Ortsname: Miln Art: Freiraum Spezielles: --- Beschreibung: Miln ist die letzte Erinnerung an Zivilisation vor der ewigen Einöde, in der auch das berüchtige Knochental liegt. Es leben nur sehr wenige Menschen in diesem Dorf und diese sind auch mehr als nur ein wenig ungastlich und unfreundliche. Kein Wunder, alleine auf sich in dieser Einöde gestellt, sind die Bewohner von harter und unnachgiebiger Natur und allem Neuen misstrauisch gegenüber.
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"Sprechen" ~ *Denken* ~ *Wukong*
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Yuuki
Anmeldedatum : 18.08.15 Anzahl der Beiträge : 4717
Die Crimson Sphynx Magier hatten außerordentliche Glück, denn es fuhren nur wenige Züge täglich in Richtung Miln, der letzten Spur von Zivilisation, ehe man sich der ewigen Einöde gegenüberfand. Wie ungemein passend, dass sich dort auch ihr Ziel befand, das Knochental. Aber was hatte er auch erwartet, einen Trip an den Strand und gutes Wetter? Man musste auch wissen, dass sich der Bahnhof nicht direkt in Miln befand, sondern dass die Truppe wahrscheinlich noch einen Fußmarsch vor sich hatte, denn wenn der Grynder es richtig verstanden hatte, befand sich der Bahnhof eigentlich mitten im Nirgendwo. Wer auch immer auf so eine gerissene Idee kam, verdiente auf jeden Fall einen Orden. Aber darum konnten sie sich später kümmern! Viel wichtiger war es doch, den Zug zu bekommen und sich ein gemütliches Abteil zu sichern, in welchem sie die Fahrt in aller Ruhe verbringen konnten. Aufgrund ihrer Reise in die ewige Einöde und ins Knochental, hatte der Rotschopf genügend Proviant mitgenommen, damit er nicht inmitten der Quest verdurstete oder verhungerte. Vermutlich wäre das jedoch gar nicht nötig gewesen, denn Amaya erwies sich als wahre Fundgrube, was Essen und Trinken anging! Fröhlich mampfte Yuuki an seiner Schokolade und hatte sich nach einem Glas Milch erkundigt – hey, immerhin hatte die Magierin ja die Getränke angeboten! „Das ist ja wirklich der Wahnsinn, wie kannst du so viel und so gutes Essen dabei haben?“, erkundigte sich der Grynder schwer beeindruckt bei der großen Magierin. Oh ja, er war wirklich eine Naschkatze und ein Gourmet und konnte stundenlang essen. Essen war eine seiner Lieblingstätigkeiten, dementsprechend kein Wunder, dass er so angetan von den Fähigkeiten seiner Gildenkameradin war. Sie hatten noch einige Stunden Fahrt vor sich, insofern war der Rotschopf interessiert, was die Beiden so in petto hatten. „Es wäre sicher gut, wenn wir uns vor dem Knochental noch ein wenig besser kennen lernen und vielleicht auch einen Einblick in unsere magischen Fähigkeiten gewähren. Damit wüssten wir genau, was jeder von uns kann und was man in einer gefährlichen Situation von den anderen erwarten kann.“, begann Yuuki professionell und beugte sich bereits interessiert vor. Das war der Teil, der ihm am Liebsten war: Mehr über seine Kameraden und insbesondere ihre magischen Fähigkeiten zu erfahren. Sich untereinander zu kennen war der erste Schritt, der zu Vertrauen führte. Und Vertrauen unter Teammitgliedern erhöhte die Effizienz und damit das Resultat, ein nicht zu verachtendes Ziel für jeden Crimson Sphynx Magier. „Ich bin seit meinem siebten Lebensjahr Teil von Crimson Sphynx und komme direkt aus Aloe Town. Und wo kommt ihr her? Seit wann seid ihr Mitglieder von Crimson Sphynx?“ Nachdem er sich ein wenig herangetastet hatte, war es an der Zeit, für die Fragen hinsichtlich der Magie. „Über was für eine Magie verfügt ihr denn? Meine erste Magie ist Magnetismus, ich kann also jegliche Art von Metall beeinflussen und kontrollieren.“ Um eine kleine Demonstration hinzulegen, griff er in die Tasche und zauberte einige metallene Murmeln hervor, die er über seiner leeren Handfläche schweben ließ. Dann fingen sie an, um seine Hand zu kreisen, und wurden dabei immer schneller. Aber, der Grynder hatte ja erst kürzlich eine weitere Magie gelernt, die er unbedingt zeigen wollte. „Außerdem verfüge ich über eine Requipmagie, mit denen ich Masken beschwören kann, die mir nützliche Fähigkeiten verleihen. Zum Beispiel die Fähigkeit, mit Tieren zu sprechen.“, sagte er nun an Sofia gewandt und schaute auf Ari. Mit der rechten Hand fuhr sich der junge Mann über das Gesicht, und beschwor sogleich eine gelbe Fuchsmaske. „Requip: Mask of Animals!“ Er hatte zwar noch nie versucht mit einem Tier zu reden, aber wann würde er eine bessere Chance als diese bekommen. „Hallo Ari, wie geht es dir?“, sprach Yuuki den Fuchs an und gab dabei für die Magier völlig unverständliche Tierlaute von sich, die der junge Fuchs jedoch perfekt verstehen sollte. Wie dieser wohl auf einen mit Tieren sprechenden Magier reagieren würde? Und was war wohl seine Meinung zum Rotschopf?
Warum bloß war es so entgeisternd sich auf eine Erkundungstour durch mysteriöse Orte zu freuen? Vielleicht, weil sie von Tod verheißenden Legenden umgeben waren. Ein gewisser Nachteil bei entsprechend hohem Wahrheitsgehalt dieser Legenden war sicherlich nicht abzustreiten. Yuuki schien aufjedenfall viel vertrauen in die Gruppe zu haben. Sofia unternahm einen weiteren Versuch an ihre Gewissen zu appellieren, was Amaya zum schmunzeln brachte. Yuuki hoffte auf reichlich wenig Optimismus und die Weißhaarige kommentierte die Aussage amüsiert mit: „Also in zweiterem Fall wüsste ich doch schon ziemlich gut, was uns erwarten würde. Es waren aber keine Organhändler, sondern mehr die die mit lebenden, ganzen Sklaven handelten.“ Ouh, da hatte die junge Frau einen dunkleren Part ihrer Vergangenheit verraten. Etwas, womit die Weißhaarige eigentlich deutlich sparsamer haushaltet, doch die Vorlage des blonden Mädchens war zu verlockend. Es bestand noch die Möglichkeit, dass die zwei Gesprächspartner den beiläufigen Satz nicht ganz wahrnahmen... Als ob. Etwas später bot sie den zwei Magiern Schokolade an und beide zeigten sich sehr begeistert, was Amaya sehr erfreute. Sofia und Yuuki guckten sich die Schokolade an und Sofia sicherte sich mit ihrer Frage das erste Stück. Amaya hatte sich schon neugierig gefragt, ob das Mädchen wohl Erdbeere oder Vanille nehmen würde. Vor Freude strahlend nickte Amaya der Blonden zu. „Sehr gerne doch.“ Auch Yuuki hatte sich ein Stück ausgesucht und zu ihm meinte die Magierin ebenfalls: „Nimm ruhig, gerne doch!“ Es wärmte der Weißhaarigen Herz und Seele ihr Essen mit so begeisterten Leuten teilen zu können. Sofia wunderte sich, als sie die Getränke anbot und irgendwie hatte Amaya schon erwartet, dass die Getränke etwas viel waren. Fröhlich erklärte sie: „Ich koche gerne und, wenn ich es nicht gerade selber esse, teile es dann gerne mit anderen!“ Das Rothaar lobte die Schokolade und war damit direkt sehr sympathisch! „Das Freut mich!“ War die erfreute Reaktion der Köchin. Dann nickte sie zustimmend und meinte: „Gute Idee, im Zug wird sich bestimmt noch genug Möglichkeit für eine Unterhaltung bieten.“ Amaya folgte dem rothaarigen Magier, welcher schon den richtigen Zug wusste. Zu einer Stadt oder einem Dorf namens Miln ging es anscheinend. Der Frequenz an Zügen, die in die Richtung Miln fuhren, nach war der Ort klein oder abgelegen oder direkt beides.
Sie hatten das Glück direkt einen Zug zu erwischen und wenig Wartezeit zu haben. Sie fanden ein gemütliches Abteil und Yuuki nutzte das Angebot von Schokolade und einem Getränk. Milch? Nun, das war unerwartet, aber einfach. Sie hatte ihm ein Glas Milch gegeben. Das Glas hatte zwei Symbole eingraviert. Einen kleinen Mond über einem Baum mit einem kleinen Stück Wiese und einem Lagerfeuer vor dem Baum. Das Zweite, direkt gegenüber, zeigte zwei kleine Wesen, ein weibliches und ein männliches, die je eine Tasse in der Hand hatten und eine sitzende Haltung hatten. Guckte man direkt auf die Gravierung, während das Glas leer oder mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war, so überlappten sich die zwei Gravierungen und zeigten zwei menschliche Wesen die mit einer Tasse an einem Lagerfeuer unter einem Baum saßen. Es war ein edles, aber relativ dickes Glas. Fein gearbeitet und beeindruckend durchschaubar, war es doch sehr stabil gehalten, damit es sich für Reisen eignete. Amaya hatte sie extra in Auftrag gegeben und viel Geld dafür gegeben. Vielleicht ein Grund sie nicht einfach mitzunehmen, aber Amaya wollte hübsche Gläser dabei haben. Außerdem hatte sie ähnliche Gläser in ihrem Cafe und so waren sie auch ein bisschen Erinnerungen und Vertrautheit. Yuuki erkundigte sich wegen dem Essen und Amaya blickte ihn kurz fragend an. Wie sie so viel und gutes Essen dabei haben konnte? Ihr blick wanderte zu ihrem Beutel. Langsam hob sie diesen an und rückte ihn weiter zu Yuuki, direkt in sein Sichtfeld. Sie deutete mit ihrem Blick und ihrem Kopf auf den Beutel und guckte dann wieder das Rothaar an. Den Beutel hatte sie größtenteils wieder abgestellt, weil er schwer war. „Ich hab einen Beutel dabei.“ Sagte sie komplett ernst und monoton, ohne eine Zug von Ironie. Als sie fertig war und der schlechte Scherz vollbracht war, lachte sie amüsiert los und antwortete, diesmal freundlich und warm: „Bisher hab ich alles aus meinem Beutel. Es ist sogar ein magischer Beutel! Aber bisher hab ich euch nur etwas Schokolade und das Glas Milch gegeben. Ich koche gerne und hab deswegen fast immer frisch zubereitetes oder zumindest vorbereitetes Essen dabei. Außerdem ein paar Kochzutaten, wie die Milch. Ich bin sehr schwach und der Beutel ist schwer, aber wenn ich sie zum Beispiel auf dem Rücken trage, dann geht das schon. Gerade Getränke verbrauchen sich ja schnell und machen viel vom Gewicht aus. Dann hab ich zwar weniger Getränke, aber der Beutel wird angenehmer zu tragen!“ Amaya war wirklich ziemlich schwach und hatte schon einige Male mit dem Gedanken gespielt zumindest ein bisschen was dagegen zu tun. Mehr Kraft bedeutete sie konnte mehr Gewicht tragen! Mehr Gewicht bedeutete mehr Essen und Kochausrüstung! Bisher musste sie aber noch möglichst wenig Gewicht einplanen. Sie hatte zwar den Vorteil einer guten Ausdauer, doch das hatte ebenfalls seine Grenzen. Yuuki schlug als nächstes etwas Teambildung und Vertrauen aufbauen vor. Also er schlug es nicht direkt so vor, aber er dachte daran und begann ein passendes Gespräch, in dem er sich mit Fragen zu ihrer Herkunft und der Mitgliedschaft in ihrer Gilde herantastete. Der rothaarige Magier schien schon etwas länger in der Gilde zu sein. Seit seinem siebten Lebensjahr! Wüsste die Metzli jetzt noch wie alt der Grynder war, dann wäre dies sogar eine in Zeit umwandelbare Angabe. So wusste sie zumindest, dass der junge Mann sehr früh schon der Gilde beigetreten war, also sehr früh. Amaya dachte einen winzig kurzen Moment nach und antwortete: „Ich bin neu in der Gilde und komme eigentlich aus einem Dorf auf einem ganz anderen Kontinent.“ Danach machte der Magier einen kleinen Sprung zur Magie des Dreiergespanns. Amaya wurde ein wenig hellhörig, als er seine erste Magie vorstellte. War das nicht sogar eine Lost Magic? Es klang aufjedenfall nach einer durchaus faszinierenden Magie. „Jegliche Art von Metall?“ fragte die Weißhaarige zwischendurch neugierig. Seine zweite Magie war ebenfalls interessant, aber merkwürdig. Die Masken wirkten merkwürdig auf Amaya und sie konnte nicht genau beschreiben wieso. Der Gelb-Rote Fuchs redete mit dem Fuchs von Sofia und Amaya schnappte sich derweil eine Unterlage, die sie im Abteil finden konnte. Sie lies Sofia den Vortritt ihre Magie zu präsentieren und auf die Anbiederungsversuche des rotäugigen Magiers auf ihren süßen Fuchs zu reagieren. Gemütlich wischte sie mit einem Lappen über die Unterlage und holte dann eine kleine Schale aus ihrem Beutel. Sie stellte die kleine Schale auf der Unterlage, vor sich, ab und hörte während all dieser Dinge natürlich der blonden Magierin neugierig zu. Die meiste Zeit guckte sie das Mädchen und den Rothaarigen dabei sogar an, brauchte sie für den Rest doch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit und wollte natürlich alles mitbekommen und was von den Magien sehen. Als Sofia fertig war, strich sie zum Spaß über die Schale und offenbarte mit einer zweiten Streichbewegung eben jene Schale, nur nun mit einer Nudelsuppe gefüllt. Amaya lächelte freundlich und sagte: „Ich kann mit meiner Magie Essen und Getränke erschaffen.“ Sie stellte ihren Beutel beiseite und fragte mit warmer Freude: „Wo wir dabei sind, habt ihr Hunger? Ein bisschen Mana verbrauchen, bevor wir das Tal mit den Tod verheißenden Legenden erreichen.“ Dann griff sie ihre Schale und begann genüsslich damit ihre Nudelsuppe zu essen. Ob die Weißhaarige Suppen mochte? Vielleicht.
Hel hatte eine Mission! Eine wundervolle Mission, die vielversprechender nicht klingen konnte, voller Intrigen, Hass, Verrat und einer zu rettenden Prinzessin am Ende eines grauenvollen Dungeons! Kurzum: Hel hatte nicht den Hauch einer Ahnung, auf was für eine Quest sie geschickt wurde. Sie hatte versucht dieses Papier zu lesen, aber viel mehr als Yuuki und Sofia hatte sie nicht wirklich behalten können, schließlich waren solche Papiere auch eher eine grobe Richtlinie und kein Gesetz… oder? Dass sie irgendwie noch in letzter Sekunde rekrutiert wurde und als Nachzügler den restlichen Trupp treffen sollte, machte ihr weniger Sorgen als die Art, wie sie die Reise hinter sich bringen sollten. Gab es in dieser Welt denn keine vernünftigen Reisemittel wie Füße? Schade eigentlich! Geschwind hatte sie mal wieder einen Beutel Süßkram gepackt – gespeist hatte sie schon früh am Tagesanbruch – und war mit ihren sieben Sachen gen Bahnhof aufgebrochen, um ihre Gruppe hoffentlich noch rechtzeitig einholen zu können. Die schwarze Lokomotive mit ihren gesammelten Anhängern stand noch immer im Bahnhof, als sie dort eintraf. Schnell war sich ein Ticket gekauft (und dem Mann vermutlich wieder 900% Trinkgeld gegeben) und sie trat eher weniger mutigen Schrittes die Stufen in einen der Wagons ein. „Magier?“, fragte sie einen der Schaffner, bevor dieser sich umdrehte und irgendwo in den Zug zeigte, scheinbar also sogar wusste, was die so wortgewandte Hel von ihm wollte. Vielleicht wollte er einem gehörnten Dämon aber auch einfach nichts abstreiten. „Danke, Mister!“, sagte sie und schritt auch schon von dannen in den Bereich der ihr gezeigt wurde, bis sie im Vorbeigehen an einem der Abteile einen hässlichen femininen Rotschopf erblickte und sofort stehen blieb. „Yugi! Sif!“, brüllte das kleine Mädchen durch die Glastür des Abteils und trat diese danach aus ihrem Weg einmal quer auf den Boden. „Oh, hallo.“ Erst jetzt hatte Hel bemerkt, dass da noch ein weiteres zierliches Geschöpf saß, was tatsächlich schwer zu übersehen war. „Du musst… Dings sein! Hel ist Hel!“ Woher sollte sie denn wissen, wie das weißhaarige Monstrum hieß? Ulkig, dass sie im Sitzen tatsächlich so groß war wie Hel, wenn sie neben ihr stand. „Die Gildenleitung sagt Hel soll mitkommen.“ Vermutlich, dass sie auf den rothaarigen Perversling aufpasste. „Nur Frauen heute, wie angenehm.“ Schließlich wollte Yugi ja eine Frau sein, sogar schon irgendwelche Ballmasken hatte er sich zugelegt und zeigte sie scheinbar seinen neuen Freunden. Weniger angenehm war jedoch, was dann folgte. Mit einem lauten Pfeifen und einem Rumpeln fing der Boden unter ihren Füßen sich irgendwie zu bewegen. Hel hatte zu spät daran gedacht, dass sie sich vermutlich für die Fahrt lieber auf eine der Toiletten einsperren hätte sollen. „Oh, oh.“ Vermutlich war das eine sehr späte und ziemlich ungenaue Warnung, aber dennoch versuchte sie das beste aus der Situation zu machen und lenkte ihr morgendliches Frühstück so gut es ging auf Yuuki, oder zumindest in seine Richtung, damit die anderen nichts abbekamen. Bei der neuen wollte sie es sich nicht unnötig gleich verscherzen und Sif konnte sie trotz ihrer bonbonhaften Art irgendwie leiden. „Unnskyld meg..“ Ja, es tat ihr wirklich Leid, aber mal ehrlich, wenn man sich entscheiden musste auf wen man in diesem Raum brach, wer würde da nicht Yuuki wählen? „Ohje, ich komme wohl zu spät. Yuki, Sofia.“, kündigte sich das sprechende Schwein hinter Hel an, welches in der letzten Zeit erstaunlich gewachsen war. Als wenn sie aber etwas hätte ändern können. Hel hatte sich inzwischen zu einem Häufchen Elend in einem der Sitze zusammengerollt und murmelte unverständliche Fetzen in ihrer alten Sprache vor sich hin – glücklicherweise war das meiste von Yuki direkt auf den Boden gewandert. „Ich versuche mal ein paar Tücher zu holen, um die Sauerei wegzumachen. Sauerei, versteht ihr?“ Ohne auch nur einmal ihre Stimmlage zu ändern, oder irgendwie die Miene zu verziehen, drehte Gullinbursti sich auch schon um und trottete den Gang herunter. Konnte vielleicht jemand das Fenster öffnen? Von dem Gestank wurde einem ja schlecht…
Wie sich heraus stellte, fuhren pro Tag nur 2 Züge in die Richtung des Knochentals. Es war also ein glücklicher Zufall, für die Wüstenmagier, einen der Züge noch rechtzeitig zu erwischen und sich in Richtung des Dorfes Miln, ein kleine Zivilisation in der einsamen Steppe, aufzumachen. Vor ihrem Aufbruch hatte sich Sofia noch schnell eine Tasche mit einigen wichtigen Utensilien geschnappt. Ihre Hoffnung, sich einer einfachen Quest angeschlossen zu haben, hatte sie schon längst begraben. Es war daher besser, für alle Fälle gewappnet zu sein. Aktuell blieb ihr nur noch der Traum, die bösen Gerüchte und Theorien wären überzogen um kleinen Kindern Angst einzujagen, sobald sie mal nicht artig waren. Was die Magier im Knochental erwarten würde, stand bisher noch in den Sternen.
Sofia hatte sich im Zugabteil ans Fenster neben Amaya gesetzt, wobei sie etwas Abstand zwischen sich und der anderen Magierin lies. Bisher kannte sie die Andere noch zu wenig, um sie besser einzuschätzen und die Blonde wollte ihr keineswegs zu sehr auf die Pelle rücken. Während sich Yuuki bei Amaya erkundigte, wie sie es zu Stande brachte, all das Essen bei sich zu tragen und Amaya begann dies zu erklären, blickte Sofia etwas gedankenverloren aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft, die an ihnen weitaus schneller vorbeizog als ihr lieb war. Trotzdem erklangen Amayas Worte in Ohren keineswegs zweitrangig. Sie lauschte der Erläuterung eben einfach im Stillen und malte sich in ihrer Fantasie einige lustige Szenerien aus. So wie es aussieht werden wir, Amaya sei Dank, im Knochental immerhin nicht verhungern. Vermutlich wird dort nicht an jeder Ecke ein Fast-Food-Restaurant auf uns warten. Ihr Arm stützte sich locker auf dem Fenstersims ab, während sie ihren Kopf leicht zur Seite gelehnt hatte um ihn auf ihrer Faust abzulegen. Falls du Hilfe beim Tragen deines Beutel brauchen solltest, können wir uns sicher auch abwechseln. Erneut wanderte ihr Blick von ihrem Kameraden weg und beobachtete die öde Landschaft ausserhalb des Zuges. Gerade im Moment bereute sie es ein wenig, das Buch über das Knochental nicht komplett zu Ende gelesen zu haben. Damals waren ihr die Geschichten einfach viel zu gruselig gewesen - womöglich wären sie dies auch heute noch - aber jetzt im Moment wäre es vielleicht ganz praktisch über einige mehr davon Bescheid zu wissen. Sich auf diese Aufgabe vorzubereiten war nunmal bereits schwer genug. Vielleicht würden sie ja noch auf einige Personen treffen, die ihnen weiterhelfen konnten... Yuuki schlug nach einer Weile vor, sich untereinander bekannt zu machen. Dies war sicherlich keine schlechte Idee! Im Kampf konnte es sehr hilfreich sein, über die Fähigkeiten seiner Partner Bescheid zu wissen, um ihnen nicht im Weg zu stehen oder sie möglicherweise auch zu unterstützen. Augenblicklich war also die Neugierde der jungen Magierin erweckt. Neue Dinge zu erfahren war ungemein spannend, jedenfalls in ihren Augen. Geduldig hörte sie Yuuki bei seiner Erklärung zu. Nachdem er ihnen eine kleine Kostprobe seiner Magie, in Form einiger schwebender Metallkugeln, gegeben hatte, war auch Ari's Interesse geweckt. Bisher hatte diese friedlich in Sofia's Schoß geschlafen aber die hektische Bewegung kleinerer "Beute" hatte sie aufmerksam gemacht. Ähnlich einer Katze hatte sie sich also aufgesetzt und in eine lauernde Stellung begeben. Schlussendlich wackelte sie noch einige Male mit dem Hinterteil und versuchte sich letztendlich auf eine der kleinen Metallmurmeln zu stürzen und zu "erlegen". Auf dem Gesicht der Himmelskörper-Magierin erschien augenblicklich ein breites Lächeln. Ari hatte einen unfassbaren Wert für sie. Hellhörig wurde Sofia erst wieder, als er etwas davon sprach, Tiere verstehen zu können. Er hatte sich in der Zwischenzeit eine Fuchsmaske beschworen. Sehr interessant. Sieht aus wie die Darstellung eines Kitsune, in der alten Mythologie. Verwundert blickte sie zurück auf Ari, welche die seltsamen Fuchslaute wohl verstehen sollte. Die kleine Fuchsdame blickte anfangs ebenso verwirrt drein, als der rothaarige Magier plötzlich mit ihr zu sprechen begann - und sie konnte es sogar auch noch verstehen! Erstaunt lies sie sich auf ihr Hinterteil fallen. Ist das Menschenmagie? Für Amaya als auch Sofia waren die Laute wohl gänzlich unverständlich und mussten eher wie ein undefinierbares Gejaule klingen. Ari's anfängliche Verwunderung hatte sich allerdings schnell wieder gelegt. Mit einem eleganten Sprung beförderte sie sich zurück in den Schoß ihrer Besitzerin. Ich glaube nicht, dass ich dir die Erlaubnis gegen habe, mit dir zu sprechen. Dafür musst du dir erst meine Gunst verdienen. Mit diesen Worten drehte sie sich einige male um sich selbst und lies sich seelenruhig erneut nieder. Was... hat sie denn gesagt? Sofia starrte Yuuki nur ratlos an. Behutsam legte sie eine Hand auf den kleinen, braunen Fuchskörper. Ari war möglicherweise etwas egozentrisch in ihrer Charakteristik. Da Amaya sich zwischenzeitlich der Zubereitung von ihrem Essen gewidmet hatte, ergriff nun die Blonde das Wort. Also meinen Namen kennt ihr ja bereits. Ursprünglich komme ich aus Crocus Town, dort bin ich auch geboren. Crimson Sphynx habe ich mich erst vor kurzem angeschlossen, für mich ist der Gildenkram also eigentlich noch recht neu aber bisher komme ich ganz gut damit zurecht... Ehe sie weitersprach lies sie eine kurze Pause vergehen, um die Worte sacken zu lassen. Meine Magie befasst sich mit der Beherrschung von Himmelskörpern, sie nennt sich Heavenly Body Magic. Sterne, Meteoriten, Planeten - im Prinzip all das, was ihr am Himmel entdecken könnt, hat damit zu tun. Ich denke bei Nacht könnte ich euch eine kleine Vorstellung davon geben. Die Faszination der Himmelskörper war natürlich besonders bei Astronomen gegeben, Amaya und Yuuki erschienen ihr zwar als solche nicht aber vielleicht waren sie ja doch noch zu überzeugen. Die weißhaarige Köchin war zwischenzeitlich am Ende ihres Werkes angelangt und stellte den anderen beiden die Frage, ob sie denn Hunger hatten. Hmm... Also im Grunde hätte ich gegen eine Kleinigkeit nichts einzuwenden! Während die eben noch entspannte Sofia auf eine Antwort von Amaya wartete, wurde sie zu Tode erschrocken als sich sich die Glastür des Zugabteils aus den Angeln hob und einer kleinen Gestalt wich. Hel!, rief Sofia ihr erfreut entgegen. Das kleine Wikingermädchen machte keine Umschweife und stellte sich kurzerhand Amaya vor, die anderen Insassen kannten sie ja bereits. Schnell hatte sie sich erklärt. Die Gildenleitung hat sie also dazu angewiesen, uns zu begleiten. Umso mehr, umso kleiner die Chance als Schnitzel zu enden. Sofia tat sich schwer damit, nicht in einen Lachanfall zu explodieren, als Hel Yuuki in einem trockenen Satz als Frau abspeiste. Die Kleine hat gar nicht mal so Unrecht. Während sie immer noch mit sich selbst rang, verschlimmerte Hel die Situation nur noch, als sich Hel auf den rothaarigen Magier übergab. Nun war der Punkt gekommen, an dem Sofia ihr Lachen wirklich nicht mehr zurück halten konnte und ihr bereits Tränen in die Augen stiegen. Die Gesamtsituation müsste wohl für eine aussenstehende Person mehr als nur komisch aussehen. Ein vollgekotzter Mann der eine Fuchsmaske trug. Ein kleines, gehörntes Mädchen, welches in einer unverständlichen Sprache einige Dinge vor sich hin murmelte. Eine weißhaarige Magierin, welche bis eben noch genüsslich eine Nudelsuppe verspeiste und schließlich Sofia, der es immer noch schwer fiel, endlich mit dem Lachen aufzuhören. Nach einer Weile stand sie dann doch auf und versuchte möglichst der Pampe auf dem Boden auszuweichen. Ari nahm ihren Platz auf dem Sitz ein. Ich geh mal vorsichtshalber nach Gullinbursti sehen. Nicht, dass der Schaffner noch Hunger auf Spanferkel bekommt. Ehe jemand sie abhalten konnte machte sie eine schnelle Umdrehung. Immer noch geplagt von einigen kleineren Lachern, schritt sie den Gang hinab. Nicht zuletzt, um dem unangenehmen Geruch zu entkommen.
Yuuki
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Gespannt wartete der Grynder auf die Reaktion des Fuches, der scheinbar ziemlich überrascht darüber war, dass ihn jemand in seiner eigenen Sprache ansprach. Während es für Amaya und Sofia lediglich unverständliche Laute waren, verstand Ari ihn indes perfekt. Das hieß aber noch lange nicht, dass ihm Ari auch wohlgewollt war, wie er gleich daraufhin feststellen durfte. „Ja, richtig, das ist meine Magie.“, antwortete er freundlich in den Lauten. Für die beiden Magierinnen im Abteil musste der Eindruck entstehen, dass hier gerade eine Konversation in Gange war. Kurz daraufhin, antwortete Ari jedoch ziemlich arrogant, dass dieser Yuuki nicht die Erlaubnis gegeben habe, um mit ihm zu sprechen. *Hui, was für ein unerzogenes kleines Kerlchen.*, schoss es Yuuki durch den Kopf. Ob Ari das wohl den Erziehungsmethoden ihrer Besitzerin zu verdanken hatte? Mit der rechten Hand griff der Rotschopf nach der Maske und schob sie auf seinen Kopf, sodass er wieder frei reden konnte. „Sie hat mich gefragt, ob es Menschenmagie sei. Und anschließend irgendwas in der Richtung, dass ich erst mit ihr reden darf, wenn ich ihre Gunst verdient habe.“, teilte er ehrlich mit, während er sich den Kopf kratzte und dabei auf den eingerollten kleinen Fuchs schaute. Tja, da hatte Sofia wohl in gutes Händchen, was Erziehung anging, nicht wahr? Viel interessanter war jedoch, als die beiden Magierinnen ihm endlich mitteilten, über was für Fähigkeiten sie verfügten und woher sie kamen. Sofia machte den Anfang und teilte Amaya und Yuuki mit, dass sie aus Crocus Town stammt und erst kürzlich Crimson Sphynx beigetreten war. So weit so gut. Wirklich interessant wurde es jedoch, als sie von ihrer Magie begann: Der Heavenly Body Magic. Der Grynder hatte schon zuvor von dieser Himmelskörpermagie gehört, leider aber noch nicht das Vergnügen gehabt, diese in Aktion zu sehen. Möglicherweise bekam er ja während dieses Auftrags die Möglichkeit dazu? Auch wenn man natürlich hoffen sollte, dass sie möglichst auf keine Probleme stießen. Zum Glück machte Sofia den Vorschlag, ihnen eine kleine Kostprobe bei Nacht zu schenken. „Das wäre großartig.“, teilte der Rotschopf ihr ehrlich interessiert mit. Eines der tollsten Dinge im Leben war, ständig neue und interessante Menschen sowie Magien kennen zu lernen. Wobei wir auch schon beim nächsten Kandidaten wären – Amaya. Die große Frau hatte durchaus die Sympathie des jungen Mannes gewonnen, als sie freizügig Schokolade und Getränke verteilt hatte. Was es wohl mit ihrer Magie auf sich hatte? Bereits zuvor hatte sie ihm ja mitgeteilt, dass sie einen magischen Beutel dabei hatte und sie gerne kochte. Auf diese Weise hatte sie immer frischen Proviant dabei, etwas, dass der Grynder nur bewundern konnte. Dementsprechend sein enthusiastisches Nicken als Antwort auf diese Information. *Sie kann mir auch gerne so einen Beutel schenken und ihn mit ihrem Essen füllen.* Oh ja, in Bezug auf Essen war Yuuki ein wahrer Nimmersatt, kein Wunder also, dass er schwer beeindruckt von der großen Magierin war. Ihr Hintergrund war nochmal um einiges spektakulärer als der von Sofia, denn Amaya kam von einem ganz anderen Kontinenten! Und noch mehr, mithilfe ihrer Magie konnte sie tatsächlich Essen und Getränke erschaffen, Wanhsinn! Auf ihr Angebot, noch etwas zu essen, willigte der Grynder schneller ein, als man schauen konnte. Zumindest war ihre Verpflegung während ihrer Reise ins Knochental gewährleistet und sie würden keinen Hungertod sterben. Die Suppe genüsslich zu sich nehmend, dachte sich der Rotschopf, dass diese Quest nicht mehr besser werden konnte. Hätte er diese Worte doch bloß nicht vorschnell gedacht…
„Yugi! Sif!“, brüllte jemand durch die Glastür des Abteils, welche statt geöffnet, direkt aus den Angeln getreten wurde. Hel hatte die Szene betreten. Ihr Brüllen hatte den Rotschopf ziemlich überrascht, weshalb er zusammenzuckte und etwas Suppe verschüttete. „Hallo Hel, schön dich zu sehen. Was machst du hier?“, antwortete Yuuki doch etwas zurückhaltend auf die Erscheinung der gehörnten Frau. Als sie der Truppe mitteilte, dass die Gildenleitung sie dazu angehalten hatte, mit zukommen, seufzte der Grynder. Das war mal wieder typisch, warum konnte man ihm nicht direkt mitteilen, dass ihn noch wer begleiten würde? Sicherlich wollte Aram Falls, dass er Hel unter die Fichitte nahm und auf sie Acht gab, da sie immerhin einer fremden Kultur entstammte und deshalb dann und wann aus der Reihe tanzte. Wie man gerade beim Betreten des Abteils gesehen hatte, als sie die Tür eingetreten, statt einfach geöffnet hatte. Wie dem auch sei, auch dem Rotschopf entging der Kommentar mit den Frauen nicht, und da er schon zuvor mitbekommen hatte, dass sie ihn für einen Frauenmann hielt – warum auch immer – ließ er es unkommentiert. Weit weniger erfreulich war Hel’s nächste Aktion, als ihr schlecht wurde und sich statt wie ein normaler Mensch auf den Boden oder auf den Ganz zu übergeben, ihren Mageninhalt in seine Richtung lenkte. Während der Rotschopf die volle Ladung abbekam, spritzte es durchaus auch auf Amaya, die ja neben ihm saß. *Diese kleine, verdammte …* Der Magnetismusmagier ließ den Gedanken unvollendet, während das Erbrochene von seiner Kleidung tropfte. Für gewöhnlich war er ein sehr entspannter Mensch, aber hier und jetzt hatte er kein Fünkchen Mittleid für die Godslayerin übrig, die sich irgendwie auf dem Sitz zusammengekrümmt hatte. Genauso wenig wie für die Sau Gullinbursti, die nach Hel das Abteil betrat und irgendeinen Witz bezüglich einer Sauerei machte. Keinesfalls besser machte es Sofia, die sich einfach nur totlachte. Seit wann lachte man über jemanden, der gerade angekotzt worden war? „Zum Schießen.“, gab Yuuki trocken von sich, während er sich erhob, nach seiner Tasche griff und sich in Richtung der Toilette aufmachte. Der Rotschopf hatte noch ein Gewand für den Marsch durch die Wüste dabei, doch konnte er nicht umhin, als sich unter dem dünnen Stoff etwas nackt zu fühlen. Kein Wunder, hatte er doch für gewöhnlich wenigstens ein Shirt darunter an. Doch nun hatte er die vollgekotzte Kleidung in die Mülltonne gesteckt und konnte verdammt froh sein, dass sein Schuhwerk wenigstens nichts abbekommen hatte. Wirklich schade um die schönen Klamotten, die würde er Hel aber sowas von in Rechnung stellen, das würde ihr eine Lehre sein. Nachdem sich der junge Mann dann frisch gemacht hatte, schulterte er seine Tasche und machte sich in Richtung des Bistros des Zuges, da ihm nach etwas zu essen war. Und vor allem war ihm nicht nach Hel oder dem ekelhaften Geruch nach Erbrochenem im Abteil. Als er das Bistro-Abteil betrat, kam ihm Gullinbursti entgegen, die empört nach hinten rief: „Eine richtige Schweinerei ist das hier, unerhört! Ich bin doch kein Essen!“ Oh man, was war jetzt wieder passiert? Dicht bei ihm war Sofia, die dem Schwein ja gefolgt war. „Pass auf das Schwein und Hel auf, ich weiß nicht wie viel unser Spesenkonto noch aushält.“, teilte er ihr trocken mit, ehe er an ihr vorbeilief und erstmal am Tresen Platz nahm. Jetzt würde er etwas Leckeres zu sich nehmen, was seine Laune sicherlich heben würde!
„Nächster Halt, Miln!“ Der Zug wurde langsamer und fuhr schließlich in einen Bahnhof ein, mitten im Nirgendwo. Der Grynder war vorne ausgestiegen und erblickte jetzt erst seine Kameraden, die aus einem anderen Zugabteil ausstiegen, und begann auf sie zuzulaufen. Dabei behielt er vor allem die gehörnte Magierin im Blick, denn er wollte sich keinesfalls nochmal anspeien lassen. Nackt würde er hier nicht rumlaufen!
Sofia kommentierte das Essen und brachte Amaya zu einem amüsierten Schmunzeln. Erfreut kicherte sie kurz und stimmte zu: „Vermutlich nicht, aber es wäre sicherlich ein interessanter Anblick.“ So ein Fast-Food-Restaurant irgendwo im sagenumwobene Nirgendwo. Dann wurde die Weißhaarige plötzlich nachdenklich und meinte: „Vielleicht ist das das Geheimnis des Knochentals! Ein Fast-Food-Restaurant und eine Oase die so gut sind, das keiner mehr weggehen will.“ Sofia gab sich, zumindest in Amayas Augen, wieder süß und lehnte sich gegen das Fenster. Sie bot sogar an ihr beim tragen des Beutels zu helfen! „Danke! Wenn ich Hilfe brauche sage ich Bescheid.“ sprach sie dankbar und folgte kurz ihrem Blick auf die öde Landschaft außerhalb. Was für Gedanken das Mädchen wohl hatte? Als sie anfingen ihre Magien einander zu offenbaren und sich ein wenig mehr vorzustellen, ignorierte Yuuki ihre Frage einfach. Hmm... Amaya fragte sich, ob der junge Mann sie einfach nicht beachtet hatte oder er die Antwort möglicherweise geheim halten wollte. Sofia offenbarte ihnen, dass sie ebenfalls neu dabei war, was Amaya natürlich sympathisch war und lies sie sich nicht so alleine als Neuling fühlen. Yuuki wirkte ein wenig, als ob er „sehr gut“ darin war zwischen Spaß und Arbeit zu wechseln. Bei seiner zweiten Magie die Yuuki ihnen zeigte bekam der junge Mann direkt eine Abfuhr von dem kleinen Fuchs, was Amaya sicherlich zum lachen gebracht hätte, hätte sie das Tier verstehen können. Konnte sie aber nicht und so blieb nur was Yuuki ihnen berichtete. Mit Tieren reden zu können klang aufjedenfall auch sehr interessant. Sofias Magie klang hingegen mysteriös und Amaya versuchte sich die Himmelskörpermagie vorzustellen. Viel davon gehört hatte sie noch nicht. Aber das Mädchen bot eine Vorstellung an, was toll klang in den Ohren der Weißhaarigen. Das würde sie sich doch gerne ansehen. Amaya nickte sofort zustimmend, als Yuuki schon sein Interesse mitteilte. „Ja, ich bin auch neugierig.“ unterstrich die Magierin ihr Nicken mit Worten. Danach kamen sie zu ihrer eigenen Magie und Yuuki zeigte sich sehr enthusiastisch. So begeistert, dass seine Antwort wie ein Blitz kam und die junge Frau ein wenig verwirrte. Amaya freute sich natürlich über die Zuneigung gegenüber essen, fragte sich aber warum er einwilligte und dann ebenfalls eine Suppe aß. Nun, vielleicht mochte er ebenfalls gerne Suppen! Wie Sympathisch! Sofia zeigte sich ein wenig zurückhaltender, was im Vergleich zu Yuuki keine Herausforderung war, und nahm ihr Angebot ebenfalls an. Hatte die Weißhaarige jedoch dem Anschein nach ebenfalls falsch verstanden. Vielleicht, nur vielleicht, hätte sie sich besser ausdrücken sollen. All dies hatte jedoch wenig Relevanz, bevor sie nämlich der blonden Magierin antworten konnte, bekamen sie Besuch von einer weiteren Magierin. Eine, die einen erinnerungswürdigen Auftritt hinlegte. Ein gehörntes Mädchen rief ihren Questpartnern durch die Glastür des Abteils zu. Warum hatte das eigentlich eine Glastür? Wie dem auch sei, jetzt war da keine Glastür mehr, die wurde nämlich elegant von der neuen Person weggetreten. Anscheinend kannten die drei sich schon, zumindest Yuuki und Hel, da die sich gegenseitig ansprachen. Sofia... könnte Sif sein? Hel begrüßte sie und stellte sich als Hel vor. Und sie war anscheinend Dings. „Hallo Hel! Ich bin Amaya. Willkommen dabei.“ begrüßte die Weißhaarige die neu dazugestoßene Magierin. Amaya musste schon ein wenig schmunzeln, als die Gehörnte meinte, es seien nur Frauen dabei. Leise kicherte sie amüsiert. Nicht ganz so amüsant wurde es jedoch danach, als Yuuki, nach einer kurzen Warnung, den Mageninhalt und damit wohl das Frühstück der jungen Frau hautnah zu sehen bekam. Der fand das anscheinend nicht so gut. Sofia hingegen schon, die lachte nämlich schallend durch das Abteil. Die blonde Magierin wurde jedoch vom Mageninhalt verschont. Amaya selbst war irgendwo in der Mitte und bekam bei weitem nicht soviel ab wie Yuuki, wurde aber trotzdem von den Spritzern erwischt. Hmmm, das hieß wohl, dass sie am besten ihre Klamotten wechseln sollte, wenn sie den Geruch nicht mit sich herum tragen wollte. Amaya konnte den Geruch zwar aushalten, stand aber doch eher auf andere Gerüche. Bevor sie mehr als verwundert auf die plötzliche Situation, die so schon merkwürdig genug war, reagieren konnte tauchte ein sprechendes Schwein in der nicht mehr vorhandenen Tür auf. Fragend blickte Amaya das Schweinchen an und hörte dem Wortwitz zu. Die Weißhaarige wusste nicht recht, ob sie sich die Hand vor den Kopf schlagen oder lachen sollte. Aufgrund der potenziellen Verschmutzung ihrer Hand durch die Kotze entschied sie sich für eine Mischung auf Seufzen und Lachen. Danach verteilte sich die kleine Gruppe sehr schnell. Yuuki nahm seine Sachen und die nächstliegende Vermutung war, er wollte sich umziehen. Verständlich. Sofia lachte noch ein wenig und machte sich dann auf dem Schwein zu helfen, damit keiner spontanen Hunger auf Spanferkel bekam. Besagtes Schwein wollte nämlich Tücher holen. Amaya blickte den Dreien kurz hinterher und blickte dann kurz zu Hel, welche sich mittlerweile auf einem der Sitze zusammengerollt hatte. Die Magierin öffnete das Fenster, womit der Geruch hoffentlich etwas besser werden würde und die frische Luft würde auch der Gehörnten gut tun. Der Fuchs von Sofia nahm an all dem nicht viel Teil und hatte sich den nun freien Platz von Sofia geschnappt. Schon irgendwie niedlich das Tier. Doch Amaya wandte sich wieder Hel zu, wischte die Schale aus und stand auf. Sie kniete sich vor der Magierin der Flammen und erschuf etwas Tee mit Ingwer, etwas Kaumasse mit sachtem Erdbeergeschmack und Karotten. „Hier, probier den Tee. Er sollte gegen Brechreiz und den Geschmack helfen.“ Meinte Amaya freundlich, mit einem zuversichtlichen Lächeln und beruhigender, ruhiger Stimme. Vorsichtig versuchte sie der Godslayerin die Schale an die Lippen zu halten, damit diese den Tee probieren konnte. Danach hielt sie ihr die Karotten und das Kaugummi hin und meinte: „Hier, das sollte deinem Magen helfen, wenn du darauf möglichst lange drauf herumkaust.“ Beim Kaugummi fügte sie hinzu: „Und das ist eigentlich nur zum kauen, nicht zum essen.“ Ablenkung allgemein würde dem Mädchen wohl gut tun. Ihr war zwar aufgrund der Godslayer-Problematik nicht zu helfen, vielleicht konnte man dennoch die Auswirkungen etwas lindern. Danach nahm sie ihren beschmutzen Mantel, legte ihn ab und hängte ihn als Ersatz für die Glastür auf, damit man nicht vom Gang aus zu ihnen gucken konnte. Als nächstes stellte sie ihren magischen Beutel etwas in eine Ecke nahe dem Fenster und nahm ihren zweiten Beutel, in dem auch ihre Ersatzkleidung war. Schade eigentlich, sie mochte ihr Sandwüstenoutfit. Sie zog sich um und wechselte in ein ziemlich simples Outfit, welches die wichtigsten Stellen, wie es der Anstand gebot, großzügig verdeckte. Ansonsten bestand die neue Kleidung jedoch überwiegend nur aus feinem, teilweise durchsichtigem Stoff, welcher größtenteils dem Schutz vor Sand diente. Natürlich hätte sie wie Yuuki dafür das Klo besuchen können, aber Amaya brauchte nicht lange und im Ernstfall würde sie es auch nicht stören, wenn jemand sich plötzlich dazu entschied hinter den provisorischen Vorhang zu gucken und einen Blick auf sie erhaschte. Viel mehr achtete sie darauf nicht von eventuellen Nachwirkungen aus Richtung von Hel erwischt zu werden. Als sie fertig war nahm sie ihren Umhang wieder ab und wischte damit den Großteil der Kotze auf. Hoffentlich würde das zusätzlich gegen den Geruch helfen. Ihre alten Klamotten und den Umhang schob sie als Knäul in eine Ecke möglichst weit weg von Hel und sich selbst. Als letztes kippte sie etwas nach Zitrone riechendes Wasser über das Knäul und allgemein die Stelle wo die Kotze gelandet war. Amaya blickte sich um. Yuuki und Sofia waren weg, das Gespräch beendet. Hel wirkte nicht so, als würde sie den Rest der Fahrt viel machen außer zusammengerollt auf ihrem Sitz zu sitzen. Die Weißhaarige wandte sich Ari zu und versuchte sie zu streicheln und mit ihr zu spielen, während sie überlegte was sie nun den Rest der Fahrt tat.
Nach einiger Zeit erreichte der Zug sein Ziel und es kam die Ankündigung, Miln erreicht zu haben. Sie hatten Mitten im Nirgendwo erfolgreich erreicht! Amaya verließ den Zug und guckte sich nach den anderen um. Während dem Rest der Fahrt hatte sie überlegt die dreckigen Sachen wie Yuuki wegzuwerfen, weil sie nicht die ganze Zeit mit den riechenden, dreckigen Sachen rumlaufen wollte, hatte letztendlich aber doch eine Möglichkeit gefunden die Sachen halbwegs ordentlich zu waschen und hatte sie nun in ihrem Beutel verstaut. Sie trug ihr luftiges Outfit und einen neuen Umhang, während sie den Zug verließ und sich nach den anderen umschaute. Yuuki kam von der Vorderseite des Zuges aus auf sie zugelaufen und Amaya winkte ihm zu. Als alle versammelt waren blickte Amaya sich neugierig um, wo sie hier waren. Fragend wandte sie sich an die anderen drei Magier und wollte wissen: „Wisst ihr wo genau wir lang müssen? Sollte hier nicht ein Dorf sein?“ Ihr Blick wanderte weiter über die Landschaft, bis sie etwas erblickte und meinte:“Oh, da scheint es zum letzten Dorf vor der Einöde zu gehen.“ Wenigstens war der Weg zum Dorf gut sichtbar, blieb nur die Frage ob die Richtung zum Knochental ebenso gut erkennbar war oder einer von ihnen wusste wo es lang ging. Amaya wusste es zumindest nicht.
Diese Pein! Diese Agonie! Wo war Eir, wenn man sie mal brauchte? Wieso war Hel damit gestraft immer wieder bei jeglichen Fahrten, oder anderen Transporten sich komplett zu entleeren? Sie musste mehrmals verdutzt blinzeln, als sie kurz die Augen geöffnet hatte und vor ihr die Göttin selbst sah, die ihr ein Gefäß zu reichen schien mit einer heilenden Essenz. Doch nach etlichem Neuöffnen der Augen verschwamm die Gestalt zurück in die von Amelia, die ihr ebenfalls etwas reichte, was aber eher nach einem Tee aussah, als wirklich einer heilenden Essenz. Dennoch nahm Hel die Schale dankend an und wenngleich ihr das Kotzen nicht total verging half das Tonikum tatsächlich dabei, ihren ganzen Mageninhalt nicht weiter im Zug zu verteilen, sondern sich auf damenhafte feuchte Rülpser zu beschränken. „Danke, Ama!“, sagte sie zuversichtlich und euphorisch, als ihr aber vor zu viel Aufregung wieder alles hochkam. Sie wirkte dem schnell entgegen, indem sie tief einatmete und schluckte und damit das schlimmste verhinderte. „Hel kann gerade nichts essen, sonst kotzt Hel noch mehr!“ Den Kaugummi nahm sie jedoch und schmiss ihn sich zwischen die Kiemen. Sie wusste nicht so ganz, ob die angeregte Speichelproduktion nun etwas Gutes war, oder sie eher störte. Dennoch rollte sie sich wieder auf ihrem Sitz zusammen und wartete darauf, dass ihre Namensvetterin sie zu sich holte und versuchte möglichst auszublenden, dass sie sich immernoch bewegten. Nach gefühlten neun Stunden spürte sie etwas gegen sich drücken, als ein dickes Schwein sich zu ihr gesellte und sich wortlos auf ihren Schoß presste. „Also ich mach das nicht weg.“, sagte das Sauvieh, als sie sich es bequem machte und Hel anfing ihr liebevoll nebenbei an den Ohren rumzuziehen. „Dafür haben wir ja Yugi.“ Beide lachten leise, nur Hel spuckte danach jedoch noch etwas auf den Boden, als Ama sich anfing umzuziehen und danach ihren Unrat wegzumachen. „Bursti, meinst du Yugi ist wütend auf mich?“ Vielleicht ein wenig unverständlich, wieso Hel auf einmal in einer anderen Sprache sprach, aber Hel hatte Gullinbursti angefangen die alte Sprache beizubringen und was sollte man sagen, sie war einfach ein Naturtalent, oder Hel eine verdammt gute Lehrerin. „Wenn ja, hat er später einen Haufen in seinen Taschen. Dieser kleine eingebildete Pinsel soll sich nur wagen, dann kriegt er meine Hauer zu spüren.“ Hel streichelte ihr nur über die Borsten. „Du hast doch noch gar keine Hauer, Dummerchen.“ Dennoch lieb von ihr sich so für sie in die Bresche zu stürzen. „Nächster Halt, Miln. Sie haben Anschluss an den Regionalex…“ Ein lautes dumpfes Schlagen, als plötzlich eine Frauenstimme hinter der Durchsage auftauchte. „Ich hab dir tausend Mal gesagt, du sollst diese Scheiße lassen. Wir sind mitten in der Pampa, hier gibt es nur unseren Zug.“ Für Hel hieß es jedoch aufstehen und sich aus dem Zug schleppen. Sie klemmte sich Bursti liebevoll unter den Arm und taumelte dann in Richtung Ausgang, bis der Zug vollends zum Stehen kam. Als wenn sie dadurch wie geheilt war, sprang sie mit einem gewaltigen Satz aus dem Zug und landete vital und quicklebendig neben ihrer Gruppe. Sie spuckte ladylike den Kaugummi nach rechts in die Landschaft und sah sich um. „Ganz schön trostlos hier.“ Hel ließ ihre Sau auf den Boden herab und fing dann an sich ein wenig des Sandes zu nehmen und sich zwischen ihren Händen zu reiben. „Hel kennt sich nicht einmal in Aloe Town aus!“ Geschweige denn hier, sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal, wo sie überhaupt war. „Dann immer Ama nach!“ Sie tatschte der Jötun von hinten an den Rücken und begann sie vorwärts zu schieben, schließlich hatte sie ja den Weg in das gelobte Dorf gefunden. „Sieh mal, dort sind wieder Fremde.“ Zwei Frauen in eindeutig eher hiesiger Kleidung zeigten auf die Gruppe. „Verschwinden sollen sie. Wir haben genug Ärger auch ohne diese Fremden.“ Hel roch bei ihnen allerdings weniger Abscheu als eher ein wenig… Misstrauen? Schwer zu beschreiben, vor allem mit Hels beschränktem Wortschatz. Als Hel jedoch zu ihnen herüberstarrte, während ihre Sau um sie herumtanzte, drehten die beiden sich einfach weg und gingen den Weg entlang, den Amaya gerade ebenfalls vorgeschlagen hatte.
Wie sich recht schnell heraus stellte fand Yuuki die gesamte Situation und Hel's Erbrochenes auf sich wohl so gar nicht lustig. Sofia war deswegen heilfroh sich sicher aus dem Staub gemacht zu haben, ein Konflikt bevor die Mission überhaupt wirklich begann war nun wirklich nicht ihr heutiges Ziel. Das Schweinchen von Hel hatte sie längst aus den Augen verloren. Hoffentlich würde es alleine zurecht kommen. Nachdem sie einen gewissen Sicherheitsabstand von dem Abteil ihrer Kameraden gewonnen hatte und endlich auch der unangenehme Geruch nicht mehr zu erschnüffeln war blieb sie kurz an einem Fenster stehen und atmete durch. Es war leicht gekippt und sie dankbar für die frische Luft welche ihre Lungen druchströmte. Die blonde Magierin stützte sich am Fensterriemen ab und beobachte die vorbeiziehende Wüste ausserhalb des Zugs. Lange würde es nicht mehr dauernd bis sie endlich ihren letzten Stützpunkt erreicht hatten. Es blieb nur zu hoffen, dass die Mission glimpflich verlaufen würde und die Leute sich um das Tal der Knochen das Maul zerissen um eine spannende Geschichte am Stammtisch erzählen zu können. Vielleicht waren die Mythen ja wirklich weitaus schlimmer als die Realität? Zumindest wünschte sich Sofia dies. Sie erschreckte sich ein wenig als sich plötzlich neben ihr der Schaffner räusperte. Alles in Ordnung junge Dame? Kurz schaute sie ihn erschrocken an ehe sie wieder die Fassung gewann. Ähm ja, alles gut... Entschuldigen Sie mich bitte. Mit einigen schnellen Schritten entfernte sie sich vom Schaffner und machte sich wieder auf die Suche nach etwas hilfreichem. Tüchern, Lufterfrischern, Magen-Darm-Tee? Was auch immer ihr unterkommen würde. Lange dauerte es nicht bis sie wieder auf das Opfer von Hels kleinem Erbrechanfall traf. Mit einer kurzen aber recht patzigen Aussage machte er erneut seinen Missmut klar und schritt dann schweigend weiter. Sofia war kurz davor eine patzige Aussage zu erwidern allerdings biss sie sich dann doch auf die Zunge. Wäre sie mit sich selbst ehrlich, hätte sie an seiner Stelle womöglich ganz ähnlich reagiert und wäre auch etwas sauer gewesen. Viel Zeit zu überlegen blieb ihr ohnehin nicht denn am Ende des Ganges konnte sie Gullinbursti's Stimme vernehmen und diese klang wohl alles andere als erfreut. Na dann mal auf zur Spanferkel-Rettungsaktion.
Sofia hatte sich in der Zwischenzeit wieder zu Hel und Amaya gesellt und erfolgreich, mit einem unverhältnismäßig großem Stapel an Papiertüchern, zumindest den Boden etwas absichern können. Hel schien es leider immer noch nicht besser zu gehen auch wenn Amaya ihr bestes tat der Magierin mit ihren Kochkünsten zu etwas mehr Wohlbefinden zu verhelfen. Sofia hatte die Situation eher schweigend betrachtet, da sie ja doch nichts wirklich sinnvolles beitragen hätte können während Ari begeistert mit Amaya gespielt hatte. Mit einem Ruck kam der Zug schlussendlich zum stehen. Als letztes Mitglied der Gruppe war sie der Weißhaarigen und der Gehörnten aus dem Zug gefolgt. Erstaunlicherweise schien es der letzteren bereits viel besser zu gehen seit ihr Gefährt halt gemacht hatte. Litt sie etwa unter einer Reisekrankheit? Ari hüpfte erfreut von Sofias Schulter auf den sandigen Boden und sprang Gullinbursti hinterher. Sie versuchte mit einigen hohen Sprüngen den gekringelten Schweif der Sau ins Maul zu bekommen. Ob Ari das Schwein als Spielgefährt oder eher als Fressen ansah war in diesem Moment äusserst fragwürdig. Immer noch schweigend folgte sie ihren beiden Gildenkameradinnen als diese voran gingen, Yuuki war nicht sonderlich weit entfernt und würde ihnen bestimmt folgen. Die Szenerie mit den beiden Frauen, welche ihre sichtliche "Freude" über die Neuankömmling kund taten betrachtete Sofia mit verengten Augen. Welch eine freundliche Begrüßung. Scheint so als wären wir hier nicht willkommen.
Yuuki
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Am Liebsten hätte Yuuki einen tiefen Atemzug genommen, doch die Luft hier so tief in der Einöde war schwer und stickig. Der Himmel war auch von einem tiefen Grauton, doch wer nun dachte, dass die Wolken die Hitze der Sonne in Schach hielten, der würde bitter enttäuscht werden. Das Wetter war heiß und drückend wie eh und je. Vermutlich hielt diese Wolkenschicht die Wärme sogar gespeichert, was zu diesem unangenehmen Klima führte. Der Grynder seufzte, bei diesen Umständen konnte es ja nicht viel schlimmer werden. *Doch, kann es immer noch.*, ermahnte er sich selbst, während er nach wie vor den Blick auf die kleinste Magierin der Truppe gerichtet hatte: Hel. Möglicherweise war er etwas nachtragend, aber wen erfreute es schon, wenn man sich auf ihn übergab? Es hatte so viel Platz gegeben, weshalb er es einfach nicht nachvollziehen konnte, warum sich die gehörnte Magierin eben auf ihn übergeben hatte – der Boden hätte es doch auch getan! Yuuki seufzte einmal aus, um all diesem Frust ein Ventil zu geben, und musste aufgrund der Luft direkt husten. Vielleicht war er auch etwas zu hart zu Hel und er sollte sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigen. Mit diesem Gedanken setzte sich der Magnetismusmagier schließlich in Bewegung, um zu den anderen Mitgliedern seiner Gruppe aufzuschließen. In diesem Augenblick winkte die hünenhafte Amaya dem Grynder zu, wobei sich seine Laune beim Gedanken an die wandelnde Vorratskammer schlagartig besserte. Zumindest würden sie in diesem Höllenloch nicht vor Durst oder Hunger krepieren, solange sie Amaya hatten!
Yuuki hatte gerade das kurze Stück zum Rest der Truppe aufgeschlossen und wurde dadurch gerade noch Zeuge von der freundlichen Begrüßung, die den Magiern zuteil wurde. Na wenn es schon so anfing, dann hatten sie wirklich den Trip ihres Lebens vor sich. Vermutlich war man ziemlich abgehärtet in solch abgelegenen Gefilden, aber trotzdem war doch auf ein wenig Gastfreundschaft zu hoffen, oder etwa nicht? Der Rotschopf nickte Sofia als Reaktion auf ihre Aussage zu und zuckte mit den Schultern. „Ignoriert es einfach, wir haben unseren Auftrag und werden nicht länger als nötig hier verweilen.“, gab er relativ unbekümmert von sich. Es schien so, als ob der gute alte Yuuki wieder an Bord und die Sache vom Zug beinahe vergessen wäre. Beinahe. Mit einer gesunden Mischung aus Skepsis und Sorge blickte er die gehörnte Magierin an. „Wie geht es dir Hel? Geht es dir mittlerweile besser?“ Er hoffte, dass er diese Nähe zu ihr nicht bereuen würde, falls sie sich erneut auf ihn ergab. Aber jetzt gab es doch meilenweit nichts, da konnte sie sich doch auch ins Freie übergeben, oder etwa nicht? Der junge Mann konnte im Augenblick von Glück sprechen, dass er nur einen Reiseumhang und nichts weiteres am Oberkörper trug, denn diese drückende Hitze war maximal unangenehm. Es war an der Zeit, dass sie ein kleines Lokal aufsuchten und sich ein kühles Getränk gönnten. Ob sie dies aber hier finden würden, stand wohl in den Sternen! Da die Gruppe dank Amaya den Weg nach Miln gefunden hatte, blieb nichts Anderes mehr übrig, als die Füße in die Hände zu nehmen und des Weges zu gehen. „Amaya hat recht, dann los.“, verkündete der junge Mann und war schon ganz gespannt darauf, was sie wohl in Miln erwarten würde.
Die Fremden zuvor waren lediglich ein kleiner Beigeschmack auf das gewesen, was die Magier in diesem letzten Loch erwartete. Ortschaft konnte man das hier keinesfalls nennen, Dorf traf es gerade noch so. Heruntergekommene Hütten, wo das Auge hinreichte und die wenigen Menschen, die sich auf den Straßen befanden, tuschelten miteinander und warfen den Magiern argwöhnische Blicke zu. Es verirrten sich schließlich nicht viele Leute hierher und die waren meistens Narren und wurden nie wieder gesehen. Bei diesem Anblick kratzte sich Yuuki am Hinterkopf und überlegte kurz, wie sie nun am Besten vorgehen sollten. „Wir sollten uns am Besten aufteilen.“, schlug der Magnetismusmagier kurz darauf den anderen Magiern vor. „Um Proviant brauchen wir uns ja nicht zu kümmern.“, fügte er lächelnd und mit Blick auf Amaya hinzu. „Aber es wäre nicht schlecht, wenn wir uns etwas umsehen und uns über das Knochental erkundigen. Vielleicht sind ja nicht alle Einheimischen so unfreundlich wie die Beiden am Bahnhof.“, sprach der Grynder, während er selbst ganz und gar nicht von dieser Vermutung überzeugt war. Der Blick der Leute sprach schließlich Bände! „Amaya, Hel und Gullinbursti bilden eine Gruppe und Sofia, Ari und ich die Andere. Wir treffen uns in etwa … einer halben Stunde wieder hier, ehe wir dann ins Knochental aufbrechen.“, schloss Yuuki die Besprechung ab. Nachdem die Gruppen nun eingeteilt waren, konnten sie doppelt so viele Leute befragen und trotzdem aufeinander Acht geben, falls sie in Probleme geraten sollten. „Vermutlich hattest du nicht ganz Unrecht mit deinen Erzählungen zum Knochental.“, teilte der Crimson Sphynx Magierin seiner Kollegin leise mit. Sofia hatte sie ja vor dem Knochental gewarnt, da war es nicht verwunderlich, dass das letzte Stück Zivilisation auch nicht ganz normal war. Gerade wollte der junge Mann eine ältere Frau ansprechen, die in einem Schaukelstuhl vor ihrer Tür saß, als diese beim Näherkommen des Trios aufsprang und einfach die Tür hinter sich zuschlug. Konversation also nicht erwünscht, das würde die Informationsbeschaffung ja wirklich spannend werden lassen!
Hel nahm den Tee dankbar an, was Amaya schon ziemlich freute und dem Mädchen hoffentlich etwas helfen sollte. Hel bedankte sich sogar euphorisch, was im Angesicht des Zustandes nicht sonderlich gut war und sich direkt rächte. Das machte es natürlich noch ein Stück dankbarer, sorgte aber auch dafür, dass Hel direkt wieder um ihren Mageninhalt bangen musste. Also dem Rest, der sich da irgendwo noch versteckt hatte. Amaya frage sich was dem Mädchen wohl fehlte, sie wirkte erst noch relativ aufgedreht. Hel lehnte ihr Essen ab! Wie gemein! Sie wollte dem Mädchen doch nur helfen und hatte ihr extra Sachen geboten, die potentiell den Magen beruhigen können. Also verständlich war es absolut, so ein unruhiger Magen lud echt nicht zum Essen ein und eine Besserung durch Essen war da ziemlich abwegig. Amaya machte zwar gerne Scherze, aber wirklich verlangen tat sie nur von wenigen, dass sie ihr Essen auch annehmen müssen. Doch die Scherze fielen diesmal ebenfalls weg, wären sie doch angesichts der Situation noch schlechter als sonst und die Weißhaarige war nicht in Stimmung. Weiteres Zeug passierte. Amaya fand es interessant, als Hel und ihr Schwein plötzlich in einer anderen Sprache miteinander sprachen? Vorerst beließ sie es aber dabei neugierig aufzuhorchen und sich dann wieder anderen Dingen zuzuwenden. Sofia kam auch wieder zurück, nur Yuuki brauchte ein wenig länger und Amaya beneidete ihn nicht. Ari war niedlich und spielte mit ihr, dem Fuchs schien das alles nicht so viel auszumachen. Der Rest der Fahrt verlief relativ unspektakulär, bis sie ihr Ziel erreichten. Der Zug kam zum stehen und die Gruppe traf sich außerhalb. Sie wussten also wohin sie mussten, aber sie wussten noch nicht, ob sie willkommen waren. Hörte man auf die zwei Frauen, welche die Gruppe wohl bemerkt hatten, so waren sie eher nicht willkommen. Man wollte sie hier also nicht haben? Anscheinend war hier nicht nur das Knochental problematisch oder die Leute hatten ein sehr großzügiges Misstrauen aus dem Nichts entwickelt. Dafür war Yuuki freundlich und erkundigte sich sogar nach Hels Wohlbefinden. Doch als sie das „Dorf“ erreichten, zeigte sich ihnen ein Anblick, welcher nur bestätigte, dass sie sich hier kurz vor dem Nirgendwo befanden. Über die kleine Gruppe wurde getuschelt und Argwohn hing in der Luft. Yuuki schlug vor, ein paar Informationen zu sammeln und teilte die Gruppe auf. Sein kleiner Satz zum Proviant und der lächelnde Blick waren wohl lobend gemeint, weil der junge Mann Essen mochte, konnte aber auch falsch verstanden werden. Amaya kannte Yuuki nicht gut, hatte aber gesehen wie begeistert er gewesen war und ging deshalb einfach von einem guten Sinn aus. Seinen Optimismus, die Leute würden freundlicher sein als die am Bahnhof, teilte sie nicht so ganz. Die Weißhaarige blickte sich um und vermutete, dass sie etwas Glück brauchen würden um hier ein hilfreiches Gespräch zu bekommen. In einer halben Stunde sollten sie sich wieder treffen? Dann konnte es ja los gehen. Mit Hel zusammen machte sich Amaya auf den Weg, um Informationen zu bekommen. Sollten sie einfach die Leute ansprechen? Die strahlten keine Hilfsbereitschaft aus. „Wollen wir einfach irgendwen fragen? Oder uns nach einer Kneipe oder sowas in der Art umsehen?“ Amaya blickte sich weiter um und fragte, was diesen Ort so ausmachte? Warum waren hier Leute, wenn sie anscheinend so argwöhnisch, heruntergekommen und es hier nichts gab? Konnten sie nicht weg? Hielten Erinnerungen sie hier? Oder gab es hier vielleicht doch besondere Dinge, die Leute anlockten. Vielleicht wollten die Leute auch einfach nur ihre Ruhe, aber der Ort wirkte nicht so, als wären häufig Gäste hier... Während sie so über das Dorf nachdachte und mit Hel ein wenig durch das Dorf ging, näherten sie sich dem Rand des Dorfes. Ein kleines Haus mit Veranda stand dort und war halbwegs gut gepflegt. Verschiedene Windspiele und farbenfrohe Bilder ließen das Haus ein wenig hervorstechen, aber waren nicht übertrieben. Als sie dem Haus näher kamen, kam ein Einsiedler aus dem Haus. Er rauchte eine lange Pfeife und schien das Trio eine Zeit lang zu beobachten, bevor er ihnen entgegen kam und meinte: „Fremde. Ihr sehr mit nach Reisenden aus, seid ihr hier wegen dem Knochental?“ Amaya war ein wenig überrascht, antwortete dem Mann: „Ja, wir wollen ins Knochental. Können sie uns etwas darüber sagen?“ Der Einsiedler nahm einen langen Zug von seiner Pfeife und guckte sie still an. Mit einer ordentlichen Rauchwolke setzte er zur Antwort an: „Ja. Die Geister dort sind unruhig! Nicht nur dort, aber besonders dort! Irgendwas hat die Geister wütend gemacht. Ich habe versucht sie zu beruhigen, habe es aber selbst nur knapp aus dem Tal zurück geschafft und konnte die Geister nicht besänftigen.“ Der Mann nahm einen weiteren Zug von seiner Pfeife und holte zwei Talismane hervor. „Hier, nehmt die mit! Ich weiß, dass ich euch nicht abhalten kann, darum seid gewarnt. Verliert euch auf keinen Fall aus den Augen und seid vorsichtig! Die Geister sind unberechenbar, wenn sie erzürnt sind.“ Amaya blickte den Mann nachdenklich an, dachte über seine Worte nach und fragte währenddessen: „Können sie uns sagen, was im Tal passiert oder wo die Geister sind?“ Der Mann schüttelte niedergeschlagen und mit einem Hauch von Trauer seinen Kopf. „Ich kann euch leider nicht helfen.“ Amaya blickte Hel fragend an, als der Einsiedler sich wieder seinem Haus zuwandte.
╔═════════════════════╗ C-Rang: Verflucht! ═══════════ Lian und Gin ╚═════════════════════╝
Miln. Wüste. Knalle Sonne. Warum zur Hölle gerade Gin? Royal Crusade hatte dutzende Mitglieder, Scheinmitglieder, Mitglieder-die-nicht-offiziell-Mitglieder-waren, Kontakte, Söldner und, und, und. Und warum schickte ihr Meister dann gerade die Vampirin dieses gottverlassene Wüstendorf? Gin konnte es sich ehrlich nicht erklären. Sie war in letzter Zeit allen Forderungen und Aufgaben Orwynns nachgekommen, sodass sie eigentlich ausschließen wollte, dass es sich bei dieser Quest um eine Bestrafung handelte. Doch so sehr Gin sich auch hatte sträuben wollen, sie hatte es nicht getan. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als allen Worten ihres Gebieters zu vertrauen, all seine Aufträge zu erfüllen und all seinen Vorstellungen gerecht zu werden. Orwynn hatte Gin schon einmal getötet, er würde es auch ein zweites Mal wieder tun, wenn die Vampirin ihm dazu einen Anlass geben würde. Sich für die Reise nach Miln vorzubereiten war keine Leichtigkeit für Gin gewesen. Lockere, luftige Kleidung gegen die Hitze zu tragen, biss sich ein wenig mit der Tatasache, dass die Vampirin Haut und Augen von der Sonne schützen musste. Letzten Endes hatte die bleiche Dame sich dagegen entschieden, etwas Besonderes zum Anziehen zu kaufen, wie einen Poncho oder dergleichen. Einzig eine Sonnenbrille mit schmalem, filigranem, silberfarbenem Gestell und großen, beinahe runden, roten Gläsern hatte Gin sich zugelegt, dafür war es Zeit geworden. Anstatt sich wüstentauglich anzuziehen, war Gin vor allem nachts gereist. Dann, wenn die Sonne sich hinter dem endlosen Horizont verbarg und an ihrer statt der Mond und die Sternlein ihre Bahnen über den Himmel zogen, dann hatte sie ihre Strecken zurückgelegt, war von Stadt zu Stadt, später von Dorf zu Dorf gezogen. Seit letzter Nacht weilte die Untote nun schon in Miln. Sie war in den frühen Morgenstunden, gerade noch rechtzeitig vor Sonnenaufgang, angekommen. Im einzigen kleinen "Gasthaus" (einer Spelunke mit einem Zimmer, in dem sie auf dem Boden hatte Schlafen dürfen) hatte sie sich von ihrer nächtlichen Reise ausgeruht und nun saß sie seit Nachmittag alleine an einem Tisch und wartete auf den Partner, der ihr von Crimson Sphynx zugeschickt werden sollte - wenn Gin das richtig verstanden hatte. Vielleicht war das ja der Grund, warum sie hier war? Die Vampirin hatte bemerkt, dass ihr Gebieter in der letzten Zeit mit Magiern verschiedener Gilden und Institutionen zusammen arbeiten ließ. Sie war auf Ângelo, den Rune Knight, getroffen, hatte gemeinsam mit Ronja, einer Magierin aus Satyrs Cornucopia, eine Mission bestritten und nun würde sie auf jemand aus Crimson Sphinx treffen. Nur noch ein Auftrag mit Fairy Tail zusammen, dann hätte Gin das Quartett der vier größten Magier-Vereinigungen Fiores vollständig, wenn man Royal Crusade außer Acht ließ.
Im Sandsteinhaus, in dem Gin wartete, war es angenehm kühl und dunkel. Die kleinen Fenster waren mit Holzvorschlägen bedeckt, ließen nur durch fingerbreite Spalte aus Licht in den Innenraum. Gin fühlte sich beinahe schon wie in einem Keller - abgestandene Luft inklusive. Der simple Holztisch, an dem die Untote saß, hatte wahrscheinlich schon mehr Jahre auf dem Buckel als Gin selbst. Die Oberfläche war fleckig, vermackt und wies hier und da eine laienhaft eingeschnitzte Gravur auf (die meiste Zeit waren es Initialien). Er bot genügend Platz für drei bis vier Personen, auch wen Gin die Einzige war, die ihn gerade besetzte. In der Spelunke waren nicht wirklich viele Gäste, doch sie alle hatten eins gemeinsam: Sie mieden Gin. Es hatte der sonst so aufmerksamkeits-bedürftigen Dame einen kleinen Seitenhieb versetzt, hier beinahe wie eine Aussässige behandelt zu werden. Wer das Gasthaus betrat oder verließ, machte einen Bogen um sie. Kein Junggeselle versuchte bei ihr sein Glück. Der Wirt kam nur, wenn herbeigewunken, und es versuchte auch niemand, Gin etwas zu verkaufen. Sie war ziemlich alleine und das war sie nicht mehr gewohnt. Normalerweise war ihr Aussehen genug, um etwas Interesse in ihrer Umgebung zu wecken. Heute trug sie ein recht knappes schwarzes Tube Top, das im Rückenbereich eine Handvoll horizontale Einschnitte vorwies. Es hob sich im Kontrast zur beinahe schon perlmutt-weißen Haut der Vampirin deutlich ab. Kurze, dunkelgraue Jeans-Hotpants gemeinsam mit einer blickdichten, schwarzen Strumpfhose ließen die Form ihres Gesäßes gut erahnen. Knöchelhohe, schwarze Stiefeletten mit knallroter Sohle schlossen das Outfit der Magierin ab, ihre Lederjacke hatte sie, hier im Halbdunkel, über die Stuhllehne geworfen. In einer Tasche der Jacke befand sich auch die neu-erworbene Sonnenbrille. So stach Gin, rein vom Aussehen, doch arg aus der kleinen Menge hinaus. Vor allem ihre bleiche Haut stand im krassen Kontrast zu den braungebrannten Männern und Frauen, die Miln bewohnten. Dennoch schien es nicht auszureichen, um ein wenig Zeitvertreib anzulocken. Die Magierin hatte sogar die olle Josy, ihre Stamgemwaffe, im "Schlafsaal" gelassen, das Kriegswerkzeug schreckte doch manchmal merh ab, als dass es Interesse weckte. Trübsal blaßend zog die Vampirin an einem Strohhalm, der in einem abgegriffenen Holzbecher mit kühlem Kaktussaft steckte, und schwelgte ein wenig in Erinnerungen.
Vor einigen Jahren hatte Gin hier ganz in der Nähe gelebt. In Aloe Town war sie ein paar Jahre untergetaucht, hatte auf der Straße gewohnt und von Raub und Diebstahl gelebt. Und auch wenn Vieles in diesem Lebensabschnitt alles andere als gut gewesen war, so waren es doch eine Handvoll Jahre gewesen, in denen Gin ein Stück weit über sich selbst bestimmen konnte. Sie hatte Freunde gehabt, konnte tun und lassen was sie wollte, hatte sogar einen süßen Freund gehabt und musste niemandem außer sich selbst Rechenschaft schulden. Es waren ein paar gute Jahre gewesen.
Doch die waren vorbei. Ihnen nachzutrauern brachte die Vampirin nicht weiter. Sie war sich gar nicht sicher, ob es überhaupt etwas geben würde, dass sie irgendwie weiter brachte, oder ob die Untote nun für ewig auf der Stelle treten musste, ihr Schicksal stets in den Händen anderer, die an ihren Fäden zogen. Gin ertappte sich, wie sie geistesabwesend an dem kleinen Sichelmond-Anhänger an ihrem Ohr herumgespielt hatte. Warum hatte sie den eigentlich immer noch? Schnell schlürfte sie einen großen Schluck Kaktussaft, um auf andere Gedanken zu kommen: Ihre Quest. Einige Einwohner von Miln wiesen seit kurzem ein seltsames Verhalten auf, das war so etwa alles, was man Gin erzählt hatte. Und sie und was auch immer fpr eine Flachpfeife aus Crimson Sphynx im Laufe des Tages durch die Türe der Spelunke treten würde, mussten das irgendwie wieder gerade biegen. Wie genau, das mussten sie sich einfallen lassen.
„Du hast wirklich Glück, dass wir auch auf dem Weg nach Miln sind!“ „Hm.“ „Die Reise nach Miln kann ganz schön gefährlich sein. Lange Zeit nichts als Sand und noch mehr Sand. Der Tod lauert um jede Ecke. Das ist was Anderes als ihr Städter gewohnt seid.“ Das erzeugte nur noch ein mildes Lächeln, jedoch keine Antwort. „Oh und ein wenig Gesellschaft kann auch nicht schaden. Wenn man niemanden hat, mit dem man sprechen kann, kann einen das ziemlich schnell um den Verstand bringen.“
Lian seufzte stumm. Er hatte vielmehr das Gefühl, dass die aufgezwungene Gesellschaft es war, die ihn um den Verstand bringen würde, aber er verkniff es sich, die Frau an seiner Seite darauf aufmerksam zu machen. Anstatt zu antworten, nutzte er seine Energie lieber, um eine weitere Sanddüne zu erklimmen, die sich vor ihnen aufbaute. Ein plötzlicher Windstoß ließ die von der Sonne erhitzten Sandkörner aufwirbeln, sodass alle Anwesenden die Arme heben mussten, um Gesicht- und insbesondere Augenpartien zu schützen. Die Reise war anstrengend, doch die Umstände machten dem Illusionsmagier weniger aus, als man vielleicht meinen mochte. Nicht umsonst war die Wüste jener Ort, den er seine Heimat nannte. Und selbst wenn er schon früh gemerkt hatte, dass die Frau an seiner Seite in ihm nicht vielmehr als ein verwöhntes Stadtkind sah: Die Tatsache, dass Lian in Aloe Town großgeworden war, änderte doch Nichts daran, dass er schon von Kindesbeinen an in den weiten Sandlandschaften West-Fiores unterwegs gewesen war. Hier fühlte er sich wohl. Zumindest eine Sache gab es, bei der er Aisha – wie die Frau sich vorgestellt hatte – unvoreingenommen Recht gab: Der Weg nach Miln konnte gefährlich sein. Miln war ein kleines, sehr beschauliches Örtchen, das als letzte Zivilisation vor der endlos weiten Wüste West-Fiores Bekanntheit erlangt hatte. Ein Dorf, von dem der Falls bisher nur gelesen, es aber noch nie selbst besucht hatte. Als die Händlerkarawane, mit der er heute unterwegs war, vor rund einer Woche mit einem Auftrag aus dem Dörfchen in Aloe Town aufgetaucht und bei dem Gildenmeister vorgesprochen hatte, hatte Aram sofort nach Lian schicken lassen. Er sollte sich der Karawane auf ihrem Rückenweg nach Miln anschließen und den merkwürdigen Dingen, die dort geschahen, auf den Grund gehen. Neben einem Vertreter von Crimson Sphynx sollte noch ein weiterer Magier dort auf ihn warten – um wen genau es sich handelte, wusste der Falls nicht, aber es interessierte ihn auch nicht besonders. Lian hätte am liebsten abgelehnt, doch Aram hatte unmissverständlich klargemacht, dass genau er und niemand anderes die Quest zu erledigen hatte. Der 19-Jährige hatte zum damaligen Zeitpunkt nicht verstanden, warum ausgerechnet er losgeschickt werden musste, sich aber dennoch gefügt – und jetzt war er hier, irgendwo im Nirgendwo, darauf hoffend, dass sie das Dörfchen Miln bald erreichen würden. Allmählich wurde ihm das Gerede von Aisha doch zu viel… „… ich meine, die Bewohner von Miln waren schon immer ziemlich eigen. Aber was in letzter Zeit dort passiert, überbietet doch nochmal alles, was wir bisher miterlebt haben.“ Lian drehte den Kopf zu der Frau, die genauso wie er selbst einen dünnen Mantel trug und eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, um die Haut vor der brennenden Sonne zu schützen. Nur einzelne Strähnen, die sich nach draußen gekämpft hatten und im Wind tanzten verrieten, dass Aisha dunkles Haar haben musste. Ihre wettergegerbte Haut machte es schwer, ihr Alter zu schätzen. „Die Leute in Miln halten nicht viel von Außenstehenden. Und entsprechend unfreundlich und ruppig verhalten sie sich auch. Ich kann es ihnen nicht verübeln, so weit draußen, abgeschottet von allem und jedem.“ Aisha zuckte mit den Schultern, sah wieder nach vorne. „Aber in letzter Zeit… die Leute gehen sich gegenseitig an die Gurgel oder verbarrikadieren sich tagelang in ihren Häusern. Manche sollen auch einfach in den Weiten der Wüste verschwunden sein.“ Sie stoppte einen kurzen Augenblick, bevor sie in sich hineingluckste. „Naja. Was auch immer mit den Menschen los ist, du wirst das schon herausfinden, nicht? Du und der andere Magier!“ Lian wechselte einen Blick mit der Händlerin und hob die Mundwinkel dann doch zu einem kleinen Lächeln an. „Ja, etwas anderes bleibt uns auch kaum übrig, oder?“ Er wollte noch etwas sagen, wurde allerdings von einem Ruf unterbrochen, der eindeutig von der Spitze der Karawane stammte: „Miln liegt direkt vor uns!“
Je länger Lian darüber nachdachte, desto mehr keimte in ihm eine Vermutung auf, was in dem Dörfchen geschah. Und wenn seine Vermutung stimmte, konnte er verstehen, warum Aram darauf bestanden hatte, dass ausgerechnet er nach Miln reiste: Er war Illusionsmagier. Das merkwürdige Verhalten, das die Bewohner des Grenzortes zeigten, erinnerte ihn stark an Rownans Gefühlsausbruch bei ihrer gemeinsamen Quest. Der Hybride war von einem Illusionsmagier – so wie auch Lian einer war – in seinen Gefühlen manipuliert worden. Der Falls hatte sich seit diesem Erlebnis selbst mit der Gefühlsmanipulation beschäftigt und bereits einige gemacht. Er kannte sich mit der Thematik aus: Wenn sich also jemand in dem Dörfchen aufhielt, der die Menschen manipulierte, würde Lian es merken. Und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen können – hoffte er zumindest. Bei Rownan war es damals mehr Glück als Verstand gewesen, dass sie die Illusion hatten auflösen können… „Heh, Lian! Hörst du mir überhaupt zu?“ Der 19-Jährige wandte abrupt den Kopf um – Nein, er hatte nicht zugehört. Und das bemerkte auch Aisha, die sachte den Kopf schüttelte und erneut auf eines der Gebäude deutete, die inmitten der unordentlichen Häuseransammlung namens Miln stand. Es sah ziemlich heruntergekommen aus, genauso wie der Rest des Dorfes. „Das ist das Gasthaus. Da musst du doch hin, oder?“ Lian nickte. Dort sollte er den anderen Magier treffen, wenn die Questbeschreibung stimmte. „Na dann: Viel Erfolg. In zwei Tagen reisen wir zurück nach Aloe – wenn du dich beeilst, kannst du gerne mit uns zurückreisen.“ Einerseits hielt sich seine Lust, sich erneut stundenlang dem Monolog von Aisha auszusetzen, deutlich in Grenzen. Andererseits war dem Braunhaarigen bewusst, dass es ziemlich dämlich wäre, dieses Angebot auszuschlagen, denn eine Reise allein durch die Wüste war niemals ungefährlich. Am Ende hoben sich seine Mundwinkel an und er nickte erneut. „Alles klar, ich werde mich beeilen.“ Er hob die Hand zum Abschied und schritt hinüber zu besagtem Gasthaus. Nicht ahnend, was ihn erwartete…
Eine angenehme Kühle begegnete dem 19-Jährigen, als er das unscheinbare Sandsteingebäude betrat. Seine Augen hatten Mühe, sich an die Dunkelheit im Inneren des Gebäudes zu gewöhnen, weshalb er einen Augenblick im Eingang stehenblieb. Noch ehe er sich genau hatte umsehen können, wer sich im Gasthaus aufhielt, trat bereits ein breitschultriger Mann mit Glatze und Bart auf ihn zu. Der Wirt? „Euch habe ich hier noch nie gesehen. Was verschlägt Euch nach Miln, hm?“, fragte er mit Missfallen in der Stimme nach. Lian erinnerte sich daran, was Aisha erzählt hatte: Die Leute hier hielten nicht viel von Außenstehenden. Na, wenn sie alle so drauf waren, würde das die Quest sicher nicht leichter machen. Der Jüngere hob die Hände abwehrend an. „Ich bin wegen der Quest hier.“ Auch wenn es ihm missfiel, seine Gildenzugehörigkeit kundzugeben, war es wohl der einfachste Weg, um weiterzukommen. Daher ergänzte der Falls: „Magier von Crimson Sphynx.“ Er zog endlich die Kapuze zurück und offenbarte damit nicht nur Gesicht, sondern auch seinen lockigen Kopf – ein Merkmal, an dem man Lian leicht erkennen konnte. Die in Falten gelegte Stirn des Wirts glättete sich sofort, vielleicht weil er Lian ansah, dass er ein Wüstenbewohner war. Er antwortete nicht sofort, sondern musterte Lian von Kopf bis Fuß. Der Falls war sich nicht sicher, aber ein Gefühl sagte ihm, dass dem Wirt nicht gefiel, was er sah. Dennoch deutete er schlussendlich mit dem Daumen über die Schulter zurück. „Na dann. Eine Magierin wartet hier schon.“ Ohne sich umzudrehen, ging der Wirt wieder zurück hinter den Tresen. Die hellgrünen Augen sahen ihm noch kurz nach, dann wandte er sich in die Richtung, in die der Wirt gezeigt hatte. „Die andere Magierin?“, wiederholte er leise die Worte und sein Blick blieb schnell an einer Gestalt hängen, die deutlich getrennt von den anderen Gästen an einem der Holztische saß. Es war dunkel und seine Augen hatten sich noch immer nicht an das Zwielicht gewöhnt, weshalb er recht unvoreingenommen näher an die vermeintliche Magierin herantrat. Er rieb sich über den lockigen Hinterkopf und brummte. „Hm. Freundliche Stimmung hier. Hi, ich bin…“, doch noch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, hielt Lian inne. Kurz vor dem Holztisch blieb er stehen, und die Lider, die sich zuerst nur einen Spalt breit geöffnet hatten, wurden schlagartig aufgerissen. Der Mund, der gerade eben noch Worte geformt hatte, blieb einfach nur stehen, das Herz des jungen Mannes setzte aus. Die Gestalt, die eben noch nicht mehr als ein Umriss gewesen war, war nun erkennbar. Rabenschwarzes Haar mit rot gefärbten Spitzen umrandete das runde Gesicht der Fremden. Blasse Haut, die im totalen Kontrast zu seinem eigenen Teint stand. Ein schwarzes, sehr figurbetonendes Top, die Strumpfhose, die dunklen Stiefeletten. Lian blieb der Atem weg, seine Gedanken setzten vollkommen aus, während er die Frau anstarrte. Das konnte nicht sein. Sein Verstand musste ihm gerade einen Streich spielen. Das war absolut unmöglich. Langsam, zaghaft, riss er den Blick von ihrer Kleidung los und die hellgrünen Augen sahen in die eisblauen Iriden, die ihm einst sehr bekannt gewesen waren. Und doch erschrak ihn die tiefe Schwärze, die das helle Blau in ihren Augen umrahmten. Das… war anders. Was war das? Es dauerte mehrere Sekunden, bis Lian seine brüchige Stimme endlich wiederfand: „Gin?“, fragte er atemlos und kaum hörbar.
"Hm. Freundliche Stimmung hier. Hi, ich bin…" Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Die Gin noch immer vertraute Stimme zu hören ließ die Vampirin sich ruckartig und ungläubig auf dem Holzstuhl umdrehen. Ihre neonblauen Augen fanden die hellgrünen Iriden wieder und auch das restliche Gesicht passte zu dem, an was Gin sich noch erinnerte. Lian war hier. Warum?, fragte die Vampirin sich. Glücklicherweise hatte es dem braunhaarigen Schönling ebenso die Sprache verschlagen wie der schwarzhaarigen Magierin, sodass die beiden sich ein paar Herzschläge lang einfach ungläubig angaffen konnten. Der Anblick Lians war wie ein Schlag in den Magen für die Vampirin, trieb ihr die Luft aus den Lungen. Wie im Zeitraffer strömte die gemeinsame Vergangenheit der beiden auf sie ein. Lian, wie er Gin lächelnd einen gestohlenen Apfel zuwarf. Die beiden auf der Flucht vor ein paar Stadtgardisten. Eine Rauferei, bei der er sich feige hinter ihr versteckt hatte. Fassungsloser Schmerz, als ein anderes Mitglied der Jugendbande von einem Dach gefallen und sich den Hals gebrochen hatte. Eine klare Nacht, die die beiden Schulter an Schulter teilten und in den Nachthimmel aufsahen. Ihr erstes Mal. Ihre Hand in seiner. Dann der Abschied. Der fassungslose Ausdruck auf seinem Gesicht, als er versuchte zu begreifen, dass es vorbei war. Aloe Town, wie es hinter Gin immer kleiner wurde. Die Vampirin hatte diesen Lebensabschnitt irgendwo tief in sich weggeschlossen gehabt. Das Glück, das sie damals empfunden hatte, war ihr bei dem Leben, zu dem sie nun gezwungen wurde, im Weg. Doch Lians Anblick hatte all dies wieder befreit, hatte Gin daran erinnert, wie es war, zu leben und zu lieben, und ihr schmerzlich bewusst gemacht, dass ihr beides nun nicht mehr vergönnt war. "Gin?" Die Schwarzhaarige seufzte und schüttelte den Kopf (als ob sie dadurch ihre Gedanken herausschütteln konnte). Nein, ich bin Gin. Du bist Lian, Trottel., antwortete sie forsch, denn sie musste die Situation unter Kontrolle bekommen. Was Lian hier trieb, konnte die bleiche Dame sich nicht erklären, aber Miln lag so halbwegs in der Nähe von Aloe, also vielleicht war das ganze ja nur ein Zufall. Es musste ein Zufall sein. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann war ihr das egal. Gin wollte nichts mit ihm zu tun haben. Die Untote hatte zwar per se nichts gegen Lian (eher im Gegenteil), doch das, was er für sie verkörperte und das, an was er sie erinnerte, damit wollte Gin sich nicht konfrontieren. Sie war damals aus Aloe Town geflohen, hatte Lian zurück gelassen und damit war dieses Kapitel in ihrem Leben zu Ende gewesen. Also war es vermutlich auch das Beste, wenn sie ihm klarmachte, dass sie jetzt nichts mit ihm zu tun haben wollte.
Dennoch fiel es der Vampirin nicht leicht, darüber hinwegzusehen, dass der braungebrannte Dieb sich gut gemacht hatte. Er hatte in den ersten Sekunden des Aufeinandertreffens ein wenig sicherer gewirkt, als Gin ihn in Erinnerung hatte, und sein bräunlicher Teint ließen ihn gesund und munter aussehen. Wie es dem Wüstensohn wohl in den letzten Jahren ergangen war? Was ihn nach Miln trieb? Gin merkte, wie in ihr Interesse aufkeimte, und schob es gewaltsam zur Seite. Hör mal, ich warte hier auf jemanden. Außerdem scheinen mir die Leute hier ohnehin schon zu misstrauen. Mach keine Szene, okay?, hieß sie ihn in einem Ton an, der deutlich machte, wie wenig sie sich jetzt mit ihrem Ex-Freund an einen Tisch setzen wollte. War es ungerechtfertigt, ihn derart abzuweisen, nachdem sie es gewesen war, die ihn abserviert hatte? Absolut! Aber es war der einzige Verteidigungsmechanismus, den Gin gerade nutzen konnte. Schwere Schritte auf den sandigen Holzdielen kündeten zwei weitere Männer an, die sich dem Tisch mit dem Ex-Pärchen näherten. Na toll, erst sah niemand Gin auch nur mit dem Hintern an und jetzt, wo sie von ihrer Vergangenheit überrascht wurde, scharten sich die Leute um sie? Das konnte ja gar nicht schlimmer laufen. Was?!, keifte Gin den beiden angriffslustig entgegen, noch ehe sie irgendeine Chance hatte, sich zu irgendetwas äußern. Das schien ihnen zu missfallen. Einer der beiden Kerle war in eine weite Robe gewandet, die ein wenig teurer und hübscher aussah als das, was die meisten Bewohner Milns, die Gin bisher zu Gesicht bekommen hatte, trugen. Er hatte einen schneeweißen Turban um den Kopf gewickelt, hatte dunkle, beinahe schwarze Haut, strahlend blaue Augen (die dennoch keine Konkurrenz für die Glubscher Gins waren) und trug eine beinahe schon ungesund wirkende Anzahl an goldenen Ohrringen und Piercings im Gesicht. Sein Begeleiter war breit wie eine Tür und muskulös wie ein Stier. Zwischen seinen Stoffgewändern konnte Gin ein wenig Metall hindurchblitzen sehen, wohl eine Art Kettenrüstung. Passend dazu hatte Dorfstatist Nummer 2 einen langen Säbel mit breiter Klinge über die Schulter gelehnt. "Da seid ihr beiden ja.", meinte der schmächtigere der beiden Dorfbewohner zu Lian und Gin. Die Vampirin blickte einen kurzen Moment fragend vom dunkelhäutigen Kerl zu Lian. Es brauchte einen Augenblick, bis es klickte. Nein, Lian? Sag mir bitte, dass du nicht der Typ von Crimson Sphynx bist. Lian, ein Magier? Das schien so gar nicht zu ihm zu passen. Er war ein Dummschwätzer, ein Dieb, ein Gauner, ein Heuchler und ein Halsabschneider, aber ein Magier? "Ihr könnt euch nachher gegenseitig vorstellen, ich hab nicht viel Zeit.", warf der der Kerl ein. "Seit etwa zwei Woche drehen hier ein paar Leute durch. Manche gehen sich gegenseitig an die Gurgel, andere reden nicht mehr oder schließen sich daheim ein. Die Tochter vom Oguz ist einfach in die Wüste gegangen, wäre fast krepiert. Irgendwas ist hier faul und ihr werdet das wieder gerade biegen. Und zwar schnellstens." Während der vermeintliche Auftraggeber (der sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sich vorzustellen) redete, formte sich in Gins Kopf eine sehr deutliche Meinung über den Kerl, doch die behielt die Untote lieber für sich selbst. Anstatt auszubrechen wie ein Vulkan verschränkte Gin stattdessen die Arme vor der Brust, senkte den Kopf wie ein wütender Stier, blickte den Mann von unten hinauf an wie eine Raubkatze, die sich gerade zum Sprung bereit machte, und zuckte dann mit den Schulter. Fein. Mehr als eine Silbe hatte er sich für seine schroffe Art nicht verdient. Stattdessen warf die Vampirin einen Blick zur Seite, in Lians Richtung, irgendwie darauf hoffend, dass es sich bei dem Ganzen um ein Missverständnis handelte und dass der Braunhaarige dieses jeden Moment aufklären würde.
Er war vollkommen paralysiert von dem Anblick, den Gin ihm bot. Alleine sie zu sehen, wühlte Lian so unglaublich auf, dass er das Gefühl hatte, jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren. Er wusste nicht, was er fühlte. Es war ein wilder Cocktail aus Freude, Angst, Trauer, Wut… und dann war da noch ein Gefühl, von dem er sich seit jenem Tag eingeredet hatte, dass es gestorben war. Aber das war es nicht, oder? Der Anhänger, den er um den Hals trug, brannte sich förmlich auf seine Haut, es kribbelte und zog, um deutlich zu machen, dass er noch lange nicht über Gin hinweg war. Scheiße. Aber wie konnte das sein? Sie… war keine Magierin. Oder etwa doch? Je mehr der Falls darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihm, dass er nichts, aber auch absolut gar nichts von der Schwarzhaarigen gewusst hatte. Er hatte es versucht, hatte kleine Schnipsel ihrer Vergangenheit aufgeschnappt, doch das Große und Ganze hatte Gin stets unter Verschluss gehalten. Lian hatte sich damals vorgenommen, sie nach und nach kennenzulernen, er hatte das Gefühl gehabt, auf einem guten Weg zu sein – bis zu jenem Tag, als Gin sich für ihn unerwartet von ihm getrennt hatte. Der junge Mann war an diesem Tag in ein Loch gefallen, aus das er sich nur mit größter Mühe hatte herauskämpfen können. Und jetzt, wo die junge Frau wieder vor ihm saß, wandelte der Falls erneut am Abgrund und fürchtete, jeden Moment zurückzustürzen.
Erst ihre forschen, abweisenden Worte brachten einen Teil seiner Sinne zurück. Es schob den letzten Zweifel beiseite – sie war es wirklich. Entweder das oder Lian hatte endgültig den Verstand verloren und sprach mit einer Wahnvorstellung. Aber wäre eine Wahnvorstellung von Gin nicht zumindest ein wenig freundlich zu ihm? Entweder das oder sein Unterbewusstsein hatte Vorlieben, über die er selbst sich noch gar nicht richtig bewusst war. Der Illusionsmagier schüttelte sich, um sich von diesen vollkommen abwegigen Gedanken zu lösen. Perplex neigte er den Kopf ein Stück zur Seite und sah endlich Gin im Gesamten an, als sie ihn anfuhr, er solle keine Szene machen. Er sollte keine Szene machen? Er hatte ihr weder damals eine Szene gemacht (dazu hatte sie ihm ja gar keine Gelegenheit gegeben) genauso wenig wie er jetzt vorhatte, ihr eine Szene zu machen. Es machte Lian so unglaublich wütend, dass ausgerechnet das die ersten Worte waren, die Gin für ihn übrighatte, jetzt wo sie sich unerwartet über den Weg liefen. So wütend, dass er tatsächlich die Zähne zusammenbeißen und die Hände ballen musste, um sich unter Kontrolle zu halten. Der Braunhaarige war für gewöhnlich kein Mensch überschwänglicher Emotionen, weshalb ihn die Leichtigkeit, mit der die Schwarzhaarige ihn von einem Tief zum Hoch und wieder zurückbeförderte, sichtlich überforderte. Und ja, in all dieser Wut war er doch kurz davor, genau das zu tun, was Gin nicht hatte haben wollen: Eine Szene.
Schwere Schritte auf dem hölzernen Untergrund ließen den Falls innehalten, bevor er seiner Wut freien Lauf ließ. Gin war die Erste, die auf die Neuankömmlinge reagierte, noch bevor Lian sich auf dem Absatz umgedreht hatte, um die Personen zu mustern, die sich ihnen genähert hatten. Sein Blick blieb zuerst an dem großgewachsenen, breitschultrigen Kerl hängen, dessen langer Säbel gefährlich aufblitzte. Erst danach, als die andere Stimme ertönte, wanderten die grünen Seelenspiegel hinüber zu dem deutlich kleineren Mann, dem Lian sofort ansah, dass er ein kleines Vermögen besitzen musste. Vielleicht war es der Instinkt des Diebes, der in diesem Moment aus dem Illusionsmagier sprach und den er auch nicht so einfach abschalten konnte. Kurz musterte er die unzähligen Piercings im Gesicht des Mannes, bevor der entsetzte Ausruf der Du Bellay seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er sollte ihr nicht sagen, dass er der Typ von Crimson Sphynx wäre? Gerne hätte er Gin in diesem Augenblick genau diesen Wunsch erfüllt. Er wollte gerade nichts mehr, als auf dem Absatz kehrtzumachen und diese gesamte Quest irgendeinem anderen Pappenheimer zu überlassen. Nur leider… war das nicht möglich. Denn er war der Typ von Crimson Sphynx, so wenig ihm selbst das auch gefiel. Lian bekam keine Gelegenheit, um zu antworten, denn sogleich sprach der vermeintliche Auftraggeber (der 19-Jährige vermutete, dass es der Auftraggeber war) und nahm die Spannungen zwischen den Magiern entweder nicht wahr oder es interessierte ihn nicht. Lian vermutete Zweiteres. Der Lockenkopf wandte sich zur Seite, als Gin die Arme vor der Brust verschränkte, den Kopf bedrohlich senkte und den fremden Männern giftige Blicke zuwarf. Aus der einen Silbe, die die junge Frau zum Besten gab, konnte der Falls so schrecklich viel heraushören. Oh ja, das war Gin, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihre Blicke hätten töten können, er spürte förmlich die Blitze, die aus ihren Augen schossen und die Mordlust, mit der sie den Mann taxierte. Und ohne es zu merken, musste der Falls schmunzeln – nur um plötzlich zu merken, dass Gin ihn ansah. Schnell sah er weg, in der Hoffnung, dass seine Ex-Freundin diesen kurzen Anflug von Amüsement übersehen hatte. Um einer möglichen Reaktion von der jungen Frau zu entfliehen, wandte er sich stattdessen zu dem Turbanträger, der offensichtlich nicht darauf aus war, mehr Zeit als nötig bei den Magiern zu verschwenden. Bei den… Magiern. Lian konnte immer noch nicht fassen, in was für einer Konstellation er gerade mit Gin zu tun haben sollte. Was war nur geschehen… „Ihr seid Basri Adib?“, stellte er die Frage an den Mann, der sich bisher nicht vorgestellt hatte, der aber den Eindruck machte, als sei er jener, der Gin und ihn hierherbeordert hatte. Wenn das stimmte, war er der Bürgermeister dieser kleinen Gemeinde – ein merkwürdiger Anblick für einen Bürgermeister, allerdings waren sie hier auch am Rande des Nichts. Da konnte man wohl nicht erwarten, einem Bürgermeister im Anzug zu begegnen. Die Augenbraue des Fremden hob sich ein Stück weit an, doch er nickte formvollendet. Der 19-Jährige erwiderte das Nicken. „Lian Falls.“ Es war das erste Mal seit seinem Gildenbeitritt, dass der Illusionsmagier sich mit seinem vollen Namen vorstellte – Gin war eine der sehr wenigen Menschen, die so oder so über seine Familie Bescheid wussten. Es gab hier niemanden, vor dem er seinen Namen verheimlichen musste. Ohne lange zu warten, fuhr Lian bereits fort und würde mit seinen nächsten Worten den letzten Funken Hoffnung seiner Kollegin, dass es sich nur um eine Verwechslung handelte, endgültig zerstören: „Magier von Crimson Sphynx.“ Er zwang sich, bei dieser Vorstellung nicht zu Gin zu blicken, weshalb er nicht mitbekam, wie genau sie auf diese Erkenntnis reagierte. Aber irgendein Gefühl sagte ihm, dass er die Reaktion lieber nicht sehen wollte. Er konzentrierte sich lieber auf die Aufgabe, denn das war die einzige Sache, die ihm gerade ein wenig Sicherheit gab. Und so schroff dieser Auftraggeber und wie bedrohlich seine Begleitung auch wirken mochten: Diese Gesellschaft war ihm gerade tausend Mal lieber als die Vorstellung, mit Gin alleine zu sein. „Die Tochter von Oguz – wo finden wir sie?“ Wir. Er hatte wirklich wir gesagt. Er räusperte sich, um seine Gedanken zu klären und Basri Adib winkte wenig interessiert ab. „Soweit mir zugetragen wurde, lag sie nach dem Vorfall mehrere Tage im Fieberwahn. Ob sie mittlerweile wieder erwacht ist, weiß ich nicht. Aber das Haus von Oguz findet ihr am Rande der Siedlung.“ Immerhin eine kurze Wegbeschreibung ließ er den beiden Magiern da, bevor er das Kinn deutlich anhob, um auf sie herabzublicken. “Es missfällt mir sehr, für diese Angelegenheit Hilfe von außen zu beauftragen. Eure Ankunft in Miln ist nicht unbemerkt geblieben., die Menschen unterhalten sich bereits über euch. Die Geschehnisse haben bereits für Unruhe genug gesorgt, also erwarte ich, dass ihr die Unruhe der Menschen nicht unnötig weiter steigert. Verstanden?“ Hm. Wenn die alle hier so allergisch auf Außenstehende reagierten, wusste Lian nicht, wie sie das anstellen sollten. Anders als Gin war er jedoch ruhig genug, um auf diesen Befehl nicht gleich innerlich durch die Decke zu gehen. Ein kurzes, abgehaktes Nicken, auch mit Blick auf den muskulösen Säbelmann – diese Art von Zustimmung war scheinbar ausreichend für Basri Adib. Er machte auf dem Absatz kehrt, um die Gaststätte wieder zu verlassen… und erst als die Schritte des Auftraggebers sich entfernten, wurde Lian wieder bewusst, mit wem genau er gerade zurückgelassen wurde. Und für den Bruchteil einer Sekunde spielte er mit dem Gedanken, sich diesem Basri Adib einfach an die Fersen zu heften…
Auch wenn Gin ihr bestes gab, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen, war es für sie schwierig, sich in Lians Anwesenheit zu befinden. Damals, in Aloe Town, war er einer der wenigen Menschen gewesen, er ihr richtig am Herzen gelegen hatte. Sie hatte sich ihm ein Stück weit geöffnet, hatte ihn in ihr Leben hineingelassen. Immer hatte er sie gut behandelt und nie hatte er sich ihr gegenüber wirklich etwas zu Schulde kommen lassen. Dass sie ihn einfach so abserviert hatte, war ungerecht gewesen. Gin bereute es nicht, hätte sie erneut die Möglichkeit, dem Braunhaarigen das Herz zu brechen um ihn dadurch aus der potentiellen Schussbahn Orwynns zu bekommen, sie würde es wieder tun. Dennoch konnte die Vampirin sich - zumindest grob - ausmalen, wie sich das für den Falls angefühlt haben musste. Ebenso war es ungerecht, wie sie ihn nun behandelte. Dass er ihr nicht wirklich antwortete, die Hände zu Fäusten ballte, die Lippen aneinander presste, das spiegelte wieder, dass er verletzt war - und dass Gin dabei war, ihn weiter zu verletzen. Das war nichts, was Gin genoss, was ihr Spaß bereitete oder dergleichen, doch musste sie sich so verhalten, um ihn und sich selbst zu schützen. Orwynn Zerox war für Gin der einzige Mann in ihrem Leben und sie wusste, dass ihr Meister keine Nebenbuhler dulden würde. Sie gehörte ihm, daran durften keine Zweifel aufkommen. Und daher durfte Gin Lian auch nicht in einer Art behandeln, die in ihm Hoffnung aufkeimen ließ. Hoffnung, vielleicht wieder.... Nein, darüber wollte Gin besser nicht nachdenken.
Zum Glück trat der Auftraggeber der beiden auf und sorge sehr effektiv dafür, dass die gemeinsamen Aufgabe des ehemaligen Paares hier in Miln zum Gesprächsthema wurde. Er war herablassend und arrogant, machte keinen Hehl daraus, dass er von der Anwesenheit der beiden Magier hier in Miln nicht wirklich etwas hielt. Gin war es gewohnt, als notwendiges Übel angesehen zu werden, doch die herablassende Art von Basri Abid, die ging Gin gehörig auf den Zeiger. Während dem sich-genervt-fühlen ging nicht an der bleichen Dame vorbei, dass Lian den Namen des Auftraggebers gekannt hat. Ob den ihr Meister, der Gin diese Quest vermittelt hatte, wohl auch gekannt hatte? Und falls ja, warum hatte er ihn wohl vor ihr geheim gehalten? Das ließ sie nachdenken. Lian stellte sich tatsächlich stolz, mit Familiennamen, vor und sprach aus, was die Untote befürchtet hatte: Er war für das Lösen dieser Aufgabe an ihre Seite verdonnert. Betroffen schlug sie die Augen zur Seite, wandte ihren Blick von Lian ab, denn sie wollte nicht, dass ihre Mine dem 19-jährigen verraten konnte, dass sie dies zutiefst bedauerte. Gin wusste, dass sie weiterhin so abweisend zu Lian sein musste und dass ihn das weiter verletzen würde. Doch für den Fall, dass ihr Gebieter ihr einen Späher hinterhergeschickt hatte, die sie bei ihrem Tun beobachtete, konnte sie es nicht riskieren, dem Braunhaarigen gegenüber auch nur einen Funken Zutrauen oder Vertrautheit zu zeigen. Um seinetwillen. Als Lian sich vorgestellt hatte, setzte Gin da natürlich hinterher. Gin. Einen Nachnamen ließ sie nicht fallen, das würde ohnehin entweder nichts bringen oder zu Verwechslungen führen. In manchen Kreisen waren Erzeugnisse des Lehens, das ihren Familiennamen trug, durchaus bekannt. Magierin von niemandem., log sie in die Runde. Die Erläuterungen Basris zu den Vorkommnissen halfen der Vampirin, den Kopf von der misslichen Lage hinwegzukommen. Seit etwas zwei Wochen war der Spuk also schon im Gange. Davor was vorgefallen?, wollte sie vom Auftraggeber wissen, erntete einen herablassenden Blick und eine nichtssagende Antwort: "Außer ein paar durchziehenden Karavanen und einem Sandsturm alle paar Monate passiert hier nie was." Machte Sinn, das Dörfchen war abseits gelegen und die Leute waren scheiße drauf. Was sollte da schon groß passieren. Lian erkundigte sich nach dem "Opfer", von dem Basri gesprochen hatte, und holte sich eine Wegbeschreibung ein, dann machten der Auftraggeber und sein Begleiter sich nach ein paar Sätzen, die Gin irgendwo zwischen Drohung und Bevormunding eingeordnet hätte, wieder auf den Weg. Schulterzuckend hatte die Untote dem Kerl zugestimmt, doch wusste Gin genau, dass sie zur Not ein paar Leuten auf die Pelle rücken würde, wenn das diese Queste beschleunigt zum Ende führen würde. Sich einfach davon zu machen war nicht drin.
Kurz nachdem Basri und sein Leibwächter den Raum verlassen hatten, erhob auch Gin sich von ihrem Stuhl. Moment., sprach sie zu Lian während sie schon auf dem Weg in Richtung Schlafraum war. Kurz verschwand sie im Nebenzimmer nur um einige Augenblicke später mit der ollen Josy, ihrer Mordaxt, über der Schulter aufzutauchen. Einige Blicke in der Spelunke wanderten kurz zur Vampirin, die keck grinste. Hatte sie die Kerle doch noch dazu gebracht, sich nach ihr umzudrehen. Zurück bei Lian lehnte Gin das Mordwerkzeug kurz an den Tisch, um sich die Lederjacke anzuziehen. Zu erst zu diesem Oguz, oder?", holte sie sich - ganz von alleine - Lians Meinung ein. Schon früher war der Braunhaarige eher der Kopf und Gin eher der Muskel gewesen. So fühlte es sich ganz natürlich an, den Ex-Freund ein wenig entscheiden zu lassen, was es zu tun gab. Gin zog den Reißverschluss der Lederjacke komplett zu, schlug den Kragen nach oben und griff in die Jackentasche, wo die neue Sonnenbrille wartete. Die Gläser würden die empfindlichen Augen der Vampirin hoffentlich ein Stück weit gegen die gnadenlose Wüstensonne schützen. Die Axt ist übrigens für den Fall, dass du emotional wirst., ließ Gin ihren Ex-Freund drohend wissen und klopfte zur Demonstration mit einem Fingerknöchel gegen die schmale, fingerlange Klinge, die auf der gegenüberliegenden Seite des Axtblattes aus dem Axtkopf spross. Schweren Herzens kniff die Untote ihre Lippen zusammen und trat auf die Türe der Spelunke zu. Beeilen wir uns. Ich will hier so schnell wie möglich weg..., trug sie Lian auf, griff dann nach dem Türgriff, drückte die Türe auf und trat in die Hitze hinaus. Sofort war es, als wäre Gin mit einem Knüppel in den Magen geschlagen worden. Ihre Schritte wurden kürzer, die zuvor noch recht problemlos auf der Schulter getragene Mordaxt zu transportieren forderte nun einige Anstrengung und die entblößte Haut im Gesicht, dem Hals und den Händen, began unangenehm zu jucken und auch die Sonnenbrille mit den rot-getönten Gläsern konnten verhindern, dass das Sonnenlicht Gin die Tränen in die Augen trieb. Dass es ihr nicht gut ging, war offensichtlich, dennoch schritt sie stur weiter in die Richtung, die Basri den beiden Magiern beschrieben hatte. Zur späten Mittagszeit war in Miln genau so wenig los wie schon am Morgen. Nur wenige Menschen waren auf den sandbedeckten Straßen und Wegen zu sehen, die meisten hatten sich in die schützenden Schatten ihrer Häuser versteckt - Glückspilze. Drei Milner sah Gin unter dem Vordach eines Teehauses stehen und aus langen Pfeifen rauchen. Ab und an boten kleine Läden mit offenen Fenstern Waren direkt auf der Straße feil. An einem größeren Gebäude, das als Stallung genutzt wurde, richteten zwei junge Kerle eifrig einige Kamele zurecht und luden ihnen Kisten auf. Ein Dreiertrupp der örtlichen Miliz patroullierte durch die Straßen und musterte die beiden Magier wortlos. Sonst war Miln wie ausgestorben.
Lian Falls, Magier von Crimson Sphynx..., sprach die Vampir-Lady laut aus und wiederholte die Worte, die der Braunhaarige zuvor dem Auftraggeber gegenüber genannt hatte. Aus dem Augenwinkel schielte sie zum Falls. Du bist also auch der Straße entkommen, hm? Wenn Gin ehrlich war, dann wusste sie nicht, warum sie jetzt ein Gespräch mit Lian anfing. Es war gegen den Zweck. Es würde die Dinge verkomplizieren. Es würde dem Braunhaarigen suggestieren, dass Gin Interesse hatte. Und dennoch, obwohl sie wusste, dass es dumm und gefährlich war, konnte Gin nicht anders. Hast du was von... den anderen gehört? Damit meinte Gin natürlich die anderen Straßenkinder, mit denen die beiden sich damals zusammengerauft hatten. Gin hatte auch sie im Stich gelassen, das nagte noch heute an ihr.
Moment? Wie, Moment? Lian konnte sich gar nicht so schnell umdrehen, da war die Schwarzhaarige bereits losgelaufen und ließ ihn einfach inmitten des Gasthauses stehen. Erst jetzt fielen ihm die drei kleinen Einschnitte auf der Rückseite des schwarzen Tops auf sowie die helle Haut, die dahinter hervorblitzte. Ohne es so recht kontrollieren zu können, klebte der Blick des 19-Jährigen zwei, drei Sekunden zu lange an der Rückansicht seiner Ex-Freundin, bevor diese hinter einer hölzernen Tür verschwand und dem Falls dadurch die Aussicht stahl. Er ordnete seine Gedanken und nutzte den Moment des Alleinseins, um die Augen zusammenzukneifen und mit beiden Händen gedankenverloren durch sein lockiges Haar zu streichen. „Ohhh, Fuck“, brummte er entnervt vor sich hin und wurde sich allmählich darüber klar, was er in der kommenden Quest alles aushalten müsste. Wie hatte das passieren können? Wollte das Schicksal sich über ihn lustig machen? Als hätte er nicht schon genug gelitten, nachdem Gin ihn eiskalt abserviert hatte – Nein. Natürlich nicht. Gerade als er dabei gewesen war, über den Verlust hinwegzukommen, setzte das Schicksal ihm Gin einfach eiskalt vor die Nase und lachte ihn gleichzeitig höhnisch aus. Er stieß hörbar die Luft aus, ließ die Arme kraftlos an seinen Seiten herabhängen und runzelte die Stirn. Es macht dir Spaß, mich leiden zu sehen, oder? fragte er gedanklich in die Luft. Lian hatte es sich angewöhnt, mit dem vermeintlichen Schicksal Konversation zu betreiben – denn er war überzeugt, dass es das Schicksal war, das sein gesamtes Leben bestimmte. Und somit gab er auch dem Schicksal die Schuld daran, dass er heute nicht nur Gin wiedergetroffen hatte, sondern auch schutzlos mehrere Stunden ihrer Abweisung ausgeliefert sein würde. Erst als die Nebentür sich ein erneutes Mal öffnete, beendete Lian sein gedanklich einseitiges Streitgespräch und konzentrierte sich lieber auf die Personen, die auch tatsächlich existierten.
Es waren nicht nur die anderen Männer in der Gaststätte, die sich zu der Du Bellay umdrehten und den Blick nicht von ihr abwenden konnten. Auch der Illusionsmagier selbst riss die Augen auf und sein Mund öffnete sich einen Spalt breit, während seine Kollegin mit einer rötlichen Mordaxt über der Schulter zu ihm zurückgeschlendert kam, als hätte sie sich nicht mehr als eine Handtasche für den kommenden Ausflug aus dem Nachbarraum geholt. Die Stangenwaffe war locker größer als Lian selbst! Die hellgrünen Augen musterten ungläubig die breite Klinge, deren Stahl im fahlen Licht bedrohlich aufblitzte. Wie schwer ist das Ding?, schoss es ihm durch den Kopf und er kam sich mit seinem Pfeil und Bogen im Vergleich ziemlich jämmerlich vor. Gin war schon immer sportlich und überdurchschnittlich kräftig gewesen, aber eine solche Waffe hatte der Falls nie an ihr gesehen. Wieder einmal fragte er sich, was seit ihrer Trennung in ihrem Leben geschehen war… oder ob sie diese Axt schon damals besessen, es aber vor ihnen allen in Aloe Town verheimlicht hatte. Und just in dem Augenblick, als der Falls sich damit abfand, dass er die Schwarzhaarige eigentlich nie wirklich gekannt hatte, ließ ihn die Selbstverständlichkeit, mit der Gin ihn nach seiner Meinung fragte, doch wieder ins Taumeln bringen. Es fühlte sich für einen kleinen Moment so an wie früher. „Ja, das wäre der Plan“, antwortete er auf die Frage, nachdem er seine Stimme endlich wiedergefunden hatte. Und sogar die Drohung, die sie dem Falls gegenüber mit Verweis auf die spitze Klinge ihrer Waffe aussprach, war doch so, wie er Gin kannte. Es wäre gelogen zu behaupten, dass der Korb, den die junge Frau ihm gab, nicht schmerzte. Gleichzeitig hatte Lian sich aber damit abgefunden, dass er eindeutig nicht das war, was die Du Bellay in ihrem Leben haben wollte, weshalb er schmunzelte und ergeben die Hände anhob, anstatt irgendwelche Widerworte zu geben. „Message angekommen“, ließ er sie amüsiert wissen und hörte sich dadurch deutlich lockerer an, als er sich in Wirklichkeit fühlte. Hätte er auch nur ein ansatzweise besseres Selbstbild gehabt, wäre Lian vielleicht stutzig geworden und hätte zumindest erahnen können, dass Gin ihn nicht von sich stieß, weil sie ihn nicht leiden konnte, sondern dass mehr dahintersteckte. Dass sie es eigentlich nur um Seinetwillen tat. Doch dieses gute Selbstbild hatte er nicht… und blieb daher an dem für ihn naheliegendsten Grund hängen, nämlich er selbst. Er nickte kurz und folgte der Magierin auf ihrem Weg nach draußen.
Lian war froh, die Spelunke endlich hinter sich zu lassen. Er entkam nicht nur den argwöhnischen Blicken der restlichen Gäste – die eindeutig nicht gut auf die Fremden zu sprechen war – sondern genoss sowohl das grelle Licht der Nachmittagssonne als auch die trockene Hitze, die auf seinen lockigen Kopf herabschien. Er entschied sich dagegen, die Kapuze wieder überzuziehen. Der Falls war ein Wüstenbewohner – wenn es etwas gab, das er genoss, dann war es Helligkeit und Hitze. Erst mit Verspätung bemerkte er, dass Gin nicht ansatzweise so aufblühte wie er selbst. Ihre langen Schritte wurden kurz und holprig. Ihre eben noch gerade und stolze Haltung, die sie meist sogar ein paar Zentimeter größer erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit war, war verschwunden. Ihr Brustkorb hob und senkte sich deutlich, so als hätte sie Mühe zu atmen – und ihre Haut… Erst im grellen Licht der Nachmittagssonne fiel dem Illusionsmagier auf, wie hell die Haut von Gin in Wirklichkeit war. Keine Frage, die junge Frau war schon immer blass gewesen, insbesondere im Vergleich zu ihm selbst. Aber das? Sie wirkte fast kränklich… leichenblass. Lian wollte ihren Blick auffangen, um zu erahnen, wie es ihr ging, doch er konnte nicht mehr erkennen als sein eigenes Spiegelbild in den rötlichen Gläsern der Sonnenbrille, die sie sich auf die Nase geschoben hatte. Plötzlich erinnerte er sich wieder an das dunkle Schwarz, das ihre blauen Iriden umgeben hatte. Was ist mit dir passiert, Gin?
Erst die laute Aussprache seines Namens sowie seiner Gildenzugehörigkeit ließen den Falls zusammenzucken. Es war merkwürdig, es selbst auszusprechen. Es von jemand anderem zu hören, aber noch tausend Mal merkwürdiger und ungewohnter. Wohl fühlte Lian sich dabei nicht. „Gin, Magierin von Niemandem“, wiederholte der Falls ebenso ihre Vorstellung, wenngleich in einem deutlich leiseren Tonfall als seine Ex-Freundin es getan hatte. Die Betonung lag dabei eindeutig auf dem Wort Magierin. „Auch, hm?“, fragte er nach und hob eine Augenbraue sichtlich an, während er Gin mit einem Seitenblick musterte. Das deutete darauf hin, dass sie Aloe Town nicht nur verlassen hatte, sondern auch ein Leben abseits der Straße gefunden hatte. Nur mit einem flüchtigen Blick streifte Lian die gigantische Mordaxt, die über ihrer Schulter lag… Er seufzte tonlos und zuckte mit den Schultern, während er wieder nach vorne sah, ohne etwas Spezielles zu fokussieren. „Ja, scheint so. Ich…“, er unterbrach sich, bevor er weitersprechen konnte, verstummte für einen Augenblick. In ihm stieg ein unglaubliches Bedürfnis auf, Gin alles zu erzählen – alles, was passiert war, warum er gegen seinen Willen in der Gilde Crimson Sphynx gelandet war, welche Sorgen und Nöten er hatte, welche Leute er dort kennengelernt hatte, warum er in letzter Zeit überhaupt nicht mehr wusste, was er eigentlich wollte und was nicht. Aber dann machte er sich klar, dass das mit Sicherheit nicht das war, was Gin von ihm hören wollte. Seine Offenheit ihr gegenüber hatte schon einmal dafür gesorgt, dass sie genug von ihm gehabt hatte. Abgesehen davon, dass sie kein Paar mehr waren – das Letzte, was die Schwarzhaarige wollte, war sich das Gejammer von ihrem Ex-Freund anhören. Lian unterbrach sich daher und schluckte schlussendlich die vielen Gedankengänge, die er gehabt hatte, mit aller Kraft herunter. Alles, was übrigblieb, war ein kurz angebundenes: „Es ist viel passiert, seit du weggegangen bist.“ Es fühlte sich nicht gut an, aber der Falls akzeptierte es. Ihre Frage nach den anderen Leuten aus ihrer einstigen Diebesbande überraschte ihn allerdings. Er hätte nicht gedacht, dass Gin noch großes Interesse an diesem Teil ihrer Vergangenheit hatte. Die hellgrünen Augen streiften die Schwarzhaarige mit einem Seitenblick… und erst jetzt fiel ihm der silberne Ohrring an dem ihm zugewandten, rechten Ohr auf, der im Sonnenlicht verräterisch aufblitzte. Der Sichelmond – sie trug die Ohrringe? Sie trug die Ohrringe… Lian hatte den Gedanken noch nicht so recht verarbeitet, als er weitersprach: „Nach deinem Verschwinden hat sich ziemlich viel in der Gruppe verändert“, begann er nachdenklich. „Die Meisten habe ich schon seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Seit ich… zu Crimson Sphynx gekommen bin.“ Genauso wie es für Gin schwer war, mit diesem Teil ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden, verhielt es sich auch für Lian. Es war eine gänzlich andere Zeit gewesen, er selbst eine andere Person – wie ihm jetzt mehr und mehr bewusstwurde. Welche Person er besser fand – sein früheres oder sein jetziges Ich – da war der Falls noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. „Naor und Meira sind gut drei Monate nach dir zusammen verschwunden. Angeblich nach Süd-Fiore, aber keine Ahnung, ob das stimmt. Perrin…“ Lian kratzte sich am Hinterkopf und schnaubte. „Perrin ist nach deinem Verschwinden auf mich losgegangen und hat danach kein Wort mehr mit mir gesprochen. Er war der Überzeugung, dass ich nicht unschuldig daran war, dass du aus Aloe Town verschwunden bist. Und da war er nicht der Einzige.“ Er zuckte mit den Achseln und lächelte bitter, während er Gin mit einem Seitenblick musterte. Dann fuhr er fort: „Eliat wurde bei einem seiner Raubzüge von der Wache erwischt und ziemlich übel zugerichtet. Dann haben sie ihn mitgenommen, aber keine Ahnung, wohin genau. Er sitzt vermutlich seine Strafe noch aus.“ Je mehr Lian erzählte, desto mehr tauchte er in diese Vergangenheit ab, die er für ein abgeschlossenes Kapitel gehalten hatte. Aber auch Gin hatte er für ein abgeschlossenes Kapitel gehalten – und nun stand sie neben ihm. Einfach so. „Und Levi…“ Levi war damals sein bester Freund gewesen, sie waren zusammen ältergeworden, hatte unzählige Dinge miteinander erlebt. Vor dem inneren Auge von Lian erschien das Bild seines einstigen Freundes, der ihn aus erschrockenen Augen anblickte, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte. Und danach Charon, der den bewusstlosen Levi mit seiner Finsternismagie fixiert hatte, um ihn den Behörden zu übergeben. Das Bild würde ihn wohl ewig verfolgen. „Levi ging es gut, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe“, log Lian nach kurzer Denkpause, denn auch das war etwas, das er gerade nicht mit Gin besprechen wollte und bemühte sich, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Wahrscheinlich hatte er sowieso schon zu viel gesprochen, wie ihm aufging. Ob die Du Bellay so viele Informationen überhaupt hatte haben wollen? Er schüttelte den Kopf, sah endlich wieder direkt zu Gin und musterte sie genauer. Er wusste, dass die junge Frau noch nie viel von sich erzählt hatte. Und er wusste nicht, warum er es überhaupt versuchte, ausgerechnet jetzt doch Informationen aus ihr herauszubekommen. Andererseits hatte er absolut nichts mehr zu verlieren. Und wie sagte man so schön? Manchmal musste man den Wolf bei den Ohren packen: „Warst du damals schon eine Magierin? Und hast es uns einfach nicht erzählt?“, stellte er die erste Frage, die ihm in den Sinn kam, ohne sie aus dem Blick zu lassen. „Wohin bist du gegangen, nachdem du Aloe verlassen hast? Wie kommst du jetzt plötzlich nach Miln?“ Sein Blick war durchdringlich gewesen, seine Gesichtszüge hart. Doch dann wurden sie weicher und man konnte Lian deutlich anmerken, dass es ihn Mühe kostete, den Blick aufrechtzuerhalten. Ihr angeschlagener Eindruck machte ihm zu schaffen und er konnte nicht stoppen, bevor ihm die Worte über die Lippen gekommen waren: „Geht es dir gut?“
War gelogen., erklärte Gin trocken, als Lian ihre Worte von vorhin widerholte. Warum sie ihm diese Lüge gestand, wusste sie nicht. Es war ihr einfach rausgerutscht. Anstatt sich einzugestehen, dass sie sich am liebsten irgendwie mit Lian aussprechen würde, schon die Vampirin ihren Ausrutscher auf die Sonne. Sie hatte es seit ihrem Start ins Unleben schon oft in der Sonne ertragen müssen, doch so schlimm wie hier in der verdammten Wüste war es noch nie gewesen. Schnell hatte Gin die Mordaxt, die sie anfangs über die Schulter gelegt hatte, zu einer Art kopflastigem Wanderstock umfunktioniert und klammerte sich nun mit beiden Händen daran fest. Die Schwarzhaarige wusste, dass dieser Anblick wahrscheinlich erbärmlich wirkte und sie hasste sich dafür, dass sie solche Schwäche zeigte, doch gegen ihre neue Natur konnte sie nicht ankämpfen. Gut, könnte sie. Aber hier nun irgendjemanden anzuknabbern und auszusaugen würde der "Sorgt nicht für Unruhe in Miln"-Mentalität, die sich der Auftraggeber von den beiden Magiern gewünscht hatte, arg entgegenwirken. Zudem hatte Gin noch immer ein Stück weit Angst. Sie trank meist nur das Blut von Tieren, doch selbst dieses lößte schon etwas in ihr aus, das sie ganz und gar nicht unter Kontrolle hatte. Ich bin Magierin von jemandem., fuhrt sie fort und blickte starr gerade aus. Sie hatte Schwierigkeiten, sich überhaupt vorwärts zu bewegen, da wollte sie sich zumindest mit den Augen auf den Weg vor sich konzentrieren. Immerhin half die Sonnenbrille ein wenig, ihre Augen tränten nicht allzu sehr wie sonst. Es tat gut, von den anderen Mitgliedern der kleinen Diebesbande zu hören, auch wenn Lian wenig gutes berichtet hatte. Gins Verschwinden schien ein Loch in die Gruppe gerissen zu haben, von dem sie sich nicht mehr erholt hatte. Die Vampirin hatte auf das Talent ihres Ex-Freundes gebaut, die Trupper zusammen zu halten, doch im Nachhinein fand Gin das töricht. Nicht, weil sie es Lian nicht zugetraute, sondern weil sie nun ein Stück weit verstand, dass er nach ihrem Verschwinden wohl nach sich selbst hatte sehen müssen, nicht nach den anderen. Erneut wurde Gin klar, dass das kleinere von zwei Übeln dennoch ein Übel war. Du hast Recht. Es ist viel passiert...
Wie ein Kind, das im Spiel von Möbelstück zu Möbelstück sprang, um den Boden aus Lava zu meiden, hangelte Gin sich von Schattenfleck zu Schattenfleck, presste sich beinahe schon gegen Hüserwände und drückte sich knapp an dem ein oder anderen Stand vorbei, bei dem reisende Händler ihre Waren feil boten. Bei einem Stand, der kühlen Kaktussaft anbot, machte Gin halt und spendierte sich einen Becher, den sie die Kehle hinunterstürzte. Eigentlich war Miln nicht groß, doch für Gin zogen sich die wenige hundert Meter zu Meilen, jeder Schritt kostete sie Unmengen an Kraft, dazu setzte im Gesicht, das der Sonne ausgesetzt war, und den Handrücken mittlerweile ein unangenehmes Kribbeln ein. Lian ließ nicht locker und fragte die Vampirin weiter aus. Kurz spielte Gin mit dem Gedanken, ihm einfach zu sagen, dass er seine Klappe halten soll. Zu großen Plaudereien war die Schwarzhaarige eigentlich nicht aufgelegt. Und auch war sie sich, nach wie vor, sicher, dass Lian am besten damit bedient war, wenn er so wenig über Gins aktuelle Situation wusste, wie möglich. Sich ihm aus Mitleid, Mitgefühl oder dem Wunsch, verstanden zu werden, zu öffnen, lag Gin fern. Aber wie würde das denn wirken, wenn Lian hier rumplauderte und Gin eingeschnappt die Klappe hielt? Das würde ja fast schon suggestieren, dass Gin die Verliererin in dieser Trennung war? Das konnte die stolze Vampirin ganz und gar nicht ab. Also beschloss sie, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern - und dabei natürlich sehr gezielt mit ihren Informationen umzugehen. Ich bin eine Magierin seit ich sechs war., eröffnete sie dem Braunhaarigen. Lian wusste, dass Gin einst aus einem guten Hause gekommen war, so viel hatten die beiden sich erzählt - selbst wenn die Beziehung der beiden über so manch ungesagtes Geheimnis verfügt hatte. Es ist Tradition in der Familie, dass jemand, der Magie kann, weggegeben wird. Das beschrieb ihre familiäre Situation ganz gut. So weit Gin zurückdenken konnte, wurde sie von ihren Eltern immer wie eine "Leihgabe" behandelt - wie etwas, was man nach einer gewisser Zeit abgeben musste. Und so war es gekommen. Ich wurde dann zur Magierin ausgebildet. Das war nicht immer das, was ich für mich selbst wollte, also bin ich irgendwann abgehauen und in Aloe Town gelandet. Das sollte Lian hoffentlich erklären, warum Gin ihm und den anderen verheimlicht hatte, dass sie eine Magierin war. Dazu kam noch, dass das Beschwören von mordlüsternen Dämonen auch nicht gerade die Fähigkeit war, die man sich in einer Diebesbande gut hätte zu nutze machen können. Aber die Natur ihrer Magie wollte Gin Lian, wenn möglich, vorenthalten. Das war genau die Art von Information, mit der sie vorsichtig umgehen musste. Dann tat Gin etwas, was ihr schwerer fiel, als sie zugeben wollte. Sie verletzte Lian, versuchte es zumindest, als er nach Gins Zeit nach Aloe fragte. Ich hab' einen Mann kennen gelernt. Lian stellte ihr zu viele Fragen und Gin würde nicht alle beantworten können. Sie musste einen Weg finden, dieses Kreuzverhör zu unterbinden, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Lust auf Antworten verderben. Gut fühlte sich das trotzdem nicht an. Er ist stark... und schlau... und einflussreich... Und er hat mir mein Herz gestohlen. Wenn.... wenn sie ihn verletzte, vielleicht würde er ihr dann nicht hinterhertrauern? Vielleicht würde er sie einfach hassen, wie sie es verdient hätte? Würde sie behandeln, wie der Abschaum der sie war? Das wäre nur gerecht. Das war, was sie verdient hatte.
"Geht es dir gut?"
Die Worte trafen Gin wie ein Stich in die Magengrube. Das war so Lian-typisch. Selbst nach all dem, was sie ihm angetan hatte, und ungeachtet, wie sie ihn heute behandelt hatte, kümmerte er sich trotzdem um sie. Und Gin wusste nur all zu gut, dass die Sorge, die in Lians Worten unverkennlich mitschwang, aufrichtiger Natur war. Ein Lächeln schlich sich auf die brüchigen Lippen Gins, die schmerzhaft brannten. Sie hatte jemanden wie Lian nie verdient gehabt. Wie schnell der Braunhaarige es geschafft hatte, das Ego der sonst so hochnäsigen Vampirin zu zerstören und den Scherbenhaufen zu offenbaren, der sich dahinter versteckte. Gin began zu lachen. Sie lächelte nicht oder kicherte nicht, sondern lachte schallend aus. Dass ihr dabei die Lippen aufzureißen drohten und die Mundwinkel schmerzhaft spannten, darüber sah sie hinweg. Ihr überraschend helles Lachen wurde von den kahlen Sandsteinhäusern Milns zurückgeworfen und kam Gin fremd vor. Sie hatte es schon viel zu lange nicht mehr gehört. Dass es heute nicht in Freude sondern Selbstmitleid gründete, machte das nicht besser. Die Sonne macht mir zu schaffen, bin die Hitze nicht mehr gewohnt., antwortete sie, als sie sich ein wenig gefangen hatte, und suchte zum ersten Mal, seit die beiden Magier die Spelunke verlassen hatten, den Blick Lians. 'Tschuldige, die Frage hat mich überrascht. Anständig wäre es gewesen, nun auch nach Lians Wohlsein zu fragen, doch das ließ Gin besser bleiben. Stattdessen nickte sie kraftlos in Richtung eines Hauses. Die Schwärze in den Fenstern ließ den Bau gruselig und unheilvoll wirken, doch war es damit genau Gins Metier. Außerdem versprach es Schatten. Geschafft ließ sie sich mit der Schulter voran gegen die Holztüre fallen, nutzte das als "Anklopfen" und verlagerte dann ihren Körper auf die Wand neben der Türe, sodass sie nicht hineinfiel, falls sie geöffnet wurde. Mal schaun ob jemand zu Hause ist.
Sie war Magierin von Jemandem? Wie sollte er das verstehen? Lians Stirn legte sich in Falten, als seine Ex-Freundin ihm trocken offenbarte, den Auftraggeber – und auch ihn – angelogen zu haben. Jemandem… das hörte sich nicht so an, als wäre Gin als Mitglied einer Magiergilde tätig. Zumindest hatte der Falls noch nie gehört, dass ein Magier von Crimson Sphynx sich als Magier von Aram Falls bezeichnet hätte, er selbst ganz bestimmt nicht. Er wollte mehr erfahren, wollte die Schwarzhaarige fragen, was genau sie ihm damit offenbarte, doch ihre Worte, es sei viel seit ihrer Trennung passiert, ließen ihn innehalten und unsicher werden. Es wirkte wie ein abschließender Satz, es machte deutlich, dass Gin das Thema gerade nicht vertiefen wollte. Es war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass der Falls ganz genau wusste, dass man die Du Bellay nicht dazu zwingen konnte, Dinge zu verraten, die sie nicht bereit war, zu verraten: Das hatte er bereits in der Vergangenheit versucht und schnell gemerkt, so bei der Dame nicht weiterzukommen. Hinzu kam auch die allgemeine Unsicherheit von Lian, die ihn seit dem unerwarteten Zusammentreffen mit Gin fest im Griff hatte. Er hatte sich nicht vorbereiten können, hatte sich keine Pläne zurechtlegen können, wie er mit seiner Ex-Freundin nach den Dingen, die zwischen ihnen geschehen waren, richtig hätte umgehen können. Und so nahm er die abschließenden Worte der jungen Frau hin, ohne Widerworte zu erheben oder weiter nachzuhaken, wenngleich er wusste, dass ihm allein dieser unzusammenhängende Schnipsel aus Gins Leben spätestens in der Nacht den Schlaf rauben würde.
Auch die schnellen Schritte, mit denen seine Ex-Freundin sich von ihm entfernte, ließen das Gesprächsthema fürs Erste sterben. Lian bemühte sich, mit Gin mitzuhalten, was sich als gar nicht so einfach herausstellte: Sie sprang von einem Haus zum Nächsten, suchte Schattenplätze und verharrte einen Moment, bevor sie den Weg zum nächsten Sonnenschutz auf sich nahm. Auch ihr plötzlicher Halt an einem Stand, an dem sie sich wenig damenhaft Kaktussaft die Kehle hinabschüttete, ließ den Falls irritiert blinzeln. Eigentlich war der Weg, den sie laut Beschreibung des Auftraggebers zurücklegen mussten, nicht allzu weit. Wenn sie den direkten Weg über die Hauptstraße genommen hätten, wären es vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten strammer Fußmarsch zwischen der Gaststätte und dem Haus von Oguz gewesen. Ja, es war heiß. Aber so heiß? Gin hatte damals in Aloe Town ohne Probleme Häuserwände hinaufklettern und über Dächer hinwegspringen können. Wenn man sich die junge Frau jetzt ansah, schien sie von dieser Verfassung meilenweit entfernt zu sein. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit ihr, das erkannte sogar Lian in all dem Gefühlschaos, in dem er sich derzeit befand. Er folgte der Schwarzhaarigen weiter, die sich nach kurzer Pause tatsächlich dazu entschloss, etwas aus ihrer Vergangenheit zu erzählen. Ehrlich? Der Illusionsmagier hätte niemals damit gerechnet, mit seiner Strategie „mit dem Kopf durch die Wand“ wirklich durchzukommen und Informationen zu ergattern, die er in der gesamten Zeit ihrer Beziehung nicht erhalten hatte. Umso aufmerksamer lauschte er den Worten von Gin, die ihm nicht nur erzählte, bereits mit sechs Jahren eine Magierin geworden zu sein, sondern auch in einer Familie gelebt zu haben, in der Magier weggeben wurden. Weggegeben… Lian war nicht behütet aufgewachsen und hatte viele Dinge in seiner Zeit in der Wüste gesehen, weshalb ihm sofort ein schrecklicher Verdacht kam, was genau mit diesem Weggegeben gemeint sein könnte. Er konnte nichts dagegen tun, dass er sich sofort das Bild einer deutlich kleineren und unschuldigeren Gin vorstellte, die als Kind in fremde Hände gegeben wurde und dort – wie sie selbst sagte – zu etwas ausgebildet worden war, was sie gar nicht hatte sein wollen. Der 19-Jährige rieb sich über den Hinterkopf und kniff die Augen zusammen, so als könne er das Bild dadurch vertreiben. Wenn es stimmte dann verstand er in jedem Fall, warum seine Ex-Freundin diese Information in Aloe nie mit ihnen geteilt hatte. „Ich verstehe“, ließ er sie wissen, noch nicht sicher, wie er den Satz fortführen wollte. Und wie sich herausstellte, würde Lian den Satz auch niemals zu einem Ende bringen.
Denn sie hatte einen Mann kennengelernt.
Lian hielt inmitten seiner Bewegung inne, öffnete die Augen und starrte Gin von der Seite her an. Und mit jedem Wort, das sie weitersprach, schien irgendetwas in dem Illusionsmagier zu zerbrechen. Er war stark. Er war schlau. Er war einflussreich.
Und er hatte ihr das Herz gestohlen.
Lian fragte sich wirklich, warum es ihm so unglaublich wehtat, diese Worte von Gin zu hören. Ihre Trennung lag mittlerweile Jahre zurück, sie hatten vollkommen unabhängige Leben voneinander geführt. Es war naheliegend, dass die Du Bellay jemanden getroffen hatte, der eher den Vorstellungen entsprach, die sie an einen Partner hatte. Warum fühlte sich der Falls dann jetzt so klein und machtlos? Warum wollte er gerade verschwinden, sich einfach verkriechen, warum wünschte er sich, dass Gin ihm das nicht erzählt hätte? Weil er sich andernfalls noch etwas hätte vormachen können? Seine Hand löste sich von seinem Hinterkopf, seine Arme hingen kraftlos an seinen Seiten herab, während er den Blick endlich von der Schwarzhaarigen löste und nach vorne sah, ihrem Blick förmlich auswich. In seinen Erinnerungen, in denen er ihre Hand gehalten hatte, stand nun plötzlich jemand anderes. Momente, in denen sie um seinen Hals gefallen war, wurden abgelöst durch einen anderen, unbekannten Mann. Wie sie sich küssten, sich näherkamen… Lian wollte nicht weiterdenken, er wandte alle Kraft auf, um die Bilder zu beenden – aber erst das schrille, durchdringende Gelächter der Du Bellay schaffte es, seine Gedankengänge zu unterbrechen. Nicht nur er drehte sich zu der unkontrolliert lachenden Frau um, auch einige Milner, die in der Nähe oder auch entfernt standen, musterten das Magierpärchen skeptisch. Gin schien sich an diesen Blicken und der Aufmerksamkeit nicht zu stören, sondern konnte erst mit einiger Verzögerung sowohl ihren Atem als auch ihre Worte wiederfinden. „Die Sonne, hm?“, fragte er missmutig nach, die Mundwinkel angespannt. Warum kam er nicht darauf, dass dieses Lachen eindeutig eine Ablenkung gewesen war? Dass er sie mit seiner Frage getroffen hatte? Dass sie sich doch schon früher so verhalten hatte, wenn sie unangenehmen Themen hatte ausweichen wollen… Nein, das waren keine Dinge, auf die Lian in seiner derzeitigen Verfassung kam. Er trug Scheuklappen, die seine Wahrnehmung deutlich einschränkten. Wieder sah er die silbernen Anhänger an ihren Ohren, die Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte. Die Ohrringe… warum trug sie die noch, wenn sie doch jemand anderen kennengelernt hatte? Vielleicht… der Falls senkte die Lider und strich mit der Hand durch sein Gesicht, als er sich von der Du Bellay abwandte. Hör auf, dir irgendwelche Dinge einzureden, Junge ermahnte er sich gedanklich selbst, denn Lian glaubte, dass es besser für ihn war, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Er hatte sich seit ihrer Trennung immer noch an eine Hoffnung geklammert, wie ihm bewusstwurde. Aber diese reine Hoffnung war nicht mehr als ein dünner Faden beim Ertrinken – es reichte einfach nicht aus, um sich daran aus dem Wasser zu ziehen. Er musste sich dringend unter Kontrolle bringen, wenn er diese Quest überstehen wollte und was danach kam… wusste er einfach noch nicht. Der 19-Jährige schützte sich selbst, als er Gin nicht ansah, sondern nur brummte: „Schon gut. War eine dämliche Frage.“ Kurz, schmerzlos, ohne auf irgendwelche weiteren Details einzugehen. Lian hatte gerade nicht die Kraft oder das Selbstbewusstsein, um weiter nachzuhaken und zu erkennen, dass das Lachen der Du Bellay nicht mehr als eine Schutzreaktion gewesen war, um ihn von weiteren Fragen abzuhalten. Dass sie ihn von sich gestoßen hatte, um ihn nicht weiter in Gefahr zu bringen. Und wenn er auch nur zwei Sekunden länger darüber nachgedacht hätte, wäre ihm aufgefallen, dass es genau das gleiche Verhalten war, dass er damals in Stillsnow bei Rin gezeigt hatte, als die Hundedame zu nahe an seinen weichen Kern herangekommen war. Tatsächlich war es ein Verhalten, das sowohl Gin als auch Lian perfektioniert hatten.
Er war erleichtert, als sie das Haus von Oguz erreichten und er damit der quälenden Zweisamkeit mit der Schwarzhaarigen endlich entkommen konnte. Dass die Du Bellay sich kraftlos gegen die Tür fallen ließ und danach gegen die Mauer lehnte, so als könne sie nicht einmal mehr selbst stehen, nahm Lian zwar wahr… aber er wollte es nicht mehr an sich heranlassen, sich nicht noch einmal die Blöße geben. Er biss die Zähne zusammen und sah entschlossen auf die hölzerne Tür, hinter der wenige Augenblicke nach dem Klopfen bereits ein „Scheiße, Mira! Du verdammte…“, ertönte, eindeutig eine Männerstimme. Irgendetwas fiel um, ein dumpfer Aufprall, danach Kindergeschrei, ein Weinen. Und schließlich ein lautes, sehr lautes Klatschen, das man sogar auf der Straße noch hören konnte… und abrupt verstummte das Kinderweinen. Der Falls wurde das Gefühl nicht los, dass er und Gin gerade in einem sehr unpassenden Moment vorbeigekommen waren, aber ändern konnten sie es nicht mehr. Die Tür wurde weit geöffnet und in der Tür stand ein breitschultriger, dunkel gebräunter Mann mit langen Haaren, die in seinem Nacken zu einem Zopf gebunden waren. Das Gesicht wirkte hart, markante Gesichtszüge und einige Falten ließen ihn alt wirken. Er überragte Lian locker um zehn Zentimeter, sodass auch der Illusionsmagier aufblicken musste. Die hellgrünen Augen sahen an dem Mann vorbei ins Innere des Hauses, doch ein Kind konnte der 19-Jährige nicht entdecken. „Oguz?“, begann Lian das Gespräch mit fester Stimme und sah wieder zu dem Älteren. Die Augenbraue des Einheimischen huschte nach oben, als er sowohl Gin als auch den Falls genau unter die Lupe nahm. Am Ende klebte sein Blick auf der rötlichen Mörderaxt, sodass er erst Sekunden später angriffslustig antwortete: „Wer will das wissen? Falls ihr von Camil geschickt wurdet, kann ich euch sagen, dass ihr auch mit Bewaffnung nicht an das Geld herankommen werdet.“ An das… Geld? Camil? Okay, hier lag eindeutig ein Missverständnis vor. Und bevor Gin sich noch irgendwie dazu motiviert fühlte, diesen Typen vom Gegenteil zu überzeugen – einfach, weil es eben Gin war – sprach der Braunhaarige lieber schnell weiter. Er hob die Hände entwaffnend an. „Wir sind nicht wegen Eurem Geld hier. Und auch nicht im Auftrag von irgendeinem Camil. Basri Adib schickt uns, wegen den Dingen, die mit Eurer Tochter geschehen sind. Wir sind Magier.“ Oguz Blick sagte eindeutig, dass er abwog, ob er Lian Glauben schenken sollte oder nicht. Erst mit Verzögerung entspannte sich seine Haltung etwas, wenngleich er weiterhin bewusst von oben auf die Magier herabblickte. Na, sollte er doch. Lian war niemand, der sich von so einem Verhalten provozieren ließ… bei seiner Ex-Freundin war er sich da allerdings nicht sicher. „Farah, meine Älteste. Liegt seit dem Vorfall nur untätig im Bett. Keine Ahnung, ob sie wach ist.“ Mit dem Unterton, mit dem Oguz die Worte aussprach, rechnete der Falls damit, dass der Alte jeden Moment zur Seite ausspucken würde. Er war erleichtert, dass Oguz es nicht tat. „Könnt euer Glück versuchen. Lange sehe ich mir das jedenfalls nicht mehr an“, drohte er und trat einen Schritt zur Seite, um die Magier einzulassen. Was genau Gin und er mit dieser Drohung anfangen sollten, wusste der 19-Jährige zwar nicht, aber es war ihm gerade auch ziemlich egal, wenn er ehrlich war.
Es hatte nicht funktioniert. Natürlich hatte es bei einem Gutmenschen wie Lian nicht funktioniert, ihn wütend zu machen. Stattdessen hatte er auf Gins absichtlich-missverstänlich formulierte Aussage mehr geknickt und resignierend reagiert, hatte sich noch nicht mal dazu geäußert. Das beleidigte die Vampirin fast schon ein bisschen, war sie es in Lians Augen etwa nicht wert, dass er um sie kämpfen würde? Und dann wiederum konnte Gin ihm es auch nicht verübeln. Sie hatte ihn alleine gelassen und nun bohrte sie mit schmutzigen Fingern in der offenen Wunde herum, die sie ihm selbst verpasst hatte. Wen wunderte es da, dass der Falls nicht zu versessen darauf war, ein wenig Kampfgeist zu zeigen. Vielleicht war es ja besser, dass Lian es hinnahm. Er war, ohne jemanden wie Gin in seinem Leben zu haben, vermutlich ohnehin besser dran. Zudem, Gin wüsste gar nicht, wie sie denn reagieren sollte. Hier so plötzlich mit Lian konfrontiert zu werden, das hatte sie ohnehin ein wenig aus der Balance geworfen. Gin hatte damals, als sie Aloe Town verlassen hatte, keine Zukunft mit Lian gesehen. Für etwas derart großartiges war in ihrem Leben kein Platz. Daran hatte sich in den letzten Jahren nichts geändert, ihre Situation wurde der Vampirin nur deutlicher gemacht. Es war ihr nicht gestattet, zu wählen. Sich zu entscheiden. Einen Weg zu gehen, den sie selbst beschreiten wollte. Genau wie der Hammer, der keinen Einfluss darauf hatte, auf was er geschlagen wurde, und das Schwert keine Wahl hatte, wessen Blut es ziehen musste, so war es mit Gins Leben. Deshalb war es vermutlich auch für die Vampirin besser, wenn all diese Hoffnungen und Wünsche, die sie damals in ihrem jugendlich-törichten Leichtsinn in einem unbeschwerten Leben auf den Straßen Aloe Towns geführt hatte, beerdigte. Sie waren mit Gin selbst gestorben.
Das wäre der Vampirin so am liebsten gewesen. Doch über das eigene Herz war Gin gleich in mehrfacher Hinsicht nicht Herrin, so hätte sie es wohl am liebsten gehabt, wenn sie sich einfach von den Gedanken und Gefühlen, die seit dem erneuten Aufeinandertreffen aufköchelten, verabschieden konnte. Zu sehen, wie Lian sich von ihr abwandte, ihren Blick mied und auf offener Straße zu einem kleinen Häufchen Elend mutierte, das ließ selbst Gin nicht kalt. Und sie hasste sich selbst dafür. Kein Wunder also, dass auf die Aussage des Braunhaarigen, seine Frage wäre doch törichter Natur gewesen, ein unangenehm-ehrliches: Nein, war es nicht. folgte. Lian war aufmerksam, hatte ein Auge für Gins Befinden, das freute die Vampirin ein wenig. Und dann wiederum wäre wohl selbst einem blinden Fremden aufgefallen, dass irgendetwas mit Gin gerade ganz und gar nicht stimmte. Am Haus von Oguz angekommen, rang Gin nach Atem. Der Aufenthalt im Wüstendorf war die reinste Tortur für die Vampirin und mehr als sonst sehnte sie sich danach, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Es musste nicht einmal ein Mensch sein, mit dem sie kurzfristig ihren Durst stillen wollte. Gab es hier in Miln Hunde? Katzen? Vögel? Angestrengt blinzelnd versuchte die bleiche Dame sich daran zu erinnern, ob sie irgendwo Kleintier gesehen hatte, doch die einzigen Lebewesen, auf die sie in Miln bisher getroffen war, waren fremdenfeindliche Einwohner und gleichgültige Kamele gewesen. Wie Kamelblut wohl schmeckte? Gierig strich Gin sich mit der Zunge über die brüchigen Lippen. Sie musste nur einen Weg finden, das vor Lian geheim zu halten. Er durfte nicht erfahren was sie mittlerweile war.
...oder?
Oguz Auftritt verdrängte diesen Gedankengang glücklicherweise. Gin hatte schon erwartet, dass der Kerl nicht sonderlich gut auf Fremde zu sprechen war, doch der auftritt des braungebrannten Hühnen übertraf ihre Erwartungen doch noch ein Stück. Offensichtlich hielt der Kerl die beiden Magier für Schuldeneintreiber, was Gin bei Lians Anblick ganz und gar nicht nachvollziehen konnte. Sich noch immer von der Anstrengung erholend überließ Gin ihrem Ex-Freund gerne das Reden - darin war er ohnehin schon immer besser gewesen als sie. Tatsächlich schffte der worgewandte Falls es mit einigen geschickten Sätzen, das Missverständnis aus dem Weg zu schaffen und Oguz davon zu überzeugen, die beiden Magier mit seiner Tochter reden zu lassen. Dass das ganze Lian und Gin der Lösung ihres Auftrages dadurch einen kleinen Schritt näher gekommen waren, war Gin dabei nicht einmal annähernd so wichtig, wie die Tatsache, dass das Gin erlaubte, sich in das schattige Haus des Milners hineinzudrängen. Kaum hatte Oguz also zugesagt, dass Lian und Gin gerne ihr Glück versuchen durften, drückte die Vampirin sich am hochgewachsenen Wüstenbewohner vorbei, lehnte ihnen die Mordaxt gegen die Wand und schnaufte durch. Im abgedunkelten Haus war die Luft kühler, zudem war hier Gin sicher vor den Strahlen der Sonne. Umgekehrt wie zuvor, als Lian und die Vampirin die Spelunke verlassen hatte, fand die Schwarzhaarige binnen weniger Momente zu voller Kraft zurück. Der schnelle, flache Atem normalisierte sich und auch die Haltung der Vampirin fand schnell wieder ihre gewohnt-selbstsichere Körpersprache zurück. Mit dem Ärmel der Lederjacke wischte die Vampirin sich über die schweißbesteckte Stirn, dann öffnete sie den Reißverschluss des Kleidungsstückes und ließ ein wenig Luft an den Körper strömen. Erst dann sah sie sich im Raum um. Ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, wischte gerade - wimmernd und mit wässrigen Augen - den Boden, wo wohl vor kurzem Wasser oder dergleichen verschüttet wurde. Die Einrichtung des Hauses wirkte spärlich, beinahe schon ärmlich. Von einer Frau oder Mutter fehlte jede Spur. Gin gab sich Mühe, sich nicht in die Bewohner dieses schäbigen Häuschens hineinzuversetzen - Mitgefühl war eine Schwäche, die sich die Magierin nicht leisten konnte. Wortlos blickte Gin sich zum Herren des Hauses um, zog die Sonnenbrille von den Augen und blickte Oguz fragend an. Dieser wies in die Richtung eines kleinen Durchganges, in dem ein verblichener Vorhang hing. "Da hinter hängt sie rum.", ließ der Hausbesitzer die Magier wissen und das reichte Gin dann auch an Gespräch mit dem Kerl. Sie nickte ihm zu, kehrte sich von ihm ab und schritt durch den Vorhang.
Zwischen verschlossenen Fensterläden fiel kaum Licht in den kleinen Raum, Gin konnte allerhöchstens grobe Umrisse von Möbelstücken erkennen. Eine Kommode, ein Bett, ein Stuhl, mehr nicht. Doch es war nicht, was Gin sah (oder nicht sah), das die Magierin beschäftigte. Kaum hatte sie das kleine Zimmer betreten, war es, als würde ihr speiübel. Ein ungutes Gefühl schlug ihr entgegen, beinahe als hätten sich Hass, Zorn und Wut zu dunklen Wolken manifestiert, die nun unter der Decke hingen. Gin zögerte einen Moment in der Türschwelle, den Vorhang zur Hälfte aufgeschlagen. Dieses derart abweisende Gefühl, diese dunkle Aura, die war ihr nicht fern. Eine ähnliche Finsternis erfüllte sie, wenn ihr meister sie im Ars Goetia, einem Buch voller schwarzer Magie, lesen ließ. Farah...?, fragte Gin vorsichtig. Ihre Augen waren weit aufgerissen und der Körper stand unter vollster Anspannung, bereit, jeden Moment loszuspringen. Ein unwilliges Stöhnen aus der Richtung, in der die Vampirin das Bett vermutet hatte, antwortete ihr und wurde von dem Rascheln von Stoff gefolgt. Die Schwarzhaarige wandte sich zu Lian um, gab ihm mit einer kleinen Geste bescheid, dass Gefahr im Verzug war (die Zeichensprache war ein Überbleibsel der gemeinsamen Vergangenheit in der Diebesbande in Aloe Town) und wagte sich dann weiter auf die Tochter zu. Ich bin Gin, das ist Lian. Wir wollen dir ein paar Fragen stellen. Farah verbarg sich unter ihrer Bettdecke, erlaubte Gin keinen Blick auf sich zu erhaschen. Mit jedem Schritt, den die Vampirin der Tochter näher kam, verstärkte sich auch das ominös-bedrückende Gefühl, das die Dämonenbeschwörerin verspürte. Als sie am Bett angekommen war, war es beinahe erdrückend. Doch schien es nicht von dem Mädchen, das sich weiter unwillig unter der Decke verbarg zu kommen sondern... von neben ihr? Gins Hand glitt langsam nach vorne, in Richtung eines kleinen Hockers, der wohl als Nachttisch fungierte. Dort war es am schlimmsten. Eine Haarspange lag dort, die ein wenig fehl am Platz wirkte. Sie bestand aus Silber und passte so definitiv nicht in das ärmliche Haus Oguz'. Bevor Gin die Spange zu fassen bekam schnellte Farahs Hand unter der Decke hervor und griff nach dem Handgelenk der Vampirin, presste mit der Kraft eines Schraubstockes zu. "NEEEEEEEEINNNN, IIIIIIEEEEEEEHHH!!", kreischte Farah aus, die nun, wie von der Hummel gestochen, unter der Decke hervorkam und sich richtig auf Gin stürzte. Das Mädchen klammerte sich wie ein Affe an Gins Arm, kreischte und tobte. Sie biss sogar in den Oberarm der Vampirin, die sich der Ironie dieser Situation schmerzlich bewusst war. AAAH GOTT-VERDAMMTE SCHEISSE!!, fluchte die Angeknabberte und versuchte, mit ihrer freien Hand sich von dem klammernden Kind zu befreien. Hoffentlich hielt Lian ihr den Rücken frei, denn das Geschrei seiner Tochter ließ Oguz mit schweren, schnellen Schritten anrücken. "Farah, scheiße!!"
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Lian Thief in Distress
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Gin war die Erste, die sich an dem stämmigen Oguz vorbeidrängte und in das Innere des Hauses eintrat. Lian folgte mit Verzögerung, nachdem er noch einen kurzen Seitenblick auf den Hausherren geworfen hatte. Einerseits traute er diesem Oguz kein Stück und die kurze Szenerie, die der Falls und seine Ex-Freundin hatten hören und erleben können, reichte aus, um zu wissen, dass dieser Mann sicherlich niemand war, mit dem man zwingend seine Freizeit verbringen wollte. Dennoch war der Illusionsmagier froh darüber, hier zu sein, denn es machte die Aufgabe der Quest präsenter und verdrängte zumindest für den Moment all die Probleme, die er durch das plötzliche Auftauchen eines sehr wichtigen Teiles seiner Vergangenheit hatte. Er konnte sich von den Dingen, die Gin ihm scheinbar offenbart hatte, ablenken und zumindest so tun, als wäre das hier nicht mehr als ein normaler Auftrag, den es zu erfüllen galt. Die hellgrünen Augen gewöhnten sich allmählich an das dämmrige Licht in der spärlich eingerichteten Stube und die kühle Luft, die sie im Inneren des Sandsteingebäudes erwartete. So wie es für den 19-Jährigen üblich war, sah er sich recht schnell um und verschaffte sich einen Überblick – das Mobiliar wirkte ärmlich, die Einrichtung abgenutzt. Und auch das junge Mädchen, das mit nassen Augen am Boden kauerte und wischte, erhielt zumindest für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Falls. Vermutlich war sie es, die den Schlag von Oguz abbekommen hatte und Lian konnte sich nur grob vorstellen, was genau geschehen war, aber es reichte aus, um ein gewisses Mitleid mit dem Mädchen zu empfinden. Anders als Gin unterdrückte der Braunhaarige sein Mitleid nicht – das konnte er auch gar nicht. Dennoch wandte er sich von dem Mädchen ab, denn er wusste (oder war zumindest überzeugt davon), nichts an dem Leben dieses Mädchens ändern zu können. Im Endeffekt war das gesamte Leben für den Braunhaarigen leicht erklärbar: Man hatte Pech mit dem Leben, in das man hineingeboren wurde oder eben Glück. Und egal, auf welche Seite man geboren wurde, viel daran ändern konnte man nicht, weshalb Lian es für sich trotz des Mitleids, das er empfand, einfach akzeptieren konnte. Dieser fatalen Einstellung war es auch geschuldet, dass der Falls bisher noch nie in seinem Leben wirklich für etwas gekämpft hatte. Er sah wieder zu der Du Bellay, die ihre Stangenwaffe abgelegt hatte und diese an eine der Wände des Hauses lehnte. Die Frau war wie ausgewechselt! Plötzlich stand Gin wieder gerade, atmete kräftig durch und öffnete sogar die ledernde Jacke, um Luft an ihre helle Haut zu lassen. Die Schweißperlen waren verschwunden, die angespannte Gesichtsmuskulatur gelockert. Er erinnerte sich daran, was sie gesagt hatte: Die Sonne würde ihr zu schaffen machen. Die Sonne… Lian war bis eben davon ausgegangen, dass seine Ex-Freundin ihn angelogen und es nur gesagt hatte, um ihn von weiteren Fragen abzuhalten. Aber jetzt, wenn er ihr Verhalten vom Gasthaus und hier mit dem Weg zum Haus verglich, machte es vielleicht sogar Sinn? Aber der Falls kannte absolut niemanden, der so extrem auf die Sonne reagierte, ganz gleich, dass sie sich in der Wüste befanden. Hinzu kam, dass der Falls wusste, wie Gin früher in Aloe Town gewesen war, sie hatte ihn locker bei jedem Sprint abhängen können – selbst in der Mittagshitze. Die Puzzleteile setzten sich zumindest ein klein wenig zusammen, doch es war nicht der Moment, um das Thema zu vertiefen. Denn Gin schritt voran, um Farah einen Besuch abzustatten.
Stumm folgte der junge Mann der Schwarzhaarigen, hielt jedoch überrascht inne, als Gin in der Türschwelle zu der kleinen, abgedunkelten Kammer stehenblieb. Er war noch nicht nahe genug herangetreten, um etwas zu sehen und auch spüren tat er noch nichts – jedoch reagierte er sofort auf das Zeichen, das ihm die Du Bellay gab. Ein Zeichen, das er lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, das dadurch aber in keiner Weise an Wirkung verloren hatte: Gefahr. Natürlich fragte Lian sich sofort, welche Gefahr genau gemeint war, aber wenn er eines in seiner gemeinsamen Vergangenheit mit Gin gelernt hatte, dann war es, dieses Zeichen in dem Moment, wo es gezeigt wurde, nicht zu hinterfragen, sondern nur entsprechend zu reagieren. Er nickte und überließ der Schwarzhaarigen die Führung, als diese weiter in den Raum hineintrat und begann, mit Farah zu sprechen. Langsam und vorsichtig folgte der 19-Jährige und stutzte, als er merkte, dass irgendetwas in dieser Kammer ihm das Atmen erschwerte. Seine Nackenhaare stellten sich auf und sein Körper signalisierte ihm, dass er die Flucht ergreifen sollte. Aber die Flucht wovor? Was genau war hier los? Anders als Gin war dieses beklemmende Gefühl keine Sache, die Lian kannte. Die einzige Berührung, die er mit wirklich dunkler Magie gehabt hatte (die Illusionsmagie zählte er dazu mal nicht), war die Finsternismagie von Charon gewesen. Und diese hatte sich auch aus nächster Nähe nicht so angefühlt wie die Präsenz, die über diesem Raum herrschte. Schnell huschten die hellgrünen Seelenspiegel von der linken zur rechten Seite des Raumes, scannten die Umgebung förmlich ab, um herauszufinden, ob sich noch jemand hier befand.
Bevor das schrille Kreischen von Farah die komplette Aufmerksamkeit auf sich zog.
Lian hielt abrupt den Atem an, riss instinktiv die Arme hoch und erstarrte, als er sah, wie ein Mädchen sich an den Arm von Gin klammerte, tobte und dann die spitzen Zähne erbarmungslos in den Oberarm der Schwarzhaarigen schlug. Was zum Henker?! Was ging denn jetzt bitte ab?! Die abstruse Situation drohte völlig außer Kontrolle zu geraten, als nicht nur das laute Fluchen von Gin ertönte, sondern sich auch noch der genauso originäre Fluch die Hausherren dazugesellte. Sollte er auch nochmal Scheiße rufen? So für die Vollständigkeit? Lian schüttelte innerlich den Kopf, um die Gedanken zu klären. „Wartet!“, befahl er instinktiv und riss den rechten Arm vor Oguz, um diesen am Nähertreten zu hindern. Die Stimme des Falls klang fest und entschlossen, deutlich entschlossener, als der Illusionsmagier sonst auftrat. Naja, das lag nicht zuletzt an dem Adrenalin, das gerade durch seinen Körper pumpte, aber ganz gleich, woher es kam, es verfehlte seine Wirkung nicht: Der ältere Mann blieb tatsächlich stehen und sah verwundert auf Lian herab, der die Zähne zusammenbiss und die noch freie, linke Hand in die Richtung des tobenden Frauengespanns hielt. Ohne lange nachzudenken, leitete er sein Mana in Farah, mit der Absicht, seinen Zauber Peace zu wirken. Doch kaum war die Verbindung zwischen ihm und dem Mädchen hergestellt, zuckten die Finger der ausgestreckten Hand sichtlich, die eben noch schmalen Augen weiteten sich. Diese… Schwärze. Was war das? So etwas hatte der Falls noch nie erlebt. Die Tücke an seinen Gefühlsmanipulationen war es, dass er nicht nur eine Verbindung zu seinen Opfern herstellen, sondern sich auch in gewissem Rahmen mit deren Gefühlen auseinandersetzen musste, um sie dann in die von ihm gewollte Richtung umzulenken. Natürlich hatte Lian in seinen Übungen bereits mit Wut und Ärger zu tun gehabt, aber nicht in dieser Intensität. Farah war umgeben von einer dichten, schwarzen Aura voller Angst, Verzweiflung, Wut und vor allen Dingen Hass. Der Falls spürte, wie die schwarze Wand sich zu einer Flutwelle aufbaute, die sich ihm entgegenstellte, die ihn drohte, einfach wegzuschwemmen. Und wie sein eigener, angeschlagener Geist für einen kurzen Augenblick überlegte, sich dieser Flutwelle an negativen Gefühlen einfach hinzugeben. „Was ist mit ihr?!“ Die entsetzte Stimme von Oguz brachte Lian im letzten Augenblick zur Besinnung. Er atmete wieder ein, ließ weiteres Mana aus sich herausströmen, um die dunkle Aura zurückzudrängen. Der Falls spürte, wie die negativen Emotionen langsam zurückgedrängt wurden und zeitgleich ebbte auch das Kreischen und Toben von Farah ab. Zuerst wandte sich das Mädchen noch, dann hielt sie inne, löste animalisch knurrend endlich die Zähne von Gins Oberarm, trat sogar einen Schritt zurück… und in dem Moment, als Lian die letzten Reste der schwarzen Aura um Farah verdrängt hatte, kippte das Mädchen plötzlich nach hinten und blieb mit ausdruckslosem Blick auf dem Hosenboden sitzen. Und der Illusionsmagier? Der atmete schwer, senkte erst Sekunden später zaghaft die Hand, die Oguz zurückgehalten, dann die Hand, mit der er den Zauber kanalisiert hatte. Lian war noch immer entsetzt darüber, was für eine Wand an negativen Emotionen er in Farah gespürt hatte. Mindestens genauso entsetzt war er allerdings auch über die Erkenntnis, dass er kurz davor gewesen war, diese Emotionen auch selbst anzunehmen. Das Entsetzen war noch immer in den hellgrünen Augen zu sehen, als der Falls zu Gin blickte. Er wusste, dass sie es war, die ihn in diesen instabilen Zustand getrieben hatte. Und trotzdem musste er fragen: „Wie geht’s deinem Arm?“
Das Gewicht des jungen Mädchens am Arm riss Gin schon bald nach unten auf die Knie. Ziehend und drückend versuchte die Vampirin, Farah von sich abzuschütteln, doch so wirklich verletzten wollte sie das kleine, durchgedrehte Ding nicht. Noch nicht. Stattdessen wandte Gin sich zu Lian um, der in der Türe stand. Mach was, verdammt!, keifte sie den Falls an, bevor sie merkte, dass er schon dabei war, etwas zu tun. Mit einer Hand hielt er den Vater zurück, die andere war in Richtung Farahs und Gins ausgestreckt. Zwar kannte Gin Lians Magie nicht, doch wenn er nicht unter die Mimen gegangen war, dann schien er wohl gerade irgendetwas zu zaubern. Und tatsächlich lockerte der Griff Farahs um den Arm der Vampirin langsam, auch die Zähne des Mädchens ließen von der Untoten ab. Mit einem beherzten Schubser entledigte die Blauäugige sich des kleinen Mädchens, das kraftlos auf dem Boden zusammensackte. Schwer schnaufend richtete Gin sich auf und lief an der Tochter vorbei und griff nach der Haarspange. Sofort spürte sie wieder dieses dunkle Drücken auf ihre Seele, das von dem kleinen Schmuckstück ausging. Ein finsterer Gesichtsausdruck legte sich auf das Konterfei der Vampirin, ihr Blick wurde hart und noch kälter, als das bei dem Neonblau ohnehin möglich gewesen war. Zwischen zusammengekniffenen Zähnen presste sie eine Frage heraus: Die Spange. Wo ist sie her? Den finsteren Einfluss der Spange konnte Gin mit jedem Moment deutlicher spüren. Derart Dinge brachten das schlechteste in Menschen hervor, ließ ihre Schattenseiten sehr viel deutlicher hervortreten. Die Vampirin hatte ab und zu mit derartigen Dingen zu tun, weshalb sie der Beeinflussung ein klein wenig standhalten konnte, dennoch konnte sie sehr genau erkennen, wie sich ihr Gemüt langsam verfinsterte. Für den Biss hätte sie Farah am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Dass Oguz nicht auf seine Tochter geachtet hatte, hätte Gin dem Hünen am liebsten pfeffrig vorgeworfen. Und Lian... Was Gin gerne mit Lian angestellt hätte, das konnte sie selbst sich nicht wirklich eingestehen. Beinahe schon mordlüstern blickte sie dem Falls in die Augen, ließ ihren Blick dann weiter hinabsinken, seinen Körper hianbwandern. Gierig biss sie sich auf die Unterlippe, entblößte damit ihre spitzen Fangzähne, und funkelte Lian düster an.
Gin spürte, wie sie die Kontrolle über sich verlor.
Ohne eine Antwort auf ihre Frage abzuwarten drückte die Magierin sich unsanft zwischen den beiden Männern hindurch, pfefferte die Spange im Hauptraum des Hauses auf den Boden, griff nach der ollen Josy und ließ ihr Mana in die Mordaxt fließen. Der blutrote Lacrima-Kristall, der in das Axtblatt gearbeitet war, began zu leuchten und ein wirrer Sog aus manifestiertem Mana umspielte die Klinge. Sie zog eine rot leuchtende Spur hinter sich, als Gin die Axt auf die Spange niederfahren ließ. Termine!, rief sie aus, um ihre Magie zu kanalisieren. Das Schmuckstück splitterte in drei Teile, eine dunkle Aura stieg aus den Trümmern in die Luft, die jedoch vom karmesinroten Wirbel um die Mordaxt erfasst und zersträubt wurde. Sofort spürte die Vampirin, wie die schwarze Schwere von ihrer Seele wich (falls sie überhaupt noch so etwas wie eine Seele hatte). Erleichtert legte sie den Kopf in den Nacken, wandte sich dann zu Oguz, Lian und Farah um. Also? Oguz fand als erstes seine Stimme wieder. "Weiß nicht, von mir hat sie das Ding nicht. Farah?" Doch Farah regte sich noch immer nicht. Der ganze Vorfall schien die junge Dame sehr aufgerüttelt und mitgenommen zu haben. Nun etwas anständiges aus ihr herauszubringen würde eine Menge Fingerspitzengefühl benötigen. KLAAATSCH Oguz hatte sich stattdessen für Handflächengefühl entschieden und seiner Tochter eine Ohrfeige verpasst, die durch das kleine Häuslein hallte. Wimmern folgte. "Wo hast du das Scheißding her Farah? Ich schwör, ich hau dich windelweich" Der Vater hatte seine Tochter am Hals gepackt und schüttelte sie kräftig durch. Die Schwester, die im Nebenraum den Boden gewischt hatte, versteckte sich hinter einem Tischbein. Ein erneutes Klatschen, als die Handfläche des Vaters die andere Wange seiner Tochter traf. Unter all dem Rütteln und Schütteln rutschte das Flickenkleid der jungen Farah über ihre Schultern. Anstatt Worte brachte sie nur Tränen hervor. Erneut holte der Vater aus, doch Gin entschied, dass ein Mädchen zu schlagen kein gutes Ding war, also musste es auch nicht dreimal passieren. Die Vampirin trat einen Schritt nach vorne, drehte so ihren Torso, nutzte die Rotation um die Mordaxt in Bewegung zu setzen. Mit einem dumpfen Krachen traf Axtkopf auf Kopf. Gin hatte die breite, flache Seite der ollen Josy gegen die Schläfe des erzürnten Vaters gezimmert und der Hieb schleuderte den Kerl von den Beinen. Sieht so aus, als würde ich ein wenig Unruhe stiften..., ließ sie Lian wissen während sie die Stangenwaffe wieder über die Schulter schwang. Dann blickte sie zu Farah. Husch! Das ließ die Tochter sich nicht zweimal sagen. Sie rannte aus dem Haus, griff dabei nach ihrer Schwester und nahm sie mit. Langsam richtete sich Oguz wieder auf, doch Gin war bereits auf dem Weg zu ihm. Den Stoßdorn am Schaft ihrer Waffe wie einen Speer vor sich herantreibend stieß sie die olle Josy nach vorne und hielt kurz vor dem Hals des Mannes inne. Mit raubtierhaft gebleckten Zähnen funkelte Gin ihn boßartig an. Kannst ruhig dein Glück versuchen. Mimte sie die Worte, die Oguz zuvor and Lian und Gin gerichtet hatte. Lange wollte ich mir das jedenfalls nicht mehr ansehen. Oguz erwiderte einen Blick, der mindestens genauso giftig war wie ein Taipan. Entweder die Tatsache, dass Gin seinem Blick ohne mit den hübschen Wimpern zu zucken standhielt oder eben doch die stählerne Spitze vor seinem Hals nahmen Oguz dann den Wind aus den Segeln. "Verschwindet. Aus. Meinem. Haus." Dem kam Gin gerne nach, auch wenn es bedeutete, dass sie sich wieder der Nachmittagssonne aussetzen musste. Ruckartig ließ sie von Oguz ab und machte sich auf den Weg nach draußen, packte dabei Lian an der Handfläche und zog ihn mit sich mit. Danke für die Kooperation., spie Gin noch in Oguz Richtung, dann schritt sie über die Schwelle.
Sofort bereute sie es. Die Vampirin kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und wo sie zuvor noch Lian gepackt und mit sich gezogen hatte, nutzte sie seinen Arm nun beinahe schon als Stütze. So schlimm ihr die Sonne wieder zusetzte, zang Gin sich dieses Mal durch. Sie wollte wenigstens im Weggehen einen starken Eindruck hinterlassen, für denn Fall das der Rabenvater ihr hinterhersah. Erst als die beiden Magier um die nächste Häuserecke verschwunden waren, zurrte Gin den Reißverschluss ihrer Jacke nach oben, fischte dann mit zitternden Händen nach der Sonnenbrille in der Jackentasche und schob sie sich auf die Nase. Erschöpft blickte sie zu Lian. Ihr Arm? Oh, ja. Die freie linke Hand der Vampirin griff an den rechten Oberarm. Es tat weh, als drücke man auf einen Bluterguss. Das feste, schwarze Leder ihrer Jacke hatte die Vampirin wohl vor schlimmerem bewahrt und die Zahnabdrücke, die sich nun im Leder befanden, sahen auch irgendwie cool und wild aus. Passte zu Gins Stil. Nicht der Rede wert., antwortete sie auf die Frage des Falls und log damit ausnahmsweise noch nicht einmal. Diese Haarspange, die war... von etwas Bösem besessen. Ich hab's gespürt., erklärte Gin. Sie wusste nicht, wie viel der Falls mitbekommen hatte. Irgendwo muss Farah das Ding her haben. Lass uns ein wenig über den Markt bummeln., sprach sie und ließ bei der Vorstellung über offene Plätze zu wandern, jeglichen Elan missen. Vielleicht finden wir ja etwas Verdächtiges. Oder andere Gegenstände mit so eine Aura. Überrascht stellte Gin fest, wie wenig sie sich für diese Art an Shopping Tour begeisterte. Sie war gerade schon dabei, loszugehen, da fiel ihr noch etwas ein. Ach, Lian... Gin zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, auch wenn es ihr einige Kraft abverlangte. Danke.
Auch nachdem Farah sich beruhigt hatte, war die unheilvolle Aura im Raum nicht verschwunden. Noch immer meldete sich das Unterbewusstsein von Lian und machte ihm klar, dass er von hier verschwinden sollte – dass er nicht herausfinden wollte, was genau es war, das in diesem Raum für diese bedrückende Stimmung verantwortlich war. Anstatt auf seine Frage zu antworten, hastete Gin sofort los und erst verspätet erkannte der Illusionsmagier den silbernen Haarschmuck, den die Schwarzhaarige fest umklammert hielt. Je näher Gin herantrat, desto stärker wurde das unsichtbare Gewicht, das auf den Schultern von Lian lastete. Die Spange? Konnte wirklich die Spange Auslöser für diese merkwürdigen Ereignisse gewesen sein? Plötzlich lief dem 19-Jährigen ein eiskalter Schauer über den Rücken und als die hellgrünen Augen aufsahen, erkannte er auch, warum: Gin starrte ihn in einer Intensität an, die seinesgleichen suchte. Und es war eine ganz merkwürdige Mischung aus Angst und Neugier, die sich bei diesem Blick in die Gefühlswelt des Falls schlich. Erst die spitzen Eckzähne, die hinter den Lippen der Du Bellay zum Vorschein kamen, ließen Lian wieder klarer denken. Ehe er etwas sagen konnte, drängte sich die Schwarzhaarige an ihm und Oguz vorbei, pfefferte die Spange im Wohnraum auf den Boden und zeigte beeindruckend, dass ihre Mordaxt nicht nur als Dekoration gedacht war. Mit einer fließenden Bewegung ließ Gin die gigantische Waffe durch die Luft sausen, rötliches Leuchten verbildlichte den Weg, den der Kopf der Waffe zurückgelegt hatte, bevor diese auf den silbernen Schmuck niederschlug. Die Spange zerbarst unter dem Gewicht der Axt in seine Einzelteile und nur für einen kurzen Augenblick konnte auch Lian die dunkle Aura mit eigenen Augen sehen – nicht nur körperlich spüren – die vom Haarschmuck ausgegangen war. Doch so schnell, wie der dunkle Nebel erschienen war, so schnell war er auch wieder verschwunden. Das Atmen fiel dem Falls sogleich deutlich leichter.
Oguz fackelte nicht lange und packte seine älteste Tochter am Kragen, schüttelte sie und ließ seinen Handrücken klatschend gegen ihre rechte Wange knallen. Lian bezweifelte, dass er so an die Informationen herankommen würde, die sie benötigten: Er hatte gesehen, oder zumindest gespürt, mit welch extremer Gefühlslage Farah bis eben noch zu kämpfen gehabt hatte. Der Falls hatte diese verdichtete Masse an Emotionen mit einem Schlag verschwinden lassen, sodass die Leere, die Farah nun spürte, allumfassend sein musste. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen, dass sie keine Worte fand, dass ihr Geist noch nicht in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Ein zweites Mal schlug Oguz zu und schüttelte Farah so wild, dass ihr dreckiges Kleid von ihren Schultern rutschte. Und Lian? Trat er dazwischen? Setzte er sich für das Mädchen ein? Er… biss sich auf die Unterlippe und sah weg, just in dem Augenblick, als Gin ihre Waffe nahm und das Metall gegen den Kopf des Vaters knallen ließ. Sofort wandte der Falls den Blick wieder auf das Geschehen, hörte die trockenen Worte der Du Bellay und kam nicht umhin, seinen Mund einen Spalt breit sprachlos zu öffnen. Ein wenig Unruhe? Das war wohl ein wenig mehr als ein wenig Unruhe. „Unauffällige Auftritte waren noch nie deine Stärke…“, warf er ihr leise vor, bevor Oguz wieder auf die Beine gekommen war. Farah nutzte die Gelegenheit, packte ihre kleine Schwester und floh aus dem Haus – immerhin soweit waren die Lebensgeister in das Mädchen zurückgekehrt. Bevor Oguz zum Gegenschlag ausholen konnte, reagierte Gin sofort wieder und hielt dem Älteren die Spitze ihrer Klingenwaffe bedrohlich an die Kehle. Lian sah die Chancen, dieses Haus ohne Blutvergießen zu verlassen, zunehmend schwinden und seine Gedanken überschlugen sich nach Möglichkeiten, einigermaßen geschickt von hier zu entkommen. Dass Oguz sich genügend einschüchtern ließ, sodass er es bei einem erbosten Rausschmiss aus seinem Haus beließ, war ins Lians Augen absolutes Glück im Unglück. Und so ließ er sich auch widerstandslos von Gin mitziehen, als diese mit ihm im Schlepptau über die Türschwelle nach draußen drang.
Kaum waren sie wieder in der Sonne, spürte der Lockenkopf, wie die Kräfte zwischen ihnen sich neu verteilten. War es eben noch Gin gewesen, die ihn zog, fühlte es sich jetzt mehr so an, als würde er ihr den notwendigen Halt geben. Lian kannte die Schwarzhaarige, sodass er sofort wusste, dass sie sich nur keine Blöße geben wollte, indem sie stoisch weiterging und zumindest nach außen hin den Anschein erweckte, als würde sie noch genauso kräftig wie zuvor sein. Entsprechend wenig verwundert war der Falls daher, als Gin sich erst, als sie aus dem möglichen Blickfeld von Oguz verschwunden waren, die Zeit nahm, um durchzuatmen. Und jetzt, wo sie sich von ihm löste und mit zitternden Fingern nach ihrer Sonnenbrille fischte, fiel Lian erst ein Detail auf: Dort, wo sie ihn berührt hatte, fühlte es sich nicht warm an… sondern angenehm kühl. Irritiert sah der junge Mann auf seine eigene Handfläche, nicht sicher, ob seine Sinne ihm einen Streich spielten. Und doch kribbelte es noch immer und die Wärme der Wüstensonne kroch nach und nach zurück in seine Haut. Er bildete sich das nicht nur ein, Gins Haut war wirklich kalt. Natürlich hörte er den Erklärungen der Schwarzhaarigen mit einem Ohr zu, aber die Erkenntnisse, die er bisher über die Du Bellay gesammelt hatte und die unbeantworteten Fragen ließen den Falls einfach nicht los. Er fuhr sich in einer fahrigen Bewegung mit der Hand durchs Haar, als er gedankenverloren antwortete: „Ich hab’s auch gespürt. Also die dunkle Aura um Farah. Sie war… erdrückend.“ Allein die Erinnerung versetzte den Körper von Lian wieder in Alarmbereitschaft. Die Spange war von etwas besessen? Was ließ Gin da so sicher sein? Besessen… als würden sie irgendwelche Dämonen austreiben. Gin wandte sich bereits zum Gehen, als sie noch einmal stehenblieb, sich zu ihm umwandte und … ihn anlächelte? Es war eine kleine Geste, zusammen mit dem Dank, aber es war absolut nichts, das der Falls erwartet hatte. Ihr Lächeln schien ehrlich, ohne irgendwelche Hintergedanken. Es war Lian wirklich zu viel.
„Gin, ich habe keine Ahnung, was mit dir los ist“, begann er seine Antwort nach einem kurzen Moment, in dem er in sein eigenes Spiegelbild in ihren blutroten Brillengläsern geschaut hatte. Lian hatte sich lange, sehr lange zurückgehalten. Aber jetzt ging es einfach nicht mehr. „Und ich weiß auch nicht, ob du es mir erzählen wirst. Aber dass irgendetwas mit dir geschehen ist, würde selbst ein Blinder erkennen.“ Erneut sah er auf seine Handfläche herab, die eben noch in ihrer Hand gelegen hatte – ein wenig so, wie er es von früher kannte. Aber das Gefühl, das sie in seiner Hand hinterlassen hatte, war nicht zu vergleichen mit damals. Die Wärme fehlte – nicht nur in einer Hinsicht. „Keine Frage, du bist die Gin, die ich kenne. Aber was hat es mit deiner Schwäche in der Sonne auf sich? Was ist mit deinen Augen? Warum fühlt sich deine Hand kalt an? Und was war das für ein Blick, den du mir vorhin bei Oguz zugeworfen hast?“ Ganz zu schweigen von den Zähnen, die hervorgeblitzt waren. Auch wenn Lian nicht durch das getönte Glas der Sonnenbrille hindurchblicken konnte, so hielt er den Blick dennoch aufrecht. Denn er wusste, dass zumindest sie umgekehrt in seine Augen blicken und daraus viel erkennen konnte: Sein aufrichtiges Interesse, vielleicht seine Sorge, aber auch die Überzeugung, in gewisser Weise Antworten verlangen zu können. Nach ein, zwei Sekunden seufzte Lian stumm und schloss für einen Augenblick die Augen. „Und du bist wirklich die Einzige, die ich kenne, die ein Problem mit Sonne hat und trotzdem in diesem Outfit mitten in die Wüste reist“, erklärte er trocken, hob die Lider wieder an und deutete mit dem Kinn auf die ledernde Jacke, die Stiefel, aber insbesondere auf die vielen Stellen ihrer Haut, die einfach freilagen. Der Falls trug noch immer das dünne Wüstencape mit der großen Kapuze, mit dem er angereist war. Diesen zog er sich nun in einer Bewegung über den Kopf, sodass er nur noch in weiter Hose und lockerem, gelben Shirt vor der Schwarzhaarigen stand. Das Cape hielt er Gin mit ernstem Gesichtsausdruck entgegen. Wahrscheinlich würde das gehörig gegen den Stolz der Du Bellay gehen, aber das war dem Illusionsmagier gerade herzlich egal. „Nimm ihn einfach, okay? Ich glaube, du brauchst das Ding gerade dringender als ich.“
Gin schloss die Augen und atmete einmal tief durch - auch wenn die heiße Luft ihr in den Lungen brannte wie Wasser beim Ertrinken. Die Vampirin hatte seit ihrem Tod und dem Begin ihres Unlebens kein Geheimnis daraus gemacht was sie war. Jedem, der fragte, hatte sie die Wahrheit offenbart und ihre doch eher unüblichen äußerlichen Merkmale verbarg die Untote in der Regel auch nicht (die Sonnenbrille war eine erwähnenswerte Ausnahme und sie diente ja eher dem Zwecke, die Augen Gins zu schützen, nicht zu verstecken). Doch bei Lian würde dieses Gespräch schwieriger werden, denn Gin wusste, dass ihr Ex-Freund sich nicht damit zufrieden geben würde, zu erfahren, was Gin war. Er würde auch wissen wollen, warum und wie sie es geworden war. Ich bin.... nicht mehr die Gin, die du kennst, Lian., war alles, was sie für den Moment mit zitternder Stimme auf Lians Fragen antworten konnte, doch ein Nicht hier... versprach dem Bogenschützen die Aufklärung seiner Fragen im Tausch für noch ein wenig Geduld. Gin senkte den Kopf, schob sich die Brille ein klein weniger nach vorne und offenbarte Lian so kurzzeitig ihre Augen. In ihnen konnte der Braunhaarige sicher lesen, das Gin sich nicht um Antworten drücken wollte. Als der Falls Gin seinen Poncho anbot, musste die Vampirin kichern. Das war ja sowas von typisch Lian. Sicher hätte er noch sein letztes Hemd gegeben, wenn es die Situation verlangt hätte. Langsam hob sie den Arm, streckte ihre Finger in Richtung des dargebotenen Capes aus, nur um sie kurz auf die Hand Lians zu legen, die den braunen Mantel festhielt. Als könne mir die Sonne vorschreiben, was ich anzuziehen habe. Gin bestand auf ihren Style und mit einem frechen Grinsen ließ sie Lian das auch wissen. Ein wenig kraftlos und doch bestimmend schob sie die Hand des Falls mitsamt des Capes von sich weg, wunderte sich aber im gleichen Zug noch darüber, ob das Kleidungsstück wohl nach Lian gerochen hätte. Sie konnte sich an den Duft von Lians Haaren und seiner Haut nicht mehr erinnern, das ein wenig aufzufrischen hätte sicher gut getan. Lass uns erstmal kurz in die Kneipe zurück gehen., schlug Gin Lian vor und wiedersprach so dem Plan von eben noch, die Marktstände aufzusuchen. Vieles, was der Falls gesagt hatte, hatte Gins Prioritäten ein wenig umgeworfen.
✞
Als Gin mit Lian im Schlepptau in der Spelunke auftauchte, war es dort noch genauso tot wie vor wenigen Minuten, als die beiden die Lokalität verlassen hatten. Von Basri Adib und seinem Handlanger fehlte jegliche Spur, nur drei, vier Gäste blickten wortkarg in die eigenen Becher. Wie schon zuvor hatte Gin sich Lian am Handgelenk geschnappt. Den Falls hinter sich her durch die Gegend zu schleifen bereitete Gin noch immer ein unheimliches Vergnügen, auch wenn sie sich dessen Natur nicht ganz erklären konnte. Anstatt sich an einen der Tische zu setzen oder die Bar aufzusuchen, schritt die Vampirin schnurstracks (und mit Lian im Schlepptau) in das Zimmer, in dem sie den Vormittag über geschlafen hatte. Hinter den beiden Magiern schloss Gin die Türe und lehnte sich mit dem Hintern dagegen. Ich hab dich schon wieder angelogen., eröffnete die Vampirin dem Falls. Das war irgendwie so ein wiederaufkommendes Thema zwischen den beiden. Gin hielt inne und lauschte, doch durch die Türe drang kein Laut aus der Schenke zu ihr hinein, andersrum würde es hoffentlich genauso sein. Sich auf einmal in trauter Zweisamkeit mit Lian zu befinden, das machte Gin nichts aus. Sie war es von damals gewohnt. Nicht nur um ihren heißgelaufenen Körper ein wenig abzukühlen öffnete Gin die Lederjacke und streifte sie sich von den Schultern. Mit einem Ruck ließ sie das Ding auf den Boden hinter sich rutschen. Ich habe keinen Mann kennen gelernt, nachdem ich Aloe Town verlassen habe. Ich kannte ihn schon länger. Er hat mich damals gekauft, als meine Familie mich weggegeben hat. Langsam nahm Gin die Sonnenbrille ab. Im Halbdunkel des Raumes schienen ihre Augen eiskalt zu glühen. Er ist ein schrecklicher, schrecklicher Mann, und ich muss schreckliche Dinge für ihn tun. Gin vermied es, ihre Hände anzusehen. Stattdessen verschränkte sie sie kurz hinter dem eigenen Rücken. In Aloe hab ich mich vor ihm versteckt. Als er mich dort aufgefunden hatte, musste ich fliehen. Ehrlich gesagt fiel Gin ein Stein vom Herzen, halbwegs offen mit Lian reden zu können. Anfangs hatte sie nicht an sich heranlassen wollen, was zwischen den beiden war, doch mit jeder Minute, die sie zusammen mit dem Braunhaarigen verbracht hatte, war ihr mehr und mehr aufgefallen, wie weh es ihr tat, ihn derart zu verletzen. Gin konnte zwar kalt und gnadenlos sein, das hatte sie gelernt, doch sie wollte es nicht grundlos sein. Und Lian hatte er nie einen Grund gegeben, ihn zu verletzen. Sie mochte ihn noch immer, deshalb trug sie auch noch immer die Sichelmond-Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte. Mein Meister ist kein Mann, dem man sich stellt, er ist stark und schlau und einflussreich... und... Gin zögerte, rang nach den Worten und fixierte Lian. Es war besser, es ihm zu zeigen. Sie griff sich ans Tube Top und zog es über den Kopf. Neben einem schlichten, schwarzen BH enthüllte Gin eine Narbe, die, beinahe Tellergroß, zwischen ihren Brüsten began und dann weiter zum Sternum verlief. ...und er hat mir das Herz aus der Brust gerissen. Gin ließ Lian einen kurzen Moment verarbeiten, was er sah und was sie ihm sagte. Sie selbst spürte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Zögerlich presste sie die Lippen zusammen und atmete kurz tief durch die Nase ein, bevor sie weiter erzählte. Ich bin gestorben, Lian. Das ist mit mir passiert. Aber das war, offensichtlich, nicht das Ende. Gin kam Lian nun nahe. Sehr nahe. So nahe, dass sie den Schein ihrer eigenen Augen in den seinen reflektiert sah. So nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer kalten Haut spüren konnte. So nahe, dass sie hören konnte, wie ihm rauschend das Blut durch Adern und Venen kreiste. Sie schluckte bitter. Er hat mich zurückgeholt. Hat mich zu dem Ding gemacht, das ich jetzt bin. Nicht einmal mein eigener Tod ist mir vergönnt. Auch wenn Gin sich anfangs noch Mühe gegeben hatte, Lian all das sachlich zu erklären, merkte sie jetzt, wie nahe sie den Tränen war. Es war ungerecht. Gin hatte um nichts davon gebeten. Sie wollte nie eine Magierin sein, sie wollte nie von ihrer Familie getrennt werden, sie wollte nie Orwynn dienen, sie wollte Aloe und Lian nie verlassen, sie wollte nie ein zweites Leben führen, nachdem ihr das erste genommen wurde. Doch das Leben nahm keine Rücksicht darauf, was Gin wollte oder nicht wollte. Das wurde der Vampirin wieder einmal schmerzlich bewusst, und sie verfluchte die Welt dafür, dass sie ein derart grausames Spiel mit ihr spielte. Nachdem sie ihre Seele und ihren Körper vor Lian entblößt hatte, blieb Gin nichts anderes übrig als auf das Urteil ihres Ex-Freundes zu warten. Sie schloss die Augen, lehnte ihren Kopf gegen die Schulter des Falls und atmete tief ein. Ein Lächeln zog sich ungesehen über ihre Lippen, nun konnte sie sich wieder daran erinnern, wie Lian roch. Noch Fragen?, erkundigte sie sich überraschend kleinlaut.
Und die erste Antwort, die er bekam, war jene, dass sie nicht mehr die Gin wäre, die er kannte. Lian hatte bereits befürchtet, dass sie so etwas sagen würde, denn die Veränderungen an der jungen Frau waren einfach zu offensichtlich gewesen. Was auch immer es war, was der Du Bellay geschehen war, es hatte massiven Einfluss auf ihr Leben gehabt. Der Braunhaarige hatte natürlich nicht vergessen, was sie ihm mitgeteilt hatte: Ihr Herz gehörte jemand anderem. Er wusste, er war nicht mehr als ihr Ex-Freund, sollte sich vielleicht aus ihrem Leben heraushalten. Und dennoch: Lian war überzeugt davon, dass es ihm zustand, Antworten auf seine Fragen zu bekommen, ganz gleich, dass Gin ihre Zukunft nicht mit ihm teilen wollte. Er hatte befürchtet, dass sie ihm einen Korb geben, ihn erneut von sich stoßen würde, weshalb ihre Andeutung, er solle sich nur ein wenig gedulden, den Falls sichtlich entspannte. Geduld? Wenn der Falls eine Tugend durch seine Zeit mit, aber auch seine Zeit nach Gin perfektioniert hatte, dann war es Geduld. Lian nickte stumm, geriet allerdings ins Stocken, als die junge Frau ihre Hand erneut auf seine legte. Die hellgrünen Seelenspiegel sahen verwundert auf die Hand der Schwarzhaarigen herab, die ein paar Sekunden länger an seinem Körper verweilte, als es zwingend hätte sein müssen. Als sie den Poncho, der ihr angeboten wurde, schließlich bestimmt von sich drückte, schnalzte der 19-Jährige missbilligend mit der Zunge und musste trotzdem das freche Grinsen der jungen Frau erwidern. „In jedem Fall bist du noch genauso stur wie früher“, tadelte er sie mit einem eindeutigen Amüsement im Unterton. Wie hatte er nur davon ausgehen können, dass die Du Bellay sich von irgendjemandem sagen ließ, wie sie sich zu kleiden hatte? Lian hätte es wirklich besser wissen sollen. Noch ehe er den Poncho wieder hätte anziehen können, packte die Schwarzhaarige ihn am Handgelenk und zog ihn erneut hinter sich her. Und Lian? Er folgte einfach, betrachtete verwundert die Rückseite seiner Ex-Freundin und stellte fest, dass es ein Blickwinkel war, wie er ihn früher immer wieder einmal gehabt hatte. Ja, ihre Haare waren kürzer, aber ansonsten sah sie von hier aus betrachtet genauso aus wie damals. Lian genoss den Anblick sehr, mehr als er hätte zugeben wollen und ließ sich daher auch widerstandslos durch Miln ziehen. Erst verspätet bemerkte er, dass sie die verdunkelte Gaststätte wieder erreicht hatten und Gin ihn nicht an die Kneipentheke oder an einen der Tische, sondern in das Zimmer führte, in das sie zuvor verschwunden war, um ihre Waffe zu holen.
Und als die Tür sich hinter der jungen Frau schloss, waren die beiden Magier endgültig unter sich.
„Angelogen?“, wiederholte er die Aussage von Gin und runzelte die Stirn. Lügen und Halbwahrheiten schienen ein ziemlich großes Thema zwischen ihnen zu sein, wie sich nach und nach herausstellte. Doch was genau meinte die Du Bellay damit? Angelogen… Gin öffnete ihre Lederjacke, ließ sie achtlos auf den Boden fallen und Lian musste sich anstrengen, ihren Körper in dem figurbetonenden Oberteil nicht zu sehr anzustarren. Nein, der Körper der Schwarzhaarigen sah immer noch genauso anziehend aus wie damals – Lian war bei Weitem nicht die einzige Person gewesen, die so empfunden hatte. Und doch lenkten die Worte, die Gin aussprach, die Aufmerksamkeit des 19-Jährigen sehr effektiv wieder auf wichtigere Themen: Der Mann, den sie kennengelernt hatte. Oder… nicht kennen gelernt hatte? Lian horchte auf und hob den Kopf, bis er die hellblauen Iriden seiner Ex-Freundin im Halbdunkeln des Raumes aufblitzen sah. Der Körper des Illusionsmagiers spannte sich an und seine Atmung stockte, als die Du Bellay ihm eröffnete, dass es sich bei ihren Erzählungen nicht um irgendjemanden, sondern um jenen Mann handelte, der sie damals gekauft hatte. Ein schrecklicher Mann… für den sie schreckliche Dinge tun musste? Die Gedanken des Falls begannen zu kreisen – sie hatte sich in Aloe vor diesem Mann versteckt? Der Grund, warum sie in sein Leben getreten war, war eigentlich nur ihre Flucht vor ihrer Vergangenheit und einem grausamen Mann gewesen, dem sie nicht mehr hatte dienen wollen? Aloe war eine Zuflucht für Gin gewesen, ihre Diebesbande ein Versteck… ein Versteck, das nicht gut genug gewesen war. Dieser Mann hatte die Du Bellay ausfindig gemacht und sie war aus Aloe geflohen. Lian biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte, ballte die Hände zu Fäusten. Er erinnerte sich noch an jedes Detail des damaligen Abends, des Tages, als Gin sich von ihm getrennt hatte. An die Kälte in ihren Augen, an ihre abweisenden Worte und wie sie ihn einfach auf der Straße hatte stehenlassen. Doch jetzt, mit diesen Informationen, erschienen ihm seine Erinnerungen töricht. Was hatte in diesem Moment in Gin vorgehen müssen? Plötzlich war es für Lian nicht mehr die eiskalte Abfuhr, für die er es immer gehalten hatte. Er hatte ihre Angst nicht gesehen, er war ihr nicht nachgelaufen und hatte sie auch nicht weiter zur Rede gestellt. Er war… ein Feigling gewesen. Und er hatte Gin mit ihren Problemen alleingelassen, wie ihm aufging.
Es wäre die eine Sache gewesen, wenn es bei diesem Ausgang der Geschichte geblieben wäre. Allein diese Erkenntnisse reichten aus, dass der Braunhaarige sich Vorwürfe machte. Aber das, was noch kommen sollte, würde seine Welt endgültig auf den Kopf stellen. Die blauen Iriden von Gin fixierten ihn, als sie von ihrem Meister zu sprechen begann. Und die Worte, die sie wiederholte, hatten sich so tief in die Seele von Lian eingebrannt, dass er sie natürlich sofort wiedererkannte. Stark, schlau, einflussreich… der 19-Jährige atmete durch die Nase tief ein, als die Schwarzhaarige für ihn vollkommen unerwartet ihr Top über den Kopf zog. Seine Augen weiteten sich deutlich, als sein Blick noch oberhalb ihres BH’s stehenblieb und sein Mund sich entsetzt öffnete. Was… was war das für eine riesige Narbe?! Das zerstörte Gewebe begann oberhalb ihrer Brüste und zog sich das Brustbein hinab, es erzählte die Geschichte einer grausamen Verletzung, die Gin dort erlitten hatte. Eine Wunde, die man kaum hatte überleben können? Die Narbe zog sich genau über ihr… noch ehe er es gedanklich ausgesprochen hatte, vollendete die Schwarzhaarige ihre Erzählungen.
Seine Gedanken waren mit einem Schlag verschwunden, in seinem Kopf nicht mehr als Leere.
Gestorben. Gestorben? Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Gestorben… er hatte es gehört, aber das Wort kam nicht im Gehirn des Falls an. Er stand starr, starrte seine Ex-Freundin sprachlos an und konnte nichts sagen, nichts fühlen, nichts denken. Nicht einmal die Tatsache, dass sie nähertrat, brachte Lian wieder zur Vernunft. Ihr Gesicht war so nahe an seinem, wie es schon lange, sehr lange Zeit nicht mehr gewesen war. Er hätte ihren Atem spüren, hätte auf sie reagieren müssen, doch tatsächlich blieb der Braunhaarige regungslos. Seine Brust hob und senkte sich sichtbar, sein Mund war trocken, er zitterte. Dieser Mann hatte ihr das Herz gestohlen. Das Herz gestohlen… wortwörtlich.
Dieser Mann hatte Gin umgebracht.
Lian schwankte und wurde nur von der Wand, die sich in seinem Rücken befand, vor einem Fall bewahrt. Die Schwarzhaarige überbrückte auch die letzten Zentimeter, die ihre Körper voneinander getrennt hatten, lehnte den Kopf gegen seine Schulter und ihre Stimme wirkte zittrig und zerbrechlich. Der Falls starrte immer noch ins Nichts, die Augen waren aufgerissen und auch, als er bemerkte, dass seine Sicht verschwamm, konnte er doch noch nichts unternehmen. Gestorben. Aber sie stand doch vor ihm, sie sprach mit ihm… und doch war sie gestorben und für den Falls fühlte es sich an, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Er hatte Gin geliebt. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, liebte er sie immer noch. Und jetzt erfuhr er, dass man sie getötet hatte? Während er irgendwo in Aloe gehockt und sich in Selbstmitleid gesuhlt hatte, war Gin getötet worden. Und er hatte es nicht einmal gemerkt. Seine zitternden Hände hoben sich langsam, legten sich um den Körper der Schwarzhaarigen und dann drückte er sie an sich. So fest, als wolle er sie nicht mehr loslassen – so als könne er dadurch irgendwie etwas ändern. Aber auch jetzt spürte er, wie kalt sie sich anfühlte. Und es erinnerte ihn daran, dass er die Zeit eben doch nicht zurückdrehen konnte und dass das, was sie gesagt hatte, wirklich stimmen konnte. Noch während er sie fest umarmte, liefen ihm die ersten Tränen die Wangen herab und er rutschte an der Wand in seinem Rücken kraftlos herab, bis er auf dem Boden des kleinen Zimmers saß… und doch ließ er die junge Frau nicht los. „Gin…“, brachte er mit Mühe ihren Namen hervor, vergrub das Gesicht in ihrem Haar, unfähig, seine Tränen zurückzuhalten. Er war ein verdammtes Weichei. Egal aus welchen Gründen sie es ihm damals vorgeworfen hatte, es stimmte. Und doch konnte der 19-Jährige es nicht ändern, konnte diese Offenbarung nicht gefühllos aufnehmen. Und während er das Gesicht in ihrem Haar versteckte, roch er den leichten Duft von Lavendel und Flieder… ihr Parfüm. „Du bist gestorben…“ Er musste es aussprechen, um es selbst realisieren zu können. Kaum waren ihm die Worte über die Lippen gekommen, spürte er Gefühle in sich aufkommen: Trauer, Verzweiflung, Wut auf sich selbst… und ein intensives Gefühl, das er so noch nicht an sich gekannt hatte, das aber plötzlich allgegenwertig war: Hass. Hass demjenigen gegenüber, der Gin das alles angetan hatte. Je mehr Lian sich über dieses Gefühl bewusstwurde, desto mehr ebbte sein Tränenfluss ab, es gab ihm ganz neue Kräfte. Dieser Mann hatte Gin nicht nur getötet, er hatte sie danach auch zurückgeholt, um sie auf ewig an sich zu binden, sie zu Dingen zu zwingen, die sie nicht aus freien Stücken tun wollte. Und das alles war durch Magie möglich? Wenn es das war, was Menschen mit Magie anstellten, wäre die Welt ohne die Magie besser dran. Er verstand, was seine Familie – allem voran seine Mutter – zu ihrer Abneigung gegenüber der Magie geführt hatte. Und warum er dem Großteil seiner Familie durch die Magiebegabung nur zunehmend suspekter geworden war. Der Braunhaarige löste das Gesicht von Gins Scheitel, lockerte den Griff um ihren Körper, um sie endlich wieder ansehen zu können. Seine hellen Augen blickten in ihre dunklen Seelenspiegel und gedankenverloren strich er über ihre Wange. Immerhin fand Lian allmählich seine Sprache wieder: „Ich… habe es nicht gewusst. Nicht einmal geahnt“, gestand er nicht nur sich selbst, sondern auch ihr ein. Man konnte die Vorwürfe, die sich der Braunhaarige selbst machte, allzu deutlich aus seiner Stimme heraushören, obwohl er es wirklich nicht hatte wissen können. Aber in so einer Situation konnte man eben doch nicht alles rational bewerten. „Als du gegangen bist, war ich nur mit mir selbst beschäftigt und… ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu vergessen.“ Lian schluckte. „Wenn ich damals mehr getan hätte, wenn ich dir gefolgt, dich zur Rede gestellt hätte…“ Wieder spürte er den Kloß in seinem Hals und biss sich schnell auf die Unterlippe, hinderte sich dadurch am Weiterreden. Die Du Bellay würde auch so verstehen, was er zum Ausdruck hatte bringen wollen. Er war ein Taugenichts und niemand, der wirklich etwas ausrichten konnte? Insbesondere gegen einen mächtigen Mann, wie Gin ihn beschrieben hatte? Wohlmöglich. Und gleichzeitig wusste er es nicht, weil er es nie versucht hatte. Er hatte Gin ihrem Schicksal überlassen. So wie er die Tochter von Oguz ihrem Schicksal überlassen hatte. Wie er Levi seinem Schicksal überlassen hatte. Wie er sich selbst seinem Schicksal überlassen wollte? Wieder sah er in die blauen Seelenspiegel von Gin, erkannte sich selbst in ihnen und unerwartet beruhigte sich sein Atem. Die Hand, die eben noch über ihre Wange gestreichelt hatte, hielt abrupt inne und Lian merkte, wie sich sein Puls merklich beschleunigte. „Ich habe dich nie vergessen können“, murmelte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Vielleicht um sich selbst zu überzeugen, dass es umgekehrt vielleicht genauso gewesen war, strich seine Hand an ihrem Ohr entlang und er betrachtete genauer die Ohrringe, die sie trug. Der Sichelmond. Ihr Sichelmond. Ohne ein Wort zu sagen, griff der Falls an die Kette, die um seinen Hals hing und fischte den Anhänger hervor, den er sonst unter seinem Shirt trug: Der Sichelmond. Lian fühlte sich schrecklich verletzlich in diesem Moment und doch… wollte er es zum Ausdruck bringen. Entschlossen sahen die hellgrünen Augen zu der Schwarzhaarigen: „Du bist kein Ding. Du bist Gin. Und du bist immer noch die Gin, die ich kennen… und die ich auch lieben gelernt habe.“ Es war schlicht das, was er fühlte und woraus er auch kein Geheimnis machen konnte und wollte. Ganz gleich, wie die Schwarzhaarige darüber dachte, seine Gefühle waren da. Und egal, wie lange er versucht hatte, sie zu verdrängen oder zu ersticken, spätestens als er die Du Bellay in der Kneipe hatte sitzen sehen, waren sie alle wieder hochgekommen. Und je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto deutlicher wurde es Lian, dass er sich dagegen nicht wehren konnte. Aber hatten diese Gefühle überhaupt eine Zukunft? Sie war gestorben und gebunden an den Magier, der sie zurück auf diese Welt geholt hatte. Es war Lian egal. Er konnte nur einen Gedanken festhalten: Er wollte für sie da sein.
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