Ortsname: Asiyas Töpferei Art: Gebäude Spezielles: --- Beschreibung: Diese Töpferei am Rande des Basars liegt in einer etwas ruhigeren Seitenstraße, die nicht so viel vom Lärm der Händler und Kunden abbekommt. Die Besitzerin ist eine freundliche Frau mittleren Alters, die früher mit Karawanen durch die Wüste gereist ist und sich vor einigen Jahren zu einem kreativem Frühruhestand niedergelassen hat. Das Warenangebot der Töpferei besteht aus diversen Tonwaren von Schüsseln und Vasen bis hin zu Skulpturen, die teilweise auf Tischen draußen vor der Tür und teilweise drinnen im vollgestellten Laden angepriesen werden. Durch den großen Brennofen ist es im Inneren des Geschäfts immer etwas wärmer als auf der Straße.
Change Log: Sobald sich innerhalb des Rollenspiels etwas an dem Ort ändert, wird es hier kurz vermerkt.
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Kenji
Anmeldedatum : 09.06.23 Anzahl der Beiträge : 248 Alter : 20 Ort : Maldina
Kenji zuckte nicht einmal, als der gewaltige Kerl, der ihm problemlos hätte auf den Kopf spucken können, vor ihm im Sand landete. Zwar war er nervös, doch er hatte vollstes Vertrauen, dass ihm sein Gegenüber nicht sofort an die Kehle ging. Mutig hielt er der bedrohlichen Begrüßung stand, seine Hände begannen erst zu zittern, als er den warmen Atem auf seiner Haut spürte. Das war nah. Sehr nah. Wann hatte er das letzte Mal eine lebendige Person, mit Fleisch und Blut, derart nah an sich heran gelassen? Obwohl er inzwischen zumindest wieder ein wenig Vertrauen in sich selbst gefasst hatte, machte ihn die Nähe noch nervös. Einen Weg, sich selbst zurückzuhalten, hatte er schließlich noch immer nicht gefunden. "Jap!", bestätigte er seinen Namen, ein breits Lächeln machte es sich auf seinen Lippen gemütlich. Vahid erinnerte sich also noch an ihn. Was für ein Glück. So ganz begeistert schien dieser jedoch nicht zu sein. Sorge lag in seinen fast schon glühenden Augen. "Äh-", begann der Ohara, wurde jedoch prompt unterbrochen. Seine Haare? Leicht neigte er den Kopf zur Seite, eine Hand wanderte hinauf zu den pechschwarzen Strähnen, um sich eine davon zu schnappen und daran zu schnuppern. Ja, man roch die falsche Farbe noch immer ein klein wenig. Das war zwar nicht im geringsten die Reaktion, die er sich erhofft hatte, aber es war auch nicht die, die er befürchtet hatte. "Das ist bestimmt die Farbe ... ist es wirklich so schlimm?" Gemeinsam mit dem Rest des Schopfs strich er die Strähne zurück, nur, damit sie direkt wieder beinahe in sein Gesicht fiel. Das Bedürfnis, zumindest einen Teil seines Haars zurückzubinden, war groß, doch dafür war es aktuell zu kurz. "Äh ... hi übrigens. Ich-" Es gab so viel, das er sagen wollte. Er wollte sich entschuldigen, sich erklären, um Vergebung bitten und und und. Wo sollte er da bloß anfangen? "Äh..." All die Pläne, die er sich während seines Marsches hierher zurecht gelegt hatte, waren wie fortgefegt. Sein Kopf war leer. Nervös wanderte sein Blick hinab auf seine Füße. Kurz ließ er die Zehen in seinen Sandalen wackeln. Wenn er in das vertraute Gesicht sah, wurde die Anspannung in seinem Körper nur noch schlimmer. Es war nicht unbedingt eine schlechte Anspannung, sie war schon irgendwie warm und angenehm, doch sie machte es nicht einfacher, die richtigen Worte zu finden. "Ich möchte mich entschuldigen, Vahid", begann er schließlich. Er wusste zwar nicht, wie er die Dinge angehen wollte, doch er wusste zumindest, was er angehen wollte und das reichte doch schon aus, um zumindest ein paar Worte zu sagen. Zögerlich faltete er die wackeligen, kalten Finger vor seiner Brust ineinander und schnaufte tief durch. "Und außerdem muss ich dir etwas erklären. Das ist wirklich wichtig, damit du verstehst, wieso ich so lange nicht da war ..." Wie ein Vorhang fielen schwarze Strähnen vor sein Gesicht und verdeckten den Blick auf die feuchten Äuglein. Das schlechte Gewissen nagte schwer an ihm, jetzt, wo die Person direkt vor ihm stand und er sie nicht länger gewaltsam verdrängen konnte. Er musste sich der Situation endlich stellen. Und er wollte sich ihr stellen, egal wie viel Angst er hatte. "Du musst mir nur versprechen ... es ist okay, wenn du mich deshalb hasst. Aber sei bitte ehrlich mit mir, wenn du das tust, ja?" Als ob er irgendetwas unter seiner Sohle zerdrücken wollen würde, bewegte er seinen Fuß hin und her. Diese Option wäre das allerschlimste, was passieren konnte. Alleine der Gedanke ließ das ehemalige Blondchen schniefen. Aber wenn es so war, dann würde er es respektieren. Es war nicht fair, sich mit einer Unwahrheit Zuneigung zu erschummeln. Eilig fuhr er sich mit dem Handballen über die überlaufenden Äuglein. Er war noch nicht einmal mit der Wahrheit herausgerückt und weinte schon. Na super! "Äh ... magst du mich reinlassen? Mir ist wirklich kalt ..." Außerdem war das, was er erzählen wollte, nun wirklich nichts, was man auf der offenen Straße besprach. "Und, äh ... ich ... habe dich wirklich sehr vermisst. Es ist schön, dich wiederzusehen." Zwischen all den Tränen blitzte ein warmes Lächeln hervor, als der Kleinere den Kopf nun doch wieder hob, um sein Gegenüber zumindest jetzt in die Augen zu sehen.
Vahid warf einen verstohlenen Blick auf Kenji, als könnte er bei zu viel Blickkontakt doch wieder verschwinden. Sein Freund war völlig aufgelöst. Vahids empfindlicher, übernatürlicher Geruchssinn hatte sofort die Veränderung in Kenjis Haarfarbe wahrgenommen, bevor er ihn überhaupt richtig ansah. Kenjis ehemals goldenes Haar schimmerte nun schwarz in den Strahlen des Mondes. Ein Zeichen der Veränderungen, die ihn in den letzten Monaten ereilt haben mussten.
Vahid schloss Kenji in seine Arme. Es war Wochen her, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte, und er hatte die Abwesenheit seines Freundes schmerzlich gespürt. „Was ist passiert?“ flüsterte er auf das wirre Gestammel, obwohl er wusste, dass Kenji in diesem Zustand vermutlich nichts so erklären konnte, dass sein Erbsenhirn es raffte. Etwas sagte dem Drachensohn, dass es Kenji nicht gut ging. Vahid fühlte sich hilflos, während er zuhörte. Sah, wie sich sein Freund in sein Schneckenhaus zurückzog, von Entschuldigungen sprach. Von Hass. Der Slayer verstand nichts. Aber er musste etwas tun.
Ohne groß nachzudenken, hob Vahid Kenji hoch. „Keine Sorge, ich bin bei dir,“ murmelte er und bereitete sich darauf vor, die Fassade seines Hauses zu erklimmen. In der Stille der Nacht, nur unterbrochen vom Heulen des Windes und dem Rauschen des Sandes, kletterte er geschickt die Wand hinauf. Seine Muskeln spannten sich unter Kenjis Gewicht, doch allzu schwer fiel es ihm nicht. Mit einem kräftigen Schwung erreichte er den Balkon seines Zimmers und ließ Kenji sanft auf den Boden gleiten.
„Ich werde dich immer mögen, egal was passiert,“ sagte Vahid fest und wischte eine Träne von Kenjis Wange. In seinen Augen lag tiefe Sorge. Seine Gefühle für Kenji waren stets komplex gewesen. Eine weitere Sache, die der Drachensohn nicht verstand. Vahid dachte an die Geschichten, die ihm sein Drachenvater erzählt hatte, über die Macht der Treue und den Wert echter Freundschaft. Vielleicht war es normal, dass einem das Herz in einer solchen Lage gegen den Adamsapfel hämmerte?
„Egal, was geschehen ist, ich werde immer an deiner Seite sein,“ sagte Vahid und seine Stimme zitterte vor Entschlossenheit. Die Sandstürme, die goldenen Kuppeln der Stadt und die endlose Wüste, die sie umgab, schienen in diesem Moment weit entfernt. Alles, was zählte, war der Moment, den er mit Kenji teilte. Vahid wusste, dass Worte manchmal überflüssig waren. Dass wahre Freundschaft und Liebe in Taten und Gesten lag. Er zog Kenji näher an sich und betrachtete ihn genauer im schwachen Licht der Nacht. Trotz der verweinten Augen und dem leichten Frösteln, das seinen Körper erschütterte, sah Vahid etwas Unvergängliches in ihm. Kenjis dunkel schimmerndes Haar, das im fahlen Mondlicht funkelte, ließ ihn wie ein Geist aussehen. Die Tränen, die seine Wangen hinabrollten, glitzerten wie kleine Perlen, und selbst in seiner Verwundbarkeit strahlte er etwas aus, das Vahid kurz innehalten ließ.
In ihm regte sich ein tiefer, animalischer Beschützerinstinkt. Er spürte, wie sich seine Muskeln anspannten und seine Sinne sich schärften. Ein leises Knurren drang aus seiner Kehle, kaum hörbar. Instinktiv zog er Kenji noch näher an sich heran, als könnte er ihn allein durch seine Gegenwart vor der rauen Welt da draußen schützen. "Erzähl mir alles."
Was passiert war? So viel. Zu viel. Und nichts davon war wirklich gut. Eigentlich wollte Kenji seinem Freund keine schlechten Nachrichten überbringen. Er wollte ihn zum Lächeln bringen, ihn glücklich machen. Das würde die Wahrheit leider niemals tun, doch er musste sie trotzdem aussprechen. Schnüffend ließ er den Kopf gegen die warme Brust seines Gegenübers fallen, schlang die Nudelarme vorsichtig um den kräftigen Körper, um seine Hände auf dem Rücken ruhen lassen zu können. Er hatte sie so sehr vermisst, die schier unendliche Wärme, die Vahid ausstrahlte. Aber nicht nur diese. Es gab so vieles, das ihm gefehlt hatte. Hatte er all das wirklich verdient? Er spürte den fremden Puls an mehreren Stellen unter seiner eigenen Haut, spürte zeitgleich auch das Hungergefühl, das an seinem Magen nagte. Nein, vermutlich hatte er es nicht verdient. Er wollte es trotzdem. Ein überraschtes Quietschen entwischte dem Schwarzschopf, als seine Füße sich ohne Vorwarnung vom Boden hoben. Kurz baumelten sie in der Luft, ehe er sie ebenfalls um den Rücken wickelte. Wie ein kleines Äffchen klammerte er sich an sein Gegenüber. Es war jedoch nicht die Angst, zu fallen, die ihn so sehr dazu motivierte. Es war die Angst, den Draconia wieder zu verlieren. Auch, wenn dieser ihm versicherte, dass das nicht passieren würde. Was, wenn doch? Wie sollte er die potentielle Gefahr, die von ihm ausging, je wettmachen? Tränen kullerten noch immer, als seine Füße wieder auf festem Boden standen. Die Arme lösten sich nur widerwillig. Es war sicherer, ein wenig Abstand zu halten, auch, wenn es schwer fiel. Immer an der Seite des großgewachsenen Wüstenbewohners sein zu dürfen klang wunderbar. Kühle Finger legten sich über die Hand an seiner Wange, um sie noch ein wenig länger dort zu behalten. Es fühlte sich so unfair an, all das zu wollen. Die Treue, das Vertrauen, die Nähe. Er wollte so sehr, dass all das seins war. Doch es fühlte sich nicht richtig an, solange Vahid nicht die Wahrheit über Kenji wusste. Leicht legte er den Kopf in den Nacken, um mit großen, leeren Äuglein hinauf in das vertraute Gesicht zu sehen. Das leuchtende Blau der Seelenspiegel, die hübschen Züge und vor allem das einladend flauschige Haar. Der stetige Zuspruch und die Entschlossenheit, die darin lag. Wie konnte sein Herz da bloß nicht höher schlagen? Doch es musste nicht hüpfen, um trotzdem in kuschelig, plüschige Wärme gehüllt zu werden. Er war wirklich das exakte Gegenteil von Vahid. Kenni würde ihn mit der Sonne vergleichen, wäre diese nicht so gefährlich für Vampire. Er hatte die Wahrheit verdient. "Danke", schniefte Kenji. Sein Mund war bereits geöffnet für die nächsten Worte, für die Erklärung, die Vahid wollte. Doch die Worte blieben aus. "Äh ..." Er schloss die Augen, ließ sich voll und ganz von der Wärme und Nähe des Dunkelhaarigen umschließen. Kenni fühlte sich so sicher, wenn er bei ihm war. So schwer es ihm auch fiel, er musste darauf vertrauen, dass seine bisherigen Worte stimmten. Dass Vahid ihn akzeptieren würde, ganz egal was er nun sagen würde. Wie ein verlorener Welpe schmiegte er sich in die starken Arme. Am besten fing er ganz von vorne an. "Es ist so ... Ich bin ... es war noch nicht so lange her, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Ich bin- man hat mich ... t-tot. Ich bin eigentlich ... tot." Er würde lieber zehn verschiedenen Männern die Liebe gestehen, als diese Worte noch einmal aussprechen zu müssen. Denn es zu sagen, machte es real. Er konnte es nicht verdrängen, wenn er es in Worte fasste. "Aber, naja, du siehst ja, dass ich hier sitze und mit dir rede. Das liegt daran, dass man ... mich get- getötet hat, um ..." Zögern. Er löste sein Gesicht von der warmen Haut, ehe er zwei Finger nutzte, um seine Oberlippe nach oben zu schieben. Leicht schief, als ob sie dort gar nicht hingehörten, reihten sich zwei scharfe Zähnchen in sein Gebiss ein. Wie ungebetene Gäste hatten sie sich einfach eingenistet und weigerten sich, wieder zu gehen. "Ich war mal ein M-Men-Mensch. Jetzt nicht mehr." Obwohl er sein bestes gab, sich zusammenzureißen und die Fassung zu behalten, kamen die nächsten Worte nur als unverständliches Geblubber heraus. Tränen und Schmodder nahmen Überhand. Er wollte sprechen, doch alles, was aus seiner Kehle kam, war ein viel zu lautes Schluchzen. So sehr er sich auch versuchte, an die Nacht zu erinnern, er bekam einfach keinen Zugriff auf die Geschehnisse. Sein Gedächtnis weigerte sich. Die gähnende Leere war schwärzer als sein Haar. Er versuchte, sich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen, doch selbst das gelang nur holprig. "Jetzt bin ich nurnoch ein Monster. Ein Vam-mh-pir. Ich weiß nicht wie das passiert ist. Ich war einfach nur feiern. Sie hat mir ein paar Drinks ausgegeben. Mehr weiß ich nicht." Am nächsten Morgen war er ohne Herzschlag und ohne Puls aufgewacht. "Und ich- ich habe seitdem ... mein Körper will Bl-blut. Aber ich will niemanden verletzen. Ich will niemanden beißen. Ich habe es trotzdem getan. Ich konnte mich einfach nicht zurückhalten. Es war ein Kumpel und Kollege von mir." Nico. Wieso hatte es ausgerechnet Nico sein müssen? Wieso hatte es nicht wenigstens ein Fremder sein können? Nein, es hatte die Person sein müssen, die ihn so herzlich in der Gilde aufgenommen hatte, sein erster, richtiger Kumpel bei den Satyrs. "Wenn ich mich nicht einmal bei einem Kumpel zurückhalten kann, wie soll ich es dann bei dir? Ich will dir nicht weh tun. Ich habe so sehr Angst, dir weh zu tun. Ich will es nicht wollen. Ich will es trotzdem. Ich habe das Gefühl, als müsste ich sterben, wenn ich kein Blut bekomme. Aber ich will das nicht. Ich bin gefährlich." Er schüttelte den Kopf. Hin und her und hin und her während Tränen schon fast Flüsse auf seinen Wangen bildeten. "Wenn ich nicht bei dir bin, kann ich dir nicht weh tun. Aber ... ich will bei dir sein. Ich mag dich so sehr."
Der Wind strich sanft über die sandfarbenen Dächer Aloe Towns. Vahids Blick verlor sich einen Moment in der Ferne, wo die Dünen der fernen Wüste sich wie Wellen gegen den Horizont erhoben. Kenjis Worte hallten in seinem Kopf wider, unfassbar und seltsam unwirklich. Ein Vampir?Tot? Seine Verwirrung wuchs, als er in die Augen seines Freundes blickte, die sich mit Tränen gefüllt hatten.
"Wie... wie kann das sein?" fragte Vahid schließlich, seine Stimme zitternd. "Du wirkst so... lebendig." Die blauen Augen des Slayers schienen das Mondlicht eingefangen zu haben. Sie wirkten fast silbrig, als sie Kenjis Körper absuchten. Wonach, das wusste er selbst nicht.
Ein Knoten der Sorge bildete sich in Vahids Brust. Diese neue Information war überwältigend, und die Welt um ihn schien sich zu drehen. "Gibt es eine Möglichkeit, dich zu heilen?" Er verstand Kenjis Zustand als Krankheit. Jemand hatte ihm das angetan. Also musste man es wieder rückgängig machen können, richtig? Es war nicht normal, dass man sich nach Blut verzehrte und seine Freunde angriff.
Vahid sah die Tränen in den Augen seines Freundes. Sie glänzten im Mondlicht und brachen ihm das Herz. Ohne zu zögern, trat er wieder näher und schloss Kenji in eine feste Umarmung. Seine starken Arme umschlangen den Körper seines Freundes, während er dessen Zittern spürte. Vahid hielt ihn fest, wiegte ihn sanft hin und her und flüsterte beruhigende Worte, die vom warmen Wüstenwind davongetragen wurden. "Es ist in Ordnung," murmelte er leise, seine Lippen nahe am Ohr seines Freundes. "Du bist nicht allein."
Er löste sich ein Stück von Kenji, gerade so weit, dass sie sich ins Gesicht schauen konnten. Mit einem Finger schob Vahid seine Oberlippe nach oben und zeigte seine eigenen, spitzen Beißerchen. Kurz grinste er, um die Situation zu entspannen, dann packte er Kenji fest an beiden Schultern und starrte in die grauen, überquellenden Augen seines Freundes. "Du wirst mich nicht verletzen. Das kannst du gar nicht."
Vorsichtig nahm er eine der blassen Hände Kenjis in die seinen. Sie fühlte sich kalt an. Zum ersten Mal bemerkte Vahid, dass er keinen Puls am Handgelenk pochen spürte. War er wirklich tot? Er legte Kenjis Finger auf eine große Narbe an der Seite seines Körpers. Sie sah aus, als wäre Vahid als Kind seitlich in eine Bärenfalle gestürzt. "Mein Vater hat viel schlimmer gebissen als du könntest." Er schnaubte belustigt, doch sein Blick blieb ernst.
Vielleicht könnte er Tierblut besorgen. In der Wüste gab es wilde Tiere, deren Blut eine vorübergehende Lösung sein könnte. Aber würde das überhaupt reichen? Wie viel Blut brauchte ein Vampir? Und musste er es selbst jagen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Kenji irgendjemandem etwas tun könnte. Und doch glaubte er seinen verzweifelten Worten und seiner Beichte.
"Du kannst mein Blut haben", beschloss Vahid mit einem Nicken und streckte bereitwillig seinen Arm aus. Bevor er mehr über Kenjis Zustand wusste, konnte er ihm so helfen! "Wenn ich es dir gebe, dann bist du nicht gefährlich!"
Jetzt, wo die Wahrheit im Raum hing, wie eine dicke, düstere Gewitterwolke, war es für Kenji quasi unmöglich, seinem Gegenüber noch in die Augen zu blicken. Er wollte die Enttäuschung, vielleicht sogar den Ekel, nicht sehen. Der Unglaube in den Worten schmerzte schon genug. Der Ohara mochte auf den ersten Blick lebendig wirken, ein zweiter reichte jedoch aus, um die ersten Anzeichen zu erkennen. Zumindest, wenn man sie aktiv suchte. Eine wackelige Hand wanderte hinauf zum obersten Knopf seines Hemdes und löste diesen, damit er den Kragen beiseite ziehen konnte. Sein malträtierter Nacken war nur einer der vielen Warnhinweise. Es waren nur kleine Bissspuren im Vergleich zu denen, die Vahids Körper zierten, aber dafür waren sie eindeutig einem vampirischen Täter zuzuordnen. "Was to-tot ist, bleibt tot." Das war das Fazit, das Kenji aus den unzähligen Büchern, die er in den letzten Wochen durchstöbert hatte, hatte ziehen können. Es gab für ihn keine Möglichkeit, seinem kühlen Körper wieder Leben einzuhauchen. So schwer diese Realität auch auf seinen Schultern lastete, ihn beinahe zerdrückte, sie musste ausgesprochen werden. Er wollte nicht, dass der Draconia versuchte, einer Sache hinterher zu jagen, die es nicht gab. "Unterdrücken bringt gar-gar nichts ... Macht es nur noch schlimmer." Je länger er verzichtete, je länger er sich verbot, seinen Hunger zu stillen, desto schlimmer wurde das Bedürfnis. Nachdem er Nico gebissen hatte, hatte er beinahe geglaubt, nun frei von seinem Fluch zu sein ... doch bereits nach kurzer Zeit war der Hunger allmählich wieder zurückgekrochen gekommen. Inzwischen saß er ihm wieder wie der Teufel höchstpersönlich im Nacken, lauerte gierig darauf, ihm die Kontrolle ein weiteres Mal zu stehlen. Doch vorerst vertrieben Vahids Arme den ungebetenen Gast auf Kennis Schultern. Kraftlos floppte das feuchte Gesicht gegen die warme Brust während kühle Finger sich an den Rücken klammerten. Wären seine Fingernägel lang genug, hätte er sogar Abdrücke hinterlassen. Er brauchte die Nähe und den Halt gerade einfach zu sehr. War es wirklich okay? Es war schwer zu glauben, auch, wenn der Ex-Blondie es glauben wollte. Er wollte nicht mehr alleine sein. Er war inzwischen viel zu lange alleine gewesen. Zwar hatte er selbst entschieden, sich zu isolieren, doch das machte das erdrückende Gefühl der Einsamkeit kein bisschen leichter zu ertragen. Nur widerwillig ließ er sich zurückschieben, dort, wo eben noch kräftige Arme geruht hatten, kehrte wieder Kälte ein. Es stimmte. Er hatte wohl kaum eine Chance gegen Vahid. Er war nichts weiter als ein Windhauch gegen die Kraft, die der Draconia besaß. Trotzdem machte er Sorgen. Was, wenn es in einem unerwarteten Moment passierte? Nur zögerlich fanden seine Finger Platz auf der ehemalig gelöcherten Haut seines Freundes. Natürlich waren ihm die Narben schon früher aufgefallen, doch wirklich damit befasst hatte er sich noch nicht. Leicht neigte er den Kopf, blinzelte sich einige Tränen aus den Augen, um wieder klar sehen zu können. Das sollte sein Vater gewesen sein? Mit einem Biss? Wie...? War es okay, das zu fragen? War gerade überhaupt der richtige Zeitpunkt für solche Fragen? Vorsichtig legte er die gesamte Hand über die Stelle, auch, wenn sie nicht annähernd groß genug war, um die gesamte Fläche zu bedecken. "Das hat sicherlich weh getan." Er wollte Vahid das nicht antun. Niemals. Doch letztendlich bot dieser ihm genau das an. Freiwillig. Und ohne Zweifel in der Stimme. Voller Entsetzen weiteten sich die feuchten Äuglein des Ohara. "Was...?" Das konnte er nicht tun! Nein! Oder doch? Seine Hände verschwanden in den eigenen, pechschwarzen Haaren. Das war nicht okay. Wenn er so einfach nachgab, dann gewöhnte er sich vielleicht noch daran. Er wollte sich nicht daran gewöhnen. Aber wenn er das Angebot nicht annahm, würde er womöglich zubeißen, wenn er nicht durfte. War das nicht noch schlimmer? Während sein Geist noch diskutierte, hatte sich sein Körper längst entschieden. Sein Blick fixierte das dargebotene Mahl. Eigentlich sollten die Arme des Größeren ihn doch tragen und halten ... nicht nähren. Das war so fürchterlich falsch und trotzdem wollte er es. Egal wie er sich entschied, keine Option war gut. "Es tut mir so Leid", schniefte er, wohl wissend, dass er kaum die Kontrolle besitzen würde, sich zurückzuhalten. Es war besser, sich dafür zu entscheiden, solange er noch klar denken konnte. "Wenn ich ... wenn ich mich nicht kontrollieren kann, schlägst du mich bewusstlos, ja?" Fair war es nicht, soetwas von einem Freund zu verlangen. War überhaupt etwas an dieser Situation fair? Kurz huschten die grauen Seelenspiegel hinauf zu den blauen. Er wollte irgendetwas sagen, um diese Situation besser zu machen. Für sich selbst und für Vahid. Doch ihm fiel nichts ein. "... ich weiß nicht, wie ich das mache, sodass es für dich am wenigsten weh tut." Gab es da überhaupt eine Methode? Es war schwer, sich nicht auf die warme, einladende Haut zu stürzen wie ein wildes Tier. Alles in Kenjis Körper schrie danach, es einfach zu tun, einfach zuzubeißen, ganz ohne Rücksicht. Doch das wollte er nicht. Er zügelte sich, auch, als er das Gesicht näher an seine 'Beute' heranbrachte. Er hauchte einen zarten Kuss auf den Arm, erst dann biss er zu.
In der sternenklaren Nacht stand Vahid auf dem kleinen Balkon seiner bescheidenen Dachwohnung hoch über den verwinkelten Gassen der Wüstenstadt. Die Stadt lag still und verlassen da, nur das ferne Heulen eines Wüstenwindes durchbrach die Stille. Kenjis Augen glänzten durch die Tränen lebendig im silbernen Licht des Mondes, und doch lag ein Schatten auf seinem bleichen Gesicht. Er war tot.
Vahid lehnte sich an das Geländer des Balkons und starrte hinaus in die Nacht. Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf. Ein Vampir – lebend und doch auch tot, eine Kreatur aus Gruselgeschichten. Wie konnte das sein? Wie konnte Kenji sowohl durch die Dunkelheit der Nacht streifen als auch mit ihm bei Tageslicht Freundschaft teilen? Vahid fühlte eine Mischung aus Verwirrung und Wut. Es war, als ob Kenji in zwei Welten gleichzeitig existierte, und Vahid versuchte, diese beiden Facetten seines Freundes zu verstehen, die so gegensätzlich erschienen und dennoch in einer einzigen Person vereint waren.
Kenji hatte dieses Schicksal nicht verdient. Er war so ein guter Mensch, zuvorkommend und freundlich, immer darauf bedacht, anderen zu helfen. Ausgerechnet er war das Opfer eines Monsters geworden und sollte nun für immer dem Fluch unterliegen, Blut trinken zu müssen? Vahid spürte Wut wie brennende Glut in seinem Bauch. Nur die kühle Hand seines Freundes auf der großen Bissnarbe löschte die züngelnden Funken seines Zorns. Natürlich hatte die Verwundung durch Astarot wehgetan, aber sie hatte ihn auch stärker gemacht.
Vahid wischte Kenjis Entschuldigung mit einem energischen Kopfschütteln fort. "Du bist so stark, du hast so lange ausgehalten." Der Drachensohn wollte sich gar nicht ausmalen, welche Bürde Kenji jeden Tag mit sich herumtrug. Er lebte in ständiger Angst, von seinem Hunger überwältigt zu werden und kämpfte gegen die Grundfesten seiner neuen Natur. Vahid konnte sich nicht ausmalen, welche Willensstärke für solch eine Kontrolle nötig war.
Bereitwillig bot er Kenji seinen Arm an. Vahid wusste nicht, wie er ihm anders helfen sollte. Aber sein Körper war lebendig. Blut strömte durch seine Adern und versorgte seinen gesunden, kräftigen Leib mit Lebenssaft. Etwas davon abzugeben würde ihm nicht schaden. Aber für Kenji war es vielleicht Erlösung. Hin und her gerissen fasste sich sein Freund in die fremden, schwarzen Haare. Er hatte sich so sehr verändert. Doch der Kuss auf seinem Arm fühlte sich vertraut an.
Es war nur ein kurzer, stechender Schmerz. Dann griff Vahid mit der freien Hand nach dem Geländer des Balkons und festigte seinen Stand. Er lächelte breit, wohlwollend. Kenji durfte nicht sehen, dass er Schmerzen litt oder das Gefühl, Blut abgesaugt zu bekommen unangenehm und fremdartig für ihn war. Der Drachensohn riss sich zusammen und verhärtete seinen Kiefer, bis man glauben mochte, dass er Kenji eine Wasserflasche und nicht seinen eigenen Arm anbot.
Doch eine Sache schwirrte durch den Kopf Vahids. Er war ein Dragonslayer. Die Magie seines Vaters strömte in seinem Inneren und veränderte seinen Körper auf fundamentale Art und Weise. Astarot war ein Feuerdrache, was ihm die Fähigkeit verlieh, Flammen zu ertragen, die anderen das Leben kosteten. Nicht einmal magisches Feuer konnte Vahid etwas anhaben. Lag diese Hitze des Feuers auch in seinem Blut? Einen kurzen Moment musste er schnauben, als er sein Blut in seinem Kopf mit scharfer Soße verglich, aber das Amüsement wurde schnell von Sorge abgelenkt.
Wenn Feuer ein Teil seines Wesens war, dann verbrannte sein Blut Kenji aber nicht, oder?
Stark? Nein, Kenji war nicht stark. Nicht im geringsten. Wenn er das wäre, dann würde er dem Druck nicht nachgeben, dann hätte er seinen Kumpel niemals verletzt und würde jetzt nicht so bereitwillig das Angebot seines Gegenübers annehmen. Wäre er stark, würde er seinen blutigen Bedürfnissen widerstehen. Er wusste nicht, dass er gar keine andere Wahl hatte, als das zu tun, wenn er nicht ein weiteres Mal sterben wollte. Obwohl er zahlreiche Bibliotheken Fiores nach Büchern über Vampire durchstöbert hatte, war er nicht viel schlauer als vorher. Es gab so viele verschiedene Aussagen, die sich teilweise sogar widersprachen. Woher sollte er bloß wissen, was davon echt war und was Fantasie? Das, was gerade vor ihm war, das war echt. Das Blut, das warm und zäh seine Kehle hinabfloss, war echt. Er wollte aufhören, doch er konnte nicht. Sein Körper streikte, widersetzte stur dem Befehl des Rückzugs. Es tat einfach zu gut. Sein Hunger ließ nach, die verlorene Kraft kehrte langsam zurück in seinen Körper. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, wie müde und schlapp er sich eigentlich gefühlt hatte. Seit er die vollkommene Kontrolle über seinen eigenen Körper verloren hatte, passierte es immer öfter, dass er überhaupt nicht realisierte, was in ihm geschah. So bemerkte er beispielsweise auch nicht, dass er sich nicht nur an Vahids Blut bediente, sondern auch an dessen Mana. Ein großer Fehler. Es brauchte ein wenig, bis der Schwarzschopf das unangenehme, zunehmend intensiver werdende Brennen in Mund und Hals bemerkte. Als er es jedoch tat, kam auch die Reaktion sofort. Er ließ los, riss den Mund auf, fächerte sich Luft zu. Es war, als stünde sein Rachen in Flammen. "Au, au, au, au", jammerte er mit herausgestreckter Zunge, "Schawf, wiefo if daf schawf?" Es war, als hätte er in eine extrascharfe Pepperoni gebissen. Bei Nico war das nicht so gewesen! Da war ihm 'nur' übel geworden. Das hatte aber womöglich daran gelegen, dass... Sein Blick fiel auf Vahids Arm. Zack, da war sie auch schon, die Übelkeit. Er spürte, wie sich sein Magen, trotz des eigentlich willkommenen Mahls, umdrehte. Eine Hand landete auf seinem Bauch, die Zähne klappten fest und hörbar aufeinander. Die Welt drehte sich. Blut. Da war überall Blut. Er konnte kein Blut sehen. Das war schon immer so gewesen. Bereits als Kind war ihm schwummrig geworden, sobald er nur ein aufgeschürftes Knie gesehen hatte. Kleine Schnittwunden, beispielsweise beim Kochen, als er älter war, hatten seinen Magen grummeln und die Welt Karussell spielen lassen. Größere Mengen, wie jetzt, nachdem er gebissen hatte und dabei nicht sonderlich effizient gewesen war, sorgten für eine noch intensivere Reaktion. Das fahle Licht der Straßenlaterne in seinem Augenwinkel wurde verdeckt durch immer größere Dunkelheit, die sich vom Rand seines Sichtfelds aus ausbreitete. Seine Knie wurden weich. Er klammerte sich an das Geländer des Balkons, als wäre er eine Frau in einem dramatischen, altertümlichen Gemälde. Lieber hätte er sich an Vahid geklammert, doch der schien weiter entfernt denn je. Nicht physisch. Auch weiterhin trennten die Beiden nicht einmal ein Katzensprung. Doch im Herzen des Ex-Blondchens sah es anders aus. Er hatte den Draconia verletzt, ihn gebissen. Sowas tat man nicht. Schon gar nicht, wenn man in die Person verknallt war. Wie sollte Vahid ihn jetzt noch jemals lieben? Es schien schier unmöglich. Dass sein Körper ihn nun für sein Handeln strafte, war mehr als nur fair. Als er den trüben Blick hob, um sein Gegenüber anzusehen, um womöglich in seinem Gesicht einen Hinweis darauf zu finden, was er dachte, erkannte er dieses kaum noch. Alles, was er sah, war die Schwärze, die nun auch noch das letzte Bisschen Realität verschluckte. "Ich kipp um...", quetschte er noch leise hervor, ehe die Kraft seinen Körper vollständig verließ.
"Der Junge muss doch etwas essen!" "Tantchen! Nicht so laut!" Im Haushalt der Töpfermeisterin Asiya gab es kaum ruhige Momente. Seit Vahid bei ihr eingezogen war und ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, ging es jeden Tag drunter und drüber. Von daher mochte es nicht verwundern, dass Kenji am nächsten Morgen vermutlich nicht von den sanften Armen seines Freundes geweckt wurde. Der Drachensohn hatte Kenji sein eigenes Bett überlassen und sich wie eine krumme Banane um den momentan Schwarzhaarigen gekuschelt, nachdem er die Panik wegen seiner Ohnmacht und die Verwirrung wegen seinem "scharfen Blut" verwunden hatte. Im Augenblick stand Vahid in der Tür zu seinem Schlafzimmer und unterhielt sich auf der Treppe mit seinem Tantchen.
Der Morgen in Aloe begann mit einem goldenen Schimmer, der langsam durch die Vorhänge des Zimmers drang. Die kühle Morgenluft, die sich noch nicht unter der sengenden Hitze des Tages beugte, war noch angenehm. Vom ersten Stock konne man den Blick über das endlose Meer aus Sanddünen, die im sanften Licht der aufgehenden Sonne zu glühen schienen, schweifen lassen. Die Stille der Nacht wich langsam dem erwachenden Leben. Leises Murmeln und erste Geräusche aus den Gassen drangen herauf, während die Stadt sich auf einen weiteren heißen Tag vorbereitet. Der Duft von frischem Kaffee und gebackenen Fladenbroten mischte sich mit dem würzigen Aroma des Basars.
Vahid und Asiya brüllten sich derweil liebevoll an. Die beiden tauschten noch einige sorgenvolle Worte miteinander, dann verkündete das Tantchen, dass es nun kochen würde und er sich um seinen Freund kümmern sollte. Der Drachensohn schnaubte, warf die Arme in die Luft, brüllte ein "Was glaubst'n du, was ich mache?!" die Treppe nach unten und knallte die Tür zu seinem Dachzimmer zu.
Erst danach bemerkte Vahid, dass er vielleicht nicht sonderlich sanft vorgegangen war. In der Hoffnung, dass Kenji nicht schon fauchend wie eine erschrockene Katze an der Decke klebte und sein blutiger Snack aus der Nacht ihm noch in den Knochen saß, näherte er sich dem Ohara vorsichtig, wie ein scheues Tier.
Vahid kroch behutsam zu seinem Freund in das Bett aus weichen Kissen und dicken Decken, um ihn nicht zu wecken. Die warme, beruhigende Geborgenheit des kuscheligen Lagers umgab sie beide, als Vahid sich sanft an ihn schmiegte. Mit einem entschuldigenden Lächeln strich er so zärtlich wie er konnte eine Strähne aus dem Gesicht seines Freundes und flüsterte leise, "Guten Morgen."
"Frag ihn, ob er Eier möchte!" Die Stimme seines Tantchens krächzte durch die schiefen Dielenbretter unter ihnen. Man hörte das Geklapper von Pfannen und Töpfen aus der Küche. Vahid verdrehte die Augen und drückte seine Nase noch einen Moment in die stinkenden, gefärbten, falschen Haare des eigentlichen Blondschopfes, sofern dieser nichts gegen die drachige Klette einzuwenden hatte. "Magst du Eier oder sowas, kannst du normale Sachen essen? Wenn du nochmal an mir nuckeln willst, dann brauch ich ein paar Stunden ..." "VAHID!" Es klang, als hätte jemand eine Schüssel fallen gelassen. "Kannst du mal aufhören zu lauschen, altes Weib?!"
Laute, undefinierbare Stimmen zerrten den Ohara immer weiter aus der traumlosen Schlafwelt zurück in die Gegenwart. Schwerfällig hoben sich seine Augenlider einen Spalt weit, fielen jedoch direkt wieder hinab. Zu hell. Fast hätte ihn der Schlaf wieder gepackt, doch weiteres Gegröhle und Türenknallen hielt ihn wach. Wer war das? Wo war er nochmal? Verwirrt hob er die Hände langsam hinauf zu seinem Gesicht, um sie mehrfach darüberwandern zu lassen. Ein bekannter Geruch umgab ihn, zuordnen konnte er ihn allerdings erst, als die weiche Matratze neben ihm ein wenig nachgab und sich vertraute Wärme zu ihm gesellte. "Gmmhh Mgnnnh...", grummelte er träge und ohne seinen Mund dabei groß zu bewegen. Sollte er sich nach der letzten Nacht nicht fit fühlen? Beim letzten Mal hatte er das getan. Dieses Mal schien die Übelkeit aber noch viel tiefer in seinem Magen zu sitzen. Vielleicht lag es daran, dass er sich in der letzten Zeit vollkommen überanstrengt hatte. Schwerfällig rollte er sich auf die Seite, schob den schwarzen Schopf unter das Kinn seines Gegenübers wie eine Aufmerksamkeit suchende Katze. Erst dann öffnete er die Äuglein wieder ein Stückchen. Es tat gut, endlich wieder hier zu sein. Er hatte so große Angst davor gehabt, die Wüstenstadt wieder zu betreten, doch jetzt, wo er hier war, bereute er es kein Stück. Dafür bereute er es umso mehr, sich nicht schon eher getraut zu haben. Womöglich wäre ihm dann eine ganze Menge Leid erspart geblieben. Doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. Eine kühle Hand tastete gemächlich nach dem deutlich wärmeren Gegenstück. Als sie fand, was sie suchte, zog sie den wertvollen Fund hinauf zu Kennis Gesicht. Sanft kehrten seine Lippen auf der Handfläche ein, ehe er seine Wange in eben jene drückte. "Ich hab dich so vermisst", gestand er leise, halb genuschelt. Noch einmal würde er den Fehler, sich so lange zu verziehen, nicht begehen. Am liebsten würde er einfach gar nicht mehr gehen. Das war zwar keine Möglichkeit, trotzdem war der Gedanke schön. Er lächelte. "Ja, ich kann ganz normal essen. Ich mag auch so ziemlich alles. Aber-" Er wurde vom Gröhlen des Tantchens unterbrochen. Was hatte sie denn? Vahid hatte doch nichts Falsches gesagt...? ... Oh. Die nette Dame konnte wohl kaum wissen, dass ihr Schützling vom Blutsaugen sprach. Ihr Gedankengang war dementsprechend logisch. Kenji gab ein leises Quietschen von sich, als ihm die Glühbirne über dem ehemaligen Strohkopf aufging. War das peinlich! Dieses Mal waren sie wirklich unschuldig! Aber vielleicht war es besser, wenn die Tante die Wahrheit nicht wusste. Langsam schob sich der Ohara in eine sitzende Position. Seine Alltagsklamotten hatten unangenehme Druckstellen auf seiner Haut hinterlassen, die er kurz rieb, ehe er den gelöcherten Arm vorsichtig zwischen die Hände nahm. Die zwei Löcher, die er hinterlassen hatte, waren nicht besonders tief. Das milderte das schlechte Gewissen nur gering. "Ich ... ich denke das ich jetzt erst einmal eine Weile klarkomme. Ich hoffe es. So war es beim letzten Mal." Wenn es wieder genauso war, dann war es zwar nur eine Frage der Zeit, bis der Hunger zurückkehrte, doch die Ruhe in seinem Kopf wollte er erst einmal genießen. "Ich weiß gar nicht mehr genau, was gestern noch passiert ist. Ich habe nur all das Blut gesehen und dann war alles schwarz. Tut mir Leid ... aber ... danke. Tut es noch weh? Ich kann ein Pflaster draufkleben. Ich habe welche mit coolen Mustern." Kurz noch ließ er den Blick auf der kleinen Verletzung ruhen, ehe er langsam höher wanderte, um Kontakt zu den strahlend blauen Seelenspiegeln zu suchen. "Wie soll ich dir das bloß jemals zurückzahlen?" Es war ein großer Gefallen, den er Kenji da getan hatte und ein noch größeres Opfer, das er dafür gebracht hatte. Der ehemalige Blondschopf hatte aber gar nichts, das den Wert dieser Aktion auch nur annähernd aufwiegen konnte. Oh, was sollte er bloß tun?
Wie eine verdächtig vahidförmige Mauer lag der Drachensohn um seinen Übernachtungsgast gekrümmt und schirmte die Außenwelt - wenn auch nicht den Lärm - von ihm ab. Ganz so, als habe er nicht gerade durch das Haus gebrüllt und sich mit seinem Tantchen gestritten. Wobei man nur schwer von einem Streit sprechen konnte. Die beiden hatten einfach eine etwas ruppige Art, miteinander umzugehen. Vahid mochte das. Sein Vater hatte ihn auch nie mit Samthandschuhen angefasst. Es hatte etwas von Zuhause und brachte ihm Sicherheit.
Ganz anders musste er aber mit Kenji umgehen. Ob der ehemalige Blondiner nun ein Blutsauger war oder nicht, er war emotional so zerbrechlich wie eine Vase, die frisch aus dem Brennofen unten kam. Er wand sich unter der Decke wie eine Katze und schmiegte seinen kühlen Körper an den warmen des Feuerslayers. Auf der Seite liegend auf eine Hand gestützt, beobachtete der Drachensohn seinen Bettnachbarn dabei, wie er langsam in die Welt der Lebenden zurückkehrte. Jedenfalls im übertragenen Sinne. Er hatte immer nur gedacht, dass Kenji einfach kalte Hände hatte. Doch nun sollte kein Leben in den Adern des anderen fließen? Wie sollte er denn glauben, dass der Kleinere kein funktionierendes Herz hatte, wenn er so kuschelig war und ihm gestand, dass er ihn vermisst hatte?
Vahid war nicht gut mit solchen Gesprächen. Natürlich hatte er auch Kenji vermisst! Er barg das kühle Gesicht in seiner Hand, als könnte er Kenji dadurch ein wenig Wärme einflößen, fuhr mit dem vernarbten Fingern über die Schläfe und kniff spielerisch in die weiche Wange. Essen tat Vahid überaus gerne - die vielen Speisen der Menschen gehörten zu seinen liebsten Entdeckungen, seit er in der Zivilisation war. Er hätte es sehr vermisst, zusammen mit Kenji zu essen, auch wenn sie das eigentlich erst zweimal wirklich gemacht hatten. Es gab noch so viel alleine in Aloe, was er ihm zeigen wollte! Der Drachensohn brummte wohlig und ignorierte gekonnt, wie man seine Aussage noch verstehen konnte. Er rollte sich auf den Rücken und schmollte kurz, als Kenji sich aufsetzte. Am liebsten hätte er ihn einfach in seine Tasche gesteckt und eine Weile bei sich behalten. Er wollte nicht, dass der Ohara wieder ging und mit stinkenden Haaren und komischen Geständnissen zurückkam.
Mit schiefgelegtem Kopf beobachtete Vahid, wie Kenji mit seinem Arm umging. Die Wunde schmerzte kaum noch, war sogar schon wieder am Verheilen. Als wäre er so zerbrechlich! Einen Moment überlegte Vahid, ob er schon jemals ein Pflaster auf einer Wunde kleben hatte, da schaute Kenji ihm in die Augen. Die Mundwinkel des Drachensohns kräuselten sich nach oben und er schnappte wie ein Klappmesser ebenfalls in eine sitzende Position. Im Untergeschoss war es zur Abwechslung einmal ruhig. Vermutlich kochte sein Tantchen wirklich ein mördermäßiges Frühstück, um Kenji aufzupäppeln. Und sie würde sicher einen Grund finden, wieso sein Zustand Vahids Schuld war!
"Hä, wieso zurückzahlen?", fragte der Drachensohn und rieb sich über die Nase. Die Haare, die noch nicht von seinem üblichen Stirnband zurückgehalten wurden, fielen in sein Gesicht. Kurz kratzte sich Vahid an den weißen Stellen an seinen Schläfen. Er verstand natürlich mal wieder gar nichts. "Ich mach mein Blut doch nach, irgendwie. Du musst ja auch einer Kuh nichts geben, nur weil sie ..." Er runzelte die Stirn und schaffte es, den Vergleich zu stoppen, bevor er ihn so weit ausgesprochen hatte, dass es keine Rückkehr mehr von schrecklichen mentalen Bildern gab, die sich bereits jetzt in seinen Geist schlichen. Um sich davon abzulenken, stürzte er sich lieber auf Kenji und begrub den Schwarzhaarigen unter sich. "Hehe, ich kann dich doch einfach auch anknabbern, was sagst du?" Ein breites, fröhliches Grinsen erhellte das Gesicht des Slayers und er bleckte die Beißerchen. "Vielleicht in die Wange? Ein Rippchen? Oder hier am weichen Bäuchlein? Hmmm ..." Während er sprach, piekten seinr Finger in die entsprechenden Stellen, als gälte es das saftigste Stück Kenji auszuloten. Er hatte Kenji schon so lange nicht mehr gesehen oder so angefasst - viel zu viel Auswahl!
Kühle, zierliche Finger legten sich sanft um den warmen, kräftigen Arm des Drachensohns. Wenn dieser es gewollt hätte, hätte er ihn Kenjis Griff jederzeit entreißen können, doch er tat es nicht, sodass graue Äuglein aufmerksam die kleinen Wunden inspizieren konnten. Neben der ein oder anderen bereits verheilten Narbe wirkten die Bissstellen wie unscheinbare, kleine Insektenstiche. Man könnte meinen, es hätte sich eine großgeratene Mücke über nacht in das Zimmer verirrt. Natürlich war Kenji dankbar. Dankbar für das Blut und die damit verbundene Seelenruhe, aber auch dankbar für das Vertrauen, dass ihm Vahid entgegen brachte. Wäre es bei Mary und Nico genauso gelaufen, wenn er bloß eher etwas gesagt hätte? Ein Daumen wanderte liebevoll über die Stellen. So dankbar der ehemalige Blondschopf auch war, er verspürte auch eine Menge Reue. Schwer und unsichtbar lastete sie auf seinen Schultern und angelte mit kalten Klauen nach seinem Herzen. "Na das ist nur fair!" Ein entschlossener Blick heftete sich auf Vahid. Kenji wusste noch nicht wie, aber er würde sich revanchieren. Das war das mindeste, was er tun konnte. Auch, wenn es vielleicht nicht von ihm erwartet wurde. Die Pflaster waren nur der Anfang. Sie mochten die Heilung vielleicht nicht beschleunigen, aber sie machten mit ihren niedlichen Mustern zumindest glücklich. Aber wo hatte er die noch gleich hingepackt? Er war sich sicher, dass er sie dabei hatte, aber er würde sie kurz suchen müssen... "Wah!" Planänderung. Vahid hatte offensichtlich nicht vor, seinen Besucher davonwandern zu lassen. Mit einem Ruck fand sich der Untote zurück in die unzähligen Kissen und Decken befördert wieder. Im direkten Kontrast zu den farbenfrohen Stoffen wirkte er mit seinen pechschwarzen Haaren und der leblosen Haut noch viel blasser, als er es eh schon tat. Glücklicherweise sagte die Röte, die sich schlagartig auf seinen Bäckchen ausbreitete der Blässe direkt den Kampf an. "Ich- ich glaube nicht, dass ich reife wie ein Käse! Ich bin bestimmt total ungenießbar!", quiekte er, riss dabei die Hände in die Luft. Drückend und schiebend versuchten sie, den rotzfrech piekenden Fingern einhalt zu bieten, natürlich erfolglos. "Eeeek! Eh, ah, ich- ich bin ... hahah ... kitzlig..." Von einen Moment auf den anderen mutierte Kenji zu einem kichernden Ball aus zappelnden Gliedern. Es war aber auch ein unfairer Kampf! Er hatte nicht den Hauch einer Chance, doch geschlagen geben würde er sich niemals! Warmes, halb ersticktes Lachen hallte durch den Raum, wurde nur hin und wieder von einem atemlosen Japsen und Hicksen unterbrochen. Tränchen sammelten sich zunehmend in seinen Augenwinkeln. Ausnahmsweise waren sie jedoch kein Ausdruck seiner schier endlosen Trauer, sondern seiner Freude. Im fahlen Licht der Morgensonne kullerten sie über die kleinen Lachfältchen, die sich um seine Äuglein gebildet hatten und dann von seinen Wangen hinab auf das flauschige Kissen, das ihn halb verschluckte. Es fühlte sich so gut an, zu wissen, dass der Draconia sich nicht von dem Vampirdasein seines Gegenübers abschrecken ließ. Noch besser fühlte es sich aber für Kenji an, seinem Gegenüber nah sein zu können, ganz ohne Angst vor sich selbst haben zu müssen. Der gierige Vampir in seinem Inneren schlummerte nach seinem Festmahl am gestrigen Tag tief und fest. "Hahhehhh, auaa ... mein Bauch schon tut weh vom ganzen Lachen!" Genauso wie seine Mundwinkel, doch er schaffte es einfach nicht, sie zu entspannen. Er konnte einfach nicht anders, als zu grinsen. Für einen Moment schloss er die Augen, fühlte seine Lungen bis zum Anschlag mit Luft, um sie dann langsam wieder entweichen zu lassen. Eine Hand lag dabei auf dem nicht nur leicht schmerzenden, sondern auch wie verrückt kribbelnden Bäuchlein. Wann hatte er das letzte Mal so heftig gelacht? Als er die Lider wieder hob, blickte er direkt in die trotz der kühlen Farbe so warm strahlenden Seelenspiegel des Draconias. Hitze blubberte in ihm wie heiße Schokolade. Als er hier aufgekreuzt war, hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie sich seine Gefühle durch die lange Abwesenheit verändert haben könnten. Doch hier und jetzt war ihm mehr als klar, dass sie noch immer genauso warm, flauschig und zart waren, wie zuvor. Vielleicht sogar noch ein kleines Bisschen mehr. Beide Hände streckten sich aus, legten sich über die sonnengebräunten Wangen. Ein Daumen strich über die fast schon glühende Haut. "Es gibt da noch etwas, das ich dir erzählen muss." Es gab da schließlich einen kleinen, aber feinen Deal mit einem guten Freund von Kenji. Sie hatten es so ausgemacht, also musste er sich auch daran halten. Auch, wenn er sich davor fürchtete. Der graue Blick wanderte davon. "Aber ... nicht jetzt. Nicht hier ... äh ... kennst du vie-vielleicht einen hübschen Ort, hier irgendwo?"
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