erial an der Schulter und schob ihn vor sich her.

Erial hatte geglaubt, dass sie zur Frontlinie eilen würden, um dabei zu helfen, die letzten verbliebenen Revolutionäre auszulöschen. Stattdessen fand er sich in einem der großen Säle, welcher von den Kämpfen verschont geblieben war, mit seinem Onkel wieder. Er wusste, dass es in diesem Saal viele Geheimgänge gab, denn er wurde nicht selten von Adligen als Speisesaal genutzt. Noch waren sie alleine. „Hör zu, der Prinz ist verschollen. Wir konnten Prinzessin Esmée und den König beschützen, aber wir glauben, dass sie mit Verstärkung wieder kommen könnten, um es erneut zu versuchen. Die Prinzessin ist hier nicht mehr sicher. Das hier ist der wichtigste Auftrag den du jemals bekommen hast.“ Erial wusste nicht so genau, worauf sein Onkel hinaus wollte und sah ihn nur fragend an. „Du wirst die Prinzessin aus dem Schloss und in das Königreich Fiore bringen. Du wirst sie verstecken und mit deinem Leben beschützen. Sie ist die Zukunft unseres Reiches.“ Fassungslos sah Erial seinen Onkel an. „Was… wieso ich?“ Es war nicht, dass er genervt von dieser Aufgabe war, sondern eher sein nicht existenter Glauben daran, Fähigkeiten zu besitzen, eine Kronprinzessin beschützen zu können. „Es gibt so viel bessere Magier…“ „Erial!“ es war für seinen Onkel ungewöhnlich, die Stimme zu erheben und der Junge zuckte zusammen. „Sie alle kämpfen gerade mit ihrem Leben gegen die Revolution. Ihr werdet erst zurückkehren können, wenn wir sie endgültig besiegt haben. Das können wir besser, wenn wir uns um ihr Wohl nicht sorgen müssen. Du bist in ihrem Alter und wirst ihr ein guter Gefährte sein.„Onkel du solltest gehen.“ „Es ist entschieden Erial. Ich werde hier gebraucht.“ Sein Onkel schien keine Widerworte zu dulden. „Nimm dieses Geld. Loraine packt euch Proviant ein. Sie sollte gleich hier sein. Nutzt das Chaos des restlichen Angriffes, um die Flucht zu ergreifen.“ Das Ganze war ein wenig zu viel für den Magier. Jetzt sollte er plötzlich fliehen? Seine Heimat verlassen? „Darf ich… Darf ich mich wenigstens verabschieden?“ fragte er irrational und sein Onkel sah ihn mit einem weichen, verständnisvollen Blick an, den er noch nie an ihm gesehen hatte. „Nein, es ist besser für sie alle, für euch, wenn sie glauben, dass du bei diesem Angriff gestorben bist.“ Worte, die sein Herz zu erdrücken schienen. Eine Hand legte sich auf seinen Schulter und drückte sie leicht, dennoch glaubte er unter der Last keine Luft mehr zu bekommen. „Die Prinzessin sollte gleich hier sein.“

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyFr 10 Feb 2023 - 17:05

Esmée trug ein wunderschönes, hellblaues Kleid aus feinster Seide, für das so manch eine Dame an diesem Hof sie sicherlich beneidet hätte. Es war ein langer, nervenaufreibender Prozess gewesen, den die Prinzessin über sich hatte ergehen lassen müssen, um dieses einzigartige Kleidungsstück ihr Eigen nennen zu dürfen: Noch zu gut erinnerte sie sich an die unzähligen Stunden, die sie damit verbracht hatte, ein Kleid nach dem anderen zu probieren, um jenes Exemplar zu finden, das sich am Besten an die hellblauen Seelenspiegel und das pechschwarze Haar der de Bosco anpasste. Das ihre weiblichen Rundungen gerade in dem Maße betonte, wie es sich für eine Angehörige der Königsfamilie geziemte. Die junge Frau hatte eine Engelsgeduld bewiesen, während der Schneider nach und nach jedes einzelne Maß ihres Körpers notiert hatte. Ein bisschen wie ein Stück Vieh war Esmée sich vorgekommen, während sie die verschiedenen Posen eingenommen hatte, damit der ältere Herr sich während seiner Arbeit auch bloß um keinen einzigen Zentimeter verschätzte und sie von allen möglichen Augenpaaren im Umkreis ganz genau gemustert worden war. Die 17-Jährige hatte all das huldvoll über sich ergehen lassen, denn das war es, was man von ihr als Prinzessin des Königreiches Bosco erwartete – höchstens @Máirín hatte sie einen sehr kurzen, aber vielsagenden Blick zugeworfen, der so viel mehr vermittelt hatte, als es Worte je hätten ermöglichen können. Ihre Zofe war die einzige Person, der sich die Prinzessin zumindest soweit anvertraute, dass sie ihr gelegentlich zeigte, was sie wirklich dachte, selbst wenn es sich für die Tochter des Königs nicht geziemte, solche Gedankengänge zu haben, schon gar nicht, diese nach außen hin zu kommunizieren. Aber bei Maírín war das anders. Maírín konnte Esmée vertrauen – zumindest war es das, was die Dunkelhaarige zu jenem Zeitpunkt ihres Lebens fest geglaubt hatte. Immerhin hatte es sich gelohnt: Das Kleid war wirklich wundervoll geworden und bescherte der Dunkelhaarigen so manchen neidischen und zugleich ehrfürchtigen Blick an diesem Hof. Auch heute passte es wieder perfekt, ließ Esmée zusammen mit der goldenen Halskette, den großen Creolen an ihren Ohren und dem glänzenden Diadem auf ihrem Kopf wahrlich königlich erscheinen.

Eine Erscheinung, die der jungen Frau an diesem schauderhaften Tag zum Verhängnis werden sollte.

Esmée schnaufte hörbar und dicke Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn, doch ganz gleich, dass sie nicht mehr konnte, dass ihre Füße in den hohen Schuhen bereits schmerzten, wohlmöglich sogar bluteten… der hellhaarige Mann, der sie am Handgelenk gepackt hielt und durch den Palast zerrte, hielt nicht an. Es war nicht die erste Wache, die Esmée am heutigen Tage durch die hohen Gewölbe des Gebäudes scheuchte. Andere hatten es vor ihm getan… und waren irgendwann blutüberströmt vor der Prinzessin zusammengesackt, getroffen von einer Waffe des Feindes. Es waren zu viele gewesen, als dass die 17-Jährige ihre Namen überhaupt noch hätte zuordnen können. Aber alle sagten sie das gleiche zu ihr: „Prinzessin Esmée, Ihr müsst schneller laufen!“ Immer und immer wieder wiederholte die namenlose Wache diese Worte, ohne sich auch nur zu der jungen Frau umzudrehen, das glänzende Schwert in der Rechten haltend, während die Linke sich erbarmungslos um das schmale Handgelenk der de Bosco klammerte. Es war eine rabiate Berührung, die unter normalen Umständen gegenüber der Prinzessin dieses Landes undenkbar gewesen wäre, die einer Beleidigung höchstem Ausmaßes gleichgekommen wäre! Aber… das hier waren keine normalen Umstände. Am heutigen Tage sollte sich das gesamte Leben von Esmée Eléonore Elayne de Bosco mit einem Schlag verändern. Etwas, das die junge Frau just in diesem Augenblick noch überhaupt nicht in Gänze erfassen konnte. „W-wo wollt Ihr hin?“, stammelte die Dunkelhaarige zwischen zwei Atemzügen und rang sichtlich um Fassung, während die ersten, pechschwarzen Strähnen sich aus dem strengen Dutt auf ihrem Kopf gelöst hatten und nun wirr das dunkle Gesicht umrahmten. Sie wollte noch etwas ergänzen, doch die Worte blieben der 17-Jährigen im Halse stecken, als sie gemeinsam mit ihrer Wache durch den riesigen Tanzsaal des Palastes lief. Es war ein Raum, den Esmée schon immer ganz besonders geliebt hatte, in dem sie in der Vergangenheit zu so manch einem Tanz aufgefordert worden war, während Musikerinnen und Musiker auf der Galerie für die entsprechende Stimmung gesorgt hatten. Wie immer glitt ihr Blick zu den edlen Wandbehängen in dem Raum, die kunstvoll von der königlichen Geschichte Boscos erzählten. Unzählige Ahnen der Prinzessin waren auf diesen Wandbehängen verewigt worden, nach und nach reihten sie sich auf und zeigten alle Königinnen und Könige, die Bosco je gehabt hatte. Die hellblauen Augen endeten am letzten Wandteppich, auf dem Königin Eléonore und König Enzo abgebildet waren… „Achtung!“ Der Schrei weckte Esmée aus ihren Gedanken, sie wurde herumgerissen und spürte eine Pfeilspitze, die so knapp an ihrem Gesicht vorbeiflog, dass eine kleine, blutige Schramme auf ihrer Wange zurückblieb. Hatte… hatte da gerade jemand auf sie geschossen? Auf die Prinzessin von Bosco?! Was passierte hier nur? Was war los? Warum… warum tat man ihr das an?! „Haltet die Feinde zurück!“, rief der Wachmann, der seine Finger immer fester um das Handgelenk der schockierten Prinzessin klammerte, bevor er eben jene wieder hinter sich herzog. “Wir haben es bald geschafft. Haltet noch ein wenig länger durch, Prinzessin Esmée“, beschwor er sie und sah nun doch einmal über die Schulter zurück zu der Dunkelhaarigen. Sein Gesicht zeigte kein Lächeln, wirkte wie versteinert… wenn er vorgehabt hatte, der de Bosco mit diesem Blickkontakt irgendeine Zuversicht zu vermitteln, so war dieser Wachmann daran kläglich gescheitert. Dennoch nickte Esmée und lief weiter – es war das Einzige, was ihr übrigblieb. Sie war wie in Trance, nahm nur noch halb wahr, wo sie eigentlich hinliefen… Was hatte sie verbrochen, dass man sie töten wollte? Und kurz fragte sie sich, ob es wohlmöglich besser wäre, wenn es geschehen würde. Wenn das alles… wenn das alles einfach enden würde. Würde sie ihre Mutter wohlmöglich endlich wiedersehen?

“Hauptmann Lightore!“ Erst als sich der unbarmherzige Druck um das Handgelenk löste, bemerkte Esmée, dass sie stehengeblieben waren. Sie sah auf, blickte sich um und brauchte mehrere Sekunden, um den Ort, an dem sie sich gerade befanden, wiederzuerkennen: Der Speisesaal. Zumindest einer von ihnen – soweit sie sich erinnerte, war es der Lieblingsraum ihres Vaters, um hohen Besuch zu empfangen. So manchen Abend hatten die Adligen des Königreiches hier bei gutem Essen und mit würzigem Wein Verhandlungen geführt, zum Teil aber auch Belanglosigkeiten miteinander ausgetauscht. Es war eine gelöste Atmosphäre, an die sich die junge Frau erinnerte, wenn sie an diesen Speisesaal dachte. Eine Atmosphäre, von der sie just in diesem Augenblick meilenweit entfernt schienen. „Prinzessin Esmée. Ich freue mich, dass wir Euch retten konnten.“ Die 17-Jährige wandte den Kopf und erkannte Hauptmann Lightore, der sich tief vor ihr verbeugte. Obwohl es eine höfliche Geste war, konnte Esmée ihr kaum Beachtung schenken – sie starrte geschockt auf die blutdurchtränkte Kleidung des Hauptmannes. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, der ihr mit einem Schlag die Luft abschnürte. Noch mehr Blut. Wie viel davon sollte sie an diesem Tag noch zu Geischt bekommen? Doch die Prinzessin bemühte sich mit aller Kraft, ruhig zu sprechen, als sie fragte: „Hauptmann Lightore. Wo ist mein Vater? Wo mein Bruder?“ Eine schreckliche Pause setzte ein. Eine Pause, in der sich Hauptmann Lightore und die namenlose Wache, die Esmée hergeführt hatte, einen Blick zuwarfen. Esmées Herzschlag setzte aus. „Euer Vater ist in Sicherheit“, beantwortete der Hauptmann schlussendlich, ehe er monoton ergänzte: „Prinz Raoul fiel den Revolutionären in die Hände.“ Lightore sprach die Worte mit so einer Ruhe aus, dass Esmée kurz glaubte, sich verhört zu haben. Ihr Bruder… nein. Nicht Raoul. Raoul war seit jeher die Hoffnung des Königreiches Boscos gewesen. Jeder, absolut jeder – auch sie – hätte fallen können… aber nicht Raoul. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Die Prinzessin hatte noch kein Wort geäußert, da fuhr der Hauptmann fort: „Euer Vater hat befohlen, dass Ihr Bosco unverzüglich verlassen müsst, Prinzessin Esmée.“ Die junge Frau stolperte einen Schritt zurück, schüttelte benommen den Kopf und bekam kein einziges Wort über die Lippen. Sie hatte Todesangst, sie trauerte um den Verlust ihres Bruders, war verzweifelt über die Zukunft ihrer Heimat… und jetzt sollte sie fliehen? Sie, die in ihrem bisherigen Leben kaum einen Fuß vor den Königspalast gesetzt hatte? Esmée drehte sich im Affekt herum, wollte weglaufen, aber da packte man sie erneut am Handgelenk und zog sie zurück. „Lasst mich los!“, befahl sie, kämpfte mit aller Kraft und versuchte, sich loszureißen. Ein Unterfangen, das natürlich vergeblich war und die junge Frau mit jeder Sekunde, die verstrich, nur immer mehr in ihre Verzweiflung trieb. Dass es noch eine weitere, deutlich kleinere und jüngere Wache gab, die sich bisher im Rücken des Hauptmannes befand, hatte Esmée in ihrem Schock nicht einmal bemerkt. Genauso wenig wusste sie, dass es genau diese Wache war, mit der zusammen sie sich auf die Flucht begeben sollte. Wie sollte sie überhaupt noch jemandem vertrauen, nach allem, was heute geschehen war?

@Erial




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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
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Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Erial glaubte unter der Last seiner ihm gerade eben anvertrauten Aufgabe erdrückt zu werden. Hinzu kam die Aussage seines Onkels, dass man ihn für tot erklären würde. Er würde nur ein weiterer gefallener Soldat sein, der sein Leben für das der Königsfamilie (mehr oder weniger) erfolgreich gegeben hatte. Aber was war mit seiner kleinen Schwester Mina und Tante Maya? Mit seiner Mutter? Würden sie um ihn trauen? Würde Aiden sie einweihen? Nein, er sagte, dass es besser für sie wäre. Eine gewisse Wut entwickelte sich in ihm, die seinen Onkel anschreien wollte, wie es denn gut sein konnte, sie einer solchen Trauer auszusetzen. Aber es wäre wohl vermessen, überhaupt zu behaupten, dass sie trauern würden. Er wäre sich, vor allem bei seiner Mutter, nicht einmal sicher. Und selbst wenn er ihm das entgegen schrie, würde es etwas an seiner Situation ändern? Würde Coal um ihn trauern? Lebte er überhaupt noch? /Sch...!/ fluchte Erial wieder in Gedanken. Alles füllte sich immer noch so unglaublich surreal an. Was war nur geschehen. Plötzlich sehnte er sich nach seiner langweiligen Wache vor dem Weinkeller zurück. Der Weinkeller durch die er weitere Banditen hatte rein kommen lassen. Erial spürte wie Aiden eine Hand auf seine Schulter legte und obgleich sie tröstend sein sollte, schien sie ihn nur noch mehr herunter zu drücken. Sein Griff um die Stangenwaffe wurde fester, erfüllte sie doch gerade die Funktion eines Krückstockes. Er hatte sich noch nie so aufgewühlt und nah den Tränen gefühlt. Wie konnte sein Onkel bei alledem nur die Ruhe bewahren? Er blickte hoch in seine Augen, die kühl, aber auch ruhig zu ihm sahen. Erial verstand in diesem Augenblick, dass Aiden diese Ausstrahlung auch besaß, um andere zu beruhigen. Sein Onkel durfte keinen Wankelmut zeigen. Der Griff um seine Schulter wurde ein letzter Mal fester als im gleichen Moment die Türen aufgestemmt wurden und zwei Personen in den Raum stürmten. Ein Mann zog ein Mädchen in blauem Kleid hinter sich her. Hinter ihnen kamen zwei weitere Personen, doch sie verbarrikadierten nur die Tür und Erial vermutete, dass sie vor dieser Stellung bezogen. Während Aiden sogleich die Prinzessin begrüßte, hätte Erial sie fast nicht wieder erkannt. Nicht das sie sich an ihn erinnern würde, aber er hatte sie bei einem seiner Aufgaben einmal erlebt, wie sie einen kleinen Wutausbruch magisch verstärkte. Und auch danach hatte er sie hin und wieder im Palast gesehen. Doch von dem Glitzer und Glanz der Prinzessin war wenig geblieben. Abgesehen von ihren Ohrringen und dem Diadem sah die Prinzessin kaum mehr als Stadtmädchen aus. Sie war verschwitzt, die Haare saßen nicht mehr richtig und Erial glaubte, dass das Kleid wahrscheinlich auch schon besser ausgesehen hatte. Sein Blick fiel auch auf die Schuhe. Die Füßen darin müssten mittlerweile wohl Schmerzen. Aber ehrlich gesagt hatte er nie verstehen können, wie man so etwas tragen konnte. Seinen Onkel Aiden schien die Prinzessin durchaus zu erkennen, wenig verwunderlich. Die Prinzessin erkundigte sich nach ihrem Vater und ihren Bruder. Bei Raouls Erwähnung blickte Erial geknickt zur Seite. Ja, er hatte die Schreie seiner Kameraden, die ER im Stich gelassen hatte, gehört. War es illusorisch zu glauben, dass seine Anwesenheit etwas geändert hätte? Ja und dennoch blieben die Vorwürfe. Aiden Lightores Worte waren kühl und ohne Trauer als er von Raouls Verlust sprach. Erial konnte auch Esmées Gesicht sehen, dass an ihr das nicht ganz so spurlos vorbei ging. Er konnte es noch vollziehen. Auch ihm hatte sein Onkel gerade offenbart, dass er seine Familie nie wieder sehen würde. Wie Erial fand Esmée den Plan aus Bosco zu fliehen nicht gerade bezaubernd. Sie wollte sogar weglaufen. Doch der Soldat, der sie hergebracht hatte, packte sie erneut am Handgelenk und hielt sie fest. Er hatte jedoch gut zu tun mit der immer panischer werdenden Prinzessin umzugehen. „Prinzessin Esmée seid vernünftigt!“ rief Hauptmann Lightore sie zur Ordnung. „Wenn ihr nicht geht, wird euch das gleiche Schicksal wie eurem Bruder zu Teil werden. Zu meinem Bedauern können wir eure Sicherheit nicht mehr garantieren. Wir wurden aus unseren eigenen Reihen verraten.“ Erneut verkrampfte sie Erial bei diesen Worten, doch er wurde aus seiner Starre gerissen als eine alte Geheimtür hinter einem Wandteppich sich öffnete und eine kleine alte Frau zu ihnen herüber eilte. Sie hatte drei Bündel in ihrer Hand. „Loraine, gut dich zu sehen. Ist dir jemand verfolgt?“ „Einer alten Frau schenkt doch keiner Aufmerksamkeit.“ warf sie weg und watschelte weiterhin schnell auf die Gruppe zu. „Erial, mein Junge. Wie gut das du es geschafft hast. Hier das ist für dich. Passt  mir gut auf unsere Prinzessin auf.“ sprach die alte Frau einen jungen Soldaten hinter Aiden an, der jetzt im Fokus der umstehenden Männer (und der Prinzessin) stand. Sie tätschelte ihm trostvoll die Wange, was funktionierte, das Erial so klein war. Das Geld in seiner Kleidung bereits verstaut, überreicht sie ihm gleich zwei Bündel. „Das habe ich noch von meinen Jungen und Mädchen auftreiben können. Nicht das schickste, aber es sollte euch passen.“ ergänzte sie zu Erial und Aiden ergänzte leise an ihn, das er die Kleidung aus dem Bündel anziehen sollte. Loraine watschelte weiter auf die Prinzessin zu, deren Handgelenk noch immer eisern umklammert wurde. „Oh je, was haben sie euch nur angetan, meine Liebe.“ schüttelte die Frau ihren Kopf und drückte auch der jungen Prinzessin ein Bündel in die Hand. „Zieht euch rasch um. Gewiss nichts, was ihr tragen würdet, aber niemand darf euch entdecken. Nutzt das Tuch, um eure Haare zu verstecken und legt euren Schmuck ab!“ Wissend blickte die alte Frau auf das Mädchen und schüttelte den Kopf. „Mit diesen Schuhen kommt sie nicht aus der Stadt, ihr gebt dem Mädchen eure Schuhe.“ wies sie den Soldaten an, der Esmée hergeführt hatte. Gewiss waren seine Schuhe abgetragen und wohl auch etwas zu groß, aber sicher bequemer als Hackenschuhe. Auch würde sie dem Mädchen Stoffstreifen ihrer Schürze geben, damit sie ihre Füße binden konnten, sollten sie blutig sein.
Währenddessen wurden die Kampfesgeräusch wieder lauter. Sie schienen näher zu kommen. „Beeilt euch. Zieht euch um und dann verschwindet. Prinzessin Esmée Erial hier wird euch außer Landes bringen. Seht nicht zurück bis ihr genügend Abstand zur Hauptstadt gewonnen habt. Rastet auch erst dann. Vertraut niemanden, auch wenn ihr ihn zu kennen glaubt.“ befahl er beiden Kindern. Erial zog sich gerade eine dunkelbraune Tunika über den kurzzeitig nackten Oberkörper. Seine Beinkleidung hatte er gegen schwarze Stoffhosen getauscht. Aiden wandte sich nun explizit an die Prinzessin. „Was auch immer geschehen wird. Kommt erst zurück, wenn ihr direkte Anweisung eures Vaters diesbezüglich erhaltet. Die Revolutionäre werden alles versuchen um euch zu finden und zu töten. Ihr seid die letzte Hoffnung der Monarchie. Boscos letzte  Hoffnung. Schützt eurer Leben, damit ihr, wenn wir siegreich waren, als Königin zurück kehren und den Platz eurer Mutter einnehmen könnt.“ schwerwiegende Worte, aber womöglich würden sie Esmée dazu bringen der Flucht doch zuzustimmen? Oder aber die Geräusche die lauter wurden? Sie konnten nicht ferner als zwei drei Räume sein.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyMi 22 Feb 2023 - 14:08

„Raoul bringt alles mit, was ein zukünftiger König benötigt. Stark, selbstbewusst, aber auch nahbar. Die Menschen können sich mit ihm identifizieren, vertrauen ihm und vollen gleichzeitig für ihn und seine Ideale kämpfen. Wenn es jemand schaffen kann, dieses Königreich auf den rechten Pfad zu bringen, dann ist es Raoul.“ Die Stimme von König Enzo quoll über vor Stolz, während er aufmerksam die Bewegungen des jungen Prinzen auf dem Übungsplatz verfolgte. Geschickt wehrte der dunkelhaarige Junge einen Schwerthieb ab, drehte sich um die eigene Achse und holte stoisch zum Gegenangriff gegen seinen Lehrmeister aus. Es wirkte so unglaublich einfach, wenn Raoul kämpfte. „Du kannst stolz auf ihn sein, Esmée. Dein Bruder wurde aus dem edelsten Holz geschnitzt.“ Das waren die Worte, die der König für seine Zweitgeborene übriggehabt hatte, die direkt an seiner Seite verweilte und ebenso den Waffenübungen zusehen durfte. Esmée hätte sich wohlmöglich gekränkt fühlen können, aber das tat sie nicht. Lange hatte es gedauert, bis ihr Vater über den unerwarteten Verlust seiner Frau hinweggekommen war – Enzo hatte sich vor der Öffentlichkeit versteckt und still getrauert. Aber heute hatte sich etwas geändert: Zuversicht stand im Gesicht des Königs von Bosco, während er Raoul beobachtete und über die Zukunft des Königreiches sprach. Und obwohl nicht sie es war, die diesen Stolz in ihrem Vater hatte wecken können, war es in Ordnung für die Prinzessin gewesen. Esmée hatte nie damit gerechnet, diese Land anführen zu müssen, hatte sich bereits früh damit angefreundet, als Zweitgeborene nur die Unterstützung für ihren Bruder zu sein. Raoul war die Hoffnung von Bosco – er konnte in die Fußstapfen von Königin Eléonore treten und nicht nur Bosco, sondern auch der Königsfamilie endlich den Frieden bringen, den sie alle so bitter nötig hatten. Ja, auch Esmée war voller Zuversicht beim Anblick ihres selbstsicheren Bruders. Raoul würde das schaffen. „Das bin ich“, antwortete sie ihrem Vater daher wahrheitsgemäß und schenkte ihm ein Lächeln.

Warum nur hatte es anders kommen müssen?

Da waren kein Lächeln und keine Zuversicht mehr, sondern pure Panik. Die 17-Jährige zappelte und kämpfte, versuchte vehement, sich aus dem festen Klammergriff der Wache zu befreien und wegzulaufen – wohin auch immer. In die Arme der Revolutionäre, die sie sogleich töten würden? Ginge es mit ihr dann genauso zu Ende wie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder? Erst die eindringlichen Worte von Hauptmann Lightore sorgten dafür, dass die Dunkelhaarige inmitten der Bewegungen innehielt und den älteren Mann entgeistert anstarrte. Sie… sie waren verraten worden? Aus den eigenen Reihen? Das alles hier war das Ergebnis eines Verräters? „Wie bei meiner Mutter…“ Esmée bekam die Worte kaum über die Lippen, so geschockt war sie von der neuen Erkenntnis. Damals, als ihre Mutter vergiftet worden war, waren es nur Gerüchte gewesen, keine eindeutigen Beweise. Die de Bosco hatte versucht, das Gerede zu ignorieren, denn wenn sie den eigenen Leuten nicht mehr vertrauen konnten, auf wen konnte sie sich dann überhaupt noch verlassen? Durfte sie überhaupt noch irgendwelche Menschen nahe an sich heranlassen? Die junge Frau fühlte sich vollkommen taub: Sie hatte nun schon zwei nahe Familienangehörige an Verräter verloren. Hatten diese Verräter ihre Informationen wohlmöglich sogar von der Prinzessin persönlich erhalten? Die Unterlippe der jungen Frau zitterte, sie durchforstete ihre Erinnerungen der letzten Tage und Wochen, überlegte fieberhaft, mit wem sie gesprochen hatte und ob sie Dinge gesagt hatte, die sie eher nicht hätte sagen sollen. Aber natürlich war es zu viel. Sie wusste nicht, mit wem sie alles gesprochen hatte, was genau sie geäußert hatte. Die Tatsache, dass sie sich nicht im Detail erinnerte, machte die Selbstvorwürfe nur noch schlimmer. Esmée kapitulierte – auch in ihrem Kampf mit der Palastwache, vor der sie eben noch hatte fliehen wollen.

Das Gespräch zwischen der neu erschienen Loraine und Erial bekam die Prinzessin nur am Rande mit, ihr Geist schien an einen anderen Ort geflüchtet zu sein. Erst als die ältere Dame auf die Prinzessin zutrat, ihr ein Bündel in die Hand drückte und ihr direkt in die hellblauen Seelenspiegel blickte, konnte die 17-Jährige wieder in die Gegenwart zurückfinden. Sie starrte Loraine an – die eine Ruhe und Wärme ausstrahlte, wie es nur eine Großmutter hätte tun können. Plötzlich war da dieser Drang, sich in die Arme der älteren Dame zu flüchten, den geballten Frust und die Verzweiflung ungehemmt herauszulassen… aber die Kampfesgeräusche kamen näher. Und so auch die Gefahr. Die Prinzessin schluckte schwer, besann sich wieder auf ihre Rolle und nickte, während sie das Bündel in ihren Händen musterte. Auch ohne hineinzublicken, wusste Esmée, dass dort Kleidung wartete, die sie als Prinzessin normalerweise niemals tragen würde. Aber die Angst vor ihren Verfolgern überwog und tatsächlich war da noch so etwas wie ein Überlebenswille – eigentlich ein gutes Zeichen, oder? „Los, dreht euch um“, befahl Loraine an die Männer gerichtet, ehe sie der Prinzessin inmitten des Speisesaals in schnellen und geschickten Bewegungen aus ihrem himmelblauen Abendkleid half – eine Aufgabe, die eigentlich eine Zofe hätte erledigen sollen. Die ältere Dame bändigte die pechschwarzen Haarsträhnen der de Bosco in einem Zopf und ließ sie danach endgültig unter einem Kopftuch verschwinden, so wie es eine Bauerstochter vermutlich getragen hätte. Das leise Zischen der Prinzessin, als ihre die hohen Schuhe von den Füßen gezogen wurden, deutete daraufhin, dass sie sich die Haut beim Laufen wirklich wund gescheuert hatte. Das Blut in den Schuhen war unübersehbar. „Das haben wir gleich, meine Liebe“, beruhigte Loraine erneut und umwickelte die zerschundenen Füße mit Stofffetzen, ehe sie in die Schuhe einer der Wachen schlüpfte. Anders als alles, was Esmée sonst kannte, trug sie nun ein Unterkleid aus Leinen sowie ein Oberkleid aus grober Wolle. Während sie in einem himmelblauen Kleid aus feinster Seide angekommen war, das so perfekt zu ihrem dunklen Haar und den hellen Seelenspiegeln passte, trug Esmée nun ein braunes Tuch um den Kopf, unter dem ihre wallende Haarmähne einfach verschwand sowie erdige Töne, mithilfe derer sie sicherlich in der Masse an Bevölkerung einfach untertauchen konnte. Das Diadem, das sie zuvor auf dem Kopf getragen hatte, gehörte zu dem spärlichen Gepäck, das Loraine der Prinzessin schlussendlich in die zitternden Hände drückte – genauso wie der restliche Schmuck, den Erial und sie im Notfall zu Geld machen könnten. Dass die alte Dame sogar daran gedacht hatte, in all der Eile noch ein kleines Familienfoto in die kleine Tasche zu schmuggeln, wusste Esmée in diesem Moment nicht. Aber sie würde Loraine noch lange dafür dankbar sein, war es immerhin die letzte Erinnerung, die ihr an ihre Familie geblieben war. An ein Leben, das mit dem heutigen Tage zu einem Teil der Vergangenheit geworden war.

„Was auch immer geschehen wird. Kommt erst zurück, wenn ihr direkte Anweisung eures Vaters diesbezüglich erhaltet. Die Revolutionäre werden alles versuchen, um euch zu finden und zu töten. Ihr seid die letzte Hoffnung der Monarchie. Boscos letzte Hoffnung. Schützt eurer Leben, damit ihr, wenn wir siegreich waren, als Königin zurückkehren und den Platz eurer Mutter einnehmen könnt.“

Die Worte von Hauptmann Lightore wogen schwer auf den Schultern der Prinzessin, sie hatte kurzzeitig das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Sie war die Hoffnung von Bosco? Sie sollte als Königin den Platz ihrer Mutter einnehmen? Es war ein Platz, der Raoul zugestanden hätte. Es fühlte sich falsch an, das konnte einfach nicht richtig sein. Wie sollte man sie als Königin akzeptieren, wenn man doch den Ausblick auf Raoul gehabt hatte? Die 17-Jährige wollte widersprechen, auch um sich selbst nicht einzugestehen, dass ihr Bruder wirklich getötet worden war… aber die Schreie, direkt vor dem Speisesaal, wurden lauter. Wer auch immer die Prinzessin verfolgt hatte, besagte Verfolger waren mittlerweile vor dem Raum angekommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie die Türen einbrechen würden… um zu beenden, wozu sie gekommen waren. Esmée war eine Prinzessin, keine Kämpferin. Wenn diese Leute Raoul hatten besiegen können, was sollte sie dann in einer direkten Konfrontation schon ausrichten können? Resigniert stellte Esmée fest, dass sie ihrem Königreich tatsächlich nur noch mit ihrer Flucht helfen konnte. Hauptmann Lightore hatte Recht, auch wenn sie um ihren Vater fürchtete. Sie konnte sich nicht einmal mehr von ihm verabschieden. Erst jetzt sah die Dunkelhaarige endlich zu der kleinen Wache, die direkt hinter dem Hauptmann stand und ebenso in Bauernkleider geschlüpft war. Esmée kannte ihn höchstens flüchtig, hatte mit diesem Jungen aber nie ein Wort gewechselt. Wie war sein Name noch gleich gewesen? „Wir müssen uns beeilen“, äußerte sie in Richtung Erial, der Tonfall deutlich sicherer, als sie sich eigentlich fühlte. Aber sie war die Prinzessin. Sie war die Hoffnung dieses Königreiches. Die de Bosco musste jetzt funktionieren, denn an erster Stelle stand nicht sie selbst, sondern das Land Bosco. „Ich danke Euch, Hauptmann Lightore. Und auch Euch, Loraine.“ Die Prinzessin neigte das Haupt leicht, was die beiden Angesprochenen mit einer Verbeugung und einem Knicks erwiderten. „Der Einsatz von Euch allen wird nicht vergeblich gewesen sein. Ich verspreche es, als Prinzessin von Bosco. Ich werde zurückkehren und gemeinsam werden wir diesem Land den Frieden bringen, der ihm zusteht. Bosco wird erstrahlen, wie die Sonne in seinem Wappen.“ Ob ihre Mutter und auch ihr Vater stolz auf sie wären, dass sie in einem Moment größter Not noch solche Worte finden konnte? Dass sie versuchte, anderen Menschen Trost zu spenden, den sie selbst doch eigentlich bitter nötig hatte? Dann wandte sie sich an Erial. „Schnell, Ihr müsst vorgehen.“ Und mit diesen Worten raffte sie ihr schlichtes Bauernkleid und eilte los – in den Geheimgang, den Loraine geöffnet hatte und dabei die Schmerzen ignorierend, die immer noch von ihren Füßen ausgingen. Der Gang, den die gemeinsam mit Erial nahm, war der Prinzessin gänzlich unbekannt – denn es war ein Gang, der im Alltag den Bediensteten des Königspalastes vorenthalten war. Esmée bemühte sich, den Blick nach vorne gerichtet zu halten. „Wohin führt dieser Gang?“, wollte sie schlussendlich von der kleinen Palastwache wissen, die vor ihr lief und dessen Namen sie in ihrer Angst und Panik nicht mitbekommen hatte. Ehrlich gesagt hatte die junge Frau auch Zweifel daran, wie gut dieser Zwerg kämpfen konnte… aber das waren Zweifel, die sie im Augenblick lieber für sich behielt. Ob sie dieser Wache vertrauen konnte? Oder war diese Wache wohlmöglich auch ein Verräter? Die hellblauen Seelenspiegel musterten den Rücken des kleinen Mannes misstrauisch und ihr Herz pochte nochmal wilder. Die Vorstellung, ganz auf sich allein gestellt zu sein, machte Esmée unglaublich viel Angst. Sie… sie wollte einen Verbündeten haben, selbst wenn dieser Verbündeter ein Zwerg war, den sie bisher kaum wahrgenommen hatte. Und so betete sie inbrünstig, dass er sie nicht verriet – dass sie nicht gleich von dieser Wache angegriffen und umgebracht wurde.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyMi 22 Feb 2023 - 18:35

Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Immer näher kamen die Kampfesgeräusche. Erials Geist war ruhiger geworden. Er schien die Gefahr zu spüren, die immer näher kam und ihn erdrücken wollte. Wieder und wieder rief er sich Aidens Worte in Erinnerung: Wenn er nicht sterben wollte, musste er einen kühlen Kopf bewahren. Seine Händen zitterten zwar leicht, doch mit geübten Bewegungen zog er sich die Kleidung an. Der Stoff fühlte sich deutlich rauer an als seine Palastwachenuniform. Natürlich war letztere nichts im Vergleich zu Esmées Seidenkleid. Beides störte ihn nicht. Sie war funktional und das war alles was zählte. Außerdem würde es besser als Seide vor der Witterung schützen. Aiden richtete letzte Worte an die Prinzessin, der von Loraine in ihre Kleidung geholfen worden war. Währenddessen hatte Erial eine Gugel über seinen Kopf gezogen, um den Haarschopf zu verstecken, selbst seine Schuhe geschnürt, seine Ausrüstung verstaut und die Gleve wieder in die Hand genommen. Die Bündel hatte er sich fest an den Gürtel geschürt, sodass sie jeweils an den Seiten baumelten. Nicht sein erste Wahl, aber er würde seine Hände frei brauchen.
Und dann sprach die Prinzessin zum ersten Mal an diesem Abend zu ihm. Erial blickte zum ersten Mal in ihre blauen Augen, die ihn sehr an die ehemalige Königin erinnerte. Ihre Worte strahlten Sicherheit aus. Die junge Wache war davon überzeugt, er hätte in diesem Moment keinen derart sicheren Tonfall hinbekommen. Aiden nickte nur zustimmend als er zu seinem Onkel hinüber sah. Es waren nicht Esmées letzte Worte. Sie richtete noch Dankesworte an den Hauptmann und die Küchenmagd, bevor sie eine kleine Rede hielt. Erial bestaunte die Prinzessin weiter. Er konnte nicht umhin, dass ihm das ein wenig Mut gab und ihm half diesen Mut auch im Angesicht ihrer fast erfolglos erscheinenden Aufgabe zu haben. Sie würden es schaffen. Oder? Hoffnung war in der jungen Wache aufgekeimt. Erneut sah er zurück zu Aiden, der nur den Kopf schüttelte. „Sieh nicht zurück, Erial.“ sagte sein Blick und der junge Mann biss die Zähne aufeinander. Das Wissen, seine Familie womöglich nie wieder zu sehen und sie einfach im Stich zu lassen und dann alles was passiert war, rangen mit der frisch gewonnen Hoffnung durch die Prinzessin. „Mach mich stolz und vergiss nie, was ich dir beigebracht habe.“ waren Aidens letzte Worte an seinen Neffen. Er drückte ein letztes Mal mit seiner Hand die Schulter des Jungen, bevor er ihn umdrehend in Richtung des Portals stieß. Erial kämpfte mit sich, nicht doch zurück zu blicken. In diesem Augenblick hatte Loraine bereits den Geheimgang geöffnet und Esmée lief an Erial vorbei. Er nahm selbst die Füße in die Hand, lief an Esmée vorbei und damit voraus.

Der Gang war von einigen Fackeln erleuchtet. Einige Abschnitte waren dadurch spärlicher als andere ausgeleuchtet, es ging jedoch nur gerade aus. „Zum Gesindeausgang, dann durch die Gärten raus aus dem Schloss. Und jetzt leise. Sie könnten uns hören.“ Ob Esmée jemals Stimmen aus der Wand gehört hatte? Es wäre schlecht, wenn dem so wäre. Schließlich sollten Bedienstete unsichtbar sein - das galt auch für ihre Stimmen. Sprach man zu laut, konnte es an manchen Stellen, wo die Wand dünn genug war, leicht sein, dass man den- oder diejenige hören konnten. Sie liefen jedoch an Räumen vorbei, die bereits den Revolutionären in die Hände gefallen waren. Es galt also darauf zu achten. Außerdem, würde Esmée ihren Atem fürs Rennen sparen, wenn sie nicht redeten. Und Erial lief wirklich schnell, schneller als die Palastwachen, die Esmée hinter sich hergezerrt hatten. Immer wieder musste er seine Geschwindigkeit drosseln, damit Esmée aufholen konnte.

Was womöglich nur ein Tier hätte sein können, dass durch den Gang irrte, ließ Erial instinktiv handeln. Sein Körper war voller Adrenalin, das Herz schlug schnell und er konzentrierte sich auf die ganze Umgebung. Nur noch vielleicht 15 Schritt und sie waren in der Nähe eines Zwischenausganges.  Er wirbelte ohne Vorwarnung herum. Eine Hand legte sich, hoffentlich, schnell genug auf den Mund der Prinzessin, die er unsanft gegen die kalte, dreckige Steinwand des Ganges drückte. Seine andere Hand hielt noch immer die Gleve, doch sein Arm  lag quer auf ihrem Körper. Die Waffe ruhte nun nahe ihrem Gesicht. Die Wache stand, je nachdem, schützend oder gar bedrohlich vor ihr. Erial blickte die Prinzessin warnend an, ja keinen Laut zu machen, nahm die Hand von ihrem Mund und griff zum brennenden Kopf einer Fackel, welche in Reichweite den Gang beleuchtete. Mit Eis überzogen ließ er die Fackel gerade noch im richtigen Moment ausgehen. Die kleinen Scharten im Dach, um den Rauch der Fackel abziehen zu lassen, spendeten kaum merklich Licht.
Die Geräusche, die er wahrgenommen hatte, waren jedoch nicht die eines Tieres. Es knarzte etwas als eine Wandvertäfelung zur Seite geschoben wurde. „Sucht die Gänge mit ab. Sie können die Prinzessin nicht verstecken.“ Durch die geöffnete Tür erklangen die Stimmen lauter als noch am Anfang. Erials, noch kalte und auch rußige Hand, hatte sich erneut über Esmées Mund gelegt. Angst stieg in ihm hoch. Wenn sie flohen, würden ihre Schritte hallen. Reichte die Dunkelheit? „Ganz schö dunkl“ sagte eine dumpfere Stimme, die irgendwie nicht wirklich helle klang. Erial betete zu den alten Götter, dass er dumm genug war, nicht die Ungereimtheiten der Fackelabstände zu realisieren. „Na Boss, keener hier.“ „Aww~ Wir müssen sie doch finden. Das Prinzchen ist sicher schon einsam~“ Erial wurde schlecht beim Klang der Frauenstimme. Die Art wie sie redete... Die Tür knallte zu und Erial zählte langsam bis 20, bevor er sich traute von Esmée abzulassen und stattdessen nach ihrer Hand zu greifen, damit sie weiter rennen konnten.

Die letzten Meter schafften sie ohne Vorkommnisse. Erial hielt an, ließ spätestens jetzt die Prinzessin los und spähte den Gesindeausgang aus. Sie hatten Glück. Hier war keiner mehr. Oder noch keiner? Was auch immer von beiden. Erial gab Esmée ein Zeichen und fügte hinzu: „Rennt, wie ihr noch nie gerannt seit.“  Wenn Esmée glaubte, dass sie es geschafft hatten, dann irrte sie sich gewaltig. Nun mussten sie durch den Palastgarten und waren dort auf langer Fläche ungeschützt. Ihr Ziel war ein kleiner Ausgang zwischen den Gewächshäusern. Erial kannte ihn gut, hatte er damals doch dem Gärtner assistiert. Wer anders, kannte ihn eigentlich nicht und so sollte es ein sicherer Ausgang sein. Doch erstmals ... mussten sie überhaupt dorthin kommen. Die Wachen hatten zwar punktuell gerade die Oberhand, aber wer wusste schon, was im Garten auf sie wartete?


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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySa 4 März 2023 - 19:41

Als Esmée die Antwort der kleingewachsenen Wache vor ihr vernahm, verengten sich ihre Augen sichtlich. Nicht, weil es unhöflich war, mit einem solch befehlerischen Tonfall gegenüber einer Prinzessin aufzutreten, denn für diese Förmlichkeiten hatten sie gerade einfach keine Zeit – das war auch der 17-Jährigen bewusst. Es war vielmehr die Erkenntnis, dass Esmée keine Ahnung von besagtem Gesindeausgang in den Gärten des Palastes gehabt hatte. Die junge Frau hatte in der Vergangenheit viel Zeit in den Gärten verbracht, war davon ausgegangen, diesen Ort bis ins letzte Detail zu kennen. Eine Fehleinschätzung, wie ihr nun bewusstwurde. War das nur eine Fehleinschätzung von vielen? Wieder musste sie daran denken, dass ihre Familie von Verrätern hintergangen worden war und sie erschauderte. Was hatte man vor der Prinzessin noch geheim gehalten? Die Schritte des ungleichen Pärchens hallten in dem nur durch Fackeln erleuchteten Gang nach, ansonsten war es gänzlich still. Der intensive Blick der Prinzessin lag auf dem Rücken der fremden Wache vor ihr, von der sie so gar nichts wusste. So, wie Hauptmann Lightore gesprochen hatte, musste es sich bei diesem Jungen um einen Schützling, vielleicht auch um den persönlichen Lehrling des Hauptmanns handeln. Stolz und Entschlossenheit in der Stimme von Lightore waren unüberhörbar gewesen, als er der kleinen Wache die Aufgabe übertragen hatte, auf die Prinzessin aufzupassen. Aber… konnte man diesen Jüngling überhaupt als echte Palastwache bezeichnen, wenn er sich noch in der Lehre befand? Esmée konnte nichts gegen ihre Skepsis unternehmen. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie dem Gespräch zuvor nicht aufmerksam genug gefolgt war, um den Namen des Fremden mitzubekommen. Das war ein Fauxpas, der weder ihrer Mutter, noch ihrem Bruder so passiert wäre. Sie dachte gerade darüber nach, den Mund doch nochmal zu öffnen und sich nach dem Namen zu erkundigen – vielleicht auch, um sich selbst von ihren Ängsten und Sorgen abzulenken – aber plötzlich hielt der Junge vor ihr inmitten seiner Bewegung inne, sodass die Prinzessin ihm beinahe in den Rücken gelaufen wäre. Ohne Vorwarnung wirbelte sein Körper herum, Esmée spürte, wie sie gegriffen wurde, sich eine Hand über ihren halbgeöffneten Mund legte, während ihr gesamter Körper stark gegen die kühle Wand in ihrem Rücken gedrückt wurde. Es steckte mehr Kraft in den Gliedern dieser kleinen Wache, als die Dunkelhaarige auf Anhieb gedacht hätte. Leider beruhigte das die junge Frau just in diesem Augenblick keinesfalls. Warum hielt er sie fest? Warum hielt er die Hand über ihrem Mund? Im Schein der Fackeln blitzte das Stahl der Gleve auf, die sich unweit des Gesichtes der Prinzessin befand und so langsam ging ihr auf, was hier passieren würde. Verräter, hallte das Wort ein weiteres Mal im Geiste der Dunkelhaarigen nach und schnürte ihr die Kehle zu. Sie wandte sich zwanghaft von der scharfen Waffe ab, sah stattdessen nach vorne, direkt in die haselnussbraunen Augen der fremden Wache. Entsetzen machte sich in der Prinzessin breit, der Gedanke an einen Verräter war allzu präsent. Ausgerechnet dieses Entsetzen brachte Esmée so viel Klarheit, dass sie sich an den Namen erinnerte, den Hauptmann Lightore genannt hatte und der zweite Gedankengang, gleich hinter Verräter, folgte: Erial. War es das? War das der Name des Mannes, der sie umbringen würde? Esmée war gelähmt, starrte nur mit geweiteten Augen der Wache entgegen und rechnete damit, dass es jeden Moment mit ihr zu Ende gehen würde. Ob sich ihr Bruder in den letzten Sekunden vor seinem Tod genauso gefühlt hatte? Es hatte etwas Tröstliches für Esmée, dass sie am Ende ihres eigenen Lebens doch noch eine Gemeinsamkeit mit Raoul erkannte. Erial, der von diesen Gedankengängen nichts hatte mitbekommen können, schnappte sich eine Fackel und das Licht um sie herum erlosch. Esmée schloss die Augen, dachte an ihren Vater und hatte Mitleid mit ihm – nach dem Verlust der Königin hatte er nun auch beide Kinder am gleichen Tag verloren. Die junge Frau hoffte, dass er daran nicht endgültig zerbrach.

Aber es kam anders.

Die Prinzessin spürte keine Klinge, die sich tief in ihren Körper bohrte, keine Schmerzen aus einer wild blutenden Wunde, sondern sie hörte… Stimmen. Ein Mann und eine Frau, ganz eindeutig, aber es waren keine Stimmen, die der Dunkelhaarigen bekannt waren. Wer auch immer diese Menschen waren, ganz offensichtlich suchten sie nach der Prinzessin und der Unterton, mit dem sie sprachen, ließ keinen Zweifel offen: Sie waren der Königsfamilie nicht wohlgesonnen. Esmée spürte ihr Herz in der Kehle flattern, sie hielt trotz der ohnehin vorhandenen Dunkelheit die Augen geschlossen und klaubte sämtliche Selbstbeherrschung zusammen, sie sie besaß, um nicht wegzulaufen, sondern ruhig auf der Stelle stehenzubleiben und gedanklich zu beten. Dann knallte eine Tür, aber immer noch traute sich die 17-Jährige nicht, sich zu bewegen… bis sie spürte, dass Erial die Hand von ihrem Mund löste, ihr nur einen flüchtigen Blick zuwarf und dann – nachdem er ihre Hand gegriffen hatte – wieder loslief. Der Brustkorb der de Bosco hob und senkte sich sichtlich, während sie der kleinen Wache hinterherlief und sie immer noch mit geweiteten Augen anstarrte. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie davon überzeugt gewesen war, dass Erial sie töten würde. Dass sie sicher gewesen war, dass auch er ein Verräter war. Dabei hatte er sie gerade gerettet, oder? Sie hatte ihm Unrecht getan. Was… was war nur aus ihr geworden, dass sie ihrer Umwelt so sehr misstraute?

Am Ende des Ganges angekommen löste Erial den Druck um ihr Handgelenk, spähte um eine letzte Ecke (von der Esmée vermutete, dass es sich um den Ausgang handelte) und kam dann wieder zu ihr zurück. Sie sollte rennen, wie sie noch nie gerannt war? Als hätte ich das zuvor noch nicht getan, dachte sich die Dunkelhaarige erschöpft, doch alles, was sie äußerte, war ein entschlossenes Nicken. Erst in dem Moment, als sie ihr Kleid raffte, erinnerte sie sich wieder daran, was sie trug – dass sie die Erscheinung als Prinzessin schon lange hinter sich gelassen hatte und aktuell aussah wie eine heruntergekommene Bauerstochter. Ein bittererer Gedanke, aber auch das schluckte die 17-Jährige herunter, hob den Kopf und eilte los. Es stimmte, dass sie den Gesindeausgang nicht gekannt hatte - der Rest des Palastgartens war ihr allerdings vertraut. So huschte sie vorbei an diversen Hecken und nicht zuletzt an den wunderschönen Rosensträuchern, die ihr Vater persönlich hatte anlegen lassen, während sie nach möglichen Rebellen Ausschau hielt. Und das stellte sich als gar nicht so einfach dar, denn obwohl Esmée sicher war, dass sie höchstens späten Nachmittag hatten, war es im Palastgarten auffallend dunkel. Ein dicker, undurchsichtiger Qualm lag über der Grünfläche - herübergeweht von dem brennenden Königspalast. Wie konnten sie diesen Ort nur so zerstören... Es war schrecklich, die Rebellen kannten einfach keine Grenzen. Esmée schluckte, konzentrierte sich stattdessen wieder darauf, einen Ausgang aus diesem Albtraum zu finden. Zuerst wusste sie nicht, wohin genau Erial wollte, doch als die Gewächshäuser in Sicht kamen, hatte sie eine Vermutung… sie wollte gerade hinter einer der Hecken hervorkommen, da durchschnitt ein gellender Schrei die Dunkelheit, gefolgt von gurgelnden Lauten. Esmée hatte dieses Geräusch am heutigen Tage schon zu oft gehört. Sie wusste ganz genau, was dort hinten bei den Gewächshäusern geschehen war. Noch ein Mensch, der sein Leben verloren hat Sie erzitterte, kauerte sich wieder hinter die Hecke und lauschte, während sie einen stummen Blick zu Erial warf, der direkt bei ihr war. „Habt ihr dort hinten nachgesehen?!“, brüllte eine dunkle Männerstimme, ebenso aus Richtung der Gewächshäuser. „Wir hatten sie fast! Wir müssen die Prinzessin finden, bevor die Wachen Verstärkung gerufen haben." Diese Leute suchten wirklich nach ihr. Esmée spähte zu den Gewächshäusern, der Ausgang war nicht mehr weit. Aber wenn sie darauf zusteuerten, würden sie die Prinzessin entdecken. "Wir werden nicht ruhen, bis wir auch den letzten Thronanwärter Boscos vom Angesicht dieser Erde getilgt haben!“ Was… was sollte sie tun?!

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyDo 9 März 2023 - 9:57

Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



So nah war Erial noch nie einer Prinzessin gekommen. Doch in diesem Moment dachte er nicht darüber nach, wie unanständig es doch war oder gegen welche Etikette das hier verstieß. Sein vor Angst schnell schlagendes Herz betete lediglich zu den alten Göttern, dass man sie nicht finden würde. Hier in den Gängen waren sie im Nachteil. Sollte ihre Flucht bereits so schnell zu Ende sein? Doch die Götter hatten ihn erhört und ließen seinen Plan, auch dank des wohl eher dümmeren Rebellen, aufgehen. Als die Zwischentür zuknallte, wartete Erial noch bis er bis 20 gezählt hatte, bevor er von der Prinzessin wiederabließ. In der Dunkelheit des Ganges konnte Erial nicht ausmachen, ob sich das Entsetzen in den Augen der Prinzessin verzogen hatte. Er konnte nur hoffen, dass sie mittlerweile verstanden hatte, dass er sie nur hatte beschützen wollen. Und wären sie angegriffen worden, hätte er seinen Körper als Schutzschild jederzeit vor sie geworfen. Das war seine Aufgabe. Das war, was von ihm erwartet wurde. Erial griff nach der Hand der Prinzessin, die sich nicht gegen die Berührung wehrte und lief los. Weiter den Gang entlang in einem erbarmungslosen Tempo. Er hatte keine Zeit auf die müden Beine der Prinzessin Rücksicht zu nehmen, die an diesem Tage von so vielen bereits Gänge entlang gezerrt worden war. Aiden hatte Recht. Sie durften sich erst ausruhen, wenn der Palast weit, weit hinter ihnen lag.

Sie erreichten das Ende des Ganges und Erial sah nach, ob die Luft rein war. Auch wenn es so aussah, traute er dieser Ruhe nicht. Sie konnten überall lauern und im Garten waren sie ungeschützt. Vor allem Bogenschützen hatten dort leichtes Spiel. Wenn Esmée geglaubt hatte, Erial war gerade mit ihr schnell gerannt, dann irrte sie sich gewaltig. Die junge Palastwache war nicht dumm. Er wusste, dass Esmée und er nicht zu vergleichen waren, aber trotzdem musste er sie antreiben. Trotz all der Müdigkeit, trotz den womöglich schon schmerzenden Beinen. Hier draußen konnte er kaum merklich mehr tun als hoffen, beten und sie weiter und weiter mit sich zu ziehen, bis sie die Gewächshäuser erreicht hatten. Esmée nickte entschlossen und Erial schenkte ihr ein Lächeln, das aufmunternd wirken sollte. Sie würden das schon irgendwie schaffen. Woher er auch immer gerade diese Zuversicht nahm. Onkel Aiden hatte jedoch einmal gesagt, dass Hoffnung Berge versetzen konnte und er im Notfall Leuten die Aussicht auf eine solche vorspielen musste. Erial war jedoch kein guter Lügner. So stupste er mit einem Arm die Prinzessin über die Türschwelle in den Garten und ließ sie zuerst hinaustreten. Wenn er hinter ihr lief, konnte man ihr hoffentlich schlechter in den Rücken schießen, oder? Sie versuchten eine Route zu wählen, die den größtmöglichsten Schutz bot. Hecken, Büsche, Bänke, Steinornamente. Sie alle waren Erials „neue Freunde“. Es kam ihm zum Vorteil, dass er klein war und dadurch weniger von dem schweren Rauch abbekam, der sich über das Palastgelände gelegt hatte.
Erial hielt Esmée zurück als ein gurgelnder Schrei durch die Luft hallte. Sie waren fast an den Gewächshäusern angekommen. Er blickte gen Boden und biss die Zähne knirschend zusammen. Wieder einen Kamerad verloren. Was war nur los heute? Und dann ertönten Männerstimmen. Mindestens zwei. Vermutlich eher drei. Vielleicht auch mehr. Verdammt. Sie waren zwischen den Gewächshäusern. Kannten sie auch diesen Ausgang? Erial hatte geglaubt, dass außer Kain, dem Gärtner und er kaum jemand von ihm wusste. Loraine vielleicht noch. Es gab eine Chance, dass sie nicht von dem Ausgang wussten und nur zufällig hier waren. Illusorisch. Aber es gab sie. Erial dachte fieberhaft nach. Er war kein Stratege wie sein Onkel. Verdammt, verdammt, verdammt. Umkehren? Nein, dort warteten sie auch. Sie waren so nah. Erial fasste einen Entschluss. „Was immer auch geschieht.“ Flüsterte er nahe Esmées Ohr. „Es geht um euch, nicht um mich.“ Fügte er mit Nachdruck hinzu und nahm einen Stein vom Boden. Er malte Vierecke, die die Gewächshäuser symbolisierten. „Hinter diesem…“ er malte ein Kreuz auf das zweite von links „… ist in der Mauer, halb unter Efeu der Ausgang. Bleibt dicht bei mir, bis ich sage, dass ihr rennen sollt.“ Dann nahm er einen zweiten Stein und warf einen nach den anderen in die entgegengesetzte Richtung als jene, aus denen sie sich den Gewächshäusern nähern würden. Erial kannten die Garten sehr gut und wusste, wie er werfen musste, um die genug Geräuschkulisse zu schaffen. „Was war das?“ ertönte einer Stimme. „Geht nachsehen!“ blaffte eine andere und Erial malte sich aus, dass sie wenige Sekunden Zeit hatten. Er griff nach Esmées Handgelenk und zog sie hinter sich her. Weiter an der Mauer entlang. Im Schatten dieser sahen sie, wie zwei Gestalten zu der Geräuschquelle gingen. Gut. Zwei weniger. Dachte sich Erial und blieb an der Ecke des ersten Gewächshauses von rechts stehen. Er spähte um die Ecke und entdeckte mindestens einen Kämpfer. Kein Bogenschütze. Das war gut.
Plötzlich stürmte Erial in all seiner Geschwindigkeit nach vorne und überrumpelte den Mann, der mit dem Rücken noch zu ihm stand, da er seinen Kollegen hinterher sah. Ein Kampf entfachte und Erial war sich sicher, dass die Kampfgeräusche gleich die anderen auf den Plan rief. Hoffentlich hielt Esmée sich an den Plan und kam ihm nachgerannt. Er schaffte es den Mann zu besiegen, ihn sogar zu töten. Im nächsten Moment drehte er sich zu Esmée um, die, womöglich, die Tür suchte, doch sie war abgeschlossen. So nutzte er seine Gleve um die Tür aufzubrechen, die dabei zerbrach. „Renn!“ rief er Esmée zu und schubste sie durch das Tor, die hoffentlich nicht zögerte. In dem Moment kamen auch die anderen beiden zurück. „DA IST SIE!“ rief einer von ihnen und Erial sah noch, wie der Bogenschütze seinen Bogen spannte. Fluchend drehte er sich um, die Reste seiner Gleve in der Hand haltend und rannte los. Er durfte nicht zulassen, dass sie Esmée trafen. Schmerzerfüllt schrie Erial auf, als der Pfeil ihn in seiner rechten Schulter traf und ihn nach vorne stürzen ließ. Wankend rappelte er sich wieder auf und lief hinter der Prinzessin her. Er spürte, das Blut ihm über den Oberarm rann, der schlaff herunter hing. Er trieb sich an, schneller zu laufen um Esmée einzuholen, griff erneut nach der Hand der Prinzessin und zog sie in das Gassensystem der Stadt, um vor den beiden Verfolgern zu fliehen.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyDo 16 März 2023 - 14:44

Obwohl Esmée wusste, dass es nichts brachte, immer und immer wieder darüber nachzudenken, konnte sie doch nicht gänzlich loslassen. Sie sah den rußgeschwärzten Rauch über ihren Köpfen, spürte die Hitze der Flammen in ihrem Rücken, hörte Schreie und Rufe in einiger Entfernung sowie das Geräusch von Klingen, die hart und unbarmherzig aufeinandertrafen. Warum hatte das alles geschehen müssen? Warum musste Esmée ihre Familie verlieren und um ihr eigenes Leben bangen? Warum musste sie von hier fliehen, so als wäre sie es gewesen, die schreckliche Verbrechen begangen hatte? Die 17-Jährige wollte es sich nicht anmerken lassen und straffte die Schultern, aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war… die Angst saß tief in ihren Knochen. Die de Bosco fürchtete sich davor, jederzeit zu sterben, eine Waffe zu spüren, die sich in ihren zierlichen Körper bohrte. So fühlte es sich also an, wenn Menschen danach trachteten, einen umzubringen. Es war ein schreckliches Gefühl, es lähmte Esmée und es war eine Erinnerung, die sie vermutlich den Rest ihres Lebens begleiten würde. Mit einem Seitenblick streifte die 17-Jährige die Palastwache an ihrer Seite und schluckte. Was auch immer geschah – es ging hier um sie, nicht um ihn? Die de Bosco wusste aus ihrer Erziehung heraus, dass Erial Recht hatte, dennoch regte sich ihr Gewissen. So viele Menschen hatten am heutigen Tage für sie und das Königshaus gekämpft, waren verletzt oder gar getötet worden. Esmée wollte nicht, dass auch Erial sich bei diesen Opfern einreihen würde. Sie widersprach dem Dunkelhaarigen nicht, schaffte es aber auch nicht, sich zu einem zustimmenden Nicken durchzuringen, ehe Erial kurz seinen Plan erläuterte und sich danach einen Stein schnappte, um ihn in entgegengesetzte Richtung zu werfen. Eine Ablenkung? Es verfehlte seine Wirkung nicht: Die Fremden spitzten die Ohren und verschwanden, machten damit den Weg zum Ausgang aus dem Palastgarten frei. Erial schnappte sich derweil das Handgelenk der Prinzessin und zog sie erneut hinter sich her. Weder bemerkte die junge Frau die Kälte der Umgebung, noch den Schmerz in ihren Füßen, während sie dem Novel folgte. Nur ein einziger Gedanke hallte kontinuierlich in ihrem Kopf nach, um ihr wild pochendes Herz zu übertönen: Wir haben es fast geschafft. Aber ein einzelner Feind war zurückgeblieben und versperrte ihnen den Fluchtweg. Just in dem Augenblick, als Esmée dies erkannte, gab Erial das Signal, dass sie laufen sollte.

Und Esmée lief.

Der Novel hatte das Handgelenk der 17-Jährigen losgelassen, umklammerte seine Gleve fester und warf sich auf den letzten Feind, der zwischen ihnen und dem Ausgang verweilte. Würde Erial das schaffen? Konnte er den Kampf für sich entscheiden? Die Dunkelhaarige hielt die Luft an und zwang sich, sich von dem Kampf abzuwenden, um sich auf das halb von Efeu überwachsene Tor zu konzentrieren… doch Verzweiflung überkam die de Bosco, als sie feststellte, dass das Tor verschlossen war. Just in dem Augenblick, als sie sich zu Erial herumdrehen wollte, erschien dieser bereits vor ihr, nutzte seine Gleve und brach das Schloss auf. Es blieb zu wenig Zeit, um alle Details zu erkennen, aber Esmée entging weder das frische Blut auf der Kleidung der Palastwache, noch der leblose Körper des Feindes, der unweit von ihnen entfernt auf dem Boden lag. Erial hatte den Kampf offensichtlich gewonnen – und im gleichen Atemzug den Feind getötet. Vielleicht wäre es angemessen gewesen, hierüber entsetzt zu sein, doch das Adrenalin pumpte durch Esmées Körper. Sie hörte die Rufe, die eindeutig ihr als Prinzessin galten und lief genauso wie Erial um ihr Leben. Esmée ließ das Palastgelände des Königshauses von Bosco, auf dem sich ihr gesamtes, bisheriges Leben abgespielt hatte, hinter sich. Sie drehte sich nicht herum, aus Angst vor den Feinden, von denen sie verfolgt wurden. Ein Pfeil flog knapp am Kopf der Prinzessin vorbei, bohrte sich in die Schulter von Erial, der direkt vor ihr lief und Esmée riss erschrocken die Augen auf. Aber Erial hielt nicht an, gab ihnen keine Gelegenheit, um die Wunde genauer anzusehen. Er lief weiter, tauchte ab in das Gassensystem der Stadt und der Dunkelhaarigen blieb gar keine andere Wahl, als dem anderen zu folgen.

Es waren zu viele Eindrücke in dieser gänzlich fremden Welt, als dass Esmée sie in ihrer Panik alle hätte erfassen können. Aber eines war deutlich: Das Chaos, das im Inneren des Palastes ausgebrochen war, herrschte auch in der Stadt. Die Fenster zu Geschäften am Wegesrand waren vielfach zerstört worden, hier und dort konnte man einzelne Gestalten entdecken, die mit ihrem Diebesgut davonliefen. Andere Fensterläden waren provisorisch verbarrikadiert worden, aber auch hiervor machten die Menschen keinen Halt und gingen mit Brechstangen vor, um das Holz von den Fensterläden gewaltsam zu entfernen. Feuer brannten mitten auf der Straße, zum Teil waren es auch nur noch Glutherde, an denen die Jugendlichen in ihrer Flucht vorbeieilten. Und auch in der Stadt kämpften die Menschen gegeneinander: Teils mit Waffen, teils nur mit Fäusten, aber nicht weniger erbarmungslos als im Königshaus. Esmée entdeckte regungslose Menschenkörper auf den gepflasterten Straßen und betete gedanklich, dass diese Leute noch lebten. Zumindest einen Vorteil hatte dieses ganze Chaos: Man schenkte den beiden Jugendlichen, die um ihr Leben rannten, kaum Aufmerksamkeit. Die Prinzessin hätte nicht sagen können, wie lange sie bereits gelaufen waren, als Erial sie erneut in eine der dunklen Seitengassen zog, doch dann geschah etwas, womit die junge Frau nicht mehr gerechnet hätte:

Einfach so, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, löste sich der Druck um das Handgelenk der de Bosco und Erials Körper sackte in sich zusammen.

Es war nur eine winzige Sekunde der Schockstarre, von der Esmée gelähmt wurde, bevor sie in die Knie ging und den Novel bei den Schultern packte. „Erial!“, rief sie, schüttelte leicht an dem kleineren Körper, doch Erial sprach nicht mir ihr. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, die Lider halb geöffnet und die Prinzessin glaubte, er wollte mit ihr sprechen, aber kein einziger Ton kam ihm über die staubtrockenen Lippen des jungen Mannes. Die hellblauen Augen musterten den Pfeil, der immer noch in der Schulter der Palastwache steckte. Der Blutverlust? Sicher war sich die Dunkelhaarige nicht, aber die Wunde sah schlimm aus. Die 17-Jährige schluckte, packte den Novel unter den Armen und zog ihn mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, hinter einen Stapel morscher Holzkisten, die in der Gasse gestapelt worden waren, lehnte ihn vorsichtig gegen eine steinerne Wand (darauf bedacht, dass der Pfeil in seiner Schulter nicht noch tiefer eindrang) und sah sich dann hektisch um. Was sollte sie tun? Sollte sie … sollte sie Erial hier zurücklassen und alleine um ihr Leben laufen? Aber wohin sollte sie gehen? Erial war es gewesen, der ihr das Leben gerettet hatte. Sie konnte ihn doch nicht einfach hier zurücklassen! Als wäre die Situation nicht bereits vertrackt genug, fielen plötzlich schwerelose, dicke Schneeflocken vom Himmel und ließen die Prinzessin vor Kälte erschaudern. Die 17-Jährige folgte ihrem Instinkt in dieser aussichtlosen Situation, als sie näher an Erial heranrutschte, ihren Körper gegen den der Palastwache schmiegte und die Augen schloss. Sie kramte die letzten Reste ihres Mutes zusammen, öffnete die Lippen und wisperte inmitten des Schneegestöbers: „Wir schaffen das. Erial, gib jetzt nicht auf.“

[...]

„Leben sie noch?“ Die Stimme drang nur dumpf an das Ohr der Prinzessin. Je länger sie an der Seite von Erial verweilt hatte, desto schwerer waren ihre Lider geworden. Die Welt war dunkler geworden, aber je mehr sich die Prinzessin dieser Dunkelheit hingegeben hatte, desto mehr hatte auch das Gefühl der beißenden Kälte nachgelassen. Esmée hatte sich irgendwann nicht mehr dagegen wehren können, hatte sich hingegeben… und verstand erst jetzt, wo ihr Verstand allmählich zurückkehrte, dass sie eingeschlafen sein musste. Sie wollte erwachen, aber ihr fehlte die Kraft, sodass sie zwar spürte, wie ihr eiskalter Leib berührt wurde, sich allerdings nicht dagegen wehren konnte. Weitere Worte wurden ausgetauscht, die Esmée allerdings nicht verstand… und dann wurde ihr Körper in die Höhe gehoben. Es war, als würde die Prinzessin auf Wolken schweben und dann verlor sich ihr Geist ein weiteres Mal. Irgendwer hatte sie und Erial gefunden und hatten sie mitgenommen. Aber wer? Und… wohin? Die Prinzessin verlor erneut das Bewusstsein, ehe sie Antworten auf diese Fragen hätte finden können.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptyDo 30 März 2023 - 21:28

Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Unfassbare Schmerzen durchdrangen Erial, der schmerzerfüllt in sich zusammensackte. Wie oft hatte er sich bei Trainingseinheiten verausgabt, Hämatome zugezogen oder auch die ein oder andere Wunde. Aber sie waren nichts gegen die Verletzung seiner Schulter. Anders als sonst, konnte er sich nicht erlauben hinzufallen. Erial biss die Zähne zusammen, klammerte seine Hand fest um die Reste seiner Gleve, während an seinem anderen, schlaff herunterhängenden Arm, Blut hinabtropfte. Ebenso wie es seinen Rücken herunterlief und seine Kleidung schnell durchtränkte. Und trotzdem lief Erial. Er schaffte seinen schwankenden Körper vor dem Fall zu bewahren und konzentrierte sich auf Esmée. Er musste sie beschützen. Auch wenn er starb. Er musste wissen, dass sie aus der Stadt entkommen war. Es musste eine Hoffnung für Bosco geben. Das hier konnte nicht das Ende von allem sein, woran er sein Leben lang geglaubt hatte. Sie mussten weiter, weiter in die Gassen, immer weiter und weiter. Mit tauben Finger und wenig Kraft griff er erneut nach Esmées Hand, sein Griff zusätzlich durch das Blut rutschig. Er hatte nicht darauf, dass er Esmée damit „verunreinigte“. Er hatte nur den Wunsch sie immer weiter fortzuziehen. Er achtete nicht auf das Chaos der Stadt, die brennenden Häuser oder die Leichen. Er lief einfach an den Plünderungen vorbei und manövrierte Esmée zu gut er konnte durch die Gassen von Bosco.

Erial lief. Auch als seine Sicht immer weiter zu verschwimmen begann und der Schmerz immer pochender wurde. Auch als seine Beine immer schwerer wurden. /Wir müssen weiter. Sie muss leben./ Wieder und wieder wiederholte er dieses Mantra in seinem Kopf. Doch irgendwann reichte auch der stärkste Wille nicht mehr aus. Der e schon schwache Griff von Erial ums Esmées Handgelenk löste sich und er kippte vorneüber. Seine Sicht war gänzlich verschwunden. „L-lauf…“ hauchte Erial im Fall. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug, war bereits die Bewusstlosigkeit über seinen Körper gekommen.

/Wenn ich jetzt sterbe, wird Onkel wieder von mir enttäuscht sein. Dabei hab ich ihm gesagt, dass ich hierfür nicht geeignet bin. Aber wenigstens… wenigstens tut es dann nicht mehr weh. Meine Beine sind so müde…/


Wie lange Erial bewusstlos gewesen war, konnte er nicht sagen. Er glaubte, sich eingebildet zu haben, dass seine Mutter ihm „gib nicht auf“ einflüsterte. Aber das konnte nicht wirklich passiert sein, immerhin interessierte sie sich nur selten für ihn und außerdem war sie nicht in der Hauptstadt. Doch wer auch immer zu ihm gesprochen hatte, schenkte ihm Kraft und kurz darauf, ließ derjenige seinen Schmerz kühlen und schickte ihn zurück in die Bewusstlosigkeit.

Die nächsten Erinnerungen waren Fetzen, wie sein Körper bewegt wurde und wie er immer mal wieder an Fieber oder Schmerzen litt. Und doch war dann da wieder die Stimme seiner Mutter und die Gewissheit, dass sie es irgendwie schaffte seine Beschwerden zu lindern.

Als Erial das nächste Mal zu sich kam, hörte er das Klappern von Schlüsseln und Gläsern. Mit einem großen Schreck vor er hoch und streckte dabei einen Arm nach vorne aus während der andere nach einer Waffe greifen wollte. Worte blieben ihm im Halse stecken, als stechende Schmerzen ihn durchfuhren und ihn aufschreien ließen. „Halt ihn ruhig!“ Dumpf drang eine Stimme an sein Ohr. Sie klang wie keine, die er jemals vernommen hatte. Trotzdem roch es hier sehr vertraut. Jemand drückte ihn sanft  zurück auf sein Lager und seine Augen schlossen sich für einen Moment.  Sein Gehirn durchforstete Erinnerungen und plötzlich viel es ihm wie Schuppen vor den Augen. Es roch nach seiner Mutter. Nach ihren Kräutern und Räuchermischungen. Nach ihren Ritualen und Gebeten. War sie doch zu ihm gekommen? Hatte sie ihn gerettet? Lebte er überhaupt noch? Aber wenn er tot wäre, warum hatten ihm die alten Götter nicht die Schmerzen genommen? Die Stimme… sie gehörte jedoch nicht ihrer Mutter, oder? Erneut öffnete er die Augen und begann das Zimmer wahrzunehmen. Er war in einem Haus und nicht in Ketten. In einem Bett liegend, hatte er links die Wand neben sich. Wo war Esmée? Der Blick nach rechts schaffte Erleichterung als er in ihr Gesicht sah. Und trotz seinem wieder schmerzverzehrten Gesicht und der erschwerten Atmung, zeigte sich Erleichterung in seinen Zügen und Erial lächelte. „Bin ich froh…“ hauchte er. Wo auch immer sie waren. Was auch immer geschehen war, sie lebte noch. Damit konnte er arbeiten. „Dich hat es ganz schön ordentlich erwischt, Junge. Du solltest dich ausruhen. Du bist seit 3 Tagen nicht mehr ordentlich wach gewesen. Das Gift ist noch nicht besiegt in deinem Körper und die Wunde wird noch lange zum Heilen brauchen. Hier trinkt das. Deine Medizin. Und wenn du endlich wach bist, versuch was zu Essen. Kannst froh sein, dass Jerome, Antonius und ich euch rechtzeitig gefunden haben. Und das wir gerade erst eine Lieferung von frischem Unkenkraut und Schneewurz bekamen.“ Erial verstand nur Bahnhof. Sein Schädel schwirrte. Plötzlich waren da erneut Hände, die ihm halfen sich aufzusetzen. Die alte Frau war an sein Bett getreten und stützte seinen Rücken. Gleichzeitig hielt sie eine hölzerne Schale in ihren Händen. Unwillkürlich griff Erial nach der Schlüssel, merkte jedoch schnell, dass er nur eine Hand benutzen konnte. Die Schulter des anderen Arms war dick verbunden und nur unter Schmerzen beweglich. Er wusste nicht, ob es die Erinnerung an seine Mutter war, aber er vertraute dieser Frau. Eigentlich war das ziemlich dumm. Es war genau das Gegenteil der Worte seines Onkels. Trotzdem tat er es – andererseits hatte er auch keine andere Wahl. Er konnte sich kaum selbst aufrechthalten. „Du solltest ihm helfen etwas zu essen, Mädchen. Ich schicke Antonius mit Brühe zu euch. Jetzt muss ich mich um das nächste Kind kümmern.“

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySo 9 Apr 2023 - 16:34

Niemand hatte Esmée auf das vorbereitet, was in den kommenden Tagen auf sie zukommen würde. Auch sie war bewusstlos gewesen, als man sie auf den eiskalten Straßen der Stadt aufgesammelt hatte, doch anders als bei Erial hatte diese Bewusstlosigkeit nicht besonders lange angehalten. Schon kurz nach ihrer Ankunft in diesem fremden Haushalt hatten sich die Lider der 17-Jährigen wieder angehoben und das Erste, was sie spürte, war die bittere Kälte, die noch immer tief in ihren Knochen saß. Sie war alleine gewesen, in einem fremden und beinahe leeren Zimmer mit kahlen, steinernen Wänden und nur einem einzigen Fenster, durch das spärliches Licht eindrang. Die de Bosco wusste nicht, wo sie sich befand, warum man sie hergeschafft hatte und kaum dass ihr Kopf wieder funktionierte, dachte sie an Erial – wo war die junge Palastwache? Just in dem Augenblick, als die Dunkelhaarige endlich genügend Kraft und Mut gesammelt hatte, um aufzustehen, hatte sich die Holztür des kleinen Gemachs geöffnet und eine alte Dame mit gebeugtem Gang und schneeweißen Haaren trat ein. Wer war das? Zuerst erschien die alte Frau freundlich, doch der erste Eindruck schlug abrupt um: Die Mundwinkel wanderten nach unten, die buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen und die Stirn der Fremden legte sich in Falten. Es folgte ein barsches: „Na, wurde auch langsam Zeit, dass du wach wirst, Mädchen.“ Der Mund der de Bosco öffnete sich einen Spalt breit, sprachlos. Das war ein Tonfall ihr gegenüber, den die Prinzessin nicht kannte. Aber dann sah die junge Frau an sich herab, auf die schlichten Bauernkleider, die sie für die Flucht angezogen hatte und ihr ging auf, dass diese alte Dame vermutlich nicht wusste, mit wem sie hier sprach. Esmée hatte nicht vor, sie zu belehren – wenn ihre Tarnung aufflog, würde es nur noch schlimmer werden. Anstatt sich mit der Verwunderung der Explosionsmagierin auseinanderzusetzen, drehte die alte Frau ihr den Rücken zu und fischte stattdessen Kräuter aus diversen Krügen, die in diesem Zimmer gelagert wurden. Esmée nutzte den Moment, um sich zu sammeln und Luft zu holen. Sie hätte fragen können, wer diese Frau war oder wo sie sich befand, aber stattdessen war die erste Frage der 17-Jährigen: „Wo ist Erial?“ Die fremde Frau antwortete nicht sofort. Erst nach gut zehn Sekunden drehte sie sich zu der Prinzessin herum und brummte: „Der Junge, den sie mit dir aufgesammelt haben?“ Die Greisin verstummte, so als müsse sie selbst kurz darüber nachdenken. Anstatt einfach auf die Frage zu antworten, holte sie anders aus: „Der Junge hat deutlich mehr abbekommen als du. Wenn er den vergifteten Pfeil für dich abgefangen hat, verdankst du ihm vermutlich dein Leben, Mädchen. Ich bezweifle, dass dein Körper das Gift so lange hätte aushalten können.“ Die leicht milchigen Augen glitten vielsagend über den zierlichen Körperbau der Prinzessin. Normalerweise hatte Esmée noch nie Probleme damit gehabt, wenn man sie genauer betrachtete. Der Blick der Alten in diesem Augenblick war ihr allerdings mehr als unangenehm, denn er war urteilend und das Urteil fiel alles andere als positiv aus. „Ihr seid aus dem Palast geflohen?“, stellte die Alte gleich die nächste Frage und da Esmée keinen Sinn darin sah, es zu bestreiten, nickte sie stumm. Eine große Anzahl an Gesinde hatte auf dem Palastgelände gearbeitet und eine entsprechend große Anzahl an Menschen war geflohen, als es zu dem Angriff gekommen war. Für ihre Tarnung war es das Beste, wenn man sie und Erial für einen Teil dieser namenlosen Arbeitenden hielt. „Hm. Wir haben so viele Verletzte in den Straßen der Stadt gefunden, dass ich nicht mehr hinterherkomme. Menschen, die deutlich mehr abbekommen haben als du. Um auf deine Frage zurückzukommen: Der Junge lebt. Zumindest noch. Also, Mädchen: Mach dich nützlich. Und während du mir hilfst, kannst du auch nach deinem Erial sehen.“

Und so kam es, dass die Prinzessin von Bosco in den kommenden Tagen tatsächlich die Aufgaben einer einfachen Magd übernehmen musste.

Die alte Frau, die sich als Maryse vorstellte, war alles andere als freundlich zu Esmée und mehr als einmal fragte sich die Prinzessin, warum sie das Ziel einer Vielzahl von Gehässigkeiten wurde. Ob Maryse ein persönliches Problem mit ihr hatte? Die 17-Jährige musste mehr als einmal ein Kopfschütteln oder harsche Worte über sich ergehen lassen. Fairerweise musste aber auch gesagt werden: Die Prinzessin schien zwei linke Hände zu haben, wenn es darum ging, die einfachsten Tätigkeiten zu vollführen und mehr als einmal musste sie die Frage über sich ergehen lassen, wie ein Nichtsnutz wie sie den Alltag im Palast überhaupt hatte bewerkstelligen können. Esmée bemühte sich darum, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die Worte von Maryse kränkten und stoisch weiterzumachen. Immerhin bekam sie ausreichend Gelegenheit, um nach Erial zu sehen, immer wieder beruhigende Worte an ihn zu richten oder mit einem feuchten Tuch über seine heiße Stirn zu tupfen. Sie hatten es noch nicht aus dem Land geschafft, waren immer noch viel zu nahe am Königspalast und doch musste die de Bosco gestehen, dass sie um das Leben der Palastwache bangte. Am Nachmittag des dritten Tages war es dann endlich soweit: Erial kam zu Bewusstsein.

Als die junge Palastwache unerwartet nach oben schreckte und nach seiner Gleve suchte, zuckte Esmée merklich zusammen. Doch der Befehl der alten Maryse brachte die Prinzessin wieder zu Sinnen, sodass sie geistesgegenwärtig reagierte, die Schultern von Erial packte und ihn zurück auf sein Schlaflager drückte. Die Tatsache, dass die eher schmal gebaute Prinzessin das einfach so konnte, machte nochmal deutlich, wie geschwächt der Körper des Novel sein musste. Dennoch machte sich Erleichterung in der de Bosco breit, als sie in die klaren Augen Erials blickte. Er lebte. Und er sprach zu ihr. „Ich auch…“, gab die 17-Jährige zu und lächelte sogar leicht, ehe sie von der alten Greisin zur Seite gedrückt wurde. Aufmerksam beobachtete die Explosionsmagierin, wie Erial nicht nur Medizin gegeben wurde, sondern er auch ein paar Informationen dazu erhielt, was eigentlich geschehen war. Sie wartete brav ab, bis die Alte in ihren Ausführungen geendet hatte und war froh, als Maryse endlich verschwunden war. Ganz gleich, wie viel sie dieser Frau zu verdanken hatte, besonders sympathisch war sie der Prinzessin in den letzten drei Tagen dennoch nicht geworden.

Ohne auch nur ein Wort zu sagen, trat die Dunkelhaarige wieder näher, nahm Erial die Schüssel mit der Medizin ab und setzte ihn an seine Lippen, damit er vorsichtig trinken konnte. Mit seiner Verletzung konnte er das Medikament nicht alleine zu sich nehmen. „Ich glaube, es ist ziemlich bitter“, warnte sie Erial vor, damit er den Inhalt der Schüssel nicht sofort wieder ausspuckte, denn das war etwas, was die junge Frau bei einigen anderen der hiesigen Patienten durchaus erlebt hatte. Die Palastwache kniff nur die Augen zusammen, kaum dass die Medizin seine Zunge berührt hatte, behielt den Inhalt aber bei sich. Esmée wertete das als gutes Zeichen. „Die alte Frau heißt Maryse und ist eine Ärztin“, begann die Prinzessin zu erklären, was sie in den letzten drei Tagen hatte in Erfahrung bringen können. Zugegeben war das nicht besonders viel: „Das Gebäude, in dem wir uns befinden, scheint zu einer größeren Klosteranlage zu gehören. Maryse führt dieses Haus und wird dabei von Jerome und Antonius unterstützt. Ich habe die beiden Männer kaum gesehen, aber sie scheinen es gewesen zu sein, die uns in der Stadt gefunden und hergebracht haben.“ Als Erial die Schüssel mit der Medizin endgültig geleert hatte, entfernte die Prinzessin die Schale von seinen Lippen und stellte sie auf dem Tisch ab, der direkt neben dem Bett lag. Kurz sah sie aus dem nahegelegenen Fenster in den wolkenverhangenen Himmel hinauf, ehe sie sich Erial wieder zuwandte: „Als die Unruhen in der Stadt und im Palast losgingen, haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Verwundeten auf der Straße einzusammeln und Leben zu retten, wo sie Leben retten konnten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Verwundete sie hier behandeln...“ Die hellblauen Seelenspiegel waren sichtlich betrübt, denn das Ausmaß dieses Angriffes war noch so viel größer, als die Prinzessin zu Beginn gedacht hatte. Nicht nur Angehörige des Königspalastes hatten gelitten, die Auswirkungen waren in der gesamten Stadt spürbar gewesen. Wie viele Tote hatte es gegeben? Esmée konnte nur vermuten und alleine das bereitete ihr eine schreckliche Gänsehaut. „Ich hatte Sorge, dass sie wissen, wer wir sind. Wegen unserem Gepäck. Aber… ich glaube, sie haben unser Gepäck nicht angesehen. Sie denken, wir waren nur Bedienstete auf dem Palastgelände, die unglücklicherweise in die Streitigkeiten zwischen Rebellen und Königshaus geraten sind.“ Vorsichtig spähte Esmée über die Schulter zurück, denn Maryse hatte angekündigt, dass Antonius mit einer Suppe kommen würde. Bisher blieb es allerdings ruhig und die Prinzessin konnte auch keine Schritte auf dem Gang hören. Daher drehte sie sich wieder zu Erial und seufzte leise, die Stimme bewusst gesenkt: „Wir müssen von hier verschwinden, bevor sie doch noch Verdacht schöpfen. Oder irgendjemand in diesem Haus uns – oder vielmehr mich – erkennt.“ Seit dem Tod ihrer Mutter war die Prinzessin größtenteils von der Öffentlichkeit verdeckt gehalten worden, aber Esmée war sich sicher, dass es noch genügend Menschen in Bosco gab, die ihr Gesicht erkennen könnten – das Kleid einer Magd hin oder her. „Aber wir werden erst weiterreisen, wenn deine Wunde verheilt ist.“ Eine eindeutige Entscheidung, die keinen Widerspruch duldete. Sie sah direkt in die hellbraunen Augen des Novel und ergänzte: „Erial, ich bin wirklich froh, dass du aufgewacht bist. Ich habe so viel erzählt, aber das Wichtigste habe ich noch nicht gefragt: Wie geht es dir?“

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySo 23 Apr 2023 - 17:37

Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Vielleicht, so dachte Erial in diesem Moment, sollte er den alten Göttern danken, so winzig zu sein. Dabei hatte er sie schon das ein oder andere mal deswegen verflucht. Aber dieses Mal schien es ihm das Leben gerettet zu haben. Man schien ihn für nicht mehr als einen kleinen Jungen zu halten, der mit seiner großen Schwester geflohen war. So schnell dieser Gedanke ihm gekommen war, desto genau so schnell verflog er wieder. Genau so wie viele anderen wirre Gedanken und Fetzen von Erinnerungen zu kommen und gehen schienen. Was immer blieb war lediglich eine gewisse Dankbarkeit darüber, dass Esmée noch lebte. Als die Prinzessin ihm mitteilte, dass sie ebenfalls froh war noch zu leben, glaubte Erial das erste Mal das Lächeln von ihr gesehen zu haben. Ein Bild, dass sich auf seiner Netzhaut einbrannte als er entkräftet für einen Moment erneut die Augen schloss. Wach sein war anstrengender als er dachte. Es war gut, dass sie lächelte. Es war wie ein Hoffnungsschimmer für eine bessere Zukunft, die sie erreichen konnten, erreichen musste. Dann würden noch mehr Menschen wieder lächeln können.
Maryse verließ sie und so wurden sie alleine im Raum gelassen. Normalerweise hätte das als unschicklich gegolten. Aber was war schon noch normal? Esmée hatte die Schlüssel mit der Medizin in der Hand. Es kostete viel Überwindung nicht bereits den Mund zu verziehen bei ihren Worten. Es gab wohl Dinge, die einem besser runtergingen, wenn man halb bewusstlos war. Mit einer Hand griff er nach der Schlüssel, die Esmée ihm an die Lippen hielt. Sie zitterte vor Anstrengung leicht. Es war offensichtlich, dass alleine Esmée die Schlüssel davor bewahrte herunterzufallen. Bittere Medizin lief seinen Rachen runter und blieb als Nachgeschmack erhalten. Dank seiner Willenskraft blieb die Medizin jedoch im Magen. Vorerst. Er tröstete sich mit der Aussicht auf Brühe, die hoffentlich besser schmecken würde. Nebenbei hörte er sich an, was Esmée zu erzählen hatte. Von der Ärztin namens Maryse und dem Kloster in welchem sie sich anscheinend befanden. Von zwei Männern, die sie hergebracht hatten. Als die Schüssel endlich geleert war, ließ er sich zurück auf das Bett sinken. „Habt ihr Wasser?“ fragte er mit brüchiger Stimme. Nein, er konnte doch nicht abwarten bis zur Brühe. Vielleicht würde das Wasser den Geschmack hinfortspülen von der Zunge. Esmée erzählte weiter und langsam rundete sich das Bild dieses Klosters ab. Anscheinend wurden hier die „Kriegswaisen“ und andere Verwundete versorgt. Er hoffte, dass es seiner Tante und seiner „Schwester“ gut ging. „Habt Ihr... Habt ihr geholfen?“ fragte er mit brüchiger Stimme und hoffte in Erfahrung zu bringen, ob es ihnen gut ging. Andererseits, wenn sie nicht hier waren, könnten sie auch tot sein. Wollte er wirklich hören, was Esmée wusste?
Es war gut, dass sie weiter redete. Sie sprach davon, dass anscheinend niemand ihre Tarnung erkannt hatte. Ob das wahr war? Erial blickte hinter Esmée an die Wand des Raumes. Dort stand ein Stuhl mit einer Waschschüssel. Auch lagen dort jedoch seine Habseeligkeiten. Das braune Bünde und die Klinge seiner Glefe mit dem kläglichen Rest an Stiel. Und sie sollten wirklich nicht wissen wer sie waren? Nein, das ging nicht. Esmée verkündete mit leiser Stimme, dass sie fort mussten und Erial nickte bestimmt. Was sie dann jedoch ergänzte gefiel ihm nicht. „Nein, das geht nicht.“ schüttelte bestimmt den Kopf. „Ihr müsst weiter. So schnell wie möglich. Mit oder ohne mich. Das Risiko ist zu groß.“ Es war illusorisch in seinem Zustand eine lange Reise vollführen zu können. Je länger er jedoch in die Augen der Prinzessin blickte und realisierte, wie ernst es ihr war, desto mehr schwankte Erial. War es wirklich das richtige sie alleine fortzuschicken? In eine Welt in der sie sich nicht auskannte? Für eine Weile blickte er sie lediglich an und ließ sie damit auch ihre vorerst letzte Aussage formulieren. Erial konnte nicht verhindern das ein Lächeln seine Lippen zierten, wenn auch schwächer als an manch anderem Tag. Mit der wenigen Kraft, die er gerade besaß griff er nach Esmées Unterarm und drückte ihn leicht. „Ihr werdet mal eine gute Königin.“ murmelte er leise voller Hoffnung auf eine gute Zukunft für dieses Reich - voller Wohlstand und Freude. So wie Esmée sich anscheinend um ihn sorgte, erinnerte sie ihn an die Erzählungen zu Königin Elenore - Esmées Mutter. „Ich kann euch scheinbar nicht überzeugen zu gehen, darum verspreche ich euch, dass ich so schnell wie möglich gesund werde und...“ Schritte näherten sich dem Zimmer und ließen Erial verstummen. Kurz darauf stand ein hochgewachsener Mann in der Tür, welcher in den Händen eine Schüssel Suppe mit einem Löffel und etwas Brot hielt. Anscheinend war Antonius bei ihnen angekommen.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySo 29 Okt 2023 - 12:10

Wasser? Der Blick der hellblauen Augen glitt suchend durch den Raum und blieb schlussendlich an einer gläsernen Karaffe hängen, die unweit des Bettes auf einem Holztisch stand. Direkt daneben standen drei Gläser, umgedreht und offensichtlich unbenutzt. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, stand die Prinzessin von ihrem Platz auf, ging hinüber zu dem Tisch und schnappte sich eines der Gläser. Sie goss es halbvoll und drehte sich dann wieder auf dem Absatz herum. Wann hatte die Prinzessin so etwas das letzte Mal selbst erledigen müssen? Eigentlich gab es Palastbedienstete, die für solche Aufgaben zuständig waren. Aber das gehörte der Vergangenheit an – Esmée musste sich damit abfinden, vorerst eine neue Rolle in dieser Welt einnehmen zu müssen. Eine Rolle, die mehr zu der Bauerskleidung passte, die sie aktuell trug. Außerdem wollte sie, dass es dem Novel besserging, das war wichtiger, als auf ihren Status als Prinzessin des Landes zu beharren. „Ich habe geholfen“, antwortete sie auf die Frage des Dunkelhaarigen, während sie ihm behutsam dabei half, ein paar Schlucke der kühlen Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Die Verletzung machte dem jungen Mann zu sehr zu schaffen. „Maryse hat mir gesagt, was ich tun soll und ich habe versucht, es umzusetzen. Es sind so unglaublich viele Verletzte, Erial. Ich… es ist wirklich schrecklich.“ Esmée unterdrückte ein Seufzen bei der Erinnerung daran, was sie in den letzten drei Tagen gesehen hatte. Erinnerungen flackerten auf, an blutende Wunden, schreiende Menschen und glasige Augen. Sie hatten nicht alle retten können, manche Menschen waren gestorben – ganz gleich, dass Maryse sich bestmöglich um sie gekümmert hatte. Es waren einfach zu viele, die Versorgung zu schlecht, die Prinzessin hatte sich schrecklich machtlos gefühlt. Es war für die 17-Jährige sogar noch schlimmer: Sie machte sich für all das Leid verantwortlich. Wären Menschenleben gerettet und Familien verschont geblieben, wenn man sie – die Prinzessin des Königreiches – einfach gefasst hätte, wie es die Rebellen beabsichtigt hatten? Ein düsterer Gedanke, den Esmée schnell wieder verscheuchte. Sie nahm das geleerte Wasserglas wieder an sich und stellte es zurück auf den Tisch. Vermutlich konnte man ihr einige Sorgen vom Gesicht ablesen, als sie wieder zurück zu Erial ans Bett trat und erst der leichte Griff des jungen Mannes um ihren Unterarm brachte die 17-Jährige wieder zur Vernunft. Sie würde einmal eine gute Königin werden? Er sprach davon, als wäre es realistisch, dass sie das alles hier überleben würden. Als gäbe es nicht nur für Bosco, sondern auch für sie persönlich eine schönere Zukunft, die sie erreichen könnten. Esmées Augen weiteten sich, dann wanderte ihr Blick von ihrem Unterarm hinauf direkt in die braunen Seelenspiegel der jungen Palastwache. So, wie die Prinzessin dem Novel Hoffnung gab, war es auch umgekehrt. Sie beide, alleine gegen die Welt. So ungefähr fühlte es sich in diesem Moment für die Prinzessin an. Sie öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, aber dann hörte sie Schritte. Just in dem Augenblick, als sie sich umdrehte, öffnete sich die Tür des Zimmers und dort stand… Antonius. Esmée hatte in den letzten drei Tagen zwar kein Wort mit diesem Mann gewechselt, ihn aber mehrfach aus der Ferne gesehen. Eigentlich hatte er bisher einen freundlichen Eindruck gemacht. Warum sah er gerade jetzt so erzürnt aus?

„Die Suppe.“ Mehr nicht. Antonius trat in den Raum und drückte Esmée die Schüssel mitsamt Löffel in die Hände, ehe die auch nur ein einziges Wort hätte über die Lippen bringen können. Ohne den überraschten Gesichtsausdruck der 17-Jährigen weiter zu beachten, drehte er sich zu Erial und musterte den verletzten Jungen in dem Bett aufmerksam. „Du hast zu lange gebraucht, um dich von dem Gift zu erholen“, waren die ersten vorwurfsvollen Worte, die er an den Novel richtete. Es klang herabwürdigend. Ganz kurz fragte sich die Prinzessin, ob Erial und dieser Antonius sich irgendwoher kannten. Aber… nein, das konnte nicht sein. Sonst hätte Erial sicherlich etwas erzählt, oder? „Du bist eine Palastwache?“ Die stahlgrauen Augen von Antonius wanderten vielsagend hinüber zu der Gleve, auf der das Symbol von Bosco prangte. Eine Waffe, die so nur von den Palastwachen geführt werden durfte und nicht in dem braunen Bündel sonstiger Habseligkeiten hatte verstaut werden können. „Anstatt ihn mit Fragen zu löchern, solltet Ihr…“, begann Esmée, aber Antonius unterbrach sie harsch: „Sei still, Mädchen. Ich spreche mit ihm.“ Die 17-Jährige war zu baff, als dass sie sofort zu einem schlagfertigen Gegenargument hätte ausholen können. Und so wandte sich Antonius wieder an Erial. „Wer ist dein Ausbilder, Junge?“ Was war das für eine Frage? Es hörte sich so an, als würde er die Angestellten der Wache kennen. Kurz kam Esmée in den Sinn, dass dieser Antonius vielleicht selbst einmal Mitglied der Palastwache gewesen war, doch er kam ihr nicht bekannt vor. Die hellblauen Seelenspiegel wanderten weiter zu Erial, um herauszufinden, ob er Antonius wiedererkannte. Wie würde er dem Mann antworten? Und was erhoffte Antonius sich von diesen Antworten?

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
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Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Wieder bei Bewusstsein und doch ohne Kraft lag Erial in einem Bett auf einem Klostergelände. Er wusste weder wo er war noch was genau geschehen war. Seine letzte Erinnerung vor diesem Hausen war sein Fall und das Gefühl zu sterben gewesen, danach waren nur Fetzen hängen geblieben von Schmerzen und Fieber und der Stimme seiner Mutter. Doch das musste kaum mehr als der Fieberwahn gewesen sein. Andernfalls hätte er sich wohl nicht so bereitwillig in ihre Arme begeben. Jetzt hatte er erfahren, dass eine alte Frau namens Maryse und Prinzessin Esmée selbst sich in diesem Haus um ihn gekümmert hatten. Ein Gift hatte ihn danieder gerafft und Esmée half ihm Medizin einzuflößen, die er dank einem Glas Wasser besser herunter spülen konnte. „Danke.“ sprach er mit noch brüchiger Stimme. Schließlich hatte Erial seine wenige Kraft zusammengenommen und wollte Esmée gegenüber seine Dankbarkeit ausdrücken und ihr Hoffnung schenken. Ihre Augen, ihre Mimik strahlte dennoch Traurigkeit aus. Worte würden den Schmerz nicht fortwischen können, den sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Erial wollte sie trösten, wusste jedoch nicht was er sagen konnte oder sollte.
Was immer ihm jedoch auch eingefallen wäre, konnte es nicht mehr über seine Lippen kommen. Schritte hatten sich dem Raum genähert und kurze Zeit später stand ein zornig drein blickender Mann vor ihnen. Ein Mann den Erial bisher noch nie gesehen hatte und doch kam ihm seine Kleidung bekannt vor. Es erinnerte ihn an den Orden der Ältesten seiner Mutter, die alte Boscoer Religion. War es dieser Antonius? Mehr als ein religiöser Fanatiker? War dieses Kloster den alten Göttern geweiht? Sein eigener Körper spannte sich an. Er fühlte Unbehagen bei seinem Anblick. Der fremde drückte Esmée eine Schüssel mit Suppe in die Hand und Erial wünschte, dass Esmée nur eine Ausrede finden würde, um zu gehen und fortzulaufen. Dieser Mann gefiel ihm nicht. Er bereitete sicher nur Ärger!
Im nächsten Augenblick hatte sich der vermeintliche Antonius auch bereits zu Erial umgedreht und musterte den Jungen aufmerksam. Geschwächt von den letzten Tagen, sah er noch weniger wie ein Krieger aus als sonst. Erial hatte unbewusst das Bedürfnis sich  aus dem Bett aufzurichten. Etwas in Antonius Blick ähnelte den tadelnden Blicken seiner Ausbilder. Doch dafür reichte seine Kraft kaum aus. Antonius folgende Worte verstärkten diesen Drang nur. Beschämt wich Erial Antonius Blick aus. Seine Hände ballten sich zu kraftlosen Fäusten zusammen. Er machte sich selber bereits genug Vorwürfe nicht längs über die Grenze verschwunden zu sein und die Prinzessin zu gefährden. Doch bevor der Novel etwas erwidern konnte, kam die nächste Aussage, die ihn zusammenfahren ließ. Er schaffte es kaum es zu unterdrücken und sich so nicht zu verraten. Esmée versuchte Erial zu verteidigen, doch Antonius wusste ihn immer in die Ecke zu drängen. Es war dumm gewesen, die kaputte Gleve mitzunehmen. Aber auch wenn Boscos Wappen daraufprangte, war es seine einzige Waffe gewesen. Er musste nun gut antworten. Plötzlich war das Gefühl v on Leben und Tod wieder präsent. Wer auch immer dieser Antonius war. Er war ihm nicht wohl gesonnen. Das beste was er womöglich von Erial dachte war, dass er ein Deserteur war. Was für eine Schande. Doch Antonius konnte auch den Rebellen angehören.

„Mach mich stolz und vergiss nie, was ich dir beigebracht habe.“

„[...]Seht nicht zurück[...]“

„Wenn du nicht lügen kannst, bleibe bei der Wahrheit.“



„Schon okay, geh ruhig, Mimi. Ich schaff das alleine.“ antwortete Erial plötzlich und nutze all seine Kraft um seine Stimme nicht schwach klingen zu lassen. Der Novel sah der Prinzessin in die Augen und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das wohl kaum jemand wirklich geglaubt hätte. Er musste sie beschützen. Vielleicht würde sie verstehen und abhauen. Er könnte Antonius nicht lange aufhalten in seinem Zustand, aber es wäre trotzdem eine kleine Chance. Den Namen den er der Prinzessin gerade gegeben hatte war wohl seine beste Lüge, die er gerade zustande bringen konnte. Erial hatte wie bei seiner „Schwester“ Mina das Gefühl sie beschützen zu müssen und die hatte sich als Kleinkind manchmal auch Mimi genannt. Mina, die er nie wieder sehen würde.  Mina, die glaubte, dass er vor 3 Tagen gestorben wäre. Trauer flutete plötzlich die Augen des Novels, denn er hatte nicht die Kraft dazu sie zu verbergen. Doch als er von Esmée zu Antonius sah versuchte er sich wieder zu zusammen zu raffen. „Ich bin keine Palastwache.“ antwortete Erial ruhig und schüttelte untermalend den Kopf. Dass er diese Worte so frei aussprechen konnte, hatte den traurigen Hintergedanken, dass der Novel in diesem Moment genau das glaubte. Denn wäre er wirklich eine Palastwache hätte er das Königshaus besser beschützen können und wäre entweder an der Seite seiner Kameraden gestorben oder hätte dem Feind ins Auge blicken können. „Mein Vater ist tot. Er diente Bosco. Ich habe die Überreste mitgenommen, weil ich sonst nichts hatte.“ Erneut trat glaubwürdiger Schmerz in Erials Gesicht. Auch seinen Vater vermisste er schmerzlich.  Erial war sehr froh darüber, dass er mit der Gleve ein Schloss aufgebrochen hatte und sie nun sehr abgenutzt wirkte. Mal abgesehen von ihrem kaputten Stiel war sie sicher nicht mehr Kampftüchtig. Doch ob seine Antwort Antonius ausreichte, war fraglich.


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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySo 5 Nov 2023 - 16:15

Mimi. Esmées Lippen wanderten auseinander, nicht sofort verstehend, dass Erial tatsächlich sie mit diesem Namen angesprochen hatte. Erst in dem Augenblick, als der junge Mann sich zu ihr herumdrehte und ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte, verstand sie. Ein Kosename, um ihre wahre Identität zu verschleiern. Die 17-Jährige schloss den Mund wieder und die hellblauen Augen huschten hinüber zu Antonius. Sie verstand, was Erial erreichen wollte: Sie sollte die Flucht ergreifen, denn ganz gleich, was es war: Irgendetwas stimmte mit diesem Antonius nicht. Andererseits: Konnte die Prinzessin es wirklich verantworten, ihren Beschützer hier alleine zurückzulassen? Die Person, die ihr vermutlich das Leben gerettet hatte? Esmée rang mit sich: Auf der einen Seite stand die Verantwortung, die sie als Prinzessin ihrem Heimatland gegenüber besaß. Sie musste überleben, ansonsten waren sämtliche Opfer, die sie erbracht hatten, vollkommen umsonst gewesen. Auf der anderen Seite war da Erial – ein junger Mann, den sie kaum kannte und dem sie dennoch bereits jetzt einiges schuldig war. Das Leben eines Einzelnen dem Leben eines ganzen Königreiches gegenübergestellt – die Entscheidung sollte eigentlich eindeutig sein. Warum fiel es der de Bosco dennoch so schwer, sich in Bewegung zu setzen und den Raum zu verlassen? “Ich würde Mimi dringend raten, hier zu bleiben und dir bei der Suppe zu helfen.“ Immer noch sah Antonius nicht zu der Schwarzhaarigen, fokussierte sich ganz alleine auf Erial. Aber diese Aussage: Ein bedrohlicher Unterton lag darin. Was meinte er damit? Wusste er etwa… Esmées Herzschlag setzte aus und ihr wich die Farbe aus den Wangen. Angst machte sich breit. War dieser Antonius ein Freund oder ein Feind? Sie wusste es nicht und das machte die 17-Jährige schier wahnsinnig. War das ihr neues Leben? Jedem Misstrauen, dem sie gegenüberstand?

Antonius selbst hatte für die Probleme der Dunkelhaarigen nicht viel übrig. Er widmete sich lieber der ehemaligen Palastwache zu. Oder was auch immer Erial behauptete, zu sein. Irgendetwas lag in dem strengen Blick des älteren Mannes verborgen und er ließ sich ausgiebig Zeit, bevor er zu einer Erwiderung ausholte. Er ließ sowohl Esmée wie auch Erial ganz bewusst zappeln. “Keine Palastwache also“, holte er nach mehreren Sekunden des Schweigens nachdenklich aus und betrachtete den Novel mit zusammengezogenen Augenbrauen. Schwierig zu sagen, ob er der Palastwache glaubte oder nicht. “Dann lass dir eines gesagt sein: Verstecke die Gleve und das Symbol Boscos, wenn du verhindern möchtest, dass Leute auf falsche Schlüsse kommen. Aber darüber hinaus bin ich aus einem anderen Grund hier.“ Es war das erste Mal, dass Antonius sich ernsthaft zu Esmée herumdrehte und sie genauer betrachtete. Insbesondere die einfachen Bauernkleider der jungen Frau schienen die Aufmerksamkeit von Antonius auf sich zu ziehen. Er musste erkennen, wer Esmée war, alles andere hätte keinen Sinn ergeben. “Ihr wart zu lange hier. Ihr müsst von hier verschwinden.“ Wieder setzte das Herz der Prinzessin aus und ihre Finger verkrampften sich um die Suppenschüssel, die sie immer noch in den Händen hielt. Sie musste alle Kraft aufbringen, um nicht zu stottern und dem direkten Blickkontakt mit Antonius standzuhalten. „Verschwinden? Was meint Ihr?...“, fragte sie nach und sah gleichzeitig mit dem älteren Mann wieder zu Erial. Es war vollkommen ausgeschlossen, dass sie gingen. Nicht, solange der Novel mit seinen Verletzungen zu kämpfen hatten. Mit Glück erreichten sie die Stadtgrenze, doch niemals würden sie den Weg bis zur Landesgrenze in der Eiseskälte bei Sturm und Schnee zurücklegen können. Und Esmée alleine? Wie wahrscheinlich war es, dass die Prinzessin so eine Reise ins Ungewisse ganz alleine zurücklegen konnte? Sie war eine Prinzessin von 17 Jahren, die ihr Leben lang in einem Palast unter Verschluss gehalten worden war. Sie hatte keine Ahnung davon, wie man alleine in der Wildnis überlebte. Keine Verbündeten, an die sie sich hätte wenden können – abgesehen von Erial. „Morgen früh müsst ihr verschwunden sein. Vor Sonnenaufgang.“ Antonius beachtete den Schock der de Bosco nicht weiter, seine Stimme klang monoton. Dennoch schien er zu wissen, was zumindest Esmée durch den Kopf ging und ergänzte: „Crystal Avenue 7, direkt an den Stadttoren im Westen. Dort wohnt ein Mann, der Heilmagie beherrscht. Er wird deine Wunden heilen können, Junge. Und die letzten Reste des Giftes in deinem Organismus neutralisieren.“ Moment. Antonius schickte sie von hier fort, an eine fremde Adresse zu einem fremden Mann? War das eine Falle? Andererseits… wenn er wusste, wer sie waren und die Prinzessin sowie Erial einfangen wollte, dann könnte er es doch auch jetzt gleich machen. Einfacher würde es nicht werden. Esmée schluckte und war überrascht, wie fest ihre Stimme klang, als sie nachfragte: „Wie heißt der Mann?“ Antonius wandte sich zu ihr und schnaubte. „Eldric. Er war ein enger Verbündeter der alten Königs Yvain.“ Esmées verstorbener Großvater? Er verstarb, als die junge Frau drei Jahre alt war. Wirkliche Erinnerungen an ihn besaß die Prinzessin nicht, aber das hieß, dass es ein Freund ihrer Familie war, oder? „Bis zu jenem Tag, als König Yvain ihn davonjagte und er der Königsfamilie den Rücken kehrte.“

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
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Flashback: Die Zukunft eines Königreiches

Die Flucht nach Fiore & ein neuer Anfang



Erial war schlecht im Lügen. Schon immer gewesen. Wahrscheinlich hatte jeder in der Armee, insbesondere sein Onkel, einfach inständig gehofft, dass er entweder nie ein Staatsgeheimnis erfahren würde, was er ausplaudern könnte oder das er einfach nie gefangen genommen werden würde. Erial fragte sich auch deshalb, warum Aiden ausgerechnet ihm diese Aufgabe, Esmée mit seinem Leben zu beschützen, anvertraut hatte. Weil er sich auf seinen Ehrgeiz verlassen konnte? Sein Passion für Bosco? Aber die war in jedem Wachmann zu finden. (Oder zumindest hatte Erial das bis vor kurzem geglaubt - bevor sie von ihren eigenen Kameraden angegriffen worden waren.) Vielleicht hatte der Onkel ihn auch geschickt, weil er so unscheinbar wirkte. Kaum jemand würde ihm wohl zutrauen eine Wache im Hause des Königs zu sein. Eine miserable, ja, aber immerhin eine Wache des Königs. Im Anblick von Antonius konnte er diesen Gedanken wohl aber verdrängen. Er schien ihre Identitäten schon von Anfang an durchschaut zu haben und kein glaubwürdiger Weg wollte sich offenbaren Antonius von der Lüge zu überzeugen. Und trotzdem würde er es versuchen. Aufgeben stand nicht zur Debatte. Und sei es das seine Worte Esmée Zeit zur Flucht verschaffen würden.

Erial erstarrte in seinen Bewegungen, dem Lächeln, das er bemüht gewesen war, der Prinzessin zuzuwerfen, als Antonius mit bedrohlicher Stimme Mimi dazu veranlasste in diesem Raum bei ihm zu bleiben. Er merkte, wie sein Körper sich versuchte anzuspannen, er in einen Angriffsmodus wechseln wollte und doch zu schwach war, um diesem Instinkt nachzukommen. Stattdessen bewegten sich seine Lippen und formten die klägliche Lüge, zu derer er sich im Stande gesehen hatte. Eine Aneinanderreihung an Wahrheiten seines Kopfes, die so formuliert waren, dass ihre Interpretation Spielraum zu ließ. Spielraum, der hoffentlich so interpretiert wurde, wie Erial es sich wünschte ohne das er wirklich eine Lüge formulieren musste. Als Erial geendet hatte, lag der strenge Blick des Mannes noch lange auf ihm. Er schien nicht nachdenklich, eher erfüllte er den Raum mit einer bedrohlichen Aura. Fieberhaft versuchte Erial nachzudenken, traute sich jedoch nicht, Esmée erneut zu bitten zu fliehen. Etwas sagte ihm, dass sie hier gerade am sichersten war. Egal wie unglaublich falsch es in seinen Ohren klang. Je länger die Stille im Raum zwischen ihnen lag, desto mehr schien sie Erials Lunge zusammen zu drücken und ihm so die Luft zu atmen zu nehmen. Als Antonius endlich erneut das Wort erhob, konnte er nicht abzuschätzen, ob er seine Geschichte nun glaubte oder nicht. Bei den nächsten Worten, weiteten sich plötzlich Erials Augen vor Schreck und er blickte instinktiv zu seiner Gleve, vielmehr zu deren Überresten, hinüber. Allein die Reaktion sagte wohl viel über ihn aus. Beschämt blickte er in die entgegengesetzte Richtung und verkrampfte seine Hände in der dünnen Bettdecke. Nein, Antonius glaubte ihm nicht. Aber warum schien er mit seinen Worten, dann die Lüge aufrechterhalten zu wollen? Gab ihm einen Ratschlag, das Wappen ab jetzt zu verbergen? Zeit gab es keine über die tiefere Bedeutung nachzudenken, denn Antonius offenbarte, aus einem anderen Grund gekommen sein. Einem anderen als die Suppe zu verbringen? Ja, jetzt wo Erial darüber nachdachte, war es wohl merkwürdig, dass ein Krieger wie Antonius als Suppenbringer abgestellt wurde. Er wollte, dass sie verschwanden. Sie waren zu lange an einem Ort gewesen, wahrscheinlich hatten sie sogar bereits Aufmerksamkeit erweckt. „Er hat Recht. Wir müssen hier weg.“ wiederholte Erial, nun wieder zu Esmée blickend. Ihre Blicke trafen sich. Esmée blickte fragend, doch sein Blick, der so sehr auf ihr ruhte, sagte etwas anderes: DU musst hier weg. In seinem Zustand, würde er mit ihr zusammen nicht einmal die Stadtgrenze erreichen können. Warum war sie nur nicht gelaufen als er es ihr zugerufen hatte? Damals als sein Blick schwarz geworden war. Sein Kopf rauchte, wie er Esmée, die ohne jedes praktische Wissen der Außenwelt aufgewachsen war, die heile Flucht nach Fiore ermöglichen konnte ohne sie zu begleiten. Antonius ließ es nicht zu, dass sich Gedanken formten, denn er wies sie beide an, morgen früh vor Sonnenaufgang verschwunden zu sein. Wie sollte er? Fragen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Fragen und Sorgen. Antonius nannte eine Adresse, die Antwort auf ein paar von den Fragen geben sollte. Ein alter Heilmagier, der seinen Körper wiederherstellen konnte, damit sie ihre Flucht fortsetzen konnten. „Ich verstehe.“ meinte Erial und nickte. Es gab kein Nein. Es war auch egal, ob dort wirklich ein Heilmagier wohnte. Es war aktuell die einzige Möglichkeit. Sie wussten nicht einmal, ob sie diesem Mann trauen konnten. Aber, wenn er sie umbringen wollte, wenn am Ende dort die Rebellen auf sie warten würden, hätte er sie schon längst hier übergeben können. Er hätte Esmée schon so oft von Erial trennen und sie einfach übergeben können. „Warum sollte Eldric uns helfen, wenn König Yvain ihn davonjagte?“ Ein laut ausgesprochener Gedanke der jungen Palastwache, die Erial einen schwer zu deutenden Blick von Antonius einbrachte. Er war sich jedoch sicher, dass Antonius ihm bei diesem Problem wohl nicht helfen würde und sie es stattdessen lösen würden, sobald sie dem Mann begegneten. Er blickte zu Esmée und überlegte, ob sie wohl etwas wissen könnte. König Yvain war jedoch bereits vor langer Zeit gestorben. Erinnerungen an ihn dürfte sie wohl keine haben. Aber vielleicht hatte sie ja etwas gehört? „Genieß die Suppe.“ entkam es dem Krieger und Erial bildete sich ein, einen Funken Spott in seiner Stimme zu hören. Vielleicht, weil es schwer vorstellbar war, dass Eldric ihnen helfen würde. Eldric, ein Heilmagier, von dem alles abhing und mit dem der König vor langer Zeit gebrochen hatte. Antonius drehte sich um und verließ den Raum.

Als Antonius ging, hinterließ er Stille, die sich nicht weniger erdrückend als seine Präsenz anfühlte. Dieser Mann hatte nicht aussprechen müssen, dass ihre Tarnung aufgeflogen war. Beiden war klar, dass sie seinen Worten besser folgten und vor dem Tagesanbruch verschwunden waren. Erial ließ sich von Esmée bei der Suppe, gezwungenermaßen, helfen und dachte nach. Müdigkeit überkam seine Glieder, doch er kämpfte gegen sie an. Es gab noch viel zu bereden und alles für die weitere Flucht vorzubereiten. Er blickte zum Nachttisch auf dem noch die Lappen mit der Schüssel lagen, die genutzt worden waren, um sein Fieber zu senken. „Kannst du einen der Lappen, um den Griff wickeln?“ fragte er Esmée schließlich und durchbrach die Stille zwischen ihnen. „Was weißt du über deinen Großvater und diesen Eldric? Hast du irgendetwas bei deinen Eltern aufgeschnappt dazu? Wir sollten wissen, worauf wir uns gefasst machen müssen. Wenn Eldric von König Yvain fortgejagt wurde, ist er womöglich nicht gut auf die Monarchie zu sprechen. Und ... Wenn Eldric am Hofe war, könnte er dich leicht erkennen und ich sollte ihn alleine aufsuchen.... irgendwie. Du solltest solange bereits vorgehen.“ Flüsternd hatte er seine Worte vorgetragen und erwartete Esmée Antworten. Fragen über Fragen, die es zu klären galt. „Warum bist du nur nicht fortgelaufen als du die Möglichkeit dazu hattest?!“ entkam es ihm plötzlich lauter, fast vorwurfsvoll, während er sich an den Kopf fasste. Verdammter Scheißdreck, was sollte das hier für eine ehrenvolle Aufgabe sein. Sie hätte die Stadt im Trubel hinter sich lassen können. Stattdessen saßen sie nun hier und mussten ein zweites Mal die Flucht aus einer Stadt planen. Und alles hing von der Gunst eines alten Heilmagiers ab.

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BeitragThema: Re: Die Zukunft eines Königreiches
Die Zukunft eines Königreiches EmptySa 23 Dez 2023 - 15:46

Der Königsfamilie den Rücken gekehrt. Von der Hoffnung, die Esmée bei der Erwähnung einer Verbindung zu ihrem Großvater gehabt hatte, war nach diesen Worten nicht mehr übrig als ein minimaler Funken, der kurz vorm Erlöschen stand. König Yvain war war der Prinzessin nur durch Geschichten bekannt. Obwohl ihre Mutter versucht hatte, die Gerüchte von ihrer Tochter fernzuhalten, so hatte jene es doch immer wieder mitbekommen, wenn sich Angestellte im Königspalast über die Vergangenheit unterhalten hatten. So sehr sie Königin Eleonore gelobt hatten, so schlimm war das Urteil über König Yvain ausgefallen. Er war nicht immer ein schlechter König gewesen, war einst sogar für sein großzügiges Herz gelobt worden. Aber an jenem Tag, als seine Frau verstarb, hatte König Yvain seinen Lebensgeist verloren. Wenn man den Geschichten glaubte, hatte er sich zunehmend von der Welt abgewandt und das Königreich sich selbst überlassen – dies waren die Jahre gewesen, in denen kriminelle Organisationen in Bosco hatten wachsen und gedeihen können. Wenn die Angestellten sich über König Yvain unterhielten und glaubten, unbeobachtet zu sein, waren auch Worte wie Wahn oder Irrsinn gefallen. Ob das stimmte? Esmée wusste es nicht, hielt es allerdings nicht für ausgeschlossen. Damals hatten viele Menschen mit der Königsfamilie gebrochen – so wie scheinbar auch dieser Heilmagier Eldric. Die Schwarzhaarige schluckte, als der urteilende Blick von Antonius auf ihr lag. Ob er daran zweifelte, dass all die Opfer in diesem Königreich es wert gewesen waren, die Prinzessin zu retten? Der hochgewachsene Krieger ließ es unausgesprochen, als er den kleinen Raum verließ und Esmée sowie Erial wieder sich selbst überließ. Vor Sonnenaufgang mussten sie verschwunden sein… die junge Frau warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne stand bereits tief und kündigte den baldigen Abend an. Ihnen blieb also nicht mehr viel Zeit in dieser Kammer übrig.

Schweigend setzte sich Esmée auf den Platz direkt neben dem Bett und half ihrem Beschützer, die Suppe zu essen, die Antonius gebracht hatte. Es war wichtig, dass Erial wieder zu Kräften kam, jetzt mehr denn je. Natürlich hing die 17-Jährige hierbei ihren ganz eigenen Gedanken nach, die alles andere als hoffnungsvoll waren. Eldric… Immer wieder kreuzte dieser Name ihre Überlegungen. Die hellblauen Seelenspiegel musterten die Verletzungen von Erial und es war klar, dass sie auf die Hilfe des Heilmagiers angewiesen waren, wenn sie die Stadt und das Königreich alsbald verlassen wollten. Mit diesen Verletzungen würde Erial nicht weit kommen, schon gar nicht in der Kälte, die draußen herrschte. Crystal Avenue 7 Das war die Adresse, von der Antonius gesprochen hatte. Wie weit sie wohl von den Westtoren entfernt waren? Die junge Frau horchte auf, als ihre Begleitung sprach. Einen Lappen? Um den Griff der Gleve? Sie sah hinüber zu den Tüchern, dann zu der Waffe und nach kurzem Zögern nickte Esmée. Sie stellte die mittlerweile geleerte Suppenschüssel auf dem Tisch neben dem Bett ab, trat auf die Lappen zu und nahm einen davon in die Hände, um danach vor der Gleve in die Hocke zu gehen. Der Moment, als die erste Lage von Stoff sich über das Wappen von Bosco legte, hatte etwas symbolisches. Es hinterließ ein brennendes Gefühl im Inneren der einst stolzen Prinzessin. „Ich kenne den Namen Eldric nicht“, antwortete sie auf die Fragen des Novel, ohne den Blick von der Waffe abzuwenden. „Und ich… weiß nicht viel über meinen Großvater, außer, dass er sich nach dem Tod von meiner Großmutter von den meisten Menschen im Palast distanziert haben soll. Er hat… abgewandt von der Welt gelebt. Und soweit mir bekannt, hat er damals viele Menschen davongejagt, die versucht haben, zu ihm durchzudringen und ihn auf seine Verantwortung als König aufmerksam zu machen.“ So wie Eldric? Es war zumindest zu vermuten. „Ich glaube allerdings nicht, dass er mich kennt. Als mein Großvater starb, war ich drei Jahre alt. Ich gehe davon aus, dass dieser Eldric den Königspalast noch vor meiner Geburt verlassen hat.“ Das könnte ihre Chance sein, oder? Wenn sie es schafften, die Herkunft aus dem Königshaus zu verschleiern, würde der Magier ihnen wohlmöglich helfen. Wieder ging es darum, sich zu verstellen, nicht zu dem zu stehen, wer man war. Esmées Mundwinkel wanderten nach unten und doch band sie den letzten Knoten um die Gleve, sodass der Stoff endgültig über dem Bosco-Abzeichen lag. Ihr Blick verweilte auf der Waffe und erst die wütenden Worte von Erial rissen die junge Frau aus ihren Gedanken.

Warum sie nicht fortgelaufen war, als sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte?

Nur langsam erhob sich die Dunkelhaarige aus der Hocke und drehte sich zu Erial herum. Vielleicht erwartet er Tränen in ihren Augen, wohlmöglich rechnete der Novel auch damit, dass Esmée mit der gleichen Wut reagierte, mit der sie konfrontiert worden war. Doch nichts von alledem war der Fall: Es lag eine Distanziertheit im Blick der jungen Frau, dass einem eiskalt davon werden konnte. Sie hatte sich viel zu lange ihren Emotionen hingegeben, hatte Seiten an sich gezeigt, die sie niemandem hätte zeigen dürfen. Sie hatte den Befehl erhalten, alles dafür zu tun, um zu leben und irgendwann zurückzukehren, um der ihr übertragenen Thronfolge nachzukommen. „Warum ich nicht fortgelaufen bin? Weil das mein Todesurteil gewesen wäre.“ Esmée hatte versucht, sich stark zu geben, aber das war die Wahrheit, die doch eigentlich absolut jeder wusste. Sie hatte nicht mehr die Kraft dafür, so zu tun, als wäre es anders. Sie war schwach und nicht ansatzweise so selbstständig, wie es ihr Bruder gewesen war. Es war albern, das weiter vertuschen zu wollen. „Glaubst du wirklich, dass ich es alleine bis zur Landesgrenze schaffen könnte? Ich, die den Königspalast von Bosco niemals von außen gesehen hat? Die ihr gesamtes Leben immer unter der wachsamen Beobachtung von Beschützern verbracht hat? Ich, die… absolut keine Ahnung davon hat, wie die Welt da draußen eigentlich funktioniert.“ Nein, das war unmöglich. Mehr denn je wurde Esmée bewusst, wie hilflos sie eigentlich war, wie unfähig – und dass es eigentlich absurd war, davon auszugehen, dass jemand wie sie ein Königreich anleiten könnte. Und doch sollte sie leben und das war ein Befehl ihres Vaters, dem sie sich nicht wagte, zu widersetzen. Der Befehl des amtierenden Königs stand über ihrem eigenen Gefühl, dass das Königreich ohne sie besser aufgehoben wäre. Esmée trat näher an das Bett und sah von oben auf Erial herab. Es war an der Zeit, dass sie sich beide mit den Umständen abfanden. „Wir haben beide einen Befehl erhalten. Ich soll leben. Und du sollst mich beschützen. Anstatt vor diesem Schicksal zu fliehen, sollten wir uns damit abfinden, dass diese beiden Befehle unauflöslich miteinander verbunden sind.“ Es war nicht mehr die verunsicherte 17-Jährige, die hier sprach, sondern eine Thronfolgerin, die das tat, was man von ihr erwartete – ganz gleich, welche Emotionen sonst noch tief in ihrem Inneren schlummerten. Sie unterdrückte ein Seufzen, setzte sich dann auf den Hocker und deutete auf das Bett. „Leg dich hin und versuche, dich auszuruhen. Ich werde das gleiche tun und in der Nacht werden wir gemeinsam nach dem Bekannten meines Großvaters suchen. Wir setzen darauf, dass er mich nicht erkennt.“ Und wenn doch? Das war eine Möglichkeit, die die Prinzessin für den Moment verdrängte. Keine sonderlich schönen Zukunftsaussichten, aber die Einzigen, die sie hatten. Sie sah erneut zu Erial und suchte den direkten Blickkontakt mit ihm. „Du wirst uns zum Westtor führen“, befahl sie am Ende und machte damit klar, dass es keine Option für ihn wäre, sie alleine fortzuschicken. In ein paar Stunden würden sie aufbrechen und diesen Ort gemeinsam hinter sich lassen.
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