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Kenning nickte zufrieden, als sich Micah für ihr Leih-Angebot bedankte. Gut, dass er sie nicht noch einmal nett nannte, das hätte sie nicht gut aufgenommen. Geschätzt zu werden war dagegen sehr angenehm. Ein unsicheres Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und sie nickte, als sich Micah mehr nach ihrem Laden orientierte.
„Ah... j-ja, wir verdienen gut. L-Leute aus der Gilde brauchen i-immer mal neue Waffen o-oder Teile... gerade die, d-die keine Magie beherrschen“, bestätigte die Norne ruhig, ein wenig auflockernd bei diesem Thema, das etwas weiter von ihr selbst distanziert war.
„Die... die Alltags-Sachen sind mehr für... Kunden von außerhalb... d-die gehen auch ganz gut weg. Ganz gut... ja.“ Sie nickte, ihren Kopf leicht senkend. Die guten Verkäufe waren allerdings nicht unbedingt ihr zu verdanken.
„Die... die gute Verkäuferin ist meine Chefin... L-Lorelai. Sie ist... unglaublich. Ich bin nur, ähm... da. Ja.“ Lorelai hatte Charisma. Sie hatte einen Charme und eine gute Natur, mit denen der düstere Engel einfach nicht mithalten konnte. Die Norne war ja schon froh, wenn sie den Besen erfolgreich navigierte...
Auch auf Quests fühlte sich Kenning im Allgemeinen nur begrenzt nützlich, aber was auch immer sie falsch machte, sie tat zumindest ihr Bestes dabei. Auch wenn sie wusste, dass sie in nichts gut war, gab Ken nicht auf, ihren Beitrag leisten zu wollen. So stellte sie auch heute klar, dass Micah, trotz all ihrer Sorgen, nicht allein auf diesem Auftrag stehen würde.
„D-Danke!“, sprach sie, ihre Stimme stark und intensiv, während sie mit überraschender Selbstsicherheit im Gesicht ihren Kopf reckte, als wäre sie tatsächlich stolz auf sich.
„Wir... unterstützen uns! Gegenseitig!“ Vermutlich sprach sie etwas zu laut – der Typ, der sie vorhin schon schief angeguckt hatte, grinste hinter seinem Tresen, aber das war egal. Ihre Waffe fest haltend stampfte die Noé aus dem Gebäude heraus, zielsicher in Richtung der Hafenlager.
„Oh, äh... irgendwie schon, ja“, nickte sie, zur Seite sehen. Sie war zu ehrlich, um Micahs Frage einfach zu übergehen, aber ein wenig unwohl fühlte sie sich schon damit, über ihren Ex zu sprechen.
„Ich meine... j-ja, natürlich vermisse ich ihn. Ich dachte, dass... dass wir fürs Leben sind, aber... i-ich verstehe auch, dass er n-nicht für immer mit... mit einer wie mir sein will...“ Ihr Blick strich über die Fassaden der Gebäude um sie herum, entschieden dem Ganovikov ausweichend, während ihre Finger sanft über den Laib ihrer Waffe streichelten. Besonders ihr rechter Zeigefinger fand sich komfortabel auf dem Abzug wieder und hielt ihn fest, wie sie gerne ihren Partner festgehalten hätte. Sie seufzte, ihre Augen für einen Moment schließend.
„Geliebt werden... i-ist das beste Gefühl“, bestätigte sie.
„Aber... e-es hält nicht lange...“Kenning mochte es, dass man sich hier in Marokkasu selbst in tiefster Nacht ordentlich orientieren und alles sehen konnte. Ihre natürliche Neugier ließ ihre Augen unweigerlich wandern, und als jemand, der einst perfekte Augen besessen hatte, tat sie sich ein wenig schwer mit Situationen, in denen sie nicht gut sehen konnte. Langsam löste sie eine Hand vom Lauf ihrer Waffe, hob sie an ihren Heiligenschein heran. Sie berührte das Blut nicht direkt, doch ihre Hand wanderte in geringem Abstand ein Stück weit um den schwebenden Kreis herum.
„Gruselig... ja...“ Das hörte sie öfter.
Cool fand ihr Blut nur eine ausgewählte handvoll Personen. Dennoch schüttelte sie langsam den Kopf.
„N-nein... das ist es nicht.“ Ob es nun ihr eigenes Blut war oder das eines Toten, das wusste Kenning nicht. Sie war sich aber mehr als sicher, dass die Göttin des Todes ihr nicht das Blut eines Lebenden gegeben hatte. Tatsächlich war die Norne unsicher, ob Hel das überhaupt
konnte. Leicht wimmernd senkte sie ihre Hand wieder, biss sich auf den Daumen. Es war kein allzu fester Biss, tat sich Ken mit Schmerzen doch schwer, aber er wurde begleitet mit mehreren Sekunden der Stille, während sie unsicher war, ob sie Micahs Frage beantworten oder ihr irgendwie ausweichen sollte. Schlussendlich aber gab sie nach.
„Nicht... alle. Viele“, meinte sie, atmete einmal tief durch. Ja, viele Leute waren gemein wegen ihrem Blut. Leute hielten sie für einen Freak oder für eklig, und mit der Polizei hatte sie regelmäßig Probleme. Von einer Blutspur begleitet zu werden war unglücklich.
„Andere... wegen anderen Sachen.“ Weil sie eine Versagerin war. Weil sie nicht gut sprechen konnte. Weil sie zerzaust und unattraktiv aussah. Leute fanden ihre Gründe, gemein zu sein. Noch einmal atmete sie durch. Das Thema belastete sie.
„Leute sind... böse zu mir. Aber böse ist gut, also... ist es okay.“ Sie blinzelte, hob ihren Kopf. Dann riss sie auch ihren Arm hoch, deutete mit ihrem Gewehr in Richtung der Lagerhallen, die sie endlich erreicht hatten, ehe sie fester in ihren Finger biss.
„Egal! Wir sind da! Arbeit!“@Micah