Ortsname: Crocus Plains Art: Freiraum Spezielles: Die doppelte Schienenführung um Crocus Beschreibung: Das Umland der Hauptstadt ist geprägt von verschieden großen, meist landwirtschaftlichen Gemeinden, die sich über die weiten Flächen zwischen den Gebirgen erstrecken. Je weiter man sich entfernt, desto naturbelassener wird die Ebene. Im Nordwesten endet diese mit Beginn der Steppe, während es im Südosten einen fließender Übergang Richtung Maldina gibt. Besonderes Merkmal dieser Gegend sind die doppelten Schienenverläufe, um so einen frequenteren Zugverkehr in und um die Hauptstadt zu ermöglichen.
Nach seiner letzten Aufgabe zögerte Rownan förmlich, als er vor dem Questboard angekommen war. Wer kann es ihm verdenken, hatte er doch bei seiner letzten Quest beinahe den Gegner bei lebendigem Leibe verspeist. Und die Quest hatte so entspannt begonnen. Ob es klug in diesem Fall umgekehrte Psychologie anzuwenden und die Aufgabe zu wählen, die am meisten nach Ärger aussah? Der Wolf war sich unsicher und das nervte ihn „tierisch“. Er war immer der Meinung, dass er selbstsicher nach außen wirkte, nein, nicht wirkte, sondern war. Aber wenn ihn in diesem Moment jemand ansprechen würde, würde er wohlmöglich noch wie eine Katze, die man erschreckt hatte, gen Decke springen. Wenn er jedoch Konflikte mied, könnte er nicht herausfinden, ob das Training, dass er im Vorfeld absolviert hatte, sich rentierte. Bewusst hatte er sich seinen Reizen ausgesetzt, um zu versuchen seinen inneren Gelüsten entgegenzusteuern. Darüber hinaus hatte er auch sämtliche Waffenführer der Gilde um Trainingseinheiten gebeten, um Erfahrungen mit den verschiedensten Waffentypen zu machen. Neben seiner nun spontaneren und flexibleren Kampfweise schien er eine bessere Schmerztoleranz zu haben. Diese sollten ihm wiederum noch besser helfen, die eigenen Instinkte zu kontrollieren. Erst nach diesen Einheiten hatte er sich überhaupt wohl genug gefühlt in die Nähe des Aufgabenbrettes zu kommen. Diese Punkte eruierend, hielt der Grauhaarige es nicht für sinnvoll, sein Glück herauszufordern. Ja, er hatte sich verbessert, aber er war weitsichtig genug, sich noch immer als Verbesserungswürdig in diesem Bereich zu sehen. So studierte er das Brett weiter und stieß auf einen Auftrag, der viele der Fähigkeiten und Fertigkeiten bediente, in denen er sich sicher wog. Der einzige Harken an der Sache: Es war erneut eine unbekannte Variable dabei. Wo er beim ersten Mal noch sehr kritisch war, sah er der Sache in diesem Fall optimistischer. Akira hatte sich ihrerseits als sehr fähig erwiesen, wieso sollte es sich bei dieser Aufgabe mit einem anderen Partner unähnlich ereignen? Eine kühne Vermutung. Doch wer auch immer ihm in dieser Angelegenheit beiseite stehe, hätte heute das Wohlwollen des Magiers auf seine Seite. Zumindest solange, bis er eines Besseren belehrt werde. Die Ausschreibung schien simpel: In einem Zug befüllt mit der High Society Fiores, zumindest derer, die sich in einem solchen Event blicken lassen würden oder mussten, fuhr eine vorher definierte Strecke ab, genauer gesagt die Kreisstrecke um Crocus. Das neue Modell wäre ein Erfolg, die Magier bekämen darüber hinaus noch Trinkgeld und sie könnten von der Hauptstadt direkt in die Heimat zurückkehren. Vielleicht könnte er auch einige Tage dort verbringen und den ein oder anderen Schmied aufsuchen. Sicher war seine Klinge ein Geschenk, aber in einer so rabiaten Welt wäre es töricht zu glauben, dass sie ewig halten möge.
So hatte Rownan seine Reisetasche gepackt und war mit dem ersten Zug in die Hauptstadt gefahren. Anders als Aloe Town, waren die Temperaturen hier, wie in den meisten Teilen Fiores, annehmbar. Zudem verabschiedete er sich nach und nach von seinem dicken Winterpelz, den er die Nacht zuvor noch ausgiebig gekämmt hatte. Ihn störten oft seine eigenen Haare auf den Klamotten, weshalb er es als seine Pflicht sah, die Uniform, die er für die kommende Reise würde tragen müssen, möglichst nicht direkt voll zu haaren. Die Uniform war auch die vermeintliche Schwachstelle, die er in dieser Quest sah. Wenn tatsächlich jemand diese Reise sabotieren wollte, müsste er zumindest zu seiner Waffe zurück, um die Situation zu bewältigen. Vorausgesetzt er wolle nicht auf seine natürliche Bewaffnung zurückgreifen. Ferner hielt er es nicht für besonders klug, in einem Zug voller Menschen mit einem Degen zu agieren. Eventuell könnte er hier im Ernstfall gezielter von seiner Magie Gebrauch machen, als beim letzten Mal, insofern, dass er sein Gegenüber adäquat entwaffne. Das letzte, was er brauchte, war eine weitere Klinge im Zug die wiederum unkontrolliert herumflog. Motiviert verließ er seinen Zug in der Hauptstadt, um sich auf dem Weg zum dafür hergerichteten Bahnsteig zu machen. Sie waren selbstverständlich etwas früher herbestellt worden, damit eine Einweisung erfolgen und sie sich in Ruhe umziehen konnten. Diese Zeit könnte man nutzen, den Zug und seine Eigenheiten besser zu verstehen. Es würde sich dennoch so oder so weiterhin um fremdes Terrain handeln. Der Trubel auf diesem Bahnhof war mit nichts zu vergleichen, was er bis dato erlebt hatte, weshalb sowohl seine Ohren als auch seine Nase ihm signalisierten, nicht allzu lange an Orte und stelle zu verweilen. Eventuell könnte er unterwegs doch noch seine potenziellen Partner ausfindig machen.
Lian gähnte herzhaft, lehnte sich gegen die weiche Lehne in seinem Rücken und sah unmotiviert aus dem Fenster des Zuges. Die Sanddünen, die er so liebte, verschwanden allmählich und wichen grünen Sträuchern und Büschen, die im rasanten Tempo an ihm vorbeizogen. Crocus Town kam näher und damit auch die nächste Quest, an der der Illusionsmagier teilnehmen sollte. Wie immer hatte er keine wirkliche Lust, als Crimson Sphynx Magier den Tag zu retten – sein leerer Geldbeutel war der einzige Grund gewesen, weshalb er sich dazu hatte hinreißen lassen, eine Aufgabe vom Questboard anzunehmen. Natürlich in einem Moment, wo es niemand sonst in der Eingangshalle gesehen hatte! Nicht, dass die anderen Gildenmitglieder noch glaubten, Lian Falls würde irgendeinen Auftrag für die Gilde freiwillig erfüllen, anstatt sich in seinen vier Wänden zu verbarrikadieren… Nee. Bloß nicht. Der Auftrag an sich klang nicht sonderlich kompliziert, was auch ein Grund gewesen war, warum der Braunhaarige sich dafür entschieden hatte: Er sollte bei der Jungfernfahrt eines Zuges dabei sein, ein bisschen aufpassen, dass alles gut verlief. Lian rechnete nicht mit Zwischenfällen und sah in der Quest daher leicht verdientes Geld. Außerdem schienen an der Jungfernfahrt recht wohlhabende Persönlichkeiten teilzunehmen, weshalb der 19-Jährige damit rechnete, den einen oder anderen Fahrgast um Schmuck oder Jewels erleichtern und die eigenen Einkünfte dadurch aufbessern zu können. Erst als einige Tage später eine Lieferung für ihn im Gildenpalast abgegeben worden war, hatte der Falls bemerkt, was im Kleingedruckten der Quest zusätzlich gestanden hatte: Sie mussten sich als Bedienstete ausgeben und eine vorgeschriebene Uniform tragen. Missmutig blickte der junge Mann auf den Platz neben sich im Zug, auf dem eine braune Reisetasche lag. Dort drinnen war auch besagte Uniform, die ihm vorab zugesandt worden war. Der Falls hatte das Kleidungsstück damals kurz gemustert und anprobiert, es aber so schnell wie möglich wieder abgelegt. Das… war nicht gerade sein üblicher Stil. Und ungemütlich war es auch gewesen. Die hellgrünen Seelenspiegel wandten sich von der Reisetasche ab, sahen stattdessen an sich selbst herab – den schwarzen, lockeren Kapuzenpullover, den er aktuell trug, würde er später mit Sicherheit schmerzlich vermissen.
Die braune Tasche geschultert, stieg der junge Mann am Bahnhof von Crocus Town aus. Sogleich erinnerte er sich an seinen letzten Aufenthalt in dieser Stadt… damals, als er Grishira und Yuuki getroffen hatte. Den goldenen Ring, den er von der blauhaarigen Schönheit gestohlen hatte, lag sicher verstaut in seinem Zimmer im Gildenpalast. Gleiches galt für das silberne Medaillon, das diesem Yuuki gehört hatte. Lian dachte gerne an den Tag mit den beiden zurück, immerhin war er mehr als erfolgreich für ihn persönlich gewesen. Ob Grishira und Yuuki auch so über den Tag dachten? Der Falls lachte stumm in sich hinein. Nein, vermutlich nicht. Aber was kümmerte ihn das? Er würde die beiden sowieso nie wiedersehen… „Gleis 7…“ murmelte er, um sich wieder auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren, wegen der er hier war. Seine Füße trugen ihn durch den Bahnhof, die hellgrünen Augen sahen sich suchend um und er kratzte sich an der Wange, während er die verschiedenen Schilder und Beschriftungen am Bahnhof prüfte. Gleis 7… musste in dieser Richtung liegen, oder? Ja, das sah richtig aus. Je näher Lian dem Treffpunkt kam, desto trubeliger wurde es am Bahnhof. Die Menschen wuselten durcheinander und mehr als einmal musste der Illusionsmagier einer Person in letzter Sekunde mit einer halben Drehung ausweichen, wenn er nicht niedergemäht werden wollte. Der Falls war nicht unbedingt die kräftigste Person und ihm war bewusst, dass er sich lieber nicht auf ein direktes Kräftemessen einlassen sollte, wenn er nicht auf dem Boden landen wollte. So war es auch eine dieser Ausweichdrehungen, in denen sich Lian noch befand, als er mit dem Rücken voran in einen fremden Körper stieß. Der junge Mann verharrte einen Moment, als er bemerkte, dass der Aufprall ungewöhnlich… weich gewesen war? Und irgendetwas flog da vor seinem Gesicht durch die Luft, das seine Nase kitzelte. War das… Fell?! Geschwind löste sich der Braunhaarigen aus seiner Starre, entfernte sich endlich einen Schritt von dem fremden Körper und drehte sich um. Er blinzelte, als er frontal auf eine braune Hundenase starrte, die ihm provokant entgegengestreckt wurde. Ein Hund? Nee. Wolf. Oder? Egal! Die hellgrünen Seelenspiegel sahen hinauf, um stattdessen in die Augen des Kollegen zu blicken. Dort stand ein hundeähnliches Wesen, ordentlich gekleidet und auf zwei Beinen stehend. Wow. Also Rin hatte ja schon eindeutige Hundemerkmale aufgewiesen, aber dieser Typ (Lian ging anhand der Kleidung davon aus, dass es sich um einen Mann handelte), sah nochmal deutlich mehr nach Hund aus als die süße Inuyama. „Oh. Sorry, Kumpel“ Lian hob entschuldigend die freie Hand an und grinste fein. „Ziemlich viel los hier, da ist mein Ausweichmanöver ja ziemlich in die Hose gegangen.“ Die Tasche, die durch den ungeplanten Zusammenstoß heruntergerutscht war, wurde neu geschultert, dann sah sich der junge Mann erneut um. „Ich muss zum Gleis 7, bin wegen einer Quest hier. Weißt schon, Magier und so.“ Lian wollte sich so kurz wie möglich halten und winkte deshalb schnell ab. Das war jetzt kein Thema, das er einem fremden Hund… äh. Einem fremden Typen auf die Nase binden wollte. Oder auf die Schnauze? Argh! „Kannst du mir sagen, wo ich das Gleis finde?“
Ähnlich dem Bahnsteig, von welchem er den Trubel bereits sehen konnte, verhielt es sich natürlich auch im eigentlich Bahnhof nur um ein Vielfaches potenziert. Zu seinem Glück, sowie etwas Verwunderung, bildete sich eine kleine Blase entlang des Grauen, als ob die Leute bewusst versuchten nicht in Kontakt mit ihm zu kommen. Ob dies auf ihn speziell zurückzuführen war oder die Tatsache, dass er so gut wie alle Reisende mit mindestens zehn Zentimeter überragte, vermochte er in diesem Moment nicht bestimmen zu können. Zudem war immer noch so viel los, dass diese vermeintliche Blase mehr als instabil war und es sicher nicht lange dauern würde, bis sie platzte. Bahnsteig 7? überlegte Rownan und blieb mitten in der Menge stehen, damit er sich einmal adäquat umschauen konnte. Sinnloses in der Gegend herumzulaufen brachte ihn nicht weiter und wenn er nicht in der Lage war es selbstständig zu finden, könnte er immer noch eine Information ausfindig machen. Bevor er jedoch seine Handlung durchführen konnte, lief eine Person, mit dem Rücken zugewendet, frontal in ihn hinein. Da er selbst seinen Blick in die Ferne gerichtete hatte, hatte er ebenso keine Chance gehabt auszuweichen. Immerhin war er einfach spontan stehen geblieben. Kein Wunder, dass er irgendjemanden damit überraschte. Der Kontakt zwischen den beiden hielt nicht lange an, denn der Mann oder Junge mit dem dunkelbraunen Haar sorgte mit einem Schritt nach vorne für den gebührenden Abstand, ehe er sich zu Rownan selbst umdrehte. Normalerweise hätte der Wolf dieses Verhalten als unbedarft und rücksichtlos kategorisiert, aber in Anbetracht der momentanen Umstände hielt er es für schlichtweg unvermeidbar zu einem gewissen Punkt in eine solche Situation zu kommen. Was allerdings normalerweise in einer kurzen, hinterhergerufenen Entschuldigung endete, sollte sich hier zu etwas mehr entwickeln, denn sein Gegenüber schaute ihn nun musternd an, was der Magier ebenso nutzte, um sich den Haftbaren etwas näher anzuschauen. Die braunen Haare hatte er ja bereits gesehen jetzt jedoch konnte er auch das zugehörige Gesicht sahen. Die ungewöhnlich dunkle Haut und die grünen Augen hoben sich fast schon malerisch voneinander ab. Darüber hinaus war die Person gute zwanzig Zentimeter kleiner als er selbst. Einzig der Kleidungsstil überzeugte den Grauhaarigen wenig. Der legere Kapuzenpullover und die wenigstens dazu passenden, weiteren Klamotten entsprachen nicht dem Bild einer rechtschaffenden Person. Wie von selbst schloss seine Nase die Betrachtung ab, indem er, während der Kopf jedes Mal leicht nach oben ging, den Geruch seiner Gegenseite aufnahm und in eine mentale Kiste ablegte. Diese animalische Seite versuchte er nach und nach zu akzeptieren, denn sie hatte definitiv mehr Vor- als Nachteile. Ehe er sich allerdings eine Meinung bilden wollte, war er darauf gespannt, was dieser zu sagen hatte. Er interagierte zwischenzeitlich mit genug Individuen, die ihren Freigeist durch ihre Sprache, die Kleidung oder anderes auslebten. Gerade seine Gilde war das beste Beispiel. So wollte er auch diese Person nicht vorverurteilen. Nicht schlecht musste Rownan geschaut haben, denn beide seiner Augenbrauen zogen kurz hoch, als er die Entschuldigung des Reisenden vernahm. Sorry…Kumpel? Also vielmehr ein Junge als ein Mann. Die meisten Jugendlichen im Heim gewöhnten sich irgendwann eine ähnliche Sprache an, auch wenn sie diese nie in der Gegenwart ihrer Gönnerin verwenden durften. In Verbindung mit der gehobenen Hand und dem Grinsen wirkte es beinahe schon frech, wenngleich die Geste trotzdem eine noble war. Jedenfalls folgte daraufhin eine Erklärung mit der sich der Felltragende zufriedengegeben hätte und jeder seines Weges gegangen wäre. Wäre da nicht der Nachsatz gewesen. Seine Instinkte taten ihm erneut gute Dienste, denn spätestens jetzt würde er sich den Geruch eingespeichert haben. Ein kurzer Blick über die freien Hautstellen konnten kein Gildensymbol entdecken. Natürlich wusste er, dass es nicht ungefährlich war, dieses so offen zu tragen wie er, aber so, wie sich auch Sicherheitskräfte durch ihre Uniform auswiesen, hielt auch Rownan es für sinnvoll das Zeichen seiner Organisation nach außen zu tragen. Dass er zu Gleis 7 musste und sich daher in Eile befand, war für ihn wiederum das letzte Puzzleteil. Er hatte zumindest einen seiner Partner durch Zufall ausfindig gemacht, auch wenn dieser schon wieder in seinen eigenen Gedanken zu sein schien. Die abschließende Frage brachte tatsächlich auch den sonst so reservierten Magier zu einem leichten Schmunzeln und so wollte der den Knaben nicht lange auf die Folter spannen. Jenseits des Trubels könnte er sich dann ein endgültiges Bild von der Person machen, mit welcher er die nächsten Stunden zusammenarbeiten musste. „Tatsächlich“ begann Rownan und versuchte seine kehlige, dunkle Aussprache etwas aufzuhellen „bin ich auch auf der Suche nach Gleis 7“. Aufgrund des geringen Platzes blieb nur eine formlosere Begrüßung, weshalb er, zusammen mit einer leichten Verbeugung, die rechte Hand auf die linke Schulter gelegt, seine Rute nach vorne kommen ließ, um das ultramarinblaue Gildenzeichen Satyrs Cornucopias zu offenbaren. „Rownan, der Name, sehr erfreut. Und ihr seid“? Natürlich würden sie noch genug Zeit bekommen sich etwas auszutauschen, aber für so viel Höflichkeit musste Zeit gemacht werden. Dann könnte er immer noch über die Menge hinwegschauen und das Gleis finden, nach welchem das ungleiche Duo so fieberhaft suchten.
Lian bemerkte erst mit einiger Verzögerung, dass der fremde Wolfsmensch ihn prüfend musterte, anstatt ihm zu sagen, wo er das gesuchte Gleis finden konnte. Warum antwortete der Gegenüber denn nicht? Hatte er etwas Falsches gefragt? Nahm er ihm den Zusammenstoß übel? Der Blick der hellgrünen Augen wandte sich ab von den Schildern und Beschriftungen, die überall an diesem Bahnhof zu finden waren und stattdessen sah er zurück zu der angerempelten Person, die ihn tatsächlich um mehrere Zentimeter überragte. Der Falls ahnte nicht, was für Gedankengänge gerade durch den Kopf des Anderen schossen, in welche gedanklichen Schubladen er Lian steckte (die vielleicht nicht einmal falsch waren) und dass er sich seinen Geruch abspeicherte. Insbesondere auf Letzteres wäre der Bogenschütze nie gekommen… Dabei war das für eine Hund/Wolf-Gestalt gar nicht so weit hergeholt, oder? Der Illusionsmagier stutze, als die Schnauze und das darunterliegende Maul des Wolfes sich zu einem… Schmunzeln verzog? Waren das scharfe, weiße Zähne, die ganz vorsichtig hervorblitzten? Lian war fasziniert von dem Anblick, wich es doch gänzlich von dem ab, was man sonst in seinem Alltag zu sehen bekam. Moment. Hatte er gerade gesagt, dass er auch auf der Suche nach Gleis 7 wäre? Eine böse Vorahnung machte sich in dem Falls breit, die wenige Sekunden später bestätigt werden sollte. Der Gegenüber legte die rechte Hand auf die linke Schulter und im gleichen Atemzug huschte die buschige Rute des Wolfes nach vorne. Lian starrte auf ein blaues Zeichen, das eindeutig auf eine Magiergilde hindeutete. Welche Gilde war das nochmal?... Ahhh… Moment! Doch, es dämmerte ihm. War das nicht diese Gilde voller verkappter Künstler? Irgendetwas mit S vorne. Von denen hatte er schon einmal gehört! Die hellgrünen Augen lösten sich vom blauen Gildentattoo, stattdessen musterte er mit dieser neuen Information Rownan erneut im Gesamten. Ja, doch. Der schien bei so einem Haufen gut reinzupassen.
„Was ein Zufall.“ Der junge Mann war wirklich überrascht und rieb sich über den lockigen Hinterkopf. Er hatte nicht damit gerechnet, zufälligerweise mitten in seinen Kollegen für den heutigen Auftrag hineinzulaufen und ihn dadurch kennenzulernen. Ebenso hatte er nicht damit gerechnet, mit einem Wolf auf zwei Beinen zusammenzuarbeiten. Was der Tag wohl noch so für Überraschungen bereithielt? Weitaus weniger formell als Rownan fiel die Begrüßung von Lian aus: Er nickte dem Grauhaarigen schlicht zu, keine Verbeugung, kein Händeschütteln oder sonstige Floskeln, die man vielleicht aus gehobenen Gesellschaften beigebracht bekam. Rownan konnte sich also seinen Teil denken: Entweder gab der Illusionsmagier nicht viel auf förmliches Verhalten oder er hatte es nie gelernt. Vielleicht auch beides. „Hi. Mein Name ist Lian“, stellte er sich namentlich vor und deutete dann beiläufig auf die buschige Rute von Rownan. „Leider kann ich mein Gildenzeichen nicht so wunderbar in Szene setzen, aber hoffentlich glaubst du mir auch so, dass ich Magier bin“, witzelte er locker und ließ die freie Hand dann in der Tasche seines Pullovers verschwinden. Leider? Eigentlich hatte der Falls sich ganz bewusst dafür entschieden, das Abzeichen von Crimson Sphynx irgendwo am Körper zu tragen, wo weder seine Mitmenschen, noch er selbst es ständig begaffen mussten. Wartete der andere Magier darauf, dass der Falls erwähnte, aus welcher Gilde er stammte? Wenn ja, dann konnte er lange warten. Lian band dieses Detail niemandem einfach so auf die Nase, außerdem war das für die Erledigung des Auftrages nicht relevant, oder? Sie waren beide Magier, sie waren hier, um die Jungfernfahrt eines luxuriösen Zuges voller wohlhabender Menschen zu begleiten. Sie hatten also ein gemeinsames Ziel, mehr gab es da eigentlich nicht zu wissen. „Oh, du hast von da oben doch sicherlich einen perfekten Blick über die ganzen Leute hier“, spielte er dann auf die Größe des Hybriden an und deutete vielsagend in den Bahnhof hinein. Einen so hohen Körper konnte man doch durchaus zum Vorteil der Gruppe einsetzen, oder? Ein Lächeln huschte über die Lippen des Falls. „Mit der Übersicht kannst du doch mit Sicherheit sofort das richtige Gleis ausmachen und mir kleinen, hilflosen Gestalt den Weg weisen.“ Oh, Lian würde auch ganz dich hinter Rownan bleiben. Ihm war nicht entgangen, dass viele Leute einen Bogen um sie machten und der Braunhaarige glaubte nicht, dass das an ihm lag. Aber war das nicht gut so? Solange er in Rownans Nähe blieb, musste sich der 19-Jährige zumindest keine Gedanken darum machen, wieder unzähligen Menschen in letzter Sekunde ausweichen zu müssen.
Etwas argwöhnisch, jedoch ohne seine Mimik zu verändern, nahm Rownan die neuen Informationen auf. Die lockere Art des Junge passte ihm schon im Allgemeinen nicht, wenn er jedoch mit ihm zusammenarbeiten musste, noch weniger. Zudem war er sich immer noch nicht sicher, wie weit er dem vermeintlichen Magier trauen konnte. Ganz recht vermeintlich. Denn, obwohl Lian sich als solcher vorstellte, hielt er es nicht für angebracht sein Gildenzeichen oder seine Gilde zu offenbaren. Langsam überlegte der Hybrid ernsthaft, ob er eine Pechsträhne hatte, was übergreifende Aufträge anging oder ob er schlichtweg die Messlatte neu definiert hatte. Es konnte doch unmöglich ein so großes Misstrauen in dieser Brache herrschen? Gewiss, Akira gegenüber war er auch vorsichtig gewesen. Aber wie sich herausstellte war sie auch Gildenlos und damit schwierig einzuschätzen. Der Braunhaarige hingegen outete sich ganz offen als magisch Begabt aber dabei beließ er es auch. Kein Wunder also, dass Rownan sein Gegenüber noch einmal evaluierte. Waffen? Vielleicht in seinem Pullover. Verstecke? Unter den Klamotten, nichts Großes oder Auffälliges. Magie? Unbekannt. Er würde also im Ernstfall erstmal Distanz zwischen sich und seinem Gegenüber bringen müssen, um dann aus der Ferne zu überlegen, was er als nächstes tun würde. Das hier so viele Leute waren, machte die Sache nur schwieriger. Immerhin hätte er den richtigen Zauber parat. Ferner war er seit seinem letzten Auftrag etwas zäher geworden. Würde Lian einen Fehler machen, wären die Krallen schneller an seiner Kehle, als der junge Hüpfer reagieren könnte. Manieren schienen einen durchaus zum Menschen zu machen. Und dennoch hatte er keinen getroffen, der auch nur den Hauch dessen versprühte, was gesellschaftlich angebracht war. Der Wolf hatte eben doch eine sehr exquisite Erziehung genossen und hob sich mehr als augenscheinlich vom Fußvolk ab. Wohlmöglich waren alle guten Dinge drei und er hätte bei der nächsten Quest mehr Glück. Bis dahin musste er nur die Zugfahrt hinter sich bringen. Apropos Zug! Unter Umständen könnte der oder die Einweisende die Informationslücke schließen, sofern die Bestätigung in irgendeiner Art und Weise erfolgt war. Wenn nicht, könnte er es durch eine geschickte Frage hervorlocken. Eine Augenblick wartete er die Stille ab, in der Hoffnung, dass sein Partner vielleicht doch etwas mehr über sich offenbarte. Fehlanzeige. Stattdessen wendete er sich wieder ihrem gemeinsam Ziel zu. Die Betonung allerdings sorgte dafür, dass Rownan einmal tief ein und ausatmen musste. Der Junge strapazierte seine Geduld. Trotzdem musste er Contenance bewahren. Das letzte, das er wollte, war, sich von diesem Möchtegern die Blöße zu geben. Gleichzeitig aber musste er das Spiel des Magiers nicht mitspielen. Kein gehässiger Spruch oder Abwertung würde seine Schnauze verlassen. Ein wenig fragte er sich allerdings, was diese Art sollte. War es wirklich nur seine Persönlichkeit oder machte er sich tatsächlich über den Wolf lustig? Wenn er das nötig hatte, dann war es so. Ungeachtet dessen konnte er sich dann doch eine kleine Spitze nicht verkneifen, als er seinem Gegenüber antwortete. „Gewiss kann ich von hier oben mehr sehen, sofern ihr in der Lage seid eure Nachahmer von mir abzuhalten“. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder über die Menge. So dauerte es nicht lange bis er das entsprechende Hinweisschild zum Gleis entdeckte. Es war nicht unbedingt versteckt, aber wirklich gut ausgeschildert auch nicht. „Ziel entdeckt. Wenn ihr mir folgen würdet“ richtete er seine Worte an Lian, ehe er kehrt machte und den Weg zum Gleis in Angriff nahm. Sollte er nur seine Tricks probieren. Das schöne an seinem Degen war, dass er viele für weitere, mögliche Gefahren blind machte. Aber es war nur eine von mehreren Waffen in seinem Repertoire.
Die Menge hinter sich lassend, erreichten sie ein Gleis, welches schon von Beginn an abgesperrt war. Doch schon als die Sicherheitskräfte sein Zeichen erblickten, öffneten sie den beiden einen Weg. Es hatte eben doch Vorzüge, wenn man einerseits erwartet und anderseits sein Zeichen offen zur Schau stellte. Warum sollte der Adel sich sonst in so feinen Kleidern geben, wenn nicht der Nutzen die Kosten überwog? So liefen beide Magier in Richtung der Spitze der Lokomotive, sofern es sich Lian zwischenzeitlich nicht anders überlegt hatte. Der Zug bestand, zusammen mit dem Triebkopf, aus acht Waagen. Sechs davon hatte Nummerierungen an der äußeren Fassade angebracht, während der letzte eher nach Lager und Personalraum aussah, da die Fenster hier deutlich spärlicher waren. Insgesamt machte das Gefährt einen sehr luxuriösen Eindruck, durch reiche Verzierungen an den Seiten und edler Farbkomposition. Zudem war der Ruß minutiös entfernt worden, sodass zumindest am Startbahnhof ein perfekter Zustand gewährleistet werden konnte. Wenn er von innen ähnlich aussah, wäre Rownan wieder ganz in seinem Element. Eine Frau, die aus dem vordersten Abteil stieg, und durch ihr Aussehen und ihre Haltung Autorität ausstrahlte, winkte die beiden zu sich heran. Das Klemmbrett in ihrer Hand war gespickt mit diversen Notizen. Allem Anschein nach war es ihre Koordinatorin. Er war gespannt, was sie für die beiden bereithielt.
Ob er in der Lage war, seine Nachahmer abzuhalten? Die Spitze war angekommen. Lian grinste und verbeugte sich nun doch vor dem Kollegen, allerdings mit weit ausholender Geste und viel zu tief. „Gewiss, ich werde mein Bestes geben“, äußerte er schalkhaft und folgte Rownan schließlich, als dieser sich auf den Weg zum gesuchten Gleis begab. Um das mal festzuhalten: Dem Illusionsmagier war nicht entgangen, dass der Hybride sich zusammenreißen musste, um sein förmliches Auftreten ihm gegenüber aufrechtzuerhalten. Sein prüfender Blick, die leicht gerümpfte Schnauze für einen kurzen Moment – das waren Details, die einer aufmerksamen Person wie Lian natürlich auffielen, entsprechend interpretiert und abgespeichert wurden. Wunderte es ihn? Nicht wirklich, immerhin hatte Rownan nicht nur mit seiner Kleidung und seiner Haltung, sondern auch mit seinen Worten und Gesten sehr schnell deutlich gemacht, dass gute Erziehung und anständiges Verhalten für ihn sehr wichtig waren. Der Braunhaarige hingegen war so ziemlich das Gegenteil dieser Tugenden und ja, er machte sich deshalb sogar einen Spaß daraus, sich besonders locker und flapsig in Gegenwart des Wolfsmenschen zu verhalten. Rownan mochte ihn nicht? Na, dann sollte er eben genau das bekommen, was er von Lian sowieso erwartete. Es war wie immer: Der 19-Jährige gab sich keine Mühe, um anderen Leuten zu gefallen, sondern verhielt sich eher noch bewusst daneben, um die Vorurteile zu bestätigen, die man ihm gegenüber hatte. Kein Wunder, dass man so ein ewiger Einzelgänger blieb. Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, musterte der Bogenschütze beiläufig den Rücken des Wolfes, während er ihm zum Bahnsteig folgte. Die Mundwinkel hoben sich automatisch an, als er sich überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis Rownan sich eine Blöße gab? Unkontrollierte und unangebrachte Worte oder Handlungen schienen für den Anderen ja ein absoluter Graus zu sein. Na, vielleicht könnte Lian ja unterstützend tätig werden, damit der andere Magier diesen Punkt früher erreichte? Oh. Das hörte sich doch nach einer persönlichen Challenge an. Der Illusionsmagier machte sich wie immer wenig Gedanken über mögliche Konsequenzen seines Handelns, er lebte eben doch nur im Moment.
Die Sicherheitsleute machten Rownan – und damit auch dem Falls – sofort Platz, als sie das dunkelblaue Gildenabzeichen an der Rute erblickten. Erste Hürde überwunden? Der Lockenkopf schlenderte seinem Kollegen wenig euphorisch hinterher, stieß allerdings einen beeindruckten Pfiff aus, als er sich auf dem penibel gereinigten Bahnsteig umsah und sein Blick an der wunderschön glänzenden Lokomotive hängenblieb. Meine Güte, wie viele Stunden hatten die Arbeiter damit verbringen müssen, das Ding auf Hochglanz zu polieren? Und das nur, damit sie bei ihrer Fahrt gleich wieder schmutzig wurde? Lian konnte mit gehobenen Gesellschaften immer noch nichts anfangen und wurde gerade nur in seinen Gedankengängen bestätigt. Hätte man seine Zeit nicht sinnvoller nutzen können? Das war vermutlich auch der Grund, warum er keinerlei schlechtes Gewissen empfand, wenn er diese reichen Leute um Schmuck und Jewel erleichterte – die schienen eh zu viel von allem zu haben. Das Vermögen, dass er ihnen abknöpfen konnte, war der einzige Grund für den Braunhaarigen, eben doch gelegentlich in diese Gefilde einzutauchen, ohne seine Abneigung zu offensichtlich zu zeigen. So wie heute, bei diesem Auftrag. Genauso wie Rownan erblickten die hellgrünen Augen des Falls die autoritär wirkende Frau mit ihrem Klemmbrett, die aus dem vordersten Abteil stieg und die beiden Magier zu sich winkte. Rownan machte sich sofort auf den Weg, Lian wartete kurz… und trottete dann hinterher.
„Ihr seid die Magier?“, fragte sie, kaum dass das ungleiche Pärchen bei ihr angekommen war. Der Illusionsmagier war bereits drauf und dran, zu antworten, merkte aber recht schnell, dass die Koordinatorin an gar keiner Antwort interessiert war, sondern bereits mit dem Finger über die Zeilen auf ihrem Klemmbrett fuhr. Lian schloss seinen Mund unverrichteter Dinge wieder. „Mein Name ist Natalie Moreau, ich koordiniere die heutige Fahrt. Ich erwarte vollen Einsatz und toleriere keinen Fehler. Verstanden?“ Sie sah kurz über den Rand ihrer Brille hinweg, um den Blickkontakt zu den Magiern aufzubauen und auch hier war Lian sofort bewusst, dass sie keine wirkliche Antwort erwartete. Sie sah wieder auf das Klemmbrett. „Rownan und Lian von… Satyrs Cornucopia und Crimson Sphynx“, las sie die Namen sowie die Gildenzugehörigkeit vor, die auf dem Brett standen, drückte das Brett dann an ihren Oberkörper und hob die Nase an. „Ich muss natürlich Ihre Identität prüfen, bevor ich Sie in den Zug einsteigen lassen kann. Nicht, dass sich hier jemand einschleusen möchte, den ich nicht beauftragt habe.“ Warum sollte jemand… egal. Sie deutete auf das gut sichtbare Abzeichen an der Rute von Rownan und nickte zustimmend. Dann wanderte ihr strenger Blick zu dem Illusionsmagier. „Wo ist Ihr Gildenzeichen?“ Oh… das war jetzt nicht ihr Ernst, oder? Der Falls hob ungläubig die Augenbraue, öffnete den Mund und war kurz davor, einen Protestlaut von sich zu geben. Noch nie hatte jemand von ihm verlangt, das Gildentattoo zu zeigen! Außerdem war es viel zu kalt hier… er sah kurz zu Rownan, bereute es aber sogleich wieder, immerhin war der mit Sicherheit nicht auf seiner Seite. „Tzz“, presste Lian zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als er sich ergab und die Reisetasche auf den Boden fallen ließ. Er drehte sich mit dem Rücken zu der Frau, griff an den Saum seines Pullovers und zog ihn weit nach oben. Der 19-Jährige präsentierte damit den Leuten am Bahnhof nicht nur den nackten Oberkörper, sondern auch das rote Abzeichen von Crimson Sphynx, das zwischen seinen Schulterblättern prangte. Was auch immer die junge Frau darüber dachte, sie ließ es sich nicht anmerken, als ihre Stimme gewohnt kontrolliert ein kurzes „Gut“ zum Bestehen gab, was Lian als Erlaubnis wertete, den Pullover wieder herunterziehen zu können. Sofort rieb er sich fröstelnd über die Arme, wich aber gezielt jedem Blickkontakt mit anderen Personen aus. Natalie schob sich die Brille mit dem Zeigefinger nach oben und winkte dann ab. „Also, Sie sollen die Fahrt als Bedienstete begleiten. Die Uniformen haben Sie bereits im Vorfeld erhalten und natürlich anprobiert und heute im einwandfreien Zustand dabei.“ Die Augenbraue der Dame zuckte vielsagend. Auch hier – Feststellung, keine Antwort notwendig. „Sie sollen die Gäste zu ihren Plätzen begleiten, Bestellungen aufnehmen, Essen und Getränke servieren und natürlich Tische freiräumen und putzen.“ Sie musterte Rownan und Lian genauer und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, sodass sich eine unschöne Falte zwischen ihnen zeigte. „So, wie Sie beide jetzt aussehen, kann ich Sie unseren Gästen allerdings nicht zumuten“, fuhr sie streng fort und deutete dann auf das Haar des Illusionsmagiers. „Haben Sie sich überhaupt gekämmt? Das sieht aus, als hätten Sie in einen elektrischen Zaun gefasst. Die Haare werden gleich in Form gebracht und wenn Sie dafür eine Tonne Gel benutzen müssen. Und der Ohrring wird abgelegt, das geht nicht. Und was soll dieses Lederarmband? Das wird gleich verschwinden.“ Lian blinzelte, fasste sich automatisch an besagten Ohrring und rieb sich danach über das Handgelenk, an dem das Lederarmband zu finden war. Er erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal so viel Kritik an seinem Aussehen in nur einer Aussage hatte einstecken müssen. Ihr Blick wanderte weiter zu Rownan, musterte auch ihn von oben bis unten. Blitzschnell huschte die zierliche Hand der Dame durch die Luft und hielt einen sehr kleinen Flaum grauer Haare in der Hand. Lian hätte auf Anhieb nicht einmal sagen können, ob die wirklich vom Fell des Wolfes stammten. „Ich schwöre, wenn unsere Gäste auch nur ein einziges Haar auf ihrem Teller finden, werde ich Sie persönlich dafür verantwortlich machen. Suchen Sie sich einen anderen Ort, um Ihr Winterfell loszuwerden.“ Oha. Diese Natalie kam ja richtig in Fahrt…
Natalie Moreau. Der Name hatte einen angenehmen Klang und die Dame die ihn trug, verkörperte genau das, was sich Rownan für einen Auftrag dieser Größe vorgestellt hatte. Alles war ins kleinste Detail geplant worden und es oblag ihr, dass auch alles genau so abzulaufen hatte. Eine ungeheure Last. Es verwunderte ihn daher nicht, dass sie auf Höflichkeiten verzichtete immerhin war sie in der Position dies zu tun und für Nettigkeiten war zu diesem Zeitpunkt weder die Notwendigkeit noch der Moment. Möglicherweise fand er diesen Auftritt ihrerseits beinahe attraktiv, schwang seine Rute doch leicht nach links und rechts, ohne dass er es bemerkte. Eine Powerfrau eben und das Damoklesschwert der Runde. Er hatte seinerseits nicht vor diese zu enttäuschen würde doch das Verhalten der Magier über sie direkt zu ihren Auftraggebern weitergeleitet werden. Ein Fauxpas hier könnte zukünftig mehr als nur Probleme der Arbeitsbeschaffung machen. Anderseits war es auch die Chance die Kreise zu erreichen, welche ihm in Maldina noch verschlossen geblieben waren. Der kurze Blickkontakt ihrerseits zu den beiden war das Signal der beginnenden Einweisung.Crimson Sphynx? Das erklärt einiges. Viel Kontakt mit dieser Gilde hatte er bis dato nicht gehabt. Trotzdem waren sie das, was klassisch als berühmt-berüchtigt bezeichnet wurde. Eine Haufen Räuber, Ganoven und Tunichtgute die versuchten die Missetaten und Sünden ihrer Vergangenheit zu revidieren. Ein nobles Unterfangen durchaus aber in einer Gesellschaft wie der jetzigen vielleicht schon vergebens. So hatte vielleicht auch Lian sein Päckchen zu tragen und vielleicht war es eben jener Ballast, der ihn nach außen so werden ließ, wie er war. Eine Erklärung, jedoch keine Entschuldigung. Der Braunhaarige hatte eventuell nicht das beste Blatt ausgeteilt bekommen doch was er daraus machte, war ganz allein seine Entscheidung. So hatte es Rownan ebenso zu etwas gebracht und so manch einer würde behaupten, dass ein schlechteres Deck, wie das seine, gar nicht möglich war.
Bestätigend nahm Natalie sein Gildenzeichen zur Kenntnis, welches ihnen bereits zuvor den Eintritt ermöglicht hatte, ehe sie zu Lian schaute. Wenn er sich jetzt als Scharlatan offenbaren würde, hätte er ihn schneller gepackt als ihm lieb wäre. Allerdings geschah etwas, womit der Wolf nicht gerechnet hatte. Er konnte seinem Partner in diesem Moment förmlich beim Denken beobachten. Die Frage war nur: worüber dachte er so intensiv nach? Natürlich ging es um das Gildenzeichen, das war klar, aber was genau ließ ihn stocken? Dass der Braunhaarige sich eventuell auf dem Bahnsteig entblößen musste, war jedoch nicht unter den Optionen des Satyrs Magiers. Er erwarte etwas Tiefgründigeres. Als jener dann noch Hilfesuchend zu ihm schaute, auch wenn es nur ein kurzer Moment war, bestätigte diese Annahme. Zudem löste es etwas in Rownan aus das man gut und gerne als Sympathie bezeichnen konnte. Kurz überlegte er tatsächlich für Lian einzutreten. Immerhin brauchte es auch eine Menge charakterliche Stärke sein aufgebautes Image so aufzugeben, wenn es der Auftrag verlangte. Und mit der Offenbarung seines Gildenzeichens zeigte er, dass er über seinen Schatten springen konnte, falls nötig. Der erste Pluspunkt am heutigen Tag. Jetzt und dadurch zeigte er die Werte, die der Grauhaarige so schätzte. Warum stellte er sich dabei jedoch so an? Würden ihm doch Tor und Tür geöffnet werden! Ein Punkt den der Hüne sich mental notierte, ehe die Managerin fortfuhr. Die Informationen, die sie von sich gab, bestätigten nur das, was er erwartet hatte. Es handelte sich um schlichten Service. Natürlich im großen Rahmen und auf einem Zug. Der Leihe könnte hier durchaus seine Problem bekommen, aber letztendlich waren es Aufgaben, die deutlich unter ihrem Niveau waren. Primär ging es natürlich um den Personenschutz, aber gerade durch diese Tätigkeiten könnten sie so konstant die Wagen patrouillieren, die Umgebung sondieren und ggf. den ein oder anderen Kontakt herstellen. Es gab nur wirklich zwei Varianten, die ihnen Probleme bereiten könnten: Entweder waren unten den Gästen Personen, die nicht zu den eingeladenen Besuchern gehörten oder sich für diese ausgaben oder der Zug würde auf der Strecke Probleme bekommen. Beides Varianten mit denen sie mit Leichtigkeit fertig werden würden. Dass eventuell ihre Undercovertätigkeit bereits zu Problemen führen könnte, schloss er fürs erste für sich aus. Den ein oder anderen Kniff könnte er seinem Kollegen schon noch beibringen. Die anschließende Kritik ihrer beider Aussehen nahm Rownan dann doch als Affront auf. War er doch bei weitem nicht auf dem gleichen Niveau wie das des Stümpers neben ihm. So kam auch seine Rute zum Stehen. Es waren zwar bei weitem nicht so viele Punkte wie bei Lian, dieser musste gefühlt alles ablegen, was nicht zur Uniform gehörte, aber dennoch. Der Wolf würde wohl ein Haarnetz über die Rute ziehen müssen, war diese doch die Quelle der meisten herumfliegenden Haare wie auch dem, welche Frau Moreau nun in ihren Fingern hielt. Natürlich wollte sie keine Ausreden hören. Er hätte ihr auch keine geliefert. Im gleichen Ton fuhr sie fort: „Der Zug wird nur eine kurze Strecke abfahren, um genau zu sein die Kreisstrecke um Crocus. Am Morgen haben bereits Aufklärer die Strecke abgelaufen. Es wurden weder verdächtige Personen noch Hindernisse gemeldet. Daher sollte sich ihre Tätigkeit auf den Service reduzieren. Trotzdem sind sie angehalten potenzielle Bedrohungen jedweder Art ohne viel aufsehen zu neutralisieren und mich darüber in Kenntnis zu setzen“. Sie pausierte kurz, da hier möglichen Fragen aufkommen konnte. Er selber hatte keine und auch Lian schien fürs erste bedient zu sein, weshalb sie die Pause auf ein Minimum reduzierte. „Bei ungefähr der Hälfte der Strecke wird ein kleiner ‚Zirkus‘ sich einmal durch den Zug bewegen. Die Artisten unterhalten die Gäste mit einfachen Tricks, nichts wofür sie sich interessieren müssen. Relevant für sie ist allerdings, dass sie sich während des Auftritts an ihrer Station aufhalten sollen damit die Attraktion in keiner Weise gestört wird. Verlassen sie ihren Abteil, fahren sie mit ihrer Arbeit fort. Noch Fragen“? Während die beiden erneut Zeit bekamen, sich Fragen zu überlegen, hakte die strickte Frau eifrig ihre entsprechenden Kästchen auf dem Klemmbrett ab. Bevor die Magier allerdings den kompletten Zug erkundet hatten, hielt es Rownan noch nicht für sinnvoll, sie mit hypothetischen Fragen ihrer kostbaren Zeit zu berauben. Erneut herrschte Stille, weshalb sie den beiden zunickte und auf dem Absatz kehrt machte.
Endlich konnte der Wolf seinen Wissendurst stillen und vielleicht so etwas wie eine Beziehung zu seinem Questpartner aufbauen. „Ich hoffe du bist nicht zu entmutig nach dieser Ansprache, aber du solltest wissen, dass es in diesem Business immer so läuft“ er machte eine kurze Pause „du hast übrigens eben sehr souverän agiert. Dafür hast du meinen Dank. Gibt es einen Grund, warum du so zurückhaltend mit deiner Gildenidentität umgehst“? fragte er daraufhin. Sein Ton war diesmal frei von Wertung und in seinem Kern aufrichtig. Möglicherweise war Lian nicht so verkehrt, wie es der erste Eindruck ihn glauben lassen wollte. Einiges hing von der Antwort ab.
Mit einem Seitenblick musterte Lian seinen Kollegen, dessen eifriges Gewedel mit der Rute abrupt aufhörte, als Natalie auch ihn kritisierten. Treudoofer Hund, der jetzt eine unerwartete Standpauke erhielt? Es war mehr als offensichtlich, dass Rownan auf das dominante Getue der Koordinatorin stand – anders als der Falls, der mit hierarchischem Verhalten, Befehlen und dieser Behandlung von oben herab gar nichts anfangen konnte. Bei näherer Überlegung erinnerte ihn die Auftraggeberin an eine alte Bekannte, Juno, die nicht nur äußerlich dämonische Merkmale aufwies, sondern auch innerlich ein verdammter Dämon war. Auch Juno trat immer bewusst laut mit ihren hochhackigen Schuhen auf und sah von oben auf andere Leute herab, als wären es nur kleine Ameisen, die ihre Arbeit tun sollten, während sie auf dem Thron saß. Ah… zum Glück hatte Lian die Dämonin schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ein leichter Schmerz zuckte durch seine Hand, als er an Juno dachte – niemals wieder würde er ihr zur Begrüßung die Hand reichen, das stand fest. Wie es sich für einen Hund gehörte, steckte Rownan die Kritik kommentarlos ein und dachte vermutlich schon daran, was er tun konnte, um die Gunst vom Frauchen zurückzugewinnen. Der Illusionsmagier seufzte stumm, aber Natalie fuhr bereits mit ihren Erklärungen fort. Kurze Strecke, die bereits im Vorfelde überprüft worden war? Keine Verdächtigen, keine Hindernisse? Okay, das klang wirklich nach einem Selbstläufer. Automatisch hoben sich die Mundwinkel des Falls an, als ihm bewusstwurde, wie einfach dieser Auftrag werden würde. Klar, er musste ein paar kritische Kommentare zu seinem Äußeren aushalten, sich ein bisschen anpassen und die gehobenen Herren und Damen im Zug bedienen, aber für den Gewinn, den das alles bringen würde, war er gerne bereit dazu. Durch die Kellnerei kam er auch noch mit Leichtigkeit näher an die Fahrgäste heran und konnte hier und da seine Einkünfte aufbessern. Dafür war er sogar gerne bereit, diese dämliche Uniform zu tragen! Oder seine Haare mit Gel zu bändigen. Alles, was die liebe Auftraggeberin eben verlangte. Mit Interesse nahm Lian auch zur Kenntnis, dass es einen Zirkus gab, der sich durch den Zug bewegen und die Fahrgäste unterhalten sollte. Artisten, die einfache Tricks aufführten? Der Falls nickte, fragte sich aber natürlich sofort, was für Tricks das sein würden. Vielleicht konnte er sich von denen ja ein paar neue Inspirationen abgucken. Und falls sie schlecht waren, würde er sich vielleicht dazu bewegen, ihnen ein paar Tipps von einem Profi zu geben. Das war das Mindeste, was der Falls für ein paar Anfänger tun konnte.
Natalie machte ziemlich schnell auf ihrem hohen Absatz kehrt und ließ die Magier mit den Informationen, die sie geteilt hatte, alleine. Der Braunhaarige sah der Dame noch einen Augenblick nach und stellte fest, dass der harte Gang der Koordinatorin ihn ebenfalls an Juno erinnerte. Schöne Rückenansicht, keine Frage, aber allein die kurze Assoziation mit Juno sorgte dafür, dass er das Erscheinungsbild einfach nicht attraktiv finden konnte. Rownan sprach ihn an und riss ihn dadurch aus seinen Gedankengängen. Er dankte ihm? Das musste er aber sogleich geraderücken. Nachher dachte der Wolf noch, er hätte es für ihn, die Auftraggeberin oder für die erfolgreiche Durchführung des Auftrages getan. „Oh, versteh das bloß nicht falsch“, widersprach er dem Hybriden daher entschieden und hob abwehrend die Hände. „Ich habe das nur getan, weil ich keine Lust auf ein großes Theater mit dieser Natalie hatte. Außerdem habe ich deinen Blick doch ganz genau gesehen.“ Der junge Mann hob vielsagend eine Augenbraue an, grinste dann fein. „Die hätte doch nur mit dem Finger schnippen müssen und du hättest mich zu Boden gerissen, um mich notfalls gewaltsam nach meinem Gildenzeichen zu durchsuchen.“ Übertriebene Darstellung? Ein bisschen. Aber tatsächlich hatte sich für einen kurzen Moment genau ein solches Bild vor dem Inneren Auge des Falls abgespielt. Dazu noch eine grölende Masse an Schaulustigen, die Wetten darauf abschlossen, wer das Kräftemessen zwischen den beiden Magiern gewann, während Natalie mit erhobener Nase über ihnen stand. Ja, Lian hatte eine blühende Fantasie. Und ein natürliches Misstrauen, auch gegenüber Rownan. Er bückte sich und hob die Reisetasche wieder auf, die er zuvor zu Boden hatte fallen lassen. Dann zuckte er mit den Schultern. Warum er so zurückhaltend mit seiner Gildenidentität umging? Er könnte Rownan jetzt ganz viel aus seinem Privatleben erzählen, von seiner Vergangenheit, seinem Weg, den ihn zu Crimson Sphynx geführt hatte und seiner Verwandtschaft zum Gildenmeister. Aber natürlich entschied sich Lian dagegen. Er lächelte immer noch, als er den Blick des Wolfes erwiderte. „Meine Gildenzugehörigkeit ist nicht relevant, um diesen Auftrag zu erfüllen“, war die erste sachliche Antwort, die er bekam. Aber natürlich gab es da noch mehr: „Außerdem kannst du es vielleicht verstehen, dass es auf meiner Favoritenliste nicht ganz oben steht, mich an einem frischen Frühlingsmorgen mitten auf einem Bahnhof oben herum nackig zu machen, um irgendeiner dahergelaufenen Dame auf Befehl meinen Rücken zu zeigen. Ist ziemlich kalt, so ohne Fell.“ Tatsächlich wusste der Illusionsmagier gar nicht, inwieweit der andere Magier das Problem überhaupt verstand. Naja. „Oh und ich danke für die aufmunternden Worte. Ich weiß leider zu gut, wie es in diesem Business so läuft.“ Der Falls war nie ein echter Teil der gehobenen Gesellschaft gewesen, in seiner Kindheit und Jugend aber oft genug von genau diesem Teil der Gesellschaft mit missfälligen Blicken und Kommentaren abgespeist worden, wenn er es gewagt hatte, sich als Teil der ärmeren Bevölkerung in ihre Nähe zu begeben. Natürlich einer der Gründe, die Lian so hatten werden lassen, wie er heutzutage war. „Ein Grund, warum ich dieses Business nicht leiden kann. Aber keine Sorge, ich bin ein Meister darin, mich für die gehobenen Damen und Herren anzupassen und ihnen bei Bedarf in den Hintern zu kriechen.“ Um Rownan gleich die Sorge zu nehmen, dass er durch Lian als Ballast einen schlechten Eindruck bei seiner geliebten Natalie hinterlassen könnte. Er winkte ab. „Wollen wir uns den Zug mal ansehen? Und danach sollten wir uns vermutlich ein bisschen in Schale werfen, um den Damen und Herren auch zu gefallen. Meine Haare kann man in ihrem jetzigen Zustand ja wirklich keinem zivilisiertem Menschen zumuten.“ Er grinste amüsiert, als er das Urteil von Natalie ungeniert wiederholte.
Möglicherweise war Lian nicht so verkehrt, wie es der erste Eindruck ihn glauben lassen wollte? Fehlanzeige! Rownan schien also doch ein ganz gutes Gespür für Menschen und menschliches Verhalten entwickelt zu haben, ganz unabhängig von den physischen Reizen, die fortwährend seine Sinnesorgane strapazierten. Der Crimson Sphynx Magier verdeutlichte diese Feststellung durch seine extrovertierte Gestik und seine dazu passende, und mit Sicherheit wohlüberlegte, Akzentuierung. Es kam nicht häufig vor, dass der Wolf jemanden, den er nicht kannte, auf Anhieb so entgegenkam aber die Reaktion seines Gegenübers bestätigte ihm auch diese Verhaltensweise. Trotzdem nahm er einen innerlichen Hauch von Enttäuschung wahr, allerdings eher aus dem beständigen Gefühl heraus, dass der braunhaarige Magier mit der zotteligen Frisur sich selbst am meisten im Weg stand. Wohlmöglich brauchte dieser einfach noch mehr Zeit, um seinen Platz zu finden. Die Spitze, die daraufhin folgte, tangierte den Satyrs Magier nun nur noch peripher. Natürlich schätzte er die Konsequenz und Stringenz der Leiterin. Jedoch war er immer noch in der Lage für sich selbst zu denken und keine wilde Bestie, die man zähmen konnte. Beide hatten also ihre Entscheidung getroffen, wie sie in diesem Auftrag miteinander umgehen wollten. Das musste Rownan respektieren, auch wenn die Kränkung seiner Ehre und die Verbalisierung der hypothetischen Handlungen einen bitteren Nachgeschmack in der Schnauze hinterließen. Neben eines schwachen Charakters gesellte sich also auch Rassismus zu den Eigenschaft seines Partners. Es war daher nicht verwunderlich, dass seine Gegenseite dachte er würde über ihn herfallen. Aber das war etwas, was den Hybriden schon lange nicht mehr störte, im Gegenteil. Es bestätigte ihn eher in seinem Sein, seinen Werten und Fähigkeiten, die er sich über die letzten dreizehn Jahre angeeignet hatte. Aber nicht nur darin bestätigte es ihn, sondern auch in dem Bild, welches Crimson Sphynx in Fiore hatte. Es war eben immer noch ein Haufen Verbrecher, die verzweifelt versuchten, etwas zu sein, das sie nicht waren und vermutlich niemals würden sein können. Kurz hob er die Hand, um diesem Unmut kundzutun, entschied sich dann doch dagegen und ließ sie lieblos sinken, während seine Mimik sich versteifte, besonders darauf achtend seine ausgeprägten Eckzähne, ja sein ganzes Gebiss, zu verbergen. Sie waren geschäftlich hier und geschäftlich war es, was Lian bekäme. Rownan war froh darüber, dass er so ruhig geblieben war. Normalerweise war Temperament nicht eines seiner Probleme, doch nach dem Zwischenfall beim letzten Mal, misstraute er seinen Emotionen, besonders denen, die sich in Wut oder Frust manifestierten. Und Lians permanentes, frecher und herausforderndes Grinsen, hätte wie Öl ins Feuer wirken können. Solche Gelegenheiten wie diese waren daher optimale Trainingsbedingungen seine animalischen Instinkte näher kennen zu lernen und ihre Stärke und ihre Frequenz zu beobachten. Vielleicht hätte er jetzt sogar geknurrt, hätte sein neuer „Kumpel“ es nicht so maßlos übertrieben. Solle er nur weiter lächeln. Diesen Wölfling würde so schnell nichts mehr aus der Fassung bringen. Die Vorstellung, die zwar nur kurz, dafür aber intensiv in seinen Schädel drang, in welcher er die Kehle des Jungen mit Leichtigkeit fixierte, verdrängte er daraufhin schnell. Sie waren sich zwar nicht grün aber dennoch keine Feinde. Und das einzige Essen, dass seinen Gaumen berühren würde, wäre am Ende einer Gabel.
Zu der Überraschung des Magiers ging jener dennoch auf seine weitere Frage ein. Damit hatte er nach dem Spruch vorhin nicht mehr gerechnet. Allerdings betonte er nur das Interesse daran, möglichst unpraktikable, anfeindende und auch sonst wie oberflächliche Äußerungen von sich geben zu wollen, denn es mündete eher in einer Feststellung als in einer wirklichen Erklärung mit einer weiteren Prise Verachtung Rownans Gestalt gegenüber. Dem Anschein nach hatte er mit der tiefergründigen Thematik doch Recht, auch wenn Lian kein Interesse daran hatte es mit ihm zu teilen. Das war etwas, was der Grauhaarige ihm nicht mal übelnehmen konnte, kannten sie sich doch nicht länger als einige Minuten, obwohl besonders solche Informationen zu teilen zur Stärkung einer vertraulichen Arbeitsatmosphäre beigeträgen hätte. Bestärkt wurde diese wieder aufkommenden Annahme nicht zuletzt durch die Reaktion auf Adel, Reichtum und die High Society, die sich am heutigen Tage hier versammelte. Doch auch hier blieb er oberflächlich, versicherte ihm jedoch, dass er zumindest im Kontext des Auftrages seine Rolle spielen konnte. Das musste vorerst genügen. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob die Laissez-faire Art auch im Ernstfall seine dominante Charaktereigenschaft wäre. Darüber zu philosophieren brachte beide nicht weiter. Das Gespräch schien damit beendet zu sein, denn auch Rownan hätte an dieser Stelle weder gewusst, was er noch sagen sollte, noch das Interesse daran sich über das Maß hinaus zu unterhalten. So bestätigte er die Frage nur mit einem Nicken. Da sie sich bereits am vordersten Wagen befanden, richtete der Wolf seine Waffengehänge, um eventuelle Beschädigungen im innere zu vermeiden und betrat den Zug. Lange würde er sich nicht in jedem Abteil aufhalten, solange er nicht die etwas geschlossenere Arbeitskleidung trug. Er war sich sicher, dass Natalie es mehr als ernst gemeint hatte.
So wirklich viel Reaktion bekam Lian nicht auf seine Worte – nicht, dass er da etwas dagegen hatte. Irgendwie war es ja doch eine bewusste Entscheidung von ihm gewesen, den kurzen Anflug von Entgegenkommen, den Rownan gezeigt hatte, schnell wieder im Keim zu ersticken. Der Wolf lag mit seiner Vermutung gar nicht falsch: Der Illusionsmagier stand sich in vielerlei Hinsicht selbst im Wege. Teamarbeit, Zusammenhalt und Vertrauen waren alles drei Dinge, die der Falls leider überhaupt nicht konnte oder je verinnerlicht hatte. Er sah sich als Einzelkämpfer und trug ein stetes Misstrauen in sich, wenn es darum ging, sich auf andere Personen einzulassen. Es war also mehr ein Abwehrmechanismus von Lian gewesen, dass er sofort hatte klarstellen wollen, dass er sich mit Sicherheit nicht zum Wohle des Teams dieser Natalie untergeordnet hatte, sondern nur ein Interesse sich selbst gegenüber dabei verfolgt hatte. Das Lächeln, das der Falls stets auf seinen Lippen trug und in der Zusammenarbeit mit dem Hybriden nur noch mehr Öl ins Feuer kippte, war im Endeffekt die Abrundung seines Versuchs, sich von anderen Menschen möglichst abzuschotten. Denn solange der Falls grinste, konnte er Rownan gegenüber alle anderen Emotionen aus seinem Inneren verstecken und ließ sich keine Schwäche anmerken. Was das anging, waren der Hybride und der Illusionsmagier sich irgendwie sogar ähnlich, denn auch der Wolf wollte sich seine vielen Sorgen, Gedanken und vielleicht auch Ängste offensichtlich gegenüber einer Person wie Lian nicht anmerken lassen und es erst recht nicht thematisieren, weshalb er einfach einen emotionslosen Gesichtsausdruck aufrechterhielt, seine Fangzähne versteckte und nichts sagte. Vielleicht hätten sie sich ganz gut verstanden, wenn sie beide miteinander sprechen würden? Vielleicht. So war es aber der Fall, dass sowohl Lian als auch Rownan lieber mit ihren Gedanken und Problemen für sich blieben, da es eine Zone war, in der sie sich beide sicherer fühlten. Ob sie das bei der Arbeit den gesamten Auftrag über aufrechterhalten konnten? Oder würde es doch irgendwann zwischen beiden knallen und beide ihre Komfortzone verlassen? Man konnte es fast schon hoffen…
Gut, egal. Erstmal ging der Auftrag weiter und Lian folgte dem Hybriden brav in den Zug. Gleich im Eingangsbereich konnten sie eine hübsch eingerahmte Karte mit Beschreibung der verschiedenen Abteile vorfinden. Wie sich schnell herausstellte, mussten die Magier einmal durch den gesamten Zug laufen, um im hintersten Abteil – der dem Team vorbehalten war – anzukommen. Da mussten sie mit Sicherheit auch hin, um sich umzuziehen, weshalb der Plan schnell feststand: Einmal alle Abteile durchqueren, sich einen Eindruck machen und dann die Kleidung wechseln. Lian staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass die Abteile dieser luxuriösen Lokomotive gänzlich anders gestaltet waren als die Züge, mit denen er als normaler Bürger in der Regel unterwegs war. Hier ging es nicht darum, möglichst viele Menschen für längere Strecken mit vielen Haltestellen unterzubringen, sondern einem ausgewählten Kreis an Leuten eine anagenehme Reise mit viel Aussicht und Luxus zu ermöglichen. Das erste Abteil war eine Art Ruhebereich, in dem es einige Sofas, ordentlich eingeräumte Bücherregale und sogar abgetrennte Bereiche mit Schlafmöglichkeiten gab – wer auch immer sich auf so einer kurzen Zugfahrt wirklich hinlegen wollte. Die Abteile, die danach kamen, waren deutlich interessanter: Rownan und der Falls gingen nicht durch einen schmalen Gang zwischen vielen Sitzplätzen hindurch, sondern fanden sich in einem ziemlich offen gestalteten Raum wieder. Wie konnte es hier drinnen so viel Platz geben? Einzelne Sitzgruppen und runde Tischen standen verteilt im Abteil, großen Fensterfronten und Lautsprechern, aus denen bereits jetzt eine leise, klassische Musik trällerte. Die Sitzplätze waren allesamt mit rotem Brokatstoff mit goldenen Elementen bezogen und wirkten durch die hohen Lehnen und Kopfpolster recht schwer. Hier trafen sich die wichtigen Menschen, um wichtige Gespräche miteinander zu führen und dabei durch die Fenster einen tollen Ausblick zu haben? Lian betitelte diesen Bereich gedanklich als den Gesellschaftsbereich. Danach kam der für die Magier interessantere Bereich: Das Restaurant. Zwei Männer wirbelten noch durch das Abteil und polierten die dunklen Holztische, richteten die Kerzen, Besteck und Teller, sodass alles akkurat und richtig lag. Die Stühle um die Tische wirkten hier weniger schwer als jene im Gesellschaftsbereich, sodass es im Raum deutlich mehr Platz gab – nur sinnvoll, wenn man bedachte, dass hier später sicherlich einige Kellner vollbeladen mit Tellern und Getränken zwischen den Tischen hin und herlaufen mussten. In der Mitte gab es besonders viel Platz, was vielleicht aufgrund des geplanten Auftritts des Zirkus so war? Lian und Rownan besahen sich auch die Bar, die am Ende des Abteils zu finden war, aber an sich so aussah wie jede andere Bar auch: Eine hölzerne Theke, davor einige Hocker, auf denen Kundinnen und Kunden Platz nehmen konnten. Im Hintergrund ein großes Regal mit allerlei Getränken sowie unendlich viele Gläser verschiedener Größe und Form. Das waren zumindest die ersten Dinge, die dem Illusionsmagier sofort auffielen. Das Restaurant grenzte natürlich direkt an die Küche, der Lian aber nicht besonders viel Aufmerksamkeit schenkte. Auch hier wuselten bereits einige Personen herum und schienen sich auf den Ansturm vorzubereiten, den es hier später geben würde. Naja und dann kamen sie endlich im letzten Abteil an: Der Teambereich. „Heh! Ihr da, zieht euch hier um!“, rief ihnen eine Frauenstimme zu, kaum dass Rownan und Lian das Abteil betreten hatten. Der Falls sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und erkannte eine Frau mit kurzen, blonden Haaren, die hastig auf einen mit Vorhängen abgetrennten Bereich deutete. Just in diesem Augenblick wurde der Vorhang zur Seite gerissen und ein junger Mann trat heraus, der die gleiche Uniform trug, die auch bald an Lian und Rownan zu finden sein würde. Zur rechten Seite waren Spiegel, dort richteten einige Mitarbeitende nochmal ihre Frisur oder ihr Make-Up. Zur linken Seite waren diverse Spinte zu sehen, in der die Leute ihre persönlichen Utensilien unterbringen konnten. Ansonsten… fiel dem Illusionsmagier nicht viel auf. Er sah zum Hybriden, der den gesamten Weg durch den Zug über stoisch geradeaus gestarrt hatte. Was der wohl dachte?
Mit der ersten Stufe im Zug atmete er einmal tief ein und aus. Tatsächlich wäre er in diesem Moment gerne allein mit seinen Gedanken gewesen, um all die Eindrücke zu verarbeiten, die gerade auf ihn eingeprasselt waren. Zumindest wollte er sich das weismachen. Aber etwas in ihm sträubte sich dagegen. War es etwa seine animalische Seite, die an seinen gedanklichen Ärmel zog, wie ein kleines Kind, dass verzweifelt um Aufmerksamkeit bettelte nur um dann nicht zu wissen, was es mit eben dieser machen sollte? Oder nagte etwas anderes an ihm? Langsam beschlich Rownan das Gefühl, dass es sich um letzteres handelte. Frustriert, doch ohne Lösung, rümpfte er die Nase im ersten Abteil und nahm all die Gerüche auf, die für diesen so speziell waren. Die Karten, die im Eingangsbereich vor dem Ruheabteil hing, überflog er nur beiläufig. Der Bereich bot einige Möglichkeiten sich zu verstecken. Da jedoch noch sämtliche Vorhänge aufgezogen waren, ließ sich dieses kleine Gebiet in einem Blick gut sondieren. Die wenigstens Gäste würden auf dieser kurzen Reise hiervon gebrauch machen allerhöchstens diese, die nur für die Publicity hier waren aber kein Interesse daran hatten, in ihrem gesellschaftlichen Kreis zu interagieren. Darüber hinaus bestätigte sich seine Vermutung, dass das innere des Zuges ebenso luxuriös war, wie der äußere Teil, was nicht zuletzt am Material der Vorhänge, der Bettwäsche oder eigentlich allem zu erkennen war, was ihre Augen erblicken konnten. Warum konnte er sich nicht auf den Auftrag konzentrieren? Der „Schlagabtausch“ mit Lian spielte sich immer und immer wieder in seinen Gedanken ab, wie das Mantra eines Gottesfürchtigen. Dabei war die Antwort, die ihm bei der x-ten Schleife kam, doch so simpel: Für jemanden, der gewohnt war, dass sich alle anderen Personen entweder in höherer Stellung zu ihm befanden oder erst gar nicht mit ihm interagierten, war das Aufeinandertreffen mit einer Person, die ihm, zumindest auf dem Papier, gleichstellst war eine durchaus signifikante Differenzerfahrung. Ehrlichkeit und Transparenz waren Eigenschaften, die Rownan gewiss auf die ersten Plätze setzte, wenn ihn jemand danach fragen würde. Diese Ehrlichkeit, nicht primär die Neugierde, war es, weshalb er den Braunhaarigen so direkt gefragt hatte. Doch, nachdem er Kontra bekommen hatte, versteckte er sich lieber in seinen Gedanken, statt seinen Mann zu stehen. Möglicherweise war genau das der Punkt, der ihn so störte? Er scheute sich vor einem Konflikt mit einem rassistischen Jungen, welcher selbst gefangen war in seinen Unsicherheiten und dies in einer Stärke versuchte zu überspielen, die er gar nicht besaß!? Und dadurch verhielt sich der Satyrs Magier verhielt sich auf eine Weise genauso, wie es sein Gegenüber tat, das er genau aus diesem Grund doch innerlich schon zu verachten begann! Eine Ähnlichkeit, die Rownan erneut einen Ziehen an seinem imaginären Ärmel spüren ließ, was ihn dazu brachte erneut aus- und einzuatmen. Hier war nicht der richtige Ort für eine Konfrontation. Dieser käme noch. Aber wie könnte er die zweite Runde eröffnen? Die Möglichkeit einer guten Beziehung zwischen den beiden aufgrund dieser Ähnlichkeiten war nun nur noch ein entfernter Gedanke im Kopf des Grauhaarigen, wenn er diesen überhaupt im Laufe seines gedanklichen Monologes überhaupt gehabt hatte. Solange diese Positionen und Gedanken ungeklärt blieben, wusste er, dass er nicht hundertprozentig professionell würde agieren können.
Der nächste Abteil schien das Herzstück der Reise zu sein und in Anbetracht des vorherigen Abteils wohl der Ort, an dem die Zauberer die zweite und letzte Hälfte ihres Auftrittes absolvieren würden, wenn er den Geruch des folgendes Abschnittes richtig deutete. Ähnlich bereits dem Schlafbereich, waren keine Kosten gescheut worden, diesen Zug in ein fahrendes Luxushotel zu verwandeln, um auch der letzten Person zu verdeutlichen, wie diese Leute verkehrten, dinierten und schlichtweg lebten. Erstmals seit dem Treffen auf Natalie spürte der Wolf ein wohlig warmes Gefühl in seiner Körpermitte. Auch wenn er auf Dauer in einem solchen Beruf nicht glücklich werden würde, weil sich seine Fähigkeiten hier nicht großartig verbessern würde, war es doch ein schönes Gefühl wieder an einem solchen Ort sein zu dürfen. Dabei lag die Betonung ganz klar auf der Erlaubnis. Vielleicht wäre dies ein erstrebenswertes Ziel innerhalb der Gilde und jenseits des Trainings? Beinahe wäre er gedanklich abgeschweift, wäre ihm nicht die leichte Fahne von Lian in die so empfindliche Nase gestiegen. Rownan brauchte noch immer einen Plan und viele Abteile würden nicht mehr kommen. Letztlich gab es nur zwei logische Herangehensweisen: Die intellektuelle oder die körperliche. Sie mussten sich so oder so noch über ihre Positionierung im Zug unterhalten. Das könnte er nutzen, um seinem Unmut Luft zu machen und die Differenz, die in seinem Inneren brütete, aufzulösen. Dann wiederum gab es noch die brachialere Variante. Während Lian sein Gildenzeichen präsentieren musste, hatte er den Jungen bereits oberflächlich gemustert. Im direkten Zweikampf hatte der Grauhaarige die Oberhand und aufgrund der Enge des Zuges leichtes Spiel ihn zu übermannen. Dann könnte er die Aussagen des Crimson Sphynx Magiers richtigstellen. Der Gedanke an ein Kräftemessen brachte sein Blut bereits etwas in Wallung. Allerdings hegte diese Vorgehensweise die Angst genau die Vorurteile im Gegenüber zu schüren, die sein Partner bereits auf dem Bahnsteig geäußert hatte. Wenn er jedoch davon ausging, dass auch diese Äußerungen zu seiner Unsicherheit gehörten, könnte er ihm gerade dadurch vielleicht die Sätze entlocken, die den Pelzigen innerliche Ruhe verschaffen konnten. Er und Lian mussten keine Freunde werden. Dennoch wollte Rownan mit Respekt behandelt werden, seine Ehre wiederherstellen und dazu zählte für ihn eine ehrliche Interaktion. Und jener war nicht ehrlich gewesen. Davon ging er jetzt jedenfalls aus. Denn im Gegensatz zum dunkelhäutigen, trug er alles was ihn verunsichern konnte offen zur Schau, ob er es wollte oder nicht. Den Luxus etwas zu verstecken war ihm nicht vergönnt. Es wäre doch gelacht, wenn ihn genau das nach dreizehn Jahren auf einmal aus der Bahn wirft! Ebenso wie der Gesellschaftsbereich, war im Restaurant jede Ausstattung, jede Platzierung wohl überlegt. Geld schien hier, wie zuvor im restlichen Zug, keine Rolle zu spielen. Wohlmöglich hatten in dieses Projekt etliche Leute investiert, die sich hierdurch eine ordentliche Dividende erhofften. Kein Wunder also, dass man Magier engagiert hatte bzw. engagieren konnte. Es sollte nichts dem Zufall überlassen sein. Die Bar am Ende des Abteils war für ihn von besonderem Interesse. Hier könnte er einen von zwei Abteilen gut im Blick haben, seine Haare bei sich behalten, und zudem den Degen noch bequem verstauen, ohne zu viel Aufsehen zu erregen.
So wie er den Magier bis jetzt eingeschätzt hatte, wären sie sich im operativen Geschäft schnell einig. Dies bedeutete wiederum, dass die zivilisierte Art nicht zum gewünschten Ergebnis führen würde. Es musste also körperlich ausgetragen werden. Innerlich seufze Rownan, waren sie doch im Kern so zivilisierte Wesen. Aber Schmerz war schon immer ein guter Lehrmeister gewesen. Die Küche bildete das vorerst letzte Abteil ihrer Reise, denn danach folgte nur noch der Bereich der Bediensteten. Diesen würden sie im Vorfeld prüfen müssen, da es im späteren Verlauf keine sinnvolle Möglichkeit geben würde hierhin zurückzukehren. Kaum hatten sie eben jenen erreicht, blaffte sie bereits eine von Frau Moreaus Teamleiterinnen an. Sie waren also tatsächlich auch dem Team gegenüber Anonym. Sehr erfreulich. Logischerweise waren die Umkleiden provisorisch eingerichtet worden, weshalb es dem Anschein nach eine Sammelumkleide für Frauen und Männer gab. War also nun die Zeit des Wolfes gekommen sich zu entblößen. Sein Partner blickte zu ihm, weshalb er, immer noch stumm, auf die „Umkleide“ deutete, aus der zuvor ein junger Mann gekommen war, ehe er sich selbst in diese Richtung in Bewegung setzte, jenem jedoch den Vortritt ließ und den Vorhang hinter ihnen zuzog. Wie zu erwarten war, waren die beiden die letzten, die sich noch in Schale zu werfen hatten. Von außen nicht einzusehen, konnte hier gewiss vier bis fünf Personen sich umziehen. Es war demnach etwas Bewegungsspielraum aber vor allem waren sie eines: allein. Nachdem Rownan Veste und Krawatte abgelegt hatte und dabei war sein Hemd zu öffnen, entschied er sich die unangenehme Stille zu brechen. „Glaubst du, ich hätte dich auf dem Bahnsteig nicht übermannen können, wenn ich es aus freien Stücken gewollt hätte“? fragte er Lian, während er weiter aufknöpfte. Dass er muskulös war und noch dazu hart im Nehmen, würde jener sicher gleich erblicken. Seiner eigenen Mimik schenkte er dabei keiner Beachtung. Natürlich würde diese Frage noch nicht reichen, um das arrogante, falsche Lächeln zu beseitigen aber es diente auch eher dazu, seine wahren Absichten zu verschleiern. Und es wäre so viel ehrlicher, wenn es erst im Verlauf ihrer Interaktion verschwinden täte.
Meine Güte, der Hybride machte sich ja richtig viele Gedanken, während er zusammen mit Lian die verschiedenen Abteile des Zuges besichtigte. Zugegeben: Er machte sich deutlich mehr und auch sinnvollere Gedanken als der Crimson Sphynx Magier, der die Eindrücke größtenteils unkommentiert auf sich wirken ließ. Rownan ging professioneller an die Quest heran: Zum einen identifizierte er mögliche Verstecke im Zug, aber überlegte sich auch sofort, wo er sich selbst während des Auftrages positionieren oder seine Waffen für den Notfall schnell erreichbar unterbringen konnte. Als wäre das nicht schon genug Einstellung, wovon der Falls sich eine Scheibe hätte abschneiden können, war das noch nicht alles! Der Wolf dachte auch ausufernd darüber nach, wie die Zusammenarbeit des Teams verbessert werden könnte. Wenn Lian das mal geahnt hätte! Da der Hybride bisher stoisch schwieg und geradeaus starrte, ging der Braunhaarige davon aus, dass Rownan wenig Interesse an ihm oder der Zusammenarbeit hegte und das so schnell auch nicht besser werden würde. Nicht, dass Lian daran unschuldig war, immerhin versuchte er ja auch nicht, die Differenzen aus der Welt zu schaffen. Also, welche Optionen für eine Klärung ihrer Probleme sollte es geben? Intellektuelle oder körperliche Auseinandersetzung? Bei der ersten Option würden Lian und Rownan sich zusammen hinsetzen und sich in Ruhe die Zeit nehmen, um miteinander zu sprechen. Sie würden zum Ausdruck bringen, was sie aneinander störte, welche Ängste und Sorgen sie hatten und wie sie ihre Probleme am Ende zusammen lösen könnten. So ganz zivilisiert. Klang das nicht hervorragend? Nee. Natürlich nicht. Viel zu einfach! Wer wollte schon viel Zeit mit Gerede verschwenden, wenn er sich auch prügeln konnte? Vielleicht hatte Rownan sich in seinen vielen Überlegungen ein Stück weit verrannt, als er zu dem Schluss kam, dass eine körperliche Auseinandersetzung eher ans Ziel führen würde als ein unverfälschtes Gespräch. Eigentlich war es sogar ziemlich amüsant, dass ausgerechnet ein Wolf, der so angetan von gehobener Gesellschaft war und sich seine animalische Seite nicht zu sehr anmerken lassen wollte, sich sogar persönlich angegriffen fühlte, wenn sie thematisiert wurde, gerade jetzt dazu tendierte, einen direkten Kampf zur Lösung von Problemen provozieren zu wollen. Wenn Lian gewusst hätte, welche Pläne sein Kollege gerade schmiedete, hätte er vielleicht sogar aufgrund dieser Zusammenhänge laut aufgelacht. So jedoch blieb der Falls unwissend und ahnte nicht, was ihn erwartete, als er Rownan nach sehr kurzem Blickkontakt in die Umkleidekabine folgte. Das konnte doch nur lustig werden, oder?
Die Kabine war so groß, dass sich mehrere Personen zeitgleich hätten umziehen können. Überraschenderweise waren die Magier jedoch alleine, als der Vorhang hinter ihnen schwungvoll geschlossen wurde. Lian sah sich nur kurz um, bevor er sich auf eine behelfsmäßig aufgestellte Bank am Rande der Umkleide zubewegte und seine Tasche mit der Uniform darauf warf. Lian hatte immer noch wenig Lust, seine angenehm weite Kleidung gegen die enge Uniform des Zugpersonals zu tauschen, hatte sich mit seinem Schicksal aber bereits am heutigen Morgen abgefunden. Er seufzte leise, packte dann den Saum seines schwarzen Kapuzenpullovers und zog ihn sich in einer Bewegung über den Kopf. Er hatte Rownan den Rücken zugedreht, weshalb der Kollege nun erneut einen guten Blick auf das rote Abzeichen von Crimson Sphynx zwischen den Schulterblättern werfen konnte. Der 19-Jährige beugte sich gerade über seine Reisetasche, öffnete den Reisverschluss, als unerwartet die dunkle Stimme von Rownan die Stille zwischen ihnen brach. Moment. Hatte er das gerade richtig verstanden? Der Falls drehte sich ungläubig zu dem Kollegen um, der seelenruhig sein Hemd weiter aufknöpfte. Und doch erkannte Lian eindeutig das überhebliche Funkeln in den Augen des Gegenübers. Der Illusionsmagier konnte nicht anders, das Grinsen kehrte automatisch auf seine Züge zurück. Und das Grinsen war nicht einmal gespielt! Es war eher eine Mischung aus Unglauben und echtem Amüsement, dass eine solch offene Provokation ausgerechnet von diesem Schnösel Rownan kam. Die ganze Zeit über hatte der einen Stock im Arsch und jetzt sowas? Zeigte sich jetzt, bei zugezogenem Vorhang, etwa der echte Rownan – weniger versteift und deutlich direkter? Der Falls war niemand, der für einen Zweikampf gemacht war. Er war ein Illusionist, ein Trickser, wenn überhaupt ein Fernkämpfer und das war ihm bewusst. Und doch spürte auch Lian, dass die Provokation trotz des Wissens über seine eigenen Schwächen nicht spurlos an ihm vorbeiging. Die grünen Augen huschten über den nicht nur größeren, sondern eindeutig auch deutlich breiteren Körper des Hybriden. Es bestätigte seine Vermutung: Was er im Fernkampf konnte, konnte dieser Typ sicherlich im Nahkampf. Schlechte Karten für den Illusionsmagier. „Rownan, Rownan, Rownan~ Ich glaube, ich habe dich falsch eingeschätzt“, säuselte der Braunhaarige und neigte den Kopf leicht zur Seite, ohne sich seine Überlegungen direkt anmerken zu lassen. Die Mundwinkel blieben erhoben, doch die Augen des Falls verengten sich. „Aber ich muss sagen, dass mir dieser Rownan deutlich sympathischer ist.“ Er musterte den Wolf eingehend, bevor ein leises Seufzen seinen Lippen entwich und er ergeben die Hände hob. „Keine Frage, dass du mir körperlich überlegen bist.“ Weil er ein Wolf war? Irgendwie schon. Nicht umsonst waren Wölfe Raubtiere, oder? Seine gesamte Anatomie war darauf ausgelegt, Beute niederzustrecken, anders als der einfache Mensch, der mehr für die Vorsicht und Flucht gemacht war. Lian fühlte sich selbst aufgrund dieser Gedankengänge nicht rassistisch, er zählte für sich nur körperliche Fakten auf. Dass diese Gedankengänge etwas waren, was Rownan persönlich traf, bedachte der Braunhaarige nicht. Anstatt sich weiter zu ergeben, grinste der junge Mann plötzlich wieder und die grünen Augen blitzten selbstbewusst auf. Auch einem Wolf half seine körperliche Überlegenheit nicht, wenn er seine Beute nicht zu fassen bekam, oder? „Lass mich die Gegenfrage stellen: Glaubst du, ich hätte zugelassen, dass du mich einfach so übermannst?“ Denn körperliche Stärke war nicht alles, oder? Der 19-Jährige trat einen Schritt auf seinen Kollegen zu und breitete einladend die Arme aus, während seine Nase ein gutes Stück nach oben wanderte. Kampflos würde sich Lian sicherlich nicht ergeben. „Na? Wir haben sicherlich die Zeit für einen Versuch. Schauen wir, wer von uns beiden wen übermannt“, endete er. Der Crimson Sphynx Magier war sich noch immer nicht ganz sicher: War das eine leere Provokation gewesen und Rownan würde sich nun unverrichteter Dinge umdrehen? Oder ließ er sich tatsächlich auf die Konfrontation ein? Rin konnte man ihre Emotionen sehr deutlich an ihren Ohren und ihrem Schweif ansehen, ob das bei Rownan auch der Fall war? Der Puls des Falls stieg merklich, während er gespannt wartete. Man konnte die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, förmlich spüren – entlud sich gerade all der Frust und Ärger, den sie vor den anderen Leuten nicht hatten zeigen können?
Natürlich war Rownan der Blick auf den entblößten Rücken seines Gegenübers nicht entgangen, bevor er das ausgesprochen hatte, was gut und gerne als eine Herausforderung gesehen werden konnte. Nicht zuletzt diese Aussicht war es, die ihn vielleicht dazu brachte, die letzten Meter zu überbrücken und seine Gedanken laut auszusprechen. Es war eine rhetorische Frage gewesen. Wenn er eines über Lian wusste, war es, dass dieser nicht auf den Kopf gefallen war. Im Gegenteil. Aber das übergeordnete Ziel war es noch immer reinen Tisch zu machen und irgendwo tief drinnen auch das arrogante, falsche Lächeln, zumindest für einen Bruchteil, in einen respektierenden Gesichtsausdruck zu verwandeln. Kaum hatte die Aussage die Ohrmuschel des Magiers erreicht, drehte sich dieser auch bereits zum Wolf um. Wie vorhergesehen hatte es eine Reaktion hervorgerufen. Hätte ihn diese jedoch weniger tangiert oder, wie vielleicht in diesem Falle, interessiert, dann hätte dieser sich sicher nicht die Mühe gemacht sich extra umzudrehen, um dem Grauhaarigen in die Augen zu blicken. Stattdessen wäre es gewiss bei einem abfälligen Spruch über die Schulter geblieben. Diesen Moment genoss Rownan durch und durch und das war wohl von seinem Blick abzulesen als auch sein Handeln, das Aufknüpfen des Hemdes, unterstützte diese erhabene Situation. Aber der Augenblick des Sieges oder die Freude über den ersten guten Schachzug, sollte ihn nur kurz erheitern, denn, wie sollte es auch anders sein, kehrte das Grinsen auf das Gesicht des Crimson Sphynx Magiers zurück. Dieses gottverdammte Grinsen! Dabei hatte der Rüde im Kern gar nicht die Absicht gehabt Lian zu provozieren, oder doch? Er wollte ihn durch körperliche Dominanz aus seiner Komfortzone holen und ihn und sich dazu bringen ihre Differenzen im Angesicht des beginnenden Quest beizulegen. Sein steigender Puls verriet ihm jedoch, dass sich seine Rationalität bzw. seinen Versuch, zukünftige Handlungen rational darzustellen, allmählich verabschiedete. Noch hatte der Junge allerdings kein Wort von sich gegeben was wiederum bedeutete, dass die Wogen noch geglättet werden konnte. Wer jedoch die Kommunikation der beiden Miteinander beobachtet hatte, würde schnell feststellen, dass die Hoffnung auf eine Lösung dieses Konflikts durch Worte mehr als gering waren. Der Satyrs Magier jedenfalls hoffte noch, während das penetrante Ärmelgeziehe von zuvor von neuem begann.
Er merkte selbst wie diese Erfahrung ihn verunsicherte. Wenn er sich hier die Blöße gab, war es nur einer Person gegenüber, die er womöglich nie wieder sehen würde. Es hatte keine Konsequenz. Es war so fundamental anders als sein bisheriges Leben, wovon gut zehn Jahre ebenfalls ausgelöscht waren. Das wusste Lian jedoch auch nicht. Dennoch wurde es auch integraler Bestandteil ihres Konfliktes. Eventuell löste es auch Denkprozesse aus, die er über die Jahre schlichtweg verdrängt oder auch für sich abgeschlossen hatte. Rownan kannte sich nur so wie er war, obwohl er wusste, dass es eine andere Zeit gab, eine Zeit davor. Da er anderseits nicht mehr Informationen hatte und seine Umgebung und er selbst sich entsprechend verhielten, war es irgendwann für ihn klar, dass er ein Hybrid war und definitiv eher Wolf als Mensch. Aber auf diese Attribute so offensichtlich reduziert zu werden, kränkte wohl allem Anschein nach sein menschliches Ich. Dieses wiederum schien die animalische Seite als Werkzeug zu nutzen, um sich Gehör zu verschaffen. Ein Teufelskreis. Traurig, waren doch beide Akteure so viel mehr als die Eigenschaften, die sie einander bis jetzt gezeigt hatten. Unerwarteterweise starb die Hoffnung nicht sofort, als der Dunkelhaarige zu einer Antwort ansetzte. Und Lian hatte ihn gewiss korrekt eingeschätzt. Er war direkter, weil er es sein konnte. Rownan auf der anderen Seite hat Recht damit behalten, in seinem Gegenüber etwas angekratzt zu haben. Doch das Säuseln der Stimme, als jener seine Namen in den Mund nahm, dreimal um genau zu sein, war für ihn, als ob Öl ins Feuer gekippt wurde. Da war sie wieder, die gespielte Arroganz, die wohl das prägnanteste Pulverfass darstellte. Oh, du hast mich ganz und gar falsch eingeschätzt kommentierte der Hüne die erste Bemerkung innerlich. Indessen hatte sich etwas in der Mimik des Falls verändert. Die Augen waren nicht mehr synchron zum Lächeln. Da passierte etwas, dessen Ausmaße sich der Grauhaarige in diesem Moment noch gar nicht ausmalen konnte. Die anschließende Sympathiebekundung sorgte dafür, dass er selbst eine Augenbraue hochzog. Natürlich war der ironische Unterton noch zu hören. Aber welche Spitze hatte er sich für diese Einleitung zurechtgelegt? Zu seiner wirklichen Überraschung hob Lian darauf die Arme. Hat er es sich wirklich eingestanden? Die nachfolgenden Gedanken konnte er leider nicht ablesen, hätte es doch nur seine vorherigen Gedankengänge unterstrichen. Mensch gegen Tier waren hier gegeneinander geraten. Noch wartete der Wolf vorsichtig, ob noch etwas kam, denn noch hatte er nicht das Gefühl wirklich unter die Oberfläche gekommen zu sein, geschweige denn wirklich gehört worden zu sein. Als dann die Gegenfrage ausgesprochen wurde, war für Rownan klar, dass das alles hier kein gutes Ende nehmen konnte, weshalb er sich frustriert, fast schon enttäuscht, mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand den Nasenrücken massierte und dabei kurz die Augen schloss. Ach Lian, es tut mir jetzt schon leid. Noch immer fühlte Rownan sich in der erhabeneren Position, tat er doch seiner Meinung nach alles, was möglich war, um das tatsächliche Kräftemessen zu vermeiden. Aber sein Partner wollte es schlichtweg nicht eingestehen. Und wie er bereits zuvor dachte: Schmerz war ein guter Lehrmeister. Als er jedoch die Augen öffnete und jener noch einen Schritt vorgegangen war, ja sogar die Arme geöffnete hatte, wurde es auch dem Magier zu viel. Ihre Blicke trafen sich. Es war die letzte Möglichkeit einer friedlichen Lösung. Interesse daran zeigte keiner. Sein Hemd berührte den Boden. Die abschließende Provokation war das sprichwörtliche Zünglein an der Waage.
Für seinen nun Kontrahenten gut sichtbar, stellten sich seine Haare auf, die Zähne kamen fletschend hervor und auch ein Knurren entsprang seiner Kehle. Was Rownan jedoch selbst nicht bemerkt hatte war, dass seine Rute langsam hin- und herschwang. Der Wolf war erfreut darüber, dass es körperlich wurde! Ähnlich bereits einiger Konflikte der letzten Zeit, zeigte sich, dass ein Fechtkampf, ein sportlicher Fechtkampf, etwas grundsätzlich anderes war als ein echter Kampf. Und allem Anschein nach hatte der Grauhaarige im wahrsten Sinne des Wortes Blut geleckt. Ob dies seiner animalischen Seite geschuldet war oder er tatsächlich Freude im Konflikt verspürte, konnte er in diesem Moment gar nicht sagen. Jetzt gab es nur ihn und den Jungen. Er will übermannt werden? Er will ein Tier! So sei es! Statt seine Hände zu benutzten, sprang sein Maul explosionsartig nach vorne, da, wo sich die Kehle des Magiers befand. Natürlich hatte er nicht die Absicht ihn schwer zu verletzten, da seine Rationalität sich allerdings gerade verabschiedete hatte, hätte es zumindest eine bleibende Erinnerung hinterlassen. Wäre er nicht während des nach vorne Schnellens schlagartig geblendet worden. Es war naive zu glauben, dass Lian sich seine Provokation nicht gründlich überlegt hatte und so hatte dieser im gleichen Moment einen Zauber aktiviert, um sich aus der Schlinge zu befreien. Denn durch diesen stoppte Rownan und kniff die Augen zusammen. Passende Magie knurrte er innerlich. So war das erste, das seine Augen erblicken konnte, die Faust des Magiers, die in Richtung seiner Schnauze schoss. Ja, der Hybrid war ihm stärketechnisch überlegen. Allerdings waren die beiden wohl gleich schnell. Da die explosive Kraft seines ersten Angriffes sich nicht entfalten konnte, musste er dem Schlag ausweichen und verlagerte sein Gewicht nach hinten, weg von seinem Standbein. Just in diesem Moment spürte er, wie sich zwei Arme um seine Taille legten, eher der Lian, der zuvor noch nach ihm schlug, sich in Luft auflöste. Eine Illusion!? Kaum hatten sich die Arme um ihn gelegt, bemerkte er auch, wie diese Kraft aufwendeten. Kurz schluckte Rownan, immerhin war er auf seinem schlechteren Bein erwischt worden, bis er merkte, dass auf die erste Krafteinwirkung keine weitere folgte. War das wirklich alles? Wie auf einen Schlag fiel viel von der Frustration von ihm ab, die überhaupt zu dieser Situation geführt hatte. Aber konnte er ihn jetzt auslachen? Würde das ihre Probleme lösen? Dessen war es sich unsicher, allerdings musste er agieren, wenn Lian nicht als bald merken sollte, dass diese 90 Kilo Kampfgewicht sich nicht ohne weiteres zu Boden bringen lassen würden. So ganz hatte der Wolf die Strategie seines Partners nicht durchstiegen, dafür war auch keine Zeit mehr. Schließlich wollte er noch eine Reaktion hervorrufen und dafür musste er die Show am Laufen halten. Als ob ihn ein elektrischer Schlag getroffen hatte, stellten sich seine Haare von neuem auf, während sich jeder Muskel im Körper anspannte. Dann packte er die Arme des Magiers fest am Handgelenk, eine Art umgekehrte Umarmung, dabei darauf achten, seine Krallen nicht in das empfindliche Fleisch zu bohren, ehe er sich mit Schwung und vollem Gewicht auf diesen Fallen ließ. Man musste kein wirklicher Mathematiker sein, um zu wissen, dass Lian nicht in der Lage sein würde, diese Masse mit Schwung lange halten zu könnten. So kam es wie es kommen musste und Rownan landete auf dem Magier. Dies allein sollte schon reichen, um ihm die Luft aus der Lunge zu pressen. Da er sich jedoch unsicher war, ob dies bereits ausreichte, nutzte er das kurze Zeitfenster, um sich über dem Burschen zu positionieren, dessen Beine durch seine eigenen fixierend, während er beide Hände mit seinen eigenen wegstreckte. Seine Schnauze war so über dessen Gesicht, weshalb er es sich nicht nehmen ließ, von neuem zu knurren und den dabei produzierten Speichel in Richtung seines Opfers tropfen zu lassen. Trotzdem konnte man, wenn man genau schaute, eine Art Lächeln erkennen, das versuchte, sich zwischen der Drohung zu manifestieren. Er war amüsiert. Aber vielleicht musst er die Furcht Gottes in dem Jungen wecken, um irgendetwas jenseits der Fassade hervorzuholen. Egal wie es hier weitergehen würde, der Hybrid war sichtlich entspannter, und gespannt, wie sein Gegenüber jetzt reagieren würde, wo der Ball in seinem Feld war, während seine Rute noch immer gemächlich von rechts nach links schwang.
Lian beobachtete mit einer Mischung aus Faszination, Neugier aber auch mit einem gewissen Respekt, wie sich Rownans Fell sichtlich aufstellte und die spitzen Reiszähne, die er zuvor stets versteckt gehalten hatte, in seinem Maul aufblitzten. Ein dunkles Knurren, dass der Kehle des Hybriden entsprang, rundete das bedrohliche Bild ab und veranlasste den Falls trotz all der Überheblichkeit, die er ausstrahlte, die Situation ernst zu nehmen. Rownan glich gerade nicht mehr dem vornehmen Magier, der zu Beginn der Quest am Bahnsteig gestanden hatte – er verwandelte sich rein äußerlich mehr und mehr in ein Tier und ließ seine menschlichen Züge gänzlich hinter sich. Der Illusionsmagier wusste nicht, was es genau bedeutete, aber sein Verstand riet ihm dazu, nicht darauf zu vertrauen, dass Rownan Herr seiner Sinne blieb. Und so war es auch kein Faustschlag, mit dem der Kollege den Kampf eröffnete, so wie es ein Mensch vielleicht getan hätte. Lian sah das aufgerissene Maul, dass ihm entgegensprang und die scharfen Zähne, die den Weg an seine Kehle suchten. Okay, das war der letzte Beweis, dass das hier mehr als eine normale Rauferei war. Adrenalin machte sich im Braunhaarigen breit. Er fühlte sich nicht als Beute und hatte auch nicht vor, sich als solche geschlagen zu geben. Ehe das Maul den Illusionsmagier erreichen konnte, setzte dieser Feint Attack ein, um sich aus der Notlage zu befreien. Ein grelles Licht ließ Rownan innehalten, im nächsten Augenblick sah er einen direkten Angriff durch Lian auf sich zukommen, was nicht mehr als Ablenkung war.
Eigentlich lief alles nach Plan: Der Hybride wich dem scheinbaren Angriff nach hinten aus und verlagerte sein Gewicht, wodurch ihm in diesem kleinen Moment Standhaftigkeit fehlte. Zudem hatte die Illusion Wirkung gezeigt und Rownan erkannte erst zu spät, dass er in Wirklichkeit gar nicht angegriffen worden war, sondern einem Trugbild zum Opfer gefallen war. Ernsthaft: Lian war sicher gewesen, dass dieser Umstand mit dem Überraschungsmoment reichte, um ihn mit der ganzen Kraft zumindest zu Fall zu bringen. Dass sich der Hybride jedoch keinen Zentimeter rührte, als der Falls ihn umgriff, ließ ihn doch sehr verwundert blinzeln. War das möglich? Klar, Lian war nicht der Stärkste, aber so gar keine Reaktion, obwohl doch alles nach Plan gelaufen war? Der Braunhaarige fühlte sich schon ziemlich dämlich und hätte Rownan in dieser Situation sogar zugestimmt: So, wie es gerade lief, hatte der Falls auch keine Ahnung, welche Strategie er verfolgte. Doch ihm blieb keine Zeit, um sich lange mit diesen wenig produktiven Gedanken aufzuhalten, denn schon bald spürte der 19-Jährige, wie Rownan den Spieß umdrehte und sein Gewicht auf ihn verlagerte. Dieser Krafteinwirkung konnte der Illusionsmagier nicht lange standhalten und fiel schließlich mit weit aufgerissenen Augen rücklings in einem lauten Knall auf den Holzboden. Viel schlimmer als der Sturz auf den Rücken war allerdings das Gewicht des Wolfes, der sich ebenso auf Lian schmiss und ihm durch diesen Angriff sämtliche Luft aus den Lungen drückte. Scheiße Das lief alles andere als nach Plan. Ehe der Braunhaarige sich befreien konnte, fixierte der Kollege nicht nur seine Beine, sondern auch seine Hände oberhalb des Kopfes. Er konnte sich nicht mehr bewegen! Und da war es wieder: Dieses Knurren. Und… was tropfte da auf seine Wange?! Die Lider des Falls öffneten sich langsam und er erschrak tatsächlich einen Moment, als er auf die gefletschten Zähne der wilden Bestie starrte und ein weiterer Tropfen warmer Speichel von der Schnauze herabfiel. Und es stank! Ein fast schon modriger Geruch strömte dem Braunhaarigen entgegen, der mit jedem Atemzug stärker wurde, den Rownan tätigte. Er musste sich befreien, doch egal was Lian tat, wie sehr er auch zog und rüttelte, es half nicht. Arme, Beine, der gesamte Körper: Trotz der Kraft, die der Falls anwandte, konnte er sich aus dem festen Griff seines Gegners nicht befreien. Und seine Illusionen? Es fiel ihm beim besten Willen kein Trick ein, der ihn rettete. Der ihn vor dieser direkten Konfrontation bewahrte. Panik stieg im 19-Jährigen auf, er fühlte sich ohne seine Illusionen schrecklich hilflos und das war etwas, was man ihm für einen Moment auch recht deutlich vom Gesicht ablesen konnte, seine Gegenwehr ebbte ab, er schien sich mit seinem Schicksal abzufinden… Aber würde ihm Panik gerade helfen? Lian hielt inne, als ihm bewusstwurde, dass die Panik ihn lähmte. Er war schwächer? Er hatte keine Illusionen? Er wurde festgehalten? Es war egal, denn Lian wusste, dass er sich keinesfalls Rownan so einfach unterordnen wollte. Dieser Wolf dachte vielleicht, dass er der Beste und Stärkste war und dem Braunhaarigen einfach grundlegen überlegen war, dass er schon gewonnen hatte. Aber es waren keine Welten, die sie voneinander trennten. Er sollte sich irren! Lian, komm schon. Du bist nicht dumm, benutz deinen Kopf! ermahnte er sich gedanklich und brachte sich dadurch selbst wieder in Ruhe. Und dann kam ihm der Einfall… ohne lange zu zögern, schnellte Lians Kopf mit Wucht nach vorne und knallte gegen die feuchte Schnauze des Hybriden, der diese Gegenwehr offensichtlich nicht hatte kommen sehen. Das hatte nicht nur Rownan wehgetan… und doch hatte es die Wirkung, die der 19-Jährige sich erhofft hatte. Der Klammergriff um Arme und Beine lockerte sich für den Bruchteil einer Sekunde und das war es, was der Falls nutzte. Er zog beide Beine an und trat den Kollegen mit aller Kraft von sich in Richtung des anderen Endes der Umkleidekabine. Kaum hatte er sich von dem Gewicht Rownans befreit, rappelte er sich schwer atmend wieder auf und wischte sich in einer fahrigen Bewegung den Speichel von Rownan vom Gesicht. Er starrte kurz perplex auf die feuchte Handfläche. Okay, also das war echt… Bevor er den Gedankengang beenden konnte, zuckte Lian merklich zusammen. Ein pochender Schmerz breitete sich von seiner Stirn aus und vernebelte ihm das Hirn. Der Aufprall mit Rownans Schnauze war doch nicht spurlos an ihm vorbeigegangen... Ob er blutete? Lian war sich nicht sicher, konnte es aber auch nicht überprüfen, denn schon huschten die grünen Seelenspiegel zurück zu Rownan, der sich ebenso von dem Schlag erholt zu haben schien. Ob er gleich zum nächsten Angriff ansetzen würde? Das Lächeln war dem Illusionsmagier mittlerweile vergangen: Er starrte dem Hybriden mit zusammengezogenen Augenbrauen entgegen, die Hände angehoben und bereit, auf den nächsten Schlagabtausch zu reagieren. Vielleicht war der Plan Rownans gar nicht so falsch gewesen – Lian nahm ihn jetzt auf jeden Fall ernst und ihm war wirklich nicht nach Lachen zumute. Nicht einmal eine provozierende Aussage hatte seine Lippen verlassen! Er war sogar so fixiert auf seinen Gegner, dass er nicht mitbekam, dass es außerhalb der Umkleidekabine unruhig wurde. Ob man etwas von der Auseinandersetzung der Magier draußen hatte hören können?
Oh, was hätte er nur dafür gegeben in die Gedanken des Jungen eindringen zu können! Viel, denn dann hätte sich die darauffolgende Situation gewiss anders abgespielt. Da war er also, über Lian gebeugt mit so gut wie dem kompletten Repertoire seines Stammtieres am Werkeln. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis dieser endlich den Mund aufmachen würde. So wie er es gerade tat, um auf diesen zu speicheln. Natürlich wusste er nicht, dass der Geruch der sich dadurch entwickelte, abstoßender Natur war. Immerhin legte er viel Wert auf sein äußeres und eine gründliche Zahnhygiene gehört selbstverständlich dazu. Auf der anderen Seite wusste er natürlich nicht, wie lange die Effekte dieser Prozedur anhielten und spätestens, wenn man etwas aß oder trank, verflüchtigte sich der frische Effekt sowieso. Wären die Gedanken seines Gegenübers daher selbst im Angesicht des Todes beleidigend? Wohlmöglich. Dann erst bemerkte Rownan wie sich die Augen Lians, wenn auch nur für einen kurzen Moment, weiteten. Endlich! Jetzt sag etwas! dachte er frustriert in sich hinein, während er bemerkte, wie die Arme und Beine des Magiers versuchten sich aus seinem Griff zu befreien. Da der Moment des Schocks jedoch nur von kurzer Dauer waren, musste er davon ausgehen, dass im Kopf des Braunhaarigen die gedanklichen Räder heiß liefen. Versuchte er also immer noch zu überlegen, wie er sich aus dieser Situation befreien konnte? Hartnäckig war er also, das musste man ihm lassen. Nach einer Zeit, es fühlte sich auch für den Wolf wie eine Ewigkeit an, gaben die Gliedmaßen des anderen endlich nach und die zwecklose Kraftverschwendung ebbte ab. Der Gesichtsausdruck von vorhin kehrte zurück dominierte diesmal jedoch die sonst so gehässige und falsche Miene des Falls. Also musste der Grauhaarige beharrlich bleiben, auch wenn ihm die Situation selbst zunehmend unangenehm wurde. Einerseits war es anstrengend auf Kommando zu knurren und die Zähne zu fletschen, wenn man sich eigentlich schon etwas beruhigt hatte und anderseits beschlich ihn langsam das Gefühl, dass er Lian eher komplett mental brach, als nur kurzfristig dessen Fassade zu erschüttern. Das letzte was er wollte war es, den armen Junge auf alle Zeit oder zumindest für die nächsten Monate zu traumatisieren. Allerdings konnte und wollte er die „Stille“ nicht brechen, denn da wäre die ganze Arbeit, die er in diesen Manöver gesteckt hatte, redundant geworden. Ein Außenstehender hätte über diese beiden Starrköpfe sicherlich nur mit dem Kopf schütteln können. So waren sie nun mal: Prinzipientreu. Und so langsam hatte er das Gefühl, dass auch das der Grund sein musste, warum die beiden sich von vornherein antagonisierten. Sie waren sich einfach zu ähnlich, auch wenn ihre Ausprägungen unterschiedliche Richtungen einschlugen. Immer noch angespannt, starrte der Hybrid in das Gesicht seines Partners.
Kein Wunder also, dass ihn die Kopfnuss völlig überraschte. Definitiv ein besserer Schachtzug als das Niederringen vom Beginn ihrer Auseinandersetzung. Wer Tiere seiner Art etwas besser kannte der wusste, dass gerade bei diesen, wie auch Felinen und Ursidae, die Nase, neben den Ohren, eine der empfindlichsten Stellen am Körper waren. Traf man diese mit entsprechender Wucht, konnte man so gut und gerne eine Kreatur der zwei- oder dreifachen Größe ausschalten. In der Regel war dabei nur das Problem, dass diese einen nicht so nah an sich heranranließen, bevor sie nicht bereits Zähne und Krallen in ihr Opfer gebohrt hatten. Rownan hatte jedoch seinem vermeintlichen Kollegen die Nase wie auf einem Silbertablett serviert, ohne damit zu rechnen, dass dieser darauf zurückgreifen würde, JEDE seiner Körperteile zu nutzen, so wie er es selbst zuvor getan hatte, als er nach dem Magier schnappte. So war es nicht sonderlich erstaunlich, dass die Wucht mehr als ausreichte, um nicht nur den Griff, den er auf Lian hatte, zu lösen, sondern ihn auch Sterne sehen ließ. Sein Knurren verschwand und weichte einem kurzen, intensiven Aufheulen, welches er in der Regel nur von sich gab, wenn er ungeschickter Weise seine Rute irgendwo einklemmt hatte. Instinktiv schnellte seine rechte Hand zu seiner verwundeten Schnauze, während er sich selbst nach hinten katapultierte wollte. Die Beine seines Kontrahenten allerdings nahmen ihm diese Flucht bereits ab und schleuderten ihn von sich weg, weshalb er neben der schmerzenden Schnauze noch unsanft auf seinem Gesäß landete. So entstand von neuem Raum zwischen ihm und dem Crimson Sphnyx Magier. Die Arme hatten nicht gereicht; dessen Beine konnten gut und gerne die Masse des zwei Meter Geschöpfes bewegen. Dementsprechend hatten sie ihre Position im Raum getauscht, auch wenn keiner der beiden schnell sein musste, um diese Distanz zu überbrücken, wenn sie es denn gewollt hätten. Vermutlich war das auch das einzige verbliebene Ass, dass jener noch auszuspielen hatte und der Satyrs hätte sich sehr wahrscheinlich mehr als nur ein wenig darüber geärgert diese Option nicht bedacht zu haben. Aber statt daran einen Gedanken zu verlieren, machte ihm etwas Angst, als er erst auf seine eigene Hand und dann zu Lian schaute: Blut. Und diese Angst war auch in seinem Gesicht abzulesen, nur der Ursprung war daraus nicht zu deuten. Rownan selbst bemerkte den Geschmack von Eisen in seinem Mund und auch die Gerüche, die sonst so vehement auf ihn einprasselten, registrierte er nur noch flüchtig. Das bedeutete wiederum, dass seine Nase blutete. Fast schon logisch bei dem Aufprall. Was ihn allerdings beunruhigte, wirklich beunruhigte, war der rote Fleck auf der Stirn des Illusionsmagiers. Wenn es sich dabei um das Blut seiner Nase handelte, war alles im Lot. Hatte sich jener jedoch eine Platzwunde durch den Aufprall zugezogen, könnte der ganze Schlagabtausch noch viel eher aus dem Ruder laufen, als es bereits der Fall gewesen war. Die Erinnerungen vom Bahnsteig schossen direkt in seinen Kopf. Doch waren die Situationen vergleichbar? Damals war es mitten in einem echten Gefecht, zwischen einer Person und ihm, die ihn tatsächlich umbringen wollte. Hier ging es um eine einfache Meinungsverschiedenheit. Nichtsdestotrotz war Blut im Spiel und nach den Erfahrungen des Wolfes nach, konnte es seinen Körper in Wallungen bringen, die ihn wiederum der Kontrolle berauben würden. Mehr noch als es wohlmöglich gerade passiert war. Ein Schaudern lief ihm über seinen Rücken. Das war etwas, das er nicht noch einmal erleben wollte. Jemals. Trotz dessen, dass eine Gefahr über beiden schwebte, wie das Damoklesschwert, bildete sich im Gesicht des Magiers ein Lächeln, als Lian sich ihm gegenüber, wenn auch mehr schlecht als recht, aufbaute. Ein Lächeln, wie es nur der Dunkelhaarige selbst besser zu produzieren vermochte. Ob es reichte, seine Angst oder gar Panik zu überspielen, wusste er nicht. Lian hatte das erste Blut vergossen. War in ihm offenbar etwas Animalisches erwacht? Zumindest etwas, das ihn aus der Fassung brachte. Sollte er ihn warnen? Wenn er das täte, wäre die Situation direkt vorbei, dessen war er sich sicher. Keiner der beiden wäre dann so unvernünftig, die Sache weiter eskalieren zu lassen. Anderseits war er seiner Meinung immer noch nah daran, wirklich etwas zu bewirken. Dennoch brauchte er eine kurze Pause, um die Gerüche zu sortieren und seine Kräfte zu sammeln. Zeit für Worte? Durchaus.
Immer noch lächelnd wischte sich Rownan mit der Rückseite seiner rechten Hand das Blut von der Schnauze, ehe er diese wieder zu hielt. Obwohl sich der Sprachtonus dadurch veränderte und es möglicherweise zu unfreiwilliger Komik führen könnte, wollte er kein Risiko eingehen. „Lian, Lian Lian“ eröffnete er seine Ansprache „Ich glaube ich habe dich falsch eingeschätzt“ äffte er fast schon die Worte seines Gegenübers nach. "Dass du der erste bist, der für Blutvergießen sorgt, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht steckt in dir ja etwas mehr von mir, als dir lieb ist“. Die letzte Aussage war natürlich eine Anspielung auf das Verhalten des Falls ihm gegenüber. Aber sie enthielt auch viel von den Gefühlen, die der Wolf in jenem Moment verspürte. Sie trennte seiner Meinung nicht viel mehr als das Aussehen. Dann erst verfinsterte sich die Miene und seine Tonlage von neuem. „Ich frag dich jetzt ganz offen: was ist dein Problem“? Alles bis hier hin hatte zu diesem Moment, zu dieser Aussage geführt. Eigentlich hätte Rownan fragen müssen, was IHR Problem war, da er genau so Schuld an allem hatte, wie sein Partner. Das wusste er auch, aber er wollte es nicht aus seinem eigenem Mund hören. Mühsam richtete er sich daraufhin auf seine Beine und hob auch seine Arme vor seine Brust. Wenn es eine zweite Runde geben sollte, wollte er vorbereitet sein. Auf seine Krallen würde er diesmal jedoch nicht achten. Und Magie konnte er ebenfalls noch zu seinem Vorteil nutzen. Die Unruhe, die sich draußen breit machte, nahm er nur am Rande wahr. Entweder trafen die ersten Gäste ein oder die Artisten hatten den Zug betreten.
Hatte der Wolf Angst? Der verunsicherte Blick von Rownan irritierte Lian, der noch immer die Hände erhoben hielt und auf seinen Kontrahenten herabblickte. Klar, die Kopfnuss war schmerzhaft gewesen und das Jaulen des Hybriden hatte deutlich gemacht, dass es auch ihn sehr intensiv getroffen hatte. Aber reichte es aus, um ihm Angst zu machen? Der 19-Jährige zweifelte daran, kam aber auch nicht auf die Idee, dass Blut das Problem sein könnte. Der Falls hatte in seinem bisherigen Leben recht wenig mit Caninen zu tun gehabt, genau genommen war Rin die erste Person gewesen, mit der er mehr als nur ein paar Worte gewechselt hatte. Und die Inuyama war so freundlich, fröhlich und zugewandt gewesen, dass er beim besten Willen niemals auf die Idee hätte kommen können, dass Blut sie triggern könnte. Witzigerweise war Rin auch noch eine Blutmagierin… aber egal, das war eine andere Geschichte. Rownan jedenfalls hielt sich seine verwundete Schnauze, starrte herauf zum Illusionsmagier und schien sich plötzlich wieder zu besinnen. Der ängstliche Ausdruck in seinem Gesicht verschwand und wich einem überheblichen Lächeln, das so auch von Lian selbst hätte stammen können. Ja, das konnte ganz schön provozieren, wenn man auf so ein Lächeln starrte, wie der Falls nun selbst zu spüren bekam. Am liebsten hätte der immer noch mit Adrenalin aufgepumpte Körper des 19-Jährigen seinem Kontrahenten dieses Lächeln sofort aus seinem Gesicht geschlagen, aber der Magier war vernünftig genug, um die eigene Verteidigung nicht zu vernachlässigen. Er hatte zu spüren bekommen, dass er rein krafttechnisch gegen Rownan keine Chance hatte. Hieß, er musste sich anders Vorteile verschaffen, wenn er nicht direkt wieder auf dem Boden landen wollte. Lian bezweifelte, dass der Trick mit der Kopfnuss auch ein zweites Mal funktionieren würde…
Dass Rownan seine Nase verdeckt hielt, um nicht von Blutgeruch überrascht zu werden, wusste der Braunhaarige nicht. Er ging davon aus, dass die Schnauze noch immer schmerzte und sie deshalb gehalten wurde. Der verschnupfte Ton, der daraufhin entstand, hätte den Falls im Normalfall sicherlich zum Lachen gebracht. Jetzt gerade war ihm allerdings so wenig nach Lachen zumute, dass er es einfach ignorierte. Die rechte Augenbraue zuckte merklich nach oben, als der Hybride seine Worte von zuvor albern nachäffte. Oh, er wollte es wirklich auf eine zweite Runde anlegen, oder? Ruhig bleiben, Lian. Er durfte sich von diesen Worten nicht provozieren lassen und den einzigen Vorteil – den Abstand zwischen ihnen – einfach verspielen. Und doch atmete der Falls schwer und war sogar überrascht, als er seine eigenen Hände zittern sah. In ihm kämpften Instinkt und Vernunft gegeneinander. Rownan und er hatten einige Gemeinsamkeiten? Spätestens jetzt wurde das ziemlich deutlich, denn beide kämpften sie einen recht ähnlichen Kampf mit sich selbst. Die Frage war nur: Wer würde gewinnen? Instinkt oder Vernunft? „Pff“, kommentierte der Braunhaarige trocken, als der Hybride ernsthaft meinte, dass in ihm etwas genauso animalisches stecken würde wie in ihm, um ihm nicht Recht geben zu müssen. Um ehrlich zu sein, hätte auch Lian selbst nicht gedacht, dass er der Erste wäre, der für Blutvergießen sorgen würde. Er war ein Trickser, der in seinem bisherigen Leben jeder direkten Konfrontation nach Möglichkeit ausgewichen war. Er war kein Kämpfer und daher auch niemand, der für Blutvergießen sorgte. Also was war gerade mit ihm passiert? Wie hatte Rownan es geschafft, ihn so weit zu treiben? Der Falls lernte sich selbst gerade auf eine ganz neue Art und Weise kennen. Und er wusste noch nicht, wie genau er diese Seite von sich einordnen sollte. Zu was diese Seite ihn wohl treiben könnte? Und dann ließ Rownan die Bombe platzen: Er fragte, was sein Problem wäre? Der Mund des Illusionsmagiers öffnete sich einen Spalt breit, als er diese Frage verarbeitete. Das war jetzt nicht sein ernst, oder? „Du fragst ernsthaft, was mein Problem ist?“, verbalisierte er seine Gedanken wie aus der Pistole geschossen. Er drehte die noch immer durch den Speichel feuchte Handfläche zu dem Wolf und verengte die Augen. „Wer von uns beiden hat gerade wessen Gesicht vollgesabbert? Die Frage ist doch vielmehr, was ist dein Problem?!“ Lian schnaufte und runzelte die Stirn. Wieder dieses Zittern in seinem Körper, diese Wut. Und dieser beschissen erhabene Blick von Rownan. „Ich kann so Leute wie dich einfach nicht ausstehen“, kam es dem jungen Mann dann schließlich doch knurrend über die Lippen, bevor er sich anders hätte entscheiden können. Dieser Blick regte ihn einfach auf! „Als du mich am Bahnsteig gesehen hast, hast du mich doch sofort in irgendeine Schublade gesteckt, oder? Lass mich raten… ein kleiner Rotzbengel, dem man Manieren beibringen sollte? Kommt das in etwa hin? War ich dir nicht förmlich und gehoben genug?“ Als wäre er irgendeine Ratte gewesen, die sich hierher verirrt hatte! Es war einfach zu eindeutig gewesen. Rownan hatte sich Mühe gegeben, höflich zu agieren, hatte es nicht direkt angesprochen und doch war es spürbar gewesen, dass er genau das von seinem Teampartner hielt. Dass er es aber nicht ansprach, nur durch Blick und Gesten zu verstehen gab, machte es noch schlimmer. Er nahm Lian nicht ernst. Und das kotzte den Illusionsmagier einfach an. „Ich konnte es deinem Blick ansehen, du fühltest dich von Anfang an mir gegenüber überlegen. Du hast mich nicht ernst genommen. Und das alles hast du hinter irgendeiner gespielt höflichen Fassade versteckt.“ So wie der Falls seine eigenen Gedanken und Unsicherheiten hinter einem überheblichen Grinsen versteckt hielt? Ja, irgendwie schon. Wieder so eine Gemeinsamkeit, die die beiden Magier miteinander teilten. Vermutlich war genau das das Problem: Es waren vielleicht andere Ausprägungen, aber im Grundsatz waren sie sich so ähnlich, dass es einfach hatte knallen müssen. „Es war einfach genau der Blick, den ich schon immer von Leuten aus diesem Business bekommen habe. Du bist eindeutig zu einem perfekten Teil davon geworden.“ Für Rownan vermutlich ein Kompliment. Aber das war noch nicht alles. Der andere Magier hatte nicht nur auf ihn herabgeblickt, er hatte sich gleichzeitig höflich und stillschweigend der Auftraggeberin untergeordnet und alles geschluckt, was diese von ihm verlangt hatte. Und auch sonst fügte er sich allem, was man von ihm verlangte, weil es die gehobene Gesellschaft von ihm verlangte? Und er äußerte nicht einen der negativen Gedanken, die er hatte, um die Fassade aufrechtzuerhalten. Der Braunhaarige schüttelte den Kopf. „Du lobst mich auch noch dafür, dass ich mich gehorsam und brav irgendwelchen Leuten gefügt habe? Und denkst, dass ich mich über so ein Lob freue? Dass wir dadurch auf einer Wellenlänge sind, weil du ja auch alles geschluckt hast, ohne Widerworte zu erheben? Mal ehrlich, bei deiner peniblen Art schätze ich dich so ein, dass du Stunden damit verbracht hast, dein Fell so vorzubereiten, dass du in dieser feinen Gesellschaft nicht irgendjemanden mit einem ausfallenden Haar belästigen könntest. Und trotzdem schluckst du die Aussage von dieser Natalie einfach und machst dir vermutlich sogar noch Gedanken, wie du es ihr noch mehr recht machen kannst. Wo ist dein Stolz, verdammt? Als wärest du ein Hundchen, das darauf angewiesen ist, von Frauchen und Herrchen Lob zu bekommen.“ Wow, okay, das war Einiges gewesen. Und doch hatte Rownan erreicht, was er hatte erreichen wollen: Kein überhebliches Grinsen, kein Schweigen, kein Abwinken – Lian äußerte ohne Rücksicht seine Gedankengänge und Gefühle gegenüber dem Hybriden. Der Wolf stellte für den Illusionsmagier etwas dar, was er selbst auch hätte werden können. Damals, als er sich endgültig hatte entscheiden müssen, ob er der gehobenen Gesellschaft gefallen wollte oder nicht. Diese Entscheidung war es wohl auch gewesen, die ihn schlussendlich zu einem Dieb hatte werden lassen. Lian ignorierte das Blut, das mittlerweile von seiner Stirn herablief und sich durch seinen Nasenrücken in Zwei teilte. Ja, er blutete, genauso wie der Wolf. Wie würde das auf Rownan wirken?
Aufmerksam beobachtete der Hybrid sein Gegenüber. Einerseits musste er sich darauf gefasst machten, dass dieser wohlmöglich seine Beherrschung verlieren würde oder das Gesagte schlichtweg nicht auf sich sitzen lassen würde, und anderseits wollte er, wie schon zuvor und eigentlich seit beginn ihres Konflikts wissen, ob er mit seinen Aussagen irgendetwas in dem jungen Magier hervorholen konnte. Das tiefe Ein- und Ausatmen war ihm daher nicht entgangen, konnte es dennoch ein Überbleibsel ihrer körperlichen Auseinandersetzung sein. Seine Fäuste hingegen verrieten ihn. Kurz überlegte Rownan deshalb, ob er ihn im Fall der Fälle gewähren ließe. Zurzeit fühlte er sich besonnener und vielleicht musste jener es einfach aus seinem System bekommen. Warum also kein körperliches Ventil? Passen würde es. Aber zu dieser Möglichkeit sollte es noch nicht kommen. Trotzdem war er sich, spätestens nach dessen trotzigen Reaktion auf einen seiner Sätze, sicher, dass beide endlich auf einer tieferen Ebene waren. Damit hätte sich der Grauhaarige fürs erste zufriedengegeben, wenn auch seine letzte Frage die eigentlich spannendste an diesem Tag war. Etwas irritiert oder eher verblüfft war er trotz alledem über die Situation und wie sich diese entwickelt hatte. Immerhin waren zwei wildfremde Menschen aufeinander getroffen nur um gefühlt eine halbe Stunde später ihr Ansichten, Meinungen, Werte und Vergangenheiten mit Wort und Tat auszutauschen. Dass die beiden einen ähnlichen Hintergrund hatten, konnte beide bereits aus ihrem Verhalten und den Gesprächsfetzen entnehmen. Eine möglicherweise tiefere Verbindung zwischen den zwei Magier konnte sich durchaus im Verlauf des folgenden Gespräches manifestieren oder sogar entwickelt, wenn sie es schaffen würde, die Differenzen in einen konstruktive Richtung zu kanalisieren. Anderenfalls würden sie sich bis zum Ende ihres Auftrages und darüber hinaus unfassbare Antipathie für den jeweils anderen empfinden. Diese Option wäre für den eigentlich noch ausstehenden Auftrag mehr als hinderlich. Und auch irgendwo nicht das, was er sich von all dem erhoffte hatte. Lian war immerhin die erste Person, abgesehen von Akira, mit welcher er interagiert hatte, seit er der Gilde beigetreten war. Und er war der Erste, dessen Auftreten so anders war als alles was er in seiner Zeit in Crystalline Town erlebt hatte, dass Rownan seine sonst so angepasste Haltung, je nach betrachtet auch Fassade, fallen lassen konnte und die sonst so heimliche Ehrlichkeit offen ausleben konnte. Die Geschichte seines Namensvetters war eine edle und das waren im innersten auch seine Motive an diesem doch so sonderbaren Ort. Hatte er etwa jemanden gefunden, der auf Augenhöhe war, den eher als Freund bezeichnen konnte? Ein kruder, sogar verrückter Gedanke, der allerdings nicht all zu abwegig war. Zumindest für den Satyrs nicht. Doch bevor er einen weiteren Gedanke an das oder den „Falls“ verschwenden konnte, musste im „Hier“ etwas passieren. Wie es nicht anders zu erwarten war, war es Rownans letzte Frage gewesen, die das Fass zum Überlaufen brachte und Lian dazu bewegten, alles Aufgestaute herauszulassen und noch dazu in einer Ehrlichkeit, die den Wolf zwar erfreute aber fast schon überraschen sollte. Fast schon genussvoll musterte er seinen eignen Speichel, der von der Hand seines Gegenübers herunterlief, als ihm diese präsentiert wurde. Er hatte eine wirklich gute Show abgeliefert. Nicht verwunderlich, dass seine Mundwinkel sich einen kurzen Moment nach oben bewegten. Tatsächlich empfand der Crimson Sphynx Magier das gleiche wie der Wolf, wenn auch die Gründe, wie zu erwarten war, unterschiedlich, die Ursprünge aber gleich waren. Dieser war sauer, weil jener sein Potenzial verschenkte, jener, weil er der Rüde einer Schicht entsprang, so dachte sein Partner zumindest, die diesem mehr als zuwider war. Zumindest war das die erste Vermutung die er während des Wutausbruchs des Dunkelhaarigen formulieren konnte. Da dieser auch keine Anstalten machte aufzuhören, klebte Rownan förmlich an den Lippen seines Kontrahenten, unterbewusst darauf bedacht, seine Verteidigung nicht ganz fallen zu lassen. Zu seiner Freude beließ es jener nicht bei seiner Aussage, sondern elaborierte auch, warum er gerade den Hünen nicht ausstehen konnte.
Der Schubladengedanke war tatsächlich etwas, dass ihm zu eigen war. Doch diese Zuordnung war nie unbegründet oder von Vorurteilen behaftet. Einzig das Verhalten des Menschen entschied darüber, wie der Grauhaarige in Zukunft über diese Person dachte. Und doch war auch diese Einordnung nicht in Stein gemeißelt. Sonst hätte er sich auch nie die Mühe gemacht Lian so weit zu provozieren geschweige denn sich selbst so provozieren zu lassen. Und der Magier zeigte gerade vorbildlich, warum Rownan so flexibel in dieser Einordnung war. Unabhängig davon war dessen Einschätzung aber gar nicht so weit weg von der Wahrheit. Dabei wurde aber vergessen, dass es ja der Bengel war, der ebene jene Verhaltensweisen an den Tag gelegt hatte. Der Wolf auf der anderen Seite ließ ihn zwar seine Gedanken spüren, war aber nach außen hin freundlich und dies, seiner Meinung nach, keineswegs aufgesetzt. Ihre Agenda verfolgten beide jedoch durch eine Art Facette, während sich das wahre Ich irgendwo dazwischen bewegte. Die Erkenntnis der Ähnlichkeit war damit endgültig zementiert. Die Verbindung, die er zuvor gespürt hatte, sollte sich daraufhin auf eine Art und Weise offenbaren, die er zuvor nur vermutet hatte. Erneut war die Rede vom Business und in der gleichen Betonung wie zuvor. Es musste also etwas tiefgreifenderes sein, was gleichzeitig auch das Thema des Tages zu sein schien. Ich ein Teil des Business? Du schmeichelst mir. Natürlich hatte Lady Deardorff ihn früh in diese Kreise integriert und er hatte dadurch das Privileg einer guten Ausbildung genossen, trotz dessen er ein vermeintlicher Weise war. Abgesehen von ein paar Ausnahmen straften diese Leute ihn jedoch mit den gleichen Blicken, die er wohl Lian zugeworfen hatte. Aber dabei blieb es nicht. Die Blicke die Rownan erfuhr, die er, wie so vieles, zu verdrängen schien, waren sinisterer als jeder Blick, den ein Bauern, Dieb oder Bettler je von einem Angehörigen einer höheren Schicht bekommen konnte. Das war etwas, dass sein Partner nicht wusste oder anders einschätzte. Wohlmöglich würde er es jedoch verstehen? Diese Offenbarungen waren ein immenser Vertrauensvorschuss. Es lag also an ihm dieses Vertrauen nicht nur wertzuschätzen, sondern auch zurückzuzahlen. Noch war sein Gegenüber allerdings nicht fertig. Besonders der letzte Block überraschte ihn dann tatsächlich. Dass gerade der Illusionsmagier an seinen Stolz appellierte, hinterließ einen verblüften Gesichtsausdruck im Gesicht des Satyrs Mitgliedes. Wo mein Stolz war? Rownan wollte schon direkt etwas erwidern doch er hielt sich selbst zurück. Er hatte irgendwo recht. Vielleicht war es so gewohnt „Ja“ und „Amen“ zu sagen, um einen Vorteil daraus zu ziehen, dass er sich selbst und auch seine Umgebung dadurch vergaß. Ein bitterer Geschmack breitete sich im Mund des Lupinen aus. Und es war nicht das Blut seiner Nase. Wurde er etwa in eine Rolle gepresst in dem glaube, dass er sie sich selbst ausgesucht hatte? War seine Ehrlichkeit, sein Pflichtbewusstsein, ja jede seiner so strahlenden Charaktereigenschaften nur das Ergebnis der perfide Manipulation seiner Gönnerin gewesen? Ein trauriger Gedanke und gleichzeitig frustrierte es ihn, dass Lian, der nicht viel mehr war als ein kleiner Strich in seinem Lebenslauf, eine solche Macht auf ihn ausübte. Aber war es ihr gegenüber fair solche Gedanke zu hegen? Sie, die ihn als einzige aufnahm. Sie, die ihn als eine Person wahrnahm, ihn ernst nahm? Die Person die ihn letztendlich förderte, forderte und der Grund war, warum er überhaupt an diesem Tag, zu dieser Zeit in diesem Zug stand, statt in einer Gasse um Knochen bettelte, oder schlimmeres? Nein, es war nicht fair. Die Argumente, die er angebracht hatten, galt es also zu bearbeiten. Einiges musste er richtigstellen, seines Seelenfriedens wegen. Einiges wollte er selbst noch loswerden. Er atmete einmal tief ein und aus, so gut es möglich war, ehe er zu sprechen begann.
„Wo soll ich anfangen? Da du so ehrlich warst, werde ich es ebenso sein. Natürlich habe ich dich am Bahnhof in eine Schublade gesteckt. Und weißt du auch wieso? Weil du es mir leicht machst mich deiner erhaben zu fühlen, dabei ist deine Fassade doch auch nicht besser als die meine! Zwei Seiten der gleiche Medaille! So langsam begann sich Rownan in Rage zu reden. „Im Gegenteil dein Verhalten ist noch schlimmer! Denn du verschenkst dein Potenzial! Das Schicksal hat dir vermutlich 1000-mal die Hand gereicht und du hast sie jedes Mal von dir gewiesen! Selbst deine Magie spiegelt das wider“! Statt jetzt nur in einer verteidigenden Pose zu warten, baute sich der Wolf von neuem zu seiner Größe auf, die Hand nun nicht mehr an der Nase, sondern zu Fäusten geballt. „Und du maßt dir auch noch an MEINE Errungenschaften in den Dreck zu ziehen!? Meinen Stolz zu beleidigen!? Diese Leute waren die einzigen die mich so“… er pausierte kurz, denn die die Gedanken von kurz zuvor kamen ihm in den Sinn „duldeten. Sie gewährten mir Obdach, nährten mich, bildeten mich aus. Aber ihre Blicke dir gegenüber werden nie vergleichbar sein mit dem was ich erleben musste“! Zwischenzeitlich, nicht zuletzt aufgrund der verstopften Nase, schnaufte er schon. „Glaubst du etwa, dass es Nächte gab in denen ich mir nicht mehr wünschte, als mich an mehr zu erinnern als den Fakt, dass ich mal ein Mensch gewesen sein muss! Eine Familie zu haben! Das meine Hände nicht alles zerrissen, was sie berührten! Das Fell, die Schnauze, die Ohren..“ Rownan stockte. Seine Wange war feucht. Vergoss er etwa ein paar Tränen? Er traute sich nicht, die These zu überprüfen. „Ich hätte bestimmt so manche Nacht alles dafür gegeben, dein Leben zu leben“! So konnte er es nicht stehen lassen. Denn eigentlich, so dachte er, hatte er mit diesem Kapitel vor langer Zeit abgeschlossen. „Entschuldige also, wenn ich mir trotzdem etwas erarbeitete habe, in dem ich Wertschätzung erhalte, die nur auf meinen Taten basiert unabhängig davon, was sie wirklich über mich denken! Dass ich mich aufopfere Anerkennung zu bekommen, die mir meine Peers wie du im Traum wohl nicht schenken wollen! Und das ich einfach nicht verstehe, wie jemand wie du nicht den gleichen Weg eingeschlagen hat! Ich hatte ich dich gelobt, weil ich dachte, dass du deinen eigenen Schatten überwinden kannst! Was kann dir dieses Business vergleichbares, wenn nicht sogar schlimmeres angetan haben, das dein Verhalten mir, sonst wem und am aller meisten DIR gegenüber rechtfertigt"!? Frustriert entlud er seine überschüssige Energie, indem er in seiner letzten Aussage die Hände nach außen bewegte, ähnlich der Geste Lians zuvor, nur diesmal auf Abstand. Durch das Gespräch mehr als gefesselt, bemerkte er erst jetzt das Blut, das den Kopf seines Partners herunterlief. Noch kam davon nichts in seiner Nase an. In dieser hatte sich jedoch im Zuge ihrer Auseinandersetzung etwas gelöst. Etwas, dass die mögliche Versöhnung der beiden torpedieren konnte.
Lian wusste nicht, was es war, aber irgendetwas schien sich auf seine Worte hin in Rownan zu regen. Ob er gleich zu einem neuen Angriff ansetzen würde? Der Canine starrte ihm entgegen und abgesehen von dem kurzen Lächeln, das sich auf den Mundwinkeln des anderen Magiers andeutete, blieben dem Braunhaarigen die Gedanken vorerst alle verborgen. Lian war so unglaublich zornig und wurde immer zorniger, je länger er auf den Wolf herabblickte, der ihn gerade eben noch bis an seine Grenzen und darüber hinausgetrieben hatte. Warum zum Henker reagierte er so extrem auf Rownan? Irgendein dahergelaufener Schnösel, mit dem er irgendeine dämliche Quest zu erledigen hatte. Erst jetzt wurde dem Falls selbst allmählich bewusst, dass der Wolf so viele Dinge in seiner Persönlichkeit zu verkörpern schien, vor denen er Angst hatte, sie irgendwann an sich selbst zu sehen. Konnte er deshalb so schlecht mit Rownan umgehen, ihn kaum in seinem Umfeld akzeptieren? Abgesehen davon war Lian überzeugt davon, dass der Canine ein Teil der verhassten, höheren Schicht war und sich ihm gegenüber genau deshalb so abwertend und hochnäsig verhielt, wie er es eben tat. Je mehr der Illusionsmagier darüber nachdachte, desto deutlicher wurde es: Es war eine Kombination aus so vielen verschiedenen Dingen, die dafür sorgte, dass es zwischen den beiden eigentlich fremden Magiern aus dem Ruder hatte laufen müssen. Lian spürte ein unbändiges Verlangen, Rownan die Faust ins Gesicht zu rammen, in einer Intensität, die er von sich gar nicht kannte. Er hätte gedacht, dass es ausreichte, einmal zum Ausdruck zu bringen, warum er Rownan nicht leiden konnte. Stattdessen war das Gegenteil der Fall: Nach seinen Worten wurde ihm heiß, fast schon schwindelig von dem Wunsch, seinen wütenden Worten auch körperliche Taten folgen zu lassen. Das war schon ziemlich primitiv, oder? Es waren wenige Sekunden, die fehlten, bevor der Geduldsfaden des Falls riss, bevor er ganz gleich aller Konsequenzen erneut auf den Hybriden zugestürmt wäre. Doch die dunkle Stimme Rownans, die sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder erhob, ließ Lian im letzten Augenblick doch noch innehalten.
Zwei Seiten der gleichen Medaille? Rownan hatte Recht, das war auch dem Braunhaarigen bewusst. Er hatte genauso eine Fassade aufrechterhalten – eine Fassade, die er immer vor sich hertrug. Das schiefe Grinsen, das Abwinken, er machte sich über Situationen und Leute lustig, um sich niemandem öffnen zu müssen. Es stimmte und doch war es nicht das, was der Falls gerade hören wollte. Das letzte, was der 19-Jährige gerade wollte, war es, zu akzeptieren, dass der Wolf und er gar nicht so unterschiedlich waren. Doch je weiter Rownan sprach, desto mehr schien Lian der Wind aus den Segeln genommen zu werden. Er verschenkte sein Potenzial? Das Schicksal hätte ihm 1000-Mal die Hand gereicht? Das Schicksal! Der Falls hatte sich selbst schon immer als ein Opfer des verdammten Schicksals gesehen. Vom leiblichen Vater verstoßen, von der Mutter nicht gewollt, geboren in armen Verhältnissen, hatte er sich alleine durchschlagen müssen. Von Beginn an hatte es für den Falls nur Steine gegeben, die mit den Jahren einfach immer mehr geworden waren. Er hatte andere Leute gesehen, denen alle tollen Dinge schon seit ihrer Kindheit einfach so in den Schoß gefallen waren, sie hatten sich nicht einmal dafür anstrengend müssen. Während das Schicksal für diese Leute all die tollen Dinge bereitgehalten hatte, war für ihn nie etwas übriggeblieben – so seit jeher die Überzeugung des Braunhaarigen. Diese finstere Gedankenschleife war der Grund, warum er irgendwann seinen eigenen Weg als Dieb gesucht hatte, um von den tollen Dingen, die ihm sonst verwehrt blieben, auch etwas abzubekommen. Aber… was meinte Rownan damit, dass seine Magie widerspiegeln würde, dass das Schicksal ihm die Hand gereicht hätte? Seine Magie! Die Magie war doch genauso ein Schlag des Schicksals mitten in sein Gesicht gewesen. Nicht nur, dass er Magiebegabung an sich entdeckte, obwohl seine Familie Magie hasste, als wäre das nicht schon schlimm genug. Aber dann waren es auch noch billige Illusionen, nichts im Vergleich zu imposanten Dingen wie Feuer- und Eismagie. Lian konnte keinen Schaden anrichten, seine Fähigkeiten beschränkten sich darauf, billige Dinge vorzugaukeln. Der junge Mann sah seine Magie daher nicht als Zeichen, dass das Schicksal ihm die Hand gereicht hatte, sondern als endgültiger Beweis, dass das Schicksal sich über ihn lustig machte. Niemals wäre sein Onkel auf ihn aufmerksam geworden und hätte ihn in die Gilde Crimson Sphynx gesteckt, wenn diese verdammte Magiebegabung mit beschissenen Illusionen nicht gewesen wäre. Natürlich war es Schwachsinn: Die Magie hatte Lian Möglichkeiten gegeben, die einem normalen Menschen verwehrt blieben. Und seine Verwandtschaft zum Gildenmeister hatte ihm trotz aller Verfehlungen, die er mitbrachte, eine zweite Chance in seinem Leben gegeben, die nicht jeder bekam. Rownan traf mit seiner Aussage in so vielen Dingen ins Schwarze, denn tatsächlich hatte das Schicksal Lian bereits mehrere Chancen gegeben, die er nicht zu nutzen gewusst hatte. Warum blitzte bei dieser Überlegung das Bild von Gin vor seinem inneren Auge auf? Es warf den Falls aus der Bahn, doch noch mehr warf es ihm aus der Bahn, als er Tränen im Gesicht von Rownan erkannte. Er… weinte? Nun war es der Wolf, der sich in Rage redete und je mehr er sprach, desto weiter sanken die erhobenen Hände des Illusionsmagiers herab. Er war gefesselt von dem, was der Canine ihm gerade offenbarte und es traf ihn vollkommen unvorbereitet. Lian hatte ein genaues Bild von dem Satyrs gehabt, das jetzt plötzlich herbe Risse bekam. Er war ein Mensch gewesen? Er haderte mit seinem Dasein als Wolf? Nein, das hätte der Falls nicht gedacht. Rownan hatte auf ihn ziemlich stolz gewirkt und er hatte auch keine Ahnung gehabt, dass man nicht nur als Canine geboren wurde, sondern… im Nachhinein zu einem Caninen werden konnte? Wie war das geschehen? Und er erinnerte sich nicht mehr an sein vorheriges Leben? Es waren so viele Fragen, die Lian durch die einzelnen Aussagen kamen, die natürlich nicht ad hoc beantwortet werden konnten. Am Ende stand der 19-Jährige mit leicht geöffnetem Mund und gerader Haltung vor Rownan, die Hände hingen schlapp zur rechten und linken Seite seinen Körper herab. Er hätte alles dafür gegeben, sein Leben zu leben? Der junge Mann wusste nicht, ob der Andere das wirklich wollte und doch sickerte zu ihm durch, dass das Leben es vielleicht doch gar nicht so schlecht mit ihm gemeint hatte? Waren die Blicke, die der Hybride bekam, wirklich… anders? Schlimmer? Wie es sich anfühlen musste, zu einem anderen Wesen zu werden, obwohl man zuvor ein normaler Mensch gewesen war? Zu einem Wesen zu werden, das man eigentlich gar nicht sein wollte… Lian lag keine boshafte Erwiderung auf den Lippen, denn Rownan hatte es durch seine emotionale Offenheit geschafft, dass vielleicht sogar ein Lian Falls sich aus seinen ewigen, ausschließlich pessimistischen Gedankengängen gerissen fühlte. Als würde nach langer Zeit die dicke Wolkendecke in seinem Kopf einen kleinen Riss bekommen und ein einzelner Sonnenstrahl endlich mal wieder seinen Weg hindurchfinden. Das Gefühl traf den jungen Mann wie so vieles an diesem Tag völlig unvorbereitet.
Der Vorhang der Umkleidekabine raschelte und wurde plötzlich ein kleines Stück zur Seite gezogen. Lian reagierte instinktiv, als er sich umdrehte und sich direkt vor Rownan positionierte, um die Sicht und vor allen Dingen die Aufmerksamkeit von dem anderen Magier abzulenken. Noch ehe der Braunhaarige richtig hinsah, wer oder was da am Vorhang stand, ballte er die Hände zu Fäusten und bellte bereits bedrohlich. „Verpiss dich!“ Es war das Gesicht eines ziemlich jungen Mannes gewesen, das durch die Seite des Vorhangs vorsichtig hereingelinst hatte und der natürlich sofort auf den aggressiven Falls starrte. Seine Augen weiteten sich erschrocken – vielleicht auch durch das Blut im Gesicht des Illusionsmagiers – doch als Lian auch noch einen drohenden Schritt auf ihn zutrat, verschwand das Gesicht wieder und die Magier waren erneut unter sich. Natürlich, wie hatte er davon ausgehen können, dass man da draußen nichts von der Auseinandersetzung mitbekam? Nicht nur der Bodenaufprall war laut gewesen, ihr Gebrüll ebenso. Der Falls seufzte, drehte sich dann wieder zu Rownan um, der sich vermutlich wieder gesammelt hatte. Egal wie sehr sich der Braunhaarige anstrengte, er konnte Rownan gerade einfach nicht mehr mit dem gleichen Blick ansehen wie zu Beginn des Auftrages. Und all der Zorn, den er ihm gegenüber verspürt hatte, war wie weggewischt. Seine Worte, seine Offenheit und der Einblick in all das, was hinter seiner aufrechten Fassade steckte, hatte Lian vollkommen entwaffnet. Noch immer blutete er, ignorierte das allerdings, als er auf Rownan zutrat. Ihm war aber auch nicht bewusst, dass sein Blut ein Problem werden könnte. „Du hast keine Ahnung, wie es in meinem Leben aussieht“, begann der Falls, schüttelte dann sachte den Kopf. „Aber… ich gebe zu, dass ich auch keine Ahnung davon hatte, wie es in deinem Leben tatsächlich aussieht.“ Eigentlich bestätigte es nur nochmal, dass Lian seinen Kollegen wirklich falsch eingeschätzt hatte. Er zuckte mit den Schultern, fasste sich an die Stirn – und zuckte sofort zusammen, als ihm bewusstwurde, dass das eine ziemlich dämliche Idee war, immerhin hatte er dort eine klaffende Wunde. Kurz sah er interessiert auf seine blutbefleckten Finger, bevor er stattdessen wieder zum Wolf sah. Die grünen Seelenspiegel des 19-Jährigen wirkten nicht mehr wertend, nicht mehr hochnäsig oder belustigt, sondern überraschend ruhig und nüchtern. Welche Blicke auch immer Rownan von anderen Menschen gewohnt war, er könnte bei Lian gerade keine Abwertung entdecken. Lian sah ihm gerade als Teampartner auf Augenhöhe entgegen. „Deine Vorwürfe mir gegenüber sind ziemlich hart. Ob ich mein Potenzial verschenke? Ob das Schicksal mir die Hand gereicht und ich es nicht zu nutzen gewusst habe? Ob du wirklich mein Leben leben wollen würdest?“ Er neigte den Kopf etwas, zuckte dann mit den Schultern. „Ich glaube nicht, dass du mit all deinen Vorwürfen richtig liegst. Aber… vielleicht sind sie trotzdem nicht gänzlich unwahr.“ Das war eine Sache, über die Lian selbst erst einmal in Ruhe nachdenken musste, etwas, was er jetzt nicht ad hoc zufriedenstellend beantworten konnte. Aber irgendwie war er Rownan sogar ein Stück weit dankbar, dass er ihn heute emotional so weit getrieben hatte. Es hatte einiges im Köpfchen des Illusionsmagiers in Bewegung gesetzt, sodass er vielleicht mit der Zeit fähig sein würde, anders auf die Dinge in seinem Leben zu blicken. Ohne darüber nachzudenken, hielt er dem Wolf die blutbefleckte Hand zur Versöhnung entgegen. „Frieden?“
Die Stimmung im Raum, die nicht zuletzt als elektrisierend beschrieben werden konnte und sich spätestens in ihrer Konfrontation permanent auf- und entlud, schien sich zu verändern. Das ganze Spektrum des gefühlsmäßigen Regenbogens hatte sich zwischen den beiden entfaltet und so blieben nicht mehr viel Möglichkeiten, wie die Auseinandersetzung ihres persönlichen Dramas in drei Akten im letzten enden konnte. Ein Blick zu seinem Gegenüber verriet Rownan, etwa durch die unruhigen Augen, dass er nicht nur aufgrund seiner Worte, sondern auch durch eben jenes Gefühlschaos, die schier unüberwindbaren Mauern erklommen und ein Stück des geschützten Landes im inneren erreicht hatte. Aber nicht nur Lian gegenüber auch sich selbst hatte er einiges offenbart, das ihn eine Weile nach der Quest beschäftigen würde. Vermutlich dachte sein Partner bereits parallel in den Momenten mit, welche Aussagen den Kern direkt trafen und in welchen sich der Wolf wohlmöglich in seiner Observation geirrt hatte. Alles bis zu diesem Punkt war für ihn ein unwahrscheinlich kräftezerrender Prozess gewesen und er war sich deshalb sicher, dass es dem Jungen ebenso ergehen musste. Immerhin trug man einen solch facettenreichen und intensiven Konflikt noch dazu mit einem vermeintlich Fremden nicht alle Tage aus. Kein Wunder also, dass dessen Arme im Verlauf der Tirade stetig zu Boden sanken und weder feindselige Sprüche und noch kecke Bemerkungen aus dem leicht geöffnet Mund des Crimson Sphynx Magiers drangen. In Retrospektive war Lian wohlmöglich sogar die erste Person, der er sich wirklich anvertraut hatte, denn die Beziehung zu seiner Ziehmutter wirkte dagegen kalt und professionell und nie im Traum konnte er sich vorstellen auf eine solche Art und Weise mit ihr zu reden. Hätte der Falls nun statt mit Verwunderung und offener Emotionalität erneut mit Gewalt geantwortet, war sich der Grauhaarige jetzt sehr sicher, dass er es über sich hätte ergehen lassen. Für ihn wirkte der Moment der Verbindung wie eine Ewigkeit, wenn auch die eigentliche Zeit nicht viel mehr war als ein paar Sekunden. Ebenso wie der Dunkelhaarige ließ er nun seine Arme schlapp zu beiden Seiten hängen, wodurch der letzte Funke von Anspannung erlosch. Ein wahrlich sonderbares Bild das man von beiden an Ort und Stelle hätte zeichnen können, wenn jemand die Fähigkeit besäße, die Zeit anzuhalten. Und doch wäre wahrscheinlich kein Kunstwerk so nah an das Original gekommen.
Erst als sich Rownans Ohren spitzten wurde er aus dem Moment gerissen. Der ganze Wagon musste ihren Streit mitbekommen haben aber es hatte sich keiner getraut die beiden zu unterbrechen, was einerseits sicherlich an dem geschäftigen und durchgetakteten Treiben im Zug selber als auch anderseits an der Tatsache lag, dass er beide im Gespräch als Magier geoutet hatte. Falls der Hybrid den anderen noch ein Begriff war, tat möglicherweise sein Äußeres den Rest. Und doch hatte sich jemand in diesem Moment der Stille getraut in die provisorische Umkleide zu schielen. Was dann geschah, hätte den Hünen beinahe wieder zu Tränen gerührt. Ohne ein Wort, ein Blick oder sonst einer Kommunikation, positionierte sich Lian zwischen ihm und dem Neuankömmling. Erst jetzt erinnerte er sich an die kühle Flüssigkeit, die er zuvor an seinen Wangen gespürt hatte. Beide Magier waren gerade in einem sehr verwundbaren Zustand und doch nahm jener die Kraft zusammen seinen Partner nach alldem, was zwischen ihnen vorgefallen war oder gerade, weil so viel zwischen ihnen passiert war, zu schützen und zeigte so ebene jene Charaktereigenschaften, die der Satyrs in ihm vermutete. Zudem erforderte es eine Menge Mut eben jener Person den Rücken zuzukehren, die keine fünf Minuten vorher noch probiert hatte ihn zu überwältigen. Eine wahrhaft edle Geste und seiner Gilde mehr als würdig. Das Zeitfenster nutze Rownan, um sich hastig mit der Innenseite seiner Hand die Tränen aus dem Gesicht zu zwischen und eine halbwegs gefasste Mine an den Tag zu legen. Dem Störenfried selber widmete er keine wirkliche Aufmerksamkeit, nur sein Äußeres musterte er kurz, war er doch zu sehr damit beschäftigt seine Fassung wieder zu erlangen, um das Ende der Konversation so zu überstehen, dass er danach seinen Dienst gegenüber den Gästen und seiner Auftraggeberin verrichten konnte. Erst als Lian seiner bedrohlichen Körperhaltung Nachdruck verlieh und der Person unmissverständlich klar machte, dass sie nicht gestört werden wollten, ließ diese die Magier wieder für sich sein. Die Distanz zwischen ihnen betrug, aufgrund der Aktion seines Gefährten, nun nicht viel mehr als zu Beginn ihrer Meinungsverschiedenheit. Dennoch verspürte wohl keiner der beiden die Lust irgendetwas wieder aufflammen zu lassen. Als sich dieser zu ihm umdrehte konnte er diese Tatsache so oder so ähnlich auch aus seinem Blick ablesen. Es war für Rownan eine Mischung aus Respekt, Anerkennung und Verständnis, mit welcher der Falls einen weiteren Schritt auf ihn zu machte, um das Gespräch von neuem zu suchen. Die Stirn, die immer noch etwas blutete, beunruhigte den Lupinen aber seine Nase machte noch keine Anstalten, den für seinen Körper scheinbar so wohlwollenden und erregenden Geruch aufzunehmen. Zudem hatte er auch das Gefühl, dass seine animalische Seite sich, im Anblick dieser Reize, auf eine Art zurückhielt. Ob diese nur so stark war, weil er so sie rigoros unterdrücke? Ob er zukünftig ein Ventil brauchte, um eventuelle Gefahren, die von diesen ausgingen, zu eliminieren? Er hatte keine Antwort darauf, wenngleich es eine interessante Beobachtung war. Noch einen Moment blickten sie einander wortlos an, ehe der Junge die kurze Stille unterbrach. Die Bemerkung war treffend. Keiner wusste wirklich, wie das Leben des anderen bis zu diese Augenblick verlaufen war und wohlmöglich war es eine Mischung aus Ähnlichkeit, Konflikt und vielleicht auch Magie, dass die beiden so weitgebracht hatte es auszusprechen. Das Adrenalin der Kontrahenten schien langsam zu verschwinden, als der Illusionsmagier schmerzerfüllt zusammenzuckte, nachdem er seine Stirn berührt hatte. Auch Rownans Nase begann allmählich penetrant zu puckern, wenn auch die Blutung gestillt war. Es war spannend Lian dabei zu beobachten, wie er die vergangene Situation zu reflektierte, als dieser ihm wieder Blickkontakt zu ihm suchte. Und erneut spürte er ein angenehmes Gefühl als er in die Augen des Magiers blickte. Es war dieser Blick für den er sonst so hart arbeiten musste, aber noch viel mehr, denn er durchdrang die sonst so glatte Fasse des Wolfes mühelos. Er sah ihn gerade, und vielleicht war es das erste Mal, dass er einen solchen Blick erhalten hatte, als die Person an, die er war, ohne Hintergedanken, Vorurteile oder sonstige Wertungen. Dem abschließenden Statement konnte auch der Hybrid nicht wirklich etwas hinzufügen, weshalb er in diesem Moment nur bestätigend nickte und sich ein ehrliches, wenn auch nur leichtes Lächeln in seinem Gesicht bildete. Als Lian dann die Hand ausstreckte, merkte er erneut, wie seine eigenen Augen feuchter wurden als normal. Um diese Geste zu würdigen, senkte sich Rownan etwas ab, um seinem Gegenüber tatsächlich auf Augenhöhe zu begegnen, ehe er die Blutbefleckte Hand mit der seinigen, die noch feucht war von den vergossenen Tränen der Wut, in Empfang nahm. Ein symbolischer Handschlag. Kurz hatte er überlegt aus dem Handschlag einen Umarmung zu machen, entschied sich aber vorerst dagegen. Man musste es ja nicht übertreiben. Nicht nur Tränen und Blut mischten sich, sondern es offenbarten sich in den Worten auch die Möglichkeit, zukünftig miteinander auf einer anderen Ebene aneinander und miteinander zu arbeiten. Zumindest war das die Hoffnung, die Rownan in seinen Handschlag und seinen Blick legte. „Frieden“!
Kurz verweilten sie einige Sekunden so, ehe sie das Ende ihrer Konfrontation auflösten. Und so kam es wie es kommen musste und der Wolf beging einen Fehler. Eigentlich wollte er sich nur etwas von dem Blut aus seiner Nase abstreichen, welches sich in der Öffnungen seines Riechkolben gebildet hatte. Dabei nahm er jedoch die Hand, an welcher nun Überreste von Lians Blut klebten. Wenn dieses bis dato keinen Weg gefunden hatte, die Reize des Hybriden zu tangieren, so beförderte er sie jetzt direkt ins Epizentrum einer neuen Katastrophe. Das bemerkte auch Rownan, der instinktiv einen Satz von seinem Kollegen wegmachte und unsanft mit dem Rücken an der Wagonwand zum Halten kam. Sofort riss er sich den anderen Arm hoch, um durch sein Fell andere Gerüche einströmen zu lassen in der Hoffnung die feine Note des Blutes heraus zu spülen. Hatte seine animalische Seite nicht eben erst eine Art Waffenstillstand unterzeichnet, der durch so etwas wie einen billigen Reiz nicht gefährdet werden konnte? „Dein Blut, Lian“ war das erste, das er in der Hitze des inneren Gefechts nach außen hervorbrachte. Das letzte was er wollte war, diese ganze Mühe in einem Moment der Verwirrung zunichte zu machen. Aber eine Wut machte sich in ihm breit, wie er sie noch nie gespürt hatte. Völlig überrascht, bemerkte er wie ein tiefes Grollen seiner Kehle entsprang. Aber diese Wut war fremd, weder eben gerade noch zuvor hatte es sich so angefühlt. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, während seine Sinnen gegen die plötzliche Emotionalität ankämpften. Viel eher hatte er das Gefühl, dass sein Geist selbst sich gegen etwas wehrte, welches sich seine animalische Seite zu Nutze machen wollte. Wurde er manipuliert? Aber wer konnte es sein? Lian? Warum würde gerade Lian alles torpedieren? Welchen Mehrwehrt hatte er davon? Frustriert riss er sich selbst der Schulter nach herum, um unsanft mit dem Kopf gegen die Wand zu donnern. Es bescherte ihm doch einen kurzen Moment der Klarheit. Etwa der Typ der eben in die Kabine geschaut hatte? Schnell rief er sich dessen Merkmale ins Gedächtnis. Er hatte ein sonderbares Outfit an. Einer der Artisten? Das Grollen wurde zu einem lauten Knurren und Fletschen, ehe er sich erneut umriss, diesmal statt seines Kopfes, seinen Körper zu Boden reißend. Gut sichtbar war jetzt auch eine Wunde an seinem Kopf, deren Blut langsam zu den Seiten seiner Schnauze herablief. Es war das einzige Indiz das er hatte. Ansonsten steckten die beiden in noch größeren Schwierigkeiten. „Lian, der Typ … lauf“! waren die letzten Worte, die er noch hervorbringen konnte. Ganz gleich, ob er wirklich manipuliert wurde oder es seine Triebe waren, die ihren Teil der Action haben wollten, so konnte sein neu gewonnener Vertrauter wenigstens etwas Raum gut machen, bevor Rownan wie eine wilde Bestie hinter ihm hereilen würde. Warum nur verspürte er so einen Hass gegen Lian? Nach alldem! Wie eine Kaskade schien er sich immer weiter hineinzusteigern, die Hände fest an den Kopf gepresst. Er war sich sicher, dass er manipuliert wurde, doch sein Wissen über Magie war zu beschränkt, um es zu identifizieren. Was immer es war, es verweigerte ihm den letzten rationalen Gedanken. Abrupt hörten seine körperlichen Gebaren auf und er schaute auf, immer noch die wilden Geräusche seiner Natur ausstrahlend. Er wollte Lian zerfleischen und wenn es das letzte war, das er heute tat.
Ein fester Handschlag besiegelte den Friedenspakt, den Rownan und Lian miteinander schlossen. Es war ein ziemlich emotionaler Moment, der auch an dem Illusionsmagier nicht spurlos vorbeiging. Nach all dem Frust und dem puren Zorn, den er gegenüber seinem Kollegen verspürt hatte, war die Verbundenheit, die nun folgte, umso greifbarer. Lian lächelte, doch das Lächeln war nicht zu vergleichen mit jenem, mit dem er Rownan zu Beginn ihrer Quest begegnet war. Es war nicht herablassend, sondern ehrlich erleichtert. Apropos Quest: Die gab es ja auch noch! Der Braunhaarige sah sich um und die hellgrünen Seelenspiegel blieben an seinem Oberteil hängen, das noch immer auf der Bank der Umkleidekabine lag und darauf wartete, endlich angezogen zu werden. Davor sollte er wohl lieber seine Wunde versorgen, oder? Nicht, dass das Kleidungsstück noch dreckig wurde.
„Dein Blut, Lian!“
Sein Blut? Die Stimme von Rownan riss den 19-Jährigen aus seinen Überlegungen. Irritiert blickten die grünen Seelenspiegel erneut zum Hybriden… und Lian riss die Augen schlagartig auf. Das Fell des Wolfes stellte sich sichtbar auf, ein tiefes, bedrohliches Grollen entsprang der Kehle von Rownan und er taxierte Lian mit einem wilden, unbarmherzigen Blick. Was war denn jetzt los? Sein… Blut? Nur kurz starrte Lian ratlos auf seine rechte Hand, an dessen Fingern noch immer die rote Lebensflüssigkeit klebte.
Rumms.
Der Braunhaarige wich instinktiv einen Schritt zurück, als Rownan seinen Kopf erbarmungslos gegen die Wand der Umkleidekabine schmetterte. Ein äußert ungutes Gefühl machte sich in dem Illusionsmagier breit. Er hatte keine Ahnung, was hier gerade passierte, aber eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm ganz deutlich, dass er gerade in einer viel größeren Gefahr steckte, als gerade eben noch. Lian stand wie angewurzelt auf der Stelle, als das tiefe Grollen des Kollegen in ein aggressives Knurren überging. Kämpfte er gerade gegen irgendetwas an? Aber gegen was? Seine Triebe?! Der Falls konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Blut aus seiner Platzwunde ausreichte, um Rownan so aus der Fassung zu bringen. Oder… oder etwa doch? Auch der Hybride blutete nach seiner Kopfnuss gegen die Wand, kauerte mittlerweile sogar auf dem Boden und doch zuckte der gesamte Körper des Kollegen verräterisch. Der Falls trat immer noch vollkommen überfordert von der Situation einen Schritt zurück, da ertönte zwischen all dem Grollen und Knurren noch ein letztes Mal die angestrengte Stimme von Rownan. Von dem Rownan, den Lian bisher kennengelernt hatte. „Der Typ?“, wiederholte er die Aussage, schüttelte den Kopf. Meinte er den, der vorhin aufgetaucht war? Was sollte mit dem sein? Doch ehe er sich darüber genaue Gedanken machen konnte, alarmierte ihn das letzte Wort von Rownan: Er sollte laufen. Als der Wolf aufblickte, wurde dem Falls auch klar warum: Pure Mordlust sprach aus den Augen des anderen Magiers. Lian sank das Herz in die Hose. „Fuck“, murmelte er, als ihm klar wurde, was gleich passieren würde. Er drehte sich um und hastete aus der Umkleidekabine.
„Verschwindet!“, brüllte er, noch ehe er sich im Vorraum der Umkleidekabine genauer umgesehen hatte. Lian sog scharf die Luft ein, als ihm bewusstwurde, dass hier viel zu viele Menschen waren. Einige schminkten sich, richteten Frisur und Kleidung, zwei Damen mit Klemmbrett eilten durch den Raum. Als sie den halbnackten und an der Stirn blutenden Lian entdeckten, drehten sich allesamt überrascht zu ihm um… aber sie bewegten sich nicht. Eine Frau steuerte mit ausgestreckter Hand auf ihn zu: „Geht es dir gut?“, fragte sie, doch der Illusionsmagier fiel ihr barsch ins Wort: „Ich habe gesagt, ihr sollt…“ Doch da war es schon zu spät. Ein lautes Jaulen ertönte und keine Sekunde später preschte Rownan aus der Umkleidekabine hervor. Die Menschen schrien auf, wichen zurück und pressten sich gegen die Wände im Raum. Auch Lian stockte der Atem, denn die Gestalt, die sich hier zeigte, hatte nichts gemein mit dem förmlichen Satyrs Magier, den er kennengelernt hatte. Den Kopf gesenkt, die Ohren angelegt, die gefletschten Zähne bedrohlich präsentierend – das war eine Bestie. Zuerst hatte der Falls befürchtet, Rownan würde die Leute angreifen, doch dann wurde ihm klar Er fokussiert sich nur auf mich. Die Erkenntnis blitzte nur kurz in den grünen Seelenspiegeln auf, da machte der Wolf auch schon einen Satz auf den Braunhaarigen zu. Ein direktes Kräftemessen würde den Tod bedeuten, das wusste auch Lian, der sofort die Beine in die Hand nahm und aus dem Abteil eilte. Er riss die Tür auf und stolperte in die Küche des Zuges, in der ebenfalls reges Treiben herrschte. Alle steckten tief in der Vorbereitung, denn die Zugfahrt sollte bald beginnen. „Verschwindet!“, brüllte der Falls auch hier, was ihm aber genauso wie zuvor nur irritierte Blicke bescherte. Verdammt nochmal, konnten die Leute nicht einfach machen, was man ihnen sagte?! Lian eilte weiter in die Küche und erst, als hinter ihm der wütende Rownan durch die Tür brach, erwachten auch das Küchenpersonal endlich zum Leben. Die Leute kreischten, schrien und stoben auseinander. Der Lockenkopf sprang in einer flinken Bewegung über eine der Theken, gegen die der Hybride in seiner blinden Wut zuerst prallte. Lian drehte sich um, hob beide Hände an. „Scheiße, Rownan! Beruhig dich!“ Doch natürlich halfen die Worte überhaupt nicht, der 19-Jährige hatte fast das Gefühl, den Kollegen damit noch weiter anzustacheln. Er ist nicht er selbst schoss es Lian erneut durch den Kopf, aber wieder einmal wurden seine Gedankengänge unterbrochen, bevor er sie hätte beenden können. Rownan hatte sich von der Theke gelöst und setzte nun seinerseits über, mehr auf allen Vieren als auf zwei Beinen stehend. Der Illusionsmagier eilte weiter, riss in der Eile sämtliche Schubladen auf, um dem Wolf den Weg zu versperren und sprang schließlich nach oben, um ein Regal mit Töpfen aus den Angeln zu reißen. Klirrend fielen verschiedenste Küchenutensilien zu Boden und prasselten auf den wild gewordenen Hybriden nieder. Lian nutzte den Moment der Ablenkung, um erneut über eine der Theken zu springen und schließlich unter einen Beistelltisch zu rutschen. Er wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis Rownan ihn finden würde. Aber die Zeit musste reichen, um einen klaren Gedanken zu fassen. Sein Blut… er hatte von seinem Blut gesprochen! Die hellgrünen Augen sahen sich hektisch um, da fand er ein Tuch unweit auf dem Boden liegen, das vermutlich einer der Küchenangestellten in der Eile hatte fallenlassen. Okay, keine Ahnung, was damit zuvor gesäubert worden war, aber es würde schon gehen. Lian griff nach dem Tuch und band es sich in einer fahren Bewegung um die Stirn, um die Wunde und eventuell weiteren Blutfluss zu verdecken und damit die Reize zu minimieren. Ob es helfen würde, wusste der Illusionsmagier nicht, aber er hoffte einfach. Viel mehr blieb ihm im Moment ohnehin nicht übrig. Er hörte es heftig scheppern, traute sich aber nicht, nachzusehen, was genau Rownan gerade anstellte. Seine Gedanken kreisten weiter. Was hatte Rownan noch gesagt? Der Typ? Er musste den Typen meinen, der in die Umkleidekabine geschaut hatte, es gab gar keinen Zweifel. Aber was hatte es mit dem Typen auf sich? Lian versuchte, sich an das Äußere zu erinnern, an irgendwelche Merkmale, die ihm besonders aufgefallen waren. Seine Kleidung? Ja, die schillernden Farben hoben sich deutlich von der Uniform ab, die sie selbst bekommen hatten. Und dann erinnerte er sich an das, was Natalie gesagt hatte: Artisten. Es gab Artisten, die auftreten sollten. Aber was hatte der Typ mit Rownan angestellt? Hatte er ihn so wütend gemacht? Wütend auf Lian?! Allmählich keimte ein Verdacht in dem Illusionsmagier auf, doch just in diesem Moment näherte sich das Knurren des Hybriden – natürlich hatte er ihn gefunden. Lian hechtete aus seinem Versteck und starrte erschrocken dem Wolf entgegen, der gar nicht wartete, sondern sofort wieder zum Angriff gegen seine Beute ansetzte. Wieder ergriff der Lockenkopf die Flucht und stolperte ins nächste Abteil. Das Restaurant! Hektisch sah sich Lian um und war erleichtert, als er tatsächlich keine andere Menschenseele hier entdeckte. Ob sich das Chaos bereits herumgesprochen hatte? Die Erleichterung verschwand so schnell, wie sie erschienen war, als Lian sich umdrehte und Rownan erkannte, der ihm natürlich auch in dieses Abteil gefolgt war. Der Hybride war nicht bei Sinnen und wenn der Verdacht, den der Illusionsmagier hatte, stimmte, dann musste er irgendwie an ihn herankommen, um ihm zu helfen. Aber im jetzigen Zustand war das ein absolutes Selbstmordkommando! Lians einziger Vorteil war, dass Rownan gerade vollkommen triebgesteuert war… der einzige Vorteil, den der Illusionsmagier hatte. Er musste diesen Vorteil nutzen und den Kollegen irgendwie bewegungsunfähig machen, zumindest für einen kleinen Moment. Aber wie… sein Blick huschte zu den schweren Vorhängen und den dicken Seilen, die rechts und links neben den Fenstern in massive Goldreife eingehakt waren. Würde es reichen?... Lian konnte den Plan nicht bis zum Ende durchdenken, denn Rownan hechtete erneut mit gefletschten Zähnen auf ihn zu, offensichtlich gewillt, ihm die Kehle durchzubeißen. Fuck! Der Falls riss seinen Körper im letzten Moment zur Seite und ließ die Zähne des Kollegen dadurch ins Leere gehen. Die Tatsache, dass Lian den heißen Atem der Bestie eindeutig auf seinem Gesicht gespürt hatte, ließ ihn deutlich werden, wie knapp das gewesen war. Okay, es gab kein zurück mehr. Alles oder nichts. „Rownan!“, rief er dem Hybriden entgegen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und positionierte sich bewusst vor einem der Vorhänge. „War das schon alles? So kriegst du mich nie.“ Lian spürte sein Herz bis in den Hals schlagen, aber er unterdrückte das Gefühl der lähmenden Angst. Das war das Letzte, was er gerade gebrauchen konnte. Natürlich fixierte der Hybride ihn sofort wieder und schien sich von den Worten sogar irgendwie angestachelt zu fühlen – vielleicht bildete sich der Illusionsmagier das aber auch nur ein. Egal was es war, es passierte das, womit Lian gerechnet hatte: Rownan setzte erneut zum Angriff an. Noch nicht… Noch nicht… Der 19-Jährige ermahnte sich, noch nicht auszuweichen. Der Wolf kam näher, noch näher, immer näher… Jetzt! Im letzten Moment duckte sich Lian, als die aufgerissene Schnauze Rownans ihm bereits entgegenschnellte. Der Wolf prallte erst gegen den Vorhang, direkt danach unsanft gegen die Wand, die dahinter lag. Aber das war noch nicht alles. Der Falls entfernte sich seitlich wenige Schritte von dem Spektakel, hob die linke Hand und ließ ein Manaimpuls in das Lederarmband fließen, das noch immer an seinem linken Handgelenk ruhte. Die Kristalle in dem Armband leuchteten auf und sogleich verwandelte sich das Accessoire in einen schwarzen Bogen, den Lian in der Linken hielt. Er zog die Sehne zurück und ein schwarzer Pfeil erschien wie von Zauberhand an der Sehne. Ich muss treffen. Jetzt. Ansonsten ist der Moment vorbei. Nur kurz erlaubte sich der Illusionsmagier diesen Gedanken, seine Augen verengten sich, dann ließ er die Sehne los und der Pfeil schnellte davon. Er schnitt sich quer durch den dicken und schweren Stoff des Vorhangs, der im nächsten Moment auf den vom Aufprall benommenen Wolf herabfiel und ihm damit Sicht und Orientierung nahm. Lian ließ den Bogen achtlos fallen, hechtete nach vorne und griff das dicke Seil, mit dem die Vorhänge eigentlich zusammengebunden werden sollten. Das eine Ende hing bereits in einem goldenen Reif, mit dem Seil umrundete er schließlich den strampelnden Rownan im Vorhang und zog am Ende zu, sodass sich die Schlaufe um den Körper des Wolfes verengte, was dieser natürlich nicht hatte kommen sehen. Geschwind wurde das andere Ende des Seils am zweiten goldenen Reif auf der anderen Seite des Fensters befestigt. Lian hatte keine Ahnung, wie lange diese Konstruktion halten würde und er glaubte, dass der wütende Rownan genug Kraft besaß, um notfalls auch massive Goldringe aus ihren Angeln zu reißen. Aber … so lange wollte der Illusionsmagier gar nicht warten. Seinen letzten Mut zusammennehmend, sprang er auf den noch immer vom Vorhang ummantelten und durch die Seile gefesselten Wolf zu, klammerte sich förmlich an ihn und ließ nun seinerseits einen Manaimpuls in Rownan fließen. „Rownan, komm zu dir, Mann!“, brüllte der 19-Jährige dabei außer Atem und hoffte inständig, dass seine Stimme, sein Mana oder gerne auch beides zu seinem Kollegen durchdringen würde. Wenn nicht… war er tot. Sowas von tot.
Langsam richtete sich Rownan vom Boden auf und lockerte in einer kreisenden Bewegung seine Hals-Nackenmuskulatur und schnalle seinen Degen ab, während Lian seinerseits die Umkleide überstürzt verließ. Das würde das Ganze nur spannender machen. Genüsslich leckte der Hybrid sich daraufhin die Überreste des fremden Blutes von seiner Handinnenfläche, um die letzten Nuancen des Geruches zu erfassen. Noch war die Flüssigkeit nicht völlig erkaltet, was wiederum einen angenehmen Schauer über seinen Rücken laufen ließ. Er würden den Jungen zusehen lassen, wie er ihm die Eingeweide rausriss. Angespornte durch diesen Gedanken jaulte der Wolf auf; eine Fähigkeit, dessen sich der Tiermensch vermutlich nicht einmal bewusst war sie zu haben. Die Jagd hatte begonnen. Auf der kurzen Strecke etwas Tempo aufbauend, brach die Kreatur nun aus der provisorischen Umkleide heraus. Auf sie prasselten zahlreiche fremder Gerüche ein, doch diese waren ihm gerade völlig egal. Er wollte nur den anderen Magier zu fassen kriegen. Ein Blick nach links offenbarte ihm daraufhin auch sein Ziel, weshalb er seinerseits die Ohren anlegte. Rownan wollte, dass seine Zähne die erste waren, die sich ein Stück aus dem weichen, warmen Fleisch des Bastards rissen. Die selbst zugeführte Kopfwunde hatte sich derweil ein wenig beruhigt, doch um sich selbst noch etwas anzutreiben, entfernte er die Überreste an seinem Gaumen mithilfe seiner Zunge, wodurch wiederum die scharfen Zähne einen Moment besser zur Geltung kamen. Das unfreiwillige Publikum war erstarrt, hatten diese Stadtbewohner vermutlich in ihrem Leben noch kein echtes und wildes Tier zu Gesicht bekommen. In einem Satz überbrückte der Wolf die Distanz zwischen seinem Ziel und sich, nur um mit seinen Fängen beinahe in der Abteiltür stecken zu bleiben. Sein Knurren und Fletschen intensiviert sich durch den Fehlversuch und war gleichzeitig für die restlichen Beiwohnenden Anlass genug, den Zug panisch durch den Ausgang auf der andere Seite des Wagons zu verlassen, bevor sich die Wut der Bestie wohlmöglich noch auf sie richtete.
Aufgeladen riss Rownan die Tür zu Küche auf und landet mit einem weiteren Satz in der Küche. Lian faselte immer wieder was, dessen Bedeutung der Satyrs nicht verstand. Vermutlich bettelt er um Gnade. Doch damit trifft er auf taube Ohren. Er war ihm bereits einmal entwischt, jetzt würde er dem Spielchen ein Ende machen. Wie im Abteil zuvor liefen die Leute erneut wild durcheinander, was seine Wut nur noch befeuerte. Sie ruinierten seine Fährte mit ihrem Schweiß, dem Schreien und den vielen weiteren Gerüchen, die durch die Umgebung einer Küche selbst seine Sinne bombardierten. Zu seinem Glück hatte sich der Dunkelhaarige wohl seinem Schicksal ergeben. Ob er ihm erst den Arm abreißen sollte? Ein wundervoller Gedanke. Explosionsartig beförderte sich der Grauhaarige in Richtung seines Auserwählten, der wiederum einen Satz über die Theke machte, die die beiden Kontrahenten nun trennte. Die Kraft entlud er diesmal in seinen Händen, speziell in seinen Krallen, die sich auf der Arbeitsplatte verewigte. Langsam wurde es ihm zu bunt. Er wollte den Scheißkerl fressen, ihn leiden sehen und schlussendlich seinem Leben ein Ende bereiten. Beruhigen? Ich soll mich beruhigen!? Ich zeig dir beruhigen! In einem Satz überbrückte auch er die vermeintliche Barrikade nur um erneut hinter seinem Ziel her hechten zu müssen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diesem die Kraft ausgehen würde. So war es immer. Survival of the fittest. Und das war definitiv nicht das Schwein, dass weiterhin panisch versuchte zu fliehen. Panisch, weil dieser tatsächlich versuchte durch Schubladen das Vorpreschen Rownans zu stoppen. Ein Versuch durchaus, aber ein vergeblicher. Beinahe hatte er ihn geschnappt, als Lian eine Heerschar von schweren Töpfen auf ihn niederprasseln ließ. Damit hatte er auf keinen Fall gerechnet und auch wenn die Fallhöhe nicht sehr hoch war, reichte es doch aus, um eine Reaktion zu provozieren. Er musste sich schützen, wenn er nicht verletzt oder gar ausgeknockt werden wollte. Instinktiv riss er die Arme hoch und machte einen Satz nach hinten, während seine Augenlieder sich für einen kurzen Moment schlossen. So verfehlten ihn immerhin die Hälfte der Töpfe, die aber allesamt krachen zu Boden kamen. Sofort riss Rownan seine Augen auf. Von seiner Beute keine Spur mehr, das Scheppern des Metall in seinen Ohren nachhallend. Oh, dieser Dreckskerl! Wüten brüllte er in die Küche, die Hände kraftvoll zu Fäusten ballend. Er würde ihm jetzt als allererstes die Beine brechen, dem ewige Katz- und Mausspiel war er zusehends überdrüssig. Wie kann dieser Crimson Sphynx Magier nur so lange gegen mich durchhalten!? Seine innere Anspannung zerriss ihn förmlich, während er sich versuchte auf seine Sinne zu konzentrieren. Einzig einige Töpfe waren jetzt noch zu hören, deren Inhalte genüsslich vor sich her köchelten. Irgendwo in der Küche musste er noch sein, denn die Abteiltüren hatten sich nicht bewegt. Da war es! Eine leichte Note des Blutes seines Mittagessens. Vielleicht würde er ihn noch zusammenprügeln, dafür, dass er sich nicht widerstandslos fressen ließ. Das war eine famose Idee. Die Schnauze durch ein neu aufflammendes Knurren rümpfend, nahm der Wolf die Fährte auf. Er wusste ungefähr wo sein Versteck sein musste. Lian schien dies ebenfalls aufgefallen zu sein und zum wiederholte Male schnappte der Hybrid ins Leere, während der Mistkerl ins nächste Abteil stolperte. Der Zug war nicht mehr sehr lang. Aber immer noch länger als der Geduldsfaden des Tiermenschen, der wutentbrannt die Abteiltür aufriss. Keine halben Sachen mehr.
In einem Wimpernschlag überbrückte er die Distanz zwischen den beiden, um diesmal nur knapp an seinem Ziel vorbei zu beißen. Der Duft des Falls stieg ihm in die Nase, was ihn wiederum in Ekstase versetze. Er würde dessen Ende sowas von genießen. Sein Kopf schnellte in die Richtung aus der er seinen Namen hörte. Keine besonders gute Wahl letzter Worte. Scheinbar hatte sein Gegenüber endlich aufgegeben, als Rownan ihn von neuem fixierte. Der angsterfüllte Blick, die pulsierende Schlagader. Der Typ hatte ihn so heute so angepisst, es war mehr als eine Genugtuung dem arroganten Bengel die Lichter auszublasen. Statt direkt zu attackieren, überbrückte er diesmal die Strecke Schritt für Schritt. Zu seiner Überraschung machte jener wirklich keine Anstalten auszuweichen. Seine ganze Energie deshalb in Kiefer und Beine konzentriert, schnellte er ein weiteres Mal in Richtung des Magiers, nur um in diesem Fall über ihn hinweg zu schnappen. Aufgrund der unproportionalen Kräfteverteilung rammelte der Hüne in die Vorhänge des Fenster, die seine Energie kaum zu stoppen vermochten, weshalb die restliche ihn unsanft in das dahinterliegende Fenster beförderte. Bevor er sich jedoch erneut seiner Beute umwenden konnte, vielen ebene jene Vorhänge auf ihn herab. Sie waren verhältnismäßig schwer und voluminös, weshalb sie ihn vorerst die Sicht auf seine Trophäe versperrten. Das würde er ihn alles büßen lassen. Dass so jemand ihn, Rownan, so vorführte, würde er nicht stehen lassen. Die Wut gegen seinen vermeintlichen Partner erreichte sein Maximum, als er spürte, wie dieser ein Seil von außen um den Grauhaarigen wickelte. Glaubte er wirklich ihn durch ein solches Manöver zu immobilisieren? Ein weiterer Gedanke, der ihn nur noch mehr dazu anstachelte, sich aus den Vorhängen zu befreien und dem Typen endlich den garaus zu machen. Bevor er jedoch an die Flucht denken konnte, klammerte sich neben dem Seil noch etwas an ihn. War das etwa Lian selbst? Das Schicksal meinte es doch gut zu ihm. Wenn seine Krallen sich erst durch den Stoff gearbeitet hatten, könnte diese sich direkt in das Fleisch der Labertasche versenken.
Dazu sollte es an diesem Tag nicht mehr kommen. Zumindest sollte nicht sein Verbündeter das Ziel des heutigen Tages bleiben. Der Lupine war sich nicht sicher, ob es die verstrichen Zeit war, die Stimme seiner vermeintlichen Beute oder der Manaimpuls, aber etwas weckte ihn aus einer Art Trance. Es fühlte sich an, als ob die Wolken, die seinen Verstand vernebelten, sich schlagartig auflösten. Die Erinnerungen der letzten Minuten überfluteten ihn, weshalb er sich nicht anders helfen konnte, als in die Knie zu gehen. Abermals bildete sich eine feuchte Schicht auf seinen Seelenspiegeln. „Lian, oh Gott… es tut mir so leid. Irgendwas oder … irgendwer war in meinem Kopf … zumindest hoffe ich das inständig“ waren die ersten Worte, die seine trockene, kratzige Kehle verließen. Dann erst erinnerte er sich an seine letzten Worte und die Spannung kehrte in seine schlaffen Glieder zurück. „Lass mich hier raus und ich schwöre bei allem was dir heilig ist, ich ersteche diesen Typen“. Dabei wusste der Magier ja nicht einmal, ob es wirklich der Artist gewesen war. Ob Lian seinesgleichen ausfindig machen konnte, wenn es sich denn dabei überhaupt um die gleiche Magie handelte. Rownan jedenfalls war drauf und dran aus seinem provisorischen Gefängnis zu kommen.
Lian klammerte sich mit letzter Kraft an den sich windenden Körper im Vorhang. Sein Kopf war leer und ein Rauschen in seinen Ohren verhinderte, dass er irgendwelche Geräusche von außen wahrnahm. Der 19-Jährige war vollgepumpt mit Adrenalin und sein gesamter Fokus lag auf Rownan, den Gedanken verdrängend, dass sein Plan eventuell nicht aufging. Dass weder seine Stimme, noch der Manaimpuls helfen würden und der Hybride ihn eiskalt tötete, sobald er sich aus der Schlinge und den dicken Vorhängen befreit hatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr – der Falls hoffte inständig und kniff die Augen zusammen.
Und tatsächlich hörten die wilden Bewegungen des Wolfes abrupt auf.
Lian war sich nicht sicher, ob er sich irrte, doch dann ging Rownan unerwartet in die Knie und riss damit auch den Illusionsmagier mit sich. Der Braunhaarige sah seinen Kollegen nicht, doch er hörte ihn und spürte, dass die Anspannung aus dem anderen Körper gewichen war. Er… er sagte, dass es ihm leidtue. Rownan! Das war eindeutig die Stimme des Satyrs, die da aus den Vorhängen zu ihm sprach. Der Falls konnte es noch immer nicht glauben, löste sich mit weit aufgerissenen Augen von Rownan und wollte aufstehen – aber die Knie waren zu weich. Lian fiel einfach nach hinten und blieb auf dem Hosenboden sitzen, während er die verhüllte Gestalt anstarrte. Sein Brustkorb hob und senkte sich sichtbar und allmählich wurde dem Illusionsmagier erst klar, was da eben geschehen war. War er eigentlich absolut wahnsinnig, sich dem Kollegen in seiner Aggression entgegenzustellen und sich sogar an ihn zu klammern?! Er dachte daran, was alles hätte schiefgehen können, wie nah er eigentlich dem Tode gekommen war. Gerne hätte er Rownan sofort geantwortet, aber Lian war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt – er schloss die Augen und bemühte sich, sein wild pochendes Herz wieder zu beruhigen. Ich lebe noch schoss es ihm durch den Kopf. Ich lebe tatsächlich noch Ob er jemals dem Tode so nahe gekommen war wie heute? Lian konnte sich nicht daran erinnern. Der Illusionsmagier war so erleichtert, dass erst die wütenden Worte von seinem Kollegen ihn wieder zur Besinnung brachten. Er lächelte befreit. „Oh, Rownan. Ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr darüber gefreut, eine Morddrohung zu hören. Scheiße, ich dachte wirklich, das wars jetzt.“ Er schüttelte den Kopf und rappelte sich mühsam auf. Sofort bemerkte Lian, dass er noch immer am ganzen Körper zitterte, aber es wurde besser. Sein Körper brauchte wohl einfach noch ein wenig Zeit, um aus der Alarmbereitschaft zurückzukehren. Kurz sahen sich die grünen Seelenspiegel um, bevor er auf eines der Seilenden zutrat. „Warte. Ich löse das Seil.“ Gesagt, getan. Kaum hatte sich das Seil gelockert, kämpfte sich Rownan auch schon aus den Vorhängen und schließlich blickten sich beide Magier in die Augen. Bis vor einigen Minuten hätte Lian niemals geglaubt, sich so sehr darüber freuen zu können, in das Gesicht des Hybriden zu blicken. Seine klaren, wecken Augen zu sehen, anstatt in die Seelenspiegel einer Bestie zu starren, die ihn umbringen wollte. Lian lehnte sich gegen die Wand in seinem Rücken, strich sich in einer fahrigen Bewegung die zerzausten Haare zurück und stockte, als er das Küchentuch spürte, dass er sich in Eile um den Kopf gebunden hatte. Dann huschte der Blick hinab auf seinen nackten Oberkörper – meine Güte, er musste absolut schrecklich aussehen. „Du meinst, der Typ vorhin hat dich manipuliert?“, fragte er nach und lenkte sich damit von seinem erbärmlichen Erscheinungsbild ab. Lian sah erneut zu seinem Kollegen und verschränkte die Arme vor der Brust. War das möglich? Er war nur kurz bei ihnen gewesen, hatte einen schnellen Blick in die Kabine geworfen. Der 19-Jährige erinnerte sich daran, dass Charon erzählt hatte, mit seiner Finsternismagie Menschen manipulieren zu können. Und natürlich sah der Falls auch die Parallelen zu seiner eigenen Magie. Aber er wusste nicht, wie sie dem Typen das nachweisen wollten. In der Regel hinterließ man keine Spuren bei seiner Magieanwendung, was es natürlich nochmal tückischer machte. „Er war einer der Artisten, oder? Warum hätte er das tun sollen?“, fragte Lian die Frage, die vermutlich auch Rownan sich schon gestellt hatte. Plötzlich blieb sein Blick an seinem Bogen hängen, den er achtlos auf den Boden geworfen hatte, um Rownan zu fesseln. Kopfschüttelnd ging der Falls zu seiner Waffe, hob diese vom Boden auf – in diesem Moment wurde die Tür zum Restaurant aufgerissen. „Was ist passiert?!“, bellte ihnen eine hohe, eindeutig weibliche Stimme entgegen. Lian hatte sich noch gar nicht richtig aufgerichtet, als er sich zum Ursprung der Stimme umdrehte… und Natalie erkannte. Die dominante Frau mit den hohen Schuhen eilte heran und blieb erschrocken stehen, als sie zuerst auf die halbnackten und verwundeten Magier blickte und schlussendlich scharf die Luft einsog, als sie nicht nur den zerschnittenen Vorhang bemerkte, sondern auch den schwarzen Pfeil, der in der Decke des noblen Zugabteils steckte. Natürlich huschte der Blick sofort zurück zum Falls, der sich mit dem Bogen in Händen bisher keinen Millimeter bewegt hatte. Das war wohl Beweis genug, oder? „Diese Vorhänge sind ein Vermögen wert!“ Sie bekam nicht sofort eine Antwort, denn ehe einer der Magier etwas sagen konnte, öffnete sich vorsichtig die Tür zum Küchenabteil und ein junger Mann linste herein. Als er Natalie erblickte, zuckte er sichtlich zusammen. „Oh, Natalie. Die Küche ist ein einziges Chaos! Aber die Gäste werden gleich kommen…“ „Dann beeilt euch, es wieder in Ordnung zu bringen!“ „J-ja…“ Das Gesicht verschwand wieder in der Küche und Natalie drehte sich wieder zu den Magiern. Wenn Blicke töten könnten, dann wären Rownan und Lian an Ort und Stelle qualvoll verstorben. Oh, das würde Aram gar nicht gefallen. Lian seufzte beim Gedanken an seinen Onkel und kam zumindest soweit wieder zur Besinnung, dass er kurz sein Mana konzentrierte und der Bogen in seinen Händen sich wieder zurück in das Armband verwandelte, das um sein linkes Handgelenk ruhte. Die grünen Augen sahen kurz hinab auf die magische Waffe, bevor die gereizte Stimme von Natalie erneut ertönte. “Habt ihr eigentlich überhaupt eine Vorstellung davon, was ihr angestellt habt? Es ist die eine Sache, dass ihr euch die Köpfe einschlagt, anstatt euren verdammten Auftrag zu erledigen. Aber dass ihr dabei auch noch eine Schneise der Verwüstung im Zug hinterlasst, obwohl unsere Zugfahrt gleich beginnt, ist absolut nicht tolerierbar! Eure Gilden werden für den gesamten Schaden aufkommen müssen. Nennt mir einen Grund, warum ich euch nicht auf der Stelle rauswerfen sollte…“
Immer noch in die unbekannte Dunkelheit gehüllt, bemerkte der Hybrid erst jetzt wirklich bewusst, dass er nicht nur durch etwas immaterielles fixiert wurde, sondern sich auch etwas an ihn klammerte. Dämmrig erinnerte er sich daran, dass es wohl Lian sein musste. Wer könnte sonst so wahnsinnig sein sich an die Bestie zu klammern, die gerade den halben Zug verwüstet hatte? Hätte man Rownan gefragt, ob er eine solche Handlung seines Kollegen noch zu Beginn der Quest erwartet hätte, hätte er wohlmöglich lauthals aufgelacht. Jetzt in diesem Moment war er einfach nur so froh und erleichtert darüber, dass der Magier alles, und damit meinte er wirklich alles, gegeben hatte, um den Wolf zu bändigen und die Umstehenden zu schützen. Das alles noch unter Gefahr für das eigene Leib und Wohl. Jener war ihm also zu großem Dank verpflichtet. Wenn sein Plan allerdings nicht funktioniert hätte, würde man den Dunkelhaarigen wohlmöglich aus dem Teppich kratzen müssen. Diese Feststellung kam nun langsam im Kopf des Falls an, der den Klammergriff löste und den letzten Meter Richtung Boden überbrückte. Zumindest war das die Vermutung des Magiers, als die Spannung um seinen Oberkörper sich zu lösen begann und hörte wie jemand, oder etwas, auf dem weichen Boden zu ruhen kam. Aus eigener Kraft würde der Magier sich nicht aus seiner Zwangsjacke befreien können, aber einen Moment der Erleichterung musste er seinem Gegenüber definitiv eingestehen. Erst etwas zeitversetzt nach seiner Drohung, war Lian endlich wieder soweit sich mitteilen zu können. Ein brummendes, wenn auch leichtes Lachen entsprang der Kehle des Lupinen. Wenn du schon seit Anfang so gewesen wärst, hätten wir viel Spaß gehabt. Aber der Magier hatte Recht: Sie hatten verdammt viel Glück gehabt und konnten heilfroh sein, dass die Situation so glimpflich ausgegangen war. Abgesehen natürlich davon, dass der Zug in einem furchtbaren Zustand war und die Jungfernfahrt in Gefahr war. Aber hey, sie waren noch am Leben. Die letzte Spannung löste sich auf die Aussage seines Partner hin und mit wenig Mühe strampelte sich Rownan aus den Vorhängen, nicht wirklich darauf achtend den Stoff unbeschädigt zu lassen. Nicht weit seiner Schnauze entfernt erblickten seine Seelenspiegel die seines tapfereren Retters. Und in diesen spiegelte sich auch die Aufrichtigkeit seiner Gefühle wider. Er konnte froh sein einen so verlässlichen Gefährten für diesen Auftrag bekommen zu haben. Den Schock der Jagd immer noch am Verdauen, lies sich Lian an der Wand erschöpft nieder. Nach der Auseinandersetzung in der Kabine, der Verfolgung und dem Kräftemessen auch kein Wunder. Der Grauhaarige merkte selbst, dass diese Vorgänge nicht spurlos an ihm vorbeigingen. Allein sein Fell, speziell das seines Oberkörpers, war völlig durcheinander; hier und da bedeckt durch etwas Blut von dem er nicht einmal wusste, wem es gehörte. Viele Optionen gab es dabei nicht. Der Crimson Sphynx Magier sah seinerseits nicht viel besser aus, auch wenn das provisorische Kopftuch wohlmöglich zu einer Attraktivitätssteigerung führen könnte. Vielleicht sah er auch so schlimm aus, weil ihm der Pelz fehlte. Eine interessante Überlegung. „Ich bin mir nicht sicher“ begann er die an ihn gestellte Fragen zu beantworten. „Ich hatte bis jetzt erst ein oder zwei Auseinandersetzungen dieses Kalibers mit mir selbst, speziell meinem animalischen Instinkten, aber dieses Mal hat es sich einfach fremd angefühlt. Ich hatte nicht Mal das Gefühl, dass ich Zuschauer war. Ich war einfach weg, getrieben durch blinde Wut. Und so schnell wie sie kam, war sie wieder verschwunden. Das beunruhigt mich noch mehr“ beendete Rownan seine Ausführungen. Viel mehr Gedanken konnte er sich bis jetzt selbst nicht über das Erlebte machen. Allerdings hätte er zum aktuellen Augenblick auch nicht den Luxus dies zu tun. Wenn er mit seiner Vermutung recht behielte, verloren sie mit jeder verstrichenen Minute wertvolle Zeit, die sie verwenden könnten, um nach den Artisten zu suchen. Als der Falls seine Folgefrage beendet hatte, schaute ihm der Hybrid kurz nach, während er seine Frage beantworte. Ob er noch in der Verfassung ist weiter zu machen?„Ich wüsste nicht wer es sonst sein sollte. Wenn es von außerhalb passiert ist, haben wir hier ein Problem, dem wir vermutlich beide nicht gewachsen sind. Ich denke, dass wir das in einem einfachen Gespräch erfassen können. Wohlmöglich hat es doch jemand auf den Zug abgesehen“. Viele weitere Überlegungen konnte der Magier nicht mehr äußern, als die Tür vom Schlafsaal aus zum Restaurant aufgerissen wurde und natürlich niemand anderes als Natalie Moreau das Abteil betrat. Na wunderbar seufzte er in sich hinein.
Natürlich war ihr die Konfrontation aus der Umkleide nicht verborgen geblieben, aber sie besaß wohl die Weitsicht, sich nicht in ihre internen Angelegenheiten zu mischen. Als diese jedoch den Auftraggeber in Bredouille brachten, dafür hatte der Hüne auch Verständnis, musste sie intervenieren. Im schlimmsten Fall würden sie keine Bezahlung bekommen, aber könnten einfach den nächsten Job annehmen. Natalie hingegen hatte in dieser Situation deutlich mehr zu verlieren. Obwohl ihre Tirade mehr als angebracht waren, blieb Rownan bei seiner Meinung: sie verschwendeten kostbare Zeit. Mühsam erhob sich der Wolf vom Boden und signalisierte Lian, dass er sich zurücknehmen konnte. Das hier war sein Kampf und seine vertraute Arena. Böse Zungen könnten sagen, dass es der Grund für seine Existenz war. „Meine werte Frau Moreau sie haben natürlich vollkommen recht mit allen ihren Behauptungen“ begann Rownan seine Ausführungen, die jedoch eher einem Monolog gleichen würden, während er sich den Dreck von der Hose klopfte, ehe er daraufhin den direkten Blickkontakt mit ihr suchte. „Unsere Gilden werden natürlich für den entstandenen Schaden aufkommen und darüber hinaus auch Sorge dafür tragen, dass sie und ihr Auftraggeber in keiner Weise reputierlichen Schaden davontragen werden“. Damit ging er einen Schritt auf sie zu und verbeugte sich tief vor ihr, die rechte Hand an der Schulter, die gleiche Geste wie zuvor am Bahnsteig, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Bevor sie jedoch erneut das Wort ergreifen konnte, hob er seinen Kopf, blieb auf ihrer Höhe stehen und war nun keine zwanzig Zentimeter mit seiner Schnauze von ihrem Gesicht entfernt. Dadurch verletzte er in diesem Moment mehr als nur ihre persönliche Sphäre. Und das war auch gewollt. Seine neutrale Mine wandelte sich zu einem freundlichen Lächeln, wobei er besonders Wert darauflegte, dass seine Eckzähne zum Vorschein kamen. Ein imposantes Bild, das Natalie dazu brachte, ihre Widerworte herunterzuschlucken. „Ich muss sie jedoch darüber informieren, dass sie ein Sicherheitsproblem haben. Wenn sie die Dienste der Gilden von diesem Punkt an natürlich nicht mehr in Anspruch nehmen wollen, haben wir beide dafür natürlich volles Verständnis. Ich kann ihnen nur leider keinen einzigen Grund nennen, warum ihr Auftraggeber im Antlitz einer solchen Datenlage, die einzige Verteidigung dagegen entlassen würde. Sie etwa?“ Natalie schluckte erneut, während ihre Augen damit begannen, einen Punkt jenseits des furchteinflößenden Gebisses fixieren zu wollen. Neben diesen kamen natürlich noch die Blutbefleckte Nase und vermutlich auch Überreste seiner Stirnwunde hinzu. Abgerundet durch die Tatsache, dass auch der Hybrid gerade oberkörperfrei war, schien sie sich in einer Art Schockstarre zu befinden, weshalb sie nicht mehr vollbrachte als ein Kopfschütteln. „Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen kann. Wenn ich die Küche noch richtig vor Augen habe, dürften die Horsd’oeuvre noch unbeschädigt sein. Zusammen mit dem ‚Veuve Clicquot‘ Champagner den ich ihre Kräfte habe transportieren sehen, werden sie es sicher schaffen, ihre Gäste noch für eine Weile zu vertrösten, während ihr ausgezeichnetes, engagiertes Team den Zug wieder in Bereitschaft versetzt … oder, Frau Moreau? Sein Blick wanderte nun von ihren Augen zu ihrer linken Schulter, ehe seine krallenbesetzt Hand zu dieser schnellte. Hörbar zog Natalie Luft ein, während sich eine Strähne aus ihrem perfekt gestylten Haar löste und sich zwischen ihren Augen positionierte. Rownan hätte zudem schwören können, dass er einen Schweißtropfen gesehen hatte, der die Schläfe entlanglief. Behutsam führte er das erfasste Haar, welches zuvor auf ihrer Schulter ruhte, in ihr Gesichtsfeld. „Ich versprach ihnen, dass meine Haare bei mir bleiben würden. Das war eine Tatsache. Wenn sie uns jetzt entschuldigen würden, wir kümmern uns um ihr Problem, bevor es ihre Gäste auf irgendeine Weise erfahren. Absolute Diskretion versteht sich“. Mit dieser Aussage verbeugte er sich erneut vor ihr, ehe er sich aufrichtete und zu Lian blickte. Natalie für ihren Teil, erwachte aus ihrer Starre, richtete ihr Haar und verließ wortlos das Abteil. „Ich hole meinen Degen, schau du derweil nach den Artisten. Wenn sie nicht mehr am Bahnsteig sind, dann verhärtet sich mein Verdacht. Wir treffen uns hinten am Zug“. Ein kurzer Blick nach draußen verriet ihm, dass die meisten Angestellten nur nach draußen geflüchtet, nicht aber ihren Posten aufgeben hatten. Seine Nase war zwar immer noch angeschlagen, aber im freien hätte Rownan vielleicht die Möglichkeit, eine Fährte aufzunehmen. Vorausgesetzt er behielte recht.
Er war weg gewesen, getrieben von blinder Wut? Das was Rownan erzählte, hörte sich wirklich nach Magie an… nach einer Magie, die seiner eigenen erschreckend ähnlich war. Wenn dieser Artist – wenn es denn wirklich ein Artist gewesen war – zu solcher Magie fähig war, dann überstieg er damit vielleicht sogar die Fähigkeiten, die Lian besaß. Und dennoch hatte er sich mit dem Braunhaarigen einen denkbar schlechten Gegenpart gesucht, denn der 19-Jährige kannte sich nicht nur sehr gut mit Illusionen aus, er konnte dadurch auch schneller durchschauen, wenn ihn jemand mit einer Magieanwendung manipulieren wollte. Und der Falls war entsprechend geschult, wenn es um die Auflösung solcher Illusionen ging. Ob ihnen das bei einer direkten Konfrontation helfen würde? Lian konnte es nur hoffen, denn eines stand außer Frage: In einem direkten Nahkampf wäre der Crimson Sphynx Magier mit seinem Bogen wenig zu gebrauchen. In seinem aktuellen Zustand noch weniger als ohnehin schon. Der Gedanke, dass es tatsächlich jemand auf den Zug und seine Insassen abgesehen haben könnte, ließ den Braunhaarigen aufhorchen. Doch er kam nicht dazu, auf den Verdacht seines Kollegen zu antworten, denn ihre Unterhaltung wurde von dem plötzlichen Erscheinen von Natalie Moreau jäh unterbrochen.
Der Falls hatte die erste Schimpftirade kommentarlos über sich ergehen lassen – witzigerweise wirkte die Wut der Auftraggeberin nach allem, was Lian gerade eben erlebt hatte, jämmerlich unbedeutend. Der Illusionsmagier hatte ein loses Mundwerk und die ersten Worte machten sich bereit, um ihren Weg in Richtung Natalie zu suchen. Der Mund öffnete sich… doch dann stoppte Lian in seinem Vorhaben, als er eine Bewegung seitens Rownan wahrnahm. Er wollte das übernehmen? Die Augenbraue des 19-Jährigen sprang nach oben, aber er sagte nichts, sondern überließ dem Satyrs schweigend das Spielfeld. Was hatte der Hybride vor? Im ersten Moment befürchtete der Braunhaarige, er würde gleich vor der Auftraggeberin auf die Knie gehen und um Vergebung bitten – das wäre es gewesen, was Lian zu Beginn dieser Quest von Rownan erwartet hätte. Zu seiner Überraschung – und ebenso zu seinem Amüsement – zeigte der andere Magier jetzt allerdings eine Seite von sich, die Lian noch überhaupt nicht gekannt hatte. Es war köstlich! Der 19-Jährige musste sich sichtlich zusammenreißen, um nicht loszulachen, als er das verängstigte Gesicht von Natalie erspähte und spätestens, als Rownan ihre lose Haarsträhne beiläufig zurück hinter ihr Ohr schob, kam der Falls wirklich an seine Grenzen. Er durfte nicht lachen. Er… musste sich zusammenreißen. Stoisch wechselte der Blick seiner grünen Seelenspiegel zwischen der Auftraggeberin und dem Kollegen hin und her… bis Natalie wortwörtlich die Flucht ergriff. Lians Mundwinkel verzogen sich weit nach oben, als er der davoneilenden Frau nachblickte.
„Die Horsd-was?“, war die erste Frage, die der Satyrs von dem Illusionsmagier zu hören bekam. Er hatte absolut keine Ahnung, was das sein sollte. Er hob die Hände an und zuckte mit den Schultern, während er den Blick des Hybriden suchte. „Aber hey, immerhin Champagner hab ich verstanden.“ Französische Küche gehörte nicht unbedingt zum Standard in den Randbezirken Aloe Towns, wie man daran vielleicht merkte. Wie gut, dass sie für solche Dinge Rownan im Team hatten, was? Wieder war es Hybride, der sich im Gegensatz zu Lian von der eigentlichen Aufgabe nicht ablenken ließ und anstatt Witze zu reißen sofort auf die wirklich wichtigen Dinge zu sprechen kam. Der 19-Jährige fügte sich, immerhin war ihm auch klar, dass es offensichtlich eine Gefahr gab – für den Zug, für die Leute und auch für die Magier selbst. Als der Hybride allerdings nach schneller Erläuterung des Plans davoneilte, um seinen Degen zu holen, musste Lian doch nochmal die Hand in die Höhe reißen. „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir mein Oberteil mitbringen könntest!“, rief er Rownan hinterher, aber da war der Wolf bereits hinter der Tür verschwunden. Lian kratzte sich am Hinterkopf… hoffentlich hatte ihn der Satyrs noch gehört. Er hatte mittlerweile wirklich genug Leuten seinen nackten Oberkörper präsentiert, oder? Er seufzte stumm, wandte sich dann auf dem Absatz um und sah zur Tür ins nächste Abteil. Er würde nicht drumherum kommen: Bis der Wolf und er wieder zusammentrafen, würden wohl noch ein paar Leute einen Blick auf seinen wunderbar (nicht) gestählten Oberkörper werfen dürfen. Ob sie wollten oder nicht. Lian schmunzelte über sich selbst, riss sich dann endlich zusammen und eilte ebenfalls davon.
Und doch blieb die Suche erfolglos. Der Braunhaarige hatte zuerst die restlichen Abteile abgesucht, doch abgesehen von einigen Mitarbeitenden, die ihm eine Mischung aus irritierten, angewiderten und ängstlichen Blicken zuwarfen (mal fürs Protokoll: Wenn die Angst haben wollten, dann bitte vor Rownan, nicht vor ihm!), wurde er nicht fündig. Die Artisten in ihren glitzernden Outfits waren weit und breit nicht zu sehen – war das möglich? Mit ihrer Kleidung sollten sie in der Masse mit Leichtigkeit herausstechen. Am Ende des Zuges angekommen, trat Lian nach draußen auf den Bahnsteig und sah sich auch hier suchend um. Mittlerweile hatten sich einige Menschen auf dem Bahnhof gesammelt, allesamt gekleidet in edlen Kleidern und ordentlichen Anzügen. Man konnte das Geld, das von diesen Leuten ausging, förmlich riechen. Sehr ungewöhnlich für den Falls hegte er in diesem Moment allerdings überhaupt kein Interesse an diesen reichen Leuten, sondern suchte schlicht nach den glitzernden Outfits der Artisten. Einige Angestellte liefen mit silbernen Tabletts und kleinen Häppchen durch die Menge, andere verteilten Sektgläser. Aber auch hier: Keine Artisten. Lian wandte sich um zu den zwei Wachleuten, die neben dem Eingang zum Zug standen. Als der halbnackte Illusionsmagier sich näherte, blinzelten sie verwundert, hatten aber offensichtlich genug Anstand, um nicht direkt nachzufragen. Lian war ziemlich dankbar dafür, vor Fragen verschont zu bleiben. „Hey. Wo sind die Artisten?“, fragte er direkt nach und die Wachen wechselten kurz einen verwunderten Blick, bevor der Größere von beiden eine Hand ans Kinn legte und nachdachte. “Eben waren sie noch hier. Aber sie sind in diese Richtung gelaufen. Ist noch nicht lange her, vielleicht ein oder zwei Minuten.“ Er nickte in besagte Richtung, stoppte dann kurz und musterte Lian nochmal genauer. “Warum fragst du? Ist irgendetwas passiert?“ Was für eine dämliche Frage, als würde er zum Spaß ohne Shirt und mit einem Tuch um den Kopf in der Kälte auf dem Bahnsteig stehen. Natürlich war etwas passiert. Der Falls winkte ab, anstatt eine Antwort zu geben und drehte sich stattdessen in die Richtung, in die die Artisten angeblich verschwunden sein sollten. Dann sah er über die Schulter zurück – wo blieb Rownan?
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