Hätte W’razzyqx Augen gehabt, hätte er wohl damit gerollt, diese Frau plapperte auf den Chupacabra drauf ein, als habe sie keinen Sinn für ihr eigenes Leben. W’razzyqx war, wenn man es genau betrachtete, eine wilde Bestie. Zwar war er vernunftbegabt, aber sein gesamtes Gebahren zeigte dies nicht wirklich. Für das ungeübte Auge war er nichts weiter als eine Bestie. Törichtes Weib. Ich sollte sie verscheuchen. Das wäre für alle das beste Ergebnis, aber wie? W’razzyqx konnte es nicht riskieren, dass er sich hier mit einer stärkeren Magierin anlegte. Er selbst hatte nur begrenzte magische Fähigkeiten, also musste er vorsichtig sein. Vorsichtig, aber bestimmt, sonst wäre sein Vorhaben für die Katz. Langsam beugte sich W’razzyqx nach vorne und verlagerte sein Gewicht auf seine Vorderbeine, die Muskeln angespannt und bereit in einem Augenblick zuzuschlagen. Die Lippenlappen des Chupacabra vibrierten, als er ein tiefen, drohendes Knurren ausstieß. Langsam machte er einen Schritt zur Seite und einen weiteren. In einem weiten Kreis umrundete er die Fremde. Würde sie zurückweichen? Er wusste es nicht. Reicht wohl nicht. Stures Gör. Wie alt die Frau vor ihm war wusste W’razzyqx nicht einmal, immerhin hatte er abgesehen von ihrer Stimme keinerlei Anhaltspunkte. Er wusste noch grob, wie groß sie war, weil ihre Silhouette war in seinem Echosinn zu erkennen, aber sonst. Sonst war sie ein unbeschriebenes Blatt.
Die Frau zu umrunden und zu knurren würde gar nichts bringen, er musste schon zeigen, dass er es ernst meinte. Mit jedem Schritt näherte er sich der Fremden und verkürzte die Distanz, die er in einem Angriff benötigte. Ein Satz, mehr trennte ihn nicht von der Frau, doch noch immer zögerte er. Vielleicht war es der unterbewusste Wunsch wieder die Sinne eines andere Wesens wahr zu nehmen. Was auch immer es war, irgendwas hinderte W’razzyqx gerade daran diese Frau einfach nur zu zerfleischen. Stattdessen blieb er vor ihr stehen und streckte seine Klaue nahc ihr aus. Nicht son bedrohlich, wie er es gerne gehäbt hätte, eher … inquisitiv. Wie würde die Fremde wohl auf diese ungewöhnliche Bewegung reagieren? Würde sie seine Klaue ergreifen? Zurückweichen? Oder gar selbst angreifen? So viele Optionen, doch was würde wirklich passieren? Irgendwie hoffte W’razzyqx darauf, dass sie ihn irgendwie berührte, damit er sich mit ihren Sinnen verbinden konnte. Eine kurze Berührung reichte. Wie sehr sich der Chupacabra danach sehnte.
Angespannt drehte sich Wrazzyqx in Richtung der Geräuschquelle. Irgendwas oder irgendwer näherte sich. Gerade verfluchte der Chupacabra seine Unfähigkeit zu sehen, wie andere seiner Art oder auch Menschen, der Echosinn seines Volkes ließ viel zu viele Fragen unbeantwortet. Eigentlich hatte W’razzyqx gedacht so weit ab von Siedlungen würde er auf keine Menschenseele treffen, aber es schien nicht ganz so zu laufen, wie es sich die Bestie erhofft hatte. Seine Muskeln spannten sich noch mehr an, Angriff oder Flucht? Oder gar nichts von beiden? Blitzschnell würde der Jäger entscheiden müssen, aber dafür war es wichtig zu wissen, mit was er es hier zu tun hatte. Vor einem Beutetier musste er ja nicht fliehen. Vorsichtig näherte sich das Wesen dem Geräusch, hinterließ dabei knirschend Spuren im frischen Schnee. Nach einigen Metern kam eine Silhouette in den Bereich seines Echosinns. Eindeutig menschlich, aber Details blieben ihm aufgrund seiner begrenzten Sinne verborgen. Verdammt! Das konnte die Bestie gerade nicht gebrauchen, er war hier ins Nirgendwo gelaufen um seine Ruhe zu haben. Menschen waren immer problematisch. Er könnte den Menschen töten, das Problem einfach von sich selbst lösen, aber gleichzeitig war der Chupacabra nicht so dumm das einfach so zu tun. Viele Menschen hatten magische Fähigkeiten und er konnte es sich nicht leisten, dass er hier in einen größeren Konflikt verwickelt wurde. Die Magier von Royal Crusade würden auch bald anfangen ihn zu orten und wenn nötig mit Elektroschocks dazu zu zwingen zurück zu kehren. Da konnte sich W’razzyqx keine allzu langen Verzögerungen leisten. Wie schrecklich, von zu viel zeit und der Option etwas frische Luft zu schnappen zu Zeitdruck. Gar nicht, wie geplant.
Doch W‘razzyqx würde das Problem so oder so lösen müssen. Vorsichtig näherte sich der Chupacabra der Person in einem Bogen. Den Bogen machte er, um eventuelle Details aus einem anderen Winkel wahrzunehmen. Leider verhinderte die dicke Kleidung des Menschen sogar, dass W’razzyqx das Geschlecht bestimmen konnte. Bis der Mensch sprach, war es nur eine gesichtslose Silhouette für den Chupacabra. Leicht bedrohlich begann W’razzyqx zu knurren, einfach, um den Menschen zum umkehren zu bewegen. Die Option bestand ja. Ungefähr zehn Meter von der Person entfernt bleib W’razzyqx stehen. Seine Vorderbeine gruben sich tief in den Schnee und das Knurren sorgte dafür, dass sich seien Lippenlappen leicht öffneten. Der Chupacabra achtete dabei stets darauf, dass der oberste Lippenlappen nicht so weit geöffnet wurde, damit man bloß nicht das Gildenzeichen der dunklen Gilde sah. Das wäre aus zweierlei Gründen problematisch, einmal weil man in der Gilde der Bestie eigebläut hatte, auf nicht sonderlich sanfte Art und Weise, dass darauf geachtet werden muss sich nicht zu enttarnen und der andere Grund war der Selbstschutz von W‘razzyqx. Die Bestie wusste natürlich, dass es gefährlich war ein Mitglied einer dunklen Gilde zu sein und auch wenn der Beitritt nicht ganz freiwillig verlaufen war, wussten das die Gegenüber ja nicht, also lieber auf der sicheren Seite bleiben. Zweimal gefangen genommen zu werden stand nicht auf der Prioritätenliste von W’razzyqx. Einmal war schon zu viel.
Unruhig scharrte W’razzyqx mit den Klauen auf dem Boden, er hatte gerade seine Jagd beendet und sein Mahl, ein Reh, beinahe restlos verschlungen. Der Hunger war erstmal verschwunden und sein Blutrausch hatte sich mit dem Erlegen des Wildtieres ebenfalls erledigt, doch die andauernde Anspannung, die er verspürte blieb. Für seine Jagd ließen ihn die Magier von Royal Crusade in die Berge hinaus mit der klaren Anweisung, dass er wiederkommen musste. An sich nichts, an das sich W’razzyqx halten würde, aber dieses vermaledeite Halsband mit den Runen um seinen Hals änderte diese Tatsache. Die Magier hatten einen Weg ihn zu orten und wenn er zum Abend nicht zuhause … lächerlich, dieser beschissenen Kerker war kein Zuhause … war, dann würde ein kräftiger Stromstoß seinen gesamten Körper erfassen und ihn außer Gefecht setzen. Vielleicht sogar töten, wenn er nicht rechtzeitig gefunden wurde. Diese konstante Anspannung war es, die W’razzyqx nicht los werden konnte. Doch noch wollte der Chupacabra seine Freiheit, so kurz sie auch sein mochte auskosten, er hatte schnell gejagt und war deswegen in der Lage noch einige Zeit im Wald zu verbringen bevor er zurück in sein Gefängnis musste. Wann hatte er das letzte Mal solch eine Möglichkeit gehabt, um seine beine wirklich zu strecken und sich die Füße frei zu vertreten. Solange er im Wald bleib konnte es für einen Royal Crusade Aufpasser auch so aussehen, als wäre er noch auf der Jagd.
Erwartungsvoll schüttelte sich W’razzyqx einmal, hierdurch tropfte noch das Blut, dass ihm an den Lippen klebte umher, nicht, dass es ihn groß stören würde, Blut gehörte zu seiner Hauptnahrungsquelle und war für ihn entsprechend nichts ekeliges. Langsam marschierte der Chupcabra auf die Lichtung, wobei er bemerkte, wie die Umrisse der Bäume aus der Reihwiete seines Herzschlages entschwanden. Der leicht unebene Grund war eine halbwegs einheitliche Fläche, denn der Schnee war fast unberührt. Eine einzelne Tierspur, die W’razzyqx nur als eine Vertiefung in dem sonst nun gleichmäßigen Bereich seiner Wahrnehmung sehen konnte, führte in Richtung des Sees, den der Chupacabra zwar riechen, aber noch nicht wahrnehmen konnte. Langsam folgte der Jäger dem Geruch bis die glatte Fläche des Sees auch in sein „Blickfeld“ rückte. Er lag etwas tiefer, als der Rest der Umgebung und schien von einer dünnen Eisschicht bedeckt zu sein. Durst. Das Blut hätte eigentlich reichen müssen, aber Wasser war doch der bessere Flüssigkeitsspender, also nutzte der Chupacabra seine Klauen, um einen Teil des Eises zu zerbrechen und dann seinen großen Kopf unter die Oberfläche zu stecken, um zu trinken. Er schmeckte das Blut, das von seinen Lippen abgewaschen wurde im Wasser, aber da er gerade erst gejagt hatte und sein Ziel bereits erlegt war, blieb der Blutrausch, erstmal aus.
Schlagartig hielt der Chupacabra inne, er hatte etwas gehört. Er war nicht alleine, aber noch konnte er nicht sehen um wen oder was es sich handelte. Innerlich verfluchte W’razzyqx seine Sinne, er hätte vollkommen glücklich damit sein können, nicht mehr zu sehen, als jetzt, aber seit seine Magie erwacht war und er die Sinne einer anderen Person das erste Mal mitbenutzt hatte, war dieses Glück zerstört. Er wusste jetzt, was Farben waren, konnte Details beschreiben – in seinem Kopf wenigstens – und alleine die Reichweite, die normale Menschenaugen im Vergleich zu seinem Sinn hatten, es war eine Leere, die jedes Mal zurückblieb, wenn er seine Magie nicht mehr nutzte. War er süchtig danach sehen zu können? Weitere Sinneseindrücke zu spüren?
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