Ortsname: Lians Wohnung Art: Wohnung Spezielles: Bewohnt von Lian Falls
Beschreibung: So wie viele andere Gildenmitglieder von Crimson Sphynx wohnt auch Lian Falls direkt im Gildenpalast, genauer gesagt im Ostturm. Das kleine Kabuff, das ihm zugeteilt worden ist, kann keinen besonderen Luxus vorweisen, ist allerdings zumindest mit den wichtigsten Möbelstücken ausgestattet. Neben einer Küchenzeile, einem Tisch mit Stühlen, einem großen Bett, einem kleinen Kleiderschrank sowie einem Schreibtisch gibt es auch noch ein kleines Badezimmer mit Dusche. Während andere Gildenmitglieder ihre Wohnungen persönlich einrichten, lassen die vier Wände von Lian dies vollkommen vermissen. Die Wände sind weiß, es gibt keine Bilder, keine Pflanzen und bis auf den chaotischen Schreibtisch und die teilweise unordentlich über die Stühle geworfenen Klamotten auch sonst kaum persönliche Gegenstände, die einen Außenstehenden erkennen lassen, dass Lian Falls hier wohnt. Die Bücherregale über dem Bett sind leer, die Küchenschränke über Herd und Spüle nur mit der Grundausstattung gefüllt, die bereits beim Einzug vorlag. Insgesamt sieht es nicht so aus, als würde Lian sich hier wirklich einrichten wollen oder damit rechnen, längere Zeit an diesem Ort zu bleiben.
Change Log: Ein leeres Kuchenblech steht auf der Küchentheke. Gleich daneben liegt ein gefaltetes Männershirt, bei dem man wohl erst auf den zweiten Blick erkennt, dass die Größe nicht zu Lian passt.
Start des Offs - Wiedersehen mit Wirrwarr: Zwischen Wolf, Defraudant und Wein
Lieber Lian,
Lieber? Er hat mich zum Komplizen gemacht. An ihm ist nichts lieb.
Hallo Lian
Schreib ich ihm hier was ich zum Mittag gegessen habe?
Lian,
Es vergeht kein Tag an welchem ich nicht an unser verhängnisvolles Treffen im Zug denke, an unseren Streit, an die Gespräche an der Bar, an…
Was zum Henker wird das denn!? Frustriert knüllte Rownan auch das dritte Blatt zusammen und stieß es lustlos zu den anderen 15, die bereits seinen Schreibtisch zierten, ehe er die Feder wieder ins Tintenglas fallen ließ. Es war bereits der dritte Tag angebrochen, an welchem er erfolglos einen Brief zu verfassen versuchte. Doch egal wie er damit begann, er war nie damit zufrieden. Niedergeschlagen ließ er sich rückwärts aufs Bett fallen und schaute zu seinem Arbeitsplatz. Wie war er nur in diese Situation geraten? Alles hatte mit seiner Rückreise und der Krankheit begonnen.
Wenn man Rownan fragen würde warum er krank geworden war, so würde er gewiss schnell die Wunde erwähnen, die er sich vor einigen Wochen zugezogen hatte. Immerhin war das Messer alles andere als sauber und es hatte auch eine Weile gedauert, bis er medizinisch versorgt wurde. Kein Wunder, dass es sich entzünden würde. Wenn er jedoch ehrlich war, dann hatte ihn seine eigene Handlung am Ende ihrer Quest so tief erschüttert, dass es tatsächlich physischen Stress ausgelöst hatte. Stress, der sich in einem starken Fieber manifestiert hatte. Und dieses Fieber war es, das ihm das eine gegeben hatte, was er sich selbst nur zu gern verwehrt hatte: Zeit. Zeit zum Nachdenken, Zeit über sich nachzudenken und Zeit über ihn nachzudenken. Frustriert schaute er vom Bett aus wieder zum Schreibtisch. Wenn es besser werden sollte, musste er diesen Brief schreiben. Das war der ehrliche, unverblümte Fakt. Wie er jedoch bereits im Zug bemerkt hatte, war Ehrlichkeit vorerst kein Attribut, mit welchem er sich schmücken durfte. Müde rieb er sich die Augen und lies diese daraufhin geschlossen. Erst sah er eine Art Duft die sich in der endlosen, schwarzen Leere bewegte, ehe die Schwade langsam Form annahm. Erst Klamotten, dann ein Gesicht und dann diese Augen. Diese verdammten grünen Augen.
Während seiner Fieberphase war es tatsächlich die Meisterin seiner Gilde, Savanna Green, die ab und an nach ihm gesehen hatte. Wenn jemand so fleißiges wie er plötzlich nicht auftauchte, erweckte das schon Interesse. Doch nachdem er ihr versichert hatte, dass alles gut war, dachte er Ruhe zu haben. Fehlanzeige. Sie schien genug Menschenkenntnis zu besitzen, vielleicht hatte sie etwas Ähnliches auch bereits beobachtet, um zu wissen, dass ihn etwas bedrückte. Aber er war zu stolz es ihr so offen darzulegen, etwas so Intimes darzulegen, wo er es noch nicht einmal … ihm gesagt hatte. Sich vom Schreibtisch wegdrehend, schaute er nun die weiße Wand an. Vielleicht war es das Fieber, vielleicht auch sein Bedürfnis sich mitzuteilen, denn am dritten Tag öffnete er sich ihr zumindest einen Teil. Noch immer plagte ihn die Tatsache, dass er seinen Trieben und Reizen so offenkundig ausgeliefert war und ihnen wiederholt erlegen war, dass er nun das Gefühl hatte krampfhaft einen Weg aus dieser vermeintlichen Falle zu suchen. Da war noch eine Sache mehr, die Sache die ihn wirklich bewegte, doch die behielt er für sich. Natürlich gab es Dinge wie Hypnose oder auch gefährliche Operationen mit Lacrima. Aber für Rownan wirkte es eher wie eine weitere Flucht. Da stieß sie ihn auf eine interessante Option. Es gab Magien, die es einem ermöglichten seine Form zu verändern. Vielleicht gab es dann auch die eine, die ihn verändern konnte. Sich dabei ertappt gefühlt, etwas Unüberlegtes gesagt zu haben, nahm ihr Ton etwas Finsteres, Ernsteres an. „Es gibt keine Abkürzungen im Leben Rowan. Du von allen … Menschen solltest dies am besten wissen. Auch Magie kann dir den Weg und Veränderung nicht ersparen. Du musst dich dieser Herausforderung stellen, es muss aus dir kommen. Die Frage ist nur: auf welche Art und Weise?"
Es gab eine Option. Aber dafür hätte er ihm schreiben müssen. Allein der Gedanke daran machte ihn wütend, auch wenn er vielleicht nicht vollständig wusste wieso oder sich möglicherweise die Wahrheit, den wahren Grund, nicht eingestehen konnte. Das Gefühl des Verrates war es, dass für ihn augenscheinlich im Vordergrund stand. Daher tat er das was er am besten konnte, als seine Kräfte langsam zurückkehrten: Lesen und Sport. Die Wochen nutzte er und schaute sich diverse Zauberbücher an, ließ sich formen des Take-Over zeigen. Doch egal wie sehr er sich anstrengte, und dabei war er alles andere als dumm, konnte er die Geheimnisse dieser Verwandlungen nicht erschließen. Er verstand theoretisch was zu tun war. Praktisch konnte er nichts davon umsetzen. Dieser Rückschlag frustriert ihn nur noch mehr und allmählich entwickelte sich eine Kaskade von Scheitern und Frust, die sich letztendlich auf eine Person kanalisierte: Lian.
So trieb es ihn an den Schreibtisch, an welchen er noch immer versuchte die richtigen Worte zu finden. Die ersten fünf Briefe entwickelten sich zu Hasstiraden, die den armen Jungen bitterböse beleidigten. Die anderen waren mal weinerlich mal schleimend, mal witzig oder oberflächlich. Aber nichts davon sprach ihn wirklich an. Warum viel es ihm so schwer um Hilfe zu bitten!? Aber da war noch mehr! Warum scheute er noch immer den Konflikt? Seine anderen Möglichkeiten waren jedoch mehr als erschöpft. Er musste ihm schreiben. Wenn er in diesem Moment in die grünen Seelenspiegel schauen könnte, wüsste er sicherlich sofort, was er schreiben würde. Aber unter Umständen war das alles, was er sagen musste. Er wollte ihn wiedersehen, um all das zu besprechen, was liegengeblieben war und noch mehr. Er wollte dessen Fähigkeiten nutzen um sich selbst voranzubringen und endlich wieder ruhig zu schlafen, wohl wissend, dass er in Kontrolle war. Und er wollte, obwohl er gerade in diesen Wochen doch so viel mehr negatives als positives äußern konnte, auch einfach Lian wiedersehen, diesen frechen Typen aus der Wüstenstadt, mit welchen er so vieles zu teilen schien. Es war dieser Typ, der aus irgendeinem Grund, der dem Satyrs zwar bewusst war, er sich diesen aber nicht eingestehen wollte, verstand, welche Knöpfe er zu drücken hatte, um Rownan die Schamesröte ins Gesicht zu treiben, ihn sprachlos zu machen und ihn frei wie ein Wasserfall reden zu lassen. Sich einfach gesehen zu fühlen, auf Augenhöhe zu reden. War das Zuviel verlangt? Fast unscheinbar entglitt ihm ein Seufzer dessen wahren Charakter nur Rownan selbst wusste. Dass seine Rute allein bei dem Gedanken eines Wiedersehens, freudig hin- und herschwang, machte die Sache nicht weniger kompliziert.
Mental machte der Wolf sich eine Liste. Wenn er alles schaffen wollte würde eine Tagesreise nicht reichen. Er musste ein Wochenende nach Aloe. Ein Wochenende. In die Wüste. Er… Der Grauhaarige war genervt. Kein Wunder, dass er keinen Brief verfasst hatte. Aber wenn er nicht den ersten Schritt tun würde so schien die Sphynx es auch nicht zu tun. Ein leichtes Schmunzeln machte sich im Gesicht des Lupinen breit. Was hatte die Bardame gesagt, Wein würde helfen? Nicht unbedingt mit neuer aber mit anderer Motivation stand er vom Bett auf, setzte sich an den Tisch, nahm Papier und Feder und begann endlich frei raus das zu schreiben, was er sich weder traute zu sagen noch zuvor aufs Papier zu bringen.
Lian,
Ich denke ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass unsere Treffen alles andere als gut zu Ende gegangen war. Dennoch beschäftigt es mich bis zum heutigen Tag. Wir haben noch so viele Punkte für die keine Zeit war. Wir haben Dinge gesagt die für den anderen bestenfalls rätselhaft waren. Und wir haben Dinge unausgesprochen gelassen, die wir eigentlich hätten aussprechen müssen.
Ich möchte ein Wochenende nach Aloe kommen und dich treffen. Ohne Auftrag oder störende Gäste, ohne Zuschauer. Nur wir zwei. Und ich möchte dich um deine Hilfe bitten denn ich glaube, dass du derjenige bist, der mir endlich weiterhelfen kann, wo so vieles versagt hat.
Wenn dies auch in deinem Interesse ist so antworte mir. Erhalte ich keine Antwort so ist dies dein gutes Recht. Ich hoffe jedoch dich durch etwas Wein gutmütig zu stimmen, welchen ich mit zu dir bringen würde. Sollte deine Antwort positiv ausfallen so nenne mir ein Datum und ich werde es mir einrichten.
Ich verbleibe Erwartungsvoll.
Gez. Rownan.
Den Brief mit seinem Siegel versehend, schickte er ihn in Richtung Westen. Jetzt konnte der Hybrid fürs erste nur eins: warten.
Lian ließ sich bereitwillig auf das Bett in seinem Rücken zurückfallen, stützte sich nach hinten mit den Unterarmen ab und grinste keck. Seine Augen erwiderten das erwartungsvolle Funkeln, das ihm zugeworfen wurde, als die junge Frau auf seinen Schoß kletterte. Des Oberteils bereits entledigt, war es nur noch der BH, der einen direkten Blick auf ihre Oberweite verhinderte. Der Falls bekam nicht genug von dieser perfekten Sanduhrform, den weiblichen Rundungen, die genau an den richtigen Stellen zu finden waren. Er wollte ihren Körper berühren, ihre Seiten begierig entlangstreichen, doch kaum, dass er die Hand angehoben hatte, griff die Schwarzhaarige bereits nach seinem Handgelenk. Langsam drückte sie ihn zurück auf die Matratze und verhinderte dadurch effektiv, dass Lian sie berühren konnte. Sie folgte der Bewegung, sodass ihr Gesicht so knapp vor dem Seinen verweilte, dass die roten Spitzen ihrer Haare seine Nase kitzelten. Lian grinste, waren es doch nur noch Zentimeter, die ihn von ihren weichen Lippen trennten. Dann kam sie noch ein Stückchen näher, der Bogenschütze konnte sie förmlich schon schmecken… doch die Bewegung stoppte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lian bemerkte, dass die Stimmung sich… veränderte. Der Druck um seine Handgelenke ließ nach, das Gesicht, das eben noch so nah bei ihm gewesen war, rückte deutlich nach hinten. Verwirrt öffnete der Falls seinen Mund einen Spalt breit für eine Erwiderung, aber ehe er etwas sagen konnte, verschwamm der Hintergrund vor seinen Augen. Alles wurde dunkel, sein ganzer Fokus lag auf der Schwarzhaarigen, die immer noch auf seinem Schoß saß und tonlos Worte mit ihren Lippen formte, während eine Mischung aus Panik und Angst aus den hellblauen Iriden sprach. Er konnte sie nicht verstehen. Und dann, plötzlich, drang eine Hand mitten durch ihre Brust und riss eine klaffende, blutende Wunde zwischen ihre Brüste. Diesen Anblick noch nicht ganz verdaut, bemerkte Lian plötzlich, dass die fremde Hand etwas in ihrer Faust gefangen hielt. Vor seiner Nase pumpte ein faustgroßer, roter Fleischklumpen. Die hellgrünen Augen wurden weit aufgerissen, es verschlug dem Braunhaarigen den Atem, sein Magen drehte sich um... „Gin!“, schrie er, saß plötzlich senkrecht auf dem Bett in seiner kleinen Wohnung. Lians Herz schlug wie wild, Schweiß stand auf seiner Stirn, während er fassungslos ins Nichts blickte. Es dauerte, bis er realisierte, dass er geträumt hatte. Dass das alles nicht mehr als ein Streich seines Verstandes gewesen war. Mal wieder. Der 19-Jährige schloss die Augen und hielt sich die Stirn, darauf konzentriert, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war nicht das erste Mal, dass er durch irgendwelche Alpträume aus dem Schlaf gerissen worden war. Und doch hatte er das Gefühl, dass die Intensität seiner Träume seit seiner Quest in Miln noch deutlich zugenommen hatte. Fuck. Warum hatte er das Gefühl, dass ihm seit einiger Zeit alle Zügel in seinem Leben zunehmend entglitten? Er fühlte sich wie auf einem Schiff auf hoher See, inmitten eines Sturms und obwohl er dagegen ankämpfte, wurde er von der Gewalt der Natur doch von rechts nach links geworfen und konnte kaum mehr machen als auf einen Wetterumschwung zu hoffen, wenn er lebend aus dem Dilemma herauskommen wollte. Kraftlos robbte er zum Rand des Bettes, ließ die Füße auf den hölzernen Boden gleiten und seufzte stumm, bis ein leises quietschendes Geräusch dafür sorgte, dass er den Kopf wandte. Ein verschlossener Umschlag wurde durch den Briefschlitz eingeworfen und landete nach kurzem Segeln auf dem Flurboden. Ein Brief? Lian bekam nicht besonders oft Briefe, war aber in diesem Augenblick ganz dankbar für die Ablenkung, weshalb er aufstand und in den Flur torkelte. Als er den Namen des Absenders las, hoben sich seine Augenbrauen überrascht an. Er riss den Umschlag auseinander, um den Inhalt zu lesen.
Lian,
Ich denke ich spreche für uns beide, wenn ich sage, dass unsere Treffen alles andere als gut zu Ende gegangen war… […]
Rownan. Na wunderbar, die nächste Baustelle im Leben von Lian Falls. Der Braunhaarige ließ sich auf den Stuhl an seinem Schreibtisch fallen und legte den Kopf in den Nacken. Der Hybride von Satyrs Cornucopia war für den Bogenschützen in kürzester Zeit zu einem echten Freund geworden – obwohl sie sich geprügelt hatten und er beinahe von Rownan verschlungen worden wäre. Eigentlich war danach alles super gelaufen… aber wieder einmal hatte der Illusionsmagier meisterhaft unter Beweis gestellt, dass positive Gefühle nicht seine Stärke waren. Nein, er hatte auch diese positive Wandlung in seinem Leben gekonnt sabotiert und praktisch nichts unversucht gelassen, um sicherzustellen, dass Rownan sein Vertrauen in den 19-Jährigen bitter bereute. Nicht aus böser Absicht. Eher… versehentlich. Lian verstand selbst nicht so recht, warum er sich immer wieder selbst Steine in den Weg legte. Die Diebstähle auf der Zugfahrt wären nicht nötig gewesen, das wusste er. Und doch… hatte er sie nicht unterlassen können. Warum war er so schlecht darin, einfach gut zu sein? Als würde es nicht seinem naturell entsprechen. Nein, er war ein Taugenichts, ein Lump, mit dem es kein gutes Ende nehmen würde. Der Falls seufzte, als er sich über diese Tatsache mal wieder bewusstwurde. Und doch hatte Rownan ihm einen Brief geschrieben. Er wollte nach Aloe kommen, wollte ihn treffen und mit ihm über die Dinge sprechen, die bei der gemeinsamen Quest vorgefallen waren. Lian war sich nicht sicher, ob er bereit dazu war, denn so wortgewandt er im Alltag auch war, über eigene Fehltritte zu sprechen gehörte eindeutig nicht zu seinen Stärken. Das war auch der Grund, warum der Crimson Sphynx Magier bis heute nicht selbst zu Stift und Zettel gegriffen hatte, um dem Wolf zu schreiben. Aber jetzt hatte er die Anfrage von Rownan erhalten, die er kaum guten Gewissens ignorieren konnte. Und eigentlich wollte er ja auch nochmal mit dem Hybriden, mit dem er tatsächlich viel erlebt hatte, sprechen. Mit dem Magier, der nicht nur ein Messer für ihn abgefangen hatte, sondern ihm auch mit purer Ernsthaftigkeit Potenzial zugestanden hatte, das Lian selbst in sich nicht sah. Außerdem hatte der Satyrs davon geschrieben, dass er den Illusionsmagier um Hilfe bitten wollte. Hilfe… Argh. Nein, das konnte er nicht unbeantwortet lassen. Schließlich blieben die hellgrünen Augen an dem Wort Wein hängen, den Rownan anbot, mitzubringen. „Alkohol kann ich gerade wirklich gut gebrauchen…“, murrte der junge Mann im Selbstgespräch und setzte den Stift an. Ohne lange über irgendwelche Formulierungen nachzudenken, brachte er auf den Punkt, was er dachte:
Rownan,
okay. Am [hier Datum einfügen] passt es. Komm zum Gildenpalast, frag nach meinem Namen, ich hol dich ab,
Lian
Ps: Vergiss den Wein nicht.
Ohne noch länger darüber nachzudenken, packte er den Brief in einen neuen Umschlag und sandte ihn los. Immerhin musste Rownan sich keine Sorgen machen, dass jemand anderes als Lian Falls selbst diesen unglaublich charmanten Brief geschrieben hatte. Man konnte aus dem Text das kecke Grinsen und Augenzwinkern förmlich herauslesen. Dass Rownan sich an dieser kurzen Antwort stören könnte, darüber dachte der Braunhaarige gar nicht nach. Hauptsache er dachte an den Wein.
Wer hätte gedacht, dass den unerschütterlichen Schwertkampfer aus Satyrs Cornucopia etwas so Banales wie das Warten auf einen Brief aus dem Konzept bringen konnte. Kaum hatte er den Brief im Amt abgegeben, kamen die ersten Fragen. War er unter Umständen zu direkt gewesen? Hätte er seine Anfrage vielleicht noch diplomatischer verpacken müssen? War der Wein wirklich angebracht gewesen? Wie lange brauchte eigentlich ein Brief von Maldina nach Aloe und wieder zurück? Verdrossen kratzte der Hybrid sich mit beiden Händen den Hinterkopf, immer schneller werden, bis er sich auf sein Bett zurückfallen ließ und alle viere von sich streckte. Es half alles nichts. Er würde warten müssen, bis eine Antwort in seinen Briefkasten landete. Sofern eine Antwort darin landete. Hatte er seine Adresse richtig angegeben? Hätte er einen frankierten Umschlag mitschicken sollen? ….
Fast drei Tage dauerte es, bis der ungeduldige Tiermensch einen Brief an ihr adressiert vorfinden konnte. Anders als er es getan hatte, war der Brief nicht versiegelt, sondern nur mit dem dazu vorgesehenen Kleber verschlossen worden. Zudem wirkte die Schrift sehr abgehackt, fast stakkatohaft und zu allem Überdruss noch mit einem kommerziellen Stift geschrieben. Seine Freude auf den Inhalt des Briefes bremste sich etwas. Dann rieb er sich den Nasenrücken und ein Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück, während er die Strecke zu seinem Zimmer zurücklegte. Es war immer noch Lian von dem er hier sprach. Alles andere als der minimale Aufwand wäre für den Magier eher verdächtig gewesen. Möglicherweise wollte er ihm so signalisieren, dass alles wieder in Ordnung war, zumindest oberflächlich. Eventuell distanzierte er sich auch, indem er gewohnte Muster zur Schau stellte. Aber Rownan war zu voreilig. Noch hatte er den Brief nicht geöffnet und damit wusste er noch immer nicht, was die Antwort seines Leidensgenossen war. Mit einem geschickten Griff hatte er den Brieföffner vom Schreibtisch gepackt und in einer schwungvollen Bewegung den Kuvert geöffnet. Hastig setze er sich daraufhin und klappte das, in Ermangelung besserer Worte, hastig gefaltete Blatt auf. Schon als er seinen Namen las, bemerkte er, wie seine Rute seine gute Laune wieder in die Umwelt transportieren musste. Vielleicht müsste er das Ding wirklich festbinden, falls sie sich sehen sollten, um wenigstens den Hauch eines Pokerfaces zu bewahren. Denn man sollte die Reaktion des Lupinen keineswegs falsch verstehen. Er war immer noch sauer für niedere Zwecke missbraucht worden zu sein. Aber er wusste auch, dass er diese nicht verhindert hatte. Das „Warum“ war es, dass ihn motivierte den Austausch zu suchen. Umso erfreuter war der Wolf, als er die positive Antwort lesen durfte, auch wenn diese recht spärlich ausfiel. Okay. Er schreibt einfach Okay. Ein dunkles Lachen baute sich in seiner Brust auf, ehe dieses seinen Weg nach außen suchte. Den Blick nach oben gerichtet lachte Rownan, während das Schriftstück zu seinen linken Seite nach unten hing. Erst einen Augenblick später, nachdem er sich gefangen hatte, führte er das Papier wieder in sein Sichtfeld. Ihm war das Postskriptum nicht entgangen. Dass die Sphynx diesen Teil jedoch betonte, konnte mannigfaltig interpretiert werden. Unter Umständen freute sich Lian einfach auf ein geselliges Wochenende, an welchem die Arbeit nebensächlich werden konnte. Wer zu viel trank, konnte meist nicht mehr wirklich etwas produktives tun. Die wahrscheinlichere Tatsache war jedoch, dass man, und so meinte es die Bardame sicherlich, unter Alkohol hemmungsloser wurde. Bis jetzt war der Hybrid im besten Fall einmal angetrunken gewesen, aber nie so sehr, dass er nicht noch jede Bewegung und jeden Gedanken kontrollieren konnte. Sich so in der berauschenden Flüssigkeit fallen zu lassen, wäre ein Novum für den Tiermenschen. Im geschützten Rahmen allerdings möglich. Rownan war sich jedenfalls sicher, dass Lian und der Wein keine Fremden waren. Es war in diesem Moment, in welchem der Grauhaarige aufs äußerste hoffte, seine Kraft, sein geschundenes, niedriges Vertrauen und sein innerliches Gefühlschaos nicht aufs falsche Pferd zu setzen. So recht wusste er auch nicht, wie er dann reagieren würde. Noch musste er den Teufel nicht an die Wand malen. Ihr Treffen war noch nicht passiert. Und es würde auch nicht passieren, wenn er nicht einige Vorkehrungen treffen würde. In weiser Voraussicht hatte er diese initiiert, noch bevor er die Antwort erhalten hatte. Irgendwie musste man sich ja beschäftigen.
Das erste, was er erledigt hatte, war etwas definitiv Ungewöhnliches für den Satyrs: Er war einkaufen. Nein keine Waffen, kein Essen oder Pflegequipment. Klamotten. Man könnte sich jetzt natürlich fragen, ob ein so adrett aussehender Wolf wirklich andere Kleidung brauchte. Doch waren es Hemd, Weste und auch die Krawatte, die so vieles symbolisierten, wovor Lian zu fliehen schien. Oder was ihm zumindest negativ aufstieß. Soviel hatte er doch sehr direkt von diesem zu spüren bekommen. Er brauchte etwas, dass zwar schick war, jedoch auch von einer breiteren Masse an Menschen akzeptiert wurde. So fiel seine Wahl letztendlich auf einen Satz Polohemden, in einem schlichten blau, welche sowohl an den Ärmeln als auch am Kragen weiße Akzente aufwiesen. Schon beim Anprobieren merkte er, wie ungewohnt es war. Nun gut, was tat man nicht alles für ein gutes Treffen. Er wollte schließlich nichts dem Zufall überlassen. Seine zweite Anlaufstelle war ein Schmied gewesen. Denn wenn man gerade beim Punkt des Zufalls war: Seine geplante Trainingsstunde brauchte Sicherheiten. Sicherheiten, die es im Zug nicht gegeben hatte und die beinahe dazu führten, dass dieses Treffen rein hypothetisch geblieben wär. Er vertraute in die Fähigkeiten des Illusionsmagiers. Wie dieser bereits richtig erkannte, war er kein Kämpfer und so musste man eine körperliche Auseinandersetzung nicht provozieren. Die Ketten und der Halsring fühlten sich stabil an, auch wenn sie in seinen bekrallten Händen ein bitteres Gefühl auslösten. Würde alles klappen, wäre dieses Gefühl ein Relikt alter Zeit. Noch einmal würde er sich dafür dieser Seite vollkommen hingeben müssen. Mit dem neuen Instrumentarium in seiner Tasche sollte es kein Problem darstellen dies auch zu tun. Die letzte Adresse auf seiner Liste war der Weinhändler seines Vertrauens. Nur kurz nach seinem Eintreffen in Maldina und der Schuldenfreiheit, hatte er diese exquisiten Laden ausfindig gemacht. Der Besitzer war ein Kenner und es war diesem ein leichtes jeden Wein inner- und außerhalb Fiores zu beschaffen. Eigentlich hatte Rownan vor den gleichen Wein zu organisieren, der auch im Zug serviert wurde. Ein Blick in das Preisbuch, ließ daraufhin sogar in seinem beharrtes Gesicht die Blässe erkennbar werden. Dieser Wein war jenseits seines Budgets. Doch ihr gemeinsamer Freund wusste auch hierfür eine Lösung. Das Weingut verkaufte natürlich auch Wein jüngerer Jahrgänge und so war es ein leichtes, sowie preiswertes Unterfangen diesen zu organisieren. Allerdings hatte er bereits beim Versenden des Briefes gemerkt, dass er weder wusste, wie viel die beiden trinken würden noch ob der Braunhaarige lieber Weiß- oder Rotwein trank. Mit sechs Flaschen je Sorte und zwei Brandy auf Kosten des Hauses, durfte genug für das Wochenende organsiert wurden sein. Andernfalls gab es sicher in Aloe noch Nachschub. Bereits beim Packen seines kleinen Reisebeutels bemerkte der Hybrid, dass diese Dinge alle unmöglich passen würden. Hinzu käme noch seine Wechselklamotte und sein Reisenecessaire. Lange Rede, kurzer Sinn: Eine große Umhängetasche später waren alle Dinge verstaut, die er mitnehmen wollte. Das Gewicht bestätigte ihn in seiner Behauptung, dass dieses Wochenende vieles für beide Partien bereithalten würde.
Um nicht völlig verwildert aufzutauchen, hatte der Grauhaarige von einem anderen Crimson Sphynx Magier die Vorzüge der ersten Klasse kennengelernt. In dieser würde er seine Klamotten und sein Fell nicht ruinieren. Erst, als er zum späten Freitagnachmittag oder frühen Abend den Zug verließ, bemerkte er, wie die Hitze auf ihn einprasselte. Sobald die Sonne in der Wüste untergegangen war, wäre das Klima sicherlich sehr viel angenehmer für ihn. So musste er es zumindest bis zum Gildenpalast durchhalten. Wie das Glück es so wollte, fand er ein halbwegs erschwingliches Transportmittel, welches ihm Schatten spendete und noch dazu kühle Luft ins Gesicht blies. Solche Mühen hätte der Lupine nie auf sich genommen, geschweige denn sich solch intensive Gedanken gemacht, wenn es nicht um eine wirklich wichtige Sache ginge. Noch dazu eine Sache, mit welcher er eigentlich so gut wie keine Erfahrung hatte. Wohlmöglich war dies der Grund, weshalb er alles so sorgfältig und minutiös plante. Am Gildenpalast angekommen, erkannte er nun auch für sich selbst, warum der Ausdruck „Haus“ nicht mehr wirklich passend war. Bei dieser Größe ging er fast davon aus, dass es wie eine eigene kleine Stadt innerhalb Aloe’s war. Immerhin residierte die Gilde bereits hier, als ihr Ruf sich noch nicht verbessert hatte. Kein Wunder, dass die Stadtbevölkerung zu Beginn noch etwas skeptisch gewesen sein mag. Im Inneren angekommen, schätzte der Wolf die architektonische Bauweise. Zwar war es seiner Empfindung nach immer noch drückend warm; die heiße Luft der unnachgiebigen Wüste blieb ihm in dem Konstrukt aus Sandstein jedoch erspart. Insgesamt war ihm nach dieser kleinen Tortur vom Bahnhof zum Empfang nur sehr warm geworden. Übermäßig geschwitzt, gehechelt oder ähnliches war ihm erspart geblieben. Nichtsdestotrotz nutze er die kurze Gelegenheit, die die Rezeptionistin nach seinem Gastgeber klingelte, um sich noch etwas frisch zu machen. Die Tasche auf dem Boden abgestellt, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, bis er Lian in seinem typisch nonchalanten Gang ihm entgegenkommen sah. Seine Ohren waren die ersten, die reagierten, indem sie sich aufrecht stellten. Wie es nicht anders zu erwarten war, spielte seine Rute daraufhin noch etwas verrückter und auch Rownan bemerkte, wie die Seelenspiegel, jetzt wo er sie in natura sah, ihn wieder auf eine sehr unbekannte Art und Weise bewegten, so wie es schon an der Bar der Fall war. Da der junge Magier ihm nicht den Hauch einer Chance gegeben hatte, sich wirklich von ihm zu verabschieden, war es diesmal der Grauhaarige, der den Moment für sich nutze. Kaum waren sie in der Reichweite, um sich zu begrüßen, umarmte der er den Braunhaarigen einfach, noch bevor dieser darauf wirklich reagieren konnte. Nicht nur das, er hob ihn sogar einige Zentimeter an, um so selbst bequem zu stehen, was die Umarmung jedoch etwas fester werden ließ. Auch wenn es für ihn eine mehr als ungewohnte Geste war, so war sie nicht nur aufrichtig gemeint, sondern auch ein weiterer Teil davon, seinen Gastgeber so gut es ging nicht zu verschrecken. Zumindest fürs erste. Das schlimmste, was passieren könnte war, dass es direkt zu Beginn unangenehm wurde, weil keiner wirklich wusste, wie sie nach einer solchen Trennung aufeinander reagieren sollten. Noch dazu die Sache des Diebstahles ebenfalls im Raum stand. „Danke, dass du meine Einladung angenommen hast, Lian“ waren die ersten Worte die er sprach, fast schon flüsterte, ehe er diesen wieder auf seinen Füßen absetze. Wie dieser wohl darauf reagierte?
Die Abenddämmerung in der Wüste war wunderschön. Ganz gleich, wie oft Lian es schon beobachtet hatte, er kam immer wieder zum gleichen Schluss. Ohnehin gab es fast nichts, was der Braunhaarige nicht an der Wüste liebte, aber das Farbspiel, das sich gerade in der Abenddämmerung am Himmel abspielte, berührte sein Herz irgendwie auf ganz besondere Art und Weise. Dieses Zusammenspiel aus gelben, orangenen und blauen Tönen. Die sanften Übergänge, die man nur für einen kleinen Augenblick bewundern konnte, bevor die Hitze des Tages von der bitteren Kälte der Nacht abgelöst wurde. Gerade die zwei komplementären Farben, die den Nachthimmel zeichneten, verdeutlichten den starken Kontrast, den Tag und Nacht in der Wüste darstellten. Einer der vielen Kontraste, die die Wüste zu bieten hatte. Der Falls bekam nicht genug davon, den Himmel zu dieser Zeit zu beobachten, wenngleich er wusste, dass er es heute nur so ausgiebig machte, weil er wartete. Auf die Ankunft einer bestimmten Person, die er vor einigen Tagen per Brief eingeladen hatte. Er hatte keine weitere Antwort erhalten, was aber auch nicht notwendig gewesen war – er würde sicherlich kommen. Und das Klopfen, das wenige Minuten später an der Wohnungstür des Falls ertönte, gab ihm in dieser Vermutung Recht.
Ein Besucher wartete auf ihn im Eingangsbereich des Gildenpalastes. Rownan.
Der Palast war zu groß und verwinkelt, als dass man einen Besucher oder eine Besucherin einfach so durch die Flure spazieren ließ. Auch wollte man nicht, dass sich jemand in Bereiche bewegte, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Daher war es normal, dass man sich bei einem Besuch im Eingangsbereich meldete, daraufhin startete eine Informationskette, an dessen Ende der Anwohner im Palast über seinen Besuch informiert wurde. Wie genau diese Informationskette funktionierte, wusste Lian tatsächlich bis heute nicht – ehrlich gesagt bekam der Braunhaarige auch viel zu selten Besuch, als dass es für ihn bisher eine größere Relevanz gehabt hätte. Eigentlich… bekam er nie Besuch. Vor allem nicht von Leuten, die nicht selbst der Gilde Crimson Sphynx angehörten. Rownan wäre das erste Nicht-Gildenmitglied, das Zutritt zu seiner Wohnung erhalten würde, er war auch der erste Besuch von außerhalb Aloe Towns, der extra für ihn in die Wüstenstadt gereist war. Ein bisschen merkwürdig fühlte es sich für Lian daher schon an, als er den langen Gang des Ostturms entlangschritt und sich überlegte, wie das Aufeinandertreffen mit dem Caninen ablaufen würde, nach allem, was geschehen war. Wie genau sollte er ihn begrüßen? Anders als Rownan hatte sich der Bogenschütze kaum Gedanken gemacht oder Vorbereitungen getroffen, was ihm nun auf die Füße fiel. Einfach die Hand zum Gruß heben, lächeln und Hi sagen? Ja, das klang nach einem Plan. Das war sicher. Das war etwas, was Lian konnte.
Pustekuchen.
Lian war noch gar nicht richtig bei dem Hybriden angekommen, hatte die Hand noch gar nicht richtig heben können… da überbrückte Rownan bereits die letzten Meter, riss die Arme auseinander und zog den 19-Jährigen in eine enge Umarmung, die ihn einfach nur verdattert dreinblicken ließ und ihn inmitten seiner Bewegung einfrieren ließ. Aber nein, dabei blieb es nicht. Der Satyrs erhob sich und so spürte Lian, wie er den Halt am Boden verlor und fast schon hilflos in der Luft hing, die Umarmung noch ein wenig fester wurde und ihm, der kleinen, hilflosen Gestalt, die Luft abschnürte. „R-Rownan…“, haspelte er, nach Luft ringend und nicht sicher, wie er gerade reagieren sollte. Zu viele Emotionen. Auf zu kleinem Raum. Waren Canine alle so? Rin hatte ihn genauso mit ihrer Umarmung überrumpelt, wenngleich Rin zumindest nicht so groß und kräftig gewesen war, dass er hilflos in der Luft gehangen hatte. Von allen Optionen, die ihm zum Wiedersehen mit Rownan durch den Kopf gegangen waren, war das hier auf jeden Fall nicht dabei gewesen. Kurz bevor Lian tatsächlich aufgrund Sauerstoffmangels in Ohnmacht fiel (vielleicht sollte er doch mal an seiner Muskulatur arbeiten…), ließ der Gravitationsmagier von ihm ab, gab ihm den Halt unter seinen Füßen zurück und flüsterte seinen Dank. Der Falls konnte nicht verhindern, dass er einmal tief einatmete und sein Brustkorb sich sichtlich hob, während er Rownan aufgrund seines aufrichtigen Dankes kurz irritiert ansah.
Dann lächelte Lian. Nicht aufgesetzt, sondern ehrlich erfreut.
„Ich dachte schon, du willst mich erdrücken. Dabei hatten wir das mit dem Umbringen doch schon hinter uns gelassen“, tadelte er den Hybriden amüsiert und zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch, dass ich eine zarte Gestalt bin“, ergänzte er seine Ausführungen und zwinkerte. Dann stoppte Lian, musterte Rownan im Ganzen – ihm fiel auf, dass er anders aussah als bei ihrer letzten Quest. Weniger förmlich, wenngleich er im Vergleich zum Falls immer noch ziemlich geschäftlich aussah. Während der Gravitationsmagier ein Polohemd trug (manche würden es spießig nennen, andere schon wieder hip), hatte Lian nur ein gelbes, wenig aussagekräftiges Shirt an sowie lockere, dunkle Hosen, die ihm bis zu den Knöcheln reichten. Die Haare waren wie immer zerstrubbelt und standen in alle Richtungen ab, aber das war bei dem Bogenschützen der Normalzustand. Wenig stylisch. Auch der Ohrring hatte wieder seinen Weg an sein linkes Ohr gefunden – ob Rownan den ordentlichen Lian mit zurückgegelten Haaren aus dem Zug vermissen würde? „Hör auf, dich zu bedanken“, wiegelte der 19-Jährige schließlich ab, da er mit aufrichtigem Dank nicht besonders gut umgehen konnte. Er winkte schnell ab, darauf bedacht, sich das nicht anmerken zu lassen. Und um das nochmal zu unterstreichen, ergänzte er, eindeutig das Thema wechselnd: „Ich hoffe, du hast an den Wein gedacht?“ Neugierig huschte der Blick der hellgrünen Seelenspiegel auf die gigantische Reisetasche, die Rownan mitgebracht hatte. Als der Wolf diese anhob und es aus dem Inneren verdächtig klirrte, musste Lian lachen. Und dabei ahnte er noch gar nicht, was für Mengen sich in dieser Reisetasche versteckten… „Das hört sich doch vielversprechend an!“ Es gab viel, was es zwischen den beiden Magiern zu besprechen gab. Und vielleicht war es unangemessen vom Bogenschützen, sich zuerst nach dem Wein zu erkundigen, anstatt sich bei Rownan für seinen Brief zu bedanken, sich nach seiner Reise oder seinem Wohlergehen zu erkundigen. Aber ganz ehrlich? Hier, inmitten des Eingangsbereiches vom Gildenpalast, würde Lian einen Teufel tun, als sich seine Schuldgefühle anmerken zu lassen. Nein, hier gab es zu viele Menschen, die ihn beobachten konnten. Und das letzte, was er wollte, war die Aufmerksamkeit von anderen Personen auf sich zu ziehen, die sich im schlimmsten Fall später noch darüber unterhalten würden… Das ging diese ganzen Menschen überhaupt nichts an. „Ich würde dir ja anbieten, die Tasche für dich zu tragen…“, führte der Illusionsmagier daher lapidar weiter aus, ganz so, als gäbe es überhaupt keine ernsthafte Thematik zwischen den beiden zu besprechen. Als wäre das hier nicht mehr als das Treffen zweier Freunde für einen entspannten Abend, wie man es immer wieder einmal haben konnte. „Aber du weißt ja aus guter Erfahrung, dass ich nicht gerade die kräftigste Person bin.“ Ein Grinsen huschte über Lians Züge, als er sich an die Prügelei erinnerte, bei der Rownan keinerlei Probleme gehabt hatte, den Bogenschützen auf den Boden zu ringen. Ein ziemlich peinlicher Moment für Lian, irgendwie. Aber wie immer hatte er eine zu große Klappe gehabt und die Konsequenzen dafür einstecken müssen – ein Muster, das sich in seinem Leben immer wieder wiederholte. Ohne länger zu warten, winkte er Rownan hinter sich her. „Komm mit. Ist nicht weit bis zu meiner Wohnung.“ Und damit drehte er dem Satyrs den Rücken zu und machte sich auf den Weg. So konnte Rownan das Gesicht des Illusionsmagiers nicht sehen, der jetzt, wo er unbeobachtet war, zumindest kurz seine Maske ablegen konnte. Er dachte darüber nach, was für Themen dieser Abend noch so bereithalten würde. Und tatsächlich kam Lian schnell zu einem eindeutigen Schluss: Er würden den Alkohol für diese Gespräche dringend benötigen. Sehr dringend.
Scheinbar hatte er mit seiner sehr einnehmenden Begrüßung genau das erreicht, was sein nach luftringendes Gegenüber ebenso vollbracht hatte, als dieser ihn in Crocus hatte stehen lassen. Wenigsten in einer Hinsicht waren sie jetzt quitt, wie er an dem gequälten Ton, in welchem sein Name ausgesprochen wurde, ablesen konnte. Dass es dafür wieder körperlich werden musste, könnte man bei ihrer komplizierten Beziehung schon fast als obligat bezeichnen. Hätte er gewusst, dass er gerade in den Gedanken als Canine bezeichnet wurde, so hätte er ihn vielleicht noch einige Sekunden länger in der Position gehalten. Wölfe und Hund auf ein Level zu stellen. Keine Gute Idee. Aber noch war es nicht ausgesprochen worden und so blieb es ein rein hypothetisches Problem. Erst jetzt konnte er das Gesicht Lians sehen, in welchem zwar noch keine Achterbahnfahrt stattfand, aber dieser brauchte definitiv einen Moment, um sich zu sammeln. Das Lächeln vergewisserte Rownan jedoch, dass er willkommen war, nicht nur schriftlich sonst auch im hier und jetzt. Ein wenig peinlich war es ihm, auch wenn es sein Gesicht nicht zeigte, wie viele Gedanke er sich im Vorfeld gemacht hatte. Das musste er seinem Gegenüber ja nicht erzählen, wenn dieser danach nicht fragen würde. Stattdessen erwiderte er den freundlichen Ausdruck, der so weit weg von dem Grinsen war, welches ihn damals so erzürnt hatte, wie es nur sein konnte, mit einer ebenso warmen Mine. Wie froh er war diese Strapaze auf sich genommen zu haben! Der Hybrid konnte förmlich spüren wie die Anspannung der letzten Wochen von ihm abfiel und dabei hatten sie noch kein Wort miteinander gewechselt. Natürlich würde sich die Atmosphäre des Abends, vielleicht auch der Nacht, verändern, das wusste der Lupine natürlich. Aber gerade deshalb galt es diesen Moment so auszuschöpfen und Kraft zu tanken für die Gespräche, die ihnen bevorstanden. Zwar hatte er sich über die Themen Gedanken gemacht, jedoch nicht darüber, was genau er dazu sagen wollte. Diese Problematik hatte er sich aufgehoben, bis er den „Übeltäter“ vor sich stehen sah. Ein Moment lang sahen die beiden sich an, ehe die Sphynx das Wort ergriff. Lian schien in Redelaune zu sein, was eine optimale Voraussetzung war. Zudem zeigte sich, dass der Wolf mit seiner Initialhandlung genau ins Schwarze getroffen hatte, denn warum sonst bekam er die klassisch legere-lockere Haltung zur Schau gestellt, gemixt mit einem Hauch von Verspieltheit. Besonders das Zwinkern war es, dass ihn dazu brachte sich verlegen die Schnauze zu kratzen und eine Ecke des Eingangs in den Blick zu nehmen. Ein Wolf im Schafspelz bist du. Als er wieder zu seinem Gesprächspartner schaute, konnte der Tiermensch ganz offen bemerken, wie er von oben nach unten gemustert wurde. An seinem Aussehen konnte es nicht liegen, das hatte der Magier nun schon sehr intensiv begutachten dürfen. Waren es die Klamotten? Roch er komisch? Oder war irgendwo ein Fleck, den er übersehen hatte? Die Verwirrung war sicher gut abzulesen. Erst jetzt fiel auch Rownan auf, dass sich sein ehemaliger Mistreiter wieder in die lockerste Kluft geworfen hatte, die dessen Kleiderschrank wohl beinhaltete. Obwohl dieser im Zuge ihres Auftrages gesehen hatte, was er aus sich machen konnte, entschied er sich dennoch für den Weg des geringsten Widerstandes. Allein die Wahl ihrer beider Klamotte kontrastierte die vielen Unterschiede, die zwischen ihnen herrschten.
Der Dank war es auf der anderen Seite, der dem Braunhaarigen unangenehm war. Denn Dank, so wusste der Satyrs, deutete daraufhin, dass man etwas richtig machte und es gut war. Und das konnte man nur, wenn man Talente und Fertigkeiten hatte. Beides etwas von dem Lian nichts wissen wollte. Ob daran der Wein etwas ändern würde, den dieser nun nutzte, um von ihrer Begrüßung abzulenken aber auch die nächsten Dialoge zu initiieren. „Äh, nun … natürlich“ beantwortete er die an ihn gerichtete Frage. Die Tatsache, dass er eventuell etwas übertrieben hatte, konnte er ja immer noch mitteilen, wenn sie im Zimmer angekommen waren. Der Blick an ihm vorbei zur Tasche zeigte ihm allerdings, dass die Kisten nicht lange verschlossen blieben und vielleicht auch die Abende nicht überleben würden. Es war dabei Rownan ganz entgangen, dass sie tatsächlich kein richtiges privates Wort miteinander gewechselt hatten, sondern noch relativ oberflächlich geblieben waren. Er selbst war noch viel zu sehr damit beschäftigt seine Eindrücke zu sortieren. Unter Umständen war es auch einfach die Art seines Gegenübers, die den Hybriden selbst so entspannt werden ließen. Die Fähigkeit jede Situation derart zu entschärfen war schon bewundernswert. Zumindest in den Augen des Lupinen. Es war diese Dinge, die er selbst so spannend an dem Illusionisten fand. Wohlmöglich auch etwas mehr als nur spannend. Das raue Lachen des Wolfes erfüllte die Umgebung für einen kurzen Moment als er den definitiv unironischen Vorschlag vernehmen durfte. „Dafür bist du flink und wendig. Und du arbeitest auch eher mit deinem Kopf“ antwortete er diesem. Die Anspielung auf den Zug hatte er natürlich verstanden und deshalb ebenso seine komödiantische Note hinzugefügt. Ja, natürlich war dies alles etwas Geplänkel, bevor sie zu anderen Themen kamen. Was für den Magier sonst Zeitverschwendung war, war in diesem Momenten jedoch Balsam für die Seele. Momente in denen er aus seiner abschätzenden, wertenden Art ausbrechen konnte und beinahe schon frei heraus sprechen konnte. Apropos Frei sprechen. Mit der Tasche wieder über der Schulter, führte ihn der Ansässige nun durch die Gänge und Aufstiege, bis sie letztendlich vor einer Tür zum Stehen kamen. Durch die Nähe der anderen Türen ging er davon aus, dass die Zimmer nicht unbedingt die größten waren. Aber auch seine Wohnung war relativ minimalistisch und dabei mehr als ausreichend um als Basis zwischen Quests zu dienen. Kurz überlegte er Lian darauf hinzuweisen oder eher zu fragen, dass er weder eine Unterkunft hatte noch wusste, wo sich in unmittelbarer Nähe eine befand. Allerdings entschied er sich dagegen. Diese Frage hätte etwas Endliches in den Raum geworfen. Sie waren aber heute hier um all ihre Differenzen, Wissenslücken und Charaktereigenschaften zu ergründen. Ein Treffen dem man keinen zeitlichen Stempel aufdrücken wollte, zumal sie beide wussten, dass sie nur ein Wochenende Zeit hatten. Stattdessen entschied er sich für eine andere Frage, eigentlich eher Aussage, die noch viel mehr Gewicht mit sich trug und bei weitem das Potenzial besaß ihren Abend zu torpedieren. Noch bevor die Sphynx die Klinke der Tür in der Hand hatte, legte Rownan seine freie auf dessen Schulter, um ihn zum Stoppen zu bewegen und auch, dass dieser sich zu ihm umdrehte. „Lian … bevor wir reingehen, muss ich noch etwas loswerden“. Kurz schaute er sich um, sich vergewissernd keine ungewollten Zuschauer oder Hörer zu haben. „Es wäre vermessen von mir zu verlangen, dass wir heute zu einhundert Prozent ehrlich zueinander sind, weil auch nicht weiß, ob ich das sein kann. Aber diesen Wunsch danach auszudrücken, war und ist mir ein großes Bedürfnis gewesen. Ich wollte einfach nur, dass du das weißt: Ich will heute mit offenen Karten spielen“. Würde er ihn jetzt verschrecken, dann könnte jener sich immerhin in sein Zimmer zurückziehen. Die Frage, die er nicht gestellt, aber damit intendierte hatte, war, ob Lian diesem Druck standhalten konnte, ob er sich darauf einlassen konnte. Ob er sich auf Rownan einlassen konnte. Die eisblauen Augen schauten in die grünen vor ihm. Diesmal schaute er nicht durch den Jungen hindurch, er schaute ihn entschlossen an.
Moment. Rownan hatte sich keine Unterkunft organisiert? Und anstatt sich zuerst darum zu kümmern, marschierte er einfach ohne ein Sterbenswörtchen zu verlieren direkt mit zur Wohnung von Lian? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber mal ehrlich: Wenn der Falls das gewusst hätte, wäre er im ersten Moment vielleicht sogar außer sich gewesen. Warum? Na, weil seine Wohnung erneut ohne jedes Mitwissen von ihm als Übernachtungsstätte anderer Leute missbraucht wurde! Nicht, dass er es dem Satyrs verboten hätte, bei ihm zu übernachten. Also, er hatte Alkohol dabei, allein das war als milde Gabe ausreichend, um Lian gütig zu stimmen. Aber, darum ging es nicht! Sondern darum, dass Rownan das Thema nicht ansprach und ganz gleich, dass er vielleicht nur nicht eine Endlichkeit des Treffens vermitteln wollte: Wir wussten doch alle, worauf das Ganze voraussichtlich hinauslaufen würde, oder? Alle… bis auf die beiden Magier selbst, die in diesem Moment noch recht ahnungslos und vermutlich sogar tatsächlich ohne jeden bösen Hintergedanken die Flure des Gildenpalastes entlangschritten.
Und so überraschte es Lian sichtlich, als er – gerade, als er vor der Tür seiner Wohnung angekommen war – eine Hand auf seiner linken Schulter spürte.
Die hellgrünen Augen musterten zuerst die Hand, dann folgte er dem Arm, bis er zu Rownan aufsah. Direkt in die eisblauen Seelenspiegel des Satyrs, der ihn intensiv anblickte. Natürlich spürte der Falls sofort, dass nun etwas folgen würde, was eine gewisse Tragweite besaß. Und am liebsten wollte er dem Wolf ins Wort fallen: Nicht hier. Nicht jetzt. Konnte er damit nicht warten, bis sie den ersten Wein heruntergekippt hatten?! Lian war eindeutig noch nicht bereit für jedwede Art von emotionalem Striptease! Aber nein, natürlich ließ der andere Magier sich nicht aufhalten und das, was er sagte, war einerseits gar nicht so schlimm, wie der Braunhaarige im ersten Moment befürchtet hatte… im zweiten Moment dann aber auch nicht gerade lapidar. Klar, Lian war froh, dass Rownan die Diebstähle, die Geschehnisse im Zug, allgemein ihre jeweilige Vergangenheit noch nicht hier auf dem Flur des Ostturmes angesprochen hatte. Eine Diskretion, für die der 19-Jährige seinem Kollegen wirklich dankbar war. Und doch betonte Rownan, dass er heute mit offenen Karten spielen wollte. Und auch wenn er es nicht aussprach, so zeigte seine Körpersprache, sein Blick, allein die Tatsache, dass er es Lian mitteilen musste, eben doch, dass er sich so etwas auch von der Sphynx wünschen würde. Dass es ihm wichtig war.
Wir halten fest: Rownan wollte mit offenen Karten spielen. Bei einem Trickbetrüger. Er wollte Ehrlichkeit. Bei einem Dieb. Er hatte den Wunsch, dass sie sich keine Ausflüchte einfallen ließen. Bei einem Illusionisten.
Man sollte merken: Der Falls kam ins Straucheln. Sein Leben bestand mehr aus Lüge als aus Wahrheit. Anstatt sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, hatte der Braunhaarige sich zunehmend von allem und jedem distanziert, hatte Gefühle lieber weggeschlossen, als sie noch einmal zu nah an sich heranzulassen. Hatte sich eine Welt aus Illusionen aufgebaut. Er spielte den lockeren Typen, eine Art Rolle, mit der er sich erhaben fühlte über den Dingen. Eine Rolle, mit der er seinen weichen, wabbeligen, uncoolen und vor allen Dingen angreifbaren Kern überspielen konnte. Alles in allem war es ein Selbstschutz geworden, der zu einem festen Bestandteil von Lians Sein geworden war.
Was genau sollte davon übrigbleiben, wenn er davon abließ? Wie genau war er denn, wenn er ehrlich war, wenn er mit offenen Karten spielte? Wirklich sicher war sich der junge Mann nicht und auf Anhieb konnte er auch nicht sagen, ob er bereit war, das herauszufinden. Und doch… wollte er nach allem, was geschehen war, dem Hybriden genauso wenig die Tür vor der Nase zuschlagen – und nein, das lag nicht nur am mitgebrachten Alkohol. Er hatte Rownan geschrieben, hatte ihn eingeladen und ja, das auch mit dem Wissen, dass es zwischen ihnen zu einem Gespräch kommen würde, das über Oberflächlichkeiten – die Lian meisterhaft thematisieren konnte – hinausgehen würde. Er mochte den Gravitationsmagier als Person, verstand sich irgendwie gut mit ihm. Oder wollte sich zumindest gut mit ihm verstehen. Und so dauerte es zwar einen Moment, bis der 19-Jährige seine Stimme wiederfand, bis seine Gesichtszüge, die kurz angespannt gewesen waren, einen fast schon weichen Zug annahmen, während ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen lag. „Du hast auch ein Talent dafür, mit der Tür ins Haus zu fallen, oder?“, warf er ihm vor, mit einem Hauch von Amüsement, aber insgesamt doch ziemlich ernst, ohne den anderen Magier aus den Augen zu lassen. Es war eine lockere Gegenfrage, eine Art, mit der Lian im Alltag gerne hantierte, um klaren Antworten unauffällig ausweichen zu können. Und im ersten Moment wirkte es so, dass der Illusionist es auch dieses Mal dabei belassen wollte – er drehte sich wieder um und der Lupine konnte das Schloss der Tür knacken hören. Die Klinke wurde herabgedrückt, die Tür geöffnet… doch dann hielt Lian nochmal inne, drehte sich ein weiteres Mal zu Rownan um und blickte ihn direkt an. Ernst, eindringlich. „Alles klar. Und ich werde mir Mühe geben, kay?“ Der Falls war kein Mensch vieler Worte und er hoffte, dass Rownan diese Zusage – zumindest den gezeigten Willen – zu schätzen wusste. Es war mehr, als der 19-Jährige sonst jemandem zugestand. Nicht, seit er wusste, wie angreifbar man sich dadurch machte.
Die Wohnung von Lian war… naja, so wie die Wohnung von Lian eben war. Keine extra Dekoration, keine Fotos, keine Poster, keine Bücher oder andere private Gegenstände. Dazu einfache Möbel, bestehend aus einem großen Bett, einem Tisch mit zwei Stühlen, Schreibtisch, Kleiderschrank und Küchenzeile. Im Vorbeigehen würde Rownan vielleicht auch einen kurzen Blick auf das kleine Badezimmer mit Dusche werfen können, denn die Tür zum Badezimmer stand in der Regel offen, gleich im Eingangsbereich der Wohnung. Oh und der Falls hatte aufgeräumt! Also… ein wenig, für seine Verhältnisse. Ein paar Shirts und Hosen hingen über den Stuhllehnen, der Schreibtisch war noch immer voll mit allen möglichen Papieren, die aber zumindest zu unordentlichen Haufen zusammengeschoben worden waren. Es gab keine direkten Stolperfallen, wenn man in die Wohnung eintrat und die Küchentheke war – abgesehen von einem leeren Kuchenblech und einem weiteren, gefalteten Shirt – sogar gänzlich freigeräumt. Alles in allem ein solider Anblick, wie Lian fand. Für Rownan wäre es hingegen vermutlich immer noch die pure Unordnung… „Kannst deine Sachen einfach irgendwo ablegen“, erklärte der Illusionsmagier noch beim Eintreten, zog sogleich die Schuhe aus und ließ sie unbeachtet im Eingangsbereich stehen. Ohne lange zu warten, trat er weiter in den Raum. „Wie du siehst, sieht der Gildenpalast von außen deutlich imposanter aus als die Wohnungen, die einem hier zur Verfügung gestellt werden“, erklärte der junge Mann und winkte beiläufig ab. Dann deutete er mit dem Zeigefinger zum Fenster, das am Kopfende des Bettes lag. „Aber die Aussicht kann sich immerhin sehen lassen.“ Eine Aufforderung für Rownan, selbst einen Blick hinaus zu wagen? Er würde einen wunderschönen Sonnenuntergang über den Dächern Aloe Towns erblicken können. Das gleiche Farbspiel am Himmel, in das Lian sich bis eben noch selbst verguckt hatte. Der Lockenkopf ging zur Küchentheke, öffnete die Wandschränke. „Möchtest du was trinken? Vielleicht erstmal ein Wasser?“ Er warf Rownan ein Grinsen zu, holte dann schon einmal zwei stinknormale Trinkgläser heraus. Übrigens: Der Hybrid ging doch hoffentlich nicht davon aus, dass sie den Wein aus Weingläsern trinken würden? Nein… so naiv war der Satyrs sicherlich nicht. Oder?
Als Außenstehender konnte man allmählich das Gefühl bekommen, dass Rownan ein Talent dafür hatte sich in der Gegenwart Lians sowohl naiv als auch beinahe schon unbeholfen zu verhalten. Obwohl er sonst eigentlich das Talent besaß, Leuten seine Meinung und Gedanken so gegenüber zu verpacken, dass diese nicht einmal merkten, wenn man sie diskreditierte, schien diese Fähigkeit bei besagter Person auszusetzen. In diesem Moment sprudelte es einfach aus ihm heraus. Doch kaum musterte er das Verhalten des Braunhaarigen, hätte er am liebsten alle Wörter wieder eingepackt. Dabei war er doch so bedacht darauf nicht gleich mit einem Brocken zu starten. Sie wollten sich doch erst einmal akklimatisieren, erfahren was der andere so Triviales die letzten Wochen erlebt hatte. Moment, das waren genau die Art von Äußerungen, die der Wolf von sich erwartet hätte. Warum habe ich so eröffnet. Crétine!" Er merkte, wie sein Arm ihn förmlich anschrie, den Jungen loszulassen während sein Gehirn im riet, sich mehr als vergebend und ausschweifend zu entschuldigen. Den inneren Monolog, der sich in Sekundenbruchteilen abspielte, konnte der Hybrid zwar nicht wahrnehmen, die Mimik verriet den Illusionisten in diesem Moment jedoch. Nicht zu dessen Nachteil, sondern zum Nachteil des Fragestellers. All die Gedanken, die ihm zuvor durch den Kopf geschossen waren, bestätigten sich jetzt. Fast hätte der Lupine laut losgeseufzt und wäre unverrichteter Dinge seines Weges gegangen, wenn nicht sein Gegenüber, ob bewusst oder unbewusst, so schnell geschaltet und die Anspannung im Gesicht durch ein Lächeln getauscht hätte. Es waren besonders die weichen Züge, die damit einhergingen, die den Satyrs beruhigten. Ja, er hatte sich gerade richtig in die Nesseln gesetzt. Aber er würde noch eine Chance bekommen Wiedergutmachung zu leisten. Rownan war wahrlich ein Glückswolf in diesen Momenten. Die Worte Lians trafen den Nagel auf den Kopf, doch konnte sich der Tiermensch selbst nicht helfen. Es war einfach seine Art, besonders der Sphynx gegenüber. Unter Umständen war genau das der Grund, weshalb er sich fast schon komisch dumm verhielt. In Ermangelung von Erfahrungen verhielt er sich einfach so, wie er meinte, dass es die beste Art war mit der Situation umzugehen. Wenn man ihn dabei so beobachtete, konnte man fast denken, dass er nie mit einem anderen menschlichen Wesen zuvor interagiert hatte. Das war natürlich falsch. Korrekt war die Tatsache, dass er sich noch nie auf diese Art und Weise mit Leuten unterhalten oder mit diesen interagiert hatte. Ja, er hatte eine Gönnerin. Jedoch war Lian nicht sein Gönner. Er war sein Freund. Also ein Freund. Sein erster richtiger Freund. Ein erster richtiger Freund. Wie man bereits an diesen Gedankengängen feststellen konnte, war Überforderung ein Wort, die diese Momente zwischen ihnen gut beschrieb. Wie gingen denn Freunde miteinander um? Eine besonders interessante Frage, wenn darüber hinaus noch zwei Entitäten innerhalb der gleichen Person um Aufmerksamkeit und Beachtung buhlten. Der Hybrid selbst hatte das Gefühl besonders von der Seite sabotierte zu werden, die für Herzrasen und Rutenschwingen verantwortlich war. Allerdings war er sich nicht mehr sicher, welche der beiden Seiten diese Reaktionen provozierte. Nicht die besten Ausgangsvoraussetzungen für die kommenden Gespräche. Manifestieren taten sich diese Gedanken in einem verlegenen Lächeln des Lupinen. Ich habe es verstanden. Gelbe Karte. Dann erst löste sich ihr Kontakt, sowohl körperlich als auch der intensive Augenkontakt, und das Schloss der Wohnung öffnete sich. Beinahe wäre er in den Magier gerannt, da dieser sich noch einmal umdrehte, statt seine Wohnung zu betraten. Was dann folgte, ließ den Gravitationsmagier doch leicht verwirrte Züge im Gesicht annehmen. Die Atmosphäre hatte sich geändert. Jetzt war Lian ebenso ernst, wie es Rownan zuvor war, als er die verhängnisvolle Aussage getätigt hatte. Wie viel Überwindung ihn diese Aussage wohl gekostet hatte? Diese Geste wusste der Grauhaarige mehr als nur zu schätzen. Für ihn bedeutete es, dass sein Gegenüber es ebenso ernst meinte wie er. Nur das ganze einfach nicht so zeigen wollte. Oder konnte. Ohne Alkohol. Deshalb wohl die mehrfache Nachfrage. Etwas bekümmerte ihn diese Erkenntnis dennoch. War der Wolf etwa nur unter Alkohol auszuhalten? Als Freund. Oder waren die kommenden Themen gefühlsmäßig so gravierend, dass der Taschendieb seine Sinne betäubend musste, um nicht unter der Last seines eigenen Lebens zusammenzubrechen? Hätte sich der Gast nur einen Moment darüber Gedanken gemacht, was er eventuell über sich preisgeben würde, hätte er wohlmöglich schon im Vorfeld zur Flasche gegriffen.
Nur kurz nach dem Eigentümer, betrat auch der Hybrid die Wohnung. Wie er bereits erwartet hatte, war sie in ihrer Größe und ihrer Aufteilung überschaubar und berechenbar. Fast instinktiv reckte er die Nase etwas höher und nahm die verschiedensten Gerüche des Zimmer noch um ein Vielfaches intensiver auf. Dieses Verhalten würde Lian sicher nicht entgehen. Musste und sollte es auch gar nicht. Vielleicht war es bereits der erste Hinweis, den der Dieb brauchte, um sich ertappt zu fühlen. Rownan jedenfalls fand was er suchte. Gerüche des Zuges, wenn auch um ein Vielfaches schwächer als noch Wochen zuvor, kamen aus dem Schrank des Magiers. Wenn dieser pfiffig war, wovon der Tiermensch ausging, dann lagen die Fundstücke nicht offen herum, sondern inmitten von Klamotten oder aber in einem geheimen Fach. Nichts wonach er zurzeit offensiv suchen wollte. Er hatte immerhin zwei Tage Zeit. Zudem wollte sich der Lupine diese Reise auch nicht gänzlich selbst zerstören. Irgendwie war es selbst für ihn etwas aufregend die eigene Freizeit auf diese Art und Weise zu nutzen. Fast schon verschwenderisch. Statt also über die hypothetischen Dinge nachzudenken, wollte er das Hier und Jetzt aufnehmen. Sein Blick bewegte sich nach links, musterte das kleine Bad. Ihm persönlich hätte hier die Wanne gefehlt, die er nur all zu gern für eine ordentliche Fellpflege nutzte. Diesen markanten und größten Unterschied präsentierte sich auch sogleich auf seiner rechten Seite. Ein großer Spiegel war in der Nische angebracht, welche gleichzeitig auch für Schuhe als Ablage dienen konnte. Nicht, dass Lian diese dafür nutze, da dieser jene einfach auszog und lieblos liegen ließ. Einen kurzen Moment musterte Rownan sich im Spiegel, fuhr sich über Schnauze und Ohren. Warum so theatralisch, Großer? fragte er sich selbst in Gedanken. Dann erst zog er seine eigenen Schuhe aus (man bemerke die doch angepasste Art seiner Socken, die natürlich krallenfest sein mussten) und stellte diese und die seines Gastgebers ordentlich hin. So viel Zeit musste sein. Nur beiläufig lauschte er dessen Worte, während sein Blick nun das ganze Zimmer sondierte. Es war ordentlicher als er erwartet hätte, aber genau in den Punkten unordentlich, die er erwartet hatte. Der Kuchen musste schon einige Zeit länger leer sein, denn das Blech wies kaum noch Spuren von Lebensmittelgerüchen auf. Das Hemd jedoch, es schien nicht wirklich in den Kleiderschrank des Illusionisten zu passen und roch auch gänzlich anders, trug eine sehr markante Duftmarke mit sich. Diese würde die feine Nase des Wolfes sicher sofort wiederkennen, wenn er auf dessen Besitzer oder Besitzerin treffen würde. Die schwere Tasche mit einem Klimpern und Klirren ablegend, folgte er dem Finger des Wüstenmagiers. „Wenn die Fenster denn geputzt sind“ kommentierte er die Aufforderung und versuchte dadurch die Stimmung wieder etwas zu lockern und so über die anderen Dinge, die ihn störten, hinwegzusehen.
Tatsächlich hatte Lian recht. Die Aussicht aus dem Palast, der Aloe bei weitem überragte, war wirklich wunderschön. Allerdings war der Grauhaarige eher ein Nachtmensch, zumindest, wenn es um Landschaften ging. Wenn der Sonnenuntergang bereits jetzt so imposant war, dann freute er sich schon darauf den Mond zu betrachten, der am heutigen Tag als Vollmond erscheinen würde. Irgendetwas an diesem Himmelskörper beruhigte den Tiermenschen. Es waren diese Nächte, in welchen er sich am meisten wie er selbst fühlte. Oder zumindest mit sich im Reinen. Und das auch nach außen hin. Ein Hauch von Romantik könnte man der bevorstehenden Nacht andichten. Wein im Mondlicht? Das war schon ein Klassiker. Die Sphynx war derweil an der Küchenzeilen angekommen und bot ihm … Wasser an? Kein Wunder, dass dieses Angebot reichte, um Rownan vom Fenster wegschauen zu lassen, um so das Grinsen seines Zeitgenossen erblicken zu dürfen. Also eine rhetorische Frage. Aber für den Hybriden auch der perfekte Aufhänger, um Wiedergutmachung zu leisten. Außerdem bot sich ihm eine Möglichkeit, die eigene Komfortzone zu verlassen. Vielleicht konnte er den Jungen ja sogar überraschen. Danke. Skeptisch schaute er daraufhin zu jenem und kratzte sich dann die Stirn, ehe er jenen erneut anschaute. „Nein danke. Ich hatte etwas anderes im Sinn“. Mit etwas, was man gut und gerne als schelmisches Grinsen bezeichnen konnte, ging er die wenigen Schritte zurück zur Tasche und öffnete den Reisverschluss. Allein schon so ein Gesichtsausdruck sollte sein Gegenüber stutzig machen. Seine eigenen Klamotten und Utensilien war fein säuberlich an die Seite gelegt worden, weshalb diese nicht ans Tageslicht kamen. Was jedoch sehr markant zu Tage geführt wurde waren die zwei Kisten Wein sowie die zwei Flaschen Brandy. Ein aufmerksames Auge könnte nun auch die Ketten und den Halsring erspähen, die den restlichen Platz für sich vereinnahmten. Ob er dadurch vielleicht auf falsche, sogar obszöne Gedanken kam, musste jener mit sich selbst ausmachen. Rownan wusste, weshalb er diese Dinge dabei hatte. Während er den Alkohol auspackte, begann Rownan zu erklären und schaute ab und an amüsiert zu Lian. „Also zuallererst einmal: Ich hatte keine Ahnung welche Art von Weintrinker du bist. Blanc de Noir? Schillerwein? Also gibt es klassisch rot und weiß. Außerdem wollte ich dir ein Geschenk mitbringen. Vielleicht auch etwas, dass du weiter verschenken kannst. Und so sind es … nun ja zwölf Flaschen geworden, sechs pro Sorte. Aber weißt du was faszinierend ist? Ich wollte eigentlich den Wein aus dem Zug erwerben. Dieser war … nicht ganz in unser beider Budget. Stattdessen wurde mir also vom gleichen Weinbau schlichtweg ein jüngerer Jahrgang empfohlen. Wir können also heute erahnen, was das Business aus dem Zug gekostet hat. Den Brandy“ er schaute kurz auf die Flasche, fand jedoch nichts nennenswert interessantes zu erzählen „gab es auf Kosten des Hauses. Stammkundenbonus sozusagen“. Zwischenzeitlich waren nicht nur die beiden Pappkisten, die die Flaschen fixierten, sowie der Weinbrand hingestellt wurden, sondern auch zwei Flaschen des Rotweins aus der Sicherung entfernt wurden. „Tatsächlich kann ich dir heute mal einen, wie würdest du sagen, Trick zeigen? Als ich nach Maldina gezogen bin, hatte ich in der ersten Nacht noch keinen adäquaten Hausstand. Unter anderem fehlte mir ein Flaschenöffner“ er schaute demonstrativ seinem Gegenüber in die Augen, als er die nächsten vier Worte sprach „so wie dir vermutlich“ eher sich wieder an den Flaschen zu schaffen machte. „Und was soll ich sagen, meine Statur hat manchmal auch Vorzüge“. Mit diesem Satz bohrte er eine seiner Krallen mit einer drehenden Bewegung in den ersten Korken. Natürlich fehlte ihm die Schraubspindel. Dadurch, dass er jedoch fast augenblicklich den ganzen Korken durchbohrte, konnte er diesen zumindest so weit herausziehen, dass er diesen mithilfe seiner scharfen Zähne letztlich herauslösen konnte. Genau die Art Verhalten, die er nie und nimmer an den Tag legen würde. Aber er wollte Lian überraschen. Die erste Flasche geöffnet, reichte er sie diesem, eher er sich selbst eine Flasche entkorkte. Überraschung Nummer zwei. Der Magier aus Crimson Sphynx hätte sicher nicht vermutet, dass jeder von ihnen eine Flasche bekommen würde. Noch dazu Rownan direkt aus der Flasche trinken würde. Die über vierzehn Jahre lang gelernte Etikette schrie ihn innerlich während des kompletten Prozesses an. Dennoch konnte der Wolf seine lockere Art aufrechterhalten, als er dem Jungen signalisierte, dass er nun mit den Flaschen anstoßen wollte. Wenn er ihm nicht durch so ein Verhalten imponierte, dann wusste der Lupine auch nicht mehr, was er noch tun sollte.
Rownan überraschte ihn immer wieder. Zuerst wusste Lian nicht, was das schelmische Grinsen, das sich auf die Züge des Lupinen schlich, zu bedeuten hatte. Als der Gegenüber hinüber zu seiner Reisetasche schlenderte, den Reisverschluss in einem Zug öffnete und der Inhalt der Tasche sichtbar wurde, lüftete sich das Geheimnis jedoch schnell. Und der Bogenschütze kam nicht umhin, in genau der gleichen Art und Weise wie sein Kollege zu grinsen, als die zwei Kisten Wein und die zwei Flaschen Brandy aus der Tasche gezogen wurden. Wow. Als der Wolf in seinem Brief angekündigt hatte, etwas Wein zu diesem Treffen mitzubringen, hatte Lian nicht mit diesem Mengen gerechnet. Beschweren würde er sich darüber allerdings auch nicht. Ein wenig stutzen tat der Braunhaarige dennoch, als er neben dem vielen Alkohol auch einen Halsring und Ketten in der Tasche erspähte, denn was für negative Eigenschaften man auch immer dem Falls nachsagen wollte, mangelnde Aufmerksamkeit gehörte nicht dazu. Natürlich kamen Fragen auf: Hatte Rownan noch andere Pläne für seinen Besuch in Aloe Town? Und Lian kam auch nicht umhin, darüber nachzudenken, was für sonderbare Vorlieben der Hybride vielleicht haben mochte. Bevor der 19-Jährige sich jedoch ernsthafte Gedanken darüber machen konnte, ob diese anderen Pläne mit Halsring und Ketten etwas mit ihm selbst zu tun haben könnten, lenkte Rownan die Aufmerksamkeit geschickt zurück zu dem Alkohol. Und ehrlich gesagt war das ein Themenwechsel, den Lian durchaus willkommen hieß. „Blanc de Noir? Schillerwein?“, wiederholte er ungläubig die Namen, die Rownan genannt hatte und musste lachen. „Sehe ich für dich wirklich wie eine bestimmte Art von Weintrinker aus?“, ergänzte er die Frage, halb ernst, halb amüsiert und die rechte Augenbraue huschte nach oben, während die hellgrünen Augen die verschiedenen Weinflaschen musterten. „Aber unabhängig davon muss ich sagen: Dein Verständnis von 'etwas Wein' gefällt mir.“ Die Mundwinkel des jungen Mannes wanderten weit nach oben und gerade wollte sich Lian umdrehen, um nach den Gläsern zu greifen, die bereits auf der Küchentheke bereitgestellt wurden, da überraschte der Satyrs Magier erneut. Er löste zwei der Rotweinflaschen aus der Papphalterung, richtete sich auf und suchte den Blickkontakt mit Lian. Rownan wollte ihm einen Trick zeigen? Was genau meinte er denn damit? Ohne lange zu zögern, bohrte der Magier eine seiner scharfen Klauen in den Weinkorken, zog daran und entfernte ihn schließlich mit einem beherzten Biss und Ruck. Deutlich mehr als dieses animalische Auftreten überraschte es Lian allerdings, als Rownan ihm die ganze Weinflasche entgegenhielt und gleich nach der zweiten Flasche griff, um dort das gleiche Prozedere anzuwenden.
Moment. Meinte Rownan das tatsächlich so, wie der Falls es interpretierte? Wollte er gar keine Gläser benutzen? Ernsthaft: Wenn Rownan so an die Sache herangehen wollte, hätte er sich das Polohemd auch noch sparen können.
Es verstrichen ein paar Sekunden, bevor Lian seine Stimme wiederfand. Seine Augen funkelten amüsiert, das Grinsen wurde breiter und er trat einen Schritt auf Rownan zu. „Rownan, Rownan, Rownan…“ Der 19-Jährige konnte es nicht verhindern, er musste einfach lachen. „Ich glaube, ich habe dich falsch eingeschätzt.“ Es waren Worte, die dem Satyrs sicherlich bekannt vorkommen würden. Anders jedoch als damals bei ihrer Quest säuselte Lian diese Worte nicht herablassend, nicht provozierend. Nein, sein Ton, Gestik und Mimik verrieten, dass der Wolf ihm durchaus imponiert und die Kluft, die vielleicht zwischenzeitlich zwischen ihnen bestanden hatte, geschickt hatte überwinden können. Lian fragte sich allerdings, ob der Gravitationsmagier mit dem Tempo, das er hiermit vorgab, lange mithalten könnte. Der 19-Jährige hätte ihn nicht als standhaften Trinker eingeschätzt, aber… vielleicht irrte er sich ja auch hier? Rownan schien in jedem Fall noch einige Facetten bereitzuhalten, von denen der Falls noch nichts wusste. Und er vermutete, dass er noch einige dieser Facetten im Laufe des Abends kennenlernen würde. So wie auch umgekehrt, selbst wenn das für Lian in diesem Augenblick eher ein zweitrangiger Gedanke war. Der Alkohol würde da sicherlich seinen Beitrag leisten – genügend Flaschen waren in jedem Fall vorhanden. Der 19-Jährige hatte nicht vor, die Einladung von Rownan auszuschlagen, sodass er ihm gegenüber grinsend die Flasche anhob um ihm zuzuprosten. „Na dann: Auf dich und deine Großzügigkeit. Und auf dass wir herausfinden, ob wir den feinen Geschmack dieser edlen Gesellschaft im Zug teilen können.“ Lian setzte die Flasche an – was vermutlich in besagter edler Gesellschaft für entsetztes Aufschreien gesorgt hätte – und trank einen ordentlichen Schluck. Eine Schande, dass der Braunhaarige die liebliche Note dieses vorzüglichen Weines, die sogleich seine Zunge benetzte und seine Kehle herablief, kaum zu schätzen wusste. Und hätte er wirklich auf die besondere Qualität des Getränkes achten wollen, hätte er sich vielleicht zumindest die Zeit genommen, kurz das Aroma zu riechen oder die Färbung des Getränkes zu betrachten. Nein, das waren alles Aspekte, um die es gerade nicht ging. Und so breitete Lian, nachdem er wieder abgesetzt hatte, auch schlicht die Arme auseinander und lächelte. „Ganz vorzüglich. Ein fruchtiges Aroma gepaart mit einer eher würzigen Note im Nachgeschmack oder was würdest du sagen?“, fragte er Rownan und neigte den Kopf ein wenig nach vorne. „Aber um das abschließend zu beurteilen, muss ich wohl noch ein bisschen mehr davon probieren“, kündigte er zufrieden an. Lian zog einen der Stühle herbei und ließ sich darauf fallen. Mit einem kurzen Wink der Hand deutete er Rownan an, dass er sich genauso einen Platz suchen konnte – unendlich viele Möglichkeiten gab es in der sehr beschaulichen Wohnung, die der Falls bewohnte, zugegeben nicht. Der 19-Jährige nutzte die Zeit, um einen weiteren Schluck zu trinken. Zum Einen, um die Zeit zu überbrücken, aber auch, weil er hoffte, dass die Wirkung möglichst bald einsetzen würde. Das würde das Gespräch, das die beiden Magier gedachten, heute miteinander zu führen, sicherlich einfacher machen. Am Ende lehnte sich der Braunhaarige nach vorne, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und musterte Rownan genauer. „Nachdem du das Tempo jetzt schon vorgegeben hast, können wir auch im gleichen Tempo weitermachen, oder? Überspringen wir das weitere Vorgeplänkel.“ Die Stimme von Lian, die bis eben noch im höchsten Maße amüsiert gewesen war, klang plötzlich deutlich ernster. Er ließ den Wolf nicht aus den Augen… „Du hast es mitbekommen. Die Sache mit der Armbanduhr im Zug.“ Der Falls formulierte es, ohne ein direktes Geständnis zu machen. „Warum hast du es nicht auffliegen lassen?“ Eine der vielen Fragen, die ihm seit der Quest keine Ruhe gelassen hatten. Offensichtlich war es Rownan zuwider gewesen, das hatte er zwischen den Zeilen deutlich gemacht. Und doch hatte er die Sphynx davonkommen lassen, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, Lian zu stellen. Vielleicht hätte man den Satyrs sogar besonders gelobt, wenn er einen verbrecherischen Magier gestellt hätte. Aber Rownan hatte es nicht getan. Es ergab für Lian keinen Sinn.
Ohne es zu wissen, hatte der Lupine sein Gegenüber nicht nur überrascht, sondern auch Neugierig gemacht. Wobei es ihn eigentlich nicht wirklich nicht wundern sollte, immerhin war der Typ vor ihm ein Dieb, der allem Anschein nach nicht zum ersten Mal geklaut hatte. Wenn eine solche Person kein gutes Empfinden für seine Umgebung besaß, sollte dieser sich schleunigst eine neue Profession suchen. Worüber er nicht stutzig wurde, war wie immer die Tatsache, dass Lian und er sich schlichtweg in anderen Kreisen bewegten. Die Begriffe, die Rownan so nonchalant von sich gab, sorgten bei seinem Gesprächspartner eher für Verwirrung aber auch für Erheiterung. Es war für den Wolf immer wieder schön zu beobachten, dass diese Art Differenzen, die sie so Augenscheinlich an den Tag legten, seit ihrem Streit nicht als Provokation gesehen wurden, welche die Kluft zwischen ihnen nur noch vergrößerten, sondern schlichtweg als Tatsachen, auf die man mannigfaltig reagieren konnte. In ihrem Fall war es bis jetzt meistens Amüsement. Es war diese lockere Atmosphäre, die er sich für das Gespräch zwischen den beiden erhofft hatte. Die Themen waren schon ernst genug und so war es mehr als angenehm, wenn sie zuvor noch etwas freundschaftliches Geplänkel austauschen konnten. Dafür war er dem Tunichtgut vor ihm mehr als dankbar. Darüber hinaus hatte er den Magier scheinbar allein durch die Menge an alkoholischen Getränke positiv gestimmt. Natürlich war dieser kein Weintrinker, dass wusste der Hybride auch, aber es war nie zu spät im Leben etwas Neues zu lernen. Statt jedoch auf die Aussage einzugehen, erhielt er fürs erste ein freudiges Lächeln. Es war in diesem Moment sicher nicht viel mehr als eine rhetorische Frage. Alles in allem schien es so, als ob sich das Pokerspiel auszahlte, welches der Grauhaarige betrieb, um seinem Gastgeber zu imponieren. Während Lian sich dabei Gedanken über das Auftreten des Satyrs machte, so war es vielleicht das Polohemd, welches die vornehme Seite davon abhielt, völlig durchzudrehen. Wenn man schon aus einer Flasche Wein trank, so konnte man dabei doch wenigsten gepflegt aussehen, oder? Und zum ersten Mal, soweit er sich erinnern konnte, hatte er den Wüstenmagier sprachlos gemacht. Und dass nicht aufgrund seiner animalischen Seite oder eventueller Todesangst, sondern schlichtweg durch das Verhalten, welches er gerade bei vollem Bewusstsein an den Tag legte. Definitiv ein Punkt auf dem Konto des Lupinen. Er hatte es geschafft, dass der schlaue und sonst so flinke und durchaus wortgewandte Lian ihn einfach nur einige Sekunden amüsiert betrachten konnte, ehe er die richtige Worte wiedergefunden hatte. Wahrscheinlich würde es das letzte Mal an diesem Abend so sein, dass sie sich noch auf einer so kognitiven Ebene begegnen würden. Zumindest war das die Vermutung des Hybriden, wenn er erneut über die reine Menge der Spirituosen nachdachte.
Rownan konnte nicht viel mehr als grinsend etwas Luft durch die Nase pusten und mit dem Kopf zu schütteln, als er die ersten Worte seines Gegenübers vernahm, eher er ihm wieder in die Augen sah. Sie hatten es tatsächlich geschafft eine Art Running Gag für sich zu etablieren. Jedes Mal, wenn einer der beiden seine Sätze auf diese Art und Weise begann, bedeutete es meist nichts Gutes. Nichts Gutes im Sinne von: jetzt kommt etwas Signifikanteres. Beim ersten Mal war es die Reaktion des Braunhaarigen auf die Drohung des Wolfes. Beim zweiten Mal hatte der Tiermensch den Illusionisten schon auf eine ganz andere Art und Weise gelobt. In diesem Fall wurde der Grauhaarige selbst Ziel eines Kompliments, wenn auch der Charakter des Kompliments zweifelhaft war. Wollte man wirklich dafür gelobt werden? In diesem Moment schon, denn es war immerhin der Magier, der diese Reaktion durch sein sonst so ungewohntes Verhalten provoziert hatte. Die Mimik aber auch der Ton, in welchem die Worte gesprochen wurden, unterstrichen diese Feststellung. Statt sich jedoch Gedanken darüber zu machen, wie viel der Menge, die er zuvor noch betont hatte, er wirklich vertragen würde, war er eher gespannt darauf, ob Lian noch mehr Worte parat hatte. Bewusst hatte sich Rownan nicht für den ersten Schritt entschieden, zumindest was die verbalen Elemente betraf. Der Augenblick an der Tür war bereits reinster Nervenkitzel und noch immer, trotz der entspannten Atmosphäre, war er sich unsicher, wie weit er wirklich gehen konnte. Es musste seiner Meinung nach ausgeglichen bleiben. Nur so konnten beiden aus ihrer komfortablen Zone herauskommen. Die Antwort, die er auf seine Anfrage nach Ehrlichkeit an der Tür bekommen hatte, hatte ihm bereits signalisiert, dass es auch für die Sphynx nicht einfach werden würde, munter loszusprechen. Dieser entschied sich jedoch fürs erste dafür tatsächlich nur anzustoßen. Das Klirren der Flaschen initiierte den Abend. Ein schöner Trinkspruch. Wie der Hybrid schnell merken sollte, war er es alles andere als gewohnt aus Flaschen zu trinken, besonders dann, wenn der Inhalt unschöne Flecken hinterlassen konnte. Doch er war geschickt und vor allem erfahren genug, um relativ schnell eine Position zu finden, in welcher er den guten Wein trinken konnte. Vielleicht aus Schock oder auch Nervosität, nahm er, kaum dass er diese Position gefunden hatte, gleich mehrere Züge auf einmal nur um zu bemerken, wie sich seine Rückenhaare leicht aufstellten. Der Wein war gut, das war nicht das Problem. Es war eher die gesamte Situation, das Sakrileg, dass er beging. Unter Umständen war dies auch ein Beweggrund gleich mehrere Schlucke zu nehmen. Wenn er seine Sinne erst etwas betäubt hatte, dann würde ihn dieses Verhalten weniger tangieren. So zumindest die Hoffnung. In Anbetracht der Hitze draußen und der dennoch wärmeren Temperaturen im inneren, war der relativ kühle Tropfen eine angenehme Abwechslung. Wichtig war aber allem voran, dass der Wein bei seinem Gastgeber gut ankam. Bei der Beurteilung musste der Wolf jedoch tatsächlich etwas auflachen. „Ein paar deiner Beschreibungen sind zutreffend. Aber das üben wir nochmal“ entgegnete er ihm und musste daraufhin noch ein- zweimal kurz lachen, während er erneut den Kopf schüttelt. Wohlmöglich sollte er dem Lupinen das Imponieren überlassen.
Sein Gesprächspartner ließ sich auf einem der zwei Stühle der Wohnung herab und deutete dem Grauhaarigen sich ebenfalls zu setzen. Der Boden wäre natürlich eine valide Option gewesen, ebenso der andere Stuhl. Allerdings entschied er sich für das Bett. Im Normalfall würde sich niemand darüber Gedanken machen. Für den Satyrs setzte die bloße Anwesenheit in diesem Raum bereits eine Menge Vertrauen voraus. Sich in diesem privaten Bereich dann noch auf den Schlafplatz zu setzen, war in seinen Augen ein kühnes Manöver. Es bot ihm aber verschiedenste Möglichkeiten, wie er im weiteren Verlauf mit Gestik und Mimik arbeiten konnte. Zudem ließ sich so der Raum im Großen und Ganzen gut Überblicken. Natürlich ließ er sich nicht am Kopfende herab, sondern entschied sich vorerst für das Fußende. Man wollte ja schließlich nicht übertreiben. Eine kurze Pause setzte ein, in welcher beide noch ein weiteres Mal von ihrem Getränk kosteten. Dann erst hatte sein Gegenüber anscheinend genug Mut gefasst, den eigentlichen Abend fortzusetzen, indem er sich nach vorne lehnte und den Blick des Hybriden suchte. In die grünen Seelenspiegel blickend, rechnete er nun mit allem. Was hatten sie schon zu verlieren? Trotzdem beunruhigte ihn der Blick, denn er hatte die sonderbare Eigenschaft, gleichzeitig verdammt schwer und dann wieder so leicht gelesen zu werden. Es war dieser Dualismus, der auch ihre Freundschaft kennzeichnete und sich in eben diesen Punkten manifestieren konnte. Tatsächlich machte Lian ernst. Vorgeplänkel, das beschreibt es wohl am besten. Und ebenso ernst waren nun auch die Minen der beiden während der Lupine der ersten Frage lauschte. Es erklärte den Blick seines Gegenübers. Genau wie der Wolf, war auch jener drauf und dran jede Regung zu erfassen und zu verarbeiten. Besonders bei einer so empfindlichen Frage wie dieser. Zumindest beantwortete es Rownan die Frage, ob er zu offensichtlich gewesen war. Ja, ja das war er.
Statt direkt zu antworten, schaute er den Magier noch einige Sekunden an, ehe er einen weiteren kräftigen Schluck nahm, die Flasche neben sich abstellte und sich einige Momente mit geschlossenen Augen die Schläfen massierte. Dann erst öffnete er sie wieder und schaute Lian direkt an. Wer hatte nochmal das Talent mit der Tür ins Haus zu fallen?. „Du fängst natürlich mit der einen Frage, die mir selber Kopfzerbrechen bereitet“ begann er seine Antwort. Oh, Rownan hatte etliche Gründe, warum er ihn nicht verpfiffen hatte. Einer davon verwirrte ihn besonders. Die Frage war nur, wie er ihm am besten Antworten sollte. Natürlich meldete sich just in diesem Moment auch sein Gewissen und mahnte ihn zur Ehrlichkeit. Und er würde ehrlich sein, zumindest in fast allen Punkten. Der steigende Alkoholpegel würde langfristig vielleicht auch die letzte Barriere abbauen. Kurz überlegte er noch eine Bitte zu stellen, dass er etwa nicht verurteilt würde, für seine Antwort oder dass Lian sich nicht darüber lustig machen sollte. Aber wenn er so etwas klarstellen musste, war der Abend von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er konnte jetzt so freisprechen, wie sonst nirgends. „Ich bin immer noch zu keiner zufriedenstellenden Antwort gekommen, das heißt ich weiß es nicht“ war der Anfang seines Satzes, doch er fuhr fort, bevor der Braunhaarige auf die Idee kam, dazwischen zu funken „aber ich hab einige Ideen“. Noch einmal schaute Rownan an die Decke, ballte die Fäuste zusammen. Es sah für einen Betrachter sicher so aus, als ob er versuchte sich selbst etwas aufzubauen und Mut zu machen, was definitiv der Wahrheit entsprach. Seine eisblauen Augen fixierten daraufhin die grünen vor sich. „Ich bin mir sicher, dass du es schon im Zug bemerkt hast, aber ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen. Jemand der gefühlt so weit weg von mir ist, sei es im Verhalten, im Charakter, im Auftreten, einfach ein allem aber mir dabei das Gefühl gibt, als ob er mein Spiegelbild im Teich des Lebens ist. Jedes Mal, wenn wir sprechen, wenn wir wirklich auf Augenhöhe miteinander reden, haben ich das Gefühl, dass ich mich selbst besser verstehe, wenn ich dich besser kennen lerne“. Rownan, selbst verblüfft von dem, was er von sich gab, lachte kurz ungläubig auf, ehe er den Augenkontakt wieder aufbaute. Wohlmöglich wusste er doch, warum er so gehandelt hatte, doch musste er es erst verbalisieren, um es sich einzugestehen. „Lian, ich hab das Gefühl wir sind gefangen in einem Kampf in unserem inneren, den wir ohne fremde Hilfe nicht gewinnen können. Zwei Seiten, die um Kontrolle ringen und dabei oft einen Scherbenhaufen hinterlassen, der uns nur darin bestätigt, dass wir an unserer Situation nichts ändern können. Und du bist derjenige, bei dem ich das erste Mal, seit ich denken kann überzeugt bin, dass er mir helfen kann; der mir helfen kann diesen Teufelskreis zu durchbrechen. In Kombination mit deinen Fähigkeiten musste ich mich entscheiden, was mir wichtiger war. Es war ein Kampf zwischen dem, was ich gewohnt war zu tun und dem, was sich richtig anfühlte. Und nenn es egoistisch, aber ich habe vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit meine eigenen Interessen, vor die der anderen gestellt. Deshalb hab ich dich nicht auffliegen lassen und deshalb bist du noch frei – weil ich dich brauche! Kann man es mir verdenken, dass ich meine Chance auf etwas Seelenheil nicht einfach wegwerfe!?“. Beinahe erschöpft atmete der Wolf hörbar ein- und aus, während er selbst merkte, wie sein Herz schneller schlug. Dass ihn diese Aussagen emotional aufgewirbelt hatten, war unverkennbar. Doch irgendwo tat es auch gut, es endlich ausgesprochen zu haben und es dabei geschafft zu haben, dem Dieb keine Vorwürfe zu machen, sondern nur das auszudrücken, was er dachte und fühlte. Er griff zur Flasche und nahm einen weiteren, großen Schluck.
Stille stellte sich zwischen den beiden Magiern ein. Erst durch diese Stille wurde Lian klar, dass die Frage, die er gestellt hatte, vermutlich der entscheidende Antrieb für Rownan gewesen war, ihm einen Brief zu schreiben und die lange Reise nach Aloe Town anzutreten. Rownan suchte scheinbar selbst händeringend nach der Antwort auf diese Frage. Nicht nur der Falls konnte nicht verstehen, wie der Hybrid so gegen seine Prinzipien hatte handeln können, wie er einem Dieb aus der Patsche hatte helfen können. Wie er eine Ungerechtigkeit, die einem unschuldigen Kellner angetan wurde, bewusst hatte decken können. Es war etwas gänzlich anderes als damals, in Crocus, wo auch Yuuki Grynder und Grishira dem Illusionsmagier gegenüber zwei Ordnungshütern geholfen hatten. Yuuki und Grishira waren von Lian damals angelogen und manipuliert worden, sie hatten einfach nicht gewusst, dass sie einem Gauner halfen. Bei Rownan verhielt sich das anders: Er hatte es gewusst. Interessanterweise war Lian immer noch nicht sicher, wie genau der Kollege es herausgefunden hatte – auf seinen feinen Geruchssinn war der Falls noch nicht gekommen. Ganz gleich, wie er es herausgefunden hatte, der Lupine hatte es so sehr missbilligt, dass er den Kellner in seiner Wut gepackt, gegen die Wand des Abteils gedrückt und ihm einen Todesblick zugeworfen hatte, der eigentlich Lian hatte gelten sollen. Rownan hatte sich nur schwer beherrschen können… also warum? Warum hatte er sich das alles angetan, wenn er den Falls so leicht hätte auffliegen lassen und seinen Seelenfrieden hätte finden können?
Der Satyrs schloss die Augen und massierte sich die Schläfen. Als die eisblauen Seelenspiegel des anderen endlich wieder zu Lian blickten, lag darin ein Hauch Unsicherheit, vorwiegend jedoch eine Entschlossenheit, die der Falls so noch nicht an Rownan erblickt hatte. Der Lockenkopf runzelte erst die Stirn, als er den ersten Teil der Antwort vernahm. Er wusste es nicht? Doch ehe die Sphynx nachhaken konnte, ergänzte der Wolf seine Aussage: Er hatte einige Ideen. Es war schon interessant, zu beobachten und auch zu hören. Offensichtlich suchte der Hybrid selbst nach der richtigen Antwort, jetzt in diesem Moment, während er mit Lian sprach. Er verbalisierte, was er dachte und der Falls hatte nicht vor, Rownan dabei zu unterbrechen. Tatsächlich war der 19-Jährige gut darin, zuzuhören – was ihm in diesem Moment zugutekam. Die Antwort, die Rownan mit ihm teilte, war allerdings noch deutlich weitreichender als erwartet. Schon früher hatte es Situationen gegeben, wo Menschen Lian bei einem Diebstahl entdeckt und dennoch gedeckt hatten. Allerdings hatte auch das immer seine ganz eigenen Gründe gehabt: Man wollte einen Teil der Beute abhaben. Man wollte, wie im Falle von Yuuki, sein Diebesgut irgendwie zurückbekommen. Man erhoffte sich, Lian dadurch erpressbar zu machen. Es ging niemals um den Braunhaarigen als Menschen. Rownan allerdings ging ganz anders an die Sache heran. Die Uhr an sich interessierte ihn nicht, genauso wenig irgendein Erlös, den er dafür bekommen hatte. Die Beweggründe, die der Lupine für sein Schweigen gehabt hatte, standen in direkter Verbindung mit Lian an sich. Mit der Person, die Lian war.
„Jedes Mal, wenn wir sprechen, wenn wir wirklich auf Augenhöhe miteinander reden, haben ich das Gefühl, dass ich mich selbst besser verstehe, wenn ich dich besser kennen lerne“
Sie sahen sich beide in die Augen, kurz nachdem dieser Satz ausgesprochen worden war und Rownan musste verblüfft lachen. Offensichtlich glaubte er selbst nicht, was er da gerade gesagt hatte. Aber er war nicht der Einzige: Auch Lian musste das erstmal verdauen. Ehe er etwas sagen konnte – das hätte auch noch ein wenig gedauert – sprach der Hybride weiter. Er verteidigte seine Entscheidung, erklärte, warum er getan hatte, was er getan hatte. Und er echauffierte sich fast schon darüber, wobei die Entrüstung, mit der Rownan sprach, offensichtlich nur ihm selbst gegenüber galt. Denn weder Lian noch irgendjemand sonst hatte ihm einen Vorwurf gemacht. Nein, die einzige Person, die ihm für sein Verhalten einen Vorwurf gemacht hatte, war Rownan selbst gewesen – und jetzt, während er in Aloe Town in der Wohnung des Falls saß, wollte er sich endgültig von diesen Vorwürfen sich selbst gegenüber losreißen. Klar sagen, was er dachte, was er fühlte und dass es in Ordnung war, so gehandelt zu haben – aus einem rein persönlichen Interesse heraus, um eine Chance auf Seelenheil zu haben, wie der Wolf es nannte.
Und dann waren sie wieder genau dort, wo sie vorhin schon gewesen waren: Stille stellte sich zwischen ihnen ein. Anders als zuvor war es allerdings der schwere Atem des Satyrs, der hörbar war, sichtlich strapaziert von den Dingen, die er sich von der Seele gesprochen hatte. Erneut setzte Rownan die Flasche an und trank einen weiteren, großen Schluck.
Und Lian konnte nicht vielmehr machen, als den anderen Magier dabei schweigend zu beobachten.
Er hatte recht mit dem, was er gesagt hatte. Sie waren wie zwei Seiten einer Medaille und das war es, was Lian bei der gemeinsamen Quest auch getriggert hatte. Rownan verkörperte viel, was auch aus ihm selbst hätte werden können, wenn er irgendwann in der Vergangenheit eine andere Abbiegung in seinem Leben genommen hätte. Der Hybride hatte Einstellungen an den Tag gelegt, von denen Lian sich bewusst hatte distanzieren wollen, weil sie so gegensätzlich zu dem waren, was ihn selbst heutzutage ausmachte. Weil es Einstellungen waren, gegen die er sich irgendwann bewusst entschieden hatte. Es war schwierig in Worte zu fassen, auch nur die passenden Gedanken dahingehend zu formen. Aber es traf dennoch ungefähr das, was auch Rownan geäußert hatte. Sie dachten also ähnlich. Und auch sonst – sie steckten in einem Kampf mit sich selbst und hinterließen einen Scherbenhaufen, wohin sie auch gingen, der sie darin bestätigte, nichts an ihrer Situation ändern zu können. Ja, es traf alles so sehr zu, dass es Lian glatt den Atem verschlug. Sie mussten sich wirklich ähnlich sein, wenn Rownan die innerste Welt des Falls einfach so auf den Punkt bringen konnte. Es war gruselig.
Lian tat das Einzige, was ihm übrigblieb, um diese Erkenntnis zu verdauen: Er löste den Blick vom Satyrs, setzte seinerseits die Flasche an und trank mehrere, tiefe Schlucke. Der kühle Wein lief seine Kehle hinab und es war eine echte Wohltat. Dann senkte der 19-Jährige den Kopf wieder, löste die Flasche von den Lippen, atmete tief durch und sah zum Fenster der kleinen Wohnung. Es waren die letzten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das Glas suchten und das Zimmer in ein rotorangenes Licht tauchten – bald wäre auch dieses Sonnenlicht verschwunden und Rownan und er blieben in der Dämmerung zurück. „Du brauchst mich, ja?“, wiederholte er die letzte Aussage ein wenig ungläubig. „Für deine Chance auf etwas Seelenheil?“, ergänzte er die Frage und neigte dann, langsam, den Kopf wieder in Richtung des Lupinen. Es war weder Amüsement noch eine besondere Ernsthaftigkeit, die aus den hellgrünen Augen des Falls abgelesen werden konnte. Eher ehrliche Überraschung. „Ich habe mit vielen Antworten gerechnet, aber sicherlich nicht damit.“ Seelenheil. Lian hatte sich bisher mit vielen Dingen in Verbindung gebracht, aber sicher nicht mit dem Seelenheil anderer Leute. Er war ein Dieb, ein Gauner. Er hegte immer noch Gefühle für eine Untote, die mit einer Mörderaxt herumlief und im Auftrag irgendeines Unbekannten Dinge tat, die man nicht einmal aussprechen wollte. Es gab sicherlich Menschen, die bessere Ansprechpartner für das Thema Seelenheil waren als Lian. Und doch brachten die Worte von Rownan den Illusionsmagier sichtlich ins Grübeln. Er fokussierte den Hybriden. „Aber vielleicht hast du recht. Ich glaube, es geht mir ähnlich wie dir“, hörte er sich sagen. Der Braunhaarige konnte nicht sagen, ob es vielleicht die ersten Wirkungen des Alkohols waren oder nur an der Situation lag, dass er seine Gedanken so offen äußerte. Aber gerade war es ihm auch egal und so sprach er weiter: „Ein Spiegelbild im Teich des Lebens. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Du bist so anders als ich und dann sehe ich wieder Ähnlichkeiten, die davon zeugen, dass wir vom Leben vielleicht gar nicht so unterschiedliche Ausgangsbasen erhalten haben. Wir haben einfach nur unterschiedliche Abzweigungen genommen. Es verwundert mich nicht, dass wir bei der Quest so aneinandergeraten sind, wie es geschehen ist. Es war unausweichlich.“ Er seufzte, als er sich zurückerinnerte. Sie waren, wie sie waren - das ließ sich nicht ändern. Aber das hieß nicht, dass sie nicht dennoch voneinander lernen konnten. „Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber deine Worte, als du den Kellner gepackt hast, haben mich mehr getroffen, als ich zugeben wollte. Ob ich keine Scham kennen würde? Keinen Anstand? Deine Vorwürfe waren gerechtfertigt. Überraschenderweise habe ich nach deinen Worten dafür umso mehr Scham empfunden, gerade weil ich dich respektiere. Das ist mir aber vielleicht erst nach der Quest so richtig bewusst geworden. Ich glaube... ich hätte es gut verstehen können, wenn du dich damals anders entschieden hättest. Und ich hätte dir keine Vorwürfe gemacht.“ Wow. Dass das Treffen der beiden Magier gleich so starten würde, damit hatte Lian nicht gerechnet. Der Falls machte sich nichts vor, er war immer noch ein Dieb. Aber er bereute es, dass er Rownan in diese Situation gebracht hatte. Dass er sich und sein diebisches Verlangen damals nicht unter Kontrolle hatte halten können. Wieder nahm er einen Zug aus seiner Flasche und bildete sich zumindest ein, dass es seine Gedanken beruhigte. Dass der Alkohol sich allmählich in sein Hirn schlich. Schließlich nickte er Rownan zu. „War es das, was du in deinem Brief gemeint hast? Die Hilfe, die du von mir benötigst?“, fragte er nach kurzem Zögern ehrlich interessiert nach. Der Lupine hatte gemeint, dass Lians Fähigkeiten ihm helfen könnten. „Ich weiß zwar nicht, wie meine Fähigkeiten dir helfen können, aber ich stelle sie dir gerne zur Verfügung. Vielleicht… ist es das erste Mal, dass ich diese Fähigkeiten wirklich sinnvoll einsetze.“ Ein kleines, klägliches Lächeln schlich sich auf die Lippen des 19-Jährigen bei diesem Eingeständnis. Wenn seine Familie das nur hören könnte! Er lachte leise und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Okay. Wie wäre es, wenn wir erstmal mit dem Kennenlernen anfangen? Wir hatten nicht viel Zeit, um uns auszutauschen und so gibt es viele Dinge, die mir unklar geblieben sind. Ich denke, das hier ist eine gute Gelegenheit, um das nachzuholen.“ Lian breitete die Arme als auffordernde Geste auseinander. „Rownan, erzähl mir von dir. Ich möchte verstehen, wer du bist. Woher kommst du? Wie bist du der geworden, der du heute bist? Der Magier von Satyrs Cornucopia, der zwischen Schillerwein und Blanc de Noir unterscheidet, der Horsd’oeuvre und Veuve Clicquot kennt.“ Ja, Lian hatte ein gutes Gedächtnis. Es gab außerdem ein ganz bestimmtes Detail, das der Satyrs damals angerissen hatte, sie allerdings nicht hatten vertiefen können. Und sie hatten sich heute getroffen unter der Prämisse, ehrlich zueinander zu sein. Und daher fragte der Illusionsmagier direkt nach, auch auf die Gefahr hin, damit einen sehr wunden Punkt beim Lupinen zu treffen. Doch sie würden nicht vorankommen, wenn sie sich zurückhielten. Es gab also nur den Weg nach vorne. „Du sagtest, du warst mal ein Mensch?“, ertönte die Frage, bevor erneutes Schweigen eintrat.
Da hatte Lian aber in relativer kurzer Zeit beinahe fast sämtliche Bereiche tangiert, die Rownan selbst im Verlauf des kompletten Wochenendes anschneiden wollte. Aber eins nach dem anderen. Kaum hatte der Hybride seine Ausführungen beendet, bemerkte er nun selbst, wie sehr ihn seine eigenen Aussagen aufgeladen hatten. Nicht nur emotional, sondern auch körperlich. Und dabei blickte er in die grünen Augen seines Gegenübers. Erst jetzt, als der Satyrs merkte, dass er die ganze Zeit ohne Unterbrechung hatte sprechen dürfen, dass jener ihn sprechen ließ, ohne auch nur den Hauch einer Wertung in seinem Blick zu haben, spürte er allmählich das Gefühl von Sicherheit, die von den Seelenspiegel seines Gesprächspartners, seines Freundes ausgingen. Und es war eben jener Blick, der ihn darin bestätigte, dass er das richtige getan hatte als er sich überwunden hatte dem Magier aus Aloe zu schreiben. Nicht einmal mit seiner Gönnerin hätte er auf diese Art und Weise sprechen können. Kein Wunder, dass es sich für Rownan so anfühlte, als ob der Ballast eines ganzen Jahrzehnts von ihm abzufallen schien, denn irgendwie war dem auch so. Die Stille konnte verschieden gedeutet werden, aber es entging dem Wolf nicht, dass die Stille wohlmöglich der Tatsache geschuldet war, dass die Worte, die so emotional aufgeladen waren, gleich beide Personen im Raum so gut beschrieben hatten. Während er selbst diese Gefühle nach außen trug, schien sie Lian eher in sich hineinzufressen. Oder in diesem Fall zu trinken. Kurz überlegte der Lupine etwas zu sagen, doch hatte er bereits, während er den Gedanken formulierte den Eindruck, dass der Braunhaarige selbst einfach einen Moment brauchte, um das zu verdauen, was sein Gegenüber so ausgesprochen hatte. Mitleid oder Verständnis wären jetzt fehl am Platz. Beide hatten das Recht so lange darüber nachzudenken und auf ihre Art und Weise nachzudenken, wie sie es für richtig hielten. Ein kurzer Blick auf die Flasche verriet dem Grauhaarigen, dass diese nicht viel mehr enthielt als einen Spuckschluck. Es wäre demnach bald Zeit für Runde zwei. Kaum hatte er den Gedanken ausgesprochen, merkte er auch so langsam, wie sich eine nicht unbekannte aber ungewohnt starke Entität in seinem Kopf breit zu machen versuchte. Der Alkohol wurde also langsam verstoffwechselt. Nun gut, er hatte auch in kurzer Zeit eine komplette Flasche gestürzt und war dabei zwar nicht hungrig, aber auch nicht gut gesättigt. Nicht die besten Voraussetzungen zum Trinken aber vor allem keine guten, um langfristig zumindest nüchtern zu bleiben. Was hieß nüchtern, Rownan wollte zumindest weiterhin Herr seiner Sinne bleiben. Wie gut ihm das gelingen würde, konnte nur der Abend zeigen. Wüsste er in diesen Moment um das Kaliber des nächsten Geschosses, hätte er sich bereits an diesem Punkt von seiner Rationalität und einem katerfreien Morgen verabschiedet. Noch war der Wölfling aber nur allmählich angetrunken. Ein hoch auf (Muskel)Masse. Nachdem Lian selbst ein paar Schlucke genommen haben, glitt seine Aufmerksamkeit am Tiermensch vorbei. Wenn er die Zeit richtig im Sinn hatte, dürften in diesem Moment die letzten Sonnenstrahlen die erbarmungslose Wüste erfüllen, dabei im gleichen Zug jedoch das Panorama der nächtlichen Wüstenmetropole eröffnen. Doch Rownan entschied sich gegen die Idee hinter sich zu schauen und konzentrierte sich kurz auf sich selbst, um so Atmung und Puls wieder etwas herunterzufahren. Dabei bemerkte er auch, unsicher ob es seiner Reaktion oder dem Fusel geschuldet war, dass ihm allmählich wieder unangenehm warm wurde. Noch etwas mehr und er würde sich von seinem Polo verabschieden. Nichts was Lian nicht bereits gesehen hatte und vor allem nichts, wofür sich der Hybride schämen musste. Die Stimme des anderen riss ihn aus den Gedanken und ließ ihn wieder zum Ursprung der Stimme schauen. Noch suchte jener nicht direkt den Kontakt, sondern wiederholte einige Phrasen, die der Magier von sich gegeben hatte. Erst dann schaute ihn die Sphynx wieder direkt an. Ist er … überrascht? Irgendwie überraschte Rownan Lians Überraschung, dabei hatte er schon mehrfach beobachten dürfen, wie auch seine eigenen Worte den Jungen aus dem Konzept brachten, so wie es dieser oft durch sein bloßes Sein schaffte. Wieder ein Punkt auf dem Konto der Ähnlichkeiten. Bis vor wenigen Minuten habe ich auch noch nicht damit gerechnet dachte er für sich unsicher, ob der Illusionist bereits am Ende seiner Ausführungen war. Erneut spürte der Lupine, dass er sein Gegenüber wirklich berührt hatte, seine Worte ihn wirklich erreicht hatten. So recht konnte er es nicht beschreiben, aber es fühlte sich so an, als ob das unsichtbare Band zwischen ihnen mit jedem verstrichenen Moment greifbarer wurde. Was immer folgen würde, wären keine Floskeln oder Phrasen. Es wären ehrliche Worte aus dem tiefsten Inneren Lians, welches ebenso selten Tageslicht zu Gesicht bekam, wie es die animalische Seite des Wolfes tat. Und das war ein überaus befriedigendes Gefühl.
Gespannt schaute er in die grünen Seelenspiegel des Diebes und nahm dabei jedes Wort, jede Nuance, jede Veränderung der Mimik und Gestik beim Zuhören auf. Unausweichlich. Gepaart mit dem Seufzer hatte es etwas … etwas …. Wie hieß das Wort nochmal? Ein weiterer Nebeneffekt des Weins machte sich bemerkbar. Konstanter Verlust von Eloquenz. Sowohl gedanklich als auch sehr wahrscheinlich sprachlich. Was dann folgte, überraschte den Satyrn genauso, wie seine Worte zuvor die Sphynx. War das gerade … hat er sich gerade bei mir Entschuldigt? Anders als bei Rownan schienen diese Worte jedoch bereits länger im Kopf des Sprechenden herumzugeistern, denn sie hatten eine Aura von immensem Gewicht, welches erst durch das Aussprechen allmählich von diesen abfiel. Unter Umständen wäre das auch das Thema ihrer gemeinsamen Abende: Ballast und wie man ihn loswird. Vielleicht waren Ketten auch die bessere … die bessere …. Meta … Metapher? War das das richtige Wort? Es war an diesem Punkt, an dem beide sicher einige Zeit mit sich selbst verbringen konnten, um die Informationen zu sortieren. Aber wie bereits zu Beginn der Erzählung erwähnt, ließ Lian an diesem Abend nichts anbrennen und so folgte sogleich der nächste Teil. Am liebsten hätte er ihn bereits für diese Aussage umarmt. Doch noch war er nicht am Ende seiner Antwort. Lian ging auf den Brief ein, auf die Hilfe, die Rownan in diesem erfragte, aber nach welche dieser gerade nur wenige Minuten zuvor erneut gefragt hatte. Und dann das erste Mal an diesem Abend, merkte der Hybride wieder, wie seine Augen etwas feucht wurden. Noch konnte er sich bremsen, denn noch war keine Zeit für Tränen. Sie wollten immerhin einen schönen Abend genießen. Demnach mussten seine Augen in diesem Moment unwahrscheinlich strahlen, denn ebenso lächelte er den 19-Jährigen an, als dieser mehr schlecht als Recht eben jene Hilfe zur Verfügung stellte. Dabei war es nur einer von vielen Strohhalmen, nach welchen der Tiermensch in der letzten Zeit griff. Dieser wirkte jedoch stabil. Dieser hatte Potenzial. Das hatte der Magier ihm immerhin selbst attestiert. Es war diese charmante, fast schon süße Art die das Herz des Wolfs wieder etwas höherschlagen ließ. Das und der Wein, dessen letzte Tropfen er in einer der Pause die Kehle hinuntergespült hatte.
Umso besser passte es, dass Rownan nicht kreuz und quer erzählen sollte, sondern von Lian zu einem Kennenlernen aufgefordert wurde. Die Beispiele brachten ihn zu einem ehrlichen Lachen, denn der Braunhaarige hatte einfach ein Talent mit Worten zu malen und dabei seine Wertschätzung für sein Gegenüber auszudrücken. Dankbarkeit wäre eine noch zu schwache Beschreibung in dieser Situation. Mit dieser Einladung konnte der Grauhaarige die wichtigsten Stationen seines Lebens benennen, ehe er zum Inhalt seines Beutels überleiten konnte. Aber Lian wäre nicht Lian, wenn er nicht noch ein Ass im Ärmel hatte. So schaute der Lupine tatsächlich überrascht, fast überfahren, als jener seine letzte Frage ausformulierte. Hatte er mich das gerade wirklich gefragt!? Dunkel erinnerte er sich daran diese Wort im Eifer des Gefechts fallen gelassen zu haben. Sie jetzt wieder aufzugreifen war schlichtweg genial. Aber eben unerwartet. Natürlich hatte Rownan damit gerechnet es ihm irgendwann zu erzählen. Vielleicht sogar heute Abend. Aber diese Aufforderung wirklich zu hören war es, was die verschiedenste Emotionen in ihm hervorrief. Das stärkste dieser Gefühle war jedoch Scham, passend zum vorherigen Dialog. Während Rownan also Lian so anschaute, passierte einiges in seinem Gesicht. Nach der ersten Verwunderung konnte man sehen, wie die eisblauen Augen hektisch überlegten, was zu tun war. Es war die innere Erkenntnis, dass er tatsächlich noch nie mit jemandem darüber gesprochen hatte. Noch nie. Und jetzt war es dieser vermeintliche Tunichtgut, dem er sich offenbarte. Die Komik dieses Satz transportierte sich dann auch in den Blick des Satyrn. Mit beiden Händen an der Schnauze lachte er durch die Nase, während er wiederholt den Kopf schüttelte. Er fuhr sich mit eben jenen Händen durchs Gesicht, ehe er in wieder direkt ansah. „Ich hätte es nicht schöner einleiten können“ begann er seine ersten Worte, dabei jedoch weiterhin amüsiert lächelnd. „Irgendwie bin ich froh darüber, dass meine Worte nicht an dir vorbeigegangen sind. Dass sie dich mehr getroffen haben, als du zugeben wolltest. Aber umso glücklicher bin ich, dass ich mich so entschieden habe, wie ich es tat, wenn auch eine zeitnahe Wiedergutmachung unserseits ansteht. Das ist jedoch etwas für einen anderen Abend“. Rownan erhob sich und ging wieder auf die Flaschen zu. Auf dem Weg dorthin wuschelte er dem Illusionisten kurz durch die Haare. „Ich danke dir. Ich bin froh dich als Freund zu haben“. Gepaart mit einem etwas frechen Grinsen, war es ein kurzer Moment, um die Stimmung etwas aufzuhellen und den freundschaftlichen Charakter ihrer Beziehung zu unterstreichen. Der Lupine nahm ihm seine Handlung aus dem Zug nicht mehr übel. Dieses Kapitel war abgeschlossen.
Die nächstem Flaschen öffnend schaute er wieder zu Lian. „Ich denke durch das Kennenlernen kann ich dir gleich alle Fragen beantworten, die du hattest. Ich kann dir sagen, worin ich deine Hilfe brauche, wer ich bin, woher ich komme und auch warum ich Schillerwein und Blanc de Noir unterscheiden kann ebenso wie … die anderen beiden Sachen“. Da war ein kurzer Hänger, wenn auch noch kein Lallen. Nicht nach einer Flasche. „Aber dafür musst du mir erst einmal helfen, jetzt gleich“ begann er seinen neuen Satz und deutete auf mit einer Krallenspitze auf die leeren Gläser von vorhin: „Wir brauchen Brandy und noch mehr Wein. Um letzteres hab ich mich gerade gekümmert. Wenn du also so freundlich wärst“. Diesen Satz ausklingen lassend, reichte er ihm eine der Weinbrandflaschen, eher sich mit den beiden neuen Weinflaschen wieder auf das Bett setzte. Für das nächste Gespräch musste er sich etwas Mut antrinken. Diesmal ließ er etwas Platz und deutete dem Jungen, nachdem dieser ihnen eingeschenkt hatte, sich zu ihm zu setzen, um auch die letzte der physischen Abstände abzubauen. "Bevor ich jedoch erzähle: Was ist denn deine Vermutung?".
Lian schnaubte, als Rownan sich mit beiden Händen die Schnauze hielt und leise vor sich hin kicherte. Was war an seiner Frage denn bitte so komisch gewesen? Und doch… je länger er den Satyr beobachtete, desto schwerer fiel es ihm, nicht selbst in Lachen zu verfallen. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und schlussendlich konnte der Falls es nicht verhindern, dass er in sich hinein gluckste und den Kopf schüttelte, um sich wieder zur Vernunft zu bringen. Ja, die erste Weinflasche war geleert worden und ganz offensichtlich machte sich die Wirkung des Alkohols so langsam bemerkbar. Lian genoss das Gefühl, endlich einmal erlöst zu sein von den vielen Gedanken, die ihm sonst im Kopf herumspukten. Allgemein arbeitete sein Hirn deutlich langsamer als sonst. Und so bemerkte er auch erst durch die Berührung seines Kopfes und der Bewegung in seinem Haar, dass Rownan gar nicht mehr auf seinem Platz saß, sondern aufgestanden und auf ihn zugetreten war.
Er war froh, ihn als Freund zu haben? Lian musste wieder lachen, doch anders als sonst war ihm nicht nach Widerworten oder existenziellen Überlegungen zumute. Nein, er stand seinerseits von seinem Platz auf und folgte dem Kollegen gemütlich, legte eine Hand auf seine Schulter und lehnte sich ein Stück nach vorne, um ihm von der Seite her ein belustigtes Zwinkern zuzuwerfen. „Warten wir mal ab, ob du morgen früh immer noch froh bist, mich als Freund zu haben.“ Ein Grinsen huschte über die Lippen des 19-Jährigen, der natürlich genauso wenig wie Rownan vorhatte, ihr Beisammensein und die Verköstigung des Weins an dieser Stelle zu beenden. Nein, es ging doch gerade erst los. Den kurzen Hänger des Wolfes bekam er schon gar nicht mehr mit, denn seine Aufmerksamkeit wanderte pflichtbewusst zum Brandy, der ihm in der nächsten Sekunde in die Hand gedrückt wurde. Lian blinzelte, sah dann zum Kollegen und ging ein paar Schritte rückwärts, neigte dabei übertrieben ergeben den Kopf und lächelte spielerisch. „Aye, aye. Auftrag wird ausgeführt“, stimmte er zu und spürte dann, wie er mit dem Hintern gegen die Küchentheke der kleinen Wohnung stieß. Oh, irgendwie hatte er den Abstand bis zur Küchenzeile größer eingeschätzt. Naja, egal. Der Falls wandte sich um, öffnete in geübter Bewegung die Weinbrandflasche und fischte ziemlich sicher nach den beiden stinknormalen Trinkgläsern, die er zuvor bereitgestellt hatte. Und er schenkte ein – wie man eben Trinkgläser auffüllte, bis fast an den Rand. Logisch, oder? Darauf bedacht, nichts zu verschütten, wandte er sich wieder zu Rownan um und dachte gar nicht lange darüber nach, bevor er sich schwungvoll neben ihm auf das Bett niederließ und ihm eines der Gläser reichte. „Hast sogar noch ein bisschen Platz zum Schwenken“, kommentierte Lian mit einem Schmunzeln und meinte damit den ziemlich knappen Platz, den er bis zum Rand des Glases übriggelassen hatte. Er hatte mal gehört, dass man einen Branntwein schwenken sollte, damit die Aromen sich besser entfalten konnten… nicht, dass der Bogenschütze darauf jemals geachtet hätte. Er wollte bereits ansetzen, doch da stockte der junge Mann, als er die Frage von Rownan vernahm. Ganz kurz konnte der Satyr in die ahnungslos blinzelnden Augen des Braunhaarigen blicken, bevor dieser lachte. „Dein Ernst? Hättest du die Frage nicht eine Weinflasche früher stellen können?“ Das war keine lapidare Frage, das war etwas, worüber man ernsthaft nachdenken musste! Eine Sache, auf die Lian nach einer ganzen Weinflasche auf jeden Fall keine Lust mehr hatte, ganz davon ab, ob er zu sehr tiefgründigen Gedanken überhaupt noch fähig war… Er schüttelte den Kopf und ermahnte sich gedanklich zur Vernunft. „Na gut. Aber zuerst wird angestoßen!“, ließ er gutgelaunt verlauten und hob den Brandy auffordernd an. Anders als zu Beginn hatte der Falls keinen sonderlich guten Trinkspruch mehr parat, als er das Glas an die Lippen hob und die ersten Schlucke brennend seine Kehle hinunterrannten. Spätestens als sich ein leichtes Husten bemerkbar machte, war es auch Lian klar, dass es sich bei dem Brandy nochmal um ein ganz anderes Kaliber handelte als der Wein. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, um besser über die Frage nachzudenken, die Rownan ihm gestellt hatte. Was wollte er wissen? Was seine Vermutung wäre? Mensch, da musste er sich aber echt nochmal zusammenreißen und konzentrieren. „Okay. Also, meine Vermutung. Aber hey, bevor ich anfange, habe ich eine Idee!“ Er löste die Hand von seinen Augen und blickte freudig zum Hybriden, offensichtlich sehr überzeugt von dem Einfall, den er gehabt hatte. Natürlich hatte dieser Einfall etwas mit Alkohol zu tun. Womit auch sonst? „Wenn ich richtig mit meiner Vermutung liege, musst du das restliche Glas in einem Zug leeren.“ Er deutete auf den Brandy, bevor er ergänzte. „Wenn ich total daneben liege, bin umgekehrt an der Reihe. Hört sich das nicht nach einer guten Idee an?“ Nein, das hörte sich ganz und gar nicht nach einer guten Idee an. Aber ob Rownan in dem Zustand war, um Lian darauf hinzuweisen? Ganz davon ab, dass der Falls ungeklärt gelassen hatte, was passierte, wenn er zum Teil richtig, aber auch zum Teil daneben lag… naja, das waren dann wohl ungeregelte Grauzonen, bei denen man sich im Nachhinein einig werden musste. Das Glas in der Hand behaltend, breitete Lian die Arme aus und schmunzelte in den Raum hinein. „Also… ich habe mir darüber natürlich schon so meine Gedanken gemacht, mit den spärlichen Informationen, die du bisher so gegeben hast.“ Was hatte Rownan damals im Zug in seiner Wut geäußert? Die Erinnerungen, die sonst so klar gewesen waren, entpuppten sich in diesem Augenblick als ziemlich verschwommen. Gar nicht so einfach, das Hirn unter Alkoholeinfluss zum ordentlichen Arbeiten zu bewegen. „Sie haben dir Obdach gewährt!“, fiel Lian dann wieder ein und er wandte den Blick zum Satyr, der gleich neben ihm saß. Ohne ihn aus dem Blick zu lassen, plapperte der junge Mann weiter. Deutlich weniger feinfühlig, als er es sonst vielleicht gewesen wäre. „Also, hier meine Theorie: Du kommst von der Straße, bist in ärmliche Verhältnisse hineingeboren, warst auf dich allein gestellt. In dem Moment, wo du nicht mehr wusstest, wie es weitergehen sollte, als du endgültig verzweifelt warst, hat dich irgendeine reiche Frau aufgegabelt. Vielleicht solltest du die Hausangestellten unterstützen? Oder als neuer Freund für eines der Adelskinder? Vielleicht auch beides. Oder sie wollte sich selbst und der Welt beweisen, was für ein unglaublich netter Mensch sie doch ist, hat dich deshalb gütiger Weise aufgenommen und damit ihr Seelenheil gesichert. Und dort hast du dann die ganzen Sitten der gehobenen Gesellschaft erlernt und verinnerlicht. Und für die Chancen, die sie dir in deinem Leben gegeben hat, bist du ihr auf ewig dankbar.“ Lian stoppte, blinzelte und bemerkte dann, dass er einen ziemlich wichtigen Teil vergessen hatte. Mit der freien Hand rieb er sich über den wuscheligen Hinterkopf. „Warte. Ich hab die Sache mit dem früher ein Mensch vergessen.“ Verdammt! Wie hatte er das einfach vergessen können? Das war doch das Herzstück! Es hatte etwas Urkomisches, denn so, wie der Falls in seinem aktuellen Zustand darüber sprach, wirkte das Thema nicht ansatzweise so ernst, wie es doch in Wirklichkeit war. Eher wie ein kleiner Smalltalk, über den man auch herzhaft lachen konnte. Ob Rownan genauso darüber dachte? Und wenn nicht, konnte man nur hoffen, dass er dem 19-Jährigen sein geringes Taktgefühl aufgrund des Alkoholpegels verzeihen würde. Ein wenig hilflos blickte Lian zu seinem Freund… und schloss dann die Augen, in einem kleinen Moment von Klarheit. „Ich könnte mir jetzt irgendetwas ausdenken…“, äußerte er, überraschend klar und deutlich. „Aber ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung.“ Eine kurze Stille setzte ein, bevor die Lider des 19-Jährigen sich wieder anhoben und der Moment der Ernsthaftigkeit wie weggewischt war. Stattdessen funkelten die grünen Seelenspiegel Rownan interessiert an. „Hilf mir auf die Sprünge. Oh und der Rest der Geschichte muss trotzdem noch bewertet werden! Kommt es hin? Oder lag ich total daneben? Komm schon, das war ziemlich gut.“ Die Mundwinkel des Illusionisten hoben sich weit an, gespannt darauf, wer von ihnen gleich sein Glas leeren musste.
Was ein skurriler Abend. Besser konnte man es vermutlich gar nicht beschreiben, aber diesmal waren auch keine Außenstehenden dabei, denen man das so gleiche-ungleiche Duo erklären musste. Besonders schön war für Rownan jedoch, wie unbeschwert ihr Verhalten war und dabei so gegensätzlich zu ihren Themen. Das Lachen seines Gegenübers und auch der herausfordernde Kommentar gepaart mit einem Zwinkern waren für den Wolfsmann alles Zeichen, das dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Wenn er in diesem Moment kurz darüber nachgedacht hätte, was er aufgrund des steigenden Pegels allerdings nicht tat, hätte er nicht gewusst, wann er sich je so stark ohne Zwänge verhielt, wie in diesem Moment. Scheinbar war es nicht nur der Alkohol, der ihn zu berauschen schien. Das Drücken im Kopf war bereits jetzt ein dauerhafter Zustand, allerdings schien es auch nicht an Lian spurlosvorbei zu gehen, obwohl der Hybrid zurzeit noch das Gefühl hatte, zwar weniger Erfahrungen mit diesen Mengen zu haben, seine Statur ihn aber doch etwas souveräner durch diese Abend bringen würde. Zumindest schloss er darauf als sich jener mit den beiden Gläsern Branntwein zu ihm umdrehte, die jeden Kenner dazu veranlassen würden, wegen dieses blasphemischen Umgangs den Raum zu verlassen. Selbst aber etwas langsamer denkend und auch nicht mehr der eloquentesten Sprache mächtig, riss der Satyrs nur kurz die Augen auf und kratzt ich etwas ungläubig die Stirn. Ich glaube wirklich, dass er uns umbringen will. „Ja, ja. Fürs Aroma“ antworte er stattdessen auf den Kommentar und nahm das Glas so vorsichtig entgegen, wie er konnte. Über die Reaktion auf seine abschließende Frage hätte der Grauhaarige beinahe einen ganzen Batzen Brandy auf den Boden befördert, konnte sich aber im letzten Moment noch zusammenreißen. Vielleicht war es gut, dass die beiden nicht mehr so viel nachdachten. Ein wirkliches Anstoßen ergab sich auch nicht mehr, denn auch dann hätten sie die kostbare Flüssigkeit verschüttet. So prosteten sie sich eher zu. Was dem peniblen Magier vorher fast noch sauer aufgestoßen wäre, ging nur völlig an ihm vorbei. Auch er nahm einen kräftigen, vielleicht zu kräftigen Schluck, als das Brennen in seiner Kehle einsetzte. Himmel! Statt eines Hustens hörte es sich bei ihm eher wie ein tiefes Bellen an. Ach ja, ich kann ja bellen stellte er daraufhin etwas belustig fest. Allgemein schien jede Kleinigkeit immer witziger zu werden. Wie es für Abende unter Alkoholeinfluss üblich war, dauerte es auch nicht lange, bis die ersten … Ideen kamen. Eine Beschreibung sollte der jeweiligen Person überlassen werden. Für Rownan war es eine Gelegenheit unter Umständen selbst etwas in den Ring zu werfen. Sofern er sich bis dahin noch erinnern konnte. Zwischen Lian und dem Glas abwechselnd hin- und herschauend, musste er sich doch durchringen diesen Vorschlag zu bejahen. Nicht, weil er Angst hatte zu verlieren, sondern eher, weil er Angst hatte den Braunhaarigen frühzeitig aus dem Abend zu verabschieden. Noch konnte er sich Sorgen machen. Dann wiederum war es seine animalische Seite, die heute ganz andere Eigenschaft verstärkte. Das erste was ihm aufgefallen war, war sein Geruchssinn. Mit jedem Schluck den er nahm und der seine Zunge lähmte, war es seine Nase, die immer empfindlicher wurde und gefühlt mehr Nuancen wahrnahm als je zuvor. Und in diesem Moment war die Herausforderung etwas, das ihn fast schon motivierte. Das Risiko etwas zu probieren, reizte ihn, auch wenn das Ergebnis mehr als Unsicher war. Eine Erkenntnis, die im späteren Verlauf noch etwas wie eine Motivation darstellte. Kein Wunder, dass er ihn mit einem fetten Grinsen begegnete. „Ich freue mich dir eine Nid, eine Nieda … dich verlieren zu sehen“ entgegnete er auf das Spiel. Er musste möglicherweise aufpassen sich nicht die Zunge abzubeißen. Aber dafür war es gerade viel zu witzig.
Siegessicher stellte er die beiden Flüssigkeit ab, um sich ein Stück nach hinten zu lehnen, auf seine Hände gestützt, um die kommende und vermutlich absurde Erklärung voll auf sich wirken zu lassen, ohne dabei etwas zu verschütten, denn er vermutete bereits gleich herzlich lachen zu müssen. Wie viele er einfach redet. Spätestens als er meinte, dass seine Gönnerin ein unglaublich netter Mensch sein konnte, konnte er nicht mehr an sich halten und kugelte sich förmlich auf dem Bett des Illusionisten. Ein ganz und gar bizarre Darstellung, wenn man den alltäglichen Rownan kannte. Umso stärker wurde es nur, als Lian selbst bemerkte, dass er den wichtigsten Teil vergessen hatte und damit auch sein Schicksal besiegelt hatte. Wenn der Hybrid sich mal wieder an dieser Abend erinnerte, sofern davon Erinnerungen blieben, wäre der Moment, an dem er über seine Vergangenheit amüsiert war, sicher eine sehr besondere Erinnerung. Es dauerte einen Moment, bis der Lupine sich gefangen und wieder aufgerichtet hatte, ehe er zu seinem Gesprächspartner schaute, während er sich eine Träne aus den Augen wischte. Das war wohl lange überfällig. Jener schaute ihn jedoch etwas hilflos an, weshalb auch der Tiermensch wieder etwas ernster wurde. Wenn auch nur einen kurzen Moment, ehe die etwas glasigen Seelenspiegel ihn ansahen. Immerhin hat er nicht kampflos aufgegeben. Löblich! Dabei hätte ihm die Antwort doch schon lange klar sein müssen. „Lian, Lian, Lian ... für jemanden der sonst so’ne fixe Zunge hat, hätte ich jetzt zumindest mal ne wahnwitzige Story erwartet. Aber der erste Teil war schon echt gut“ säuselte er als Antwort auf die Aussagen des Braunhaarigen. Man musste jede Trinkpause nutzen. Dann baute er sich etwas vor ihm auf, um seine sonst so erhabene Haltung wenigstens Ansatzweise wieder einzunehmen, die Fingerspitzen seiner rechten Hand dabei auf die eigene Brust gerichtet, was selbst ein bis zwei Versuche brauchte. Unter Umständen veralberte er sich jedoch selbst ein wenig. „In meiner unendlichen Güte rechne ich dir einfach mal ein Viertel Wahrheit an und drei… dreivier … der Rest ist falsch“. Dann baute sich langsam ein Lachen auf, zwischen welchem er noch ein paar Worte herauspressen konnte. „Warum ein Viertel? Ganz einfach: weil ich es selber nicht weiß!“ pustete der Wolf heraus und musste nun wirklich Lachen. Aber das Lachen hatte nicht nur fröhlichen Charakter, es wirkte gleichzeitig auch schwermütig, schmerzerfüllt. Wie ein Hilfeschrei. In den Ausufern griff er nach seinem Branntwein und trank auf Anhieb etwas mehr als nur das versprochene Viertel, eher er fast gedankenversunken in das Glas starrte, die betäubende Wirkung des Getränks ersehnend. Dabei dachte er jedoch nicht wirklich nach, sondern hatte tatsächlich einen Aussetzer, der wahrscheinlich auf die ausgesprochene Erkenntnis zurückzuführen war. Eine erneute Stille setzte ein, ehe er zu Lian herüberschaute. „Ich weiß es nicht Lian. Und da fängt auch meine Geschichte an, Rownans Geschichte jedenfalls“. Noch einen Moment schaute er etwas betrübt, bevor er kurz die Augen schlossen und der betrunkene, gut gelaunte Wolf zurückkehrte, der den Magier mit einem verschmitzten Grinsen ansah. „Aber die Geschichte hatte mehrere Akte, ja Akte, mein Leben als Theater. Und nicht alle sind so traurig wie der Anfang!“ begann er zu erzählen. Einen weiteren kräftigen Schluck aus der Weinflasche nehmend, sprang er mit dieser in der Hand förmlich auf nur um dann etwas nach links und rechts zu taumeln. Keine gute Idee, gar keine gute Idee!. Dann nahm er sich den Stuhl, auf dem zuvor sein Gastgeber saß und drehte jenen zu diesem, um dann einen Fuß drauf abzusetzen. Eine gute Stütze in seinem Zustand. „Es war vermutlich die dritt oder viert kälteste Nacht in meinem gesamten Leben“ begann Rownan zu erzählen und untermalte dabei die Szene in dem er sich die Arme rieb. Und dann erzählte er. Vielleicht nicht so wortgewandt, wie der folgende Text sein würde, aber die Quintessenz war die gleiche. Es war definitiv ein Schauspiel. Wann immer die Sphynx eine Frage hatte, stoppte er, um dessen Wissensdurst zu stillen.
Es begann genau mit der Erinnerung, die noch so eindrücklich eingespeichert war: Mit zwölf Jahren, in einem Waldstück in der Nähe von Crystalline Town, blutverschmiertes Maul und Pranken und nicht mehr am Leib als ein Mantel. Jeder Versuch sich daran zu erinnern, wie er dorthin gekommen war, resultierte in einem furchtbaren Kopfschmerz. Die einzigen Fetzen waren die Schemen einer Frau in einer Hütte, ein paar Gesprächsfetzen hier und da. Genug, um ihm zu sagen, dass er ein Mensch gewesen war. Ein Mensch gewesen sein musste. Gefangen im neuen Körper dauerte es nicht lange, bis man ihn aufgegabelt hatte. Überraschender-nicht überraschenderweise konnten die Behörden weder herausfinden wer noch was er war. Das lag vor allem aber daran, dass er sich sprachlich nicht verständigen konnte, sondern nur mithilfe von Karten. Es war eine Adlige, Lady Deardorff, die ein hiesiges Weisenheim betrieb und das ungewöhnliche Findelkind unter ihre Fittiche nahm. Bereits an der Art, wie Rownan über sie sprach, konnte Lian gewiss bemerken, welchen Respekt er für diese Frau empfand. So hatte der Braunhaarige nicht ganz unrecht: Die Frau hatte eine Agenda, aber nicht lieb zu sein und die Welt zu verbessern, sondern Leistung zu fördern, wo Leistung gezeigt wurde. Sie war es auch, die ihm die Karten entriss und ihn zu sprechen nötigte. So sparte der Hybrid auch die Erzählungen des ersten Tages ohne Essen nicht aus. Es ging heute immerhin um die ganze Wahrheit. Aber es war jener Tag der ihn in die Bibliothek trieb. Es war jener Abend in welchem er Bücher bekam, die ihn der Sprache wieder mächtig werden ließen, aber auch der Ursprung seines selbstgewählten Namens war. Fast schon majestätisch baute er sich diesmal auf dem Stuhl auf. „Rownan, der strahlende Ritter. Es ist ein tolles Buch. Es würde dir sicher gefallen“ fügte er kurz ein und schenkte seinem Ein-Mann-Publikum ein warmes Lächeln und seiner Flasche einen großen Schluck. Das war ein Herzensthema. So verging einige Zeit in welcher er sich immer mehr von den anderen Kindern abkapselte und die meiste Zeit mit Lesen verbrachte. Dazu kamen natürlich Dinge wie einen Stift halten, ohne ihn zu zerstören, ebenso mit Klamotten und anderen Dingen des alltäglichen Lebens, die er von neuen lernen musste. Aber er hatte einen Ort gefunden, der ihn so nahm wie er war. Zumindest war das sein Eindruck gewesen. Weiter äußerte er sich erst einmal nicht dazu.
Es zogen einige Jahre ins Land und als er ungefähr 15 Jahre alt war, fing er zusehends an den adligen Besuch seiner Gönnerin zu beobachten, statt seinen spärlichen Erinnerungen nachzutrauern. Und so dauerte es nicht lange, bis sie ihn nicht nur einkleidete, sondern auch in diesen Kreis integrierte. Es waren diesen Treffen, die ihm nicht nur das Fechten beibrachten, sondern auch seine Persönlichkeit zu dem formten, was sie heute war. Auch hier hatte er rückblickend nie das Gefühl eine Attraktion zu sein, sondern einzig durch seine Umgangsformen und sein Verhalten positiv aufzufallen. So kam es, dass er nicht mit 18 das Waisenhaus verließ, sondern seine eigene kleine Stube bekam, um weiterhin an sich und seinen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu arbeiten. Die Erinnerung an ein Leben davor, wirkten eher wie ein Traum und so hatte er vermeintlich damit abgeschlossen. Er war nun eben Rownan und etwas anderes kannte er auch nicht wirklich. Erst mit 23 Jahren beschlich ihn der Eindruck von Stagnation. Und das war der Tod von Entwicklung. Statt eines sentimentalen Abschieds wirkte der seine eher wie ein bürokratischer Akt, genau so erzählte er es auch. Einzig die Waffe, die er erhielt, war Zeuge von etwas Unterschwelligen. Natürlich erzählte er auch, dass er diese Waffe bezahlen musste. Es war also kein wirkliches Geschenk, eher ein Darlehn. Mit dem Fokus auf seiner Waffenkunst und der geringausgeprägten Magie trieb es ihn zu den Künstlern von Satyrs Cornucopia, die Gilde, die auch die Heimat einiger anderer Kämpfer war und somit ideal ausgestattet war, sich weiterzuentwickeln. Es folgte eine kurze Pause, in welcher sich der Ton der Geschichte veränderte. Es war die erste Quest, die ihm zeigte, wie isoliert er doch groß geworden war, fern von Konflikt und Stress. Es war eine Szene, die Lian nur allzu bekannt vorkam: Der Geruch von Blut und der Kampf auf Leben und Tod hatte seine sonst scheinbar schlafende, animalische Seite in eine Art Overdrive befördert, die beinahe darin geendet wäre, den Angreifer bei lebendigem Leibe zu verspeisen. Es war das erste Mal nach fast elf Jahren, dass er wieder bemerkte, wie wild er sein konnte. Sichtbar schüttelte Rownan sich, nachdem dies ausgesprochen hatte. „Es war dieser Moment der mir zeigte, dass in mir viel vorging, von dem ich selbst nichts wusste. Ich hatte nicht mit mir oder meinen Vergangenheit abgeschlossen. Sie wurde einfach unter einem Deckel gehalten“. Noch nie hatte er sich so kritisch über seine Zeit im Waisenheim geäußert. Aber auch das fühlte sich zwar neu aber gut an. So war es nicht verwunderlich, dass er wieder lächelte, aber eher zu sich selbst als zu seinem Gegenüber. Die wenigen klaren Momente und auch Aussagen waren Zeuge dieser Erkenntnis.
„Und dann, als ich ein wenig Pause von der Erfahrung haben wollte und einfach etwas arbeiten, da traf ich auf einen echt frechen Magier aus Crimson Sphynx, der mal ordentlich vermöbelt werden wollte“ begann er den letzten Teil seiner Geschichte und schaute erst jetzt wieder mit demselben Grinsen wie zu Beginn der Geschichte zu Lian, ehe er etwas ernüchtert in seine leere Weinflasche schielte. Hatte er sie nicht gerade erst geöffnet? Wie lange hatten sie geredet? Der Mond war bereits gut erkennbar im Sternenhimmel. Ach ja geredet, er war ja noch nicht fertig. „Aber der Typ hat mir gezeigt, dass es vielleicht doch nicht ganz aussichtlos ist, gegen die eigene, die vermeintliche eigene Natur anzukämpfen. Das da draußen Leute sind, denen es auch so geht. Vielleicht…“ begann er seinen Satz und wollte sich, nachdem er die Weinflasche abgestellt hatte, eigentlich wieder zum Magier begeben, stolperte jedoch und riss diesen förmlich mit sich nach hinten aufs Bett. Immerhin waren sie weich gelandet und auch die Sphynx hatte in diesem Moment glücklicherweise nichts in der Hand gehabt. Rownans Schädel pochte. Erst jetzt bemerkte er, wie nah sie sich durch seinen Sturz gekommen waren. Aber der Betrunkene wollte erst einmal seinen Punkt zu Ende bringen. Wollte er nicht auch irgendeine Idee einbringen? Ihre Position war für beide mehr als vertraut und dabei gleichzeitig eine Mischung aus zwei Szenen ihrer Vergangenheit: Rownan war über ihm, ähnlich ihrer Prügelei in der Kabine. Gleichzeitig war es aber diese Nähe und Atmosphäre, wie sie sie an der Bar miteinander geteilt hatten, ehe sie fast schon In flagranti erwischt wurden. Das würde heute nicht passieren. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Die glasigen Seelenspiegel der beiden waren klar erkennbar. Der Geruch des Bogenschützens war so stark wie nie zuvor, während das Herz des Lupinen schneller klopfte. Vorsichtig führte er eine Hand Lians zu seine Schnauze und strich mit jener über diese, eher er sie darauf verweilen ließ, um seinen Worten unterbewusst etwas mehr Gewicht zu verleihen; bewusst sich durch die Berührung ein wenig Trost spenden. „Vielleicht jage ich etwas, dass unerreichbar ist“ begann er zu sprechen, ehe er selbst mit seinem Daumen auf der Wange seine Gegenübers vorsichtig entlangstrich, darauf bedacht ihn nicht zu kratzen „aber ich würde es ewig bereuen, wenn ich es nicht wenigstens probiert hätte“. Dabei schaute Rownan sehr intensiv in die Augen des anderen, so gut es ihm in den Augenblick möglich war., untermalt mit dem Hauch von etwas Neuem. Ganz konnte sich jedoch nicht überwinden. Was Lian wohl tun würde? So wirklich hatte er einige Fragen noch nicht beantwortet, aber wie sollte es bei einem Kennenlernen unter Alkohol auch anders sein. Nicht die klügste Idee des Abends. Aber vieles war in diesem Moment in den Hintergrund geraten.
Eindeutig zeigte der Alkohol nicht nur bei Lian Wirkung. Der Braunhaarige konnte sein Lachen nicht unterdrücken, als Rownan sich kurzerhand nach hinten auf das Bett warf und vor Belustigung kugelte. „Ey! Das ist nicht lustig!“, wehrte sich der 19-Jährige mit auffallend wenig Nachdruck und grinste dämlich vor sich hin. Natürlich war es lustig, denn die Geschichte, die der Falls erzählt hatte, traf vermutlich nicht ansatzweise die Wahrheit. Es klang vielmehr wie aus einem schlechten Roman geklaut, den man aus irgendeiner Ramschtheke mitgenommen hatte. Darüber war sich Lian in seinem aktuellen Zustand allerdings nur vage bewusst und stieß daher hörbar die Luft aus, als der Satyrs sich wieder einigermaßen gefangen hatte, neben ihm saß und ihm direkt in die Augen sah. Eine wahnwitzige Story? Kritisierte Rownan gerade wirklich die Geschichte, die Lian erzählt hatte? Wie konnte er es nur wagen! „Der erste Teil? Komm schon, die ganze Story war gut!“, kommentierte der 19-Jährige und lachte seinen Kollegen ungehemmt aus, als dieser drei Anläufe brauchte, um die rechte Hand auf der richtigen Stelle an seiner Brust zu platzieren. Nicht, dass der Falls das gerade besser oder schneller hinbekommen hätte… Er gestand ihm ein Viertel Wahrheit zu? Lians Mundwinkel hoben sich weit an, der Kopf ein bisschen nach vorne geneigt. „Wow, wie nett! Du bist so ein Wohltäter, Rownan. Aber ich bin ein Mann von Ehre und halte mich an mein Wort!“ Einen Hauch zu inbrünstig nickte Lian, umgriff genauso wie sein Freund das Brandy-Glas fester und führte es an die Lippen, um dem Plan, das Glas zum ausgemachten Teil zu leeren, auch nachzukommen. Allerdings war es nicht nur das höllische Brennen in der Kehle, das diesem vollkommen irrwitzigen Vorhaben ein jähes Ende bereitete. In der Eile verschluckte sich der Falls, was sogleich einen lautstarken Hustenanfall zur Folge hatte. Nein, bei Dreiviertel des Glases war er noch nicht angekommen, doch der Drang, seine Lunge zu retten überwog dann doch seinen sonst so wertvollen Stolz. Rownan schien sich nicht wirklich daran zu stören, dass sein Freund auf der Hälfte des Weges hatte abbrechen müssen und nach Luft schnappte, was wohl endgültig der Beweis dafür war, dass beide Magier ein wenig… die Kontrolle über die Situation verloren hatten. Das Husten des Lockenkopfes ging fließend in ein schadenfrohes Lachen über, als der Wolf sich aufschwang und zuerst unkoordiniert nach rechts und links schwankte. Man konnte nur hoffen, dass die Wände der Wohnung dick genug waren, dass die Nachbarn von Lian sich von diesem schallenden Gelächter – das vermutlich noch weit in die Nacht hinein anhalten würde – nicht gestört fühlen würden. Und wenn doch, dann war das eine Problematik, die dem 19-Jährigen derzeit herzlich egal war. Aus glasigen Augen beobachtete er die Bemühungen des Lupinen, der sich einen Stuhl der Wohnung schnappte und seinen Fuß darauf abstellte, bevor er mit seinen Erzählungen begann. Das Leben des Rownan – eine Geschichte, an der Lian großes Interesse hatte, weshalb er sich bemühte, sich ruhig zu verhalten. Aber egal wie sehr er sich anstrengte, immer wieder setzte ein Kichern ein, bei dem der Falls manchmal gar nicht sagen konnte, warum genau er eigentlich kicherte. Leider ließ sich dieses Kichern auch nicht mit erneuten Schlucken Brandy oder Wein ersticken, wie der Falls im Verlauf des Abends bemerken würde. Es wurde eher schlimmer.
Es wurde ein langes und ausführliches Gespräch, das die beiden Magier miteinander führten. Die Worte, die sie wählten, waren vielleicht nicht so tiefgründig und kultiviert, wie beide Männer im Normalzustand fähig gewesen wären und doch wurden nach und nach alle Informationen vermittelt, die Lian hatte in Erfahrung bringen wollen. Rownan konnte sich also nicht mehr an sein Leben als Mensch erinnern, genauso wenig wusste er, wie und warum genau er zu einem Lupinen geworden war. Das hörte sich so absurd an, so … merkwürdig. Natürlich glaubte der Falls der Geschichte des Satyrs, allerdings war es nur dem Alkoholpegel geschuldet, dass sich der Bogenschütze nicht sofort das Hirn darüber zerbrach, wie es tatsächlich dazu hatte kommen können. Welche Möglichkeiten es gab und wie man herausfinden konnte, was hinter dieser Verwandlung steckte. Nein, das waren Dinge, zu denen der sonst ziemlich kopflastige Lian Falls gerade nicht fähig war. Daher nahm er hin, was Rownan erzählte und hinterfragte für den Moment nicht weiter. Vielleicht würden diese Gedanken kommen, sobald er seinen Rausch ausgeschlafen hatte – vorausgesetzt, er konnte sich an die Details von Rownans Geschichte dann noch erinnern, aber auch das war ein Thema für einen späteren Zeitpunkt. „Rownan der strahlende Ritter, wie passend!“, war stattdessen der deutlich weniger philosophische Beitrag, den der 19-Jährige zu leisten hatte und er hob das Glas in seiner Hand an, um zusammen mit Rownan einen weiteren Schluck zu nehmen und damit auch endgültig seinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen – ohne sich ein weiteres Mal zu verschlucken. Der Hybride erzählte seine Geschichte weiter und der Falls legte das Glas ab, führte stattdessen eine Hand an seinen Kopf und kniff die Augen einmal zusammen. Obwohl er saß, drehte sich die Welt um ihn herum – Puh. Wie viel Zeit mittlerweile vergangen war, konnte der Braunhaarige nicht sagen, aber in einem kurzen Moment der Klarheit wurde Lian bewusst, dass er dringend einen Gang runterschalten sollte. Nicht, dass das noch viel rettete… und nicht, dass dieser Moment der Klarheit sonderlich lange anhielt. Spätestens als Rownan erzählte, wie er sich die Sitten der adligen Kreise angeeignet und das Fechten erlernt hatte, war seine volle Aufmerksamkeit wieder auf den Hybriden gelenkt und die Sorgen und Nöte, die er zwischenzeitlich verspürt hatte, gänzlich vergessen. Genauso wie der Gedanke, dass er seine Alkoholgrenze für heute eindeutig erreicht hatte. Als Rownan von seiner ersten Quest sowie den Dingen, die dort geschehen waren, berichtete, konnte nicht einmal Lian lachen. Natürlich erkannte er die Parallelen zu der Situation im Zug und konnte sich daher gut vorstellen, wie ernst die Situation damals gewesen war. Es war dieser Moment gewesen, der dem Hybriden gezeigt hatte, dass Dinge in ihm vorgingen, die er selbst nicht greifen konnte. Und auch, dass er mit sich selbst und seiner Vergangenheit nie abgeschlossen hatte. Der Falls konnte in seiner Verfassung nicht sagen, warum ihn die Worte viel mehr trafen, als er erwartet hatte. Doch es könnte sein, dass es eine erneute Parallele zwischen beiden Magiern gab, die sich hiermit offenbart hatte. Dass es Lian vielleicht mit sich selbst ganz ähnlich ging, er weder alles verstand, was in ihm vorging noch bis zum heutigen Tag mit seiner Vergangenheit hatte abschließen können, um in eine neue Zukunft zu gehen.
Und dann kamen sie der Gegenwart näher. Das gleiche Grinsen, das sich in den Zügen von Rownan zeigte, entfaltete sich auch auf dem Gesicht des 19-Jährigen. „Frech? Du meintest wohl verwegen“, korrigierte er inmitten des Satzes und musste erneut lachen. Lian war schon immer jemand gewesen, der sich durch seine lose Zunge in Situationen manövrierte, die er weder kontrollieren noch gewinnen konnte und das war ihm bewusst. Damals im Zug war es nicht anders gewesen und der Ausgang der Prügelei eigentlich von Beginn an eindeutig gewesen – dennoch hatte der Falls es damals provoziert, hatte riskiert, ein blaues Auge zu bekommen, weil er einfach nicht anders konnte. Nicht nur einmal in der Vergangenheit war auch genau das das Resultat seiner Provokationen gewesen, wenngleich er bei der Auseinandersetzung mit Rownan mehr Glück gehabt hatte. Vielleicht war das Wort frech daher gar nicht so falsch. Der resignierte Blick des Lupinen in seine leere Weinflasche zauberte sofort wieder ein breites Grinsen in Lians Gesicht, der sich bei den folgenden Worten mit den Händen nach hinten lehnte und kurz gen Zimmerdecke starrte. „Hört sich ja nach nem ziemlich krassen Typen an“, äußerte er bewusst großspurig und grinste in sich hinein. Nur kurz zuckten seine Augen, als Lian merkte, dass sein Blick ziemlich verschwommen war und er sichtlich Probleme hatte, sich zu fokussieren. Plötzlich erfasste irgendein Stoß seinen Körper, der Bogenschütze wurde umgerissen und das Bett in seinem Rücken federte den unerwarteten Sturz ab. Als er die Lider wieder anhob, sah er direkt in ein Paar eisblauer Augen, die nur wenige Zentimeter von ihm entfernt waren. Der Mund des Falls öffnete sich einen Spalt breit und viel zu langsam – dem Alkohol sei es geschuldet – realisierte er, wem diese Augen gehörten, in die er blickte. Dass es Rownan war, der ihn gerade umgeworfen hatte und dessen Körper gerade auf seinem lag. Allein die Zeit, die es dauerte, bis Lian allmählich verstand, was geschehen war, verdeutlichte, dass er wirklich betrunken war. Es war wie damals in der Kabine, auch damals hatte der Satyrs den Illusionisten unter sich fixiert, sich über ihm aufgebaut. Und doch… war es gänzlich neu. Lian hätte damit gerechnet, dass Rownan sich sofort von ihm herunterrollen würde, doch das tat er nicht. Er sah direkt in die hellgrünen Augen des Illusionisten, griff dann nach seiner Hand und führte diese an seine Schnauze, streichelte diese und ließ sie schlussendlich dort verweilen. Der Braunhaarige war perplex, denn damit hatte er nicht gerechnet. Und als er die sanfte Berührung an seiner eigenen Wange spürte und dieses spezielle Funkeln in den eisblauen Augen des anderen Magiers erkannte, konnte auch Lian sich der Situation nicht mehr entziehen. Das was Rownan sagte, sein Blick, die Tatsache, dass er sich nicht von ihm entfernte – es war ziemlich eindeutig, wohin das hier führen sollte. „Verführst du mich etwa?“, fragte der Bogenschütze fast schon provokativ nach und plötzlich kam das Grinsen zurück auf seine Lippen. Offensichtlich waren sie beide ziemlich betrunken. Aber egal wie betrunken der Falls war: Er war niemand, der sich kampflos ergab, egal in welcher Hinsicht. Und so konnte er auch jetzt seine lose Zunge nicht unter Kontrolle halten.
Nein, das war absolut nichts, womit der Illusionist zu Beginn dieses Abends gerechnet hatte. Es war auch nichts, was er einkalkuliert hätte. Normalerweise hätte Lian nachgedacht, hätte sich überlegt, wie er auf diese Situation reagieren sollte, was sinnvoll war und was nicht. Er war ein Kopfmensch, ein Stratege. Leider waren all diese Dinge gerade nicht existent, fortgespült von Unmengen Wein und Brandy. Und diesem Umstand war es nun geschuldet, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich von der Situation treiben zu lassen. Der Braunhaarige leckte sich instinktiv über die Lippen, ohne Rownan dabei aus den Augen zu lassen. Gerade hatte er eindeutig das Bedürfnis, die Erkundungstour, zu der er eingeladen worden war, fortzuführen. Er fuhr die empfindliche Schnauze des Magiers entlang, der er zuletzt eine ziemlich heftige Kopfnuss verpasst hatte, jetzt aber das erste Mal wirklich berühren konnte. Als er an der Wange des anderen ankam, vergrub er seinen Daumen in dem Fell, strich darüber und erfasste, wie es sich anfühlte. Es war eine Form von Intimität und Nähe, die der Bogenschütze schon lange nicht mehr mit jemandem geteilt hatte… und je länger sie so zusammen auf dem Bett lagen, desto deutlicher spürte der Falls, wie sehr sich sein gesamter Körper dennoch nach dieser Intimität sehnte. Natürlich, was sollte man auch anderes erwarten? Auch wenn er einen Sturm in den Tiefen seines Körpers spürte, der allmählich an Stärke gewann, ließ sich Lian doch ausreichend Zeit, um diese Situation auf sich wirken zu lassen. „Probieren, hm?“, wisperte die Sphynx weiter, als er auch die zweite Hand hinzunahm, um die Erkundungstour von Rownans Körper fortzuführen. Ohne lange darüber nachzudenken, wanderten die Hände des 19-Jährigen unter das Oberteil des Hybriden und während sie über den Bauch langsam hinauf zur Brust wanderten, schob der Falls das Kleidungsstück Stück für Stück nach oben. Instinktiv näherte er sein Gesicht dem des Satyrs, die letzten Zentimeter überbrückend, die ihre Gesichter voneinander getrennt hatten. Er konnte seinen Atem spüren und als Lians Hände über seine Brust strichen, meinte er beinahe, das Herz des Anderen nicht nur zu spüren, sondern lautstark schlagen zu hören.
„… und er hat mir das Herz aus der Brust gerissen.“
Es war eine Stimme, die Lian nur in seinem Kopf hörte – und doch brachte sie ihm einen kleinen Moment der Klarheit zurück. Diese Stimme, diese Erinnerung… und dann wurde ihm bewusst, wie ähnlich diese Situation zu seinen Alpträumen war, in denen genau dieser Moment darin endete, dass jemand das Herz aus Gins Brust riss, während sie sich über ihn beugte. Rownans eisblaue Augen – es waren eisblaue Augen, wie auch Gin sie hatte. Das Bild des faustgroßen, pumpenden Fleischklumpens, auf den der Falls in seinen Träumen immer wieder entsetzt starrte, blitzte in seinen Gedanken auf. Und so hielt Lian nun doch inmitten seiner Bewegung inne, sein Atem ging schwer, während seine Augen sich verengten. „Scheiße, Rownan. Wir sind sturzbetrunken“, brachte er gerade so hervor und verharrte inmitten der Position, unschlüssig darüber, ob er sich zurückziehen sollte oder nicht. Rownan hatte viel erzählt, wusste allerdings umgekehrt fast nichts über ihn. Das hier war nicht geplant gewesen und sie waren beide gerade nicht ganz Herr ihrer Sinne. Es wäre das Richtige, den Abend an dieser Stelle zu beenden… aber noch bewegte sich Lian nicht. Was Rownan darüber wohl dachte?
Was Rownan darüber wohl dachte? Da brauchte man sich die beiden ja nur kurz angucken, um zu wissen, dass auch im Hybriden relativ wenige, geschweige denn komplexe Denkprozesse noch stattfanden. Jetzt in diesem Moment, als die beiden sich so intensiv ansahen, wirkte alles bis zu diesem Punkt fast wie nebensächliches Geplänkel, oberflächliches Getue oder vielleicht auch eine Art Vorspiel. Zu gerne hätte er sich mit Lian über das Gesagte wirklich ausgetauscht, aber dafür waren beide schlichtweg zu betrunken. Vermutlich würde er morgen noch einmal alles erzählen müssen, zudem war der Braunhaarige selbst noch gar nicht in den Genuss gekommen seine Geschichte zu erzählen. Ihrer beiden Gedanken war viel zu verstreut. Diese Lektion hatten beide heute sicherlich verinnerlicht. Immerhin würden sie zukünftig keine flüssige Unterstützung mehr benötigten. Zumindest sollten das beide hoffen. Aber bereits als der Lupine gestolpert war, waren auch diese ihm sonst so wichtigen Dinge in den Hintergrund gerückt. Kein Denken mehr und am besten auch so wenig Worte wie möglich. Der Wolf in ihm gab ihm nun relativ klar zu verstehen, wohin die Reise gehen sollte. Die Reflexion konnte am nächsten Tag erfolgen. Aber sah das sein Gegenüber genauso? Ganz sicher war sich Rownan nicht gewesen, denn der junge Mann musste noch etwas mehr als der Tiermenschen vom Teufelsgebräus zu sich nehmen. Eine schwache, übriggebliebene Vorsicht schwang noch immer mit. Zum wiederholten Mal an diesem Abend demonstrierte die Sphynx, dass es wohl seine Zunge war, die man auch nicht zum Stillstand bringen konnte. Normalerweise hätte der Satyrs jetzt mit dem Kopf geschüttelt und genau diese Beobachtung kommentiert. Aber jetzt war nicht normalerweise. Stattdessen war es für Grauhaarigen das Signal, dass sie beide sich jetzt endgültig und vollkommen fallenlassen konnten. Als Ersatz für eine Antwort erhielt sein Gastgeber ein ebenso freches Grinsen, welches sich jedoch schnell in einen gierigen, lüsternen Blick verwandelte. Während er selbst noch vorsichtig die Wange des Magiers strich, um sich, trotz seines sehr starken Bedürfnisses nach mehr, zu vergewissern, dass er die Krallen im Griff hatte, bemerkte er, wie Lian sein Gesicht, sein Fell näher erkundete. Dazu hatte er ihn schließlich eingeladen. Nichtsdestotrotz wusste er, dass sein Partner nicht ganz ohne Kratzer wegkommen würde. Das Bett würde allerdings die schlimmsten Dinge für ihn abfangen. Wer jetzt dachte, dass hier zwei Profis am Werk waren, war sichtlich Fehl am Platz. Rownan hatte in diesem Metier gar keine Erfahrung und ließ sich einzig und allein von dem leiten, was sich richtig und gut anfühlte. Und ob der Illusionist schon einmal einen Tiermenschen in dieser Art und Weise vor sich hatte, konnte man gewiss verneinen. So passten auch die nächsten Handlungen nur zu gut in das Thema des Gegenseitig besser Kennenlernens. Und dabei war es nicht mal geplant! Spätestens als die Hände unter das so sorgsam ausgesuchte Polohemd huschten, hatte der Hybrid abgeschaltet. Der Griff in sein Fell hatte ihn bereits in ganz unbekannte Sphären wandern lassen und intensivierte dies nur, als er merkte, wie sich eben jenes Hemd von seiner Haut zu verabschieden begann. „Machen“ flüsterte ebenso zurück, den anrüchigen Ton seines Vorredners mimend. Ihr Gesichter waren jetzt so nah wie sie sich sein konnten, ohne in direkten Handlungen über zu gehen. Auch der Lupine konnte die erregte Atmung seines Gegenübers vernehmen. Gerade war jener es, der die Spannung nicht mehr aushalten konnte, als Lian, in einem Moment der Klarheit, dessen Ursprung sich Rownan in diesem Moment weder erschloss noch interessierte, feststellte, dass sie sturzbetrunken waren. An der Stelle des Braunhaarigen käme jetzt bestimmt eine passende, spitze Bemerkung. Aber im Gegensatz zu diesem, war der Wolf dazu nicht mehr in der Lage geschweige denn in der Stimmung. Abbrechen war schon lange keine Option mehr.
Statt ihm direkt zu Antworten packte er nun selbst sein bereits hochgestreiftes Hemd und riss es sich förmlich vom Leib, nur um es dann in eine x-beliebige Ecke des Raumes zu werfen. Dann erst ging er mit seiner Schnauze wieder so nah heran wie zuvor. „Du redest zu viel“ entgegnete er ihm fast schon emotionslos, ehe er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Kuss vollführte, der sich die letzten Minuten aufgebaut hatte. Allerdings blieben die sonst so tiefen Gedanken in diesem Moment aus. Und das war auch gut so. Ungewohnt war ein passender Ausdruck für ihren Kuss, aber es dauerte nur einige weitere Versuche, bis sie sich aufeinander eingeschossen hatten. Ebenso kurz dauert es auch bis sich nicht nur das Hemd des Falls in einer anderen Ecke des Raumes wiederfand, sondern auch all ihre anderen Klamotten. Gepaart mit einer wieder aufflammenden Erkundung der neuen Areale, der Küsse und der gegenseitigen Zärtlichkeit, war es eine Mischung aus wilder Liebe und romantischer Zweisamkeit. Wer konnte es den beiden in der Blüte ihres Lebens verübeln, dass sie, aber in diesem Fall besonders Rownan, nichts anbrennen ließen? Statt eines Seelenstriptease absolvierten sie nun das echte Programm und noch mehr. Wozu war man schließlich betrunken. Und so kam es wie es kommen musste und die Körperlichkeiten intensivierten sich zusehends. Warum auch nur einige Erfahrungen machen, wenn man sie gleich alle beim ersten Mal machen konnte. Aus Respekt vor den beiden Turteltauben bleibt aber alles weitere der Fantasie überlassen. Der Wolf jedenfalls war sowohl mit sich, seiner Leistung als auch mit seinem Gastgeber mehr als zufrieden.
Sichtlich erschöpft und schwer atmend, verschwitzt und zerzaust rollte sich Rownan nach einem sinnlichen hin- und her mit Lian von diesem ab und kam auf der Wandseite des Bettes zum Stillstand. Es war diese Mischung aus pochendem Kopfschmerz der Spirituosen und extremer körperlicher Betätigung, die nun auf ihn einprasselten und ihn dazu bringen wollten, einzuschlafen. An Anziehen war an diesem Abend für ihn nicht mehr zu denken. Stattdessen rollte er sich noch auf die Seite, um seinen Komplizen mit einem Arm von hinten zu umarmen. Die vereinzelten, leichten Kratzer am Rücken und die teilweisen tiefen Einkerbungen im Kopfteil des Bettes huschten förmlich nur kurz durch sein Blickfeld. Er hatte Recht behalten. Obwohl ihm unendlich warm war, ebenso vermutlich dem Braunhaarigen, sehnte er sich nach weiterer Nähe, die sich nun in einem Kuscheln zeigte. Zärtlich küsste der Lupine dessen Arm ein paar Mal, eher mit einer Mischung aus Müdigkeit und Provokation seine letzten Worte des Tages äußerte: „Deine Zunge ist tatsächlich ganz schön lose, hm“. Erst dann und mit der immer langsameren, tieferen Atmung, verabschiedete der Hybrid sich in das Land der Träume. Wie es ihnen wohl am nächsten Tag ergehen würde?
Lian schwankte und das nicht aufgrund des übermäßigen Alkoholkonsums. Er war bereit gewesen, hatte auf die Verführung des Hybriden eingehen, den Signalen seines Körpers folgen wollen und hatte nicht zuletzt einfach Lust. Die Aussicht auf das, was ihn erwartete, auf die Intimität und die Erlösung hatten ihn komplett unter Strom gesetzt, hatten seine Ungeduld nur noch gesteigert. Er wollte herausfinden, welche Überraschungen Rownan für ihn bereithielt. Und dann, kurz bevor der endgültige Schritt hatte getan werden können, war es diese Erinnerung gewesen, die sich durch den dichten Nebel in seinem Kopf gekämpft und ihn im letzten Moment zum Innehalten bewegt hatte. Der Atem des 19-Jährigen ging schwer, sein Herz hämmerte unaufhörlich und sein Körper machte ihm unmissverständlich klar, dass er eigentlich nicht aufhören wollte, ganz gleich, dass der letzte Teil seines Verstandes ihren Handlungen dazwischenfunkte. Doch mit diesem letzten Funken Verstand war Lian alleine, was das Schicksal beider Magier endgültig besiegelte. Anstatt auf den Hinweis, vielleicht auch die letzte Warnung einzugehen, entfernte sich Rownan von ihm, riss sich energisch das Hemd vom Körper und warf es in irgendeine Ecke des Zimmers. Die Pupillen des Illusionisten weiteten sich, sein Brustkorb hob und senkte sich deutlich. Lian öffnete den Mund, vielleicht um etwas zu sagen, vielleicht auch nur vor Erstaunen, aber das war etwas, das die beiden Magier nicht mehr herausfinden würden. Der Satyrs erstickte sowohl die möglichen Worte als auch den letzten Funken Verstand des Bogenschützen, als er sich dem Falls wieder näherte und sich wirsch den Kuss abholte, der sich in den letzten Minuten angekündigt hatte. Spätestens jetzt war klar, dass es keinen Weg zurück mehr gab. Auch Lian verlor die letzte Kontrolle und ließ sich von dem Moment leiten. Zuerst war es ein Herantasten, ein Probieren, wie es Rownan zu Beginn angesprochen hatte. Es war aufregend, es war neu und gerade dadurch nicht zuletzt extrem erotisierend. Es dauerte auch nicht lange, bis die Küsse intensiver und fordernder wurden und dem Falls klar wurde, dass er es nicht bei diesen Küssen belassen wollte, dass er mehr von Rownans Körper und ihm erforschen wollte, was er dem Hybriden auch unmissverständlich deutlich machte. Es war das Stöhnen und Keuchen, das beiden Magiern in dieser wilden Liebe den Weg deutete, während sie sich ihrer Kleidung nach und nach gänzlich entledigten und sich auf eine ganz neue Art und Weise gegenseitig kennenlernten. Dass dies alles Details waren, an die sie sich am nächsten Morgen kaum noch erinnern würden, war ihnen in diesem Augenblick natürlich nicht bewusst.
Und dann, irgendwann, lag der Falls außer Atem auf seinem Bett. Sein verschwitzter Körper und die wild in der Stirn klebenden Locken deuteten auf die Intensität hin, mit der er und Rownan sich gegenseitig zum Höhepunkt getrieben hatten. Die Welt drehte sich, der Kopf war leergefegt und Lian war vollkommen unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken oder ordentlichen Satz zu formulieren. Es waren ein paar Momente, die beide Magier für sich brauchten, um zu verarbeiten, was soeben eigentlich geschehen war. Gerade bemerkte der Falls auch nichts von den Spuren, die Rownan nicht nur an seinem Bett, sondern auch auf seinem Körper mit den scharfen Klauen hinterlassen hatte. Der Falls war einfach nur zufrieden, entspannt und todmüde. Es war dieser Zustand, in dem sich Lian befand, als sich der Arm des Satyrs um ihn legte, er sich an ihn schmiegte und nach einer im Vergleich zu ihrem Liebesspiel auffallend sanften Liebkosung seines Arms ein paar letzte, provozierende Worte äußerte. Trotz aller Müdigkeit, die der 19-Jährige verspürte, entlockten diese Worte ihm doch ein selbstgefälliges Grinsen. Es waren eben nur ganz spezielle Momente, in denen sich andere Leute über sein loses Mundwerk freuten. „Oh, dabei war das doch nur eine erste Kostprobe“, säuselte er, während ihm die Augen bereits zufielen und er sich in einen tiefen Schaf verabschiedete.
[…]
Nur allmählich und mit einem leisen, aber wenig erfreuten Murren erwachte Lian aus seinem traumlosen Schlaf. Es war das Licht, das ungehindert durch das Fenster seiner kleinen Wohnung drang und die Nase des 19-Jährigen umspielte. Eigentlich fehlten nur ein paar Vögel, die eine liebliche Melodie zwitscherten, um diesen wunderbar sonnigen Morgen perfekt zu machen, oder? „Oh, scheiße…“ So viel dazu. Noch bevor der Falls seine Augen geöffnet hatte, wurde er fast schon erschlagen von seinem hämmernden Schädel. Die Kopfschmerzen zusammen mit dem flauen Gefühl und dem Empfinden, mehr tot als lebendig zu sein, machten Lian ziemlich schnell klar, was mit ihm los war. Die Augen weiterhin geschlossen, wanderte seine rechte Hand an die Stirn und er stöhnte mitleidig auf. Es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass er morgens mit genau diesem Gefühl aus seinem Schlaf erwachte und doch war er jedes Mal aufs Neue überwältigt davon, wie verdammt scheiße es ihm einfach ging. Warum wurde er daraus eigentlich nie schlauer? Das nächste Mal – das nächste Mal würde er früher aufhören. Ein Vorsatz, der vermutlich genauso lange halten würde wie Charons Monatsgehalt. Aus einem Impuls heraus wollte der Braunhaarige sich von der rechten auf die linke Seite drehen und bemerkte plötzlich ein… Hindernis. Weich, direkt hinter sich. Verwundert drehte Lian den Kopf und erstarrte einen kleinen Moment, als er direkt neben sich den noch im Halbschlaf befindlichen Rownan erkannte. Was zum-?! Wie, wie war das geschehen? Erschrocken richtete sich der 19-Jährige auf, stöhnte allerdings sofort wieder, denn die plötzliche Bewegung hatte seinen hämmernden Schädel nur in neuer Intensität zurückgebracht. Und erst danach spürte der Falls, dass er unter der Decke, die nur noch seinen Schoß bedeckte… nackt war. Nackt. Und die hellgrünen Augen mussten nicht lange suchen, um verteilt im Raum nicht nur die eigenen, sondern auch die Klamotten des Hybriden zu finden. „Fuck.“ Wortwörtlich. Sie hatten… hatten sie wirklich? Trotz des Brummschädels versuchte Lian, sich daran zu erinnern, was genau in der letzten Nacht geschehen war, doch irgendwann in den Erzählungen von Rownans Vergangenheit brach einfach alles ab. Auch nach mehreren Anläufen wollten die Erinnerungen nicht zurückkommen, aber wenn Lian ehrlich war, mussten sie das auch nicht – was zwischen Rownan und ihm geschehen war, ließ sich auch ohne genaue Erinnerung sehr gut herleiten. Mit einem Mal fühlte sich sein Mund schrecklich ausgetrocknet an… er brauchte etwas zu trinken. Dringend. „Rownan…“ Es fiel ihm gerade irgendwie schwer, den Namen auszusprechen. Entsprechend musste er sich auch überwinden, zu dem anderen Magier zu blicken, der mit ihm zusammen im Bett lag – wenn er nicht schon wach war, hatte ihn die Aussprache seines Namens vermutlich geweckt? „Erinnerst du dich an mehr als ich?“, folgte sofort die Frage, nicht sicher, welche Antwort Lian am liebsten hören wollte. Dass ihre Zweisamkeit der letzten Nacht unter Alkoholeinfluss tatsächlich die erste Erfahrung des Lupinen auf diesem Gebiet war, war dem 19-Jährigen keinesfalls bewusst. Andernfalls hätte er vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen gehabt…
Unverständliche Worte, Bewegungen auf dem Untergrund, auf welchem er lag, und ein undefinierbares, helles Licht, welches sich den Weg durch seine Augenlieder suchte, waren es, die auch Rownan allmählich aus dem Land der Träume rissen. Dabei hatte er ebenso wenig geträumt, wie die Person neben sich, dessen Existenz er in diesem Moment gar nicht wahrnahm. Was er jedoch direkt bemerkte waren die Kopfschmerzen. Diese ungewohnt heftigen Kopfschmerzen. Warum zur Hölle hatte er soviel getrunken? Warum zur Hölle tranken Leute regelmäßig so viel? Langsam und vorsichtig führte er seine Hände zu den Augen, um sich diese zu reiben, während er, seinem Stammtier typisch, sich reckte und dabei eine Mischung aus Gähnen, Jaulen und Quietschen von sich gab. Er fühlte sich schlapp und erschöpft aber es war eine innere Zufriedenheit, die das Negative mehr als nur relativierte. Insgesamt fühlte sich sein Gefühlszustand so stark anders an als sein leiblicher. Merkwürdig. Eine plötzliche Bewegung gepaart mit einem „Fuck“ holten ihn langsam ins Hier und Jetzt zurück. Er kannte die Stimme, aber warum war sie in seinem Zimmer in Maldina? Aber auch sein Zimmer fühlte sich komisch an. Weder hatte er Decke noch Kissen und auch das Licht kam aus einer ganz anderen Richtung. Das leidige Stöhnen neben sich erfüllte noch einmal den Raum. Das war Lian, ganz sicher. Und dann hörte er diesen seinen Namen aussprechen, wenn auch die Stimme sich alles andere als gut oder gesund anhörte. Träumte er doch noch? Er und Lian, was ein wahnwitziger Gedanke, oder? Oder!? „Erinnerst du dich an mehr als ich?“. Erinnerst. Du. Dich. An. Mehr. Als. Ich… !?. Rownan riss die Augen auf und richtete sich ebenso spontan auf wie es die Sphynx zuvor getan hatte, wodurch ihn das gleiche Schicksal ereilte, wie jenen zuvor und er sich den Kopf mit einer Hand stützen musste. Jetzt erst blickte er rüber zu Lian, der ungefähr auf gleicher Höhe war, ehe er sich langsam umsah. Das war nicht sein Zimmer, aber das waren definitiv seine Klamotten. Den Blick wieder auf den Braunhaarigen gerichtete, begann der Hybrid langsam die Informationen zu verknüpfen. Die Gerüche, die auf ihn einprasselten als seine Nase leicht hin- und herwackelte, verrieten ihm sehr genau , was in diesem Raum passiert war. Der ganze Raum roch förmlich danach. Sie beide rochen verdammt stark danach und auch nach dem jeweils anderen. Ob dies nun als Duft oder Gestank bezeichnet werden konnte, musste jeder für sich entscheiden. Erst mit einem weiteren Blick auf Lian und diesen musternd, bemerkte er jetzt, dass auch er selbst nackt war. Nur ohne eine schützende Decke aber mit jeder Menge Fell.
Wie auf Kommando prasselten die Erinnerungen des letzten Abends auf ihn ein, im Zeitraffer natürlich, weshalb er die Augen zusammenkniff und seine Hand in sein Gesicht wanderte. Kopfschmerz. Einige Details waren weg aber das meiste war noch da. Die innere Zufriedenheit machte sich neben anderen Gefühlen ein weiteres Mal bemerkbar. Aber natürlich erging es seinem Sitznachbarn schlechter. Der verdammte Brandy. Kein Wunder, dass sein innerer Wolf nicht lange fackelte und erneut anklopfte. Immerhin war es ja ein neuer Tag. Dieses Mal und aufgrund seines Zustandes, behielt der, wenn auch mehr schlecht als recht, denkende Rownan die Oberhand. Aber dieser gezielte Reiz setzte den in Abend wieder in das positive Licht, in welchem er auch stand. Beim Grauhaarigen zumindest. Dennoch hatte er auch so viele Fragen, die er auf später verschieben musste. Bis er wieder klarer denken konnte. Beim Illusionisten war er sich jedoch gerade etwas unsicher. War dieser einfach nur genau so fertig wir er oder war da noch etwas anderes? War nicht auch gestern etwas? Das Denken schmerzte, weshalb er es sogleich abstellte. Vielleicht wäre ihm dann auch alles viel unangenehmer als es gerade der Fall war. Was er jedoch wusste: wenn sie beide aufsprangen, sich anzogen und ihrer Wege gingen, wäre es einfach nur merkwürdig. Sie mussten das Passierte auf sich wirken lassen. Und irgendwie war es ein wunderschönes wenn auch ungewohntes Gefühl neben jemandem wach zu werden. Neben Lian wach zu werden. Statt ihm auf seine Frage zu antworten raffte der Lupine sich auf und schleppte sich erschöpft Richtung Küchenzeile. Seine Kehle war ebenso trocken. Eventuell waren es auch vereinzelte seiner Haaren, die sich verirrt hatten und die Trockenheit im Mund des anderen verstärkten. Kurz überlegte er ein Fenster zu öffnen doch der Gedanke an die warme Wüstenluft hielt ihn davon ab. Mühsam füllte er zwei Gläser mit Wasser und schleppte sich ebenso zurück ehe er sich auf die Bettkante rettete und dem Magier vorsichtig eins der Gefäße reichte. Einen leeres Glas später schaute er wieder in die grünen Seelenspiegel, die ihren Zauber bei weitem noch nicht verloren hatten. Gerne hätte er seine freie Hand wieder in das Gesicht gelegt um sich und ihm ein wenig der Sicherheit aber auch der Romantik des vergangen Abends zurückzugeben. Nein, eigentlich wollte er mehr. Das Tier in ihm hatte noch nicht ganz aufgegeben. Sich kurz schüttelnd, stelle er das Gefäß ab und krabbelte stattdessen die wenigen Meter zurück, um sich dann auf dem Rücken fallen zu lassen. Vorsicht legte er eine Hand auf den Rücken Lians, um genau zu sein auf das Gildenzeichen, und kraulte ihn leicht. So schaute er den Wüstenmagier zwar nicht direkt an aber erreichte zumindest sein Zwischenziel von etwas Kontakt. „Lass uns noch ein wenig hier liegen bleiben und in Ruhe wach werden. Dann erzähl ich dir nebenbei gern noch was ich weiß“. Ganz ohne ein etwas schuldiges Lächeln konnte er diesen Satz nicht hervorbringen. Nicht schlecht für das erste Mal. War das etwa Stolz? Er wurde also langsam wach.
Wenn die Ausgangssituation anders gewesen wäre, hätte Lian den Hybriden herzhaft ausgelacht, als dieser sich schlagartig im Bett aufrichtete und ebenso mit Kopfschmerzen bestraft wurde wie er selbst zuvor. Aber jetzt, in diesem Moment, war dem Falls alles andere als nach Lachen zumute. Er konnte sich an absolut nichts erinnern, wusste nicht, ob er damit alleine war und ihm ging es körperlich so verdammt scheiße, dass seine eher eigenbrötlerische Seite deutlich mehr zur Geltung kam als sonst. Normalerweise verkroch sich der Braunhaarige, wenn er am Abend zuvor mal wieder beim Alkohol übertrieben hatte, bis die Nebenwirkungen wieder nachließen und vermied bis dahin jeden sozialen Kontakt. Und jetzt? Ihm war es kaum möglich, sich zu verkriechen und der sozialen Interaktion danach auszuweichen, denn sie hatten ausgerechnet in seiner eigenen Wohnung die Kontrolle verlieren müssen! Zusammengefasst: Dem Falls ging es nicht so gut wie Rownan, der von der klaren Erinnerung an die schönen Momente, die sie miteinander geteilt hatten, profitierte. Was war in ihn gefahren? So manches Mal hatte der Falls sich gefragt, warum sein betrunkenes Ich gewisse Dinge tat oder nicht tat, ohne auch nur eine Sekunde über die Konsequenzen des Ganzen nachzudenken. Und dann sah Rownan ihn an, er konnte direkt in die hellblauen Iriden blicken und das Puzzle setzte sich zusammen. Diese verdammten Augen, schoss es ihm durch den Kopf, einerseits sehr ähnliche Gedanken wie Rownan habend, andererseits doch gänzlich andere. Zumindest ein Stück weit konnte er verstehen, was der betrunkene Lian gesehen hatte. Vielleicht auch hatte kompensieren wollen? Just in dem Augenblick, als der 19-Jährige seine Augen schloss, um die wilden Gedanken zu sortieren, stand Rownan plötzlich von seinem Platz auf und trat hinüber zur Küchenzeile. Perplex sah der Falls dem Hybriden hinterher, der einerseits ohne Kleidung war, andererseits durch das Fell so gut geschützt, dass man doch nicht alle Details erkennen konnte. Rownan lief nackt durch seine Wohnung und füllte zwei Gläser Wasser ab. Ernsthaft: Wenn einem in der Erinnerung der Übergang bis zu diesem Punkt abhandengekommen war, war das so ein unglaublich absurdes Bild, dass Lian es kaum fassen konnte und einen kleinen Augenblick tatsächlich daran glaubte, in irgendeinem wirren Traum festzustecken. Entsprechend nahm er das Wasserglas, das ihm gereicht wurde, ohne große Erwiderungen entgegen und trank davon. Ja, das tat gut. Das war es, was er gerade brauchte. Ihm entkam ein wohliges Seufzen, als er das Glas nach mehreren, langgezogenen Schlucken endlich wieder absetzte und durchatmete.
Nein, Rownan verhielt sich gänzlich anders als der Falls. Anstatt Abstand zu suchen, krabbelte er kurzerhand zurück auf den vorherigen Platz und ließ sich auf den Rücken fallen – ohne Decke und ganz offensichtlich nicht daran interessiert, seine Kleidung wieder anzulegen. Es weckte eine Vermutung in Lian, eine mögliche Antwort auf seine gestellte Frage. Und dann, als er unerwartet ein sanftes und zärtliches Kraulen über seinen Rücken spürte, war es ihm ziemlich klar. Ihre Blicke trafen sich und das schuldige Lächeln, das sich auf die Lippen des Satyrs geschlichen hatte, sagte noch viel mehr aus als die Worte, die er an den Braunhaarigen richtete. Er erinnert sich, wurde dem 19-Jährigen bewusst. Er erinnert sich wirklich. Ja, die Reaktion von Rownan sprach dafür, dass es ihm gefallen hatte. Es sah sogar danach aus, dass er es wiederholen wollte. Natürlich konnte man das als Kompliment werten, aber ehrlich – während ihm die Erinnerungen abhandengekommen waren und er absolut nicht mehr wusste, was genau er eigentlich angestellt hatte, war es für ihn umso merkwürdiger, neben jemandem zu sitzen, der es noch sehr genau wusste. Und dieser jemand war vermutlich genau aus diesem Grund gerade gänzlich anders eingestellt als er selbst. Das flaue Gefühl in Lians Magengegend wurde schlagartig noch schlimmer. Es waren ein paar Sekunden, die verstrichen, in denen der Braunhaarige seinen Kollegen tatsächlich einfach machen ließ… doch anders als gestern Abend hatte der Illusionist seinen Verstand wieder. Und so fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare, legte den Kopf in den Nacken und stieß mit dem Hinterkopf gegen das Fenster, das direkt über seinem Bett war. „Du erinnerst dich…“, murmelte der junge Mann benommen und nahm Rownan die Antwort damit ab. Erst nach dieser Erkenntnis merkte er, dass die Hand des Hybriden immer noch auf seinem nackten Rücken verweilte und erntschied sich, dass er das hier für sie beide wieder in geordnete Bahnen lenken musste. „Rownan, reiß dich zusammen“, ermahnte er den Kollegen, darauf bedacht, weitschauender als gestern Nacht zu agieren. Er machte dem Älteren dabei keinen Vorwurf, denn ganz offensichtlich wusste der Satyrs Dinge, die Lian nicht mehr wusste. Anstatt auf den Wunsch des Hybriden einzugehen und gemeinsam langsam im Bett wachzuwerden, rutschte der Lockenkopf zur Bettkante und gab damit direkten Blick auf seinen Rücken frei, sowohl auf das Gildensymbol (das er Natali damals partout nicht hatte zeigen wollen), aber auch auf die Spuren, die der Wolf im Liebesspiel dort hinterlassen hatte. Sich darüber gar nicht bewusst seiend, griff der Falls nach seiner Boxershorts, die unweit des Bettes zu Boden gesegelt war und zog sich an. Oh? Unter der Unterhose lag seine Kette mit dem Sichelmondanhänger, die Lian immer um den Hals trug – er kam nicht umhin, bei diesem Anblick amüsiert zu grinsen. Wie bezeichnend. Er konnte nicht anders, als sich auch nach dem Schmuckstück zu beugen und es in einer Bewegung über den Kopf zu werfen, was zumindest ein Anzeichen dafür war, dass diese Kette ihm ziemlich wichtig war. Ächzend stand der Illusionist auf und hielt sich den pulsierenden Schädel. Wie gesagt, die eigenbrötlerische Seite des Falls kam gerade deutlich mehr durch. Und dadurch kam auch die nächste Aussage zustande, die er an Rownan richtete: „Ich brauch erstmal ne Dusche. Bin gleich wieder da.“ Er torkelte in Richtung des Badezimmers, ohne auf eine Antwort zu warten und ließ Rownan damit Zeit für sich. Zeit, um ebenso zu Sinnen zu kommen. Zeit, um über den Morgen danach nachzudenken. Zeit, um sich in der kleinen Wohnung umzusehen? Details, über die Lian in seinem aktuellen Zustand eindeutig nicht weiter nachdachte. Wenige Minuten später konnte man das prasselnde Wasser aus dem Badezimmer hören.
Das Haar noch nicht ganz trocken, gekleidet in einer lockeren Jogginghose, trat der Falls einige Minuten später aus dem Badezimmer. Er wirkte kontrollierter, deutlich gesammelter und insgesamt frischer. „Du hast ganz schön Spuren hinterlassen“, äußerte Lian und schmunzelte. Ziemlich eindeutig, was er meinte, oder? Das Wasser hatte ihn auf die Schrammen aufmerksam gemacht, die sich über seinen ganzen Rücken zogen und von denen er sich nur zu gut vorstellen konnte, dass sie ihn in ihrem Liebesspiel nur weiter angestachelt hatten. Die Spuren an seinem Bett waren ihm dabei noch gar nicht aufgefallen… Ja, die Dusche hatte dem 19-Jährigen eindeutig geholfen, wieder mehr zu sich selbst zu finden. Was Rownan wohl in der Zwischenzeit getan hatte? Er trat zurück in den Raum, strich sich ein paar der nassen Strähnen mit einer Handbewegung zurück und blieb am Ende neben der Küchentheke stehen, auf der neben den geleerten Weinflaschen auch der Brandy stand. Natürlich war der Anblick sowie der Geruch gerade nicht ansatzweise so verführerisch wie letzte Nacht – dafür war der Kater noch zu präsent. Ohne groß darüber nachzudenken, setzte sich Lian kurzerhand auf den Boden der Wohnung und lehnte mit dem Rücken gegen den Tresen der Küchenzeile. Bevor sie irgendwie anders weitermachten, seien es Gespräche oder der Versuch eines Frühstücks, mussten sie für klare Verhältnisse sorgen. Das Schmunzeln, das eben noch in seinen Zügen gelegen hatte, verschwand, als er zum Hybriden sah. Lag er noch im Bett? Hatte er sich woanders hingesetzt? Oder war er in einem ganz anderen Teil der Wohnung unterwegs gewesen? „Ich hab einen totalen Filmriss. Ich weiß noch, dass du von Fechtübungen erzählt hast, aber… irgendwo da endet meine Erinnerung.“ Der Braunhaarige wusste nicht, wie genau Rownan zu der ganzen Sache stand, immerhin war seine Erinnerung weniger lückenhaft als die des 19-Jährigen. „Ich weiß nicht, was ich gestern genau getan habe, aber wenn ich mir das Ergebnis so ansehe, haben wir offensichtlich unseren Spaß gehabt.“ Der junge Mann schnaubte amüsiert, bevor er wieder ernster wurde. „Aber das war von uns beiden so sicherlich nicht geplant. Ich…“ Lian brach inmitten des Satzes ab. Was sollte er sagen? Dass Rownans Augen ihn an seine Exfreundin erinnerten? Das wäre vielleicht eher kontraproduktiv. Der 19-Jährige seufzte und setzte anders an, wenngleich man darüber diskutieren mochte, ob es der bessere Ansatz war: „Wir sind uns einig, dass das einfach ein unverbindliches Vergnügen war, oder?“ Er musste es einfach wissen. Damit sie beide wussten, woran sie waren und von dort aus weitermachen konnten. Rownan war immerhin jemand, mit dem der Illusionist auch zukünftig Zeit verbringen wollte, sodass es wohl unumgänglich war, es einmal auszusprechen. Lian fühlte sich ganz merkwürdig, diese Art von Gespräch mit dem Hybriden zu führen... niemals hätte er gedacht, dass sein Besuch zu diesem Ergebnis führen würde.
Scheinbar überlegte Lian noch was genau er sagen wollte oder wie gut oder schlecht es ihm ging. Und damit dachte er letztendlich auch darüber noch was er im Grunde wollte. Dass es der Mangel an Erinnerungen war, der dem Falls tatsächlich so zusetzte, hätte der Grauhaarige in diesem Moment nicht gedacht. Aber vielleicht war dies auch nur ein vorgeschobener Gedanke des Braunhaarigen. Rownan jedenfalls hatte das Gefühl, dass seine Idee Anklang gefunden hatte. Zumindest so lange bis der Hybride ermahnt wurde. Forsch und direkt. Aber es waren nicht nur Worte sondern auch Taten. Ohne darauf zu warten, dass der Satyrs aufhörte, rutschte die Sphynx bereits zur Bettkante, an welcher jener selbst noch vor wenigen Augenblicken verweilt hatte, und zog sich bereits wieder an. Das Bedürfnis nach Distanz war klar kommuniziert worden. Vorsichtig zog Rownan seine Hand zurück, die ohne Widerstand noch in der Luft schwebte, um sich dann wieder aufzurichten. Durch die Handlungen seines Gegenübers konnte er nicht anders als sich mehr als deplatziert zu fühlen. Aber nicht nur das. Es entstand bei ihm auch der Eindruck, dass er etwas Falsches getan hat. Dieser Gedanke war schlimmer als jeder Kater. Denn er hatte das Potenzial sich rapide auszubreiten und alles, was er berührte, zu beflecken. Unwohl in seiner Position zog er die Beine näher an sich, um den Blick auf seinen Körper ebenso zu versperren. Nur kurz fiel ihm dabei die Kette auf, die sich sein Gastgeber überwarf und die eines der vergessen Details darstellte. Eventuell ein Hinweis aber an und für sich erstmal sinnlos. Noch zu perplex etwas zu erwidern hatte sich Lian bereits erhoben und verkrümelte sich in die Dusche ohne auch nur eine Sekunde darauf zu warten, ob sein befellter Gast noch etwas zu sagen hatte. Eine klare Botschaft.
Es dauerte noch einen Augenblick bevor Rownan aufsprang und sich schnell zumindest seine Hosen überwarf. Am liebsten hätte er seine Sachen gegriffen und wäre gänzlich aus dem Zimmer gegangen. Jedoch hielt ihn ein Gedanke in den vier Wänden: er hatte einen Fehler gemacht und er war der Letzte, der so etwas stehen ließ. Eine solche Handlung war überhaupt der Grund für ihr Treffen und weshalb er nach Aloe gekommen war. Sein Kopf schmerzte noch immer und die Gerüche begannen ihn auf unangenehme Art und Weise zu erschlagen. Frischluft. Ein einfacher Antrieb war es der ihn zum Fenster brachte und dieses mit einem Schwung nicht kippte sondern komplett aufriss. Die heißen Winde der Wüste strömten sogleich in den Raum allerdings war es die frische Luft, die anstelle des Wasser für Klarheit in seinem Kopf sorgte. Einige Minuten verweilte er so, bis die Hitze unangenehm wurde und er das Fenster schloss. Dann erst legte er die wenigen Meter zum Spiegel zurück, der neben dem Eingang platziert war. Sein Fell war das reinste Chaos und jede Stelle, die der Falls berührt hatte, wirkte wie ein verlassenes Vogelnest. Ohne Wasser würde er dem nicht beikommen. Die Worte, die an ihn gerichtet waren, waren jedoch unmissverständlich. Würde er den Magier jetzt stören, wären sämtliche Versuche die Wogen zu glätten vergeblich. Frustriert nahm der Wolf verkehrtherum auf dem Stuhl des Schreibtisches Platz und legte seine Hände überkreuz darüber um schlussendlich auch den Kopf auf diesen abzulegen. Er musste warten. Aber so konnte er immerhin über seinen Fehler nachdenken. Aber was genau hatte er verbrochen, dass seinen vermeintlich Seelenverwandten so vor den Kopf gestoßen hatte? War es etwa etwas an das auch der Lupine sich nicht erinnern konnte? Dann hätte Lian jedoch nicht die Wahrheit gesprochen. Oder spielte gar seine Wahrnehmung verrückt. Immerhin hatte er Rownan es mit einem Illusionisten zu tun. Er würde doch niemals ohne Erlaubnis…? Nein, dazu waren sie beide gerade nicht in der Lage. Aber die Wahrheit war ein gutes Stichwort, wenn es um sie beide ging. Hatten sie sich nicht Ehrlichkeit versprochen? Wenn der Braunhaarige nicht von sich aus damit herausrücken würde, dann musste der Hybride eben nachhelfen. Es sich einfordern. So hatte er zumindest einen halbwegs tauglichen Plan, wenn der andere aus der Dusche zurück ins Zimmer kommen würde. Es musste eine Art Missverständnis sein dessen war er sich nun sicher. Das was er gestern erlebt hatte war echt, es musste echt sein. Unabhängig vom Alkohol. Wenn sie das geklärt hätten, könnten sie zu der vertrauten Atmosphäre zurückkehren, die sie sich aufgebaut hatten. Was immer es war er würde sich dafür entschuldigen.
Es dauerte noch einige Zeit, bis die Sphynx aus dem Bad kam. Die Gerüche waren jetzt so gut wie weggewischt, was für den Tiermenschen ein weitere Schlag ins Gesicht war, auch wenn es nur bedingt an seiner Meinung über ein vermeintliches Missverständnisses rütteln konnte. Immerhin blieb seinem Gesprächspartner diese Ebene fast vollständig verborgen. Die Stimmung fühlte sich dennoch genauso kühl an wie zuvor. Und das in Aloe war schon eine Leistung für sich. Statt direkt auf ihn einzureden, wartete der Satyrs ab, ob der Wüstenmagier etwas angenehmeres zu sagen hatte als noch im Bett. Ein frecher Spruch. Was auch sonst. Aber ausreichend um die Stimmung zumindest vermeintlich zu lockern. Rownans fast schon geknickte Haltung und seine schlapp hängenden Ohren richtete sich sichtbar auf. Kehrten sie etwa zur Normalität zurück, sofern man das Verhältnis der beiden als normal bezeichnen konnte. Fehlanzeige. Lian ließ sich ihm gegenüber an der Küchenzeile zu Boden und das Grinsen war einer ernsten Mine gewichen. Kein Wunder, dass auch der Grauhaarige instinktiv schluckte und seine Ohren unterbewusst wieder etwas herunterhingen. Es ging erneut um den Filmriss und die fehlenden Erinnerungen und schlussendlich ihre sinnliche Nacht. Gerade letztere war es, die der Wolf als so wichtig empfand, die den Braunhaarigen besonders aufzuwühlen schienen. Dieser wirkte nämlich alles andere als froh darüber und auch seine Gestik und seine Worte transportierten diese Botschaft. An Klarheit mangelte es beiden nicht. Noch war es aber eine Hinleitung zum eigentlich Grund und der Moment in welchen der Hybrid genau zuhören musste. “Aber das war von uns beiden so sicherlich nicht geplant. Ich…Wir sind uns einig, dass das einfach ein unverbindliches Vergnügen war, oder?“. Die Pause war es noch eher, die den Lupinen stutzig machte, als es die eigentlichen Worte taten. Das war keine Formulierungspause, keine Pause aufgrund ihres Katers. Es war die Befürchtung, die sich zu bewahrheiten schien: Einer von ihnen war nicht ehrlich. Und es war nicht Rownan. Für ihn war es schlicht unmöglich, dass so etwas, wie zwischen ihnen, passieren konnte, wenn es nicht beide Parteien wirklich wollten. Mit einem einfachen Satz hätte er diesen Disput entschärfen können. Aber daran hatte er schon kein Interesse mehr.
Die zweite Erkenntnis, die daraus resultierte, war jedoch noch um einiges gravierender, auch wenn es vom Blickwinkel abhängen sollte, wie sehr es einen wirklich belastete. Für sein Gegenüber musste es so aussehen, als ob er perplex war von dem, was er gehört hatte. Dabei wusste der Wolf genau was er sagen wollte. Es war nur der Fakt, dass er so lange gebraucht hatte es zu verstehen und die Art, wie der Wüstenmagier diesen Punkt transportiere, die ihn so fassungslos machte. Aus seiner aufmerksamen Mine wurde eine ebenso ernste, wie die der Sphynx, ehe er begann mit dem Kopf zu schütteln und diesen in den Nacken legte, ehe er einige Male vermeintlich amüsiert schnaubte. Aber es war dieses Schnauben, bei dem man wusste, dass es nicht aus der Komik heraus entstand sondern seinen Ursprung in Unverständnis und der Akzeptanz von wahnwitzigen Informationen hatte. „Wie konnte ich so naive sein“ begann er seinen Satz ehe er Lian direkt ansah. „Wie konnte ich so naive sein zu glauben, dass du mich trotz alledem anders behandeln würdest als all die anderen. Dass dir unsere Abmachung von Ehrlichkeit wirklich etwas bedeuten würde“. Rownan stand auf und merkte, wie er mit der Spannung kämpfte. Er brauchte ein Ventil, wollte sie jedoch weder verbal noch physisch abbauen. Denn das hätte seinen Gesprächspartner nur in seiner Denkweise bestätigt. „Ich hab bis eben wirklich noch gedacht, dass ich etwas falsch gemacht hatte. Ist es einfach deine Art!? Du verdrehst nicht nur mit deiner Magie die Realität, sondern auch durch Worte. Bist du wirklich so unfähig Nähe zuzulassen dass du jeden mit deinen Maschen auf Distanz halten musst? Dass ich es wie alle anderen nicht durchschaue und dann gehe, mit dem Gefühl dass es meine Schuld ist? Oder du unbelehrbar bist? Hatten wir das nicht schon!?“. Er ging einen Schritt in Richtung der Tür während er seine Schläfen rieb. War das eine Pause um dazwischen zu gehen? Sicher nicht, denn nur einen Moment später fuhr er wieder zur Sphynx herum. „Ist es für dich unmöglich zu verstehen, dass meine Handlungen, unsere Handlungen, vielleicht tatsächlich gewollt waren? Dass der Alkohol nur die Barrieren abgebaut hat, die wir sonst vielleicht nie losgeworden wären?! Möglicherweise hab ich mich in dir doch getäuscht. Statt zu sehen was da ist, hab ich gesehen was sein könnte. Und doch wurde es nicht wahr. Unter Umständen war es einfach nur einer der vielen Illusionen, der ich zum Opfer gefallen bin“. Der Wolf merkte dass ihn die Spannung allmählich zerriss, er auch unsachlich wurde. Aber es war anders als im Zug. Auch anders als in der Nacht zuvor. Das hier war hundertprozentig der Tiermensch. Diesmal trieben ihn nicht Instinkte oder Emotionen. Er war in Kontrolle darüber was er sagte und dachte. Ein weiterer Grund, weshalb er seine körperliche Dominanz weiterhin nicht ausspielte geschweige denn auch nur eine Träne verdrückte. Der Kater beeinflusste ihn jetzt kaum noch. Der einzige Rückzugsort war das Bad. Statt jedoch in diesem zu verschwinden, blieb er an der Tür stehen und erblickte von neuen sein Spiegelbild. Es erinnerte ihn an seinen letzten Punkt, weshalb er sich ein letztes Mal zu Lian umdrehte. „Lian ich will dich wirklich verstehen, wirklich, aber du machst es mir so unendlich schwer“. Der Hybrid deutete auf den Spiegel. „Ich werde jeden Tag, jede freie Minute damit konfrontiert. Ich kann mich nicht so verstecken wie du. Entschuldige also vielmals wenn ich dachte dass das hier, das du ein Ort bist, an dem ich mal einen einzigen Tag nicht darin erinnert werde. Was gestern Nacht passiert ist war etwas Neues für mich. Danke dafür, dass du auch diese Erfahrung befleckt hast“. Jetzt blickte er selbst noch einmal in den Spiegel. Er sah furchtbar aus. „Ich fühle mich schmutzig und gehe jetzt duschen. Und vielleicht kannst du mir danach etwas erzählen, damit das alles hier irgendeinen Sinn für mich ergibt, mir erklären, warum du die letzte Hand, die sich nach dir streckt, so vehement abblockst. Warum…“. Doch diesen Satz beendete er nicht mehr.
Ohne lange zu Fackeln hatte Rownan sich daraufhin in die Dusche begeben. Das kühle Wasser war angenehm, entspannte ihn. Warum ging es ihm dennoch so mies, obwohl er die Wahrheit gesprochen hatte. Er fühlte sich schmutzig, in einer Form auch benutzt. Er hatte sich dem Falls förmlich angebiedert. Und das provozierte nur weiteren Ekel vor sich selbst. Erschöpft glitt er die Wand der Kabine herab und kam am Boden zu stehen, die Beine zu sich heranziehend. Erst dann begann er die Stellen mit Seife zu schrubben. Rownan war nicht nach weinen zu Mute. Er war schlichtweg sauer und fühlte sich betrogen. Warum kann er nicht einfach glücklich sein? Ob er den Magier, seinen Freund erreicht hatte? Ihn zu verstehen gegeben, dass es auch anders ging?
Lians Mund öffnete sich einen Spalt breit, die Augenbrauen wanderten gespannt nach oben, als Rownan den Kopf in den Nacken legte und als Antwort auf seine Frage einfach nur schnaubte. Warum schnaubte er? „Was…“, setzte er an, doch die Worte wurden erstickt von dem direkten, klaren und vor allen Dingen vernichtenden Blick, den Rownan ihm wenige Sekunden später zuwarf. Es war der Beginn eines zerstörerischen Sturms, den Lian Falls absolut nicht mehr aufhalten konnte, wie ihm erst nach und nach bewusstwurde. Naiv… wie hatte er nur so naiv sein können? Nein, dies war nicht die Reaktion, die der Falls auf seine Frage hin erwartet hatte, doch auch in seiner schlechten Verfassung wurde ihm klar, dass sich gerade etwas ziemlich Unangenehmes aufbaute. Ja, es war ein Zeichen dafür, wieviel er dem Satyrs wirklich bedeutete, dass das alles ihm nicht egal war, aber das konnte Lian gerade nicht wertschätzen. Anstatt ebenso aufzustehen, damit sie auf Augenhöhe miteinander sprachen, blieb der 19-Jährige perplex auf dem Boden hocken und sah hinauf zum Lupinen – tatsächlich symbolisierte dieses Bild ganz gut, in welchem Verhältnis die beiden gerade zueinander standen. Und wie klein sich Lian im Vergleich zum wütenden Rownan fühlte, der noch lange nicht alles gesagt hatte, was er sagen wollte. Der Tiermensch fuhr fort und wurde mit jedem Satz, den er äußerte, vernichtender. Ob er wirklich so unfähig wäre, Nähe zuzulassen? Dass er alle Leute mit seiner Masche auf Distanz hielt? Dass er die Leute vergraulte, mit dem Gefühl, dass es ihre Schuld sei. Lian kam nicht umhin, in diesen Vorwürfen Parallelen zu erkennen zu einer Person, die er selbst sehr gut kannte. Die er nicht nur kannte, sondern auch geliebt hatte und die vielleicht sogar mit einer ganz ähnlichen Masche ihn selbst schlussendlich auf Distanz gehalten hatte. Es geschah nicht oft, dass ausgerechnet der Braunhaarige einfach nur sprachlos war. Er wollte etwas sagen, aber seine Gedanken überschlugen sich und es kam einfach kein sinnvoller Ton hervor. Erst als Rownan an ihm vorbei in Richtung Tür stürmte, schaffte es Lian, sich endlich aus seiner sitzenden Position aufzurappeln. Der schnellen Bewegung war es geschuldet, dass der Illusionist von einem Schwindelanfall heimgesucht wurde, sich mit der Rechten auf der Küchentheke abstützte und die Linke an die Stirn hielt. Und dann ertönte sie wieder, die Stimme von Rownan und der Falls sah aus zusammengekniffenen Augen zum Hybriden, der offensichtlich seiner Predigt die Krone aufsetzen wollte. Und das, was er sagte, traf Lian wie ein herber Schlag in die Magengrube. Rownan gestand, sich in ihm getäuscht zu haben, dass er Dinge in ihm gesehen hätte, die in Wirklichkeit nicht vorhanden gewesen waren. Zusammengefasst: Dass er einer Illusion zum Opfer gefallen war. Rownan war es gewesen, der dem Lockenkopf damals im Zug Potenzial zugestanden hatte. Der ihm voller Ernsthaftigkeit gesagt hatte, dass er sich noch hundert weitere Messer einfangen würde, damit der Falls dieses Potenzial in sich selbst auch endlich erkannte. Rownan hatte ihm gesagt, dass er mehr wäre als ein Tunichtgut, ein Versager, ein Herumtreiber oder ein Betrüger. Es war etwas gewesen, das Lian damals ziemlich peinlich gewesen war, worüber er sich aber innerlich unglaublich gefreut hatte. Nun zu hören, dass Rownan all das mit ein paar Sätzen zurücknahm, schnürte ihm die Kehle zu. Das Schlimmste daran war, dass die Sphynx es verstehen und nicht einmal irgendwelche Vorwürfe machen konnte. Lian war kein guter Mensch, das hatte er immer gewusst – Rownan allerdings nicht. Bereits jetzt hatten sie den Punkt erreicht, an dem der 19-Jährige ordentlich fertiggemacht worden war und doch, es ging noch weiter, so als hätte Rownan den Entschluss gefasst, nicht mehr als ein Häufchen Elend vom Illusionisten übriglassen zu wollen. Lian runzelte die Stirn, verarbeitete die Informationen, die ihm gegeben wurden. „Etwas…“ Neues?, beendete er in Gedanken den Satz und konnte nicht fassen, was er da hörte. Das meinte Rownan nicht wirklich, oder? Das konnte nicht wahr sein. Wie angewurzelt blieb Lian stehen, als der Sturm namens Rownan endlich ins Badezimmer weiterzog und das Chaos und die Zerstörung, die er angerichtet hatte, hinter sich ließ. Um fair zu bleiben: Viel besser hatte es Lian zuvor auch nicht gemacht, wenngleich er deutlich wortkarger gewesen war.
Das Geräusch des prasselnden Wassers riss den Falls aus seiner Schockstarre. Er fokussierte irgendeinen nicht vorhandenen Punkt in der Luft und spürte plötzlich nicht nur sein hektisch schlagendes Herz, sondern auch seinen vollkommen außer Kontrolle geratenen Atem. Er kniff die Augen zusammen, vergrub das Gesicht in beiden Händen und taumelte zur Seite, bis er mit dem Rücken gegen die Wand seiner kleinen Wohnung stieß. „Scheiße, verdammte scheiße…“ Es war so unglaublich viel gewesen, das Rownan in einem Schwall vor ihm ausgekotzt hatte, bevor er aus dem Raum verschwunden war, sodass der Bogenschütze gar nicht wusste, was genau ihn eigentlich gerade am meisten belastete. Und wo genau er gedanklich mit der Verarbeitung anfangen sollte. Lian war wirklich und ernsthaft vollkommen überfordert mit der Situation und mit der gigantischen Welle an Gefühlen, die ihm entgegengeschlagen war und ihn erbarmungslos mitgerissen hatte. So überfordert, dass er selbst einfach nicht wusste, was genau er eigentlich fühlte. Der Magier löste die Handflächen von seinem Gesicht, sah an sich selbst hinab und sein Blick blieb an dem Sichelmondanhänger hängen, der noch immer um seinem Hals hing. Wie immer, wenn er nervös war, griff der Falls nach dem Anhänger und drückte eine Spitze des Mondes so lange in seinen Finger, bis sich ein leichter, süßlicher Schmerz breitmachte. Es half ihm, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Die grünen Seelenspiegel musterten den Anhänger und plötzlich lachte Lian. Es war kein freudiges Lachen, es klang gequält und bitter. „Ich bin echt ein emotionales Wrack“, schloss er, ohne den Blick vom Anhänger abwenden zu können. Wie sollte er den Scherbenhaufen, den er offensichtlich angerichtet hatte, wieder aufräumen? War das überhaupt möglich? Ehrlichkeit Das war eine der Dinge gewesen, die der Satyrs ihm vorgeworfen hatte. Dass ihm ihre Abmachung von Ehrlichkeit nichts bedeuten würde. Stimmte das? Hatte Rownan damit Recht? Er hatte sich doch bemüht, ehrlich zu sein… oder nicht? Benommen taumelte Lian zu seinem Bett, ließ sich auf der Bettkante nieder und drehte den Anhänger zwischen seinen Fingern. Eigentlich hatte er fast nichts von sich selbst erzählt, nicht weil er nicht gewollt hatte, sondern weil der Hybride mit seinen Erzählungen den gesamten Raum eingenommen hatte.
Oder redete sich Lian hier etwas ein?
Vielleicht hatte er auch unterbewusst versucht, mit den Fragen, die er Rownan stellte, von sich selbst abzulenken? Der 19-Jährige stellte gerne anderen Menschen Fragen, ließ sie erzählen und hörte ihnen zu – gab gleichzeitig aber so wenig von sich preis, wie nur möglich war. Und jetzt, wenn er so darüber nachdachte, war es vielleicht mit Rownan genauso gewesen. Er hatte den Hybriden reden lassen, hatte Nachfragen gestellt und dadurch geschickt davon abgelenkt, von sich selbst einfach nichts zu offenbaren. Und dann, in dem Moment, in dem er etwas von sich hätte erzählen können – die Erinnerung an Gin – hatte er sich inmitten seines Satzes unterbrochen und das Thema in eine andere Richtung gelenkt. Lian hatte abgeblockt, um zu verhindern, dass man einen Blick hinter die Fassade werfen konnte. Der Illusionist stöhnte und fuhr sich in einer fahrigen Bewegung mit der Linken durch den Lockenschopf. Auch das war eine Angewohnheit, ein Tick von ihm, wann immer er sich unwohl fühlte. Aber war das hier wirklich der richtige Platz, um von seiner Exfreundin zu sprechen? Von Gefühlen, die immer noch vorhanden waren? Es kam ihm nicht richtig vor. Und doch war es das, was man von ihm verlangte, wenn man auf Ehrlichkeit pochte. Alles, was mit Gin zu tun hatte, war etwas, was der Falls noch nie jemandem anvertraut hatte. Selbst nach ihrer Trennung hatte es der 19-Jährige mit sich selbst ausgemacht, hatte die Frustration irgendwo in sich tief begraben, um weitermachen zu können. Alles in ihm kämpfte dagegen an, diese Erinnerung wieder hervorzuholen. Und erst recht, irgendjemandem davon zu erzählen. „Warum ist das so verdammt kompliziert?“, murrte der Falls, ließ endlich den Anhänger herunterfallen, sodass dieser wieder auf seiner Brust landete massierte sich stattdessen die Schläfen. Es war so unglaublich schwer für ihn, sich jemandem zu öffnen… die einzige Person, die seit Gin auch nur ansatzweise einen wirklichen, echten Gefühlsausbruch von ihm erlebt hatte, war Rin. Und selbst damals hatte er nicht direkt erzählt, was genau ihn belastet hatte und die Inuyama hatte auch keine Nachfragen gestellt, sondern ihn einfach nur umarmt. Etwas, wofür er ihr bis heute sehr dankbar war. Und jetzt, heute, sollte er wirklich darüber sprechen? Es war etwas, das Lian nicht kontrollieren konnte. Eine Thematik, bei der er sich selbst nicht sicher unter Kontrolle hatte. Und er hatte Angst davor, Seiten von sich zu zeigen, die er nicht zeigen wollte. Eigentlich. Oder wollte er sie vielleicht doch endlich einmal zeigen? War das der Grund, der zu alledem geführt hatte? Der Wunsch nach Nähe, nach Intimität und danach, sich einfach mal fallenlassen zu können. Ganz gleich, dass es dem Alkohol geschuldet gewesen war, dass dieser Wunsch so übermächtig geworden war, er hatte doch nur das hervorgelockt, was Lian immer in sich getragen hatte. Und ausgerechnet Rownan hatte das alles ausbaden müssen – als eine für ihn offensichtlich neue Erfahrung, die durch die ganzen Umstände befleckt worden war. Als hätte ich ein Gespür dafür, warf sich der Magier gedanklich selbst vor, als wäre die Situation ohne diesen zusätzlichen Umstand nicht schon schwierig genug gewesen.
Unmöglich zu sagen, wie viel Zeit genau vergangen war, bis das Geräusch von prasselndem Wasser endlich verstummte. Und selbst danach dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich die Tür des Badezimmers endlich wieder öffnete – nach allem, was Rownan ihm vorgeworfen hatte, hatte Lian das Gefühl, dass es das Mindeste war, was er dem Hybriden schuldete: Zeit für sich, ganz gleich, wie lange diese auch andauern möge, um zu verarbeiten, was eigentlich geschehen war. In dem Moment, in dem Rownan aus dem Badezimmer trat, saß der Falls auf seiner Bettkante, die Hände ineinander verschränkt, den Kopf gesenkt, als würde er intensiv über etwas nachdenken. Zumindest angezogen hatte er sich wieder, sodass er neben der Jogginghose auch ein gelbes Shirt trug – anders als sonst trug er jedoch die Kette mit dem Sichelmondanhänger über seiner Kleidung, sodass man auch jetzt einen Blick darauf erhaschen konnte. Erst als der 19-Jährige glaubte, sich genügend gesammelt zu haben, hob er den Blick endlich wieder an und wagte sich, direkt in die hellblauen Augen von Rownan zu blicken, die Lippen zusammengepresst. „Rownan, lass uns reden“, äußerte er, irgendwie nervös, was sich vor allen Dingen dadurch bestätigte, dass er noch ein „Bitte“ hinterherschob. Lian Falls, der darum bat, dass man mit ihm sprach und weder ein überzeugtes Grinsen noch ein selbstbewusstes Zwinkern zeigte, sondern vielmehr wie ein getretener Hund aussah. Allein das war schon ein ziemliches Highlight, das niemand so schnell zu Gesicht bekam. Ein kleiner Moment der Stille setzte ein, in der der 19-Jährige befürchtete, dass Rownan sich vielleicht doch einfach umdrehen und gehen würde, weshalb er nachsetzte: „Du hattest Recht mit den Dingen, die du mir vorgeworfen hast und es tut mir leid. Aber bei einer Sache muss ich dir widersprechen: Mir bedeutet unsere Abmachung von Ehrlichkeit etwas.“ Sein Blick wurde sicherer, fast schon vorwurfsvoll. Wenn Rownan gehen wollte, dann konnte er gehen, aber das war eine Sache, die Lian einfach partout nicht so im Raum hatte stehen lassen wollen. Er war bereit, mehr von sich zu erzählen, war bereit, dem Hybriden zu erklären, was eigentlich zwischen ihnen geschehen war. Aber dafür musste der Satyrs ihm die Gelegenheit geben.
Da hatte Rownan ja bewusst-unbewusst eine große Bombe platzen lassen. Aber letztendlich definierte es auch seine Person, seinen Charakter: Er war ein Freund von Antrieb, Fortschritt und eben auch Ehrlichkeit. Nur wusste er letztere meist geschickt zu verpacken. Allerdings war er davon ausgegangen, dass er sie hier nicht verpacken musste. Zu Unrecht wie es schien. Wenn er jedoch gewusst hätte, wenn er genau gewusst hätte, was seine Worte mit Lian machten, hätte er sich wohlmöglich nicht einfach ins Bad zurückgezogen, ohne seinem Gegenüber eine Chance zu lassen sich zu verteidigen. Gleichzeitig hatte er jedoch genau diesen Schritt unternommen, um nun etwas Zeit für sich zu haben. Zeit seine Gedanken zu sortieren während der Braunhaarige ebenso die Worte zu verdauen hatte, wie der Wolf zuvor. Und vielleicht war es auch jenem genehmer erst in Ruhe das Gesagte zu durchdenken, ehe er darauf reagieren musste. Die Stärke der beiden lag meist nicht im Affekt, sondern in einer kalkulierten Situation.
Noch immer am Boden der Nasszelle beruhigte sich sein Puls allmählich und damit kehrten auch rationalere Überlegungen zurück in seinen Kopf, welcher sich in den Nacken gelegt an der Wand befand. Seine eigenen Sätze schossen ihm in den Kopf: Wie konnte sich so naiv sein … Statt zu sehen was da ist, hab ich gesehen was sein könnte. Galt diesen Satz nicht auch umgekehrt? Sollte er nicht auch das sehen, was tatsächlich war, was tatsächlich ist? War nicht auch Lian etwas blauäugig? Der Hybrid schloss die Augen und driftete ab in die Erinnerungen der letzten Nacht. Auch für ihn waren es nicht glasklare Bilder, dennoch hatte er noch ganz gute Erinnerungen. Zwar konnte sich sein Partner daran nicht mehr erinnern. Dennoch war das Erlebte in dem Moment echt und fühlte sich, wenn er ganz ehrlich mit sich war, immer noch gut an, warum oder wie sollte der Junge das kaputt machen können? Das konnte nur Rownan selbst, durch solche Gedanken, wie er sie im Zimmer geäußert hatte. Alles was heute passierte war, war also unabhängig davon zu betrachten. Zumindest so lange bis man Versuche unternahm, diese Situationen miteinander zu verknüpfen. Der Illusionist hatte sich dafür entschieden das ganze einfach zu vergessen, während Rownan ihm seine eigene Gefühlswelt überstülpen wollte. Immerhin war das alles auch für ihn neu und er musste erst Möglichkeiten eruieren, nicht mehr nur Tatsache, sondern auch Befinden zu transportieren und zu verarbeiten. Und er musste auch lernen, dass die Gefühlswelt des anderen wohlmöglich eine andere war als die eigene. Eine harte Lektion. Gerade deshalb so wichtig. Insgesamt keine glanzreichen Leistungen der beiden. Waren sie einfach unfähig miteinander zu reden, wirklich zu reden, ohne dass es in Missverständnissen und Streit ausartete, solange bis einer am Boden zurückblieb? Und gerade deshalb musste der Lupine schlussendlich mit sich selbst ins Gericht gehen. War er zu hart gewesen? Er wusste, dass er unsachlich geworden war, aber war er nicht tatsächlich zu hart mit der Sphynx umgegangen? Der Grauhaarige war sich sicher, dass er der Ältere von den beiden war und auch wenn sie noch nie über ihr Alter gesprochen hatten, so schätzte er ihren Unterschied zwischen drei bis sechs Jahren. Dass sein Gastgeber 18 war, davon ging er einfach aus. Und waren es nicht gerade diese Jahre, die er ihm voraus war, die ihn regelrecht dazu verpflichteten, die klügeren, überlegteren Entscheidungen zu treffen? Natürlich waren es auch für ihn viele neue und spannende Erlebnisse. Dennoch lobt er sich stets rational zu sein. Warum dann nicht in diesen Momenten? Distanz zu suchen war richtig, aber hätte er seinem Gegenüber nicht die gleiche Botschaft vermitteln können, ohne mit der Brechstange alles zu beschädigen, was sie sich so mühsam aneinander aufgebaut hatten? Wäre er wortlos ins Bad gegangen, hätte das nicht dem anderen bereits Botschaft genug sein können, über seine Reaktion nachzudenken. Gut möglich. Sehr wahrscheinlich sogar. Mühsam erhob sich Rownan vom Boden und lehnte nun mit der Stirn an der Wand, während der Wasser weiterlief. Diese ganze Aktion mit dem Waschen, dem Schmutz, seine letzten Worte. Das war einfach dumm, kindisch. Er musste sich entschuldigen. Das Gefühl, dass er Mitschuldig war, war keine Masche Lians, keine Manipulation, es war die Realität. Natürlich hatte dieser unwahrscheinlich dämlich reagiert. Aber das gab dem Wolf noch lange nicht das Recht ebenso die Retourkutsche zu fahren. Er war der ältere und musste auch so handeln. Allerdings hatte er noch etwas schlimmeres als Lian getan. Nicht nur hatte er den jungen Mann die Schuld zugeschrieben. Er hatte auch Zweifel gesät. Zweifel an den beiden, an sich aber vor allem an den Dingen, die Rownan in der Vergangenheit gesagt hatte. Und das alles nur wegen einer impulsiven Kurzschlusshandlung. Selbst wenn er sich dafür entschuldigte, war der Schaden bereits irreparabel, sofern er es nicht schaffen würde, die verbrannten Brücken wieder aufzubauen, Stein für Stein. Vielleicht war Rownan naiv, durchaus, aber er war auch ebenso unfair gewesen. Unter Umständen hatte er Wüstenmagier ein Problem mit Nähe. Rownan jedoch hatte ebenso intensiv daran gearbeitet, dass ihr Verhältnis in diesem Moment so angeschlagen war. War er etwa auch nicht ganz ehrlich gewesen? Warum sollte er sein "Glück" sonst so offensiv sabotieren?
Während also Lian mit sich selbst haderte und allem was passiert war, war der Satyrs zwischenzeitlich vorm Spiegel angekommen. Die Zeit sich wirklich komplett zu trocknen und zu pflegen hatte er nicht. Er würde sich zumindest so weit trockenen, dass er nicht mehr tropfte. Spätestens, wenn sie den Palast verließen, würde die Sonne ihr übriges tun. Noch hatte er ihre Trainingssession nicht aufgegeben. Im Gegenteil. Es war sogar die beste Möglichkeit dem Magier zu zeigen, dass er sich noch immer hundert weitere Messer einfangen würde, dass der Typ mit dem frechen Grinsen ein erstklassiger Magier war, der endlich begreifen und mit eigenen Augen sehen musste, was er auf dem Kasten hatte. Da war das geplante Experiment die beste Möglichkeit. Unabhängig davon musste Rownan seine nächsten Schritte gut überlegen. So schaute er sein nasses Ich im Spiegel an und atmete kräftig ein und aus. Er hatte Lian nicht nur den Ball zugespielt. Er hatte diesen mitsamt dem Ball im Tor versenkt. Er musste also dem Braunhaarigen die uneingeschränkte Möglichkeit gewähren, sich zu erklären. Das war auch letztendlich die Bitte, die er an diesen gerichtet hatte. Obwohl es so vieles gab, was er ihm nach diesen Minuten der Ruhe gerne sagen wollte, musste er sich zusammenreißen auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Ebenso musste er ein Pokerface wahren. Der andere durfte ruhig noch davon ausgehen, dass der Wolf mehr als sauer und verletzt war und am liebsten die Wohnung verlassen wollte. Dass er sich trotzdem überreden ließ zu bleiben, um sich zumindest anzuhören, was der andere zu sagen hatte. Das war vielleicht nicht unbedingt fair, aber nur so würde sich der Bogenschütze von seiner harten Schale trennen und unter Umständen wirklich die Dinge von sich geben, über die sie bereits am Vortag sprechen wollten. Denn auch das war eine Erkenntnis, die er unter dem laufenden Wasser gemacht hatte. Lian kannte nur noch die Hälfte seiner Story, aber Rownan wusste noch immer nichts von ihm. Möglicherweise hätte er die Reaktion auch ganz anders interpretiert, wenn die Informationslage eine andere gewesen wäre. Auch das war unfair gewesen. Der Anstand gebot es also seinem Gastgeber ebenso eine Bühne zu geben.
Mit den Klamotten klamm am Körper klebend, verließ der Hybrid das Bad. Lian saß auf der Bettkannte, die Hände nachdenklich verschränkt. Er war also immer noch hier. Das war ein gutes Zeichen. So wie der Lupine die Flucht ergreifen konnte, hätte es der Braunhaarige ebenso tun können. Der Anhänger, den der Wolf erst am Morgen kurz gesehen hatte, schien diesmal wieder etwas prominenter zu sein. Wohlmöglich hatte dieses Objekt eine tiefere Bedeutung. Und dann schaute er zu ihm und Rownan blickte erneut in die grünen Seelenspiegel. Da war etwas Neues, so hatte er zumindest das Gefühl, während es gleichzeitig so viel bekanntes auslöste. Reiß dich zusammen und konzentriert dich auf den Plan ermahnte er sich selbst, während seine Mine weiterhin ausdruckslos blieb. Spätestens als der Magier das Bitte nachschob, ging er davon aus, nein, wusste er, wie sehr sein Gegenüber gerade mit sich haderte. Der Lupine war wirklich nicht fair gewesen, wenn der Illusionist derart angespannt war. Sollte Freunde so miteinander umgehen? Während er sich also noch sammelte, um die geplante Strategie durchzuziehen, legte Lian nach. Eine Entschuldigung folgte, zwar noch sehr oberflächlich, aber nur deshalb, weil eine Ansage folgte, eine Kampfansage. Der Dieb, dessen Beute keinen Meter von ihm entfernt in einem Schrank verweilte, beteuerte, dass ihm die Abmachung von Ehrlichkeit etwas bedeutete. Wo Rownan am Vortag noch gelacht hätte, blieb er nun ernst. Wortlos legte er die wenigen Meter zu Lian zurück. Er setzte sich jedoch nicht neben ihn, sondern nahm erneut den Stuhl des Schreibtisches. Statt allerdings die Lehne zu nutzen, um Distanz aufzubauen, stellte er die Sitzmöglichkeit korrekt hin, ehe er Platz nahm. Es war so immer noch eine gute Armlänge Abstand zwischen den beiden. Sein Gegenüber durfte ruhig wissen, dass die Pause nicht alles bereinigt hatte. Einen Moment betrachtete er den Dieb noch, ehe seine linke Hand eine öffnende Geste macht. „Bitte, ich höre“ waren die Worte, die er so neutral wie möglich von sich gab.
Eine Kampfansage? Ja, irgendwie war es das wohl gewesen. Mal wieder zeigte sich Lians Angewohnheit, nicht einfach komplett klein beigeben zu können, dass er gerne den Mund aufriss, bevor er wusste, ob er seinen Worten auch wirklich Taten folgen lassen konnte. Ob es ihm gelang, ehrlich und ohne große Umschweife über sich selbst zu berichten? Würde Rownan sich umdrehen und gehen oder würde er die Chance zu einem gemeinsamen Gespräch ergreifen? Eigentlich hoffte der Falls auf Zweiteres, immerhin hatte er viel Zeit gehabt, sich genau darauf mental vorzubereiten. Ja, er hatte immer noch Sorge davor, was aus diesem Thema entstehen würde und Lian hatte keine Übung darin, jemandem Einblicke in sein Inneres zu gewähren, über Gefühle zu sprechen und zu zeigen, dass hinter den großen Sprüchen, die er gerne klopfte, eine ziemlich angeknackste Persönlichkeit steckte. Aber Rownan war die erste Person, bei der der Falls es zumindest versuchen wollte. Der Lupine sagte im ersten Moment nichts, setzte sich schlussendlich allerdings in Bewegung und griff nach dem Schreibtischstuhl, schob ihn vor Lian und setzte sich mit ernster Miene hin. Der intensive, durchdringende Blick der hellblauen Augen lag auf dem Illusionisten, als er mit einer kleinen Bewegung der Hand dazu aufgefordert wurde, zu reden. Okay, Rownan war bereit, ihm zuzuhören, was gut war. Ganz wohl war dem Braunhaarigen dabei aber nicht, denn er fühlte sich schrecklich beobachtet. Es war vergleichbar mit einem Verhandlungstag vor Gericht: Lian als der Angeklagte und Rownan der Richter, der am Ende darüber urteilen würde, ob der Falls einen Freispruch erhielt oder nicht.
Anstatt sich mit solch dämlichen Gedanken zu befassen, sollte sich der Magier lieber darauf konzentrieren, die richtigen Worte zu finden.
Die Vorgehensweise von Rownan war vermutlich genau die Richtige, um Lian endlich zum Sprechen zu bringen. Es dauerte ein paar Sekunden, bevor der 19-Jährige tief einatmete und die Augen einen kleinen Moment schloss, um der Aufforderung nachzukommen. Auch wenn es ihm schwerfiel, würde er es zumindest versuchen und wenn es auch nur daraus resultierte, dass er ein verdammter Dickschädel war. „Du hast gesagt, dass du mich verstehen möchtest, also gebe ich dir die Chance dazu, auch wenn ich unglaublich schlecht darin bin, über mich selbst zu sprechen.“ Er seufzte und hob die Lider wieder an, sodass er noch einmal zu Rownan blicken konnte. Es gab eine Sache, die er ergänzen wollte, bevor er wirklich von seiner Vergangenheit erzählte. Nicht, dass es einen falschen Eindruck machte: „Um das vorneweg zu nehmen: Das, was ich erzähle, soll weder als Ausrede, noch als Entschuldigung für mich oder mein Verhalten dienen. Aber du hast mir Dinge von dir erzählt, also erzähle ich dir auch etwas von mir, was ich noch niemandem vorher so erzählt habe. Vielleicht erklärt es dir, wie ich zu Lian geworden bin, der eher weniger strahlende Ritter.“ Eine Pause, in der Lian eine Spur nervös die ineinander verschränkten Hände knetete. Ja, er haderte mit sich, das war ziemlich offensichtlich. Aber wenn der Hybride mehr hören wollte, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als Geduld mitzubringen. Nur kurz huschte der Blick der hellgrünen Augen zu Wein und Brandy, die noch immer auf der Küchentheke standen und anders als vorhin sahen sie für Lian überraschend verlockend aus. Der Gedanke, sich ein oder zwei Schlucke zu genehmigen, hatte nichts abstoßendes mehr an sich. Er sehnte sich fast schon nach der Leichtigkeit des gestrigen Abends… doch Lian verwarf den Gedanken wieder. Er musste das hier alleine schaffen, ohne sich zu betäuben. Der Magier holte Luft und begann mit seiner Geschichte, wenngleich er bei den Worten auf seine Hände blickte anstatt zum Hybriden. Es machte es einfacher, darüber zu sprechen, wenn er versuchte, zu ignorieren, dass er dabei beobachtet wurde. Seine Stimme klang neutral: „Ich habe kein sonderlich gutes Verhältnis zu meiner Familie. Als meine Mutter so alt war wie ich, war ich bereits drei Jahre alt. Der Klassiker: Randbezirke von Aloe, wenig Geld, Schwangerschaft als Unfall. Meinen Erzeuger habe ich nie kennengelernt, wenn ich den Erzählungen meiner Mutter allerdings glauben darf, war er ein ziemliches Arschloch. Und ich scheine nach ihm zu kommen.“ Ein kleines, gequältes Grinsen schlich sich auf Lians Lippen, als er diese Worte aussprach, denn er erinnerte sich noch sehr genau an die Stimme von Awira, die ihm das mehr als einmal vorgehalten hatte. Wenn der junge Mann so darüber nachdachte, hatte seine Mutter vermutlich tatsächlich Recht damit gehabt. Als Kind und Jugendlicher hatte er sich immer nur ungerecht behandelt gefühlt, wenn seine Mutter ihn im Zorn damit konfrontiert hatte, mittlerweile erkannte er aber Parallelen, die er früher nie hatte wahrhaben wollen. „Wir waren nie auf einer Wellenlänge. Ich war nicht mehr als ein Ballast, um den sie sich kümmern musste. Als Kind habe ich es nicht richtig verstanden, später war ich meistens zornig. Um ganz ehrlich zu sein, neige ich mittlerweile dazu, sie zu verstehen.“ Lian seufzte, ohne den Blick von seinen verschränkten Händen zu lösen. Er gab gerade offen zu, kein sonderlich gutes Bild von sich selbst zu haben. Es fühlte sich merkwürdig an und der 19-Jährige hoffte, es nicht später zu bereuen. Es wäre nicht das erste Mal, dass seine Offenheit irgendwann gegen ihn verwendet wurde. „Als ich neun oder zehn Jahre alt war, irgendwann in dem Dreh, lernte meine Mutter ihren heutigen Lebensgefährten kennen. Du kannst dir denken, dass mein Verhältnis zu ihm auch nicht sonderlich herzlich war. Als meine Halbschwester Naza kurz danach zur Welt kam, war ich das einzige Problem, das dieses Familienglück noch hatte. Keine Ahnung, ich habe schon versucht, mich anzupassen, aber es hat nicht funktioniert. Ich mein, das hast du auch schon mitbekommen: Anpassung ist nicht gerade meine Stärke. Es gab selten einen Tag, an dem ich nicht für Unruhe in dieser Familie gesorgt habe. Also habe ich weniger Zeit dort verbracht und mich woanders herumgetrieben. Lieber bei Bekannten übernachtet, als bei meiner Familie aufzutauchen. Ich denke, das war der Punkt, ab dem ich angefangen habe, mein eigenes Ding zu machen.“ Lian wusste, wenn er jetzt aufsah und Rownan anblickte, könnte er nicht weitererzählen. Er musste sich einreden, alleine zu sein, ein Selbstgespräch zu führen, um nicht inmitten der Erzählungen einen Rückzieher zu machen. Und so sah er zur Seite und fokussierte seinen unruhigen Blick auf das Shirt vom Vortag, das immer noch auf dem hölzernen Fußboden lag, da es nicht weggeräumt worden war. „Ich möchte gar nicht ins Detail gehen, was ich damals so getrieben habe, denn das ist für die Erklärung gerade nicht relevant. Wichtiger ist, dass es ganz gut für mich lief und ich festgestellt habe, dass ich im Leben gut alleine klarkomme.“ Lian zuckte mit den Schultern. „Und dann… kam Gin.“
Erst jetzt wurde es deutlich, wie schwer es dem Falls fiel, weiterzusprechen. Er stoppte, sein Herz schlug schneller und wenngleich Rownan das nicht hören oder sehen konnte, so würde er doch erkennen, dass sich der sonst sehr kontrollierte Bogenschütze auf die Unterlippe biss und die Lider senkte. Unerwartet lachte Lian auf. „Oh und ich meine nicht die Spirituose, wenngleich sie wohl mindestens genauso berauschend war.“ Das Lachen ebbte wieder ab und der Blick wanderte zu dem Anhänger, den der Falls um den Hals trug. Anstatt sich zusammenzureißen, es sich nicht anmerken zu lassen, griff er nach dem Sichelmond und drehte ihn zwischen den Fingern. Ob das genug Indiz für Rownan war, dass dieser Anhänger mit einer verflossenen Liebe zusammenhing? „Wenn Gin einen Raum betrat, drehten sich alle Köpfe zu ihr herum. Sie liebte die Aufmerksamkeit, sie badete förmlich darin. Was das anging, war sie so ziemlich das Gegenteil von mir. Vielleicht hat sie mich am Ende genau deshalb so fasziniert. Eigentlich hatte ich mir nur vorgenommen, ein bisschen mehr über sie herauszufinden, denn ich war mir sicher, dass sie irgendwelche Geheimnisse verbarg. Aber irgendwie hat sie mir mit der Zeit den Kopf genauso verdreht wie allen anderen auch. Und tatsächlich wurden wir ein Paar.“ Lian schluckte, ließ den Anhänger fallen, vergrub stattdessen das Gesicht in den Händen und stieß die Luft angestrengt aus. Ein Versuch, sich zu sammeln und unter Kontrolle zu halten. „Fuck, du hast keine Ahnung, wie schwierig das für mich ist.“ Es war nicht vielmehr als ein Murmeln, aber der Hybride würde es sicherlich verstehen können. Der Falls spürte, wie die Mauer, die er um sich herum aufgebaut hatte, bröckelte, wie sie Stein für Stein eingerissen wurde. Langsam sanken seine Hände wieder von seinem Gesicht, er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und sah zu seinen Füßen. „Gin war die erste Person, der ich mich wirklich anvertraut habe. Bei der ich das Gefühl hatte, mich einfach fallenlassen zu können. Ich meine, wir waren oft genug unterschiedlicher Meinung, was sich kaum verhindern ließ, so gegensätzlich wie wir waren. Aber ich habe sie trotzdem … geliebt. Umso schlimmer war es für mich, als sie sich plötzlich von mir getrennt hat und mir all die Dinge, die ich ihr aus meinem Innersten anvertraut hatte, an den Kopf warf. Ich sei ein Weichei, schwach, ihr nicht gut genug. Gin verschwand an dem Tag aus meinem Leben und auch aus Aloe. An die Wochen danach habe ich nur noch schemenhafte Erinnerungen. Ich steckte in irgendeinem dunklen Loch und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich da überhaupt wieder rausgekommen bin.“ Auch hier: Es gab noch viele, sehr viele Dinge, die Lian erzählen konnte. Von seiner Magiebegabung, warum er eigentlich nie Magier hatte werden wollen, wie er schlussendlich in der Gilde gelandet war und wie seine Zeit dort verlaufen war. Aber gerade ging es um einen anderen Teil seiner Vergangenheit und auf diesen Teil wollte er sich konzentrieren, weshalb er nach kurzem Nachdenken fortfuhr, den Blick weiterhin von Rownan abgewandt: „Das alles ist fast zwei Jahre her. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, Gin jemals wiederzusehen. Vor ein paar Monaten wurde ich dann für eine Quest in das Wüstendorf Miln geschickt, ich sollte dort mit einer anderen Magierin zusammenarbeiten… und diese andere Magierin entpuppte sich tatsächlich als Gin. Scheiße, ich dachte, ich falle aus allen Wolken. Wir wussten beide nichts davon, dass der jeweils andere Magie beherrscht. Es war so absurd. Sie… hat mir damals viel erzählt. Warum sie sich von mir getrennt hat. Und was für schreckliche Dinge ihr nach unserer Trennung widerfahren sind. Es steckte so viel mehr dahinter, als ich damals begriffen habe. Und wenn ich aufmerksamer gewesen wäre und stärker, hätte ich ihr vielleicht helfen können. Sie hatte schon Recht mit den Dingen, die sie mir bei unserer Trennung vorgeworfen hat.“ Lian unterbrach sich und ballte die Hände zu Fäusten. Da war es wieder: Hass. Ein Gefühl, das ihn von innen heraus zu zerfressen drohte. Das schlimme: Der Hass bezog sich nicht nur auf die Person, die hinter all diesen schrecklichen Dingen steckte, sondern auch gegen den Falls selbst. Dafür, dass er so untätig geblieben war. Dafür, dass er zu schwach war, um irgendetwas zu ändern. Machtlos. Es bestätigte viele negative Dinge, die er ohnehin von sich selbst dachte. „Seit ich Gin wiedergetroffen habe, habe ich keine ruhige Minute mehr. Meine Gedanken hören nicht auf zu kreisen und es gibt kaum eine Nacht, in der ich nicht aus dem Schlaf gerissen werde. Auch an dem Tag, als dein Brief bei mir ankam, wurde ich von einem dieser Alpträume aufgeweckt.“ Es hatte lange gedauert aber jetzt waren sie an dem entscheidenden Punkt. Der Punkt, der vermutlich für Rownan der relevanteste war, denn nun schlugen sie den entscheidenden Bogen zu ihm. Lian hatte schon so viel erzählt, dass er wusste, dass er auch den letzten Schritt noch gehen musste – ganz gleich, was es für Konsequenzen bedeuten würde. Und so riss er sich zusammen und sah seit Beginn seiner Erzählungen das erste Mal auf, um dem Satyrs endlich wieder ins Gesicht blicken zu können. Er hatte verlangt, dass Lian ehrlich war und deshalb kam er nicht umhin, auszusprechen, was er vorher hatte für sich behalten wollen: „Bevor du mich falsch verstehst: Ich hatte nie vor, dich in diese Sache hineinzuziehen. Ich wollte dich treffen, um mit dir darüber zu sprechen, was damals bei unserer Quest geschehen ist und um dir zu helfen, wobei auch immer du Hilfe benötigst. Weil ich in dir einen Freund sehe, wie ich ihn nie gehabt habe und um eine Entschuldigung nachzuholen, die ich damals nicht über die Lippen bekommen habe.“ Eine Pause folgte, bevor er in die hellblauen Iriden sah, in denen sein eigenes Abbild gespiegelt wurde: „Aber Rownan, deine Augen. Sie… sie erinnern mich an Gin.“ Ehrlichkeit, das war es gewesen, was der Hybride hatte haben wollen und das war es, was er bekam. Es war so unglaublich schwierig. „Ich weiß nicht, was genau ich gestern getan habe, aber als du mich heute Morgen angesehen hast, ist mir die Ähnlichkeit bewusstgeworden. Es ist unglaublich, was das in mir auslöst. Ich möchte mich genauso wie du fallenlassen und einfach mal nicht daran denken, was mich sonst beschäftigt. Vielleicht waren unsere Beweggründe also gar nicht so unterschiedlich, aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich mich nicht unter Kontrolle gehalten und mit offenen Karten gespielt habe. Das, was gestern passiert ist, war das Ergebnis von Dingen, die ich vermisst habe. So wie ich Gin vermisse, weil ich sie immer noch liebe.“ Bevor er die Schwarzhaarige in Miln getroffen hatte, hatte Lian gedacht, über sie hinweg zu sein. Ihr unerwartetes Zusammentreffen, der Moment, als er sie im Arm hielt, hatte ihn eines Besseren belehrt. Lians Gefühle hingen noch immer an Gin und er konnte nicht das erwidern, was Rownan sich vielleicht von ihm wünschte. Er erinnerte sich daran, dass der Satyrs gestern noch zu ihm gesagt hatte, dass er froh wäre, ihn als Freund zu haben. Ob das immer noch der Fall war? Dem Braunhaarigen ging auf, wie viel er gesprochen hatte und er fragte sich, ob er sich hätte kürzer halten sollen. Ob er Rownan damit vielleicht sogar gelangweilt hatte? Er hätte nicht so viel reden sollen und plötzlich wünschte er sich, die Zeit einfach zurückdrehen zu können.
Wenn Rownan eine Bombe hatte platzen lassen, dann hatte Lian gerade die Kernspaltung erfunden. Zumindest fühlte sich diese ganze Situation danach an. Aber wie war es dazu gekommen? Vermutlich, weil ihre größte Stärke auch gleichzeitig ihre größte Schwäche war: Sie hatten beide Zeit bekommen über ihre Antwort und ihr Vorgehen nachzudenken. Jetzt spulten sie genau diese Dinge einfach ab, mit gemischter Emotionalität. Für den Lupinen waren die Worte, die Lian äußerte, eine augenöffnende Erfahrung. Und er hasst sich bereits jetzt für das, was er sich im Bad vorgenommen hatte - der Ältere, der Vernünftigere zu sein. Und er hasste es, dass Ehrlichkeit für ihn so wichtig war. Es war das erste Mal, dass er lieber mit einer Lüge leben wollte. Aber eins nach dem anderen.
Nachdem sich der Hybrid gesetzt hatte, passiert erst einmal nichts. Dann erst atmete sein Gegenüber einmal kräftig ein und aus. Demnach musste er die Zeit sehr sinnvoll genutzt haben, wenn auch das Ergebnis eines war, dass nicht leicht zu kommunizieren war. Für den Hybriden jedoch ein gutes Signal. Wenn man es schaffte Lian die Sprache zu verschlagen, hatte man irgendwas erreicht. Ob das nun gut oder schlecht war, musste wie immer jeder für sich entscheiden. Doch bereits an dieser Stelle kämpfte Rownan mit sich. Am liebsten hätte er bereits jetzt etwas gesagt, beispielweise, dass sein Gastgeber sich nicht mitteilten musste, wenn es zu schwer war, dass es eigentlich der Satyrs war, der zuerst ein paar Dinge sagen musste. Es war das überwältigende Gefühl den Schützen in seiner Komfortzone zu lassen mit dem einzigen Ziel, dass dieser nicht auf irgendeine Weise Groll oder Zorn gegen den Tiermenschen hegte. Dabei verkannte dieser in dem Moment, dass er genau richtig reagierte, indem er so vehement auf Antworten und Erklärungen pochten, da sich nur dadurch der Wüstenmagier endlich mit sich selbst auseinandersetzen musste. So kämpfte seine Neugierde gegen den Drang Gefallen zu wollen. Es waren zwei Motive die aufeinandertrafen. Die Frage war nur, welches überwiegen würde, während mehr und mehr Informationen ans Tageslicht kamen. Und kaum hatte die Sphynx die ersten Worte geäußert, hasste, wenn auch scherzhaft, Rownan ihn dafür, denn er musste sich anstrengend seine starre Mine nicht zu verziehen. Es waren diese Witze und Bemerkungen, mit welchen sich der Junge zu distanzieren versuchte. Aber er durfte als Zuhörer nicht darauf eingehen, denn dann würde sich jener wieder verschließen. So vermutete er zumindest. Dabei hätte er ihn bereits nach seiner Einleitung am liebsten unterbrochen. Allein ihrer beider Herkunft, die unterschiedlicher nicht sein konnte, bot ihnen Gesprächsstoff für Stunden und Tage. Allerdings ging es in diesem Gespräch nicht mehr um ihre Vergangenheiten, zumindest nicht direkt. Es ging darum, warum sich der Braunhaarige so derart danebenbenommen hatte, nachdem sie von ihrer Alkoholeskapade erwachten. Es war der Wolf gewesen, der diese Richtung intensiviert hatte und deshalb musste er nun damit leben. Trotzdem geisterten diverse Fragen in seinem Kopf herum. Die, die ihn allerdings am meisten interessierte, war so simpel: Wie fühlte es sich an eine Familie zu haben? Die Schilderungen Lians und seien sie noch so herzzerreißend, zeigte dem Magier jedoch umso deutlicher auf, wie allein er doch herangewachsen war. Ohne Kontakte zu Gleichaltrigen, ohne Geschwister, Eltern, nur mit Erwachsenen, deren Hintergedanken er zunehmend hinterfragte. Und trotz dieser sozialen Netze hatte sich der Dieb dazu entscheiden, einen ganz eigenen Pfad einzuschlagen. Warum? Konnte eine Familie derart desaströs wirken? Fürs erste musste er diese Gedanken bei Seite schieben, denn das Kernstück der Erzählung rückte in greifbare Nähe. Zuvor war es jedoch diese Beschreibung, die dem Lupinen zeigte, warum sein Gegenüber noch immer klaute, obwohl er es gar nicht mehr nötig hatte. Es war schlichtweg sein Habitus und diesen konnte man nicht ablegen wie eine Jacke. So etwas erfordert viel Mühe und Zeit. Möglicherweise würde er es auch nie loswerden. Eine wichtige Erkenntnis. Dann erst kam endlich der Punkt, wozu dies ganze Einleitung diente. Und wie sollte es anders sein, ein Mädchen war Dreh- und Angelpunkt des Dramas. Oder zwischenzeitliche ein Frau. Eine Frau namens Gin.
Es war wieder diese markante Pause in Kombination mit einem Scherz, die Rownans ganze Kraft erforderte. Bis jetzt hatte er stoisch auf dem Stuhl gesessen und jedem Wort gelauscht, ohne eine Miene zu verziehen. Bestenfalls die Hände hatte er kurzfristig zu Fäusten geballt. Alles was half, um diesen Ausdruck weiterhin nach außen zu transportieren. Er musste sich immer wieder ermahnen, dass er erst intervenieren durfte, wenn der andere mit seiner Erzählung am Ende war. Dieser Kampf fühlte sich um einiges schwerer an, als es der Kampf gegen seine animalische Seite tat. Vermutlich war dies erneut der enormen Emotionalität geschuldet, die der Grauhaarige erst an diesem Wochenende richtig zu spüren bekam. Nach allem, was er bis dato erlebt hatte, hatte er ein mehr als ambivalentes Verhältnis dazu. Es war an diesem Punkt, dass die Gedanken aus dem Intro in der Vordergrund rückten. Rownan war hart gewesen. Aber die Worte, die sein Freund vor ihm äußerten, fühlten sich noch um ein hundertfaches härter an. Nicht wegen des eigentlich Inhalts, sondern mit jedem Satz, den dieser äußerte, wusste er einfach, was das Fazit dieser Geschichte war. Er wusste es genau und doch hoffte er, dass irgendeine überraschende Wendung kommen würde, die ihn wieder hoffen ließ. Aber es würde kein Wunder passieren. Das war kein Roman oder ein Geschichtenerzähler auf einem Forum. Das war das echte Leben. Gerade die beiden Herren sollte wissen, wie gnadenlos die Realität sein konnte. Gleichzeitig musste er diese Worte einfach ausgesprochen hören, damit sie ihre volle Wirkung entfalten konnten. An dieser Stelle wusste der Wolf nicht mehr, wie gut sein Pokerface wirklich war. Aber so vertieft, wie der Illusionist vor ihm in seine eigene Erzählung war, hoffte der Lupine einfach, dass es gut genug war, um jenen nicht versehentlich zu unterbrechen. Jeder andere hätte diese Geschichte einfach nur gehört. Rownan jedoch konnte sie nachvollziehen, denn er fühlte mit Lian. Er fühlte mit Lian, denn so wie es diesem mit Gin ging, ging es ihm mit Lian. Oh, ich weiß genau wie schwierig das für dich ist. Die beiden Magier waren so gegensätzlich. Im Zug war der Satyrs fasziniert vom Verhalten seines Kollegen gewesen, er wollte wissen, wie weit diese Fassade ging. Am Ende ihrer Quest aber spätestens nach ihrem kurzen Moment an der Bar hatte es der junge Mann aus Aloe geschafft, dem rationalen Hybriden den Kopf zu verdrehen. Dabei ging es ursprünglich nur darum seine Fertigkeiten zu nutzen. Nach und nach schwang immer mehr von etwas mit, womit der Lupine so überhaupt keine Erfahrung hatte. Jedoch hatte er das Gefühl, dass er diese Reise mit Lian bestreiten konnte. Und das taten sie ja zum Teil auch, wie die letzte Nacht bewiesen hatte. So weit wie Gin allerdings, hatte es der Wolf noch nicht geschafft. Die Gründe dafür waren ihm, wie bereits gesagt, bewusst, die Geschichte ging jedoch weiter. Natürlich hatte Lian sie geliebt, wie sollte es auch anders sein. Kein Wunder, dass die plötzliche Gradwendung seines Jugendschwarms ihn an einen noch finstereren Ort beförderte, als er vielleicht bereits war. Auch diese Geschichte, wie auch die seiner Familie, war eine, über die sie sprechen konnte. Sprechen sollten. Nur nicht in diesem Moment. Die Welle, die sich aufgebaut hatte, sollte zeitnah an der Küste brechen. Die Frage war nur: War er in der Lage mit der Wucht umzugehen?
Wenn man so etwas erlebte hatte, war es fast nur logisch, dass ein erneutes Zusammentreffen eine Achterbahnfahrt der Gefühle auslöste, besonders dann, wenn der Eindruck entstand, dass man den anderen vor sich, den man liebte und so gut kannte, plötzlich wie einen ganz anderen Menschen wahrnahm. Dabei gab er jedoch nicht nur den Umständen die Schuld, sondern auch sich selbst. Es war ein Konflikt, der den Jungen durchgehend zu beschäftigen schien. Gleichzeitig erkannte Rownan in diesem Momente das Potenzial, dass er der Magier angerechnet hatte. Er brauchte nur einen Grund seine Talente zu kanalisieren. Scheinbar war Gin ein solcher Fokus. Aber daran wollte der Satyrs gerade keinen großen Gedanken verschwenden. Jetzt ging es um ihn und er hatte schon so vehement mit seiner Fassung zu kämpfen. Ein Aussage brannte sich jedoch in sein Gedächtnis: Lian brauchte Hilfe. Die Frage war nur, was für welche? In erster Linie jedoch, musste dieser vielleicht erkennen, dass diese Ohnmacht, die er empfand, nicht seine Schuld war. Dass es nichts brachte, wenn man sich mit Dingen beschäftigte die man nicht ändern konnte. Beinahe hätte Rownan bei diesem Gedanken aufgelacht. Ironisch, dass ein solcher Gedanke ausgerechnet von ihm kam, dem Tiermenschen, der sich im eigenen Körper gefangen fühlte und alles daransetzte, diesem animalischen Käfig zu entkommen. Was auch immer der Braunhaarige also für Hilfe brauchte, es war der Hybride, der ihn zumindest dabei unterstützen konnte. Unterstützen wollte. Nichtsdestotrotz zeigte auch die Reaktion seines Gesprächspartners, wie tief diese Wut, die ihn beeinflusste, in ihm schlummerte. Nicht verwunderlich, dass der Wüstenbewohner sich so hinter seine Fassade versteckte. Genau wie beim Hybriden, wusste er nicht, was passieren würde, wenn er sie konfrontierte. Wenn man sie ganz tief vergrub, konnte sie keinen Schaden anrichten. Ein Trugschluss, wie der Wolf bereits am eigenen Leib spüren durfte. Und beinahe auch der Magier vor ihm. Gin kristallisierte sich, wie erwarte, immer mehr zu dem Element in Lians Leben, das dessen ganzes weiteres Entwicklung beeinflusste. Alpträume waren dabei schon eine sehr starke Reaktion auf Erlebnisse, besonders dann, wenn sie immer und immer wieder auftraten. Ein Teufelskreis aus dem der Schütze dringend entkommen musste. Es waren diese Worte bei denen sich Rownan förmlich an den Stuhl klammern musste, um nicht aufzuspringen und irgendwie zu versuchen, etwas von dieser Selbstzerstörung aufzufangen. Einfach irgendwas unternehmen, damit es dem anderen zumindest einen Moment besser ging. Aber nicht, wenn er so verdammt nah dran war, endlich die Worte zu hören, die er noch immer wusste, dass sie kommen würden. Der Brief, der aus Maldina eingetroffen war, sein Brief, war nun endlich die finale Überleitung zu diesem Teil.
Der Blick, den Lian ihm zuwarf, transportierte zu vieles, als dass man es mit Worten ausdrücken konnte. Jedoch war er sich bei einer Sache sicher: die Ehrlichkeit, die er verlangt hatte, würde kommen. Daran bestand kein Zweifel. Wie bereits erwähnt war es jedoch Rownan, der nun all zu gerne mit einer Lüge gelebt hätte. Die Rechtfertigung war eine nette Geste, keine Frage, aber irgendwie löste sie mehr Unbehagen aus. Dabei bezeichnete ihn der Braunhaarige als einen Freund, den er nie gehabt hatte. War das nicht ein verdammt großer Schritt? Müsste er nicht Freudensprünge machen? Eigentlich schon. Wäre da nicht letzte Nacht gewesen. Was auch immer jetzt für eine Erklärung kommen würde, sie musste verdammt gut sein, damit Rownan nicht traurig, enttäuscht und wütend aufsprang, nachdem er endlich die Bestätigung erhielt, auf die er seit beginn der Erzählung warte. Wie gewohnt schaffte es Lian dann etwas zu tun, das ihn überrumpelte. Ich habe die Augen, wie sie? Wie Gin? Natürlich war es eine Parallele zu Gin. Warum sonst war der Wüstenmagier so distanziert am Morgen!? Aber er musste es von Lian selbst hören damit er es glaubte: es war ein körperliches Attribut, dass so viele Nähe und gleichzeitig Distanz erzeugte. Die diversen Bilder des Abends überfluteten seine Gedanken. Es war diese eine, diese entscheidende Szene. Das Stocken. Hatte er deswegen gestockt, bevor sie sich völlig verloren hatten? War es die Ähnlichkeit in Kombination mit den Alpträumen, die die Sphynx dazu bringen wollten abzubrechen, wenn nicht der Alkohol gewesen wäre? Hatte Lian vielleicht deswegen etwas übermäßig getrunken? Weil er seinen Freund nicht länger als fünf Minuten in die Augen gucken konnte, ohne an sein Liebe zu denken. An seine einzige Liebe, so wie es schien. Ausgerechnet seine Augen. Das einzige Merkmal an ihm, das menschlich war. Vielleicht gerade deswegen? Es war diese konkrete Erkenntnis, die ihn lähmte, die seine Miene erstarren ließ und ihn regungslos auf dem Stuhl fesselte. Wohlmöglich zu seinem Glück, denn sonst hätte sein Gastgeber all diese Dinge an seinem Gesicht ablesen können. So musste es wirken, als ob Rownan durch diesen hindurchsah. Lian war sicher nicht der Einzige, der jetzt gerne die Zeit zurückdrehen wollte.
Er liebt immer noch Gin. Das tat weh, aber was sollte er dagegen tun? Die Kette hätte es ihm verraten sollen. Was wollte er dagegen tun? Wie ein Dolch, der langsam in sein Herz gestoßen wurde. Diese Art Schmerz hatte er das letzte Mal als kleiner Junge im Heim gespürt. Es war der emotionale, gegen den keine Medizin half. Nur Zeit. Aber selbst Zeit schien bei Lian nicht zu reichen, wenn zwei Jahre in einem Moment wie ausgelöscht waren. Wie sollte Rownan es dann schaffen, wenn selbst jemand wie sein Freund, vielleicht sein bester Freund, es nicht schaffen konnte? Hatte Rownan einfach Pech? Wenn sie sich früher kennen gelernt hätten, wäre das alles unter Umständen anders ausgegangen? War das alles? War er zu spät gekommen? Ein mehr als bitterer Gedanke. Wie sonst sollte man sich fühlen, wenn man das eigene Glück um so wenige Zentimeter verpasst hatte? Allerdings waren das nur Spekulationen, die brachten einen in diesem Moment nicht weiter. Sie halfen ihm jedoch alles zu verarbeiten, was gerade auf ihn einprasselte. Er fühlte sich nicht mehr benutzt, das tat er schon vorher nicht mehr. Jetzt war er fast froh Lian, wenn auch betrunken, etwas Seelenheil gegeben zu haben. Er hatte ihm etwas Nostalgie ermöglicht, ihn in eine Zeit zurückversetzt, die schöner war. Vielleicht sogar seine schönste Zeit, weshalb es umso schmerzvoller war, als diese zusammenbrach, vor über zwei Jahren. Es war nur schade, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, dass es nur Rownan war, der diese Erfahrung im Kopf hatte. Vielleicht, irgendwann würden sie es wiederholen , bei klarem Verstand, sodass es eine gemeinsame, neue und schönere Erinnerung werden konnte. Bis dieser Tag kam, war es an ihm, diese positive Erinnerung zu erhalten. Aber die Frage war noch immer, wie er jetzt reagieren sollte? Jede Emotionen hatte ihre Berechtigung. Rownan musste sich fragen, was er wollte. Was er wirklich wollte. Ehrlichkeit war doch das Primat der Stunde. Er hätte am liebsten gebettelt, um Lian umzustimmen, aber nach allem, was ihm gerade erzählt wurde, wäre das weder aufrichtig noch fair gegenüber Lian gewesen. Was der Junge in diesem Moment brauchte war ein Vertrauter, keine Ablenkung. Aber kann man es Rownan verdenken, dass er hart mit sich kämpfen musste diese Botschaft zu transportieren, nachdem er erfahren hatte, dass er die Nummer zwei war und vielleicht ewig bleiben würden? Er durfte nicht mal sauer sein, wenn Lian so fühlte, was konnte er dagegen tun? Gerade für Rownan, der immer alles durch harte Arbeit erreichen konnte, nagte diese Ohnmacht an ihm. Gefühle waren nichts, die man durch harte Arbeit erzeugen konnte. Besonders dann nicht, wenn jegliche Mühe vergebliche wäre, weil das Herz des anderen bereits einer anderen gehörte. Lian jedenfalls hatte sein Herz gestohlen und gab es wohl nicht so schnell wieder her. Fast eine ironische Aussage, wüsste der Lupine, was genau mit Gin geschehen war. An diesem tiefen Punkt, vielleicht der tiefste Punkte in seiner neusten Geschichte, kamen die Worte des Falls ihm wieder in den Sinn. Hatte er ihn nicht als einen Freund bezeichnet, den er vielleicht nie hatte? Musste er dieser Rolle nicht gerecht werden? Natürlich brauchte er jetzt Trost. Aber war es nicht viel eher Lian, der jetzt eine starke Schulter brauchte? Eine Person, die ihm sagte, dass der Kampf nicht verloren war? Dass sie natürlich weiterhin Freunde waren? Dass er alles akzeptierte und sogar verstand, was jener von ihm verlangte? Hatte er sich nicht noch im Bad vorgenommen der Ältere, der Vernünftigere zu sein? Musste er also seine eigene Gedankenwelt und seine Gefühlswelt verschließen, um die Hand, die sich gerade so sehnsüchtig nach ihm streckte, zu greifen und aufzufangen, bevor die so facettenreiche Persönlichkeit, die in diesem Moment vor ihm saß, wieder in das Loch viel, aus welchem sie so Mühsam gekrochen war? Rownan hasste sich so sehr für diese Ansage an sich selbst. Warum war er nur so verdammt stolz. Die Rolle des Samariters gefiel ihm überhaupt nicht, obwohl er wusste, dass er das Richtige tat. Sollte das Richtige sich so miserabel anfühlen? Es gab so vieles, dass er lieber gesagt hätte, allen voran seine Gefühle gebeichtet. Aber die Worte, die er wählte, waren die richtigen.
Es dauerte noch einige Sekunden, bis sich auch der Hybride gesammelt hatte. Ohne ein Wort zu äußern, erhob er sich und setzte sich jetzt neben Lian, nicht parallel zu ihm, wirklich neben ihn, sodass sie sich berührten. Dann erst führte er seinen Arm um dessen Rücken und kam mit der Hand auf dessen Oberarm zum Stehen, drückte ihn etwas an sich während er ein paar Mal nach oben und unten strich. Es war keine Umarmung, die irgendeinen Bezug zu ihren vergangen Handlungen hatte. Das war eine stramme, freundschaftliche Umarmung. Eine Art maximale Zuneigung zwischen Kerlen. Das wollte er Lian vermitteln und Verständnis für die Worte, die er geäußert hatte, aufbringen. So konnte dieser sich an ihn anlehnen, seinen Kopf ablegen, wenn er wollte und einfach loslassen. Gleichzeitig brauchte Rownan selbst diese Nähe, um sich durchzuringen, die Stille zu brechen. „Wir können nicht ohne Streit, oder?“ eröffnete der Lupine und musste dabei selbst leicht durch die Nase pusten. Es war diese Unart, die er sich in der Nähe des Diebes angewöhnt hatte. Jede noch so ernste Situation mit Komik aufzuhellen. „Lian du bist schon etwas Besonderes. Etwas Besonderes für mich“. Rownan merkte wie seine Augen wässrig wurde, weshalb er den Kopf gen Decke richtete. Er durfte und wollte dem Jungen nicht zeigen, wie sehr ihn das alles belastete. Er wollte für ihn der Freund sein, den er nie hatte. Er musste jetzt stark sein, stark für beide. Noch wurde seine Stimme nicht brüchig, weshalb er nach einer kurzen Pause fortfahren konnte. „Was ich vorhin gesagt habe tut mir aufrichtig leid. Ich habe da Dinge auf dich projiziert, die nicht fair waren. Ich habe Dinge gesagt, die ich so definitiv nicht meine. Jetzt wo du mir einen Einblick gegeben hast, verstehe ich deine Reaktion natürlich. Und ich hätte es besser wissen müssen als dich direkt anzugehen. Das hätte ich auch eigentlich aus unserem Treffen im Zug noch wissen müssen“. Ein weiteres Mal atmete er tief ein und aus, um weiterhin seine Fassung zu wahren. „Ich danke dir für deine Worte, deine ehrlichen Worte. Wie du bereits gesagt hattest, gibt es viele Dinge, die ich nicht von dir wusste. Aber dieser Einblick, bedeutet mir viel, weil ich weiß, wie schwer es für dich war, mir das alles zu erzählen. Weil wir es beide nicht gewohnt sind unsere harten Schalen abzulegen und einfach mal das zu tun und zu sagen, was wir wirklich gern tun würden. Unter Umständen war der Alkohol unsere Art das Eis zu brechen. Hätten wir vielleicht auch besser wissen müssen“. Erneut schnaufte er angesichts der Komik des Satzes. „Es gibt so viele Dinge, an denen wir beide arbeiten müssen. Aber jetzt wo wir uns … als Freunde, gute Freunde, vielleicht auch beste Freunde, irgendwann Mal, gefunden haben, haben wir endlich eine Chance. Ein Chance die Dinge zu erreichen, die uns verwehrt geblieben sind. Lian wir sind endlich nicht mehr allein in diesen Kämpfen. Kannst du dir das vorstellen“ und damit intensivierte er kurz den Griff um den Arm, um ihn wenig zu schütteln „wir haben endlich jemand mit dem wir reden können, der uns den Rücken deckt. Jemand mit dem wir endlich einen Schritt vorwärtskommen, statt immer zwei Schritte zurückzumachen. Um nichts in der Welt würde ich das missen wollen. Dieses Gefühl. Deswegen frag ich dich jetzt: kannst mir meinen kleinen Fauxpas verzeihen?“. Es war nicht so, dass er direkt eine Antwort erwarte. Oder überhaupt eine Antwort. Zumindest nicht sofort. Lian sollte sich Zeit nehmen. Zeit die der Lupine für eine letzte Nachricht nutze. „Ich weiß nicht, ob du es hören möchtest, es ist eigentlich auch alles, was ich dazu sagen will: Du sahst gestern das erste Mal, seit ich dich kenne, richtig glücklich aus. So unbeschwert. Und mir ging es ebenso. Ich würde mich freuen, wenn das irgendwann unser Normalzustand wäre, das Glücklich-sein“. Eine schwere Geburt. Aber besonders durch seine letzten Aussagen, lenkte er ihr Gespräch in eine Richtung, die Lian nicht verneinen konnte. Rownan nahm nicht grundlos die Schuld auf sich. Er hatte seine Worte begründet. Es waren aber die Chancen, die der Wolf ehrlich meinte. Sie waren nun Vertraute, die sich helfen konnte, die Geister ihrer Vergangeheit zu vertreiben, Was danach folgte blieb ungewiss. Aber war nicht schon ein Fortschritt? Eine ungewisse Zukunft zu besitzen? Dabei würde es alles andere als leicht für den Lupinen werden in Zukunft mit dem Magier aus Aloe zu interagieren. Denn genau wie Rownans Iriden Lian an Gin erinnerten, so erinnerten ihn die grünen Seelenspiel an die eigene, unbeantwortete Liebe. In diesem Moment war er froh, dass sein Fell noch so feucht war. Denn so fiel die dazukommende Feuchte vielleicht nicht so auf. Es würde ein langes Wochenende werden.
Es war eine ganz merkwürdige Mischung aus Unsicherheit, Erleichterung, Trauer und Wut, die über Lian hinwegfegte und ihn innerlich vollkommen aus der Bahn warf. Insgesamt konnte man allerdings sagen, dass er sich ziemlich klein und erbärmlich fühlte, nach allem, was er gesagt hatte und nach allem, was in den vergangenen Stunden so geschehen war. Der Falls hatte nie jemanden so tief in seine Seele blicken lassen, hatte niemandem seine Gefühlswelt offenbart. Und alles, was mit Gin zusammenhing, war eine Thematik, der er ganz bewusst in den letzten Jahren ausgewichen war, sowohl sich selbst gegenüber als auch im Gespräch mit anderen Menschen. Niemals hätte er gedacht, dass er heute mit gesenktem Kopf in seiner Wohnung sitzen und ausgerechnet Rownan von diesen unschönen Dingen aus seiner Vergangenheit erzählen würde, dass er offenbarte, dass sein Herz einer ganz bestimmten Person gehörte und er von dieser Person einfach nicht loskam – unabhängig davon, ob er es sich wünschte oder nicht. Dass er seine Gefühle einfach nicht im Griff hatte und diese ihn von einem Tief zu einem Hoch und schnurstracks wieder zurückbeförderten. Das war schon ziemlich erbärmlich, oder? Und doch konnte der Bogenschütze nichts daran ändern, wie er in den letzten Monaten zunehmend zu spüren bekommen hatte. Seine Gefühle interessierten sich nicht dafür, was logisch oder einfach war, obwohl Lian ein Mensch war, der es einfach und unkompliziert haben wollte. Er hasste es, sein ganzes Leben so wenig unter Kontrolle zu haben, diese Ohnmacht zu spüren, mit der vermutlich auch Rownan in diesem Moment kämpfte. Sie beide dachten ähnlich: Gefühle waren nichts, was man erzwingen oder leiten konnte und doch wünschten sie sich gleichermaßen, dass es anders wäre.
Die Stille, die sich zwischen den beiden Magiern einstellte, war eine Stille, die Lian aushalten musste. Und wieder fragte er sich, wie Rownan auf diese Offenbarung reagieren würde – es war nicht unwahrscheinlich, dass er aufstehen, sich umdrehen und gehen würde. Es wäre ein herber Schlag für den Falls, das spürte er, sobald er auch nur an diese Möglichkeit dachte. Es hätte ihn in vielen Dingen bestätigt, allem voran darin, dass es ein Fehler war, sich irgendjemandem anzuvertrauen, jemandem die weichen Seiten zu zeigen, die man trotz aller Fassade ebenso in sich trug. Es machte die Dinge nur schlimmer, nicht besser. Mindestens genauso grausam wäre aber wohl die Erkenntnis gewesen, dass er eine Freundschaft, die sich allmählich aufgebaut hatte, mal wieder gekonnt selbst sabotiert hatte. Und damit meinte Lian nicht einmal ihre gemeinsame Nacht, sondern sein Verhalten am Morgen, sein Versuch, die Distanz zwischen ihnen wieder herzustellen, ohne dabei ehrlich zu sagen, was ihn eigentlich bewegte. Der Falls hatte sich in seine typische Art und Weise geflüchtet und wäre damit vielleicht sogar durchgekommen, wenn Rownan nicht auf dieses Gespräch gepocht hätte. Ein Glück, dass der Satyrs das getan hatte! Ja, es barg Risiken, doch neben den Risiken gab es ihnen auch viele Chancen. Chancen, eine neue Ebene in ihrer Beziehung zueinander zu erreichen, die über ihre sonstige Oberflächlichkeit hinwegging. Ganz gleich, was aus dieser Situation entstehen würde, Lian hatte jetzt schon das Gefühl, den Hybriden mit anderen Augen zu sehen, ihn mehr zu verstehen, alleine dadurch, dass der Satyrs nicht nur von sich selbst erzählt hatte, sondern er auch von wichtigen Teilen seiner Vergangenheit erfahren hatte.
„Jedes Mal, wenn wir sprechen, wenn wir wirklich auf Augenhöhe miteinander reden, haben ich das Gefühl, dass ich mich selbst besser verstehe, wenn ich dich besser kennen lerne“
Rownan hatte mit dieser Aussage so unglaublich recht gehabt, es war schon fast gruselig. Dadurch, dass sie miteinander sprachen, schaffte es Lian, sich auch mit den unschöneren Seiten von sich selbst auseinanderzusetzen, es zumindest zuzulassen, darüber nachzudenken. Die Anwesenheit des Hybriden half ihm, gab ihm irgendwie eine Motivation und Kraft, die er sonst nicht gehabt hätte. Der Illusionsmagier konnte nicht genau erfassen, warum das so war, aber die Wirkung war mehr als deutlich, gar nicht zu übersehen. Oh, bitte. Je mehr er darüber nachdachte, desto intensiver wünschte er sich, dass Rownan sich nicht umdrehen und einfach gehen würde. Dass er mehr in ihm sah als eine Illusion, der er zum Opfer gefallen war. Wenn es dem 19-Jährigen nicht so verdammt miserabel gehen würde, hätte er über diese komischen Gedankengänge vermutlich lauthals aufgelacht – aber in der Stimmung war er gerade nicht. Er hatte mit den Dingen, die er offenbart hatte, eine Hand nach dem Hybriden ausgestreckt und wünschte sich, dass diese Hand ergriffen wurde. Es fühlte sich für den Braunhaarigen wie eine Ewigkeit an, bis Rownan sich endlich von dem Stuhl erhob und auf ihn zutrat. Ohne groß Worte zu verlieren, setzte sich der andere Magier neben ihn, legte den Arm um ihn und drückte ihn an sich. Die plötzliche Geste, die auch non-verbal deutlich machte, dass der Lupine für ihn da war, ließ Lian schlucken. Und plötzlich spürte er einen Kloß im Hals und sein Blick verlor sich hinter einem feuchten Schleier. Fuck. Das war es gewesen, was er hatte verhindern wollen – dieser Verlust von Kontrolle über seine Mimik, seine Gestik, einfach über sein ganzes Auftreten. Aber der Braunhaarige konnte es nicht verhindern, selbst als er die Augen schloss und sich auf die Unterlippe biss, um jegliches Geräusch, das ihn verraten könnte, zu unterdrücken – die Anwesenheit von Rownan und seine Geste ließ die Dämme brechen. Stumm rannen Tränen die Wangen des 19-Jährigen herunter, der so mit sich selbst beschäftigt war, dass er dadurch nicht einmal mitbekam, dass es dem Hybriden ganz genauso erging wie ihm selbst. Dass auch er mit den Tränen zu kämpfen hatte, wenngleich es unterschiedliche Ursprünge hatte. Lian konnte es gerade nicht aussprechen, aber… er war Rownan wirklich dankbar für das, was er tat. Es sprach von einer ziemlich großen charakterlichen Stärke, in diesem Moment so zu reagieren und einen Beistand zu leisten, obwohl man doch selbst derjenige war, der Beistand haben wollte. Ganz gleich, was zwischen ihnen geschehen war, vielleicht zeigte sich in diesem Moment doch, dass der Satyrs die reifere Person von ihnen beiden war. Ob Lian sich umgekehrt genauso hätte verhalten können? Eine Frage, die sie an diesem Tag nicht mehr beantwortet bekommen würden. Ohne bewusste Entscheidung oder langes Nachdenken, lehnte sich der junge Mann tatsächlich gegen Rownan und ließ es einfach zu, dass man ihn festhielt, während die Tränen seine Wangen herabliefen. Nachdem er so viel Raum mit seinen Erzählungen eingenommen hatte, war nun der Punkt erreicht, an dem auch der Satyrs endlich Dinge aussprechen konnte, die ihm auf der Seele gelegen hatten. Und das, was er sagte, berührte Lian sichtlich. Nicht nur, dass er etwas Besonderes für ihn wäre, sondern auch seine Entschuldigung für die Dinge, die er dem Falls an den Kopf geworfen hatte. Um das festzuhalten: Der 19-Jährige hatte keine Entschuldigung erwartet, hätte sie auch nicht gefordert, denn ganz gleich, was Rownan sagte, ihm war bewusst, dass es nicht vollkommen unbegründet gewesen war. Lian hatte sich beschissen verhalten, so wie er es vermutlich viel zu oft tat und damit den Menschen vor den Kopf stieß. Dennoch tat es gut, dass Rownan ihm durch das, was er sagte, mehr oder minder einen Freispruch gab, zumindest deutlich machte, dass er keinen Groll gegen ihn hegte und wirklich Verständnis für ihn hatte. Dass ihre Freundschaft eine Zukunft hatte? Ja, der Lupine sprach aus, was Lian sich erhofft hatte und ganz gleich, dass sich der junge Mann echt erbärmlich vorkam, so wie ihm die Tränen unkontrolliert die Wangen herabliefen, so musste er doch lächeln. Einerseits, weil er sich freute zu hören, dass sie beide nicht mehr allein wären, dass sie sich gegenseitig Halt geben konnten, sich in ihren Kämpfen unterstützten. Aber auch, weil die Ausdrucksweise, mit der Rownan sprach, einfach so typisch der Satyrs war. Seine Worte waren so hochgestochen, so mächtig, so übergreifend… es war eine Wortgewalt, die Lian so nicht hätte zum Ausdruck bringen können. Aber irgendwie war auch das eine Art, die er in der Zeit, die er bereits mit dem Satyrs verbracht hatte, liebgewonnen hatte. Und anders als bei ihrer ersten Begegnung, damals auf dem Bahnsteig in Crocus, war auch seine Ausdrucksweise etwas, das Lian nicht mehr missen wollte. Wow – Rownan hatte es echt geschafft, eine ziemlich wichtige Rolle in seinem Leben einzunehmen. Jemand, dem er vertraute. Und jemand, den er nicht verlieren wollte, so unterschiedlich sie vielleicht auch waren. Oder gerade weil sie so unterschiedlich waren? Gut möglich.
Und es war die letzte Aussage von Rownan, die den 19-Jährigen auf eine erneute Achterbahnfahrt der Gefühle schickte… und ihn dann, nach kurzem Zögern, trotz all der Tränen, leise auflachen ließ. Er hatte glücklich ausgesehen? Unbeschwert? „Fuck, vermutlich war ich das auch“, gab der Braunhaarige dann zu, deutlich weniger hübsch ausgedrückt, als sein Freund es getan hätte. Doch die Botschaft blieb die Gleiche: Ja, Lian konnte sich vorstellen, dass er gestern in diesem Moment der Zweisamkeit wirklich glücklich gewesen war, weil er alles, was ihn sonst so beschäftigte, einfach hatte wegschieben können. Er hatte sich bei Rownan fallenlassen, ein bisschen so, als würde es diese ganzen Dinge gar nicht geben. Einerseits bereute er es, sich am gestrigen Abend nicht kontrolliert und auch beim Alkohol übertrieben zu haben. Andererseits war es vermutlich der einzige Weg gewesen, diesen Moment des Loslassens wirklich zu erreichen. Der Falls fand es schade, dass er – anders als Rownan – wirklich keine Erinnerung daran hatte. An diese Glückseligkeit, von der der Hybride sprach. Lian hatte sich noch nicht genug gesammelt, um das Gespräch wirklich fortführen zu können, das spürte er. Aber damit war er nicht alleine, oder? Nein, der Falls war sich sicher, dass auch der Lupine die Dinge, die geschehen und gesagt worden waren, verarbeiten musste. So schwer das alles auch war, Lian kam nicht umhin, zu erkennen, dass er es genoss – nicht allein zu sein, Rownan an seiner Seite zu wissen, demgegenüber er sich hatte öffnen können und der ihm auch noch Halt anbot. Egal wie stark man sich nach außen hin auch gab, wer sehnte sich nicht danach, jemanden zu haben, der für einen da war? Jemanden, bei dem man die Fassade auch mal ablegen konnte? Vielleicht hatte er in Rownan wirklich so eine Person gefunden. Die Freundschaft zum Hybriden war etwas Besonderes und kostbar. Etwas, das er sich nicht verspielen wollte. Er hoffte inständig, dass er es schaffen würde, sich klug genug hierfür zu verhalten. Und so verstrich einige Zeit – Lian konnte nicht sagen, wieviel – bis er sich wieder regte. Die Tränen hatte der 19-Jährige wieder unter Kontrolle bekommen, auch sein Atem hatte sich beruhigt und die Gedanken waren geordneter. Auch die Stimme hörte sich deutlich fester an, als der Falls aussprach: „Danke, Rownan. Ich… weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Mit dem Handrücken strich der Braunhaarige sich über die Augen, um auch die letzten Reste von Tränen verschwinden zu lassen. So schlimm das alles auch gewesen war, Lian fühlte sich nach allem irgendwie… leichter. Freier. Er atmete tief ein, dann wieder aus und löste sich dann wieder etwas vom Hybriden, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Vermutlich sah man dem jungen Mann immer noch an, dass er ziemlich angeknackst war, aber tatsächlich fand ein leichtes Lächeln den Weg zurück in seine Züge und gab ihm zumindest den Hauch von dem zurück, was man sonst von ihm kannte. „Ich bin vielleicht nicht immer die Art von bestem Freund, den man sich wünschen würde, aber… ich geb mir Mühe?“ Moment, das hörte sich so an wie das mit der Ehrlichkeit – da hatte Lian auch angekündigt, sich Mühe zu geben und man sah, wie viele Umwege die beiden Magier hatten gehen müssen, um endlich an diesen gemeinsamen Punkt zu kommen. Es war eben nicht immer einfach mit dem Bogenschützen… Er hob die Schultern ergeben an und ein leichtes Amüsement, das aus seinem Ausdruck sprach, gab der gesamten Situation einiges an Leichtigkeit zurück. „Ich werde dir auf jeden Fall den Rücken decken, wann immer es nötig ist, das verspreche ich dir. Und vielleicht fang ich mir dann ja auch mal ein Messer ein und nicht umgekehrt.“ Irgendwie hätte sich Lian gerade gerne wortgewandter ausgedrückt, aber das war eine Fähigkeit, die nun einmal eindeutig bei Rownan lag. Er hoffte, sein Freund verstand dennoch die Tragweite von dem, was der Falls sagte und verzieh ihm auch, dass er – mal wieder – mit einem leicht scherzhaften Unterton antwortete. Ja, das war eine Eigenschaft vom Illusionisten, die ihn einfach ausmachte – wenn es nicht so wäre, wäre es eben nicht Lian Falls, mit dem man sprach. Und zeigte das nicht auch indirekt, dass es ihm besser ging? Der Blick seiner hellgrünen Augen wanderte gen Zimmerdecke, als er nochmals darüber nachdachte, was Rownan mit ihm geteilt hatte. Ohne den Blick wieder zu ihm zu wenden, fuhr er fort: „Ich bin echt froh, dass ich dich kennengelernt habe. Und dabei hatte ich damals so absolut keine Lust, als ich auf die Quest in Crocus geschickt worden bin und diesen hochnäsigen Lupinen kennengelernt habe, mit dem ich zusammenarbeiten sollte. Wer hätte gedacht, dass sich diese Freundschaft daraus entwickeln würde? Ich damals sicherlich nicht.“ Er senkte den Blick wieder und sah in die hellblauen Iriden, die ihn immer noch an Gin erinnerten… aber gleichzeitig eben auch die Augen von Rownan waren. Überrascht über sich selbst stellte Lian fest, dass er die Ähnlichkeit immer noch erkannte, es sich aber doch anders für ihn anfühlte, seit er darüber gesprochen hatte. Er erkannte beide Personen, die hinter diesen Augen steckten, was es einfacher machte, in sie zu blicken, ohne dass seine Gedanken ihn in irgendwelche dunkleren Gefilde führten. Der junge Mann schnaubte und stand dann auf. Er drehte sich auf dem Absatz um und breitete die Arme lächelnd aus, eher so, wie man es von ihm kannte und doch gleichzeitig einen Hauch anders. Vertrauter. „Also, dann lass es mich doch gleich probieren, dir bei deinem Kampf zu helfen. Rownan, du bist auch hierhergekommen, weil du meine Hilfe benötigst. Was hast du dir gedacht? Ich bin für alles bereit… denke ich.“ Ein vorsichtiges Schmunzeln zeigte sich und die hellgrünen Augen blitzten auf. Lian war dabei nicht bewusst, dass das, was Rownan sich hier gedacht hatte, für beide gleichermaßen eine Hilfe sein sollte und der Hybride daher nicht der Einzige war, der aus dem, was heute noch geschah, etwas ziehen würde. Voraussichtlich. Aber das würde der 19-Jährige zu einem späteren Zeitpunkt an diesem Tag noch feststellen.
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