Ortsname: Park von Crocus Art: Freiraum Spezielles: --- Beschreibung:
Dieser ansehnliche, vor allen im Frühling viel besuchte Park ist besonders bei Leuten beliebt, die sich nach der Natur sehnen. Es wird großen Wert drauf gelegt, dass nichts perfekt aussieht, sondern eher der Natur überlassen wird. Lediglich die natürlichen und manchmal auch aus Kies bestehenden Wege werden regelmäßig vom entsprechenden Personal aufgeräumt und gesäubert, damit die Bewohner von Crocus die Chance haben, durch den Park zu gehen, ohne die natürliche Schönheit des Parks zu ruinieren. Es wird hier großen Wert auf Sauberkeit gelegt und jene, die ihren Müll liegen lassen, müssen mit einer ziemlich hohen Geldstrafe rechnen.
Er ist zudem auch sehr attraktiv für Sportler, denn auf der südlichen Seite gibt es eine große Lichtung, umschlossen von vielen alten Bäumen, die oft zum Trainieren genutzt wird. Bei unangenehmen Wetter zieht es die Leute aber nicht dort hin, weshalb dieser Platz manchmal wochenlang unberührt bleibt und die Natur dort schnell gedeiht.
Ein freier Tag bedeutete eigentlich, sich zu entspannen, die Füße hochzulegen und das schöne Wetter zu genießen. Doch für Grishira, eine junge und durchaus attraktive erwachsene Frau, war der heutige Tag eine einmalige Ausnahme. Denn normalerweise hätte sie nämlich genau das getan. Allerdings verspürte diese den Drang, ein wenig mit ihrer Frostmagie zu spielen und diese auszutesten. Seit sie in ihrer Gilde verkehrte, hatte sie nie die Möglichkeit gehabt, irgendetwas selbst zu leisten. Aber ihr wurde gesagt, dass dieser Zustand nicht mehr lange dauerte, denn die Royale Crusade hatte nun ausreichend Vertrauen zu ihr, dass sie bald richtig loslegen konnte. Es es dauerte nicht mehr lange, sagten sie ihr. Und da musste die achtzehnjährige natürlich ihre magischen Fähigkeiten aufpolieren, um im Fall der Fälle einsatzbereit zu sein. In guter Manier, die sie immer am Tag legte, ging sie über einer der roten Kieswege und spazierte in Richtung Trainingsplatz des Parks. So nannte ihn jedenfalls der Volksmund. Eigentlich war es lediglich eine einfache aber idyllische Lichtung. Ihr langes Haar wehte mit dem Wind und der schöne, frischgewaschene Kimono roch immer noch nach dem süßlichen Duft einer Blume. Ab und zu ging eine einsame Seele oder ein Pärchen an ihr vorbei und nicht selten warfen ihr die männlichen Begleiter einen neugierigen Blick zu, den Grishira natürlich mit einem zauberhaften Lächeln erwiderte. Männer waren so leicht zu manipulieren. Du bist wieder viel zu freundlich, meine Liebe. Sakura meldete sich aus dem Off. Na und? Es ist schönes Wetter und ich bin heute guter Dinge. Lass mich doch. Immerhin geht es bald richtig los für uns beide. Und dann kann die Reise beginnen. Sakura war ihre beste Freundin, die sie je hatte und je haben wird. Sie war immer für sie da, hatte immer ein offenes Ohr für sie und sie verfolgt dieselben Ziele. Eine dunkle Wolke tauchte neben ihr auf und sie erschien. Natürlich bekamen das ihre Mitmenschen gar nicht mit, denn nur Grishira konnte Sakura sehen. In Gegensatz zu ihr hatte die andere junge Frau pechschwarzes Haar und blutrote Augen. Diese grinste sie frech an. Na los, verschwinde. Du lenkst mich nur ab. Bleib gefällig in meinen Kopf. Da sie in ihrem Kopf war, konnte sie auch mit ihr kommunizieren, ohne ein Laut von sich zu geben. Die Schwarzhaarige seufzte ergeben und verschwand wieder. Du bist heute ganz schön fies zu mir! Grishira konnte sich sehr gut vorstellen, wie ihre Freundin ihre Unterlippe vorschob und schmollte. Ein amüsiertes Lächeln zierte ihre weichen Lippen. Endlich angekommen, stellte Shira fest, dass keine Menschenseele vorzufinden war. Herrlich, sie hatte ihre Ruhe. Was für ein Glück. Und sollte es einer wagen sie zu stören, dann… nein, heute war sie nicht in Stimmung dafür. Die junge Frau fing an, eines ihrer Lieblingszauber auszusprechen. Icy Breath. Sie umfasste mit ihren Händen einen großen Büschel Gras und ließ das Wasser der Pflanze gefrieren. Eine Eisschichte umschloss es und das einst saftige Grün wurde nun kalt und gräulich. Welch eine herrliche Methode das doch war, andere zum Schweigen zu bringen. Das hatte sie damals auch bei Rickie gemacht. Die hat vielleicht geschrien, das hat richtig in den Ohren wehgetan! Sie kicherte kurz über diese Erinnerung, als sei es ein schönes Erlebnis aus der Kindheit gewesen. Ob es hier vielleicht auch etwas Lebendiges gab, das sie einfrieren konnte? Sie stand auf und schaute sich um. Vielleicht ein Eichhörnchen? Und tatsächlich, da war eins! Auf einen Ast saß es und aß gerade eine Nuss. Grishira wollte gerade ihren Zauber aussprechen, als sie plötzlich einen inneren Widerstand bemerkte. Sie seufzte. Was ist? Sieh dich vor, da kommt jemand! Oh nein, das durfte doch wohl nicht wahr sein. War es denn nicht möglich, für wenige Stunden seine Ruhe zu haben? Grishira setzte ein überraschtes Gesicht auf, drehte sich um und erblickte einen jungen Mann, der sie neugierig beobachtete. Das strubbelige, scharlachrote Haar leuchtete in der Sonne. Die junge Frau lächelte den ungebetenen Beobachter freundlich an. Gott, was wollte der denn hier?
Lässig und ohne Ziel schlenderte Yuuki im großen Park von Crocus Town herum. In einer so großen Stadt wie der Hauptstadt des Landes war es nicht verwunderlich, dass es an diesem Örtchen trotzdem noch so viel Grün gab. Es gab so einige Parkgelände in der Hauptstadt, die jeweils unterschiedlich konzipiert worden waren: Manche hatten noch einen kleinen See, andere besaßen eine große Wiese, auf der man sich einfach hinlegen und ausruhen konnte, wiederum andere wucherten freudig vor sich hin und glichen mehr einem kleinen Dschungel als einem Park. Doch es gab eine Tatsache, die alle Parks miteinander verband: Sie versprachen dem Besucher Idylle und Ruhe. Hier konnte man sich zurückziehen und die Natur in ihren vollsten Zügen genießen, ohne das ständige Lärmen der Leute mit anhören zu müssen. Und genau diese Art von Idylle war es, die der Rotschopf in diesem Augenblick genoss und auch nötig hatte. Da er erst kürzlich beruflich hier zu tun gehabt hatte – eine Quest natürlich – hatte er die Gelegenheit genutzt, um auch mal Linnéa wieder zu besuchen. Jedoch relativ erfolglos, da die junge Frau zurzeit nicht zugegen war. Scheinbar befand sie sich ebenfalls auf einem Auftrag außerhalb der Stadt. Weiterhin waren seine bisherigen Versuche, sich mit dem Rat der Runenritter zu treffen und Informationen über den Verbleib seiner Familie als auch die vergangenen Besuche von Ryo in Erfahrung zu bringen völlig gescheitert. Ihm wurde noch nicht mal eine Audienz gewährt. *Es hat ganz den Anschein, als ob man mit mir um keinen Preis der Welt sprechen möchte.* Was hatte das nur zu bedeuten? War das Verschwinden seiner Eltern etwa eine Art Staatsgeheimnis, welches niemand erfahren durfte? Nun, zumindest war es ihm gelungen, alle Schritte seines Bruders innerhalb von Fiore zu verfolgen, wenn er auch noch nicht Gelegenheit gehabt hatte, alle Orte zu besuchen. Erst kürzlich hatte er eine uralte Ruine zusammen mit einer Runenritterin erkundigt und hatte dabei einige interessante Funde gemacht. *Und einen davon habe ich auch gerade an.*, dachte er sich vergnügt, als er bei diesem Gedanken seinen Umhang begutachtete. Auf den ersten Blick schien es sich um einen völlig gewöhnlichen Umhang zu handeln und auf den zweiten Blick auch. Aber er hatte durchaus mehr zu bieten, als man vermuten würde. Und er würde dem Grynder in Zukunft sicherlich äußerst dienlich sein!
So kam es also, dass Yuuki alles andere als zielstrebig im Park umherspazierte. Teilweise setzte er sich für eine kurze Weile auf eine Parkbank, doch verweilte er nicht lange dort und machte sich weiter auf den Weg. Das Wetter schien auch mitzuspielen, denn es befand sich keine einzige Wolke am Himmel und die Sonne wärmte die Leute, was wohl auch der Grund dafür war, dass der Park recht belebt schien, selbst in dieser eher kälteren Jahreszeit. Während er also gedankenverloren vor sich hin lief, erblickte er aus den Augenwinkeln etwas Interessantes. Es handelte sich dabei um eine junge Frau mit langem, blauen Haar. Doch das war es nicht wirklich, was seine Aufmerksamkeit fesselte. Vielmehr war es ihre Tätigkeit, denn sie schien gerade dabei zu zaubern. Das verriet ihm zumindest sein geübter Blick und die gefrorenen Pflanzen in ihren Händen. Fasziniert beobachtete der junge Mann die blauhaarige Frau dabei, doch starrte wohl ein wenig zu lang, denn sie bemerkte seinen Blick. Natürlich wusste der Crimson Sphynx Magier nicht, was in ihrem Verstand so vor sich ging. Er sah lediglich das Lächeln, welches sie aufgesetzt hatte. Insofern sah er das als Anzeichen, sie anzusprechen und sich ihr zu nähern. „Lass dich nicht beim Zaubern stören, ich habe nur beobachtet.“, erklärte er ihr lächelnd, warum er gestarrt hatte. Nicht, dass sie noch ein falsches Bild oder Vorstellung bekam. „Du bist eine Eismagierin, richtig?“ Zwar hatte er gesehen, dass sie eine gefrorene Pflanze in den Händen gehalten hatte, aber er wollte auf Nummer sicher gehen und in Erfahrung bringen, welche Fähigkeit er da soeben mitbekommen hatte. „In meiner Gilde gibt es ebenfalls eine Eismagierin, die über wirklich nützliche Fertigkeiten verfügt!“, plauderte Yuuki einfach munter aus dem Nähkästchen weiter und dachte dabei an die großgewachsene, grünhaarige Magierin aus Crimson Sphynx. Dass er damit sein Gegenüber ungefragt vollquatschte, fiel ihm nach wie vor nicht auf. Schließlich bemerkte er, dass er einfach eine Unbekannte angesprochen und begonnen hatte, sie auszufragen. „Sorry wenn ich dich mit meinen Fragen überrumpeln. Du wolltest sicher nicht gestört werden! Ich bin übrigens Yuuki.“ Das mindeste war doch, dass er sich vorstellte, wenn er schon so unhöflich war, die junge Frau vollzuquatschen. Was diese wohl vom Magnetismusmagier halten würde?
„Lass dich nicht beim Zaubern stören, ich habe nur beobachtet.“ Nein, echt? Darauf wäre sie ja nie gekommen! Und dann fragte er sie auch noch, ob sie Eismagierin war. War das nicht offensichtlich? Wie dekadent… Nun gut, Grishira faltete ihre Hände und legte ihren Kopf leicht schief. „Aber ja, mein Herr. Sie haben ein sehr geschultes Auge, wenn ich diese Bemerkung kundtun darf. Sie liegen vollkommen richtig: Ich bin Eismagierin.“ Ihre Stimme war klar wie eine Glocke und klang garantiert auf Jeden ihres Umfeldes gutmütig und liebenswert. Sie ließ ihre Zähne aufblitzen, ihre Wangen erröteten sich leicht und ein sanftes kichern entwich ihrer Kehle. Keiner würde auch nur annähernd merken, dass sie sehr gut schauspielern konnte. Während der Mann darüber redete, dass in seiner Gilde auch eine Eismagierin war, ging sie einige Schritte auf ihn zu und hörte ihm aufmerksam zu. Sie nickte interessiert und legte einen Finger auf das Kinn. „Welch ein interessanter Zufall. Wer weiß, vielleicht habe ich das Vergnügen ihr eines Tages bei einer Tasse Tee zu begegnen und gegebenfalls habe ich das Glück, von ihren Erfahrungen Kenntnis zu gewinnen, wissen Sie?“ Niemals würde sie das auch im Betracht ziehen. Der Rothaarige stellte sich als Yuuki vor, nachdem er sich für sein Bombardement an Fragen entschuldigt hatte. Wie niedlich, ein sehr knuffiger Kerl war er, dass musste sie zugeben. Solche Menschen waren meistens so naiv und gutgläubig… Eine gute Beute. Sehr nützlich. „Oh, das ist nicht schlimm. Ich freue mich über so eine angenehme Gesellschaft. Ich bin es lediglich nicht so gewohnt, heimlich beobachtet zu werden.“ Natürlich war sie das gewohnt… Die neidischen Blicke der Frauen, die Männer, die ihr gedanklich die Kleider vom Leib rissen… Einerseits schmeichelhaft, andererseits ekelerregend und degeneriert. Sie wusste um ihre Schönheit und wusste auch, diese Einzusetzen. „Oh verzeihen Sie meine Unhöflichkeit, ich habe ganz vergessen mich auch vorzustellen. Mein Name ist Grishira. Sie können mich aber sehr gern auch einfach nur Shira nennen.“ Wie es sich einer feinen Dame gehörte, machte sie einen leichten Knicks, verbunden mit einer Verbeugung. Boah, Schätzchen, trag nicht so viel Butter auf. Davon kriegt man ja Würgreize! Klappe! Ich muss mich konzentrieren. „Darf ich mir die Freiheit nehmen mich zu erkundigen, in welcher Gilde Sie verkehren? Selbstverständlich obliegt es Ihnen, mir diese intime Information anzuvertrauen. Ich habe schon viel von den unterschiedlichen Gilden dieser Ländereien gehört. Leider verfüge ich nicht über ausreichende Kenntnis und wenn ich schon die Ehre habe, einer ihrer Mitglieder treffen zu dürfen, dann wage ich es, die Chance auf neues Wissen zu ergreifen.“ Das war eine Lüge, eine sehr klare Lüge, aber nicht ein Hauch von schlechtem Gewissen erfüllte ihr kaltes Herz. Sie war Mitglied der sogenannten „dunklen“ Gilde – Royale Crusade – und es machte sie ein wenig, aber nur ein ganz kleines bisschen stolz ein Teil davon zu sein. Allerdings war sie nur ein Mittel zum Zweck. Reichtum und Macht erlangte man dort. Und den würde sie sich holen. Mit allen Fähigkeiten und Mitteln, die ihr zur Verfügung standen. Und wenn sie so viel Macht, Reichtum und Einfluss angehäuft hatte, dann würde sie diesem Verein überdrüssig sein und ihnen den Rücken kehren. Genauso, wie sie es bei ihren Zieheltern getan hatte. Seitdem sie Mitglied bei der dunklen Gilde war, hatte sie keinen Gedanken mehr an diesen törichten und einfältigen Gestalten von Mutter und Vater verschwendet. Auch diese waren naiv und gutgläubig. Dass sie krank vor Sorge waren, interessierte die junge Glacies herzlich wenig. Sie hatte lediglich amüsiert Notiz davon genommen. Ihr Ziel stand über alles. „Nun, verehrter Yuuki… Obgleich Sie denken mögen, dass ich eine Magierin bin, muss ich trotzdem gestehen, dass es eher ein Hobby ist, dem ich nachgehe. Die Zeiten sind leider äußerst gefährlich und gerade als Frau, wie meiner Wenigkeit, sollte man sich verteidigen können. So ist dieses Hobby sehr wichtig für mich und wenn Sie die Güte hätten, mir vielleicht ein paar wenige Beihilfen zu zeigen, wäre ich Ihnen äußerst wohlgesonnen und dankbar.“ Grishira strich sich über das dichte Haar und schenkte ihrem Gegenüber erneut ein Lächeln, dass einer strahlenden Frühlingssonne glich. Dieser Yuuki war auf jeden Fall ein Stück größer als sie selbst und hatte einen Mantel an, der ihn zu dieser Jahreszeit wohl wärmte. Er schien offen zu sein, was sich für die langhaarige Erwachsene vielleicht als sehr nützlich auswies. Vielleicht verriet er ihr etwas über seine Gilde, um das dann als Vorteil für die Royal Crusade zu nutzen um daraufhin aufzusteigen? Insiderinformationen waren garantiert hochgeschätzt in den Kreisen ihrer Kameraden. Wer wusste das schon, vielleicht ging sie heute mit interessanten Informationen nach Hause. Shira-chan, ich weiß genau, was du vor hast. Sei aber auf der Hut. Wenn du sofort mit verdächtigen Fragen ankommst, schöpft der Typ Verdacht. Das ist mir durchaus Bewusst. Lass mich nur machen, ich werde schon einen Weg finden, ihn auszuquetschen. Glaub mal nicht, dass ich so ungeschickt und plump bin, wie irgendwelche alteingesessenen Geheimagenten! Oh ja, wie konnte ich es nur wagen, dich darauf hinzuweise, vorsichtig zu sein? Spar dir deinen Sarkasmus für später auf. Genieß einfach die Show und wir reden später darüber. Wie du willst, wie du willst. ~
Oh, das war ja eine unerwartete Überraschung! Die junge Frau drückte sich doch sehr vornehm aus. Das zusammen mit ihrem Auftreten und ihrem äußeren Erscheinungsbild – immerhin trug sie einen traditionellen Kimono – warf in Yuuki die Frage auf, ob er es hier mit einer Adelsfrau zu tun hatte? Möglicherweise sogar jemanden aus der königlichen Familie, der sich in seiner Freizeit aus dem Palast geschlichen hatte und sich nun unter das gewöhnliche Volk gemischt hatte? *Hmm, das wohl eher nicht.*, verwarf der Rotschopf diesen Gedanken schnell wieder. Wie jeder guter Bürger Fiores kannte er die Mitglieder der Königsfamilie – natürlich nicht persönlich – und er ging zwar stark davon aus, dass auch sie magisch begabt waren, sich aber sicherlich nicht ohne Beobachtung davonschleichen konnten. Viel wahrscheinlicher war also, dass die blauhaarige Frau vor ihm entweder blauen Geblüts war oder sich einfach sehr höflich ausdrückte. Wie dem auch sei, das würde er sicherlich im weiteren Gespräch in Erfahrung bringen!
Höchst erfreut stellte der Grynder fest, dass er mit seiner Vermutung bezüglich Eismagierin recht gehabt hatte. Gut, das war jetzt nicht das Schwerste gewesen, hätte ja aber auch alles Andere sein können. Schließlich näherte sich ihm die Unbekannte auf Gesprächsnähe und führte ihrerseits höflich die Konversation fort. Sehr gut, dann fühlte sie sich wohl nicht gestört, einfach von dem nächstbesten Unbekannten angequatscht worden zu sein. Ein breites Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht, als er vor seinen Augen die Frau vor ihm in einer Unterhaltung mit Ronya über Eismagie sah. Die Beiden würden sicherlich ein ungleiches Pärchen bilden, auch wenn er sich sicher war, dass die gutmütige Crimson Sphynx Magierin einer Novizin sicherlich etwas über die Eismagie lehren würde. Davon ging der junge Mann einfach mal aus, obwohl er keine Ahnung hatte, ob dem wirklich so war. Nachdem sich Yuuki vorgestellt hatte, war die junge Frau an der Reihe, ihren Namen preis zu geben. „Shira also … freut mich dich kennen zu lernen!“, teilte er ihr aufrichtig erfreut und lächelnd mit. Er konnte ja nicht ahnen, was hinter dieser unschuldigen Fassade lauerte und welch unlautere Gedanken und Vorhaben in ihrem Kopf herumspukten. Geschweige denn eine zweite Stimme, von welcher er selbstverständlich auch nichts mitbekam.
Was er jedoch aktiv mitbekam, war ihr Interesse für seine Gildenzugehörigkeit. Dabei handelte es sich um ein Thema, bei welchem man bei ihm offene Türen einrannte. Der Grynder war nämlich seit seinem siebten Lebensjahr Teil von Crimson Sphynx und dementsprechend äußerst stolz, nicht nur einer der größten Gilden des Landes anzugehören, sondern auch der professionellsten. Außerdem war er erst kürzlich zum S-Rang Magier ernannt worden, was diesen Stolz nochmals hatte anschwellen lassen. Hoffentlich wusste Grishira, worauf sie sich einließ, als sie begann den Rotschopf mit Fragen zu löchern. Sobald der Wasserfall, der sich sein Mund nannte, einmal in Bewegung war, würde er nicht mehr aufhören zu erzählen. „Ich bin Mitglied bei Crimson Sphynx.“, begann der junge Mann seine Erzählung, der keinerlei Scheu hatte, seine Gildenzugehörigkeit preis zu geben. Jeder im Land kannte die Gilde und ihren Ruf, aber es schadete sicherlich nicht, noch ein wenig Werbung zu machen. „Crimson Sphynx ist eine wirklich fantastische Gilde, die bekannt dafür ist, Aufgaben und Quests präzise, effizient und ohne großes Aufsehen zu erledigen.“, schwärmte Yuuki nun und ein deutlicher Hauch von Stolz schwang in seiner Stimme mit. „Wenn du noch weitere Fragen hast, nur zu.“, teilte ihr der Magnetismusmagier mit und breitete seine Hände wie eine Einladung aus. Möglicherweise hatte er hier ja die Gelegenheit, ein neues Mitglied für seine Gilde anzuwerben? „Und du Shira, bist du in einer Gilde?“ Falls sie nämlich in keiner Gilde war, konnte er wirklich einen Anwerbeversuch starten!
Gespannt wippte er mit den Füßen vor und zurück, als die junge Frau ihn wieder ansprach. Sie hatte schon recht, man musste sich immer zu verteidigen wissen, denn es gab mehr Menschen, die einem Böses wollten als andersherum. Mit ihrer Bitte wusste er allerdings weniger anzufangen. Unschlüssig legte er den Kopf ein wenig schief und schaute Grishira an. „Hmm, ich beherrsche leider keine Eismagie. Und mit meiner eigenen Magie ist sie leider nicht kompatibel.“ Hätte es sich dabei um Metallmagie gehandelt, wäre er möglicherweise in der Lage gewesen, genauere Instruktionen und Tipps zu geben. Blöd, wäre nur Ronya hier gewesen! Letzten Endes zuckte der junge Mann mit den Schultern. „Aber ich helfe gerne, wo ich kann. Wie lange beherrschst du denn bereits deine Magie? Und was interessiert dich genau? Also, in welchem Bereich benötigst du denn Hilfe?“ Grishira schien wirklich nett zu sein, da war es doch das Mindeste, was er tun konnte, zu helfen. Nicht wahr?
Crimson Sphynx also, interessant. Diese Gilde war vor Jahren sehr chaotisch und hatte eine kriminelle Energie. Quasi die Light-Version von der Royale Crusade. Es mochte zwar sein, dass die Leute ihre Sache ganz gut machten, und sowas gab die junge Frau sehr selten zu, aber keiner traute sich Aufträge anzunehmen, wie es ihre Gilde tat. Damit haben alle anderen bereits für sie ihre Legitimität verloren. Aber gut, Fiore war ein freies Land, aber zu den Crimson Sphynx würde sie nicht wechseln, niemals. Sie war auch gar nicht der Typ dafür. Natürlich hatte sie gehört, dass die Leute da sehr auf Regeln bedacht waren, damit sich ihre Vergangenheit nicht wiederholte; Grishira aber fand, dass zu viele Regeln nur einschränkten und dem Erfolg im Wege stand. Die Auftragsvielfalt war einfach größer, wenn man sich mehr Freiheiten nahm und sich nicht an Sitte und Gesetz hielt. „Wie umwerfend! Von der Gilde habe ich bereits viel Gutes gehört. Ich mag ihre Disziplin und ihr Ehrgefühl. Es ist sehr vom Vorteil, wenn man nicht immer auf Ruhm aus ist. Tatsächlich konnte ich bisher kein schlechtes Wort über Ihre Mitglieder vernehmen.“, lobte sie. Natürlich war die Gilde voll des Lobes: Grishira hatte nunmal andere Vorstellungen von Moral und Tugend und die meisten, verweichlichten Leute im Lande hatten natürlich dann auch die entsprechende Moral. Wie in einem schlechten Kinderroman. Die Realität war aber anders und das, was die meisten so hochhielten, war nur eine Illusion um sich etwas vorzuspielen. Am Ende kam es drauf an, wer der stärkere war. Wie nannte sich das gleich noch mal? Natürliche Selektion? „Oh, bitte, ich erlaube mir eine Frage zu stellen: Wie lange sind Sie schon Mitglied? Sie sehen aus, als seien Sie kein Neuling mehr.“ Shira schaute ihn mit bewundernden Blicken an und lächelte daraufhin in lieblicher Manier. Vielleicht hatte er ja eine hohe Stellung? Das wäre auf jeden Fall sehr gut gewesen, denn dann hätte sie sich mit ihm anfreunden und sich seiner zu Nutze machen können! Shi-chan, sachte. Wenn du dich mit ihm befreunden willst, dann wäre es schlau, das nicht offensichtlich zu machen. Mein Herzchen. Ich bin doch nur nett zu ihm. Ich werde schon auf dem richtigen Zeitpunkt warten, ihm meine Freundschaft anzubieten. Du glaubst doch wohl nicht etwa ernsthaft, dass ich jemanden meine kostbare Lebenszeit anbiete, nachdem ich ihn gefühlt eine Minute kenne. Also entspann dich und lass mich machen, klar? Als er fragte, ob sie sich in einer Gilde fand, hätte sie sich fast an die Schläfe gefasst, doch sie konnte stattdessen ein überraschtes Gesicht aufsetzen. Der war ja mal ein Schlaumeier. Hatte sie ihm nicht gesagt, sie hatte nicht viel Wissen über Gilden? Da war es doch wohl logisch, dass sie kein Mitglied war. Jedenfalls sollte es so sein. Das Gildenabzeichen war gut versteckt auf ihrem Schulterblatt und er konnte doch wohl hoffentlich nicht durch ihre Kleidung durchgucken. Bei diesem Gedanken stellten sich ihre Härchen auf. Um seine Fähigkeiten wusste sie nicht. Jetzt musste sie vorsichtig sein. Andererseits hätte er mit Sicherheit anders reagiert, hätte er durch ihre Kleider hindurchgesehen. Denn dann hätte er das Gildenzeichen nicht nur gesehen, sondern auch erkannt und sie hätte drauf gewettet, dass er sich nicht mehr so wie ein freundlicher Kerl verhielt. Die Royale Crusade war eine dunkle Gilde und alle anderen großen Gilden verachteten oder mieden sie. Shira konnte also erleichtert sein. „Ich muss Sie enttäuschen, aber ich habe nicht die Ehre, Teil einer Gilde zu sein. Es mangelt mir zu sehr an Talent und meine verehrten Eltern erlauben es mir nicht.“ Sie setzte ein trauriges Gesicht auf und schaute kurz auf ihre Fußspitzen. Dann aber blickte sie wieder hoch zu Yuuki und hob eine Augenbraue hoch, als er erwähnte, er sei kein Eismagier, sondern Magnetmagier. Magnetismusfähigkeiten, wie nützlich und interessant. Shira weitete ihre Augen. „Das ist ja fantastisch. Ich habe noch nie einen Zauberer gesehen, der Magnetmagie beherrscht. Bitte, beehren Sie mich mit einer Vorführung, Yuuki! Und… ich habe meine Magie entdeckt, als ich ein kleines Mädchen war. Aber, mit Verlaub, ich konnte sie nie entwickeln und erweitern. Meine Eltern haben, pardon, hatten es leider nicht mit Magie…“ Das entsprach sogar der Wahrheit. Für Mutter und Vater war das nie ein Thema. Sie hatten ihre Berufe mit denen sie erfolgreich waren und sahen in der Magie keinen Nutzen für sich. Grishira zweifelte sogar daran, dass sie diese überhaupt beherrschten. Immerhin hatte sie zu ihren Lebzeiten nie gesehen, wie die beiden Magie angewendet haben. Sie hatten viel Geld, lebten sehr gut und das hatte gute Auswirkungen: Sie konnten Shira ein sehr gutes und vom Reichtum erfülltes Leben schenken. Sie empfand soetwas ähnliches wie Dankbarkeit für die beiden, aber im Grunde genommen waren ihre Eltern ihr egal. Im Endeffekt war Grishira dazu bestimmt, größeres zu erreichen. Da war das doch selbstverständlich, dass sie zu reichen Leuten geführt wurde. Für sie nichts Ungewöhnliches und wofür man vielleicht sowas wie Dankbarkeit empfinden musste. Dieses leichte Gefühl war vielleicht ihrem kleinen Fetzen Menschlichkeit zu verdanken, das sie in sich trug. „Ich möchte sehr gerne stärker werden, wenn möglich ohne, dass Mutter und Vater Kenntnis erhalten, und meinen Kenntnishorizont erweitern. Wenn das nicht so einfach ermöglicht werden kann, wäre ich natürlich voll des Verständnisses und wir können uns auf ein paar nette Vorführungen beschränken, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben. Bitte, bereichern Sie meine Einfältigkeit mit Ihren magischen Fähigkeiten und Wissen.“ Ein liebevolles Lächeln umspielte ihre Lippen. Also ehrlich, wenn du dich tatsächlich so schlecht machen und das ernst meinen würdest, hätte ich dir schon längst die Hölle heiß gemacht! Schwäche zu zeigen ist etwas, das bei vielen Sympathie auslöst. Es ist nicht umsonst so, dass sich die Leute in Büchern mit den Underdog eher identifizieren als mit der stärksten und selbstbewusstesten Person. Das nennt sich auch Psychologie, Sakura. Raffiniert. Wie immer, hehe.
„Moment! Wo ist mein Geldbeutel?!“ Einige Schaulustige hielten in ihrer Bewegung an, drehten neugierig die Köpfe zu der jungen Frau, die hektisch ihre Tasche abklopfte. Erschrocken sah sie auf, die Augen weit aufgerissen. „Aber... oh nein! Dieser Junge!“ Die blonde Dame, die keinesfalls älter als Mitte zwanzig sein konnte, drehte sich hilfesuchend in alle Richtungen. Das Haar war zu einem schönen Zopf geflochten, das Make-Up war dezent, an den Ohren schimmerten Perlenohrringe und der Hals war geschmückt durch eine dazu passende Kette. Diese Frau schrie danach, aus gutem Hause zu stammen. Etwas, das ihr heute zum Verhängnis geworden war. „Bitte, jemand muss mir helfen!“, ergänzte sie mit weinerlicher Stimme und streckte die Hand nach einigen anderen Passanten aus. Doch diese sahen sich nur zweifelnd gegenseitig an, bevor sie entschuldigend mit dem Kopf schüttelten und weiter ihres Weges gingen. Niemand wollte sich in die Angelegenheit einmischen, in etwas hineingezogen werden, was nachher nur Probleme verursachte... doch kurz bevor die hübsche, blonde Frau endgültig in Tränen ausbrach, schritt ein hochgewachsener Mann auf sie zu. Das markante Gesicht wirkte durch den Bart noch strenger als ohnehin schon, das schwarze Haar war lang und zu einem losen Zopf gebunden. Unter der Kleidung zeichneten sich breite Schultern und ein muskulöser Oberkörper ab. Hinter ihm erschien noch eine kleinere Frau, die durch ihr feuerrotes Haar ziemlich aus der Masse hervorstach, sonst allerdings nur schweigsam dreinblickte. „Was ist passiert?“, fragte der Mann mit brummender, tiefer Stimme nach. Die blonde Dame sah mit großen Augen zu dem Mann herauf, schluckte und riss sich zusammen, um die Tränen im Augenwinkel niederzukämpfen. „Mein Geldbeutel... er wurde geklaut. Ich glaube, es war dieser Junge...“ Der Mann hob eine Augenbraue an, dann nickte er. „Wie sah er aus?“ Die Dame dachte kurz darüber nach, bevor sie Luft holte. „Er hatte dunkle Haut. Und... ziemlich wuschelige, braune Haare.“
Ah. Das war fast zu leicht gewesen. Kaum war Lian um die nächste Straßenecke gebogen, hatte er das schiefe Grinsen in seinem Gesicht nicht mehr zurückhalten können. Er griff in die Tasche seines dicken, schwarzen Kapuzenpullovers und holte einen hellblauen Geldbeutel hervor, der mit ein paar süßen Strasssteinchen verziert war. Hm, nicht ganz der Geschmack des Falls, aber es ging ja auch weniger um das Äußere, als um den Inhalt, den er in dem Geldbeutel vermutete. Er warf einen Blick hinein und das Grinsen ebbte ein wenig ab. Na, so wie die ausgesehen hatte, hatte er doch ein bisschen mehr Beute erwartet. Doch die Jewels, die ihm entgegenblitzten, konnten sich trotzdem sehen lassen. Es würde reichen, um sich ein schönes Abendessen und vielleicht auch ein paar neue Pfeile zu leisten. Damit hatte sich der kleine Diebstahl doch bereits gelohnt. Lian steckte den Geldbeutel zurück in die Tasche seines Pullovers, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und summte leise vor sich hin, während sein Weg ihn zum Crocus Park führte. Das Mädchen war selbst schuld gewesen, wenn sie ihren Reichtum so offensichtlich nach außen hin zeigte. Wenn man nicht bestohlen werden wollte, sollte man sich dezenter kleiden und die Markentasche auf offener Straße nicht zur Schau tragen. Eine Markentasche, die nicht einmal einen Reißverschluss besaß, um den Inhalt zu schützen. Der Falls hatte sichtlich gute Laune, denn es war das erste Mal seit seinem Eintritt in die Gilde Crimson Sphynx, dass er seinem alten Hobby wieder nachgekommen war. In Aloe Town hatte sich Lian zuletzt nicht getraut, von dem rechten Pfad abzukommen – er hatte das Gefühl, Aram könnte hinter jeder Ecke lauern. Doch hier in Crocus Town, der großen Hauptstadt Fiores, fühlte sich der Illusionsmagier seit langer Zeit das erste Mal wieder sicher. So, als könnte er tun, was er wollte. Bei seiner Ankunft in der Stadt hatte der Dunkelhaarige noch unglaublich schlechte Laune gehabt, denn er war gezwungen worden, einen Botengang für Crimson Sphynx zu erledigen. Ein kleiner Brief, der angeblich so dringend zum Empfänger gebracht werden musste, dass die Versendung mit der Post nicht ausreichte. Eine Aufgabe, die jeder Vollidiot hätte erledigen können. Jeder Vollidiot... oder eben Lian. Und das für eine Bezahlung, die spärlicher kaum hätte ausfallen können. Ehrlich, die Aufbesserung seines Einkommens war bitter nötig gewesen und die Gilde konnte sich selbst die Schuld geben, wenn sie ihre Aufträge so billig anbot. Wovon sollte Lian denn sonst bitte leben? Von Luft und Liebe? Zur Zusammenfassung: Alle waren selbst schuld, nur eben nicht Lian. Während der junge Mann seinen Gedanken nachhing, war er recht ziellos dem Kiesweg gefolgt, der durch den Park von Crocus Town führte. Doch irgendetwas ließ ihn innehalten. Ein Gefühl… als würde er verfolgt werden. Das Lächeln in seinen Zügen erlosch, als sich der Falls umdrehte und den Park und die Besucher genau musterte. Es waren viele Leute unterwegs, was kein Wunder war: Die Sonne schien und trotz des kühlen Windes war es einer der wenigen Wintertage, die man gut draußen verbringen konnte. Ein wenig Luft schnappen, die stickigen vier Wände verlassen. Es war daher gar nicht so einfach, herauszufinden, warum genau Lian sich verfolgt fühlte. Die Menschen wuselten durcheinander, doch das Gefühl des Falls sagte ihm, dass er lieber untertauchen sollte. Mit der Masse an Menschen in diesem Park verschmelzen - und in dem Moment, wo ihm dieser Gedanke gekommen war, blieb sein Blick an einem Schopf tiefroter Haare hängen. Dort stand ein Typ, von dem Lian nicht einmal ahnte, dass er der Gilde Crimson Sphynx angehören könnte. Bei ihm war eine junge Frau mit langen, indigoblauen Haaren und ziemlich heller Haut. Sie sah mindestens so vermögend aus wie das blonde Mädchen, das nun um einen Geldbeutel mit Strasssteinchen ärmer war. Nur einen kurzen Moment hielt sich der Dunkelhaarige mit dem Gedanken auf, wie viel Geld diese Frau wohl mit sich trug, bevor er die Überlegungen schnell beiseite fegte. Gerade ging es um etwas anderes! Die beiden schienen für den Moment ganz gut, um unterzutauchen. Also… „Hey!“, rief Lian aus, hob die Hand zum Gruß, kurz bevor er die letzten Meter zwischen ihnen zurückgelegt hatte. Bevor der Rotschopf sich auch nur zu ihm hatte umdrehen können, legte Lian ihm bereits den Arm um die Schulter und grinste ihn zufrieden von der Seite an - zuerst den jungen Mann, dann wanderte der Blick der hellgrünen Augen weiter zu der Frau. Als er das gefrorene Grasbüschel in ihren Händen sah, erstarrte das Grinsen und wich einem verwunderten Ausdruck. Lian löste sich von dem Rothaarigen, hob stattdessen beide Hände an und sah überrascht drein. „Okay, also ihr saht ja schon aus der Ferne nach einem ziemlich interessanten Pärchen aus. Aber was ist denn bitte das?“ Er deutete auf das gefrorene Gras und grinste dann fein. „Es ist vielleicht kalt, aber doch nicht so kalt. Da hat mein Gespür für interessante Leute mich wohl nicht im Stich gelassen, hm?“
Yuuki nickte mit einem Hauch von Enthusiasmus, als Grishira seine Erzählungen kommentierte und ihm somit bestätigte, was er von Crimson Sphynx erzählte. Es erfreute ihn stets, dass sich der gute Ruf der Gilde ausbreitete und sie selbst unter gewöhnlichen Menschen höchst bekannt und angesehen waren. Ganz anders als beispielsweise Fairy Tail, deren Ruf ihnen auch vorauseilte. Dass jedoch dabei jeder sein Hab und Gut festhielt, damit die Magier es nicht „versehentlich“ beim Ausführen ihrer Aufträge zerstörten, war eine ganz andere Sache. Grishira hatte sich damit die Sympathie des jungen Mannes gesichert, weshalb er gut gelaunt die Hände hinter seinem Kopf verschränkte, während er weitersprach. „Ich bin seit meinem siebten Lebensjahr Mitglied bei Crimson Sphynx.“, teilte er ihr lächelnd mit. Er hatte ihr zwar nicht sein Alter verraten, aber sie konnte sich durchaus ausmalen oder denken, dass er somit mindestens 10 Jahre lang bereits professioneller Magier war. Nachdenklich schaute er sie an und überlegte, ob er noch weitere Informationen von sich geben sollte – dabei ging es natürlich um keine Gildengeheimnisse, sondern vielmehr um seinen aktuellen Rang. Der Grynder hatte einen entsprechenden Bericht erst kürzlich im Weekly Sorcerer über seinen Aufstieg gelesen, sodass er mittlerweile von einigen Personen auf der Straße erkannt wurde. Das variierte natürlich von Stadt zu Stadt – während sich diese Information wie ein Lauffeuer in Aloe Town, dem Sitz von Crimson Sphynx, verteilte, wussten die Leute aus dem Norden und Süden vielleicht nicht darüber. Andererseits handelte es sich bei Crocus Town um die Hauptstadt des Landes, weshalb die belesenen Leute hier auch sicher bereits vom Aufstieg eines jungen Mannes in den S-Rang der Wüstengilde gehört hatten. Bei diesem Gedanken stieg nach wie vor Freude in ihm auf und ein Kribbeln bildete sich in seinem Magen. Es war einfach immer noch nicht zu glauben, was er erreicht hatte. Schließlich gab er seinem inneren Widerstand nach und fixierte die blauhaarige junge Frau wieder mit seinen rubinroten Seelenspiegeln. „Auch dass ich kein Neuling bin hast du gut erkannt, Shira. Mein Name ist Yuuki Grynder … S-Rang Magier von Crimson Sphynx.“ Neugierig blickte er die junge Frau ob ihrer Reaktion auf diese Aussage an. Das war doch vielleicht eine Entdeckung! Was Grishira wohl davon halten würde?
Als ihm die junge Frau mitteilte, dass sie keiner Gilde angehörte, setzte sich der Gedanke der Anwerbung in seinem Kopf fest. Ihre Eltern erlaubten es ihr nicht und ihr mangelte es an Talent meinte sie – doch was er gesehen hatte, sprach dagegen. Man konnte nicht einfach das Wasser in einem Grasbüschel einfrieren ohne entsprechende Fähigkeiten zu besitzen. Dass sie stärker werden wollte, konnte er verstehen. Und dass ihre Eltern, die dagegen waren, nichts mitbekommen sollten, war ebenfalls verständlich. Der Rotschopf atmete die Regeln von Crimson Sphynx und versuchte sich dementpsrechend regelgetreu zu benehmen, doch es stand nirgends geschrieben, dass er einer anderen Person nicht bei der Entwicklung ihrer Magie behilflich sein konnten. Das hier war ein freies Land und genauso konnte er sich verhalten, ungeachtet der Meinung Grishiras Eltern. „Alles klar, dann wollen wir mal.“ Innerlich bereitete sich Yuuki auf die Vorführung vor und überlegte, was er ihr zeigen konnte, um sie einerseits für Crimson Sphynx anzuwerben, andererseits natürlich, damit sie selbst etwas lernte. Keine einfache Sache, die man in fünf Sekunden entscheiden konnte. Glück im Unglück also, dass etwas völlig Unvorhergesehenes geschah. Ein lautes, aber nicht unfreundliches „Hey!“ ertönte von hinten und ehe er es sich versah, hatte irgendein Kerl den Arm um ihn gelegt und grinste in die Runde. Der Magnetismusmagier schaute ihn vorerst lediglich verdutzt an, während sein Kopf ratterte und er fieberhaft überlegte, wen sie sich da angelächelt hatten und ob er ihn kannte. Oder war es doch eher eine Bekanntschaft von Shira?
Schließlich löste sich der Kerl wieder von ihm. Was er da so von sich gab ließ vermuten, dass er weder Shira noch Yuuki kannte und sich ihnen aufgrund seines Interesses genähert hatte. Der junge Mann war freundlich genug, als dass er jemand Fremdes einfach weggeschickt hätte, nur weil er ihn nicht kannte. Der Typ schien doch nett zu sein! Sein Äußeres war auch nicht etwas, dass man allemal hier in der Hauptstadt antraf: Dunkler Teint, lockiges dunkelbraunes Haar und hellgrüne Augen. Er schien auch ein kleines Stück größer als der Rotschopf zu sein, wenn auch nicht viel! „Hey, ich bin Yuuki!“, grüßte er den Neuling also endlich und ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Unerwartet hieß nicht unerwünscht und vielleicht hatte er es hier ja mit einer interessanten Person zu tun. „Und wie heißt du?“ Das durfte man ja wohl fragen, immerhin war der Neue einfach so ins Gespräch hereingeplatzt. Manch anderer wäre vielleicht irritiert oder wütend darüber gewesen, doch bei Yuuki handelte es sich um eine sehr freundliche und offene Person. „Da hat dich dein Gespür sicherlich nicht enttäuscht, denn ich wollte Shira gerade etwas zeigen.“ Bei diesen Worten nickte er mit dem Kopf in Richtung der jungen Frau und verriet auf diese Art und Weise ihren Namen, ungeachtet dessen, ob sie vorgehabt hatte, ihn dem Neuankömmling zu verraten oder nicht. Der Grynder griff nach der karmesinroten Kürbisflasche an seiner Hüfte und hielt diese vor sich. Nach etwa zwanzig Sekunden tauchten allerlei metallische Gegenstände – ob metallene Kugeln, Messer, Spiralen, unförmige Stücke, alles Mögliche eben – aus der Taschendimension in der Flasche auf und verteilten sich im Gras des Parks. Wer jetzt befürchtete, dass sie gleich Ärger vom Parkwächter wegen Verschmutzung bekamen, musste sich keinerlei Sorgen machen. Die Flasche band sich der Crimson Sphynx Magier wieder an seine Hüfte, während sich das Metall wie von Geisterhand erhob. „High Magnetic Control.“ Gleich einem Sonnensystem umkreiste ihn das Metall, mal schneller, mal langsamer. Mal schoss es weg von ihm, nur um sogleich wieder zurückzukommen und kurz vor Aufprall mit seinem Körper inne zu halten. Grinsend wanderte sein Blick von Shira zum Neuen. Was sie wohl zu dieser kleinen Vorstellung halten würden?
Yuuki war also Gildenmitglied seit er sieben Jahre alt war? Holla die Waldfee, der Kerl war also bestimmt schon 10 Jahre dort. Grishira schätzte ihn in ihrem Alter oder vielleicht ein wenig älter ein, aber ganz genau wusste sie es nicht. Viele Leute zwischen 18 und 25 änderten sich vom Aussehen her eher wenig. So sah sie das jedenfalls. Die Indigohaarige war seit zwei Jahren bei der Royale Crusade, aber bloß, weil der Rothaarige schon total lange Mitglied war, fühlte sie sich in keinster Weise schlecht dabei. Die besten kamen manchmal zum Schluss. Als er ihr aber mitteilte, dass er bereits S-Rang-Magier war, musste sie unwillkürlich schlucken. S-Rang… Magier? Shira… ich glaub den solltest du nicht verärgern. Dieser Yuuki ist aber sehr nützlich für uns, wenn er so stark ist. Befreunde dich mit ihm und mach dir seine Fähigkeiten zu Nutze. Haha, wir haben einen dicken Fisch gefangen!! Sakura schien außer sich vor Freude. Die junge Frau konnte spüren, wie die Schadenfreude ihr Freundin durchströmte und auch Shira spürte eine gewisse Euphorie. Jetzt war Geschick angesagt. Würde sie zu übertrieben reagieren, hätte das seltsam ausgesehen. Zu lasch war auch keine gute Idee, denn dann wirkte sie abgeklärt und die Fassade, sie würde von den Gilden nicht viel Ahnung haben, würde bröckeln. Also lächelte die achtzehnjährige ehrfürchtig. „Ein S-Rang-Magier? Verzeihen Sie meine Aufgeregtheit, aber zu meinen Lebzeiten hatte ich noch nie das Vergnügen, einen so hochrangigen Magier zu begegnen. Sie scheinen etwa in meinen Alter zu sein und doch haben Sie es schon so weitgebracht. Das ist sehr erstaunlich.“ Die junge Frau verbeugte sich kurz und fügte noch hinzu: „Oh, man nennt mich Grishira Glacies.“ Sofort protstierte Sakura. Bist du wahnsinnig? Du kannst ihm doch nicht deinen Namen sagen! Oh doch, das kann ich und du müsstest doch eigentlich selbst wissen, dass man durch das Sagen der Wahrheit am meisten Vertrauen gewinnen kann. Nur essenzielle Dinge sollte man weglassen. Hast du mir das nicht mal beigebracht? Sakura brummelte vor sich hin und gab ihr dann recht. In dem Moment, wo Yuuki ihr einen Zaubertrick zeigen wollte, erspähte sie hinter ihm einen Jungen mit gebräunter Haut und dunkelbraunem Haar, der zunächst ein wenig verunsichert durch die Gegend schaute und dann zielstrebig auf die beiden Magier zusteuerte. In dreister Manier legte er den Arm um Yuukis Schulter und begrüßte sie mit einem fröhlichen „Hey!“ Noch einer. Sie wollte heute nur ihren kack, freien Tag genießen. Jetzt war nicht nur dieser Yuuki da, nein, jetzt kam noch einer. Das durfte doch nicht wahr sein!! Der Fremde schien allerdings, wie ihr erster Besucher, keine bösen Absichten zu hegen. Ob er wohl ein Bekannter vom rothaarigen S-Rang-Magier war? Denn sie konnte sich nicht erklären, wie er sonst diese ihrer Meinung nach äußerst intime Geste zustande bringen konnte. Hätte das jemand bei ihr gemacht, hätte der oder diejenige erst einmal ihren Ellbogen in die Magengrube gespürt. Kannten die Leute denn gar keine höfliche Distanz mehr? Yuuki stellte sich prompt vor und erwähnte kurz darauf auch ihren Namen, nachdem der Fremde auf die gefrorenen Grashalme in ihrer Hand gestarrt hatte und meinte, dass es doch gar nicht so kalt war. Er hatte wohl ein Gespür für interessante Leute, behauptete dieser. Grishira fand es sehr unverschämt, dass der Rotschopf einfach ihren Namen verriet, aber sie musste wohl oder übel mitspielen. Er hatte ihr zwar zugenickt, offensichtlich wusste er, was er tat und dass ihm bewusst war, dass er ihren Namen ausgesprochen hatte, ohne sie um Erlaubnis zu bitten, aber sie fand es trotzdem nicht in Ordnung! Also lächelte sie höflich, machte einen kurzen Knicks, wie es sie eben einer edlen Frau ihres Standes gehörte, und stellte sich auch kurz vor. „Hallo, welch eine Überraschung. Mein Name ist Grishira. Sie können mich aber auch Shira nennen, so wie der werte Yuuki mich zu nennen pflegt. Und was die gefrorenen Grashalme betreffen: Dieses bescheidene Werk entstammt meinen Händen. Es ist ein kleines Hobby, das ich zu verbessern versuche.“ Just in dem Moment fing der hochrangige Magier mit seiner Show. Aus einer Flasche, die aussah wie ein Kürbis, ließ er wie mit Geisterhand alle möglichen metallischen Gegenstände herausgleiten und verteilte sie dann alle auf dem Rasen. Das war ziemlich erstaunlich und er tat dies mit einer Leichtigkeit, die bewies, dass er ein fähiger Magier war. Respekt. Shira hob die Hände und klatschte sachte. „Wie wundervoll.“ Ein strahlendes Lächeln zierte ihr Gesicht und sie blickte den Rothaarigen respektvoll an. „Was für eine Kunst. Sie haben gewiss viel dafür lernen müssen.“ So sah also die magnetische Magie aus, interessant. Falls sich die beiden eines Tages mal feindlich gegenüberstanden, musste sie schnellstmöglich herausfinden, wie sie ihre Frostmagie gegen seine Magie einsetzen konnte. Sobald sie zurückkam, würde sie sich schnellstmöglich hinsetzen und sich über die Schwächen des Metalls informieren. Ihr war natürlich bewusst, dass seine Fähigkeiten ihre bei weiten überstiegen und dass sie ihm trotz Wissen über Schwächen sehr wahrscheinlich vollkommen ausgeliefert war, aber eines Tages würde sie mit Sicherheit auch so stark sein, wie er und sie konnte sich dann, wenn es dazu kam, gegen ihn behaupten. Aber erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Vertrauen gewinnen war nun ihr erstes Vorhaben.
Die Überraschung in den beiden Gesichtern war einfach zu köstlich. Beide schienen fieberhaft darüber nachzudenken, wer von ihnen den Neuankömmling kannte und woher. Lian grinste belustigt vor sich hin, wartete erstmal ab und genoss ein wenig die Irritation, die er mit seinem Auftauchen ausgelöst hatte. Erst als der Rothaarige das Wort ergriff, wandte sich der Falls diesem zu. Nur um das klarzustellen: Lian hatte keine Ahnung, dass es sich bei diesem Yuuki um einen S-Rang Magier der Gilde Crimson Sphynx handelte. Andernfalls hätte der Illusionsmagier sich mit Sicherheit ein anderes Pärchen gesucht, dem er sich hätte anschließen können. Jetzt rächte es sich, dass Lian nicht nur jeden Kontakt zu seiner Gilde mied, sondern auch tunlichst alle Informationen ignorierte, die über sie veröffentlicht wurden. Ob ihm dieses mangelnde Wissen noch zum Verhängnis werden würde? Wir dürfen gespannt bleiben! „Yuuki. Hi“, antwortete er entspannt auf die Vorstellung des Rothaarigen. „Lian mein Name. Freut mich“, ergänzte er gleich in lockeren Tonfall. Dass Yuuki so entgegenkommend reagierte, machte es Lian deutlich einfacher, Teil der Gruppe zu werden – er hatte schon befürchtet, dass die beiden ihn gleich wieder wegschicken würden, um weiterhin in trauter Zweisamkeit zu verbleiben. Dass dies nicht der Fall war, spielte dem Falls in die Karten. Hätte er gewusst, dass er diesen beiden Personen irgendwann in seinem Leben vielleicht nochmal begegnen würde, hätte er sich vermutlich eher einen falschen Namen ausgedacht. So allerdings ging der junge Mann nicht davon aus, dass es ihm irgendwelche Probleme bereiten würde, wenn sie seinen Namen kannten. Die hellgrünen Augen sahen hinüber zu der blauhaarigen Schönheit, die Yuuki in seinem nächsten Satz gleich mit vorstellte. Ob ihr das Recht war? Lian glaubte, ein kurzes Zögern in der Reaktion der jungen Dame zu erkennen und grinste verschmitzt, als sie dann doch zu einem höflichen Knicks ansetzte. Sie schien nicht ganz so zugewandt wie Yuuki, wenngleich sie sich darum bemühte, gutes Benehmen zu zeigen. Aber die höfliche Distanz war unverkennbar. War da jemand so gefangen in seiner guten Erziehung, dass er sich nicht traute, offen die eigene Meinung zu vertreten? Hatte der Falls sie etwas in der Eroberung ihrer neuen Flamme gestört? Er ahnte nicht, dass das Blauhaar einfach nur ihren freien Tag alleine genießen wollte. Lian entschied, sich einen kleinen Spaß daraus zu machen. „Shira, ja? Was ein äußerst passender Name“, äußerte er beiläufig, neigte den Kopf mit angehobenen Mundwinkeln und sah direkt in die königsblauen Augen der Magierin. Ob Grishira über die Bedeutung ihres Namens Bescheid wusste und die Anspielung verstand? Ja, davon ging Lian einfach mal aus.
Wenige Augenblicke später stellte sich heraus, dass der Wüstenbewohner nicht an irgendwelche Leute geraten war… sondern wirklich an zwei Magier. Die gefrorenen Büschel in den kleinen Händen der Dame war bereits ein Indiz gewesen, doch die Vorführung des Rothaarigen ging nochmal deutlich darüber hinaus. Lian trat einen Schritt zurück, als der Kollege einige Metallgegenstände aus einer Kürbisflasche beschwor, die zuerst im Gras des Parks landeten, dann allerdings, wie von Zauberhand, zu schweben begannen. Plötzlich flogen Messer, Spiralen und Kugeln auf Yuuki zu, nur um kurz vor dem Aufprall mit dem Körper abzubremsen und wieder die entgegengesetzte Richtung anzusteuern. Der Mund von Lian öffnete sich einen Spalt breit, als er sprachlos den fliegenden Gegenständen hinterherstarrte. Erst das sachte Klatschen von Grishira und ihre lobenden Worte lösten den Falls aus seiner Starre. Also unauffällig waren sie nicht gerade, weshalb der Falls sich kurz umsah, ob irgendjemand im Park ihnen größere Aufmerksamkeit schenkte. Aber … nein, das schien nicht der Fall zu sein, zumindest steuerte niemand auf sie zu. Soweit er das beurteilen konnte. „Meine Güte, zwei echte Magier aus direkter Nähe, das sieht man nicht alle Tage. Da fühl ich mich im Vergleich ja richtig schlecht.“ Lian hatte nicht vor, irgendetwas von seiner Magie zu erwähnen. Besser war es, wenn Grishira und Yuuki ihn für einen Normalo hielten – dadurch schenkten sie ihm weniger Aufmerksamkeit. Er sah zu Shira und lachte. „Du kannst nicht zufälligerweise auch irgendwelche Eissplitter durch die Gegend schießen oder es schneien lassen? Ich meine, man hat ja schon so Einiges gehört, wozu Magierinnen und Magier in der Lage sein sollen. Abgedrehte Sachen, die sich jemand wie ich kaum vorstellen kann. Da hat man ziemlichen Respekt vor.“ Lian hob die Hände entwaffnend an seufzte gespielt schwer. „Wenn ihr mir einen Bogen besorgt, kann ich ein paar Pfeile für euch schießen. Aber das eher schlecht als recht. Ganz davon ab, dass das deutlich weniger imponiert als eure abgefahrenen Sachen.“ Die Hände wanderten zurück in die Taschen des schwarzen Kapuzenpullovers. Die hellgrünen Augen sahen kurz zu Yuuki, dann zu Grishira. „Obwohl… vielleicht kann ich ja doch ein bisschen Magie?“ Schmunzelnd hob Lian seine beiden Hände an, hielt sie direkt vor seinen Körper. Und als er sie schließlich auseinanderzog, erschien eine kleine, blaue Kornblume, die er schließlich in der rechten Hand hielt und Grishira erheitert lächelnd entgegenstreckte. Das war nicht mehr als ein kleiner Taschenspielertrick und die blauen Kornblumen konnte man hier überall im Park am Wegesrand sehen, aber darum ging es gerade nicht. Shiras gute Erziehung würde es doch kaum zulassen, dass sie das Geschenk nicht annahm, oder? Lian riss sich zusammen, um nicht zu lachen. Ganz gleich, ob Shira das Geschenk annahm oder nicht, grinste der junge Mann am Ende in die Runde und zwinkerte. „Okay, okay. Ja, nicht ganz so cool wie fliegende Messer, schon klar. Aber kann ja nicht jeder mit so beeindruckenden Fähigkeiten geboren werden, hm?“ Ihm war nicht bewusst, dass in diesem Moment am anderen Ende des großen Parks zwei Personen die Grünfläche betreten hatten und gezielt nach einem wuscheligen Kopf Ausschau hielten. Aber... noch war er nicht entdeckt worden, weshalb das Gespräch des Trios noch ungestört fortgeführt werden konnte. Es blieb spannend!
Yuuki war lange nicht naiv, aber er gehörte definitiv zur Kategorie Mensch, die das Beste in anderen Personen sah und an das Gute in ihnen glaubte. Er hätte niemals gedacht, dass er es bei Shira mit einer Royal Crusade Magierin zu tun hatte, die sich bei der Erwähnung seines Ranges erhoffte, geheime Informationen aus ihm herauszulocken. Genauso wenig dachte er, dass er es beim Neuankömmling, der sich als Lian vorstellte, mit einem gemeinen Taschendieb zu tun hatte. Und auch noch einem, der dieselbe Gildenzugehörigkeit hatte wie er selbst! Auch wenn der andere das wohl am Liebsten leugnen würde. Der Grynder hatte genug im Leben mitgemacht, als dass er die kleinen Momente im Leben nicht zu schätzen wusste. Aus diesem Grund trug er stets ein Lächeln auf den Lippen und schien bestens gelaunt. Andererseits war er auch enorm interessiert an interessanten Dingen und äußerst neugierig, weshalb er so offen war und gerne mit anderen Leuten ins Gespräch ging. Das mochte manchmal etwas komisch wirken, als er ein Echsenmädchen in Magnolia Town plump angesprochen hatte, dass sie ein Echsenmensch war, aber niemand war eben perfekt. Eine weitere Eigenschaft die ihm zu gute kam, war definitiv seine hohe Auffassungs- und Beobachtungsgabe. Hätte Lian sich mit seinem vollen Namen vorgestellt, so wäre das Gespräch möglicherweise in Richtung des Gildenmeisters von Crimson Sphynx gegangen und der braunhaarige junge Mann hätte seine Herkunft vielleicht verraten. So aber wurde der Rotschopf lediglich Zeuge davon, dass der Gute ein äußerst aufgeschlossener und offener Zeitgenosse war, der einfach neue Leute kennen lernen wollte.
Nachdem er seine kleine Vorführung abgelegt hatte, sammelte er jegliches Metall vor sich und ließ es wieder abrupt zu Boden fallen. Shira schien begeistert ob dieser kleinen Vorstellung zu sein, denn sie klatschte tatsächlich und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Das war dem jungen Mann doch etwas unangenehm, weshalb er sich mit der Hand am Hinterkopf kratzte. „Danke. Wie sagt man so schön? Übung macht den Meister.“ Mit einem Lächeln antwortete er auf das Kompliment, welches ihm durchaus schmeichelte. Sie hatte bereits so euphorisch auf ihn reagiert, als er verkündet hatte, dass er S-Rang Magier von Crimson Sphynx war. Der Rotschopf war sich seiner selbst bewusst und wusste durchaus, dass er über ausgeprägte Fähigkeiten verfügte, war er aber doch niemand, der das ständig zur Schau stellte und angehimmelt werden wollte. Lian verkündete ebenfalls sein Erstaunen, doch sprach es mehr in die Gruppe als nur zum Magnetismusmagier. Vielmehr erkundigte er sich bei Shira, ob sie ebenfalls weitere Fähigkeiten mit dem Eis zur Schau stellen konnte. „Oh ja.“, pflichtete ihm Yuuki bei und nickte interessiert. Dabei beugte er sich ein wenig vor. „Was für Fertigkeiten hast du denn noch so? Zeig uns doch noch etwas? Sicherlich kannst du noch mehr als einen Grashalm gefrieren lassen, oder?" Mit einem breiten Lächeln ins Gesicht geschrieben, versuchte er die blauhaarige Magierin zu einer Vorstellung ihrerseits zu ermutigen. Ob er damit Erfolg haben würde?
Interessanterweise entpuppte sich der Neuankömmling als ziemlich interessanter Zeitgenosse. Zunächst hatte es den Anschein – zumindest hörte Yuuki dies aus seinen Worten raus – dass es sich bei ihm um einen gewöhnlichen Menschen handelte. „Ach was, sicherlich hast du als Bogenschütze auch tolle Fertigkeiten, die kein Magier so einfach hinbekommt.“ Aufmunternd nickte er dem jungen Mann zu. Auf die Schnelle ließ sich zwar kein Bogen organisieren, aber er wollte es trotzdem mal erwähnt haben. Nicht, dass sich der Andere noch schlecht fühlte, dass er nicht auch mit etwas brillieren konnte. Gut im Bogenschießen war auch etwas, aber nichts, was auf magische Begabung schließen ließ. Bei der Erwähnung der Waffe musste der junge Mann an seine eigene denken, die kühle im Inneren seines Ohres gegen die Haut ruhte. Aber das wäre doch wohl zu viel des Guten, wenn er jetzt noch mit Stabkünsten angeben würde. Hätte es sich bei dem anderen ebenfalls um einen Nahkämpfer gehandelt, so hätte er sicherlich nichts gegen eine kleine Vorführung oder ein Training gehabt. Umso erstaunter war der Wüstenmagier letztendlich, als Lian seine Hände in seinen Pullover führte und wie aus dem Nichts eine kleine Blume hervorzauberte, die er schließlich Shira charmant hinhielt. Bei diesem Anblick musste der Grynder lächeln. „Ein sehr interessanter Trick! Wie hast du das gemacht?“ Das war die Frage – handelte es sich bei ihm um einen billigen Taschenspieler oder verfügte er doch über magische Fertigkeiten, die es ihm erlaubten, magische Gegenstände aus seiner Taschendimension hervorzuholen?
Oh, apropos Taschendimension. „Lasst mich das nur mal schnell wegräumen, ehe wir Ärger bekommen.“, teilte Yuuki seinen beiden Gesprächspartnern pflichtbewusst mit und schaute sich unsicher um, als ob er jeden Augenblick einen schimpfenden Parkwächter erwartete. Dass sich tatsächlich zwei Leute näherten, die Ausschau nach Lian hielten, fiel ihm nicht auf. Stattdessen friemelte er wieder an seiner Kürbisflasche herum und saugte das ganze Metall auf. Anschließend grinste er in die Runde und verkündete: „Falls jemand mal ein Transportmittel braucht, sagt ruhig Bescheid. Hier drinnen ist genug Platz für ein ganzes Haus.“ Und das war noch nicht mal gelogen!
Lian war also sein Name, sehr interessant. Aber bis auf seinen Vornamen verriet der junge Mann nichts weiter. Keinen Nachnamen. Das war schlecht, aber wie dem auch sei: Sie musste die Prioritäten auf den Rotschopf setzen. Der Neuankömmling staunte über Yuukis Vorstellung nicht schlecht und fragte gleich darauf Shira, ob sie nicht vielleicht auch etwas draufhatte. Eissplitter durch die Gegend sausen lassen… Es kratzte an ihren Stolz und der hohen Meinung sich selbst gegenüber, als sie merkte, dass sie bis auf Icy Breath nur sehr wenig draufhatte. Sie hätte den beiden Männern, wären sie auf einer Eisfläche unterwegs gewesen, zeigen können, wie sie ohne Probleme darauf herumlaufen konnte aber das war vermutlich bei weiten nicht das, was sie erwarteten. Wie peinlich das doch war. Hätte sie sich doch bloß etwas mehr ins Zeug gelegt und noch mehr Kontakte geknüpft, dann wäre sie garantiert früher an bessere Zauber gekommen. Die junge Frau errötete und sie schaute beschämt zu Boden. Natürlich würde sie das nie im Leben tun, wenn sie dadurch keine Vorteile für sich entdeckt hätte. Mit Männerherzen spielen konnte sie wirklich sehr gut und was liebten sie mehr als eine hilflose Frau, der sie helfen konnten. Sie konnte spüren, wie Sakura anfing diabolisch zu grinsen. „Ich… muss gestehen, dass dieser Zauber der Einzige ist, dem ich vergönnt bin zu beherrschen, verehrter Lian und verehrter Yuuki.“ Sie räusperte sich kurz. „Wie schon gesagt, ich bin nicht talentiert genug.“ Wenn der Umstand, dass sie nur diesen Zauber konnte nicht wahr wäre, würde ihr die Situation weitaus weniger unangenehm erscheinen… Der gebräunte junge Mann erklärte, dass er lediglich mit Pfeil und Bogen glänzen konnte. Mh, eine nette Art des Kampfes. Auf Distanz zu kämpfen war immer besser für die eigene Unversehrtheit und Shira würde, falls Waffen für sie in Frage kamen, sich wohlmöglich auch für Lians Art entscheiden. Aber wenn sie einmal mächtig genug war, würde jeder Waffenbesitzer vor Neid erblassen, wenn sie erst einmal gesehen haben, wie nutzlos sie doch waren gegen die Macht, die sie in baldiger Zukunft ergriff. „Meines Erachtens ist der Umgang mit Pfeil und Bogen mit einer gewissen Eleganz beseelt, wenn Sie meine bescheidene Meinung dazu hören möchten. Bitte, spielen Sie diese ästhetische Kunst nicht so herunter. Sie hat gewiss Stärken, die Magie an manchen Stellen nicht hat.“ Natürlich wusste sie, dass es Magie gab, die ein beliebiges Geschoss weitaus zielsicherer und schneller den Gegner durchdringen konnte, als Pfeil und Bogen. Aber wie dem auch sei. Sie war nicht hier, um ihre Feinde zu verärgern, sondern um sie zu schmeicheln. Just in dem Moment überraschte Lian die beiden mit einem kleinen Trick. Er zauberte eine schöne blaue Kornblume hervor und reichte sie der jungen Frau. Oh,… Tatsächlich gab es einige wenige Dinge auf der Welt, die sie ohne Hintergrundgedanken mochte und schätzte. Und eines davon waren Blumen. Und dabei war es egal, welche es waren: Grishira liebte alle. Und ob man es glaubte oder nicht, aber in diesen Moment umspielte ein ehrliches Lächeln ihre sinnlichen Lippen und sie nahm das Geschenk dankend an. Blumen waren so vollkommen und rein. Sie waren ohne Makel. Yuuki räumte derweil den Park von seinen Gegenständen wieder auf und steckte diese wieder zurück in die Kürbisflasche, ohne vergessen zu erwähnen, dass, falls jemand ein Transportmittel brauchte, man ihn immer ansprechen konnte. Shira fiel es schwer zu glauben, dass dort ein Haus reinpasste. Aber sie wusste auch um die unglaublichen Dinge, die die Magie schuf, weshalb sie ihren neuen Bekannten zunächst Glauben schenkte. „Auf dieses Angebot werde ich gewiss eines Tages noch zurückkommen. Allerdings stellt sich mir die bescheidene Frage, ob Ihr Gefäß für einen Transport auch komfortabel ist. Sie wissen sicherlich, was ich zu sagen versuche… Einen schönen Tisch mit einer Tasse Tee und ein paar liebevoll gebackene Plätzchen.“ Sie kicherte. Heh, da würde sich das Bild einer guterzogenen Dame mit Sicherheit verfestigen. Immerhin konnte sich Shira vorstellen, dass sich gerade Yuuki und vielleicht auch Lian wie Gentlemen verhalten würden und ihr den größten Komfort anboten. Selbstverständlich zog die achtzehnjährige den Transport in einer Kürbisflasche niemals in Betracht. Das war demütigend und würde ihren Stolz derart verletzen, dass sie wohl gezwungen war, den armen Rotschopf hinterrücks zu ermorden, um sich wieder einigermaßen besser zu fühlen. Und da sie das vorerst nicht wollte, würde sie sich, falls es zu einer derartig skandalösen Situation kam, jede Ausrede einfallen lassen, die ihre Kreativität zuließ, damit sie nie solch eine Schmach erfuhr. Lians kurzer Blick auf einen anderen Weg des Parks blieb Shiras wachsamen Augen nicht unbemerkt. Da sie neugierig war, was der junge Mann denn so interessant fand, entschloss sie sich so zu tun, als würde sie das schöne Geschenk fallen lassen. „Oh Verzeihung, ich beabsichtigte so feinfühlig mit Ihrem wohlgemeinten Geschenk umzugehen, dass ich vergas, es fest genug zu halten.“, sagte sie, nachdem sie es aufgehoben hatte. Während sich Shira gebückt hatte, schielte sie für einen kurzen Augenblick in die Richtung, in der Lian geschaut hatte und konnte unter all den Menschen zwei Gestalten entdecken, die deutlich auffälliger aussahen, als der Rest des Gesindels. Ihre Blicke sprangen von einem Gesicht zum anderen, schienen etwas oder jemanden zu suchen. Mh, vermutlich bedeutete dies nichts. Vielleicht hat der Braunhaarige auch einfach nur hingesehen, weil sie so auffällig waren. Ein großer Mann mit dichtem Bart und durch einen lockeren Zopf gebändigtes langes, schwarzes Haar und eine Frau mit feuerrotem Schopf. Ein ungleiches Pärchen, wie Shira fand. Unauffällig schritt Grishira ein wenig zur Seite um einen etwas besseren Blick auf die beiden zu haben. Plötzlich musterte der große Mann die Dreiergruppe und seine schwarzen Brauen zogen sich zusammen. Er wechselte mit seiner Kumpanin vielsagende Blicke und gingen plötzlich zielstrebig auf Yuuki, Lian und der jungen Glacies zu. „Ich glaub wir haben den ehrenlosen Rotzbengel gefunden“, hörte sie ihn sagen. Wen er wohl meinte?
Billig?! Ein billiger Taschenspieler?! Also bitte! Lian war vieles, aber eindeutig nicht billig. Pff. Wenn der Dunkelhaarige von den Gedankengängen Yuukis gewusst hätte, wäre er nicht nur ehrlich betroffen gewesen, sondern hätte dem Großmaul auch gehörig die Meinung gegeigt. Billig… selbst die Autorin dieses Textes muss diese Beleidigung noch verdauen! Okay, okay. Lassen wir das mal außen vor und konzentrieren uns lieber auf die tatsächlichen Begebenheiten. Sowohl das Rothaar als auch Grishira lobten mit jeweils ganz eigenen Worten die Kunst des Bogenschießen. Gaben sie sich Mühe, ihn aufzumuntern? Der Falls lächelte sachte, für ihn fühlte es sich mehr so an, als würden sie sich einfach nur Mühe geben, damit der Neuankömmling sich trotz seines Normalo-Daseins nicht vollkommen abgehängt fühlte. Manche würden das als nett und freundlich bezeichnen, Lian dagegen fand es hochnäsig. Auch das… war wohl den Erfahrungen geschuldet, die er in seinem Leben bisher so gemacht hatte - auch mit Magiern. Er wollte nicht wie ein Hündchen betätschelt werden – naja, gerade kam es ihm zumindest entgegen, denn ein Normalo wurde viel eher unterschätzt als ein Magier. Und dann folgte ein wirkliches Erfolgserlebnis: Die blauhaarige Dame nahm die ebenso blaue Kornblume an! Und… erahnte Lian da ein ehrliches Lächeln auf den Lippen der sonst recht blassen Gestalt? Ja, eindeutig! Lian verbuchte den Punkt eindeutig für sich, was er mit einem zufriedenen Grinsen zum Ausdruck brachte. Er ahnte nicht, was noch so alles außer guter Erziehung hinter der hübschen und ein wenig zurückhaltenden Fassade schlummerte. Nachdem er die Blume in die zierlichen Hände von Grishira gelegt hatte, drehte er sich zu Yuuki, der fragte, wie er den Trick mit der Blume angestellt hätte. Lian zwinkerte und hob den rechten Zeigefinger grinsend an. „Na, na, na. Was wäre ich denn für ein Künstler, wenn ich meine Tricks verraten würde?“, fragte er nach, holte dann wie von Zauberhand eine Münze (nicht magnetisch!) hervor und ließ diese fließend zwischen den Fingern seiner rechten Hand wandern. Während der Blick seiner hellgrünen Augen auf der Münze lag, verschwand die Münze plötzlich und ohne, dass eine Berührung der Hände stattgefunden hätte, wanderte die Münze plötzlich durch die Finger der linken Hand weiter. Es hatte fast etwas von einem geschickten Klavierspiel – nur eben ohne Klavier. Er schnippte die Münze in die Höhe, die in einem Bogen auf Yuuki zuflog. Doch kurz bevor die Münze dem Rothaarigen tatsächlich auf den Kopf hätte fallen können, trat Lian näher, fischte die Münze mit einer schnellen Bewegung aus der Luft und grinste den Magnetismusmagier amüsiert an. In der gleichen Bewegung öffnete sich die Hand wieder und er präsentierte Yuuki die leere Handfläche. Was? Das war total langweilig, wenn man echte Magie beherrschte? Vielleicht – aber tatsächlich war es ein ganz anderes Ziel, was der Falls mit dieser Vorführung verfolgte. Es ging nicht darum, Grishira und Yuuki zu beeindrucken. Aber seine wirklichen Absichten konnten beiden nicht ahnen. Gut so.
Der Lockenkopf ließ seine Hände wieder in den Taschen seines Pullovers verschwinden und trat einen Schritt zurück, um dem Rothaar den Raum zu lassen, seine vielen Metallgegenstände wieder aufzusammeln. Interessiert beobachtete er, wie der junge Mann mit seiner Kürbisflasche wie mit einem Staubsauger über den kühlen Rasen fegte und ein Gegenstand nach dem anderen in der Flasche verschwand. Da drin sollte Platz für ein Haus sein? Man konnte es als Transportmittel gebrauchen? Das… war interessant. Und konnte man vielleicht für sich nutzen. Die Gedanken des Falls ratterten bereits, als Grishira sich einschaltete und erwähnte, dass sie auf das Angebot als Transportmittel lieber verzichten würde. Die hellgrünen Augen sahen wieder zu der jungen Frau, die ein leises Kichern erklingen ließ. Diese Ausdrucksweise… dieses Mädchen musste wirklich fernab des normalen Lebens großgeworden sein. Ganz anders als Lian, der mit einem so vornehmen Verhalten wirklich nicht mithalten konnte. Er stufte sie als ziemlich naiv ein. „Oh, also ich würde darauf vielleicht mal zurückkommen“, stimmte er dem Angebot offen zu und zuckte mit den Schultern. Er öffnete den Mund, während Yuuki noch dabei war, die letzten Utensilien einzusaugen, doch ehe er wirklich etwas sagen konnte, ließ Grishira aus Versehen die blaue Blume fallen, die Lian ihr geschenkt hatte. Der Wüstenbewohner verstummte und seine Aufmerksamkeit lag wieder auf der Blauhaarigen. Er winkte ab. „Ach, mach dir da mal keine Gedanken. Notfalls schenke ich dir eine Neue. Oder zwei?“ Als die junge Frau sich wieder erhob und einen Schritt zur Seite trat, öffnete sich plötzlich der Blick in den Park hinein. Lian lächelte noch locker, doch dieses Lächeln fror ein, als er einen direkten Blick mit einem tiefschwarzen Augenpaar in der Ferne austauschte. Der Mann mit Bart und rabenschwarzen Haaren blieb ebenso an Lian hängen wie dieser an ihm. Als er schließlich gefolgt von einer Frau mit roten Haaren zielstrebig auf das Grüppchen zutrat, wusste der Falls, dass sie es auf ihn abgesehen hatten.
Das mussten seine Verfolger sein.
„Ich glaub, wir haben den ehrenlosen Rotzbengel gefunden.“ Das zuvor stets freundlich grinsende Gesicht war wie weggewischt, als Lian diese Worte vernahm und Mann sowie Frau zielsicher auf sich zuschreiten sah. Für den kurzen Moment vergaß er die Anwesenheit von Grishira und Yuuki, stattdessen blickte er stoisch der sich anbahnenden Gefahr entgegen. Als nur noch wenige Meter sie trennten, rief der Falls dem deutlich stämmigeren Mann entgegen. „Was wollt ihr?“ Doch anstatt sich von diesen Worten aufhalten zu lassen, trat der Fremde auch noch an Grishira und Yuuki vorbei, packte ohne Umschweife nach dem rechten Handgelenk von Lian und riss es förmlich aus der Tasche seines Pullovers nach oben. „Hey! Sag mal, geht’s noch?!“, blaffte der Lockenschopf. Zugegeben: Eine gewisse Panik stieg in Lian auf, aber er würde einen Teufel tun, sich das anmerken zu lassen. Er wollte eine weitere Beschwerde äußern, aber der extrem feste Griff um sein Handgelenk ließ den 19-Jährigen noch im Luftholen verstummen. Er knurrte zwischen zusammengebissenen Zähnen, um den Schmerz von seinem Handgelenk zu unterdrücken. Die Situation war zum Zerreißen angespannt, als der Mann Lian von oben herab direkt in die Augen sah. „Einer jungen Frau ganz in der Nähe wurde ihr Geldbeutel gestohlen. Und was ein Zufall, passt ihre Beschreibung ganz genau auf dich. Dunkler Teint, lockiges Haar. Hast dich ein bisschen zu sicher gefühlt, was?“ Die Beschreibung passte auf ihn? Lian grinste angestrengt, was durch die Schmerzen gar nicht so einfach war. „Dein Ernst? Willst du mir erzählen, ich bin die einzige verdammte Person in dieser riesigen Stadt mit dunkler Haut und Locken? Scheiße, kann man nicht einmal mehr in Crocus Town zu Besuch sein, ohne gleich von irgendwelchen Ordnungswächtern überfallen zu werden? Ich sage es jetzt nur einziges Mal, sodass sogar du es verstehst: Ich hab keinen verdammten Geldbeutel gestohlen!“, regte sich der Falls auf und verstummte erst, als der Griff um sein Handgelenk erneut fester wurde. Anstatt darauf einzugehen, deutete er seiner Kollegin mit dem roten Haar mit einer kurzen Bewegung des Kopfes an, Lian zu durchsuchen. „Das werden wir ja gleich sehen.“ Die Fremde ging auf den wehrlosen Illusionsmagier zu und begann tatsächlich, seinen Körper abzuklopfen. In der Zeit sah das tiefschwarze Augenpaar wieder direkt zu Lian. „Ich kenne so einen Abschaum wie dich zu genüge, ihr seid alle genau gleich. Und genau deshalb erkenne ich sofort, womit ich es zu tun habe, wenn ich es sehe.“ In diesem Moment kam die Frau an den Taschen des dunklen Kapuzenpullovers an. Erst strich sie darüber, dann griff sie gezielt hinein. Der Falls hielt die Luft an, öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen. Die Frau stutzte, hielt kurz inne. Dann kam ihre Hand wieder zum Vorschein und… war leer. Der schwarzhaarige Mann schien ebenso überrascht wie seine Kollegin, das war der Moment, den der Lockenkopf nutzte, um sich mit einem beherzten Ruck aus dem Klammergriff zu befreien. Sofort trat er einen Schritt zurück und rieb sich dabei das schmerzende Handgelenk, das kribbelte, als wäre es von tausend Ameisen gebissen worden. „Seid ihr jetzt durch mit euren falschen Beschuldigungen?! Ihr solltet schleunigst verschwinden, ansonsten rufe ich gleich selbst ziemlich lautstark nach Hilfe. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr das tatsächlich wollt.“ Der fremde Mann verzog die Mundwinkel und schien mit sich zu kämpfen, nicht gleich eine weitere Beleidigung zum Besten zu geben. Aber was sollte er machen? Wenn sie das Diebesgut nicht fanden, konnte er nur mit einer vagen Beschreibung kaum weiter auf Lian losgehen. Das… wusste natürlich auch der Falls. Als sich die Blicke zwischen ihm und dem fremden Schwarzhaar erneut trafen, schienen sie non-verbal genau dieses Wissen auszutauschen. Sie wussten es beide. Und sie wussten, wer gerade im Vorteil war - Lian durfte jetzt bloß nicht grinsen. Anstatt sich zu entschuldigen, drehte sich das Schwarzhaar zu Yuuki und Grishira. „Gehört er zu euch?“, fragte er nach. Oh. Das war eine interessante Wendung. Eine Wendung, mit der der Falls nicht gerechnet hatte. Ob zwei fast fremde Personen für ihn Partei ergreifen würden?
Wäre Yuuki ein Hund gewesen, so hätte man ganz offensichtlich an seinem Erscheinungsbild seine Enttäuschung erkennen können. Die vorher vor Neugier aufgerichteten Ohren hätten sich enttäuscht gesenkt und wahrscheinlich hätte er seinen Kopf geknickt hängen lassen. Möglicherweise sogar den enttäuschten und bettelnden Hundeblick aufgesetzt. Aber da es sich beim Grynder um einen Menschen und keinen Hund handelte, war die Enttäuschung eben nicht so offensichtlich zu erkennen. Der junge Mann ließ die Schultern lediglich ein wenig sinken, aber sah die Möglichkeit, Shira etwas aufzubauen. „Mach dir keine Sorgen, mit viel Übung wirst du dich sicher verbessern!“ Man bekam im Leben halt nichts geschenkt, sondern musste dafür arbeiten – das war beim Zaubern genauso wie für jede andere Tätigkeit. Es hieß ja nicht umsonst, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen war. „Und wenn ich dir irgendwie helfen oder den einen oder anderen Trick zeigen kann, dann mache ich das nur zu gerne.“, fügte er aufmunternd und lächelnd hinterher. Yuuki hatte ja keine Ahnung, dass die Person vor ihm ihn und Lian lediglich ausnutzen wollte und sich um seine Freundlichkeit keinen Deut scherte.
Apropos Lian! Dieser hielt sein Schauspiel weiter aufrecht und wollte keinesfalls verraten, wie er den Trick mit der Blume ausgeführt hatte. *Immer diese Künstler. Naja, aber jeder wie ihm am Liebsten ist.*, dachte sich der Rotschopf zunächst etwas enttäuscht, ehe er den Folgetrick des jungen Mannes wieder interessiert verfolgte. Erst links, dann rechts und plötzlich flog die Münze auf ihn zu. Doch ehe er von ihr getroffen wurde – der Crimson Sphynx Magier hätte wohl seine magnetischen Kräfte eingesetzt, um sie aufzuhalten, und wäre damit bös auf die Nase gefallen – schnappte sie sich der dunkelhäutige junge Mann wieder. „Nicht schlecht, du bist echt geschickt.“, teilte der Rotschopf dem Anderen mit, nichtsahnend, was er damit in Wahrheit im Sinn gehabt hatte. Aber das würde sich wohl oder übel noch im Laufe des Tages herausstellen! Zumindest konnte er auch mit seiner Kürbisflasche beeindrucken, obgleich er die Vermutung hegte, dass sie ihm nicht so recht abkauften, dass sich dort ein ganzes Haus befinden könnte. „Natürlich ist der Transport komfortabel! Stell dir mal vor, du könntest die ganze Welt bereisen und wenn du dich ausruhen oder schlafen möchtest, gehst du einfach in die Flasche und hast dort dein Zuhause! Wäre das nicht cool?“ Bei diesen Worten wurde Shira breit grinsend und aus großen und enthusiastisch dreinblickenden Augen angeschaut. Ja, da war wieder etwas Wahres dran an seinen Worten. Denn Yuuki plante früher oder später auf der Suche nach seinen Eltern die Landesgrenzen zu überschreiten. Dann wäre er möglicherweise monatelang unterwegs, allein, in einem fremden Land. Da wäre es doch tröstlich, zumindest jeden Abend ein schönes Bett in seinem eigenen Haus zu haben, welches sich praktischerweise in seiner Flasche befand. Aber davon konnte ja keiner der beiden Anderen etwas ahnen. „Du wirst es nicht bereuen.“, teilte er dem andere jungen Mann grinsend mit. Irgendwie war ihm der Kerl ziemlich sympathisch!
Während sich Shira und Lian noch bezüglich der zu Boden gefallenen Blume unterhielten, bemerkte der Magnetismusmagier die sich nähernden Ordnungshüter. Zunächst überrascht, dass sie zielstrebig auf ihn und die anderen zumarschierten, wandelte sich die Verwunderung schnell in Argwohn und Ärger. Die beiden Ordnungshüter – ein schwarzhaariger Mann und eine rothaarige Frau – packten Lian am Handgelenk und nahmen ihn ganz schön in die Mangel. Der Rotschopf wollte bereits eingreifen, als schließlich einer von ihnen sagte, dass es sich bei Lian um einen Verdächtigen handelte und dass in der Nähe ein Geldbeutel gestohlen worden war. Und die Beschreibung passte zu dem dunkelhäutigen jungen Mann. Rubinrote Seelenspiegel huschten vom Ordnungshüter zu dem jungen Mann, während Yuuki nun zögerte und fürs Erste nicht wusste, was er tun sollte. Eigentlich handelte es sich bei der Beschreibung und den Anschuldigungen der Ordnungshüter um keinerlei handfeste Beweise: Es gab tatsächlich viele dunkelhäutige junge Männer hier. Dass die Beschreibung genau zu Lian passte, war wohl einfach ein unglücklicher Zufall. Als die Frau den jungen Mann nämlich durchsuchte und nichts fand, war die Sache nämlich klar: Sie hatten irrtümlicherweise die falsche Person erwischt!
„Gehört er zu euch?“, erkundigte sich der rabiate Mann bei Shira und Yuuki. Für ihn stand die Sache fest, sie hatten hier einen Unschuldigen fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt, weshalb der Grynder bereit war, für den ihm eigentlich Unbekannten den Kopf hinzuhalten. „Ja, wir waren gerade im Gespräch, ehe ihr ihn einfach angeschuldigt und gepackt hat.“, teilte Yuuki dem Mann mit und führte ihm vor Augen, wie die Szene für Außenstehende gewirkt haben musste. Dass er sich dabei keine Freunde mit seiner Aussage machte. „Vielleicht gehören die ja alle zusammen und haben sich verschworen!“, versuchte es der Mann nun auf eine andere Art und Weise. Auf diese Aussage hin musste der Magnetismusmagier seufzen. Konnte dieser Typ nicht einfach verstehen, dass er einen Fehler gemacht hatte? Zum Glück handelte es sich beim Rotschopf um den eher geduldigeren Typ. „Ihr könnt natürlich mit diesen Anschuldigungen um euch schmeißen, aber wenn ihr über keine Beweise oder Sonstiges verfügt, würde ich mich sehr freuen, wenn wir unsere Unterhaltung hier fortsetzen könnten.“ Dazu noch ein freundliches – aber wahrscheinlich provokantes – Lächeln, um seinen Standpunkt klar zu machen. Der junge Mann hoffte inbrünstig, dass der Ordnungshüter nun endlich seine Niederlage einsah und die Gruppe in Ruhe ließ. Als Crimson Sphynx Magier war ihm daran gelegen, nicht den Ruf seiner Gilde in den Schmutz zu ziehen. Aber er würde sich von so einem Kerl nicht auf der Nase herumtanzen lassen!
Ob die sich gleich prügeln? Grishiras Mundwinkel zuckten leicht. Wer weiß. Hoffentlich spritzt das Blut nicht auf meinen kostbaren Kimono. Der war nicht billig. Die beiden Grobiane hatten sich offensichtlich getäuscht. Sie waren auf Lian zugegangen und haben ihn beschuldigt, Diebstahl gegangen zu haben. Der jungen Glacies war es herzlich egal, ob es tatsächlich wahr war oder nicht. Sollte er doch klauen – und wenn er versuchte, ihr etwas zu klauen, würde er wahrscheinlich auch nur eine Hand voll Jewels bekommen. Zu wenig, als dass man den Fang hatte als gute Beute bezeichnen können. Grishira war doch nicht so doof und nahm ihr Vermögen in alle Welt mit. Yuuki versuchte die Situation zu deeskalieren, aber die beiden Neuzugänge ließen sich nicht beirren. Die neue Beschuldigung war, dass sich die drei Verschworen haben und unter einer Decke waren. Bitte, was? Also wirklich, was war das denn für eine infantile Behauptung. Die junge Frau blickte abwechselnd zu Yuuki und zu Lian. Dann zu den Ordnungshütern. Tja, dann musste sie die Sache eben klären, wie sie sich das in diesen Moment dachte. Auf keinen Fall wollte sie, dass nachher die Runde machte, dass sie sich mit irgendwelchen niedrigen Gesindel verschworen hatte, nur, weil zwei engstirnige Vollidioten behaupteten, sie wären Diebe und hätten sich miteinander verschworen. Nicht, dass Grishira die beiden als solche betrachtete – ausnahmsweise. Yuuki war hochrangiger Magier und Lian…? Tja, der hatte bestimmt auch seine Geheimnisse. Das war doch glasklar, nachdem er es nicht für nötig gehalten hatte, seinen Nachnamen zu nennen. Aber die Leute würden denken, dass das beide Diebesgesindel waren und da sie da hineingezogen wurde, würde man sie auch so bezeichnen und das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen! Shira… Du machst das jetzt nicht wirklich, oder? Oh doch, meine Liebe! Hihihi. Die junge Erwachsene trat einen Schritt vor und legte den beiden jungen Männern die Arme um die Taille. Dann schaute sie die Ordnungshüter mit dem treuherzigsten und liebevollsten Blick an, den sie zu bieten hatte. „Aber bitte, meine lieben Herren und verehrte Dame!“, flötete sie. „Das ist ein großes Missverständnis. Die Beschreibung mag vielleicht auf meinen Freund zutreffen, aber ich könnte Ihnen vielleicht behilflich sein. Die beiden sind meine Partner und sie würden nie etwas derart Unehrenhaftes tun. Nicht wahr?“ Sie schaute Lian mit einem zauberhaften Lächeln an und dann Yuuki, mit dem gleichen Blick. Hoffentlich bemerkten die beiden ihre Flunkerei. „Tatsächlich habe ich vorhin auch einen Verdächtigen vorbeilaufen sehen, wenn ich so frei sein darf, meine Schilderungen zu erläutern. Er sah sehr gestresst und äußerst verdächtig aus.“ Sie ließ die beiden Magier los und ging auf den verdutzten, schwarzhaarigen Mann zu und berührte sanft seinen Arm. „So ein stattlicher Mann wie Sie hat doch bestimmt die Gabe das Gesindel von ehrenvollen Herrschaften zu unterscheiden, oder muss ich mich hier leider irren? Sie haben doch gesehen, dass mein armer Freund, den Sie zu Unrecht beschuldigen, keine verdächtigen Gegenstände bei sich hat.“ Hoffentlich klappte das. Dieser Großklotz von einem Mann ging doch wohl hoffentlich auf die manipulativen Versuche, ihren weiblichen Charme zu nutzen, ein. Wenn er weiter so rumnervte, würde sie vielleicht auch seine Hand einfrieren? Nein, das war keine gute Idee. Allerdings bewegte sich Grishira auch jetzt auf dünnem Eis. Denn immerhin war ihr Handeln ganz schön gerissen und das wusste sie sehr gut. Doch wie hätte sie es anders machen können? Es gab zwei Möglichkeiten: Diese Methode oder die schmerzhafte. Und damit ihr Charakter nicht aufflog, musste sie so weiterspielen. Natürlich würden Yuuki und Lian überrascht sein, weil sie so offensichtlich flunkerte und garantiert hatten sie das von einer so wohlerzogenen Frau nicht erwartet. Aber vielleicht, und das hoffte sie, hatten die beiden dann eine gewisse Anerkennung für sie übrig, was ihr dann natürlich zugutekam. Und vielleicht konnte sie, ob bewusst oder unbewusst, vor allen Yuukis Vertrauen gewinnen? Sie konnte es nicht genau sagen und musste dieses Risiko wohl eingehen. Warum riskierst du so viel? Sie spürte, dass Sakura nicht viel Verständnis für diese Aktion aufbringen konnte. Verstehen konnte es Shira. Sehr gut sogar. Wann haben wir je einen S-Rang-Magier getroffen? Nenn mir eine Situation. Das ist eine so große Chance. Wenn man mächtige Verbündete hat, bringt es einen nur weiter. Wenn du auffliegst, dann beschwer dich nachher nicht, wie sehr du in die Scheiße reingeritten bist. „Na schön.“ Der Mann seufzte. Grishira konnte sehen, dass sein Gesicht merkwürdig rot geworden ist. Offensichtlich hatte er gerade Kopfkino von Lian, Yuuki und ihr als Liebes… Trio. Nun, Shira musste schon sagen, dass sie die beiden nicht von der Bettkannte stoßen würde. Schlecht sahen sie nicht aus. Sie musste sich ein Schmunzeln verkneifen. „Euch drei behalte ich aber im Auge. Und wenn ich auch nur eine verdächtige Bewegung sehe, ist es aus und ihr kommt mit ins Revier!“ „Aber Eddy, warum glaubst du dieser Fr-“ „Klappe, Weib. Offensichtlich haben wir den Falschen.“, unterbrach er seine Kollegin grob. Dann drehten sich die beiden um und gingen ohne sich zu verabschieden weiter ihrer Wege. Doch anscheinend ließ sich ‚Eddys‘ Kollegin diese Unverschämtheit nicht gefallen und die Indigoblauhaarige konnte gerade sehen, kurz bevor die beiden Kollegen um die Ecke eines kleinen Pavillons gingen, dass die rote Zora dem Kerl dermaßen stark in den Rücken trat, dass sie fast meinen konnte, ein Knacken zu hören. Aber das war vielleicht auch nur Einbildung. Die hat dem Kerl bestimmt den Rücken gebrochen, hahaha! Shira ignorierte Sakuras Kommentar und drehte sich zurück zu Lian und Yuuki. „Denken Sie jetzt bitte nichts falsches über mich. Aber ich wage zu behaupten, dass der weibliche Charme in solchen Situationen am meisten hilft. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn jemand von Ihnen oder diesen Grobian Gewalt angewandt hätte. Und diese falschen Anschuldigungen sind doch mehr als inakzeptabel. Ist alles in Ordnung mit Ihrer Hand, Lian?“ Sie schaute besorgt auf das gerötete Handgelenk. Als ob sie das auch nur annährend juckte, aber sie musste das Spiel jetzt durchspielen.
Lian rieb sich sein schmerzendes Handgelenk, während der Blick seiner hellgrünen Augen vom schwarzhaarigen Grobian zu Yuuki sowie Grishira wechselte. Ah – ihm gefiel es nicht, dass der Erfolg seines Plans davon abhängig war, dass die Beiden sich für ihn einsetzten. Es war nicht kontrollierbar und vollkommen davon abhängig, was die beiden für Persönlichkeiten mitbrachten. Die wenigen Worte, die sie bisher ausgetauscht hatten, reichten nicht aus, damit der Falls das abschließend einschätzen konnte. Und doch blieb ihm in diesem Moment keine andere Möglichkeit, als darauf zu hoffen, dass Yuuki und Grishira naiv genug waren, um ihm zu vertrauen. Zuerst war es der Rothaarige, der zu sprechen begann. Und bereits mit dem ersten Wort stahl sich ein erleichtertes Lächeln auf die Lippen von Lian: Yuuki hatte zugestimmt! Sehr gut. Der Ordnungshüter – war das eigentlich ein Ordnungshüter? – wollte sich damit noch nicht zufriedengeben. Stattdessen beschuldigte er die gesamte Gruppe, unter einer Decke zu stecken. Oh mein Gott, der spielte Lian ja perfekt in die Karten! Wenn so eine gemeinsame Beschuldigung kein Gemeinschaftsgefühl auslöste, was dann? Der Lockenschopf hätte das kaum besser anstellen können. Yuuki ließ sich das nicht gefallen und machte seinen Standpunkt mit einem provozierenden Lächeln klar. Hatte Lian ein schlechtes Gewissen, dass er hier das Vertrauen von zwei Unschuldigen missbrauchte, um sich selbst aus der misslichen Lage zu befreien? Ach wo! War ja nicht so, dass Yuuki oder Grishira irgendwelche Nachteile dadurch hatten. Obwohl… vielleicht schon. Aber das würde sich erst zu einem späteren Zeitpunkt offenbaren, wenn Lian schon längst über alle Berge war.
So richtig überraschen tat ihn allerdings die junge Frau aus gutem Hause. Unerwartet spürte der Wüstenbewohner, wie sich ein Arm um seine Taille legte und als er zur Seite blickte, hatte die Dame mit den auffallend blauen Haaren sich direkt neben ihn begeben und drückte ihn ein wenig an ihren grazilen Körper. Der Mund öffnete sich einen Spalt breit und je weiter sie sprach, desto größer wurden die Augen des Falls. Sie waren… ihre Partner? Der Blick hob sich an, um überrascht in das rote Augenpaar von Yuuki zu blicken, der ebenso an Grishira gedrückt wurde. Partner – meinte sie Partner, Partner?! Lian war vollkommen überwältigt von der Raffinesse dieser Frau, widersprechen tat er allerdings nicht. Wenn es ihm half, aus dieser Situation herauszukommen, sollte es ihm recht sein. Grishira löste sich von ihm, trat stattdessen auf den hochgewachsenen Schwarzhaarigen zu und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. Sie spielte mit ihrem weiblichen Charme, um die Situation zu deeskalieren. Wow. Lian war überzeugt gewesen, dass diese edle Dame verwöhnt und naiv war. Gerade wurde er eines Besseren belehrt! Sie nahm Lian in Schutz, behauptete, eine andere Person gesehen zu haben, die auf die Beschreibung des Gesuchten passte. Das war unmöglich, immerhin wusste der Falls, dass er den Diebstahl begangen hatte und die Beschuldigungen gegen ihn daher richtig waren. Grishira log, ohne mit der Wimper zu zucken. Hätte es das Schauspiel nicht zerstört, hätte der Falls gerne anerkennend in die Hände geklatscht, weil er das Blauhaar so vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Um nicht aufzufliegen, riss sich der Falls jedoch zusammen und erwiderte mit stoischem Ausdruck den letzten Blickkontakt mit dem Ordnungshüter, der doch tatsächlich beim Anblick der Drei rot im Gesicht wurde. Tja… ganz verübeln konnte Lian es ihm nicht, vermutlich hätte er das in seiner Position auch nicht gänzlich verdecken können. Sollte er doch denken, was er wollte! Nur kurz sahen die hellgrünen Augen zu Yuuki, um herauszufinden, ob das Rothaar diese Situation genauso absurd fand wie er selbst. Immerhin führte es zum gewünschten Ergebnis: Das Schwarzhaar und seine kleinere Kollegin verabschiedeten sich unverrichteter Dinge und ließen das Dreiergespann wieder alleine. Lian konnte es nicht fassen: Es hatte funktioniert. Sie waren weg, sein Diebstahl nicht aufgeflogen. Hach, der Tag war doch wirklich wunderbar.
Lian gaffte die Blauhaarige noch einen Moment sprachlos an… bevor ihm bewusstwurde, dass die Dame sich nach dem Befinden seiner Hand erkundigt hatte. Ernsthaft, die Schmerzen hatte er bei diesem köstlichen Schauspiel vollkommen verdrängt. Er blickte auf sein Handgelenk, das noch immer gerötet war. „Ach, alles gut“, spielte er die Beschwerden herunter. Er sah wieder zu Grishira, schüttelte dann endlich den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Er konnte es sich einfach nicht mehr verkneifen: Er grinste breit. „Wow! Das war genial“, lobte er die Frau und musste dann plötzlich ausgelassen lachen. Die Anspannung fiel gänzlich von ihm ab. „Ernsthaft. Das hätte ich dir niemals zugetraut!“ Als er seinen Atem wiedergefunden hatte, verneigte er sich galant vor der Frau, bewusst ein wenig übertrieben und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Ich danke für den Einsatz, werte Shira. Ich kann gar nicht genug Blumen herbeizaubern, um das wieder gutzumachen.“ Als er sich wieder in eine gerade Position erhoben hatte, zwinkerte er Yuuki zu. „Und natürlich ebenso danke an dich, werter Freund. Dass ich auf euch beide getroffen bin, war großes Glück im Unglück. Wer hätte denn ahnen können, dass ich hier plötzlich von einem Ordnungshüter angegriffen werde? Unglaublich, was einem in dieser Stadt so passiert.“ Lian rieb sich nochmal über das Handgelenk – nur um nochmal zu verdeutlichen, dass er hier das Opfer und nicht der Täter war. Der Falls konnte ohne Reue lügen, was ihm hier zugutekam. „Ich hoffe natürlich sehr, dass sie den Täter noch finden werden. Damit sollte er nicht einfach so davonkommen“, setzte er noch einen oben drauf und schüttelte bedauernd den Kopf. Nach einem kurzen Moment sah er dann jedoch wieder zu der Blauhaarigen. „Oh und wir sind also deine Partner, ja?“, fragte er Grishira ganz offensiv und lachte erneut amüsiert. Ob er sie damit in Verlegenheit brachte? „Wer ist denn Haupt- und wer der Nebenmann?“ Er sah zu Yuuki, gespannt darauf, ob er sich auch so köstlich darüber amüsieren konnte wie er selbst.
Yuuki wusste, dass er nichts falsch gemacht hatte, insofern stand er selbstsicher da und starrte dem Ordnungshüter in die Augen. Wenn er nur gewusst hätte, was für einen kleinen Taschendieb er damit gerade deckte, hätte er sich in den Boden geschämt und Lian möglicherweise selbst einfach hinter Gittern gebracht. Doch ohne dieses Puzzleteil offenbarte sich ihm nicht das gesamte Bild, weshalb er nur aufgrund der ihm dargelegten Hinweise agieren konnte. Und in seinen Augen war der braune Wuschelkopf ganz klar unschuldig, hatten die beiden Ordnungshüter doch nichts bei ihm gefunden. Bevor sich jedoch jemand rühren konnte, trat Shira nun in Szene. Überrascht zuckte der Grynder zusammen, als sie einfach ihren Arm um seine Taille legte – so viel Nähe war er nicht gewohnt. Geschweige denn handelte es sich bei der jungen Frau um jemanden, den er so tief in seine eigene Komfortzone lassen würde. Gut, dass der Blick der beiden Ordnungshüter auf die blauhaarige Magierin gerichtet waren, sodass sie gar nicht mitbekamen, aus welch großen Augen heraus der Magnetismusmagier sie anstarrte. *Was faselt sie da? Partner? Plural?* In der Hinsicht war Yuuki doch ein sehr unberührtes Blatt, wenn auch durch die Vergangenheit stark verbrannt worden. Dennoch entging dem aufmerksamen jungen Mann nicht, wie sehr die Geschichte von Shira die beiden Ordnungshüter zunächst verwirrte, ehe sie beim männlichen Teil eine andere Tour aufschlug und ihm sehr offensichtlich schmeichelte.
Mit hochgezogenen Augenbrauen verfolgte der Rotschopf, wie der Mann – scheinbar war Eddy sein Name – nachgab, was ihm wiederum Unverständnis seiner Partnerin einbrachte, die selbstverständlich nicht dem Charme von Grishira verfallen war. Kurios war es dennoch, wie er sie zum Schweigen brachte und sogleich die Retourkutsche erhielt, als sie um die Ecke traten und er eine körperliche Abreibung erhielt. *Oh man, was für ein Tag.*, dachte sich Yuuki lediglich innerlich kopfschüttelnd. Schließlich legte sich seine Aufmerksamkeit wieder auf die junge Frau, die ihr Verhalten erklärte. „Das stimmt.“, pflichtete ihr der Crimson Sphynx Magier bei. Es war definitiv alles andere als akzeptabel, falsch beschuldigt zu werden. Die Ordnungshüter hatten falsch gelegen und dementsprechend hätten sie sich verhalten sollen – hatten sie aber nicht. Aber der Grynder hätte gerne gesehen, wie sie mit dieser dünnen Beweislage ins Revier gebracht worden wären. Das war sicherlich nur ein Bluff, um sie einzuschüchtern. Letzten Endes hätten sich die Ordnungshüter dabei blamiert, wenn sie Unschuldige unrechtmäßig angeschleppt und eingesperrt hätten. Shira schien wohl um ihre Erscheinung und deren Wirkung auf die Männer zu wirken, was dafür sprach, dass sie wusste, wie man andere Menschen manipulierte. Andererseits sorgte sie sich ziemlich um Lian, den sie kaum kannte. Noch wusste der Magnetismusmagier nicht so recht, wie er das Ganze einschätzen sollte.
Lian hingegen machte aus seiner Begeisterung keinen Hehl und lobte das Schauspiel der jungen Frau lauthals. Als er sich schließlich auch an ihn wandte, um sich zu bedanken, nickte der Grynder lediglich und setzte ein Lächeln auf. „In der Tat, das war wohl eine unglückliche Verkettung der Zufälle. Erst verwechseln sie dich mit dem Dieb und dann sehen sie dieses Missgeschick nicht ein. Falscher Stolz, wenn ihr mich fragt.“, kommentierte er das ganze Spektakel. Als das Gespräch wieder auf die Partnersache gelenkt wurde, merkte Yuuki, wie unangenehm ihm dieses Thema für ihn war. Das alles erinnerte ihn seine schmerzhafte Vergangenheit, die er niemals ablegen können würde. Er lebte, während Iris bereits aus dem Leben gerissen worden war. Und dabei hatte er noch nicht mal die Chance gehabt, sie zu retten. Er war einfach zu spät gekommen. Zu spät… Ein trauriges Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. „Du kannst gerne Beides sein.“, teilte er ihm schlicht mit. „Möglicherweise kann Grishira mit ihrer Magie etwas gegen die Rötung oder Schwellung unternehmen? Er hat dich ja ganz schön angepackt!“, versuchte der Grynder nun das Thema zu wechseln und zeigte auf das sichtbar schmerzende Handgelenk des jungen Mannes. Ihm war nun ganz und gar nicht nach diesem emotionalen Partnertalk, also wollte er schnellstmöglich über etwas Anderes sprechen. „Wo kommst du eigentlich her, Lian?“, erkundigte er sich also nach dessen Herkunftsort. Immerhin wussten sie beinahe nichts über ihn, obwohl sie ihren Kopf für ihn riskiert hatten. Das war ja wohl das Mindeste, was der Andere Ihnen über sich verraten konnte, oder etwa nicht?
Während Lian von Grishiras Aktion total begeistert schien und sich bei dem Rotschopf und ihr bedankte, schien Yuuki nicht sonderlich begeistert von der Aktion zu sein. Auch wenn der S-Rang-Magier ein Lächeln aufsetze, verrieten seine Augen was anderes. Er schien über etwas nachzudenken, das ihm traurig stimmte. Was es wohl war? Grishira musste es in Zukunft irgendwie herausfinden. Doch irgendwie hatte sie so ein seltsames Gefühl der Gefahr im Bauch. Ahnte Yuuki etwas? Natürlich passte das nicht wirklich zusammen. Die guterzogene junge Frau, die Lian für naiv gehalten hat, war nun ziemlich raffiniert. Hatte Sakura nicht doch recht? Vielleicht hätte sie das lieber nicht tun sollen, verdammt. Dieses seltsam unangenehme Gefühl kroch ihr durch den ganzen Körper und sie spürte, dass sie Gänsehaut bekam. Wenn auch nur irgendein Verdacht aufkam, dass sie nicht die war, die sie vorgab zu sein, war ihr Plan vollkommen ruiniert! Tja, beim nächsten Mal solltest du so was nicht machen! Mädel, was hast du dir nur dabei gedacht? Jetzt merkt dieser Yuuki bestimmt etwas. Oder ahnt es zumindest. Ich weiß, ich weiß… Scheiße. Hätte ich die Typen doch einfach machen lassen und hätte einen auf ängstlich gemacht, dann hätte ich jetzt nicht das Gefühl, dass der Rotkopf vielleicht was ahnen könnte. Beim nächsten Mal höre ich auf dich… „Ich weiß nicht so recht…“, sagte sie, nachdem Yuuki vorschlug, Lians Handgelenk zu kühlen. „Noch nie wurde ich mit so einer ehrenvollen Aufgabe betraut.“ Sie schaute in Lians Gesicht und musterte dann die rote Stelle. Sie hatte ehrlich nicht sonderlich viel Ahnung davon und eigentlich hatte sie sich nie darauf fokussiert, anderen mit ihrer Kraft zu helfen. Wo kam sie denn da hin? Andere über sich zu stellen? Das kam der Indigoblauhaarigen nie im Sinn und das kam auch in Zukunft nicht infrage. Shira hob noch einmal den Blick. „Lian, wenn es Ihr Wunsch ist, kann ich es ja probieren. Vielleicht geht es Ihnen ja dann besser?“ Icy Breath konnte sie auch in Maßen einsetzen. Vielleicht war es möglich, dass sie durch einen ganz kurzen Schub an Frostmagie eine hauchdünne Eisschicht auf die Haut zaubern konnte… Aber vielleicht war das nicht so gut. Immerhin wurde die Haut dann direkt mit Eis berührt und das war was ganz anderes als ein Beutel mit Eisstückchen drin, das man sich auf das Handgelenk legte… Oh Mann, warum machte sich das Mädel über solcherlei Sachen Gedanken? Vielleicht war es die Unruhe, die von ihr Besitz ergriffen hat, nachdem sie Yuukis Gesichtsausdruck gesehen hatte. Natürlich konnte sie nicht genau sagen, was sie dort genau gesehen hatte, aber es war keiner, der sehr vertrauenserweckend aussah. Ihr gegenüber. Sie musste sich einen Plan ausdenken. Und zwar jetzt sofort. Sakura? Grishira konnte hören, wie ihre Freundin tief seufzte. Du kannst mehrere Taktiken verwenden. Entweder haust du ab und sagst, dir wäre eingefallen, dass du zu Hause noch etwas zu erledigen hast. Du fällst in Ohnmacht oder du fängst an, zu heulen. Also jetzt anzufangen zu heulen wäre etwas spät. Das hätte ich tun sollen, kurz nachdem die beiden Fuzzis abgehauen sind. So von wegen: Ich hatte sooolche Aaaangst. In Ohnmacht fallen wäre eine ganz gute Strategie. Vielleicht gaukle ich denen vor, dass ich vorhin was gegessen habe, das mir nicht gutgetan hat… oder vielleicht. Ah, ich weiß! Die Magie! Grishira hörte Sakuras Kichern. Sie verstand sofort, was sie meinte. „Aber… werter Lian… ich fürchte, dass ich gar nicht erwähnt habe, dass mich Magie ein bisschen schwächt. Und dieses Schauspiel von eben hat mich einige… Nerven gekostet.“ Sie schwankte ein wenig, versuchte durch einen breiteren Stand ihrer Füße das Gleichgewicht zu halten. Ihre schneeweiße Haut war sehr vorteilhaft: Die einzige Rötung im Gesicht war, war der rosige Rusch, den sie auf ihre Wangen gepudert hat. Ansonsten war alles weiß. Und daher konnte man auch nicht sehen, ob sie erbleicht war oder nicht! „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen… Ich… wurde dazu erzogen, meine Gefühle im Zaum zu halten, aber… bitte verzeiht, das war wahrscheinlich etwas zu viel des Guten…“, stotterte sie. Sie legte ihre Hand vor die Stirn, um Kopfschmerzen vorzutäuschen, verzieht ihr Gesicht und wankt erneut. Mit panischem Blick schaute sie nach einer Möglichkeit sich hinzusetzen. Sie hatte Glück: Dort war eine Bank! „I-ich… muss mich hinsetzen…“ Seehr guut, Schätzchen. Soo muss das! Hoffentlich fallen sie auf den Trick rein. Ich finde, ich kann echt gut schauspielern. Hehe, und meine Stimme erst… wie schwächlich sie klingt. Was für ein Vergnügen! Ich sags dir, meine Liebe. Ganz großes Kino! Hehe... hehehehehe! Das diabolische Lachen hallte in ihrem Kopf und Shira musste sich zusammenreißen, das Lachen nicht in ihrem Gesicht wieder zu spiegeln. Es war einfach nur köstlich!
Huch? Das amüsierte Grinsen in den Zügen des Falls ebbte ein wenig ab, als er den Blick von Yuuki auffing und seine Antwort vernahm. Er konnte gerne beides sein? Lian kannte den Rothaarigen nicht und konnte nicht wissen, was genau sich in seiner Vergangenheit abgespielt hatte. Doch sein Blick war eindeutig und das Thema war ihm unangenehm. Nicht, dass der Lockenkopf ernsthaftes Mitleid mit ihm empfand, aber sollte es einen Grund geben, warum das Beziehungsthema Yuuki zu schaffen machte, konnte Lian seine Reaktion zumindest nachvollziehen. Mit gebrochenen Herzen – aus welchen Gründen auch immer – hatte der Falls natürlich auch schon seine Erfahrungen gemacht. Er schien seine Erfahrungen allerdings bereits besser verarbeitet zu haben als Yuuki… oder konnte sie besser verdrängen. Was auch immer es war, Lian würde nicht weiter auf das Thema eingehen. Vielleicht aus einem gewissen Anstand und Respekt heraus. Vielleicht aber auch nur aus dem Grund, weil er kein großes Interesse daran hatte, tiefer in die Psyche oder Vergangenheit von Grishira oder Yuuki einzusteigen. Jeder hatte sein eigenes Päckchen zu tragen und das war auch in Ordnung so. „Oh! Eine grandiose Idee!“, stimmte der 19-Jährige daher euphorisch zu, als der Rothaarige vorschlug, dass Grishira mit ihrer Eismagie das gerötete Handgelenk kühlen könnte. Die hellgrünen Augen sahen hinüber zu der jungen Frau und funkelten belustigt. „Aber bitte nicht einfrieren wie die armen Grasbüschel vorhin. Ich brauch das Handgelenk noch.“ Er kicherte leise und zwinkerte Grishira zu. Soweit er wusste, konnte man seinen Magieeinsatz dosieren, sodass ein leichter Kühlungseffekt ebenfalls möglich sein sollte. Und wenn das schiefging, könnte der Falls sein Handgelenk im Zweifel schnell genug befreien, oder? Ja, doch. Grishira sah nicht so aus, als könnte sie im reinen Kraftvergleich mit ihm mithalten. Also einen Versuch war es wert. Lian ging bereits auf die Blauhaarige zu, stoppte jedoch überrascht, als die junge Frau schwankte. Was war denn jetzt los? Als es so aussah, als würde die blasse Dame gleich umfallen, machte der Falls den letzten Schritt auf sie zu und hielt sie an den Schultern, um sie zu stabilisieren. Dass das ein Schauspiel war, wusste er nicht… und ahnte es auch nicht wirklich. Da hielt sich der Taschendieb für raffiniert, ließ sich aber selbst von einem Mädchen naiv an der Nase herumführen. Typisch, oder? „Mensch, nicht umkippen“, kommentierte Lian und schmunzelte. Er folgte dem Blick von Grishira und sah die Holzbank am Rande der Straße, zu der das Mädchen starrte. Also doch keine Kühlung mit Eismagie? Naja, der Falls hatte sich ja auch bewusst ein bisschen mehr als Opfer dargestellt, als er es in Wirklichkeit gewesen war. Das Handgelenk würde auch so bald nicht mehr schmerzen. „Ach, alles gut. Ich helfe dir.“ Er stützte Grishira – hörte natürlich nicht das diabolische Lachen der zweiten Persönlichkeit in ihr – und führte sie hinüber zu der Bank. Dort angekommen, setzte sich die Dame, während Lian selbst stehenblieb. Er rieb sich nachdenklich über den lockigen Hinterkopf. Sein Instinkt sagte ihm, dass es jetzt an der Zeit war, zu verschwinden. Er hatte die Ordnungshüter mit der Hilfe von Grishira und Yuuki abgeschüttelt. Sie hatten also ihren Job erfüllt, weshalb es keinen Grund mehr gab, bei ihnen zu bleiben. Andererseits wäre es auffällig, zu verschwinden, während Grishira aufgrund ihres Einsatzes für ihn beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Lian entschied sich, noch ein paar Momente länger zu bleiben. Und auf einen günstigeren Moment für den Abgang zu warten. „Brauchst du Wasser?“, fragte er an Grishira gewandt, in der Hoffnung, dass es ihr helfen würde, ihren Kreislauf wieder unter Kontrolle zu bringen. Eine kleine Flasche hatte der Falls natürlich immer dabei, gerade als Wüstenbewohner war man sich darüber bewusst, dass man niemals ohne Wasser losziehen sollte. Noch bevor die Blauhaarige auf diese Frage hatte antworten können, wandte sich Lian zu Yuuki, der vermutlich ebenso überrascht worden war von dem plötzlichen Schwächeanfall der Frau. Aber es spielte dem Rothaarigen zumindest soweit entgegen, dass das Beziehungsthema damit endgültig vom Tisch war. Gut, oder? „Oh. Sorry, du hattest gefragt, woher ich komme“, wiederholte er die Frage des Gegenübers. Durch Grishira hatte der Lockenkopf darauf nicht sofort antworten können, aber es war auch gut gewesen, damit Lian ein wenig Zeit bekam, um über eine gute Antwort nachzudenken. Weder wollte er seine Gildenzugehörigkeit preisgeben, seine Herkunft aus Aloe Town oder seine Verwandtschaft zu durchaus bekannten Persönlichkeiten. Nachher würde man ihn noch ausfindig machen können! Das galt es zu verhindern. „Dass ich gebürtig aus der Wüste komme, ist wohl ziemlich offensichtlich“, antwortete er und lächelte leicht. Soweit stimmte das auch noch. „Ich stamme ursprünglich aus einer kleinen Gemeinschaft im Westen der Wüste. Nahe dem Meer.“ Und da begann die falsche Geschichte. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte Lian noch nicht ahnen, dass all die falschen Geschichten in Zukunft nochmal auffliegen würden. „Irgendwann habe ich mich allerdings einem Wanderzirkus angeschlossen und bin seitdem mal hier und mal dort unterwegs. In solchen Gemeinschaften kann man immer jemanden mit meinen Fähigkeiten gebrauchen.“ Natürlich spielte der Falls damit auf die herbeigezauberte Blume an. Aber auch mit dem Bogenschießen waren viele artistische Kunstwerke möglich, wenn man denn wollte. „Ich bin nach Crocus Town gekommen, um unseren nächsten Auftritt in der Stadt zu beantragen. Jetzt hatte ich noch ein wenig Freizeit… und da seid ihr beiden mir aufgefallen. Zum Glück, wie sich nun herausgestellt hat.“ Die Hände verschwanden wieder in den Taschen des Pullovers, als der Falls den Kopf ein wenig zur Seite neigte und Yuuki ansah. „Solltet ihr mal über den Zirkus Sākasu stolpern, dann könnt ihr gerne Halt machen und nach mir fragen. Ich kann euch kostenlose Eintrittskarten verschaffen. Das Mindeste, nachdem ihr mir geholfen habt.“ Den Zirkus gab es natürlich nicht. Und wenn, würde dort mit Sicherheit niemand einen Lian kennen. Aber… war ja auch nicht wichtig, oder? Er würde Grishira und Yuuki sowieso nie wiedersehen. Dachte der Falls zumindest.
Yuukis Vorschlag, dass sich Grishira dem geröteten Handgelenk annehmen sollte, wurde mit zögerlicher Zustimmung beantwortet. Während Shira also das Handgelenk genauer untersuchte, fühlte sich der Grynder unwillkürlich an seine Kindheitsfreundin Elena erinnert. Gut, natürlich nur ganz entfernt im Verhalten, da beide doch komplett unterschiedliche Menschen waren. El war aufgrund eines Explosionszaubers verunstaltet worden, sodass sie sich komplett zurückgezogen hatte und ihr vernarbtes Gesicht stets hinter einer Maske verbarg. Dagegen schien die Frau mit dem blauen, langen Haar keinerlei Probleme hinsichtlich ihres Aussehens zu haben. Ja, man konnte sie durchaus und ohne schlechtes Gewissen oder Übertreibung als hübsch bezeichnen. Was die beiden so unterschiedlichen Menschen jedoch gemeinsam hatten, war ihre Schüchternheit und Zurückhaltung. Diesen charakterlichen Aspekt sah der Rotschopf auch in Shira, die sich ihrer eigenen Fähigkeiten nicht sonderlich bewusst schien. Bestimmt brauchte sie nur ein wenig Ermunterung, damit sie an sich selbst glaubte und schon bald mit tollen Fähigkeiten brillieren konnte. „Ich bin mir sicher, dass du das schaffst.“, teilte ihr also der rotäugige Magier behutsam und wohlwollend mit. Der dunkelhäutige Patient schien der Aussicht auf Behandlung ebenfalls offen gegenüberstehen, merkte jedoch noch an, dass sich die Gute doch ein wenig zurückhalten sollte. Gefrierbrand war sicherlich das Letzte, was der junge Mann jetzt noch gebrauchen konnte. Aufmerksam beobachtete er die Interaktion der Beiden und stellte fest, dass hier wohl auch einiges an Flirterei im Spiel war. Gut, Lian sah definitiv nicht schlecht aus und wäre Shira sicherlich eine gute Partie – äußerlich betrachtet natürlich. Was in den beiden Köpfen vorging, das wusste er natürlich nicht. Der Crimson Sphynx Magier hatte nicht den leisesten Schimmer, dass er es hier mit gleich zwei Betrügern zu tun hatte. Während der eine wohl ein kleiner Tagedieb war, handelte es sich bei der Frau um die bösartigere Schauspielerin.
Obwohl es zunächst einen ganz anderen Anschein hatte, sollte es vorerst zu keiner Behandlung kommen, denn urplötzlich entschuldigte sich Shira und fing an zu schwanken und das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre magischen Fähigkeiten schienen wirklich recht rudimentär zu sein, wenn ihr dieses bisschen an eingesetztem Mana bereits zusetzte. Es rief jedoch die erhoffte Wirkung der Frau vor, denn sofort wurde sie von Lian umsorgt. Der junge Mann erwies sich als Gentleman und stützte Shira auf ihrem Weg zur nächstgelegenen Bank. Das alles hatte natürlich auch eine entsprechende Wirkung auf den Grynder, der sich ebenfalls Sorgen um die junge Frau machte. „Geht es dir gut? Benötigst du etwas?“, erkundigte sich der Magnetismusmagier besorgt um die Eismagierin. Dabei ahnten weder Lian noch Yuuki, was tatsächlich hinter der Fassade ihres hübschen Gesichts so vor sich ging. Wenn sie doch nur gewusst hätten, dass es sich dabei lediglich um ein Schauspiel handelte! Aber nun gut, keiner von ihnen schien über die Fähigkeit zu verfügen, Gedanken lesen zu können, insofern gab es diesbezüglich keine Möglichkeit, das falsche Spiel zu durchschauen. Der braunhaarige junge Mann schien sich ebenfalls nach dem Wohlbefinden von Shira zu erkundigen und fragte, ob sie Wasser nötig hatte. Das brachte den Rotschopf dazu, sich hier im Park umzuschauen – möglicherweise gab es ja eine kleine Quelle, aus der sie ein wenig kühles Wasser nehmen konnten. Aber Fehlanzeige. Das bedeutete wohl oder übel, dass sie wieder in die Stadt zu einem kleinen Laden gehen mussten, um das Wasser zu besorgen. Hmm, so etwas Blödes aber auch!
Ehe Yuuki also den Vorschlag äußern konnte, dass er schnell etwas in der Stadt holte, erhielt er von Lian endlich die ersehnte Antwort hinsichtlich dessen Herkunft. Das – und der Fakt, dass sich Shira gesetzt und bis dato nicht weiter zum Wasser geäußert hatte – sicherte dem braungebrannten jungen Mann die Aufmerksamkeit des Grynders. Geduldig lauschte Yuuki den Worten des Anderen und beugte sich interessiert vor. Seine Augen wurden bei der Erzählung des Anderen immer größer und er konnte es schon vor Augen sehen, wie sich Lian auf einem Trapez oder so etwas Ähnlichem befand und vor versammelter Menge verschiedene Tricks aufführte. Da war der Crimson Sphynx Magier wohl ein wenig zu gutgläubig, denn er vermutete keinesfalls, gerade einen Bären aufgebunden zu bekommen. „Das klingt ja nach einem wirklich spannenden Leben! Bist du dann auch viel im Land herumgekommen? Und über die Grenzen hinaus?“, erkundigte er sich begeistert. „Vielen Dank für das Angebot, das klingt wirklich super! Wann hat denn der Zirkus Sākasu seinen Auftritt hier in Crocus Town geplant? Die Vorstellung würde ich nur allzu gerne besuchen!“ Wenn das erst demnächst war, dann konnte er ja doch noch irgendwann hierher zurückkommen und möglicherweise war ja dann Lin vor Ort und sie konnten den Zirkus gemeinsam besuchen. Das war wirklich äußerst nett von Lian, dass er zwei fremden Personen gegenüber so aufgeschlossen und freundlich war. Immerhin kannten sie sich nicht länger als eine halbe Stunde und doch bot er ihnen direkt Freikarten an. Ach, das Leben meinte es doch manchmal gut mit ihm, freute sich der Magnetismusmagier über die Möglichkeit des Zirkusbesuchs. Was die Verbundenheit zum Anderen sofort verstärkte, war dessen Herkunftsort! Wie man tatsächlich bereits am Erscheinungsbild erkennen konnte, war es wenig verwunderlich, dass Lian aus dem fernen Westen des Landes stammt. „Aber was für ein Zufall, ich komme ebenfalls aus dem Westen.“, teilte Yuuki seinem neuen Bekannten Lian freudestrahlend mit. „Ich bin durch meine Arbeit auch schon etwas herumgekommen, war oft in der Wüste und sogar in Miln und dem gottverlassenen berüchtigten Knochental.“ Möglicherweise hatte er ja auch die kleine Gemeinschaft besucht, aus welcher der Zirkuskünstler stammt? Gut gelaunt verschränkte der Crimson Sphynx Magier die Hände hinter seinem Kopf. „Wenn einer von euch jemals in Aloe Town ist, läuft man sich ja vielleicht über den Weg. Dann könnte ich euch gerne mal dort herumführen.“, verkündete der junge Mann vergnügt in die Runde. Wie wohl die Eismagierin mit den heißen Temperaturen der Wüste zurechtkäme? Vielleicht verfügte sie ja über einen Zauber, mit dem sie sich abkühlen konnte? Sicher, dann brauchte er sich ja keine Sorgen darüber zu machen!
Es amüsierte Grishira sehr, wie die beiden liebreizenden Kerle so auf ihr Schauspiel hereinfielen. Dennoch fand sie es ziemlich knuffig, wie Lian sie stützte und ihr half, sich auf die Bank zu setzen. Ein dankbares Lächeln hatte er sich auf jeden Fall verdient. Aber Yuuki war auch zuckersüß, wie er sich um ihr Wohlbefinden sorgte… herrlich und dennoch so skurril. Sie wusste doch, dass sie gut im Schauspielern war. Das hatte sie einstudiert, nein, nicht einstudiert, es war einfach etwas, das sie von Natur aus gut konnte! Skrupelloses Miststück, das war sie. Sie scherte sich nicht um die Gefühle anderer. Falls es einer der beiden je herausfand und derjenige sehr enttäuscht war, würde sie das nur mit Häme belächeln und ihn als naiv und gutgläubig betiteln.
So saß sie auf der Bank, schloss die Augen und tat so, als würde sie mit diesem Handeln versuchen, sich ein wenig auszuruhen. Sie fühlte sich natürlich topfit und es ist gerade mal 15% ihres Manavorrates verbraucht worden, als sie vorhin ihren Zauber angewandt hatte. Doch so hatten beide die Illusion, dass sie sehr schlecht war und das passte ihr mehr als gut. Wenn die beiden auch nur annähernd wussten, was in ihr vorging, würde Yuuki sie vielleicht verstoßen und Lian auch. Vielleicht würden sie sie sogar bekämpfen, denn so ein schlechter Mensch, wie sie es war, hatte kein Recht, auf diesen friedlichen Flecken Erde zu wandeln und andere auszunutzen, gar zu verraten. Es war eine Farce, dass so jemand wie sie überhaupt existierte. Denn das Leid, was sie eines Tages verursachte, war groß. Und hätte das gutmütige Umfeld auch nur einen Funken Wissen über ihre Intrigen gehabt, hätten sie in die Vergangenheit gereist, wäre sie mit Sicherheit eines unbekannten Todes gestorben… Natürlich hätte jeder gutherzige Mensch versucht, sie zu überreden, kein Leid mehr zu verursachen, doch das hätte nichts gebracht. Aber auch gar nichts. Das Schicksal namens Grishira würde sie eines Tages treffen, da war sie sich sicher!
Sie hörte dem Gespräch zwischen Yuuki und Lian zu. Wichtige Informationen durfte sie nicht verpassen. Anscheinend führte Lian Tricks in einem Zirkus auf, mit dem er über die Länder reiste. Zirkusse waren nur etwas für den vulgären Pöbel der unteren Schicht. Allerdings musste Shira auch zugeben, dass es durchaus Einzelfälle gab, wo sie tatsächlich etwas Unterhaltsames gesehen hatte. Doch dieser entsprechende Zirkus wurde natürlich verboten. Aufgrund ethischer und menschenrechtlicher Widrigkeiten oder wie sie das nannten. Sie war aus Langeweile einmal dort hingegangen und hatte einen recht amüsanten Abend verbracht. Viele Zuschauer sind verstört weggegangen, andere haben sich sogar übergeben, der nächste wiederum ist ohnmächtig umgefallen und ein Anderer hat einen Herzinfarkt bekommen – so schlimm waren die Dinge, die dort abliefen. Natürlich war auch für Grishiras Geschmack mancherlei Sachen dort mehr als vulgär, dass sie angewidert die Gesichtszüge verzogen hatte und einmal sogar wegsehen musste, – ja, sie musste sich wegdrehen! - doch es gab auch vereinzelnd Aufführungen, die eine ganz besondere, individuelle Ästhetik hatten. Die Kunst des Tötens… Naja, sie verlor sich in vergängliche Gedanken. Das Mädchen richtete ihre Aufmerksamkeit wieder den beiden Kerlen zu. „Darf ich fragen, wie lange Sie schon in diesem Geschäft aktiv sind?“, erkundigte sie sich. Selbst wenn das Mädchen wusste, dass Lian ein Taschendieb war, war es ihr herzlich egal. Zwar ahnte sie nichts von seinem Innenleben, – sie konnte ja schließlich nicht in seinem Kopf schauen. Doch egal wie niederträchtig jemand war, keiner konnte Grishira das Wasser reichen. Keiner, den sie bisher kannte.
Offenkundig kamen beide aus dem Westen Fiores. Grishira hatte sich in den letzten zwei Jahren hier und dort aufgehalten und ist mit ihren Gildenkollegen auf Wanderschaft gegangen, wenn es Aufträge gab, bei denen sie zugucken durfte. So hatte sie schon ein paar Ecken gesehen, aber bei weiten nicht alles. Sie war, was Weltkunde anging, also noch ein richtiges Nesthäkchen und sie hatte noch viel zu entdecken. Doch zunächst musste sie ihren Einfluss mehren und gedeihen lassen und alle fingen erst einmal klein an und diese bescheidene Einstellung teilte sogar die grausliche Grishira. In der warmen Gegend des Westens hatte sie jedoch noch nicht das Vergnügen hinzugehen. Sie bezweifelte auch, dass sie als Eismagierin gut mit der Hitze zurechtkam – ihre melaninlose Haut würde sie auch nicht vor den heftigen Strahlen der Sonne schützen können. Doch je stärker sie wurde, desto wahrscheinlicher war es, dass sie alsbald auch gegen die Hitze einen kühlenden Zauber parat hatte, damit sie jegliche Bedingung aushielt, um ihrem Ziel näher zu kommen.
„Danke, nein. Ich benötige kein Wasser. Ihr selbstloses Angebot erfüllt mich dennoch mit großer Freude,“ beantwortete sie Lians Nachfrage. „Das ist wirklich wundervoll, dass Sie beide aus derselben Gegend kommen. Leider teile ich nicht eure Gemeinsamkeit. Ich komme tatsächlich aus dieser Gegend. Die Weisheit der vielen Reisen ist mir noch nicht möglich zu besitzen.“ Das Mädchen lächelte und sie sprach ein wenig schwächlich. Sie wirkte wie eine übermüdete junge Frau, die zwei Tage nicht geschlafen hat und sich langsam von den Strapazen der Schlaflosigkeit erholte. Sie strich sich über die Arme und seufzte leise. „Wie ist es im Knochental, Yuuki? Es ranken viele Geschichten und Legenden um diesen Ort…“
Natürlich glaubten sie die Geschichte mit dem Zirkus. Es hätte Lian auch sehr überrascht, wenn es anders gewesen wäre. Er lächelte gutmütig, als die Augen des rothaarigen Magiers immer größer wurden, je länger der Falls erzählte. Er schien überhaupt nicht zu ahnen, dass ihm gerade eine große Lüge erzählt worden war. Naja, Lian war nicht umsonst ein Meister im Lügen, das hatte er sich über viele Jahre angeeignet. Wenn man als Dieb erfolgreich sein wollte, war das eine Fähigkeit, die man zwangsläufig mitbringen musste. Ob seine Affinität zur Illusionsmagie dadurch entstanden war? „Oh, wenn alles gut läuft, dann sind wir in zwei Monaten hier. Behaltet einfach die Plakate im Blick, die sollten hier demnächst überall in der Stadt auftauchen. Es würde mich freuen, wenn wir uns dann wiedersehen würden. Und den Besuch werdet ihr mit Sicherheit nicht bereuen!“, prophezeite der Braunhaarige und grinste fein. Grishira und Yuuki könnten lange Ausschau halten, denn besagte Plakate würden niemals in Crocus Town auftauchen. Dann ging er auf die zweite Frage des anderen Mannes ein und legte die rechte Hand in den Nacken, während er scheinbar darüber nachdachte, was er sagen sollte. „Ja, klar bin ich schon viel herumgekommen. Wenn man in einem Zirkus arbeitet, kommt man da kaum drum herum, immerhin sollen immer neue Leute die Aufführung zu sehen bekommen“, stimmte er schlussendlich zu. In Wirklichkeit war Lian bisher kaum herumgekommen und hatte auch nur selten die Wüste verlassen. Es war einfach nie notwendig gewesen. Alles was er Grishira und Yuuki vom restlichen Land erzählen konnte, basierte rein auf dem Wissen, das er sich aus verschiedenen Büchern und Schriften angeeignet hatte. Der junge Mann hoffte, dass es ausreichte, um nicht aufzufliegen. „Aber zugegeben, über die Grenzen von Fiore bin ich auch noch nicht hinausgekommen“, schränkte er dann doch noch ein und die hellgrünen Augen sahen wieder direkt zu dem Magnetismusmagier. Lieber nicht zu dick auftragen, ansonsten gab man zu viel Raum für Rückfragen, die man im Zweifel vielleicht nicht beantworten konnte. Unerwartet schaltete sich Grishira in das Gespräch ein, die bis eben noch mit geschlossenen Augen auf der Bank gesessen und sich ausgeruht hatte. Lian musterte die junge Frau, deren Haut wirklich sehr, sehr blass war. Ob es ihr wirklich gut genug ging? Nicht, dass sie ihnen gleich inmitten des Parks umkippte. „Drei Jahre“, antwortete der Lockenschopf wie aus der Pistole geschossen und zwinkerte die Blauhaarige an. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren einem Zirkus beitreten, um sein eigenes Geld zu verdienen, schätzte er als naheliegend ein. „Und ich hoffe, dass noch viele Jahre dazukommen werden“, ergänzte er und ein gewisser Stolz schwang in seiner Stimme mit. Ja, Lian konnte das echt glaubwürdig rüberbringen!
Zum Glück schwenkte im weiteren Gesprächsverlauf das Thema um. Lian war es recht, wenn die Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf ihm lag. Aber was sich dabei offenbarte, damit hatte der junge Mann nicht gerechnet: Yuuki stammte auch aus dem Westen? Der Falls wollte ihm nicht zu nahe treten, aber rein äußerlich sah der Typ wirklich nicht nach einem Wüstenbewohner aus. Andererseits kam ihm plötzlich sein Onkel in den Sinn, der mit seiner blassen Haut und den langen, weißen Haaren auch so ziemlich das Gegenteil eines normalen Wüstenbewohners darstellte. Wie auch immer sich diese Eigenschaften in einem heißen, sonnigen Ort wie dem Westen hatten durchsetzen können. Neugierig blickte der Illusionsmagier zu dem Gegenüber, als er von Miln und dem berühmten Knochental erzählte. Oha! Er schien ja wirklich ein ziemlich aufregendes Leben zu führen, wenn seine Arbeit ihn zu solch entlegenen Orten führte. Moment. Noch bevor Yuuki weitersprach, fiel bereits der Groschen im Köpfchen des Falls und sein Herz blieb einen Augenblick stehen. Der Typ hatte Magnetismusmagie angewandt. Er kam aus dem Westen. Er sprach von seiner Arbeit, die ihn viel herumführte. Und dann… erzählte Yuuki tatsächlich von Aloe Town. Lians Blick huschte unauffällig über die Körperstellen des Rothaarigen, die zu sehen waren, auf der Suche nach dem Symbol von Crimson Sphynx. Aber… da wurde er nicht fündig. Was natürlich nicht hieß, dass es nicht doch irgendwo am Körper von diesem Magier ein Tattoo gab, das ihn mit Aram Falls in Verbindung brachte. Die anfängliche Panik wich ziemlich schnell einem unglaublichen Ärger. Konnte Lian nicht einmal in Crocus Town unterwegs sein, ohne auf einen verdammten Magier von Aram zu stoßen? Als würde sein Onkel ihm irgendwelche Wachen bewusst auf den Hals hetzen! War natürlich Unfug, aber das sickerte in diesem Augenblick bei Lian nicht durch. Eine Hand in der Tasche seines Pullovers umklammerte einen kleinen Gegenstand, der eindeutig nicht ihm gehörte. Es war zu spät, um den bisherigen Plan über den Haufen zu werfen. Aber irgendwie mischte sich auch ein gewisser Trotz in die Gefühlslage des Falls. Er würde sich das doch nicht schon wieder durch Aram oder diese Gilde verderben lassen. Außerdem konnte man ihm gar nichts nachweisen. Lian rechnete trotz aller Erzählungen nicht damit, bei Yuuki einen wirklich hochrangigen oder gar gefährlichen Magier vor sich zu haben. Vermutlich irgendein Kleinvieh, das es bei Crimson Sphynx zuhauf gab und man eh nicht von dem Rest auseinanderhalten konnte. Das Interesse, noch sehr viel Zeit mit Grishira und Yuuki zu verbringen, war dennoch in diesem Moment gen Null gesunken. Lieber verschwinden. „Was ein Zufall!“, antwortete er dem Magnetismusmagier mit einem seichten Lächeln auf den Lippen. „Das hätte ich gar nicht gedacht. Bestimmt werden wir auch nochmal einen Auftritt in Aloe Town haben. Es würde mich freuen“, log der junge Mann ungeniert weiter, darum bemüht, sich die vielen Gedankengänge nicht anmerken zu lassen. Zum Glück hatte die blauhaarige Edeldame dem Grynder eine Frage über das Knochental gestellt, auf die er erstmal eingehen konnte. Lian interessierte die Antwort zwar auch, immerhin war er noch nie im Knochental gewesen, aber das war gerade eher zweitrangig. Er wartete brav, bis Yuuki die gewünschte Antwort gegeben hatte, fasste dann aber den Entschluss, dass er die Situation ein bisschen vorantreiben sollte. Natürlich ohne einen merkwürdigen Eindruck zu hinterlassen. Hatte Grishira nicht eben erwähnt, dass sie aus dieser Gegend kam? Das konnte er für sich nutzen. „Shira, du siehst wirklich nicht gut aus. Ich würde mich nicht gut damit fühlen, dich so hier zurückzulassen. Ich würde dich gerne nach Hause begleiten.“ Abgesehen davon, dass das ein guter Ansatz war, um sich – nach Ablieferung von Grishira – unauffällig zu verabschieden, bekam Lian auch noch mit, wo die Dame wohnte. Er hatte nicht direkt vor, dort einzubrechen, keine Sorge! Aber man wusste nie, was die Zukunft so für einen bereithielt und notfalls war es gut zu wissen, wo man sich vielleicht unauffällig einschleichen konnte. Natürlich nur im absoluten Notfall! Er ahnte ja nicht, dass das alles nur ein Schauspiel von Grishira war. Und sie nicht so hilflos war, wie sie nach außen hin vermittelte.
Yuuki nickte enthusiastisch, als Lian verkündete, dass der Zirkus wohl in zwei Monaten in Crocus Town auftreten sollte. Das war ja super! Bis dahin konnte er sich bestimmt rechtzeitig um Karten kümmern, selbst wenn er nicht von der Gutmütigkeit des jungen Mannes profitierte, der ja Freikarten versprochen hatte. Vielleicht finanzierte sich der Zirkus zusätzlich über die Verpflegung, Trank und Speis also, weshalb es dem braunhaarigen jungen Mann nicht schwer fiel, auch Freikarten zu verschenken. Armer Yuuki. Er würde ziemlich enttäusch sein, sobald ihm klar wurde, dass es gar keinen Zirkus gab und dass sie hier einem Schwindler auf den Leim gegangen waren. Einem Schwindler, der sogar über dasselbe Gildenzeichen verfügte, wie er selbst – konnte er aber natürlich nicht wissen, ansonsten hätte er Lian vermutlich die Ohren lang gezogen. Der Grynder lebte die Werte von Crimson Sphynx und war dementsprechend darauf bedacht, dass der Ruf der Gilde keinen Schaden nahm. Aber da er nun mal nicht in den Kopf des jungen Mannes schauen konnte, nickte der Magnetismusmagier einfach weiter enthusiastisch und stellte sich vor, wie spannend das Leben im Zirkus sein musst. Falls der junge Mann Ambitionen als Magier verfolgte, konnte er sicherlich auch Fairy Tail beitreten, da würde er sich ganz bestimmt wie zuhause fühlen. Interessanterweise hatte es Lian noch nicht über die Grenzen hinaus geführt, was den Grynder bei einem solch berühmten Zirkus sicherlich nicht verwundert hätte. Allerdings war er selbst ja seit seinem siebten Lebensjahr Magier und hatte die Landesgrenzen ebenfalls nicht überschritten, auch wenn er in Fiore selbst doch schon weit herumgekommen war. „Eines Tages möchte ich auch die weiteren Länder entdecken.“, gab Yuuki preis und lächelte in die Runde, was seinen Enthusiasmus über seinen Traum unterstrich.
Dass der dunkelhäutige junge Mann bereits seit drei Jahren beim Zirkus tätig war, musste doch bedeuten, dass er ziemlich gut sein musste, nicht wahr? Immerhin hatte er ja bereits mehrfach bewiesen, dass er trickreich war, man denke nur an die Blume aus dem Nichts und auch sein Spiel mit der Münze. Das ließ darauf schließen, dass er äußerst geschickt war und erweckte im Rotschopf die Neugier um die weiteren Fähigkeiten des Anderen. *Was er wohl sonst noch so auf dem Kasten hat?* Tja, das würde er wohl oder übel erst herausfinden, sobald er seine Show besuchte. Indes bemerkte der Grynder natürlich nicht, was in Lians Kopf vor sich ging – dass dort Panik herrschte, weil er in Yuuki einen Crimson Sphynx Magier erkannt hatte. Sicher, er unterschätzte die Fähigkeiten des jungen Mannes, aber einzig und allein der Fakt, dass es sich bei ihm um einen Magier seiner eigenen Gilde handelte, der Lians Schandtaten an Aram Falls berichten konnte, war wohl Grund genug zur Panik. Ehe er jedoch dazu kam, die sprichwörtliche spanische Fliege zu machen, stellte Shira – die wahrlich nicht gut aussah – eine interessierte Frage an Yuuki. Ach ja, das gute alte Knochental. Was sollte er da berichten? Dass dieser Ort wahrlich am Arsch der Welt war? Dass sich eine Gildenkollegin auf der Fahrt dorthin auf ihn übergeben hatte und er den Rest der Quest halbnackt hatte durchführen dürfen? Das wäre doch etwas zu viel des Guten. „Es ist … sehr speziell, das kannst du mir glauben. Da möchte ich nicht nochmal hin, wenn ich nicht musst.“, gab er von sich und vermittelte einen glaubhaften Eindruck, dass ihn die Erinnerung ans Knochental nicht sonderlich erfreut stimmte. Das hatte jedoch weniger mit den Gerüchten über die Gefahren der Einöde zu tun, als vielmehr mit seinen eigenen, schlechten Erfahrungen.
Da Yuuki allgemein jemand war, der sich auch um das Wohl der Menschen sorgte, nickte er bekräftigend, als Lian sich schließlich anbot, Shira nach Hause zu geleiten. „Das wird wohl das Beste sein.“, stimmte der Rotschopf der Aussage des Anderen zu. „Es hat mich sehr gefreut, euch kennen zu lernen. Vielleicht sehen wir uns ja in der kommenden Vorstellung, ich werde da sein!“, verkündete der Crimson Sphynx Magier grinsend in die Runde. Schließlich wandte er sich nochmal der jungen Frau mit den blauen Haaren zu. „Ich hoffe, dass es dir bald besser geht!“ Und damit hatte er sich von den Beiden verabschiedet, machte kehrt und ging gut gelaunt seines Weges. Da er fürs Erste genug gebummelt hatte, war es wohl an der Zeit, den Heimweg nach Aloe Town anzutreten. Den Bahnhof erreichte der rothaarige Magier in etwas weniger als zwanzig Minuten. Und dort war es, als er etwas entdeckte, was nicht ihm gehörte. Gerade wollte er ein Ticket kaufen, als er in seine Tasche griff und ein Portemonnaie hervorzauberte – welches ihm jedoch nicht gehörte! Verdutzt öffnete der junge Mann die Geldbörse, aus welcher ein kleiner Zettel herausfiel. Während sich Yuuki nach dem Zettel auf dem Boden bückte, erblickten seine Seelenspiegel den Ausweis einer jungen Frau. Und auf dem Zettel stand geschrieben:
Danke für deine Hilfe! Ohne dich, hätte ich es nicht geschafft!
Im Augenblick stand Yuuki einfach nur auf dem Schlauch und versuchte zusammenzuzählen, was das alles zu bedeuten hatte. Was hatte eine fremde Geldbörse in seiner Tasche verloren? Und warum dankte man ihm? Der Geldbeutel war ansonsten leer, kein Geld war dort enthalten. Was hatte das zu bedeuten? Ein nagendes Gefühl machte sich in ihm breit, ganz so, als ob er etwas Fundamentales übersah. Es vergingen einige Sekunden, ehe er sich an etwas erinnerte.
„Einer jungen Frau ganz in der Nähe wurde ihr Geldbeutel gestohlen. Und was ein Zufall, passt ihre Beschreibung ganz genau auf dich. Dunkler Teint, lockiges Haar. Hast dich ein bisschen zu sicher gefühlt, was?“
Genau das hatte der Beamte gesagt. Und was hatte Lian geantwortet?
„Dein Ernst? Willst du mir erzählen, ich bin die einzige verdammte Person in dieser riesigen Stadt mit dunkler Haut und Locken? Scheiße, kann man nicht einmal mehr in Crocus Town zu Besuch sein, ohne gleich von irgendwelchen Ordnungswächtern überfallen zu werden? Ich sage es jetzt nur einziges Mal, sodass sogar du es verstehst: Ich hab keinen verdammten Geldbeutel gestohlen!“
Hatte er etwa so sicher getan, weil er die Tat wirklich nicht begangen hatte? Oder war er sich so sicher, da er die Beute längst jemand anderem untergejubelt hatte? Wut machte sich in seinem Bauch breit bei dem Gedanken, dass er unwillentlich bei dieser Missetat ausgeholfen hatte. Und doch, das nagende Gefühl wollte selbst nach dieser Erkenntnis nicht verschwinden. Es war irgendetwas anderes, dass er gerade nicht bemerkte. Unschlüssig kratzte sich der Magnetismusmagier am Hinterkopf und fuhr sich den Hals herab … doch anstatt auf eine Kette zu stoßen, strichen seine Hände lediglich über seine Haut. Urplötzlich ließ er die Geldbörse fallen und tastete nach dem Medaillon, was eigentlich an einer Kette um den Hals hing. Es war weg! „Geomagnetic Levitation!“ Wie von der Tarantel gestochen, stieß sich der Grynder vom Boden ab und erhob sich in die Lüfte, um mit höchster Geschwindigkeit jenen Weg zurück zu laufen, den er vom Park zum Bahnhof hinter sich gebracht hatte. Nein, das konnte nicht sein. Es konnte nicht weg sein…
Keine zwei Minuten später hatte er den Park erreicht und erschrak ziemlich viele Besucher, als er plötzlich eine Landung im Gras hinlegte und sich hektisch umsah. Doch weder von Lian noch von Shira war eine Spur zu sehen. Yuuki’s Knie wurden ganz schwach und wabbelig und gaben schließlich nach. Nicht nur, dass ihn dieser falsche Typ zum Komplizen in seinem Diebstahl gemacht hatte, nein. Er hatte den wertvollsten Besitz des Magnetismusmagiers an sich genommen: Das Medaillon, welches auf der einen Seite ein Bild seiner Familie enthielt und auf der anderen Seite das einzig übrig gebliebene Bild von Iris. Tränen kullerten das Gesicht des jungen Mannes herab, als er den Verlust realisierte. Soeben hatte Yuuki Grynder den Boden unter seinen Füßen verloren, denn jemand hatte wortwörtlich sein Herz herausgerissen…
Stillschweigend saß sie da und hörte nur halb zu, was die beiden Jungs da redeten. Sie schienen sich gut zu verstehen und hatten eine gute Chemie. Ob sie vielleicht Freunde wurden? Solche Gedanken gingen der Glacies natürlich nicht durch den Kopf. Als ob sie sich darum scherte, wer sich mit wem anfreundete. Das war nicht ihre Welt. Sie machte sich eher Sorgen über die Tatsache, dass sie nicht wusste, wie sie die beiden loswurde. Langsam wollte sie zurück zur Gilde und sich ein Tee genehmigen. Sie hatte Durst und es wurde ihr langsam wirklich warm. Endlich kam der rettende Satz: „Shira, du siehst wirklich nicht gut aus. Ich würde mich nicht gut damit fühlen, dich so hier zurückzulassen. Ich würde dich gerne nach Hause begleiten.“ Dank Lian konnte sie ihren Plan, den beiden zu entkommen, wahr werden lassen. Das Mädchen hoch den Kopf. Was!? Plötzlich wurden ihr die Dimensionen dieser Aussage mit einem Schlag bewusst. Scheiße, jetzt hatte sie ein Problem. Wenn er sie bis zur Haustür begleitet, würde ihr Schwindel auffliegen: Immerhin wohnte sie im Hauptquartier der Royal Crusade! „Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten…“ Shira schaut herunter auf ihre Hände und schluckte nervös. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Und zwar plötzlich. Die junge Frau stützte sich auf die Lene der Bank und stand auf. Leicht wackelig auf den Beinen blickte sie in die Runde und lächelte schwach. „Aber, wenn Sie darauf bestehen, kann ich selbstverständlich nicht nein sagen.“ Sie kicherte verlegen. „Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn ich nach Hause gehe und mich ein wenig hinlege. Ich hoffe, es ist Ihnen recht, verehrter Yuuki? Nehmen Sie es bitte nicht als unhöflichen Akt auf, dass meine Wenigkeit nun weiterziehen muss!“ Schüchtern blickte sie noch einmal zu Lian hoch und hakte sich unter seinem Arm. „Ich hoffe, dass meine Geste nicht zu aufdringlich ist. Aber Sie sehen stark aus. Mein Haus ist nicht weit weg. Auf Wiedersehen, Yuuki. Hoffentlich sehe ich Sie wieder.“ Sie hatte sich noch einmal umgedreht und winkte dem Rotschopf ein letztes Mal zu. Das war schon einmal abgehakt. Jetzt musste sie nur schauen, wo sie den Jungen hinführen sollte. Da sie aussah, wie eine vornehme Dame, musste sie sich ein Haus aussuchen, das entsprechend auch so aussah. Ich habe eine Idee. Das Mädchen schwieg. In Lians Nähe konnte sie ja schlecht Sakura antworten, nur in Gedanke. Und die wäre? Die beiden jungen Leute wanderten die sauberen Kieselwege entlang und gingen an ein paar fremden Menschen vorbei. Das für ihren Geschmack viel zu warme Wetter schenkte dem Park eine gewisse Fröhlichkeit, die sich auch in vielen Gesichtern der Menschen widerspiegelte. Sakura besprach mit Grishira die Idee, die sie hatte. Und mit der war sie vollkommen einverstanden. Ich weiß auch schon, wo ich hingehen kann. Danke, meine Liebe! Sehr gerne. „Lian, mir ist gerade eingefallen, dass ein Verwandter von mir in einer Gaststätte arbeitet. Er weiß, wie er mich wieder zu Kräften bringen kann. Es ist vielleicht ein fünf-Minuten-Weg bis dorthin. Wäre es Ihnen recht, wenn Sie mich dort absetzen?“, fragte die Indigoblauhaarige höflich. Diese Ausrede war gut, fand sie, immerhin hatte sie zwei Vorteile: Lian würde nicht herausfinden, dass sie der Royal Crusade angehörte und außerdem war das der schnellste Weg, ihn abzuhängen. Das Mädchen konnte wirklich gut schauspielern und diese Fähigkeit lag ihr im Blut, doch für eine so lange Zeit sich verstellen zu müssen, war sogar ihr zu viel. Langsam bekam sie nämlich Kopfschmerzen und diese freundliche Art, die sie am Tag legte, widerte sie immer mehr an. Aber sie respektierte auch den Fakt, dass es bei ihrem Charakter nicht anders ging: Denn nur so konnte sie in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Wenn sie sich sofort offenbarte, würde das all ihre Pläne zunichtemachen. Shira und Lian schlenderten ohne große Eile aus dem Park heraus. Jetzt war ihnen der Schatten der Bäume nicht mehr vergönnt und die Sonne knallte nun mit voller Wucht auf sie herab. Das Mädchen hielt sich ihren rechten Arm vor die Stirn, um sich ein wenig vor dem direkten Schein zu schützen. Sie hätte ja am liebsten an sich selbst Icy Breath angewandt, damit es ihr ein wenig kälter war. Doch dann würde alles herauskommen, was sie sich so zurecht gebaut hat, als sie die beiden Herren kennengelernt hat. Sie schaute zu einem Verkäufer, der frische Getränke verkaufte und starrte das klare Wasser wehmütig an. Dann blickte sie hoch zu Lian. „Also, … ähm“, stotterte sie. „Ich glaub es wäre doch besser, wenn wir eine Kleinigkeit trinken, wenn es Ihnen recht ist. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen einen aus.“ Sie lächelte schüchtern. Irgendwie wusste sie nicht so recht, worüber sie sich so allein mit Lian unterhalten sollte. Grishira führte den Braunschopf Richtung stand und zahlte zwei Flaschen Wasser und überreichte eine dem Älteren. Sie lächelte ihn freudig an und trank einen Schluck daraus. „Heute ist es unangenehm warm… Das bekommt mir leider nicht so gut“, gab sie zu und schaute betreten auf ihre Füße. Wann war das endlich vorbei? Aber die Gaststätte war ja sowieso nicht mehr weit. Hätte sie gewusst, dass Yuuki gerade in Windeseile unterwegs war, um sich Lian vorzuknöpfen, weil er ihm ein wertvolles Schmuckstück geklaut hat, hätte sie sich nicht mehr vor Lachen einkriegen können. Immerhin hat Yuuki sich von einem Magier niedrigerem Ranges austricksen lassen! Doch das wusste sie natürlich nicht, also konnte jetzt auch nicht losprusten. Und hätte sie gewusst, was der Frechdachs noch anstellte, hätte sie sich nicht zwischen auf offener Straße die Kehle aufschlitzen oder durch Kältezauber sterben entscheiden können. Na gut, ersteres wäre nicht möglich gewesen, weil sie kein Messer bei sich hatte. Doch das lag noch in der Zukunft…
Lian nickte dem Rotschopf mit einem unschuldigen Lächeln auf den Lippen zu, als dieser sich verabschiedete. Ihm war nicht nur ein fremder Geldbeutel (natürlich geleert) untergejubelt worden, sondern er hatte auch ein goldenes Schmuckstück an einen Dieb verloren. Der Falls wusste nicht, was es genau war, was er von Yuuki gestohlen hatte – er hatte nur das aufblitzende Gold gesehen und zugelangt, solange der Magnetismusmagier abgelenkt gewesen war. Der Dieb ahnte nicht, dass in dem Medaillon Fotos zu finden waren und was für einen emotionalen Wert das Schmuckstück für den Rothaarigen hatte. Nicht falsch verstehen: Selbst wenn er es gewusst hätte, hätte er sich als Langfinger sicherlich nicht zurückhalten können. Der Falls würde sich zu einem späteren Zeitpunkt aber noch selbst verfluchen, denn seine eigene, emotionale Seite würde ihn daran hindern, das Diebesgut sofort zu verhökern und das Geld einzukassieren. Aber das … war ein Thema für die Zukunft. In diesem Moment sah Lian dem sich entfernenden Yuuki nur noch kurz hinterher, bevor seine hellgrünen Seelenspiegel zurück zu Grishira wanderten. Die junge Frau, deren Haut noch immer ungesund blass aussah, stand wackelig von ihrem Platz auf und hakte sich bei Lian unter. Die plötzliche Nähe überraschte den Illusionsmagier, was man auch kurz seinem Gesichtsausdruck ansehen konnte. Doch die Überraschung wich schnell einem schiefen Lächeln, als er auf das blaue Haar der Glacies hinabsah. Sie schien wirklich schwach zu sein, so wie sie sich an ihm abstützte. Und erneut wusste Lian nicht, dass sie ihn nur hereinlegte… gerade fühlte er sich so, als wäre er der starke Part, der dieser unschuldigen Dame auf dem Heimweg half. Dass dieser lang andauernde Körperkontakt es für einen Dieb wie den Lockenkopf sehr leicht machte, den Körper Grishiras unbemerkt nach wertvollen Schmuckstücken abzusuchen, spielte ihm in die Karten. Und er wurde schnell fündig… Was? Lian hatte doch schon das Medaillon von Yuuki mitgehen lassen und sollte sich nun zumindest anstandshalber bei einer hilflosen Frau wie Grishira zurücknehmen? … Also bitte. Wir sprachen hier von Lian Falls. Er hatte heute bereits eine unschuldige Dame bestohlen, man glaubte doch nicht wirklich, dass er davor zurückschreckte, das auch noch bei einer zweiten Frau zu tun. Lian fühlte sich großartig! Es sah ganz so aus, als würde sein Ausflug nach Crocus Town ein noch viel größerer Erfolg werden, als zu Beginn seiner Reise angenommen!
Kurz nachdem sie den Park verlassen hatten, bat die schwache und ein wenig zittrige Stimme der jungen Frau darum, zu einem Gasthaus in der Nähe gebracht zu werden. Dort lebte ein Verwandter von ihr, der sie aufpäppeln könnte? Hm. Lian war es gleich, wo genau er Grishira absetzte. „Klar. Wird erledigt“, stimmte er zu und zwinkerte verschmitzt. Beide spielten ein Spiel miteinander und keiner von beiden wusste, dass er nur veräppelt wurde. Zwei Betrüger, die aufeinandertrafen. Es war schon ein witziger Zufall, oder? Auf dem Weg deutete die Glacies zu einem Verkäufer, der Wasser verkaufte und bot an, zwei Flaschen zu kaufen. Lian zuckte zusammen… scheiße. Er wusste nicht, wo genau die Glacies nach ihrem Geldbeutel suchen würde, wenn sie allerdings in die falschen Taschen griff, könnte sie bemerkten, dass ihr etwas fehlte… der Falls war drauf und dran, Widerworte einzulegen, schnell anzubieten, das Wasser selbst zu bezahlen. Doch da war es zu spät! Grishira griff in ihre Tasche und der Falls hielt unbemerkt die Luft an. Doch… sie fand ihr Geld auf Anhieb und zahlte, ohne bemerkt zu haben, dass ihr eine andere Sache entwendet worden war. Glück musste man haben! Irgendeine übernatürliche Kraft musste heute auf der Seite des Illusionsmagiers sein, das hätte ordentlich schiefgehen können. Ob Grishira etwas von seiner Nervosität mitbekommen hatte? „Danke, Shira“, sprach er direkt an sie gewandt aus, nachdem er die Flasche entgegengenommen hatte und ebenso einen Schluck daraus trank. Sie sah so unschuldig aus, wenn sie ihn freudig anlächelte… unglaublich, dass das alles nur eine Lüge war! Lian wäre im Leben nicht darauf gekommen, dass diese zierliche Dame ein boshaftes Wesen besaß. Ihre blasse Haut erinnerte ihn an jemanden… und ehe er sich versah, deutete Lian der Blauhaarigen an, kurz zu warten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging der Falls erneut zu dem Verkäufer und sprach mit ihm. Grishira konnte wohl nicht verstehen, was genau die beiden Männer besprachen, wohl aber könnte sie sehen, dass Lian seinerseits einen Geldbeutel zückte und weiter angeregt mit dem Verkäufer sprach. Verhandelte er etwa gerade einen Preis? Schließlich schienen beide Parteien zufrieden und während wenige Jewels über den Tresen zum Verkäufer wanderten, überreichte dieser dem Illusionsmagier umgekehrt einen etwas abgenutzt wirkenden Schirm mit floralem Muster, wie wohl eher ältere Damen ihn tragen würden. Ob das nun wirklich den Geschmack von Grishira traf, sei mal dahingestellt, aber der Falls spannte den kleinen Schirm über sich selbst auf und kam selbstbewusst zu der Eismagierin zurückstolziert. Amüsiert grinsend reichte er ihr den Schirm, der zumindest ein bisschen Schutz vor der Sonne bot. „In der Wüste gehört das zur Standardausrüstung einer Dame“, erklärte er Grishira und schmunzelte. Lian redete sich selbst in diesem Moment ein, das alles nur zu tun, um die Glacies in Sicherheit zu wiegen und ungeschoren mit seinem Diebstahl davonzukommen. Wer ihn etwas besser kannte, wusste aber, dass er innerlich eben doch zu weich war, um zuzusehen, wie es einer jungen Dame sichtlich schlecht ging. Es weckte Gefühle in ihm, die er eigentlich tief in sich begraben geglaubt hatte. „Also, das Gasthaus ist nicht mehr weit, oder? Wollen wir?“ Er hielt der Blauhaarigen eine Hand hin, die sie als Stützte annehmen konnte, wenn sie wollte. Auch der Falls wollte bald verschwinden, bevor sein ganzer Schwindel doch noch aufflog…
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