Ortsname: Lians Wohnung Art: Wohnung Spezielles: Bewohnt von Lian Falls
Beschreibung: So wie viele andere Gildenmitglieder von Crimson Sphynx wohnt auch Lian Falls direkt im Gildenpalast, genauer gesagt im Ostturm. Das kleine Kabuff, das ihm zugeteilt worden ist, kann keinen besonderen Luxus vorweisen, ist allerdings zumindest mit den wichtigsten Möbelstücken ausgestattet. Neben einer Küchenzeile, einem Tisch mit Stühlen, einem großen Bett, einem kleinen Kleiderschrank sowie einem Schreibtisch gibt es auch noch ein kleines Badezimmer mit Dusche. Während andere Gildenmitglieder ihre Wohnungen persönlich einrichten, lassen die vier Wände von Lian dies vollkommen vermissen. Die Wände sind weiß, es gibt keine Bilder, keine Pflanzen und bis auf den chaotischen Schreibtisch und die teilweise unordentlich über die Stühle geworfenen Klamotten auch sonst kaum persönliche Gegenstände, die einen Außenstehenden erkennen lassen, dass Lian Falls hier wohnt. Die Bücherregale über dem Bett sind leer, die Küchenschränke über Herd und Spüle nur mit der Grundausstattung gefüllt, die bereits beim Einzug vorlag. Insgesamt sieht es nicht so aus, als würde Lian sich hier wirklich einrichten wollen oder damit rechnen, längere Zeit an diesem Ort zu bleiben.
Change Log: Ein leeres Kuchenblech steht auf der Küchentheke. Gleich daneben liegt ein gefaltetes Männershirt, bei dem man wohl erst auf den zweiten Blick erkennt, dass die Größe nicht zu Lian passt.
War er… frustriert? Nein, das konnte nicht sein, denn Frustration würde bedeuten, dass er irgendetwas gewollt, es aber nicht erreicht hatte. Es würde bedeuten, dass er sich nicht nur ernsthaft mit dem Gedanken auseinandergesetzt hatte, diesen Beförderungsantrag ausfüllen zu wollen, sondern dass er sich bereits ausgemalt hatte, dass es funktionieren könnte. Dass er kurzzeitig daran geglaubt hatte, wirklich vom Mädchen für alles aufsteigen und ein besserer Magier werden zu können und an diesem Vorhaben gescheitert war. Nein, Lian musste sich dieses eklige, bittere Gefühl in seinem Brustkorb einbilden, vermutlich brachte er es durch die turbulenten Ereignisse an diesem Wochenende einfach durcheinander. Wie ein Dogma wiederholte der Bogenschütze gedanklich, dass er ein kleines Licht bleiben wollte, das unter dem Radar flog und dass Aufmerksamkeit und Verantwortung die Letzten Dinge waren, auf die er Lust hatte. Er konnte ein paar kleine Illusionen heraufbeschwören, aber wenn er es verglich mit den Fähigkeiten, die Charon oder Yuuki gezeigt hatten, so kam sich der 19-Jährige immer noch schrecklich erbärmlich vor. Er konnte keine Finsterniskugeln heraufbeschwören, herabfallende Felsen mit dem bloßen Körper abfangen, er konnte die Zeit nicht zurückdrehen oder durch die Luft fliegen. Eigentlich konnte Lian seinem Onkel nicht einmal einen Vorwurf machen, dass er nicht sonderlich viel von ihm hielt. Vermutlich wäre auch Aram froh darüber gewesen, wenn die einzige Person, die neben ihm in der Familie Falls Magiebegabung besaß, ein bisschen mehr draufhatte als Illusionen heraufzubeschwören. Irgendeine Fähigkeit, die ein bisschen mehr Power besaß. Lian seufzte stumm, wandte sich von Rownan ab und schielte stattdessen wieder zum Beförderungsantrag auf seinem Schreibtisch. Gerade als er danach greifen und ihn einfach zerreißen wollte, um dieses Gespräch endgültig zu beenden, bemerkte er eine Bewegung im Augenwinkel. „Vergi…“ Aber weiter kam der junge Magier nicht. Noch ehe er sich zu der Bewegung hatte umdrehen können, spürte er plötzlich ein unerwartetes Gewicht auf seinem Kopf liegen, direkt gefolgte von Armen, die sich von hinten um seinen Körper legten. Die Zeit im Raum blieb kurz stehen. Im Vergleich dazu, wie nahe sich die beiden jungen Männer im Verlauf dieses Wochenendes bereits gekommen waren, war die Umarmung, die Rownan eingeleitet hatte, vollkommen harmlos. Warum erstarrte der Bogenschütze dann im ersten Moment? Warum bewegte er sich keinen Millimeter? Warum weiteten sich die hellgrünen Augen vor Überraschung, die Brauen huschten nach oben und der Mund stand einen Spalt breit offen? Ganz einfach: Weil Lian damit nicht gerechnet hatte. Und weil diese Umarmung so ganz anders war als die körperliche Nähe, die sie bisher gehabt hatten. Eine leichte Röte schoss dem Illusionisten auf die Wangen, wobei er nur hoffen konnte, dass sein dunkler Hautteint es ein wenig kaschierte. Was… was war los mit ihm?! Die Gedanken des Braunhaarigen waren wie leergefegt, sodass sie Nässe, die sich allmählich durch seine Kleidung sog, überhaupt nicht richtig wahrgenommen wurde. Das Einzige, was er bemerkte, war Rownan, der sich an ihn schmiegte.
Erst die dunkle, vibrierende Stimme des Satyrs brachte die jäh unterbrochenen Gedanken zurück. Lian konnte sich in der Umarmung nicht bewegen, konnte nur die Spitze von Rownans Schnauze über seinen Kopf hinwegragen sehen. Wieder war es der Zug in Crocus, auf den sie zu sprechen kamen… speziell ging es um ihre folgenreiche Auseinandersetzung in der Kabine. Die Überraschung wich aus den Zügen von Lian, stattdessen senkten sich seine Lider und er erinnerte sich an das Gespräch, dass die beiden Magier in ihrem aufgebrachten Gemütszustand miteinander geführt hatten. Sein Potential verschenken… wie nahe ihm die Worte von Rownan damals schon gegangen waren. Es war unbezahlbar, wenn es jemanden gab, der an einen glaubte, der einen in seinen Taten… nein, in seinem Sein bestärkte. Der einen nicht nur auf die Fehler und Makel aufmerksam machte, die man besaß, sondern insbesondere die guten Seiten hervorheben konnte. Gerade sah es danach aus, als wäre Rownan genau so eine Person. Potential – erneut ließ sich Lian das Wort auf der Zunge zergehen. Als der Hybride auf die Küchenmesser zu sprechen kam, konnte der Falls nicht anders, als zu grinsen. War es ein dämlicher Scherz? Oh ja, das war es. Vermutlich war er deshalb ganz genau richtig platziert, denn es machte die Situation, die sich für den Braunhaarigen bis eben noch so schwerwiegend angefühlt hatte, mit einem Schlag viel leichter. Es wurde leichter, weil er jemanden an seiner Seite hatte, der ihn bestärkte? Jemanden, der die sich immer wiederholenden, negativen Gedanken in seinem Geiste plötzlich durchbrach, wie das Licht am Ende eines langen, dunklen Tunnels? Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lian merkte, dass sein Freund die Umarmung gelöst hatte und er sich in seinem Stuhl herumdrehen konnte. Wieder waren es die hellblauen Iriden, von denen er seinen Blick kaum losreißen konnte, bevor er schief grinste. „Meine Regeln?“, fragte er nach und kam nicht umhin, leise zu lachen. Er konnte seinen Rang einfach freilassen? Nichts eintragen? Im ersten Moment kam Lian diese Idee vollkommen abstrus vor, doch im Zweiten war er einfach nur genial. Er hatte Angst davor gehabt, als Bittsteller vor seinen Onkel zu treten und von ihm abgelehnt zu werden. Dass man ihm schwarz auf weiß bestätigte, dass er ein Nichtsnutz war, der selbst, wenn er es wollte, für keine höhere Position geeignet war. Lian hatte Angst davor gehabt, bestätigt zu bekommen, dass seine Bemühungen doch nichts Wert waren. Aber wenn er den Rang nicht ausfüllte, konnte er auch nicht abgelehnt werden… ungläubig schüttelte der Falls den Kopf. Eigentlich hatte er sich selbst immer für ziemlich raffiniert gehalten, doch mit Rownans Raffinesse schien er absolut nicht mithalten zu können. Lian war beeindruckt… und stellte zudem fest, dass das ein Charakterzug an dem Satyrs war, den er ziemlich anziehend fand. Als der Lupine anmerkte, dass die Welt voller ehrgeiziger Charaktere wäre und damit sich selbst einschloss, hoben sich die Mundwinkel des Lockenkopfes zu einem amüsierten Schmunzeln an, das allerdings sofort wieder verschwand, als er die Krallenspitze spürte, die an seine Brust tippte. Magier, die ihr Herz am rechten Fleck haben? Lian wusste nicht, wie genau Rownan zu diesem Schluss kam, denn es war ein Urteil über ihn, mit dem er ziemlich alleine dastehen würde. Die Wenigsten hätten von Lian, dem Dieb, behauptet, das Herz am rechten Fleck zu tragen. Meistens war der junge Mann als Arschloch bezeichnet worden, als Egoist und als Taugenichts, mit dem es kein gutes Ende nehmen würde. Sein Gewissen war für ihn bisher immer nur eine Schwäche gewesen. Eine Stimme in seinem Kopf, die er eher hatte ignorieren wollen, weil sie ihn behinderte. Rownan aber lenkte ein ganz neues Augenmerk darauf – zum ersten Mal hatte der 19-Jährige das Gefühl, sich nicht verstellen zu müssen und trotzdem genau so akzeptiert und auch gemocht zu werden, wie er in Wirklichkeit war. Und das war ein verdammt schönes Gefühl. Der Lupine hatte mit seinen Worten schon eine sehr deutliche Wirkung auf Lian hinterlassen, aber es war noch nicht die Krönung. Er trat neben den Schreibtisch, kniete sich plötzlich auf den Boden und erneut waren es die Augenbrauen des Falls, die irritiert nach oben huschten. Die warmen Hände seines Freundes legten sich um sein Gesicht und sahen zu ihm herauf…
„Du kommst ganz nach deinem Erzeuger!“ „Du bist ein Weichei, deine Schwäche ekelt mich an.“ „Du bist ein Taugenichts, der weder zum Kriminellen, noch zum Magier taugt.“
Es waren viele Stimmen gewesen, die der Falls hörte und mindestens genauso viele Bilder, die ihm in den Sinn kamen. Bilder aus vergangenen Zeiten und alle hatten sie eines gemeinsam: Es waren Augenpaare gewesen, die von oben auf ihn herabgeblickt und über ihn geurteilt hatten. Urteile, die so vielfach und von verschiedensten Persönlichkeiten gefällt worden waren, dass der junge Mann sie irgendwann für sich selbst aufgenommen und nicht mehr hinterfragt hatte. Und wie war es jetzt? Rownan kniete vor ihm und seine hellblauen Seelenspiegel sahen zu ihm herauf. Keine Abwertung lag in ihnen, keine Erniedrigung, sondern echte, unverfälschte Wärme. Es war ein Bild, das die Erinnerungen aus der Vergangenheit überlagerte.
„Dein vermeintliches kleines Licht scheint für mich heller als jeder Leuchtturm.“
Lian schluckte. Ja, er hatte sich Rownan gegenüber bereits mehr geöffnet als fast jeder anderen Person, mit der er jemals zu tun gehabt hatte. Er wollte sich ihm nicht nur öffnen, sondern ihm auch vertrauen. Aber erst dieser Moment zeigte dem Falls, wie tief dieser Wunsch bereits reichte und wie schön es sich anfühlen konnte, nicht alleine zu sein. Lian mochte sein eigenes Spiegelbild nicht besonders, weshalb es vor allem eine Frage war, die er sich beim Blick in die hellblauen Iriden stellte: Was ist es, das du gerade siehst? Erst als das Stiftende neckisch gegen seine Nasenspitze gestupst wurde, löste Lian sich aus seiner Starre. Ohne den Blick von den hellblauen Augen abzuwenden, erwiderte er plötzlich den Griff um seine Rechte mit einem kurzen, aber intensiven Druck…
… und dann lachte er.
Der Brustkorb des Falls bebte und ganz offensichtlich hatte er sein Lachen nicht richtig unter Kontrolle. Er schloss die Augen und es brauchte mehrere Anläufe, bis er seinen Atem wieder einigermaßen beruhigt hatte. Kleine Lachtränen lagen in seinen Augenwinkeln, als er die Lider wieder anhob und zu Rownan blickte. Nur nebenher sei angemerkt, dass der Falls trotz des Lachens die Verschränkung mit der Hand des Satyrs nicht aufgelöst hatte. „Verdammt, Rownan. Hast du das vorher geübt?“, fragte er nach und hörte sich rein von der Wortwahl so an wie immer. Lian, der versuchte, mit einem flapsigen Kommentar über die Tragweite des Momentes hinwegzutäuschen und so zu tun, als hätte es ihn gar nicht so sehr getroffen. Aber die Worte konnten nicht über das Strahlen in den hellgrünen Augen hinwegtäuschen. Ein Strahlen, das echte Freude, Zuversicht und weitere Gefühle vermittelte, die ganz speziell mit der Person zu tun hatten, die gerade vor ihm kniete. „Hast du gerade wirklich meine Diebeskunst als etwas Positives verkauft? Das muss ich mir eindeutig merken“, ergänzte er und wieder bebte sein Brustkorb. Nur haarscharf schlitterte der 19-Jährige an einem erneuten Lachanfall vorbei. Er hatte vieles erwartet, aber nicht das. Ob Rownan etwa allmählich Gefallen an der Sache fand? Man könnte es fast so interpretieren und Lian war verlockt, ihm vielleicht irgendwann die Gelegenheit zu geben, es selbst auszuprobieren. Das würde er sich für einen späteren Zeitpunkt aufheben. „Ein Dieb, der sein Herz am rechten Fleck tragen soll. Du bist wirklich die einzige Person, die zu so einem abwegigen Schluss kommen kann…“ Jetzt war es kein Lachen mehr, das seiner Kehle entfloh und auch das breite Grinsen flachte deutlich ab, bis nur noch ein warmes Lächeln in seinen Zügen zurückblieb. Was hatte Rownan gesagt? Er hatte es bisher nicht bereut, sich auf ihn einzulassen? Und noch viel wichtiger: Was auch immer herauskommen würde, er musste es nicht mehr alleine durchstehen. Kurz sah der 19-Jährige zu ihren Händen, die immer noch ineinander verschränkt waren und keiner der beiden machte bisher Anstalten, die Berührung aufzulösen. Nein, ganz offensichtlich war er nicht mehr alleine. Es traf den jungen Mann unvorbereitet, als er plötzlich einen dicken Kloß im Halse stecken spürte.
Es war nicht so, dass er Rownan nicht vertraute. Es wäre nur einfach nicht Lian gewesen, wenn er jetzt, in diesem Augenblick, einfach in Tränen ausgebrochen wäre – das war in der Regel mehr Rownans Part. Und so schnaubte er, um seine Gefühle irgendwie zu überspielen und wandte den Blick kurz ab – vielleicht wäre es zumindest ein Indiz für den Hybriden, dass deutlich mehr in ihm vorging, als er gerade zugeben wollte. „Weißt du, der Plan gefällt mir. Aber bevor ich irgendeinen Antrag ausfülle, komm wieder auf die Füße. Nicht, dass das hier noch einen falschen Eindruck erweckt.“ Die Sphynx grinste, zog seinen Freund mit einem Ruck hoch und löste erst danach die Verschränkung ihrer Hände. Schmunzelnd schnappte er sich den Stift vom Gegenüber, drehte sich im Stuhl herum und griff nach dem Forular. Der Satyrs hatte einfach alles richtig gemacht – er hatte Lian weder bedrängt noch zwingen wollen. Stattdessen hatte er ihn in seinem Sein bestärkt, ihm das Gefühl vermittelt, aus freien Stücken zu handeln, ein Spiel nach seinen Regeln zu spielen und eigentlich gar nicht wirklich scheitern zu können. Der 19-Jährige fühlte sich nicht so, als hätte ein Außenstehender ihn dazu gebracht, diesen Antrag auszufüllen, sondern als wäre es einfach sein eigener Wille. War es ja auch eigentlich von Anfang an gewesen, Lian hatte eben nur jemanden gebraucht, der ihm das bewusst machte. Eine bessere Hälfte vielleicht? Wenn es einen Meister der Manipulation in diesem Raum gab, dann war es nicht Lian. „Verhandlunssicher…“, murmelte der Falls in Erinnerung an die positiven Eigenschaften, die Rownan ihm zugestanden hatte und musste sofort wieder lachen. So schwer es sich bis dato angefühlt hatte, desto leichter war es jetzt, das Formular auszufüllen. Der Braunhaarige benannte nicht nur seine Magie(n?), sondern auch seine Stärken und konnte auch die verschiedensten Quests auflisten, die er bereits erledigt hatte. Allesamt waren es Aufträge, die Lian nicht wirklich an seine Grenzen getrieben hatten, war es doch um das Wiederfinden eines Keksrezeptes oder die Begleitung einer Opernsängerin gegangen. Aber das war ja auch irrelevant, solange er nicht angab, welchen Rang er erreichen wollte, oder? Wenn es darauf hinauslief, dass er ein C-Rang-Magier blieb, dann konnte Aram zumindest nicht behaupten, dass er je mehr als das gewollt hatte. Je mehr Lian darüber nachdachte, desto genialer fand er das Vorgehen. Erst zum Schluss füllte der Braunhaarige die allgemeinen Angaben aus – neben seinem Namen war es auch seine Adresse, die er aufschrieb… seine Adresse und sein Geburtstag. Als er den 30.10. zu Papier brachte, war es zuerst der Gedanke daran, dass sie bereits im Oktober waren und sein Geburtstag daher vor der Tür stand. Wie so oft hatte er diesen Tag ziemlich verdrängt. Der Stift kratzte bereits über das Papier, um die Jahreszahl zu ergänzen, doch da hielt Lian plötzlich inne. Es schien so, als würde er über irgendetwas nachdenken, als wäre ihm etwas eingefallen… es war die letzte Angabe, die fehlte, um den Antrag zu vervollständigen. Warum zögerte er also? „Du weißt schon, dass ich noch nicht volljährig bin, oder?“ Als der Braunhaarige sich umwandte und Rownan anblickte, waren die hellgrünen Augen auffallend groß. Der Falls wusste, dass er jünger aussah, als er eigentlich war – insbesondere dann, wenn er es herausforderte. Es war eine Chance, die er sich einfach nicht entgehen lassen konnte. Wie der Satyrs darauf wohl reagierte?
Keine Sekunde später hätte der Plan umgesetzt werden dürfen, denn sonst wär all der Effekt verpufft, wenn die Worte auf einen Haufen Schnipsel bezogen gewesen wären. So spürte Rownan bereits kurz nachdem er seinen Kopf abgesetzt hatte, wie seine durchaus innige Umarmung direkt ihre Wirkung entfaltet und den anderen in allem stoppte, was ihm sein manchmal selbstzerstörerisch Köpfchen anschickte zu tun. Das war etwas, was beide mittlerweile sehr gut konnten. Dabei ging es gar nicht darum den anderen sprachlos zu machen, so wie Rownan selbst noch überlegt hatte, ob er dazu in der Lage war. Sie tendierte einfach beide dazu sich in ihrem Gedankenkonstrukten zu verlieren, den Blick darauf zu verlieren, was sie wirklich wollten und brauchten und sich stattdessen, mal mehr mal weniger, von ihrer Außenwelt beeinflussen ließen. Von dieser Medizin würde der Lupine gleich selbst noch kosten. Natürlich konnte er das Gesicht Lians nicht sehen aber er konnte sich bei der Anspannung, die er durch die Umarmung spürte, ziemlich sicher sein, dass auch das Gesicht des Jungen gerade Bände sprach. Zu Schade, dass er keinen Spiegel auf seinem Schreibtisch hat. Wie dem auch war der Wolf hatte seine Beute fest im Griff und begann zu sprechen. Die Worten waren keinesfalls zurechtgelegt. Generell musste er in der Interaktion mit dem Wüstenmagier oft sehr spontan und schnell überlegen, welche Worte er verwendete, welche Botschaften er senden wollte und wo die Betonungen liegen sollten. Eine Fähigkeit in der er durchaus geübt war und dennoch brachten diese Gespräche auch den Hybriden an seine Grenzen, wie man bereits an dem ein oder anderen unsauberen Austausch gemerkt haben sollte. Es war diese Art mit dem anderen zu sprechen, die er sich vor allem als Heranwachsender abgeschaut hatte. Wie oft war er durch die Blume motiviert worden etwas zu tun, worauf er augenscheinlich keine Lust hatte oder kein Interesse daran zeigte. Dann erst im Nachhinein zeigte sich, wie sehr er davon profitierte. Im Nachhinein war man bekanntlich immer schlauer. Obwohl der Braunhaarige auf dem Papier deutlich behüteter großgeworden war als es dem unfreiwilligen Waisen vergönnt war, konnte man an besonders an der Wirkung seiner Worte merken, wie sehr dieser Motor im Leben des Illusionisten gefehlt hatte. Statt diese Anerkennung aus dem eigenen Elternhaus zu bekommen, war es vermutlich die Straße, die ihn in dem bestärkte, was er gut oder sehr gut konnte. Hatte sich der Dieb vielleicht durch eben jenes Umfeld selbst auf seine Marotten konditioniert? Konnte er sie deshalb nur so schwer ablegen, weil sie eines der wenig positiven Dinge seines Heranwachsens waren? Nur kurz hatte Lian seine Vergnügtheit thematisiert und so wären auch diese Fragen solche, die bei weiteren Gesprächen besprochen werden konnten. Rownan ging eher davon aus, dass sich sein Gegenüber nie so intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt hatte, um auf solche Gedanken zu kommen. Aber dafür war er ja jetzt da. All die Komplimente, die Rownan Lian machte, lenkten den Lupinen, wenn auch nur unterbewusst, wohl von sich selbst ab. Denn Lian war nicht der Einzige der mit Selbstzweifel zu kämpfen hatte. Aber wie er bereits schon bemerkte, hatte, wirkte diese Probleme sehr weit weg, wenn er mit dem Jungen interagierte. Je mehr eher sich also mit Lian auseinandersetzte, desto weniger musste er sich mit sich selber auseinandersetzen. Die Frage war jedoch, wie lange würde das Gefühl anhalten, wann käme der Punkt an dem sich Rownan fragen würde: Wie muss ich mich verändern, dass er bleibt? Will er wirklich mit mir in dieser Art und Weise zusammen sein? Kann das jemand wollen? Möglicherweise war es doch ganz gut, dass kein Spiegel auf dem Schreibtisch war.
In die grünen Seelenspiegel blickend, konnte der Satyrs nun sehr gut erkennen, wie sehr die Eröffnung seinen Gastgeber bereits gepackt hatte. Es war dieses Funkeln in den Augen des anderen, das Rownan bis jetzt nur in den Augen des Falls gesehen hatte und welches auch ihn immer und immer wieder antrieb, sich nicht mit den oberflächlichen Antworten des Wüstenmagiers zufriedenzugeben sondern die Konfrontation zu suchen. Für dieses Ergebnis lohnte sich jede Anstrengung, es war sozusagen die Klimax seiner Ambitionen und die Belohnung war der Blick in das leuchtend grüne Meer, dessen Ende und Anfang nirgends erkennbar war. Ja, man konnte sich in diesen Augen verlieren, das hatte er bereits. Mehrfach. Satt sehen konnte er sich daran jedoch nicht. Seiner Meinung nach würde er das auch niemals. Die Idee der eigenen Regeln war die Saat, die das Gehirn des Schützen wieder zum Arbeiten brachte. Das schiefe Grinsen bestätigte das. Er denkt drüber nach nickte der Lupine erfreut, wenn auch die Geste nur imaginär blieb. Wie Lian selbst gerade bemerkte, waren die beiden Magier nicht nur Gegensätze die aneinandergerieten. Sie profitierten auch vom jeweils anderen. Diese Synergie war es, die sie zu Hochform auflaufen ließ und ihre besten Taten und Eigenschaften zu Tage führten. Zumindest in den meisten Fällen. Der Tiermensch war sich durchaus bewusst, dass die Person vor ihm, sollte ihr Unterfangen gelingen, über kurz- oder lang Probleme bekommen würde, wenn er sich nicht anpasste. Querdenken war eine wichtige Eigenschaft aber sie konnte besonders bei Personen eines höheren Ranges gerne zu Konflikten führen. Würden die Aufträge zudem ernster und gefährlicher werden, könnte er sie auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Tätigkeit als Dieb war natürlich auch dem Wolf mehr als nur ein Dorn im Auge, allerdings hatte der Langfinger bereits zu Beginn des Wochenendes versichert, sich zumindest um den letzten, größeren Fauxpas zu kümmern. Sollte seine Theorie über dessen Vergangenheit stimmen, waren diese verbrecherischen Aktionen auch nicht etwas, was von heute auf morgen enden würde. Sie würden auch daran arbeiten müssten. Aber auch hier galt wieder der Grundsatz der zwei Medaillen: Wollte man nur das sehen, was man sehen konnte oder lohnte sich nicht auch ein Blick auf die andere Seite? Würde der Magier an dieser Stelle anfangen seine eigenen Weisheiten zu befolgen, dann hätte er gewiss nicht mehr die Menge an Selbstzweifel, die er zum aktuellen Zeitpunkt innehatte. Als er vor seinem Gegenüber kniete, war ihm die Tragweite seiner eigenen Geste nicht in den Sinn gekommen. Rownan war es tatsächlich wichtiger auf Augenhöhe mit ihm zu sprechen. Dass er nun sogar heraufblickte, war ein ungewollter Bonus und berührte seinen Seelenverwandten, in Kombination mit seinen Worten, wieder auf einer ganz besonderen Ebene. Es waren diese Augenblickte nach denen sich auch der Hybride sehnte. Die Momente, wenn sie wirklich auf Augenhöhe sprachen – so hatte er es selbst formuliert und so meinte er es noch immer. Sein intensiver Starren in die Iriden des anderen löste sich erst, als der Druck, den er auf die Hand des anderen auslöste, ebenso beantwortet wurde. Ein kleines Indiz dafür, dass auch er nicht allein war mit seinen Sorgen und Nöten, die sich mit denen Lians an diesem Wochenende immer wieder abwechselten? Möglich. Das Lachen war es spätestens, welches ihn doch etwas überraschend traf und sich ein verlegenes Lächeln in seinem Gesicht breitmachte. Da war er wieder, der glückliche Lian. Viel mehr als ihn etwas verwirrt anzuschauen, konnte der Grauhaarige auch gar nicht, denn sein Gesprächspartner brauchte selbst einige Anläufe, um sich zu sammeln. Manchmal frag ich mich doch noch, was in deinem Köpfchen vorgeht. Ob er das vorher geübt hatte? Nichts sehnlicher hätte der Hüne gerne getan als alle seinen Interaktionen mit der gewandten Zunge, die noch immer seine Hand hielt, zu üben. Scheinbar waren die Worte alles andere als auf taube Ohren getroffen, hatten dabei jedoch das Kapital von echten Reaktionen Lians erschöpft. So konnte der Illusionist wohl nicht anders als mit seinen typisch flapsigen Sprüchen daherzukommen. Seine Augen allerdings verrieten ihn weiterhin. Ein wenig ärgerte sich der Lupine, wenn auch nicht sichtbar, so hoffte er, dass natürlich sein Kompliment der Diebeskunst gegenüber so wohlwollend aufgenommen wurde. Der Bursche sollte keinesfalls auf dumme Ideen kommen oder noch schlimmer, Rownan auf dumme Ideen bringen. Der Wolf hatte sich schon mehrfach gewundert, wie weit er gegangen war, wie anders er sich verhielt, wenn er mit dem kecken Typen vor sich interagierte. Keine Frage, dass war allen voran seinen Gefühlen geschuldet. Doch wozu waren diese Emotionen noch in der Lage? Das konnte nur die Zeit zeigen. Bevor sich der Satyrs langsam etwas veralbert vorkam, ebbte die überschwängliche Freude seines Kollegen ab. Wenn sie so weiter machten, kamen die Magier heute wieder nicht aus den eigenen vier Wänden. Einzig das fehlende Essen würde sie wohl irgendwann nach draußen treiben. Ihre romantisch-kitschiges Händehalten blieb weiterhin bestehen. Es war eine ungewohnte Geste und vor allem für ihn, mit seinen krallenbesetzen Händen, eine Herausforderung. Eine bekannte Herausforderung aber trotzdem eine die zu bewältigen war. So zuneigungsvoll, wie sie sich in dem geschützten Raum zeigten, fragte sich der Hybride, wie offen sie dieses Verhältnis auch nach außen zeigen würden. Das war vor allem ein Punkt, dem der Lupine immer noch sehr viel Wert beimaß, obwohl er in letzter Zeit aber speziell in Anwesenheit des Braunhaarigen immer mehr an diesem Grundsatz zu zweifeln begann. War das nicht auch der zentrale Punkt, den er immer zu bei dem Schützen kritisierte? Sich nicht von den Meinungen der anderen beeinflussen zu lassen? Oder war es nicht viel eher die Suche nach Bestätigung, die er sich durch eine so öffentliche Geste erhoffte?
Anders als man es vielleicht erwarten würde, brachte dieser Austausch den stolzen Magier nicht ansatzweise in die Nähe seiner Tränendrüse. Stattdessen war es tiefe und echte Freude, die er für den anderen Empfand. Lian entschied sich für diesen Plan ungeachtet der ganzen Zweifel, die er nur wenige Augenblicke zuvor verbal oder nonverbal geäußert hatte. Sie vertrauten sich also in mehr als nur der körperlichen Hinsicht und das war noch um einiges wichtiger, für beide gleichermaßen. Ob er den Jungen manipulierte, so wie es dieser gerne tat? Möglicherweise, wobei er selbst zwischen positiver Verstärkung und Manipulation unterscheiden würde. Die Aufforderung sich wieder zu erheben, nahm Rownan daher dankend an und unterstützte das Unterfangen wieder auf die eigenen zwei Füße gestellt zu werden. "Viel Spaß damit" gab er seinerseits zum zum Besten, ehe er dem anderen kurz durch das Haar wuselte. Jetzt wo der Illusionist mit dem Ausfüllen beschäftigt war, konnte sich der Tiermensch endlich wieder seiner Morgenroutine widmen, die durch das kurze Intermezzo unterbrochen worden war. Er würde Lügen, wenn er behaupten würde, dass ihn der Trend zu wenig Klamotten unangenehm war. Im Gegenteil. Es waren diese Momente, in denen er sich auf eine sonderbare Art und Weise frei fühlte, was er natürlich nicht zuletzt seiner animalischen Seite anrechnete. Die hatte es bekanntlich auch nicht so mit Klamotten. Nichtsdestotrotz würde er am heutigen Tag abreisen, abreisen müssen, sollen … wollen? Da hatte er sich gedanklich noch nicht festgelegt. Was feststand, war die Tatsache, dass er das nicht bloß im Handtuch hätte tun können oder wollen. Das Handtuch auf das Bett geworfen, dauerte es nicht lange, bis er sich Hosen und auch Polohemd wieder übergeworfen hatte. Die Kleidung war zwischenzeitlich in einem Zustand, der dem peniblen Magier etwas unangenehm war. An diesem Ort nach einem Bügeleisen zu fragen, wäre vermutlich vergeben. So pickte er oberflächlich etliche seine Haare von seinen Klamotten, die sich nicht zuletzt deshalb auf seinen Sachen verteilt hatten, weil Lian, in seiner unendliche Weisheit, diese auf das vollgehaarte Bett gelegt hatte. Daran mussten sie definitiv noch arbeiten. Während er dies tat, amüsierte sich der andere weiterhin an ihrem kleinen Dialog, ehe plötzlich eine Stille eintrat. Auch wenn seine Nase besser war als seine Ohren konnte er bemerken, wie der Stift aufhörte zu schreiben. Ist er schon fertig? Kein Grund nach dem rechten zu sehen und so machte er einfach weiter, als plötzlich die Stimme des Braunhaarigen erklang:
„Du weißt schon, dass ich noch nicht volljährig bin, oder?“
Ein so simpler Satz doch er erwischte Rownan eiskalt. Man konnte direkt sehen, wie sich jede Faser seines Körpers anspannte nicht zuletzt seine Rute, die stocksteif von ihm abzustehen schien, gehalten, wie von einer unsichtbaren Macht, während seine Ohren einknickten, wie angestochene Luftballons. Aus dem Fenster blickend, suchten seine Augen, ebenso wie er in Gedanken, nach einer Lösung, viel eher einer Antwort und dafür brauchte er Hinweise. Seine erste Reaktion war, neben dem sehr markanten schließen des Hosenstalls, dass auch der letzte Knopf des Hemdes zugeknöpft wurde. Nathalie hatte sein Alter erwähnt! Nein, hatte sie nicht. Sie hatten im Zug darüber gesprochen! Nein, Fehlanzeige. Je mehr Rownan darüber nachdachte, was sie bereits beide übereinander wussten, fiel ihm auf, dass es dieses Detail war, dieses im Augenblick verdammt wichtige Detail, welches im fehlte. Wie konnte er nur so sorglos sein!? Aber er war sich doch so sicher gewesen! Und… und warum hat Lian nichts gesagt. Der Alkohol! Für den Lupinen die gedankliche Rettung. Nur Volljährige dürfen Alkohol trinken … den ich mitgebracht habe …. zu einem Dieb … der eher auf der Straße als Zuhause gewohnt hatte. Jetzt wo die Zeichen so offen zu sehen waren, kam sich der Wolf wirklich, wirklich dumm vor. Doch dann, ganz tief in seinem inneren, erinnerte er sich auch, mit wem er es gerade zu tun hatten. Es bestand, die ganz kleine Möglichkeit, dass er veralbert wurde, oder? Oder!? Ebenso wie diese Realisation eintrat, fuhr der Hybride herum, immer noch hektisch mit den Augen den Jungen und seinen Schreibtisch absuchend, die Panik klar erkennbar. Lian sah tatsächlich sehr jung aus, jetzt wo er ihn wieder betrachtete. Aber ihm, Rownan, wäre doch niemals so ein Delikt, so ein grober Schnitzer passiert! „Ich… du … wir haben … aber … und“ stammelte der sonst so eloquente Tiermensch, die Hände unsicher, wo sie sein sollten oder was sie zu tun hatten, als sein rationaler Verstand das entdeckte, wonach er so unterbewusst gesucht hatte: Der Beförderungsantrag. Er musste ein Geburtsdatum enthalten. Lians Blick jedenfalls verriet in keiner Weise irgendetwas, es wirkte fast so, als ob er es selbst gerade bemerkt hatte und jetzt den Älteren zur Rede stellte. „Warum hast du nicht … wir haben doch .. dreimal, drei… mal“ ein weiterer Batzen inkohärenter Wortfetzen. Hätte sich dieser Moment geklärt, würde ihn der Wüstenmagier ewig damit aufziehen, dessen war er sich sicher. Sich noch einmal kurz zum Bett umdrehend, die Krallenspuren, das Fell erblickend, schaute er noch panischer zum anderen. Die Sphynx konnte sicher sehen, wie die Augen des Hünen nun zwischen ihm und dem Antrag hin- und herwanderten. Beide erkannten es zu gleichen Zeit, doch vermutlich aus verdammt unterschiedlichen Gründen. Lian wollte den Spaß noch etwas aufrechterhalten, Rownan sein Gewissen reinwaschen. Wie von der Tarantel gestochen, machte der Wolf einen Satz nach vorne, zu langsam, um gegen die geschickten Finger des Räubers anzukommen. „G-g-gib mir jetzt den Zettel Lian, auf der Stelle“ forderte der Hybride von diesem ein, wobei seine Stimme alles andere als fest war. Egal wie er nach dem Zettel schnappte, der andere war schlichtweg zu geschwind. Sich nun fast bis zur Tür bewegt, kam für den Satyrs nur noch eine einzige Option in Frage: er musste seine körperliche Überlegenheit nutzen. Statt nach dem Dokument zu greifen, packte er einfach den Jungen und warf sich gen Boden. Natürlich hatte er nicht vor diesen die ganze Wucht des Aufpralles abfangen zu lassen und so drehte er sie beiden noch in der Luft, eher er unsanft auf dem Boden aufkam. Die Situation war beiden nun durchaus sehr bekannt, wenn auch die Rollen vertauscht waren. Rownan atmete heftig, wenige Zentimeter vom Gesicht des anderen entfernt, jedoch eher der Nähe und seines Gemütszustandes geschuldet als der körperlichen Anstrengung. „Wie alt bist du Lian!?“ wollte er nun wissen, den anderen noch immer fest im Griff.
Sein Blick löste sich kurz vom anderen als er im Augenwinkel seine Reflexion wahrnahm. Es war der Spiegel an der Wand, direkt im Eingangsbereich. Jetzt wieder in Klamotten und aufgeregt durch die Situation, nahm sich der Wolf das erste Mal an diesem Tag wieder sehr bewusst wahr. Er hatte wohl recht damit, dass die Person, die ihm so nah stand, ihn auch von den eigenen Problem ablenkte. Der Hybride hatte selbst schon einmal angemerkt, dass er sich im Verlauf seiner Jugend sehr schnell mit sich abgefunden hatten. Mit dem anders sein. Aber diese Erkenntnis war ein Trugschluss und dieser offenbarte sich je mehr er Kontakt zur Außenwelt hatte. Trotz aller Bemühungen an diesem Wochenende verließ er den Ort genauso, wie er gekommen war. Wenn es nicht seine Krallen und sein Fell waren, die ihn stets daran erinnerten, dann war es jetzt vor allem sein Gesicht, das ihm die Andersartigkeit der beiden so vehement aufzuzeigen vermochte. So wie Lian es selbst in Gedanken geäußerte hatte, hatte auch der Satyrs ein sehr ambivalentes Verhältnis zu seinem Spiegelbild. Anders als ihn jenen, beschlich diesen nun jedoch das Gefühl, der Wunsch, sich verstellen zu können. Er wollte Lian den Blick auf etwas anderes offenbaren, etwas, das besser „passte“. Dabei hätte gerade Rownan wissen müssen, dass der Dieb die letzte Person war, die sich an diesen Dingen störte. Vielleicht wunderte auch er sich ebenso unterbewusst, was der andere in ihm sah, was er selbst nicht sehen konnte. Es war das erste Mal, seit sie sich am Vortrag gestritten hatten, dass er das Gefühl hatte sich verstellen zu müssen und nicht so akzeptiert zu werden und gemocht zu werden, wie er in Wirklichkeit war. Und das war ein verdammt unschönes Gefühl. Hatte es sein Gegenüber nicht selbst betont: Es waren die Augen, in welchen er Rownan erkannte. Sein einzig wirklich menschliches Merkmal. „Ich… sollte langsam gehen“ sprach er leise und mit einem Hauch von Niedergeschlagenheit, immer noch die Spiegelbilder der beiden im Blick.
Es war nur eine kurze Idee, ein kleiner Einfall gewesen und gleichzeitig ein Gedanke, der Lian einfach nicht mehr losgelassen hatte. Er hatte es beim besten Willen nicht verhindern können, es war einfach zu verlockend gewesen… und so kamen ihm fast schon beiläufig die Worte über die Lippen, von denen er ganz genau wusste, dass sie eine viel größere Wirkung erzielen würden, als es seine trockene Tonlage vielleicht vermuten ließ. Aus bewusst großen, grünen Augen betrachtete Lian seinen Freund, der von einer Sekunde auf die Nächste erstarrte. Sickerten die Worte etwa nur allmählich zu seinem Hirn durch? Der Schweif des Lupinen stand vollkommen still, die sonst aufgerichteten Ohren knickten sichtlich ein. Und dann konnte man es ihm ansehen: Man konnte ganz genau erkennen, dass Rownan intensiv nachdachte. Ob er ihre bisherigen Gespräche nochmal durchging? Durchforstete er seine Erinnerungen nach einem Indiz, das er vergessen hatte? Einen Hinweis auf das Alter des Lockenkopfes? Der 19-Jährige war sich ziemlich sicher, dass sie ihr Alter niemals thematisiert hatten, denn dafür hatte es (bisher) keinen richtigen Anlass gegeben. Außerdem wusste auch Lian nicht, wie alt der Hybride eigentlich war – er vermutete nur, dass Rownan älter war als er selbst. In dieser Vermutung wurde die Sphynx durch das Schweigen und fiebrige Nachdenken des Lupinen nach der Erwähnung einer möglichen Minderjährigkeit nur bestätigt. Andernfalls wäre es ja gar nicht so schlimm gewesen, oder? Oh, es war wirklich schwer, nicht zu lachen. So höllisch schwer. Der junge Mann griff in diesen Sekunden auf sein ganzes Repertoire als Schauspieler zurück, um einen neutralen und nichtssagenden Gesichtsausdruck aufrechtzuerhalten. Als der Satyrs sich hektisch umdrehte und irgendwelche unvollständigen Wortfetzen haspelte, schrie der innere Lian förmlich auf. Auch der Bogenschütze erkannte die Beweise ihres gemeinsamen Unterfangens auf seinem Bett: Nicht nur die Haare, sondern auch die Kratzspuren im hölzernen Kopfende. Und was war mit den Spuren am Körper des Falls? Oh ja, es gab genügend Beweise und der 19-Jährige konnte sich ganz genau vorstellen, dass Rownan nicht nur exakt die gleichen Punkte durchging, sondern sich ernsthafte Sorgen machte – Sorgen darüber, dass ihm möglicherweise ein großer Fehler unterlaufen war. War es gemein von Lian, seinen Freund nach all den Dingen, die sie gemeinsam erlebt hatten, so gnadenlos auflaufen zu lassen? Ihn zu verarschen und sich über ihn lustig zu machen? Oh ja, das war es. Und doch war es genau das, worauf sich der Lupine eingelassen hatte, in dem Moment, als er sich dafür entschieden hatte, ausgerechnet dem Falls näherkommen zu wollen. Vielleicht stimmte es und der junge Mann trug das Herz am rechten Fleck – das änderte aber nichts daran, dass er ein schadenfrohes Arschloch sein konnte.
Und dann sahen beide Magier in der gleichen Sekunde auf den Beförderungsantrag, der einsam und verloren auf dem Schreibtisch des Falls lag. Der Fetzen Papier, der der Auslöser für dieses ganze Chaos gewesen war.
Oh nein! Lian hatte absolut keine Zeit, um einen längeren Gedankengang zu formulieren, denn jetzt ging es um jede Millisekunde. Er griff geschwind nach dem Antrag, just in dem Augenblick, als Rownan einen Satz nach vorne machte. Es war nicht nur der Geschwindigkeit und Geschicklichkeit des Braunhaarigen geschuldet, dass er das Papier zuerst in die Finger bekam – er war auch einfach näher dran gewesen. Lian musste nicht nur den Arm hochreißen, sondern das Gewicht auch deutlich nach hinten verlagern, um dem Angriff des Lupinen auszuweichen. Ein Ausweichmanöver, das nicht ohne Folgen bleiben sollte: Er verlor mitsamt dem Stuhl das Gleichgewicht und das Herz sackte ihm in die Hose. Er stolperte in letzter Sekunde von seinem Platz, der Schreibtischstuhl fiel polternd zu Boden und der 19-Jährige drehte sich schnell zu Rownan herum, der ihm nicht nur mit zitternder Stimme befahl, das Formular herauszurücken, sondern sofort wieder danach schnappte. Also bitte! Als würde ein Lian Falls darauf hören, wenn man ihm Befehle gab. Dafür war er viel zu sehr Rebell, weshalb klar sein sollte, dass er dem Angriff ein weiteres Mal auswich. Ganz egal, wie oft sein Freund es versuchte – Lian konnte sich den Attacken immer wieder entziehen und von außen betrachtet hatte es fast etwas von einem wirren, ziemlich planlosen Tanz, den die beiden Magier zusammen aufführten. Der Falls konnte es nicht mehr zurückhalten: Er lachte laut auf, während seine Schritte ihn zunehmend in den Eingangsbereich seiner kleinen Stube bewegten. Spätestens in dem Moment, in dem er mit dem Rücken gegen die Eingangstür stieß, würde er keine Chance mehr haben, aber darum ging es auch gar nicht. Die Sphynx hatte auf ihre Kosten kommen wollen, was ganz offensichtlich vollends gelungen war. Aber… aber Moment. Was hatte Rownan denn jetzt plötzlich vor? Wieder hatte der Lockenkopf den Antrag in die Luft gerissen und war ganz verdutzt, als der Hybride der Bewegung nicht folgte. Sondern… sondern auf ihn selbst losging?! Als Lian verstand, dass er von dem Satyrs einfach umgerissen worden war, befand er sich bereits im freien Fall. Er kniff reflexartig die Augen zusammen, spürte dann, wie er herumgerissen wurde und anstatt auf dem Holz zu landen, landete er auffallend weich.
Erst als der 19-Jährige die Lider wieder anhob und direkt in die hellblauen Iriden von Rownan blickte, erkannte er, dass er auf seinem Freund gelandet war. Lian wollte sich lösen, aber der ältere Magier hielt ihn fest im Griff. Der Schock, der sich kurzzeitig eingestellt hatte, war so schnell verflogen, wie er gekommen war, als der Lupine sich sofort wieder nach dem Alter seines Mitstreiters erkundigte. Zuerst schmunzelte Lian, dann lächelte er, das Lächeln wurde zu einem Grinsen und die hellgrünen Augen funkelten verräterisch. Wieder war es ein lockeres und gelöstes Lachen, das sich in seinem Brustkorb aufstaute und nach außen dringen wollte. Obwohl man dem Satyrs das Entsetzten eindeutig ansehen konnte, fühlte sich die kleine Kabbelei, die sie hatten, unglaublich sorglos an. Oder gerade weil sich Rownan so hineinsteigerte? Es war ein Moment, den der Falls gerne eingefroren hätte, aber das war nicht möglich. Es war an der Zeit, das Geheimnis zu lüften, denn spätestens, wenn Lian das Lachen zuließ, würde sein Freund wittern, dass etwas an der ganzen Geschichte faul sein musste. Anstatt sich weiter aus dem eisernen Griff des anderen Magiers winden zu wollen, öffnete der Falls die Lippen… und stutzte, als er bemerkte, dass die Aufmerksamkeit seines Freundes von einer Sekunde auf die andere vollkommen abdriftete.
Lian folgte dem Blick von Rownan und sah sich plötzlich selbst in die Augen. Der Spiegel – es war das Spiegelbild von ihnen, in das auch der Lupine wie gebannt starrte. Während der Satyrs sich gedanklich mit ihren äußerlichen Unterschieden auseinandersetzte, mit der Andersartigkeit, war es für den Illusionisten vielmehr ihre Zweisamkeit an sich, die einen Denkprozess auslöste. Der Illusionist konnte in den ersten Sekunden den Blick von seinem eigenen Gesicht nicht abwenden. Er sah so anders aus – noch immer erkannte man das Amüsement in seinen Zügen und die hellgrünen Augen wirkten so viel heller als das letzte Mal, als er in den Spiegel gesehen hatte. Er sah so aus… er sah so aus, als würde es ihm wirklich gutgehen. Doch je mehr Lian nicht nur sich selbst, sondern sie beide im Spiegel betrachtete, desto mehr schwand diese überschwängliche Freude. Rownan hatte es gesagt, hatte zum Ausdruck gebracht, dass er jede Minute mit dem Falls in vollen Zügen genießen wollte, selbst wenn ihre Zeit begrenzt wäre. Und doch fragte sich der Lockenkopf in diesem Augenblick, ob es richtig war, was sie hier taten. Was er tat. Die Stimme in seinem Hinterkopf wurde wieder lauter – dieses gedankliche Votum, dass es nicht richtig war, was sie taten, wenn Lian nicht abschließend sagen konnte, wem seine Gefühle wirklich gehörten. Wenn er irgendwie immer noch an Gin dachte. Nutzte er Rownan in Wirklichkeit aus? Um sich selbst ein paar schöne Momente zu bescheren? Um nicht alleine zu sein? Hatte er sich vielleicht nur aus egoistischen Motiven auf das alles eingelassen? Es würde zu ihm passen, zu allem, was ihm im bisherigen Leben so vorgeworfen worden war. Während der Hybride seine Liebe sehr offen gestanden hatte, hatte der Falls diese Worte bisher nicht in den Mund genommen. Auch das war ein Umstand, der ihm sehr bewusst war. Das Herz am rechten Fleck… plötzlich fühlte sich das Kompliment, das eben noch eine Wärme im Falls ausgelöst hatte, absolut bitter an. Wie ein schlechter Scherz. Lian hatte das Herz wohl kaum am rechten Fleck, oder?
Rownan und Lian schafften es, ihr jeweils eigenes Spiegelbild zu betrachten, in ihre eigene gedankliche Welt abzudriften und zu irgendwelchen negativen Selbsturteilen zu kommen. Es waren negative Gedanken, die hätten aufgelöst werden können, wenn sie nur in Ruhe miteinander darüber gesprochen hätten. Aber das taten sie nicht – keiner von beiden. Und selbst wenn sie es zuvor geschafft hatten, sich gegenseitig aus den Gedankenkreisen zu ziehen, so konnte das nicht immer funktionieren… wie sich in diesem Augenblick unter Beweis stellte. Das Wochenende, das sie gemeinsam verbracht hatten, war wie eine Auszeit gewesen, aber jede Auszeit musste ihr Ende finden. So war es der Blick in den Spiegel, der die beiden Magier zurück in die vermeintliche Realität führte. Vermeintlich, da es keine Wirklichkeit war, die andere Menschen so wahrnahmen, sondern die allein durch die negative Gedankenwelt des jeweiligen Individuums entstand. Es war die resignierte Stimme von Rownan, die Lian schließlich dazu veranlasste, sich endlich vom eigenen Spiegelbild abzuwenden. Während der Lupine weiterhin auf die Reflexion starrte, musterte der Falls seinen Freund direkt. Da waren wieder diese Gedanken – die Zweifel daran, ob der Falls vielleicht anders hätte handeln sollen. Ob er die Gefühle, die der Lupine ihm offenbart hatte, vielleicht unterbewusst zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt hatte. Es war etwas, das Lian absolut nicht wollte, doch er hatte Sorge, es nicht richtig kontrollieren zu können. Je länger er darüber nachdachte, desto schlechter ging es ihm… aber genauso wenig war zu übersehen, dass es auch Rownan schlecht ging. Niemals wäre der Falls auf die Idee gekommen, dass es die Überzeugung war, sich für ihn verstellen zu müssen, die Rownan so belastete. Wenn er es gewusst hätte, wäre er irritiert gewesen, hätte widersprochen… aber nein, Lian konnte keine Gedanken lesen und man durfte nicht vergessen, dass sich beide Magier trotz allem noch nicht in- und auswendig kannten. Wieder sah der Lockenkopf zum Spiegel, konzentrierte sich nun allerdings gezielt auf den Satyrs, in dem Versuch, ihn zu verstehen. Und dann erinnerte der Illusionist sich: Daran, wie Rownan mit Tränen in den Augen davon erzählt hatte, ein Bild von sich selbst als Kind erhascht zu haben. Er hatte ein Bild von sich selbst als Menschen gesehen, gemeinsam mit seiner Mutter. Ob er auch in dieser Erinnerung in einen Spiegel gesehen hatte? Ob es dieser Blick in die Vergangenheit war, die dem Hybriden in den Sinn kam und der Wunsch, die Zeit dorthin zurückzudrehen, es nochmal zu erleben? Der Falls erinnerte sich an die wenigen Minuten in der Wüste, in denen auch er Rownan in einer menschlichen Gestalt erlebt hatte. Viel mehr als das Aussehen waren es aber die Lebensfreude, die Erleichterung und Ekstase des anderen Magiers, die ihm in Erinnerung geblieben waren. Was das rein Äußere anging, war Lian am vorigen Tag größtenteils irritiert gewesen: Denn der Mensch, den er in der Wüste gesehen hatte, war nicht der Rownan, den er kennengelernt hatte und daher war diese menschliche Gestalt für ihn trotz allem fremd gewesen. Schlussendlich erinnerte sich der Bogenschütze auch an die markerschütternden Schreie, an die Qual, die der andere Magier sich aus der Seele geschrien hatte und an die endlose Überforderung, die Lian verspürt hatte. Die Angst, dass sie sich mit etwas angelegt hatten, das sie beide nicht beherrschen konnten. Aber Rownan wollte es wirklich, oder? Er war außer sich gewesen, als er eine menschliche Form angenommen hatte. Wenn er an die Schreie dachte, war sich der 19-Jährige nicht sicher, ob es den möglichen Preis wert war und doch wusste er, dass er den Lupinen auch weiterhin unterstützen würde, wenn es sein Wunsch war… ein interessanter Gedanke. Trotz aller Selbstzweifel, die ihn überfallen hatten, war Lian sich doch sicher, weiter für den Hybriden da sein zu wollen. Oder gerade wegen den Selbstzweifeln und aus der Sorge heraus, ihn möglicherweise auszunutzen? Um ein Gegenbeispiel zu liefern? So ganz genau konnte er es nicht sagen, aber der Wille, Rownan auch jetzt zu helfen, war da. Und um das zu erreichen, musste er ihn zuerst von diesem Spiegelbild losreißen, oder? Der Griff um den Falls hatte sich zwischenzeitlich gelockert, sodass er seine Arme befreien und sich aufsetzen konnte. Der Beförderungsantrag, der bis eben noch das Ziel ihrer beider Bemühungen gewesen war, ließ der Illusionist nun fallen und griff stattdessen nach dem Gesicht des Satyrs. Selbst wenn Rownan weiterhin auf den Spiegel fixiert bleiben wollte, so zwang der Braunhaarige ihn dazu, sich davon zu lösen und stattdessen in sein Gesicht zu blicken. Lian wusste nicht, was genau im Kopf des anderen Magiers vor sich ging, aber er hatte seine eigenen Erfahrungen mit nicht enden wollenden Gedankensträngen gemacht und wusste, dass es manchmal nur ein äußerer Impuls war, den man benötigte, um wieder zu Sinnen zu kommen: „Los, Rownan, sieh mich an“, sprach er überraschend ruhig und eindringlich aus. Erst als er sicher war, dass die hellblauen Augen zu ihm aufblickten, sprach er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen weiter: „Ich weiß nicht, worüber genau du dir Gedanken machst, aber… vergiss auch du nicht, dass du das nicht mehr alleine durchstehen musst.“ Ihm war ja nicht klar, dass es dem Hybriden schlecht ging, weil er dachte, sich für Lian anpassen zu müssen. Aber vielleicht wirkten die Worte ja dennoch? Es verwunderte den Illusionisten selbst, dass ihm diese Worte so leicht über die Lippen kamen, aber er hielt sich nicht lange damit auf. Er wollte es lieber nutzen, um weiterzusprechen: „Es ist alles okay. Worüber auch immer du nachgedacht hast: Wir können das gemeinsam schaffen, zu zweit.“ Der Braunhaarige schmunzelte, verweilte noch einen Augenblick in der Position und sah direkt in die Seelenspiegel des anderen Magiers. Erst danach löste er die Hände von Rownans Gesicht und fischte mit der Linken nach dem Beförderungsantrag. Kaum, dass er wieder auf die Füße gekommen war, hielt er seinem Freund hilfsbereit die Rechte entgegen. „Und jetzt komm hoch, ich denke, wir haben genug Zeit auf dem Fußboden verbracht.“ Um es gleich noch verlockender zu machen, hielt der junge Mann dem Lupinen sogar das Stück Papier entgegen, das der Auslöser für ihren Zweikampf gewesen war. Sollte Rownan danach greifen, würde Lian es ihm überlassen und zulassen, dass er die heiß ersehnte Information zu seinem Geburtstag herausfinden würde. „Vielleicht habe ich mich auch verrechnet“, ließ Lian amüsiert verlauten und zuckte mit den Schultern. Es war ein Themenwechsel, den der Braunhaarige ganz bewusst einleitete, um Rownans Aufmerksamkeit umzulenken. Natürlich konnte es sich der 19-Jährige nicht entgehen lassen, noch einen schadenfrohen Kommentar nachzuschieben, direkt nachdem ihm das Papier aus der Hand gerissen worden war. „Ich… du … wir haben … aber … und“, mimte er die gehaspelten Worte von Rownan bewusst übertrieben nach und lachte in sich hinein. „Wie schade, dass ich kein Foto machen konnte, du hättest deinen Gesichtsausdruck sehen müssen. Er sprach Bände: Wie konnte ausgerechnet mir, Rownan, nur so ein schrecklicher Fehler passieren?!.“ Lian hielt sich die Rechte auf die Brust, hob die Nase in die Höhe und grinste breit, während er zum Lupinen schielte. „Köstlich. Das werde ich nie vergessen.“ Die Sphynx hatte noch einige Aussagen im Repertoire, doch ehe er diese aussprechen konnte, fiel sein Blick auf die Tasche seines Freundes. Die Tasche, die fertig gepackt war. Ganz kurz war da diese Idee: Er könnte den Lupinen fragen, ob er nicht noch länger bleiben wollte. Ob sie den Abschied nicht nach hinten verschieben wollten. Aber im gleichen Atemzug erinnerte er sich auch an die vielen Gedanken, die er sich selbst gemacht hatte. An die Zweifel, die ihm hinsichtlich seiner eigenen Motive gekommen waren und die Sorge, den anderen Magier vielleicht auszunutzen. Und daher entschied sich Lian dagegen, diese Bitte auszusprechen. „Ich kann dich zum Bahnhof begleiten... oder möchtest du noch etwas essen, bevor du fährst?“, war schließlich die Frage, die er stellte, ohne den Blick von der Tasche abzuwenden. Zwar sprach er nur das aus, was Rownan zuvor bereits eingeleitet hatte und doch konnte man sich fragen, ob es die richtigen Worte in der Situation waren. Ob es das gewesen war, was sein Freund hatte hören wollen?
All ihre Spielerein, das Herumblödeln aber auch die intensiven Momente, waren in diesem Augenblick weit in den Hintergrund geraten, während die beiden noch immer ihre Spiegelbilder betrachteten, das Lachen zwischenzeitlich verstummt. Rownan konnte durchaus der Erwachsenere der beiden sein, wenn er wollte, aber er hatte natürlich ebenso Situationen, in denen er sich in diesen desaströsen Gedankengängen verlor. Schon einmal hatte er sich an diesem Wochenende gefragt, wie Lian es geschafft hatte diesem Loch zu entkommen. Es wäre eine Frage, eine von vielen Fragen, die sie sich für ihr nächstes Treffen aufsparten, aufsparen mussten, weil die Zeit ihnen wie Sand durch die Finger zu rinnen schien. Es war einfach nicht genug davon da, für all die Dinge, die sie einander gern erzählt hätten. Doch einen Gedanken, den der Braunhaarige nicht äußerte, wie so oft in diesen Tagen, wäre einer gewesen, den auch der Hybride in dieser Form hätte hören sollen oder sogar müssen. Denn die menschliche Form war etwas was er mit ganzer Seele antizipierte. Die bloße Erinnerung daran stimmte ihn freudig. Und doch was es etwas was bis zum heutigen Tag noch immer eher in seinem Gedächtnis schlummerte, tief in den letzten Winkeln seiner ersten Erinnerung. Etwas über ein Jahrzehnt hatte er es ohne diese Wunsch ausgehalten, was hatte sich also so drastisch verändert, dass er es so krampfhaft fokussierte. Es war an der Zeit für den Wolf sich Gedanken über seine Wünsche zu machen, über das was er wollte, so wie er Lian dazu zwang sich über seine Karriere Gedanken zu machen, wobei diese Überlegungen wohlmöglich noch deutlich oberflächlicher waren. Aber auch das lag letztendlich im Auge des Betrachters. Ohne diese Worte gehört zu haben, herrschte daher weiterhin Stille. Erst die Hände seines Freundes rissen ihn aus dem Trance, ihn welche er sich schleichend hineinbewegt hatte, und fast automatisch wendete er den Kopf vom Spiegel ab. Da waren sie wieder die Augen, diese wunderschönen, smaragdfarbigen Augen. Von Verdammung war keine Rede mehr. Viel mehr noch als ihr Blickkontakt, war es die Berührung die ihn wieder in den Moment zurückholte. Lian war die erste Person, die ihn wirklich berührt hatte, physisch, und dabei nicht unbedingt immer zart war. Rownan hatte für sich schon gemerkt, dass es auch, abgesehen von den Körperlichkeit, etwas mit ihm machte, weil es so viel Distanz aus ihrer Beziehung herausnahm, wenn die filigranen Finger des Diebes durch sein dichtes Fell streiften und dieser gar keine Anstalten machte vor so einer Handlung zurückzuschrecken. Er behandelte ihn, wie er vermutlich jeden seiner wenigen Freunde behandelte, denen er einmal kräftig den Kopf waschen musste. Romantisierte der Grauhaarige die Situation direkt? Durchaus möglich, es reichte jedoch aus ihn aus der negativen Spirale herauszuziehen. Kurz blinzelte er sein Gegenüber an, um ihm zu bestätigten, dass er da war. So waren die Worte, die der Schütze äußerten, ruhig und bedacht, wie sie es schon waren als er aus seiner Vergangenheit erzählte. Es war dieses Mundwerk, welches der Satyrs noch Minuten zuvor gelobt hatte und damit indirekt in seiner Beobachtung bestätigt wurde. Er kann so reif sein, wenn er will waren die ersten Gedanken, die ihm in den Kopf schossen, zusammen mit einem sanften Lächeln ausgelöst durch die wenigen, doch intensiven Worte des Falls. Es war beinahe ergreifend zu sehen, wie sehr er den jungen Magier aus Aloe berührt hatte, wie weit sie wirklich gekommen waren und wie es sich in Momenten wie diesen zeigte, wenn sie einander imitierten, wissentlich oder unwissentlich damit einen Nerv treffend. Es war eine Art Respekt aber auch Anerkennung zu zeigen, für die Arbeit, die sie in diese Beziehung steckten. Und so gerne sich Rownan in diesem Moment in Selbstmitleid verloren hätte, so genoss er diesen Augenblick doch um einiges mehr. Ich glaube, ich weiß auch nicht, worüber ich mit Gedanken mache. War das wirklich eine Person dort vor ihm, eher auf ihm, für die er sich verstellen musste? Das konnte nur die Zeit zeigen, allerdings war das immer noch der springende Punkt, denn für dieses Wochenende war sie für solche Themen aufgebraucht. In diesem hoffnungsvollen Gedanken wurde der Hybride dann nicht zuletzt durch die vorerst letzten Worte bestätigt, die sie auf dem Boden miteinander wechseln würden. Zu Zweit. Es war wieder mal keine konkrete Feststellung ihres nebulösen Zustands. Aber es war eine Art Versicherung, für die folgende Zeitspanne. Vielleicht war es gut so, dass es noch Geheimnisse zwischen ihnen gab. So konnten sie sich auf natürliche Art und Weise besser kennenlernen, die Marotten, Freuden, Gewohnheiten und all die Punkte, die dazugehörten, wenn man sich besser kennenlernte. Immerhin den Augenkontakt hatten sie schon mehr als entschlüsselt.
„Eigentlich haben wir noch relativ wenig Zeit hier verbracht“ stichelte der Wolf nun selbst etwas, wobei sich seine Mimik anpasste und nicht nur eher sondern auch Lian merken durfte, dass er langsam wieder in seinen Normalzustand überging. So nahm er kurz danach die Hand seines Gesprächspartners dankend an und hievte sich wieder auf die Beine. Natürlich musste er dabei darauf achten, die Hände seines Gastgebers nicht zu verletzen. Die Spuren am Rücken sollten für diesen Ausflug mehr als ausreichend sein. Die Einladung endlich das Alter zu erfahren, nahm er demenentsprechend auch mehr als schnell an und packte den Antrag, darauf bedacht ihn am Ende nicht zu zerreißen. Kaum begann der Schwertkämpfer das Papier zu sondieren, begann auch er zu merken, dass der Langfinger wieder in seine Standardstimmung abgedriftet war. Er machte Witze, stichelte und grinste beinahe schon Schadenfroh in sich hinein. „Ha! Hörst du wie ich lache“ antwortete er ihm schnippisch, nur kurz vom Formular aufschauend, wodurch seine animalischen Merkmale noch etwas deutlicher zum Vorschein kamen. Nur noch beiläufig zuhörend, weckte ein Wort jedoch sein Interesse. Foto. Eine physische Erinnerung. Gar keine schlechte Idee Herr Falls. Noch war keine Zeit diese zu äußern, machte sich der junge Mann, fast zwanzig Jahre alt, noch intensiver über ihn lustig. Lian deshalb, wenn auch nur sehr leicht, anknurrend, dabei seine genervt-fröhliche Miene erhaltend, drückte er ihm den Zettel mit etwas mehr Kraft an die Brust. „Wer im Glashaus sitzt, mein Freund“ lautete die Retoure für diese Interaktion. Die verrückte Vermutung über seine Herkunft und die Reaktion am nächsten Morgen, über die der Hybride zwischenzeitlich schon etwas schmunzeln konnte, hatte auch er nicht vergessen. Mit ihrer beiden Blicke auf die Tasche gerichtet, war es nun glasklar, dass die Zeit der Abreise gekommen war. Sehr zur Freude Rownans, ergriff der Wüstenmagier der Wort und verschob damit die unangenehme Frage ihres tatsächlichen Abschieds. Würden sie sich umarmen, einen Handschlag geben oder… schon bei dem Gedanken fühlte er, wie die Wärme in seine Schnauze fuhr. Etwas Puffer für dieses Thema war gut. Ohne direkt zu Antworten schaute sich der Wolf noch ein weiteres Mal um, ehe er seine Tasche schulterte. Der Inhalt fühlte sich schwer an schwerer noch als am ersten Tag. Waren es wohl die Taten und Erlebnisse, die er mitsamt seinen eigentlichen Sachen symbolisch hochhob. Sie hatten ein ganz schönes Chaos angerichtet. „Du kannst mir die Rechnung hierfür nach Maldina schicken“ war der erste Satz seiner Antwort und damit meinte er nicht nur die Enthaarung der ganzen Wohnung, während sein Zeigefinder eine kreisende Bewegung machte. Zudem war es die perfekte Überleitung für die Idee, die er nur wenige Minuten zuvor gehabt hatte. Lian wieder direkt in die Augen schauend, begann er zu sprechen: „Was hältst du davon: Es gibt doch sicher noch einen spontanen Fotografen oder ein Apparat in dieser Stadt, oder? Wir machen auf dem Weg zum Bahnhof ein paar Fotos, als Erinnerung, schauen nach etwas auf die Hand zu essen und überbrücken so die Strecke bis zum Zug“. Erst jetzt, wo es der Tiermensch ausgesprochen hatte, bemerkte er die unterschwellige Ambiguität seiner Aussage. Lud er Lian Falls gerade zu einem Abschlussdate ein? So konnte man es durchaus auffassen und das bemerkte auch der so wortgewandte Wolf. „Sofern… sofern du natürlich Lust hast“ schob er den zweiten Satz nach, doch bereits durch den Vorfall mit dem Antrag, konnte der andere seine Stimme gewiss nur zu gut deuten. Diese Unsicherheit war auch etwas ganz Neues für den Lupinen und eine Eigenschaft, die bis jetzt nur sein Gegenüber schaffte an die Oberfläche zu bringen. Wurde Rownan etwa zum Softie. Ein durch und durch interessante Entwicklung. Fast noch spannender als die Antwort des Illusionisten.
Oha? Ein Knurren also? So einschüchternd diese Geste in einem anderen Kontext auf Lian wirken konnte, in der aktuellen Situation verfehlte das leise Knurren tief aus der Kehle des Lupinen eine solche Wirkung bei Weitem. Nein, vielmehr amüsierte es den Falls zusätzlich und bestätigte ihn darin, dass er einen wunden Punkt bei Rownan getroffen hatte. Er war panisch gewesen, er hatte sich Sorgen gemacht, mit den Ereignissen des Wochenendes irgendeine Schwelle übertreten zu haben, die er nie hatte übertreten wollen. Oh, wenn der Braunhaarige weiter darüber nachdachte, würde er gleich wieder mit dem Lachen anfangen, weshalb er sich wirklich bemühte, den Gesichtsausdruck, den Rownan gezeigt hatte, vorerst wieder zu verdrängen und in irgendeinen hinteren Winkel seines Gedächtnisses zu schieben. So lief er zumindest nicht durchgehend Gefahr, sofort wieder zu prusten und den Bogen gegenüber dem anderen Magier nachher noch zu überspannen. Der 19-Jährige nahm den ausgefüllten Beförderungsantrag, der ihm vielleicht mit einem Hauch zu viel Nachdruck gegen die Brust gedrückt wurde, mit einem schiefen Grinsen und leicht angehobenen Brauen wieder entgegen, ohne einen zusätzlichen Kommentar zum Besten zu geben. Voller neuer, ungeahnter Energie und Motivation packte der Falls das Schriftstück nicht einfach wieder zurück auf den Schreibtisch, sondern fischte in seinen Unterlagen nach einem Briefumschlag und tütete das Dokument sogleich ein. Auch wenn er es nicht aussprach: Die Anwesenheit von Rownan bestärkte ihn irgendwie, diesen Antrag wirklich auf den Weg zu bringen und nicht einfach weiterhin unter einem Stapel anderer Magazine und Zeitschriften versauern zu lassen. Natürlich hätte Lian mit einem Lossenden der Unterlagen auch warten können, bis der ältere Magier abgereist war… aber der Falls kannte sich selbst. Er fürchtete insgeheim, sofort wieder in seine alten Verhaltensmuster zu verfallen und die Motivation, die er jetzt gerade verspürte, wieder zu verlieren, wenn er alleine war. Er musste es also jetzt machen, solange Rownan noch dabei war. Vor seiner… Abreise.
Ein paar Augenblicke lang starrten beide Magier gleichermaßen auf die gepackte Tasche, bis es der Lupine war, der sich gemächlich in Bewegung setzte und sein Gepäck schulterte. Es überraschte Lian ein wenig, wie sehr ihn dieser Moment doch mitnahm und wie groß der Drang war, den Abschied noch weiter nach hinten zu verschieben. Dass er drauf und dran war, den Satyrs Magier einfach zu bitten, die Tasche wieder abzulegen. Nicht nur er hatte dem Hybriden geholfen, auch umgekehrt war Rownan für ihn da gewesen und vieles hatte sich mit dem anderen Magier an diesem Wochenende so viel leichter angefühlt, als der Falls es sonst im Alltag wahrnahm. Es war eine Auszeit vom normalen Leben gewesen, die Lian gerne noch weiter ausgekostet hätte. Jetzt reiß dich mal am Riemen, ermahnte sich der 19-Jährige gedanklich selbst, aber nicht einmal in seinen Gedanken hörte es sich wirklich überzeugend an. Rownans Stimme ließ den Schützen wieder aufblicken und kurz folgte er dem Fingerzeig seines Freundes. Er könnte die Rechnung hierfür nach Maldina schicken? Zwischen den Zeilen war die Nachricht eindeutig: Es ging hier nicht nur um die Enthaarung der Wohnung. Die Mundwinkel des Lockenkopfes hoben sich zu einem amüsierten Schmunzeln an und anstatt lange zu hadern, war es ein „Ich werde drauf zurückkommen“, dass seinen Lippen entkam, direkt nachdem er sich wieder zum Lupinen umgedreht hatte. Ihre Blicke trafen sich, aber irgendetwas war anders, das merkte auch der Braunhaarige sofort. Fast so, als hätte Rownan einen Einfall gehabt? Und es wirkte so, als hätte dieser Einfall nicht nur etwas mit einer möglichen Nahrungsaufnahme zu tun. Lian schwieg, hörte zu und konnte nicht verhindern, dass seine grünen Augen sich weiteten.
Ein… ein Foto?
War es eben noch ein Lachen, ein Grinsen oder auch ein Schmunzeln gewesen, mit dem Lian sich gezeigt hatte, war es nun echte Irritation, die aus seinem Gesicht abgelesen werden konnte. Der Falls musste überhaupt nicht lange nachdenken: Es existierten auf dieser Welt höchstens eine Handvoll Fotos, auf denen er abgebildet war und das nicht ohne Grund. Lian war kein besonders großer Fan von Fotografen oder Kameras und war solchen Dingen in der Vergangenheit fast immer ausgewichen. Warum? Wie bereits thematisiert, mochte der Falls sein eigenes Spiegelbild nicht. Wenn Lian sich selbst sah, dann erkannte er alle Fehler, die er besaß – und damit waren nicht einmal Äußerlichkeiten gemeint, sondern all die Dinge, die in seinem Inneren falsch liefen. Makel an ihm, an seiner Persönlichkeit, an seinem ganzen Sein. So wie der Falls nicht gerne in den Spiegel sah, verhielt es sich entsprechend auch mit Fotos. So eine Aufnahme hielt Dinge fest, die er gar nicht festhalten wollte und zwang ihn dazu, sich selbst anzusehen, obwohl er dem im Alltag lieber auswich. Es war daher nicht einmal unbedingt die Frage an sich, die einen gewissen Widerstand in dem Braunhaarigen auslöste, sondern vielmehr die Vorstellung, in irgendein Objektiv zu starren und darauf zu warten, dass jemand den Auslöser drückte…
Okay, der Gesichtsausdruck, den Lian zwischenzeitlich gezeigt hatte, war mit Sicherheit nicht förderlich gewesen, um die Verlegenheit von Rownan zu vertreiben. Moment… die Verlegenheit? Der 19-Jährige blinzelte mehrmals, als er die nachgeschobene Ergänzung seines Freundes vernahm und bemerkte danach, dass der Blick der hellblauen Seelenspiegel, die ihn eben noch entschlossen angesehen hatten, mit einem Schlag deutlich unsteter wirkte. Nervosität lag in der Luft, keine Frage. Er hatte Rownan als eine sehr direkte Persönlichkeit kennengelernt, die weder Probleme damit hatte, eigene Vorschläge einzubringen, noch damit, für diese Vorschläge einzustehen. Die unsichere Ausstrahlung, die jetzt von dem Hybriden ausging, war daher ganz ungewohnt und passte nicht in das übliche Bild. Ja, Lian hatte sich vorhin noch über die Unsicherheit seines Freundes lustig gemacht, aber da hatte er es auch bewusst provoziert. Aber jetzt? Das war anders. Es hatte eine Weile gedauert, aber schlussendlich fiel auch der Groschen bei dem Falls: Das, was der Lupine da ausgesprochen hatte, hörte sich wie ein Date an. Kaum war der Gedanke formuliert, spürte Lian sein Herz viel zu deutlich in seiner Brust schlagen. Sollte er… war es richtig, darauf einzugehen? Hatte er nicht eben noch in den Spiegel geblickt und hatte die Stimme aus seinem Inneren vernommen, die ihn dazu angehalten hatte, einen Schritt zurückzutreten, solange er seine Gefühle nicht eindeutig zuordnen konnte? Auch zum Wohle von Rownan? Es war, als würden sein Kopf und sein Herz einen Kampf miteinander ausfechten, sodass es dem 19-Jährigen kurzzeitig die Sprache verschlug. Er wandte den Blick ab, kratzte sich unbeholfen an der Wange und der Satz, den er aussprach, rutschte ihm schneller über die Lippen, als dass die wilden Gedanken in seinem Kopf sich richtig geordnet hatten: „Wir können ja mal schauen, ob wir was finden…“ Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ja, das hatte er. Lian schluckte und ganz gleich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, nun waren die Worte bereits ausgesprochen worden. Er sah auf, wieder direkt zu Rownan und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war: Auch er wollte gerne eine Erinnerung an dieses Wochenende haben, ganz egal, was es für ungeklärte Fragen zwischen den beiden Magiern noch gab. Und so war es auch ein Lächeln, dass sich zum Schluss hin im Gesicht des Illusionisten wiederfand. Er griff nach dem Umschlag, in dem sein Beförderungsantrag steckte und deutete auf die Tür. „Na gut, lass uns losgehen.“ Es brachte auch nichts, es ewig in die Länge zu ziehen, oder? Der Falls trat vor, öffnete die Tür seiner Wohnung und bedeutete dem Lupinen, ihm zu folgen. Was hatten sie nicht alles an diesem Wochenende in dieser Wohnung erlebt – ein komisches Gefühl, wenn Lian nun darüber nachdachte, das nächste Mal alleine an diesen Ort zurückzukehren.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als er und Rownan den Gildenpalast von Crimson Sphynx verließen (nachdem Lian seinen Antrag in ein Postfach geschmissen hatte, versteht sich). Das letzte Mal, dass sie auf dem Vorplatz gestanden hatten, hatte der Satyrs Magier die Gestalt eines Wolfes gehabt. Lian rieb sich über den Hinterkopf und seufzte stumm, denn das war nur eine von vielen Erinnerungen, die er mit Sicherheit niemals in seinem Leben vergessen würde. Er vermutete, dass der Vorplatz des Gildenpalastes ihn zukünftig noch des Öfteren daran erinnern würde, wie er auf dem Rücken seines Freundes durch die Straßen seiner Heimatstadt getragen worden war. Und wenn er das nächste Mal in die Wüste vor die Stadttore treten würde, würden ihn mit Sicherheit die Bilder von einem angeketteten Rownan, aber auch von seinem Freund in Menschengestalt in den Kopf schießen. Oder davon, wie er seine Stirn gegen die Stirn des Satyrs Magiers gelegt hatte und seine negativen Emotionen aufgenommen hatte. Ja, es gab bereits jetzt mehrere Orte, die in Zukunft mit Erinnerungen gespickt sein würden, die mit dem Lupinen zusammenhingen. Ziemlich sicher, dass es nicht die letzten Orte waren, an denen sie gemeinsame Erinnerungen sammeln würden, oder? Während Lian an der Seite des älteren Magiers durch die Straßen der Stadt schritt, sah er sich ein wenig um. Es waren viele Menschen unterwegs, wie immer um diese Tageszeit und es war heiß – auch das keinesfalls ungewöhnlich für die Wüstenstadt. Ob Rownan wieder hechelte? Mit einem unauffälligen Seitenblick sah der 19-Jährige zu seinem Freund, erinnerte sich aber sogleich an die Morddrohung, die ihm gegenüber ausgesprochen worden war, sollte er aufgrund eines Hechelns lachen. Es war vielmehr die Morddrohung an sich, als das Hecheln, die beinahe dafür gesorgt hätten, dass der Falls tatsächlich gegrinst hätte. Nur in letzter Sekunde konnte sich der Illusionist noch zusammenreißen… und blieb dann plötzlich stehen. Unweit von ihnen entfernt war es der Bahnhof von Aloe, auf den alle Menschen im Umkreis zuströmten. Aber es war nicht der Bahnhof, der dafür sorgte, dass Lian inmitten seiner Bewegung innegehalten hatte. Wenn Rownan dem Blick der hellgrünen Augen folgen würde, würde er sehen, dass es vielmehr verschiedene Boxen am Rande des Vorplatzes waren, die der Falls musterte. Fotoautomaten? Die Möglichkeit, dass sie einfach mal schauen könnten, ob sie eine Gelegenheit für Fotos auf dem Weg fanden, war vorhin schnell über die Lippen der Sphynx gekommen, aber jetzt, kurz davor, war da wieder dieser Widerstand in ihm. Ein Widerstand dagegen, sich auf Fotos ablichten zu lassen. „Rownan, ich hab das vorhin nicht gesagt…“, begann der junge Mann mit kurzer Verzögerung, ohne sich so recht von den Fotoautomaten abwenden zu können. „Aber ich bin nicht besonders fotogen. Ich bin auch nicht besonders oft fotografiert worden. Und die wenigen Fotos, die von mir existieren, sehen auch nicht besonders gut aus.“ Die Message war ziemlich klar: Lian hatte ein Problem mit Fotos, was er gegenüber Rownan nun auch endlich zugab. Wie der andere damit umgehen würde? „Entsprechend… war ich auch noch nie in so einem Ding." War es eben noch Rownan gewesen, dessen Stimme unsicher geklungen hatte, so war es nun eindeutig Lian, der diesen Part erfüllte. Es war schon ein großes Zugeständnis, dass der Falls versuchen wollte, über seinen Schatten zu springen, aber das änderte nichts daran, dass es ihm nicht leicht fiel…
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis Lian auf seine Frage reagierte, während das Gesicht seines Gastgeber ihn im Sekundentakt mit Informationen bombardierte. Dabei konnte der Lupine auf Anhieb gar nicht sagen, was genau die Irritation hervorrief: war es die Idee, war es die Idee aus Rownans Mund, war es einfach nur die Situation oder hatte er wieder einmal einen der vielen Bereiche tangiert, mit denen die beiden, mal öffentlicher mal verschlossener, ein Problem zu haben schienen? Besonders der letzte Punkt brachte den Wolf dazu die Überlegung zu fassen, ob sie überhaupt noch etwas ansprechen durften, das nicht irgendeine Reaktion auslöste. Das wäre eine mehr als platonische Beziehung. Aber gerade ihr Wochenende hatte gezeigt, wie komplex jeder von ihnen war und diese Komplexität war es, welcher sie fortwährend gerecht werden wollten. Daher wäre es eher verwunderlich, wenn ihre Ideen, und sei es nur die Gestaltung ihrer Freizeit, nicht auch gewisse Bereiche berühren würden, die für den ein oder anderen nicht nur positiv konnotiert wären. So waren sie eben aber vielleicht war genau das einer der Punkte, den sie am anderen schätzten. Denn diese inneren Konflikte blieben niemals unbeantwortet im Raum zumindest war dem so die letzten Tage. Jetzt am Tag der Abreise versuchten beide so gut es ging empfindliche Themen auszusperren, um sich endlich etwas Raum zum Atmen zu erarbeiten. Das Foto schien daher eine noch tolerierbare Mischung aus Aufgabe und Unterhaltung zu sein. Den Moment der Unsicherheit konnte der Satyrs nicht mehr überspielen, seine unruhigen Augen hielten daher nicht dauerhaft Kontakt und nahmen stattdessen spezifische Eindrücke der Umgebung intensiver war. Wenn man sich recht umschaute, das hatte er bereits am Anfang des Wochenendes bemerkt, könnte diese Wohnung jedem x-beliebigen Magier aus Aloe gehören. Kaum etwas deutete darauf hin, dass es sich hierbei um Lian Falls Zimmer handelte. Noch immer der Signifikanz des Nachnamens nicht bewusst, fragte sich der Magier durchaus, welche Bewandtnis diese Tatsache hatte. Natürlich wäre die Vergangenheit der erste Gedanke, dem einem Eingeweihten kommen würde, doch hatte er bereits bei eben diesen Überlegungen das Gefühl, dass sie noch viel zu oberflächlich waren. Es wirkte eher wie eine Kumulation aus vielen Faktoren. Immerhin tat ein Dieb gut daran keine Spuren von sich zu hinterlassen. Ob der Schütze damit rechnete jeden Tag erwischt zu werden? Nur mit dem zu verreisen, was er wirklich brauchte? Nein, so krass war es noch nicht, sonst wäre niemals so entspannt gewesen. Es war ein neues Puzzleteil für ein weiteres, neues Mysterium der Sphynx. Dabei waren es wieder einmal die inneren Monologe seines Gegenübers, die Rownan aus der Seele gesprochen hätten und Punkte aufgriffen, die dieser ebenso im Verlauf der nächsten Zeit aufwerfen würde. Natürlich wusste auch der Hybride, wie sehr dieses Objekt, das Foto, seinen aktuellen Zustand zementieren würde. Es wäre eher ein Mahnmal seiner Unfähigkeit, die er so offen an diesem Wochenende zur Schau gestellt hatte. Aber so wie die beiden zwei Seiten der gleiche Medaille waren, so gab es für beide auch immer zwei Blickwinkel auf ihre Situation. So sehr wie die Photographie sein Äußerliches bestätigte, so sehr würde es auch den emotionalen Stand der Magier ausdrücken. Sie hatten so viele schöne, glückliche und bewegende Momente erlebt, die sie mit einem so einfach Mittel für die Ewigkeit festhalten konnten. Es konnte als Antrieb dienen weiter an den Dingen zu arbeiten, die sie die letzten tage an die Oberfläche befördert hatten. Und das war seiner Erachtens noch immer die Essenz des Tiermenschen: er wollte kontinuierlich an sich arbeiten und was gab es da Besseres als einen Moment innezuhalten und seine Errungenschaften zu betrachten. Diese waren, was zwar sehr ungewohnt für ihn war, eben eher auf der persönlichen Ebene statt bei Fertigkeiten oder Fähigkeiten, dabei aber keineswegs weniger wert. Ganz im Gegenteil. Viel mehr konnte sich der Lupine nicht zusammenreimen, denn Lian hatte sich zwischenzeitlich gefangen und antworte mit etwas, was nicht näher an dessen eigener Persönlichkeit sein konnte: ein definitives Jein. Nicht wirklich wissend, wie er darauf reagieren sollte, kratzte sich der Wolf kurz an der Nase und nickte ihm zu. Der Tag an dem Lian einmal eine direkte … nein, das stimmte nicht. Der junge Mann war die Tage durchaus direkt gewesen, besonders dann, wenn es drauf ankam. Lieber mit dir als ohne dich. Viel direkter konnte man nicht sein. Aber der Tag, an dem der Illusionist jede seiner Entscheidungen so konkret treffen würde wie diese, wäre einer, der in einem Kalender festgehalten werden sollte. Kein Grund ihn dafür aus der Komfortzone zu holen, waren die Worte doch manchmal nebensächlich. Vielleicht war es einfach die gemeinsame Zeit, die sie sich gerade erkauft hatten, die beide gleichermaßen erfreuen sollte. Mit der geöffneten Tür war die Abreise nun final besiegelt. Einige Schritte in Richtung der Tür gehend, blieb er noch einmal stehen und schaute sich um. So sehr dieses Zimmer auch unpraktisch war, so sehr verband er doch etliche Erinnerungen mit diesem Ort. Würde die Sphynx aufgrund seines neuen Ranges umziehen, wäre es durchaus Schade, diese besonderen vier Wände ein letztes Mal erblickt zu haben. Kein Wunder, dass Rownan noch einmal die Atmosphäre seiner Umgebung auf sich wirken ließ, eher er entschlossen in den Flur trat und zusammen mit dem anderen sich aufmachte den Palast zu verlassen.
Überraschenderweise hatte Lian nicht nur den Antrag direkt eingetütet, sondern diesen auch bewusst im Beisein des Satyrs abgegeben. Ob er wirklich davon überzeugt war oder ob es die Präsenz seines Freundes war, die ihn dazu motivierte, vermochte er gar nicht zu sagen. Der Hybride war einfach erfreut darüber einer ihm wichtigen Person den richtigen Weg gezeigt zu haben und zu sehen, dass ihrem Austausch auch Taten folgten, denn diese waren um einiges wichtiger als bloße Überzeugungen. Damit war jedoch auch die letzte produktive Tätigkeit ihres gemeinsames Wochenendes beendet worden. Rownan hatte einen Ausblick auf das bekommen, was er erreichen konnte, wenn er diese neuen Kräfte bündeln konnte. Und Lian war endlich etwas aus seinem Schatten herausgetreten und war mit seiner Initiative einen weiteren Schritt gegangen sein Potenzial auszuschöpfen. Trotz des Rückschlags in der Wüste, musste der Schwertkämpfer eine positive Bilanz ziehen. Es brauchte einfach mehr Zeit. Zeit zum Üben, zum Verstehen zum Meistern. So motiviert, wie Rownan an diese Sachen ging, konnte er im gleichen Zug nur hoffen, dass auch der Braunhaarige die Tage nicht untätig verstreiche lassen würde. Immerhin hatte dieser auch Kräfte manifestiert, die für ihn wohl alles andere als bekannt waren. Er täte gut daran sich mit ihnen auseinanderzusetzen, nicht zuletzt aufgrund der starken körperlichen Reaktion, die diese hervorrufen konnten. Diese Gedanken waren die ersten Erinnerungen und Eindrücke ihres Wochenendes, die sich im Kopf des Magiers manifestierten. Er begann das ganze bereits zu reflektieren, jetzt wo die Umgebung weniger aufgeladen war. Neben diesen Erlebnissen waren es aber besonders seine Charakterzüge, die er an sich wahrgenommen hatte und die er so bewusst an den Tag gelegt hatte, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie besaß. Von überschwänglicher Freude, zur Liebe, Zuneigung, aber ebenso Verwirrung, Scham und tiefem Hass oder Wut. Die ganze Bandbreite des Regenbogens hatte er die letzten Tage gespürt und das war etwas gänzlich Neues für Rownan. Anders als seine animalische Seite, fühlten sich diese Eindrücke jedoch nicht inhärent schlecht an, nicht falsch sondern erfrischend, richtig. Es fühlte sich so an, als ob er immer so fühlen sollte und endlich aus einer Blase entkommen war, in welcher er die letzten 23 Jahre gelebt hatte. Das Problem daran hatte er bereits thematisiert, wurde es in diesem Moment nur verstärkt. Er wusste noch nicht, wie er diese neuen Persönlichkeitsmerkmale einordnen würde und es gab einige Personen, die ihm dabei helfen würden, sich weiterhin besser zu verstehen und zu verstehen, warum es so lange gedauerte hatte, diesen Punkt zu erreichen. Einzig die Unsicherheit, die er gerade in den letzten Stunden gezeigt hatte, war etwas, dass er sich schnell abgewöhnen wollte, obwohl es auch unterbewusst guttat, einmal keine Stärke zeigen zu müssen, sich jemanden zu öffnen, dessen bloße Anwesenheit die Stärke war, die er brauchte. Würde er sich einmal ehrlich reflektieren, würde er das Muster erkennen, welches er sich selbst auferlegte. Negative Dinge versuchte er zu revidieren, aus- oder einzusperren, während er die positiven Aspekte um ein Vielfaches quantifizierte. Ein gesundes Gleichgewicht war so nicht möglich. Diese Erkenntnis war gedanklich noch weit entfernt vom stolzen Wolf.
Letztlich war es die brennende Sonne der Wüste, die diese Prozesse fürs erste auf ein Minimum reduzierte. Mitten am Tag fühlten sich die Temperaturen nochmals um ein Vielfaches schlimmer an als sie es die Tage zuvor getan hatten. Seine Sachen waren weiterhin wenig atmungsaktiv und die Feuchtigkeit seines Fells schenkte ihm bestenfalls einige Minuten kühle Luft, ehe auch die letzte Faser bis in die tiefste Schicht getrocknet war. Wenigstens musste er sich auf diese Art und Weise nicht wieder kämmen, denn die Luft war noch harmloser als zielgerichtete heiße Luft oder das Rubbeln eines Handtuchs. So dauerte es zwar etwas länger als bei ihrem Weg in die Wüste, trotzdem musste sich der Hybride irgendwann etwas Abkühlung durch seine Zunge verschaffen. Kaum begann er mit dem Hecheln, bemerkte er den Seitenblick Lians, der allerdings weiterhin gut daran tat nichts zu sagen. Seine Worte hatten wohl noch immer genug Gewicht weitere Bemerkungen zu unterdrücken. Wie lange würde ihn der junge Mann noch ernst nehmen, wenn sie mehr Zeit miteinander verbringen würden? Wenn sein Wissen um den vermeintlich bösen Wolf nach außen lebte? Würde es Rownan stören? Fragen über Fragen, für die es viel zu heiß war, um darüber nachzudenken. Die Straßen der Wüstenstadt hinter sich lassend bemerkte der Lupine, wie viele allgemeine Erinnerungen er eigentlich mit Aloe verbinden konnte. Neben den Quests, die er hier absolvierte, erkannte er allmählich einige Straßen wieder, auch einige Läden. Die Art wie Leute miteinander umgingen und das Gefühl für die Bevölkerung und ihren Tagesrhythmus. Die Wüstenstadt entwickelte sich sehr zum Leidwesen des Tiermenschen zum zweiten Lebensmittelpunkt, vielleicht sogar zum einzigen Lebensmittelpunkt – aber er in der Wüste? Wohlmöglich ein noch stärker werdender Grund sein Fell endgültig abzustoßen. Sonst würde diese Stadt noch sein Ende bedeuten. Wenn nicht als Magier, dann durch einen Hitzschlag. In eine weitere Straße abbiegend wusste der Satyrs, dass sie dem Bahnhof bedrohlich nahekamen. Das schien auch sein Begleiter zu wissen, der daraufhin stehen blieb. Darüber hinaus hatte dieser jedoch den ersten von zwei Punkten erspäht, den sie auf dem Weg zum Abreisepunkt erledigten wollte. Erst dezent, dann auffälliger, erkannte der Grauhaarige die kleinen und mittelgroßen Boxen, die mit auffälliger Werbung und Preise markiert waren. Die relativ einfachen Lacrimakonstruktionen ermöglichten ein einfaches Bedienen und sogleich fertige Aufnahmen. Eben genau das, was die beiden mehr oder minder freiwillig suchten. Ausgelegt für den Spaß von jungen Leuten, gab es einige, die durchaus für mehrere Personen betretbar waren, auch wenn es nicht optimal war, nicht zuletzt weil er sich definitiv würde bücken oder setzen müssen, um ordentlich Platz zu nehmen. Es wird also wieder ein kleiner Kampf murmelte er eher zu sich selbst als zu seinem Nebenmann. In diesem Moment so bewusst mit der Möglichkeit konfrontiert, fragte er sich schon, ob es die richtige Idee war, zumal er sich für seinen Teil doch wieder etwas unwohl fühlte, nicht nur durch die Sonne und seinen Zustand sondern aufgrund dessen, was er eben so permanent zementieren würde – die Frage war, wovon würde er mehr haben: es nicht zu tun oder diese überwiegend positiven Erlebnisse festzuhalten – eher Symbolik als die eigentlich Fotos. Lian riss ihn aus den Gedanken heraus: er war nicht fotogen, es gab keine guten Fotos von ihm und er hatte auch wenig Erfahrung damit abgelichtet zu werden? Eine Aussage, dessen Absurdität wohl Rownan schneller kam als dem Wüstenmagier. Ein dunkles, kehliges Lachen wie es der andere bereits ab und an gehört hatte, entkam dem Wolf und unterbrach so seinen Wärmeaustausch. Hatte er sich gerade wirklich gegenüber einem sehr animalischen Tiermenschen als nicht fotogen bezeichnet? Wie konnte man auch anders reagieren als zu lachen. Die Rache für das Gestammel aus dem Zimmer, es würde also sehr wahrscheinlich für beide eine Erfahrung werden. Scheinbar war er nicht der einzige mit einem Problem mit seinem Äußeren, auch wenn die Gründe und unter Umständen auch die Berechtigung sehr unterschiedlich waren. Es zeugte wiederholt von dem tiefen Band, welches sie sichtbar und unsichtbar verband. „Ich hoffe du bist dir bewusst, mit wem du gerade redest. Aber ich fühle deine Sorge, kann vollstes Verständnis dafür aufbringen. Du bist wirklich ganz schrecklich entstellt. Das du dich überhaupt auf die Straße traust“ begann er sarkastisch und belustigt seine kleine Ausführung. „Und was die Fotos angeht: Ähnlich wie mit deinen Worten, liegt es nicht am Foto, dass du auf diesen nicht gut aussiehst“. Über seine eigene Aussage belustigt, rempelte er den Jungen an dessen Schulter leicht an, um dann weiter zu einer der größeren Boxen zu gehen. Natürlich war der Teil gelogen. Sie konnten beide nicht abstreiten gut auszusehen. Daher sollte ihre gemeinsame Anwesenheit eher synergetische Effekte haben. Zumindest war das eine Möglichkeit es sich schön zu reden. Trotzdem hatte Rownan natürlich die Botschaft hinter den Worten vernommen. Es ging viel eher um die Geste, die er ehren musste, wenn sich der Illusionist dazu überwand diese gemeinsame Aktivität durchzuführen. So wie der Magier selten Wissen über sich preisgab, so verschlossen war er eben auch mit allem, was seine Person betraf. Dass er sich also dem Satyrs so öffnete war ein weiterer, starker Vertrauensbeweis. Dabei war der Hybride alles andere als jemand, der unbedingt geeignet war diese Baustelle anzugehen. Er war eigentlich niemand der einfach so Quatsch machte, der wie ein Gaukler umhersprang und Leute zum Lachen brachte. Auch er würde sich durchringen müssen, diesen Zyklus zu durchbrechen, auch um seiner Seele willen – ein Bild von dem Wolf, das er sich gerne ansehen würde, jetzt und in der Zukunft, war ein interessanter Gedanke. Weiterer Pluspunkt war die kühlere Luft im inneren des Apparates.
Sich jeweils mit der Funktionsweise der Gerätschaft vertraut machend, konnten beide relativ schnell herausfinden, wie die Maschine funktionierte. Durch Betätigen des Knopfes wurde ein Countdown ausgelöst. Nach Abschluss erfolgte der Blitz und die Aufnahme wurde gespeichert. Sobald die Jewel aufgebraucht waren oder die Aktion beendet wurde, wurden die Bilder angefertigt. Eine Durchaus spannende Technik. Da zumindest der Grauhaarige davon ausging, dass sie einen ganzen Batzen der Aufnahmen verwerfen konnten, geizte er nicht die Maschine mit Jewel zu füttern. „Jetzt müssen wir uns wenigstens um die Versuche keine Gedanken machen“ kommentierte er seine Handlung dem Schützen gegenüber. Auf der anderen Seite der bilderzeugenden Stelle war eine kleine Bank angebracht worden. Sie war breit genug für drei Personen und so konnten Lian und er wenigstens nebeneinander Platz nehmen. „Lass uns einfach versuchen natürlich zu wirken und dann wird gewiss ein verwertbarer Schnappschuss enthalten sein“. Wenn noch irgendwo ein Funken Romantik innerhalb dieses Szenarios enthalten war, welches beiden Magiern bereits von vornhinein unangenehm war, dann hatte sie der Satyrs spätestens jetzt erstickt. Kein Wunder, dass die ersten Fotos unwahrscheinlich steif wirkten, fast so, als ob sich zwei Fremde für eine Aufnahme getroffen hatten. Nein, so funktioniert das nicht. So erfassen sie überhaupt nicht das Gefühl der letzten Tage. Ich muss … improvisieren. Kurz überlegend, schoss ihm die schöne Pose aus dem Zimmer in den Kopf. „Was hältst du davon, wenn ich meinen Kopf wieder ablege, das ist doch bestimmt ein ansprechendes Motiv“ erläuterte er seinem Leidensgenossen, dabei wieder die rationalste Seite seines Seins an den Tag legend. Man konnte daran wunderbar erkennen, wie fremd dies alles noch für den Tiermenschen war, vor allem dann, wenn sie jetzt auch noch in der Öffentlichkeit waren. Ob es seine neutrale, vielleicht sogar ermunternde Miene war oder wohlmöglich die Tatsache, dass auch der Braunhaarige mit einem brauchbaren Bild herauskommen wollte, stimmte er der der Idee zu. Anders als im Zimmer jedoch, hatte Rownan Momente zuvor noch stark gespeichelt. Statt also seinen Kopf schön abzulegen, verlor er unabsichtlich einen kleinen Sabberstreifen auf dem Kopf des Schützen, während er den Knopf für die nächste Bilderreihe bereits betätigt hatte. „E-Entschuldige Lian“ rief er überrascht aus und versuchte die Flüssigkeit irgendwie aus den Haaren zu entfernen, was die Sache nicht besser machte, ungeachtet dessen, dass es eigentlich keinen der beiden stören sollte. Während die beiden also eher miteinander zugange waren, schoss die Maschine fröhlich Aufnahme nach Aufnahme. Die Fotos waren furchtbar, aber immerhin waren sie scharf und irgendwie erfassten sie doch irgendwo die Art, wie sie miteinander interagierten: unbeholfen. Mit nur noch wenigen Möglichkeiten für das eingegebene Geld schaute er zum Dieb. „Hast du noch eine Idee für die letzten Bilder?“. Rownan war mit seinem Latein am Ende und so richtig gelang es ihm nicht die beiden aus ihrer förmlichen Haltung herauszuholen. Nicht verwunderlich, dass sein Blick auch etwas Hilfesuchendes transportiere. Er wollte, dass es gelang aber er wusste nicht wie. Vielleicht war dies eher die Stärke der Person, die vieles nach außen zeigen konnte, was sie innerlich überhaupt nicht meinte. Und der Wolf konnte dann immer noch beim Essen punkten.
Okay, woran konnte man merken, dass Lian gerade mehr mit sich selbst, als mit seiner Umwelt beschäftigt war? Eindeutig daran, dass er mehrere Sekunden brauchte, um zu verstehen, worauf Rownan mit seiner Aussage eigentlich anspielte. Ihm war hoffentlich bewusst, mit wem er gerade sprach? Was sollte das denn bitte heißen? Der Falls starrte seinen Freund ein paar Sekunden an, das Hirn offensichtlich auf Durchzug gestellt. Erst mit Verzögerung meldete sich ein kleiner Teil seines Gripses zurück aus dem Kurzurlaub und der Groschen fiel – besser spät als nie. Ganz gleich, wie der Braunhaarige selbst über das Aussehen des Hybriden dachte, Tatsache war, dass der Satyrs Magier sich bewusst mit den Möglichkeiten der Gestaltveränderung beschäftigt hatte, um sein Äußeres, so wie es jetzt war, verändern zu können. Auch an seine überschwängliche Freude, als es ihm in der Wüste kurzzeitig gelang, eine menschliche Hülle anzunehmen, konnte sich Lian noch allzu gut erinnern. Also ja, der Schütze verstand, warum es sich in den Ohren von Rownan albern anhören musste, dass er sich selbst als nicht fotogen bezeichnete. Als jemand, der auf keinem Bild besonders gut aussah, wenn es doch Rownan war, der seit längerer Zeit alles daran setzte, um sein Aussehen endlich verändern zu können. Aber änderte das etwas an den Gefühlen des Falls? Nein, nicht wirklich. Man konnte immer Vergleiche ziehen, konnte sagen, dass es Personen gab, die es noch viel schwieriger hatten als man selbst. Man konnte versuchen, zu relativieren, aber es änderte doch nichts daran, wie Lian zu sich selbst, zu einem eigenen Spiegelbild und nicht zuletzt zu Fotos stand, auf denen er abgelichtet wurde. Es gefiel ihm nicht, es widerstrebte ihm und es kostete ihn große Überwindung, es seinem Freund zuliebe auch nur gedanklich zuzulassen. Die Berührung an seiner Schulter, der leichte Rempler, riss den 19-Jährigen endlich aus seinen Überlegungen und sorgte auch dafür, dass sich sein zwischenzeitlich angespanntes Gesicht wieder ein Stück weit lockerte. Wenngleich die Vorstellung, gleich in eine dieser Fotoboxen zu treten, noch immer ein ordentliches Unbehagen verursachte, hatten die Worte von Rownan den aufgeregten Illusionsmagier wieder ein bisschen mehr geerdet. Er machte sich über den Lockenkopf lustig? „Wow. Wohin sind die Lobpreisungen mir gegenüber entschwunden?“, gab er dem Lupinen sichtlich amüsiert zur Antwort und schnaubte. Dass der Falls die Aussage nicht wirklich ernst meinte, sollte damit mehr als deutlich geworden sein. Der Satyrs Magier setzte sich in Bewegung, Lian folgte wenige Schritte dahinter und je näher die Fotoboxen kamen, desto klarer wurde, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Sie würden das hier durchziehen, sie würden diese Fotos machen. Kurz bevor auch der Falls in einer der Apparaturen verschwinden konnte, hüpften zwei junge Frauen aus einer der benachbarten Fotoboxen und steckten belustigt die Köpfe zusammen, um sich – scheinbar – die gemeinsam getätigten Fotos anzuschauen. Sie sahen so… glücklich aus, voller Freude, so als hätten sie bei der gesamten Aktion richtig viel Spaß gehabt. Der Falls seufzte stumm, irgendwie beneidete er diese beiden Damen gerade um ihre Einstellung. Ihm wäre nach dieser Aktion sicherlich nicht nach Lachen zumute. Und dass Rownan in einigen Minuten kichernd aus dieser Fotobox treten würde, bezweifelte er gleichermaßen.
Die Vermutung sollte sich bewahrheiten. Lian setzte sich zaghaft auf die kleine Bank auf der gegenüberliegenden Seite der Box, legte die Hände in den Schoß und sah sich unruhig um, während Rownan sich mit dem Bedienpult der Apparatur beschäftigte. Was sollte er tun? Wohin sollte er blicken? Wie sollte er sich geben? Das alles waren Fragen, die dafür sorgten, dass sich der Falls unsicher fühlte: Er wusste gerade überhaupt nicht, was exakt von ihm erwartet wurde. Es war eine Fähigkeit, die der Magier sich über viele Jahre antrainiert hatte, etwas, das fester Bestandteil seines Alltags war: Er mutmaßte, was ein Gegenüber dachte und fühlte, er versetzte sich in andere Menschen hinein und versuchte dadurch einzuschätzen, was man von ihm erwartete. Lian konnte sein Verhalten anpassen, einem Gegenüber das geben, was er oder sie wollte, um umgekehrt das zu erlangen, was er wollte. Informationen, irgendwelche Diebesbeute, ganz gleich – der Braunhaarige kam dadurch im Leben weiter. Aber in dieser Situation, in dieser Box, war es anders. Der Falls wusste nicht genau, was er eigentlich tun sollte, sein Kopf wollte auch nicht so recht funktionieren, nachdem Rownan die Apparatur mit Jewel gefüttert hatte. Sie sollten versuchen, natürlich zu wirken? Lian sah an sich herab, musterte die verkrampften Hände in seinem Schoß und hätte am liebsten schallend gelacht. Sie saßen gemeinsam in einer Fotobox, eng an eng auf einer viel zu kleinen Bank und würden in wenigen Sekunden in ein Objektiv starren, das mit einem herabzählenden Countdown munter Fotos von ihnen schießen würde. Das hier war vieles, aber ganz sicher nicht natürlich. Dennoch war Lian viel zu abgelenkt, um echte Widerworte zu geben… und so machte er einfach mit.
Natürlich war das alles eine Katastrophe.
Schon als das erste Foto geschossen wurde, schreckte der Braunhaarige auf und wenn man meinte, dass seine Haltung sich nicht noch mehr hätte versteifen können, so belehrte Lian gerade jeden Außenstehenden eines Besseren. Es war aber auch einfach nicht fair. Der Falls wollte sich wirklich bemühen, aber weder konnte er seine Hände aus dem Schoß lösen, noch schaffte er es, ein ordentliches Lächeln auf die Lippen zu bekommen. Der 19-Jährige sah auf den Fotos aus wie ein aufgescheuchtes Reh, das verfallen in Schockstarre frontal in eine Schrotflinte starrte. Die Fotos waren allesamt grauenhaft, keine Frage und gleichzeitig bestätigten sie das, was der Braunhaarige zuvor bereits offen angesprochen hatte: Er war einfach nicht fotogen. Munter schoss das Gerät weitere Fotos, ungeachtet dessen, dass die eine Person so aussah, als würde sie gleich erschossen werden, die andere, als würde sie Fotos für das nächste Bewerbungsverfahren benötigen. Es war klar, welcher Part auf Lian und welcher auf Rownan zutraf, oder? „Hm?“ Der 19-Jährige traute sich kaum, den starren Blick von der gegenüberliegenden Seite der Box loszureißen, als er erneut die dunkle Stimme des Lupinen an seiner Seite vernahm. Eines musste man dem älteren Magier lassen: Er gab sich wirklich Mühe, die Situation zu retten. Ein Jammer, das Mühe alleine nicht reichte, um zum Erfolg zu gelangen… nein, es wurde noch viel schlimmer. Lian, gerade einfach unfähig, irgendwelche eigenen Ideen oder Einwände einzubringen, ließ einfach mit sich machen und stimmte daher der Pose, die Rownan vorgeschlagen hatte, mit einem stummen Nicken zu. Allgemein sollte aufgefallen sein, dass der Falls – sowieso kein großer Redner – seit dem Betreten der Fotobox ganz besonders still geworden war. Der Lupine betätigte die nächste Fotoserie, drapierte sich irgendwie hinter Lian (wie genau er das auf dem kleinen Raum bewerkstelligte, würde auf ewig ein Geheimnis bleiben) und … sabberte ihn voll.
Rownan sabberte Lian wirklich in die Haare.
Zuerst hatte der Illusionist gedacht, er würde es sich einbilden. Die hellgrünen Augen blickten irritiert nach oben, er hörte die Entschuldigung von Rownan, doch ehe er etwas erwidern konnte, blitzte es in der Box hell auf und wieder zuckte der Falls sichtlich zusammen. Er wusste gar nicht, wohin er blicken sollte: In Richtung Objektiv, wo die Fotos geschossen wurden oder zu Rownan, der eher schlecht als recht versuchte, den Speichel aus dem lockigen Haar des Wüstenbewohners zu fischen. Es war das reinste Chaos, ein vollkommenes Durcheinander. So wie gesamte Beziehung der Sphynx und des Satyrs? Ja, so schrecklich die Bilder auch aussahen, hielten sie doch in vielerlei Hinsicht fest, in welcher Beziehung die beiden jungen Männer zueinander standen. Erst als das Blitzlichtgewitter endete, kehrte wieder Ruhe in der Box ein und die hektischen, unbeholfenen Bewegungen der Magier fanden ihr Ende. Nur noch eine Fotoreihe war übrig – eine zu viel, wenn man Lian nach seiner Meinung gefragt hätte. Er hatte absolut keine Lust mehr auf diesen Kram. Die gesamte Aktion war doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Wie hatte er sich auf diese Sache einlassen können? Es waren ziemlich düstere Gedanken, die der genervte Braunhaarige gerade hatte, allesamt daraus resultierend, dass er sich dämlich vorkam und sich gleichermaßen über seine eigenen Unzulänglichkeiten ärgerte. Warum war es für ihn so schwer? Warum funktionierte das alles nicht? Er fand es nicht lustig, nicht amüsant, er kam sich gerade einfach nur blöd vor. Es war ihm peinlich. Er wollte diese ganze Aktion abbrechen, lieber das Wechselgeld nehmen, als noch eine dieser katastrophalen Fotoserien zu beginnen. Sie hatten es versucht, es hatte nicht funktioniert. Dabei konnten sie es doch auch belassen, oder? Die hellgrünen Augen sahen zur Seite, direkt zum Lupinen, drauf und dran, ganz genau das auch zu äußern. Aber der hilfesuchende Blick, der ihm entgegengeworfen wurde, erstickte alles, was Lian hatte äußern wollen.
Ja, der Schütze hatte keine Motivation mehr, aber Rownan… ihm war das hier wirklich wichtig, oder? Und offensichtlich wollte der Lupine, dass hier ein paar Bilder herauskamen, die sie gebrauchen konnten. Der Wolf hatte sich alle Mühe gegeben, war über seinen Schatten gesprungen und hatte Ideen eingebracht, obwohl es ihm scheinbar genauso schwerfiel wie auch dem Falls selbst. Was hatte der Lockenkopf dagegen getan? Ja, er hatte sich in diese Box gequält, sich auf die Bank gesetzt und die Fotos über sich ergehen lassen. Der Illusionist war der Überzeugung gewesen, dass er damit schon mehr als genug zu der Aktion beigetragen hatte, dass man es wertschätzen sollte, dass er sich überhaupt soweit darauf eingelassen hatte. Das war auch der Grund, warum er dachte, sich ärgern zu können, warum er das Recht hätte, das alles jetzt einfach abzubrechen. Aber war es wirklich ausreichend, was der Falls versucht hatte? Reichte es aus, hier zu sitzen und es über sich ergehen zu lassen, ohne eine weitere Anstrengung zum Gelingen zu zeigen? Es symbolisierte sehr passend, wie Lian an sein gesamtes Leben heranging. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er jetzt in das hilfesuchende Gesicht von Rownan blickte und er plötzlich darüber nachdachte, dass er doch… mehr zum Gelingen beitragen sollte. Wollte. Nicht für sich, aber vielleicht für die Person, mit der er gerade zusammensaß. Wie unerwartet.
Okay, was waren die relevanten Punkte, die es zu beachten galt? Sie hatten noch eine Fotoserie übrig und ganz gleich, ob sich Lian anstrengte oder nicht – er mochte keine Fotografien. Keine guten Voraussetzungen, um ein ordentliches Bild zustande zu bringen. Aber war er nicht auch ein Schauspieler? Eine Fähigkeit, die er gerne einsetzte, um als Dieb Erfolg zu haben? Vielleicht… ließ es sich auch auf die Situation in dieser Fotobox anwenden. Ja, das klang nach einem Plan. Sich ein bisschen von sich selbst lösen und mehr zu jemandem werden, der diese Situation bewerkstelligen konnte. Außerdem hasste er es, in irgendein Objektiv zu starren. Also musste er einfach woanders hinsehen? Sich auf etwas anderes konzentrieren? So verkrampft und angespannt der Falls eben noch gewesen war, seine Haltung lockerte sich. Er schloss die Augen, holte tief Luft und als sich seine Lider wieder anhoben, war es ein Lächeln, das sich auf seinen Lippen zeigte – aufmunternd und zuversichtlich für sich selbst wie auch den Lupinen gleichermaßen. „Du gehst viel zu verkrampft an die Sache heran. Atme mal durch und mach dich ein wenig locker.“ Moment, warf Lian gerade Rownan vor, zu verkrampft zu sein? Ja, tatsächlich. Der Falls fühlte sich überhaupt nicht so, wie er sich gerade gab, aber das musste er auch nicht, um seine Rolle zu erfüllen. Ob seine geschauspielerte Zuversicht auf den Satyrs Magier abfärben würde? Eigentlich war es kein Wunder, dass die bisherigen Fotos nicht funktioniert hatten. Warum? Weil der Lupine versucht hatte, die romantische Stimmung zwischen ihnen einzufangen… dabei war das eine Stimmung und auch eine Art, wie sie zueinander standen, in der sie beide weder Erfahrung hatten, noch etwas, worüber sie bisher abschließend miteinander ins Gespräch gekommen waren. Es waren mehr Fragezeichen und Unklarheiten, die auf beiden Seiten damit verbunden waren, als dass man so eine Stimmung für ein Foto auf Knopfdruck hätte hervorrufen können. Was das anging, hatten weder Rownan noch er wirkliche Klarheit. Gab es nicht etwas anderes, das deutlich naheliegender war, das beide eher umgesetzt bekamen und gleichzeitig ebenso eine Facette ihres Seins festhalten würde? Ja, das gab es. Außerdem war es etwas, worin speziell Lian sich deutlich sicherer fühlte - so zumindest der Plan. Er zuckte mit den Schultern und legte den Kopf leicht zur Seite, ehe seine erheiterte Stimme erklang. „Jetzt mal ernsthaft: Haben wir beide nicht viel mehr Erfahrung darin, uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen? Die Prügelei im Zug von Crocus, die Verfolgungsjagd, der Kampf um meinen Beförderungsantrag?“ Der Braunhaarige wartete kurz ab, um Rownan die Gelegenheit zu geben, sich in die besagten Situationen hineinzuversetzen. Dann schmunzelte er. „Du fragst mich danach, ob ich eine Idee für die letzten Fotos hätte? Wie wäre es, wenn wir versuchen, genau das auf einem Foto festzuhalten? Also, geschauspielert, versteht sich. Hier drinnen hätte ich sonst nicht genügend Ausweichmöglichkeiten, das wäre nicht fair.“ Es würde darauf hinauslaufen, dass die beiden Magier mehr herumalberten, gleichzeitig sorgte es aber auch dafür, dass sie sich mehr auf sich selbst und den Gegenüber konzentrieren mussten, anstatt auf die Kamera, die munter Fotos von ihnen schoss. Es war einen Versuch wert, oder? „Schlimmer können die Fotos nicht mehr werden“, beendete der Falls zwinkernd seinen Vorschlag und bevor er oder Rownan ins Wanken gerieten, drehte er sich zum Bedienpult und löste den letzten Countdown aus. Sie würden es nur schaffen, sich auf die Alberei einzulassen, wenn sie ins kalte Wasser geworfen wurden und keine Sekunde zu lange Zeit hatten, um darüber nachzudenken. Denn es waren zumeist ihre Grübeleien, die ihnen im Alltag konsequent Steine in den Weg legten. Der Falls – noch immer in seiner geschauspielerten Rolle – verdrängte jedes Unbehagen, das er vielleicht hatte, konzentrierte sich anstatt auf die Kamera nur auf Rownan und begann damit, irgendwelche Posen nachzustellen, an die er sich erinnern konnte. Allesamt angelehnt an die echten Konfrontationen, die beide Magier miteinander gehabt hatten. Natürlich waren sie nicht originalgetreu und zumeist überzogen, aber Lian merkte, wie es ihn von den eigentlichen Fotos ablenkte und daher machte er weiter, ohne darauf zu achten, wie genau die einzelnen Bilder geworden waren. „Wie wäre es mit der Kopfnuss, die ich dir verpasst habe?“, wandte der junge Mann nach einem weiteren Schnappschuss ein und auch hier blieb überhaupt keine Zeit, um sich noch größer abzustimmen. Der Braunhaarige griff nach dem Gesicht des älteren Magiers, ohne einen richtigen Plan zu haben, wie genau er das eigentlich auf einem Bild ablichten wollte… und zögerte dann. Seine rechte und linke Hand waren in dem weichen Fell des Lupinen verschwunden, das Gesicht von Rownan haltend, ihm direkt in die hellblauen Augen blickend. Es war ein ganz anderer Moment, in den Lian sich plötzlich zurückversetzt fühlte. Sein Mund öffnete sich einen Spalt breit, die Augenbrauen wanderten leicht nach oben, ohne dass sich der 19-Jährige richtig rührte. Hielt er gerade die Luft an?
Es war ein lauter Signalton und das Klimpern von Wechselgeld, das den Falls aus seiner Starre riss.
Als wäre er bei irgendetwas ertappt worden, lösten sich die Hände des Falls abrupt vom Gesicht seines Gegenübers und er blinzelte. Was war das schon wieder gewesen? Sein Kopf. Sein Brustkorb. In Ermangelung an sonstigen Möglichkeiten sah er geschwind zu den Fotos, die frisch gedruckt in der Ablage landeten. Plötzlich war es weg, das Schauspiel und mit ihr die lockere Stimmung, in die sich Lian hineingesteigert hatte. Er war wieder er selbst und erinnerte sich daran, wo sie hier waren: In einer viel zu kleinen Fotobox mit einem Objektiv, das unzählige Bilder von ihnen geschossen hatte. Das waren vermutlich mehr Fotos, als der Falls in seinem gesamten bisherigen Leben von sich hatte machen lassen. Und was war das am Ende schon wieder gewesen? Diese Unruhe. Diese Unruhe kam nicht nur von den Fotos, oder? Der Kampf zwischen Kopf und Herz, der erneut ausgefochten wurde. „Vielleicht sind ja ein paar Brauchbare dabei…“, murmelte der Lockenkopf fast schon im Selbstgespräch in seiner typisch kurz angebundenen Art, ohne Rownan richtig anzusehen. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er das hier mitgemacht hatte. Und dass er sich so sehr hatte hineinsteigern können, dass er zwischenzeitlich sogar vergessen hatte, dass Fotos von ihm geschossen wurden. Hatte das Gerät am Ende auch noch Fotos geschossen? Lian war zu abgelenkt gewesen, von Rownan, aber auch von sich selbst, sodass er nicht sicher war. Er hätte nach den Bildern greifen und nachsehen können, aber es widerstrebte ihm noch immer, sich selbst auf einem der Fotos anzublicken. Also entschied er sich dagegen. „Du kannst ja nachgucken. Ich… warte draußen.“ Lian stand auf und verließ die Box fluchtartig, ohne Rownan über seine wirren Gedankengänge aufzuklären. Es blieb eben kompliziert zwischen den beiden Magiern, was?
Wie es für die beiden üblich war, trieben sie so ähnliche Gedanken herum, dass es fast schon gruselig gewesen wäre, wenn sie die Gedanken des anderen hätten vernehmen können. Stattdessen blieb wie gewohnt alles genaue, geheime im Dunkeln und nur einzelne Aspekte und Facetten manifestierten sich nach außen. Zu Beginn als sie dabei waren die komische Kammer zu betreten und sein Begleiter noch die Spitze kommentierte, war der Wolf guter Dinge gewesen. Doch bereits kurz nach betreten, trat das zuvor beschriebene Phänomen erneut auf. War es wirklich eine so kluge Idee gewesen diese Fotos machen zu wollen. Die Steifheit der Fotos war deshalb nicht nur ihm ins Auge gestochen sondern auch dem Dieb, der, eigentlich nicht wirklich überraschend, unwahrscheinlich verkrampft wirkte. Wo Rownan diese Ausdruck in bestimmten Situationen bewusst einsetzte oder einnahm, wirkte es bei Lian eher wie ein sehr offensichtlicher Hilfeschrei, wie ein Kind, dass man für die Familienfotos in einen Matrosenanzug gepresst hatte, um dann die wenigen Sekunden zu nutzen, in denen es nicht weinte. Deswegen war es auch der Lupine, der den ersten Vorschlag unterbreitet hatte, diese ganze Situation doch noch positiv aufzulösen, nur um letztendlich Öl in das bereits lichterloh brennende Feuer zu gießen. Aus der verkrampften Position des Schützen wurde fast so etwas wie eine Art Schockstarre und auch die leicht veränderte Frisur, die den verstrubelten Look des Illusionisten nur noch verstärkte, trug in keinerweise dazu bei, irgendetwas aufzulockern. Er hatte also gerade nicht nur seinen Gastgeber verschreckt sondern sich auch bis auf die Knochen blamiert. Kein Wunder, dass er sich nicht anders zu helfen wusste als die Person anzuschauen, die sonst auch alles wieder zurechtbiegen konnte, wenn er dazu nicht in der Lage war, die Person, die ihm eine Stütze war, wenn ihn nichts anderes mehr halten konnte. Aber war ein Blick und eine flüchtige Entschuldigung wirklich genug? Hatte er unter Umständen durch all das hier mehr kaputt gemacht als eine schlechte Frisur und eine noch schlimmere Fotoreihe? Jetzt, dessen war sich der Hybride sicher, käme gleich der Moment in welchem der andere dicht machte, frustriert etwas sagte, was er mehr oder minder auch so meinte, ehe er ebenso frustriert herausstampfen würde, um die Situation nicht völlig eskalieren zu lassen. Und Rownan würde dann dastehen wie überfahren, erschlagen von den Aktionen, die sich vor seinen Augen abspielten, doch diesmal nicht in der Lage dagegen etwas zu tun, war er doch der Verursacher dieses ganzen Unheils. Allerdings sollte es zur Überraschung beider Magier, in dem einen oder andere Grad, anders kommen. Wie immer, wenn der Junge das Ruder in die Hand nahm, spürte man förmlich, wenn man darauf achtete, wie sich die Atmosphäre selbst oder gerade auf diesem engen Raum änderte. Rownan war mit Worten dazu in der Lage, aber sein Dasein auf Kommando so umzuschalten, war etwas, dass dem Wolf nicht ferner sein konnte – oder? Wäre der Grauhaarige nicht so auf die Situation versteift gewesen, hätte er die Parallele zu sich selbst sehr schnell gezogen. Wo der Braunhaarige durch schauspielerisches Geschick und Talent binnen weniger Sekunde eine Maske aufziehen konnte, so vermochte der Tiermensch eben jene Facetten ans Tageslicht zu befördern, die inhärent tierisch oder menschlich waren. Nur so waren seine Ausfälle zu erklären, die man nicht zuletzt, provoziert durch die Magie des Wüstenmaigers, wunderbar beobachten konnte. Nicht unbedingt etwas auf das man neidisch sein sollte, blieb es aber dennoch ein Teil Rownans. Wohlmöglich rührte daher die tiefe Bewunderung für diese Fertigkeit her. Was jedoch essenziell war: Lian hatte eine Idee. Zu verkrampft, sagte das Reh. Jedoch wollte er sich nicht an den Worten des anderen hochschaukeln. Seine Idee war krachend gescheitert, also war demnach nur mehr als gerecht und fair, wenn er der Idee der Sphynx nun nicht nur lauschte sondern sie auch umsetzte, egal wie sehr es ihm zuwider war. Irgendwo tat er es eben für ihn und nicht für sich, etwas, dass er sich gerade in diesem Moment ins Gedächtnis rufen musste.
Wenn es etwas gab, was Rownan eigentlich nicht sehr gut konnte, dann locker werden. Schon beim übermäßigen Alkohol hatte man ja gemerkt, wie toll es klappte, wenn er entspannt war. Dabei war es nicht die Angst vor sozialer Schande oder Demütigung, sondern immer die Angst davor, doch die Kontrolle zu verlieren. Nicht unbedingt jedem Aspekt seiner Reize und Triebe, aber gab es doch ausgewählte, wie Jagd und Hunger, die ihm in diesen Situationen Sorgen bereiteten. Aber Lian so vor ihm, fast schon sorglos – hatte der Junge wohlmöglich recht? Und was noch schlimmer war – sah Rownan das etwa auch so? Wohlmöglich war diese Erfahrung doch noch demütigender als sie es von vornherein zu sein schien. Natürlich war es auch die körperliche Verkrampftheit, die den Fotos abträglich war, aber der Kommentar bezog sich doch viel eher auf die mentale Blockade, die es beiden verwehrte, hier etwas positives herauszuziehen. Diese Blockade musste er fallen lassen, was für einen so kopflastigen wie ihn eine Mammutaufgabe war. Die Ansätze insgesamt ähnelten sich: Beide wollten etwas Vertrautes darstellen, nachstellen. Während Rownan versuchte einen sehr neuen Moment zu greifen, dessen Relevanz beide noch gar nicht zu Ende gedacht hatten geschweige denn vollständig erfasst hatten, schlug der Dieb eher etwas beinahe schon Nostalgisches vor: Die Rauferei im Zug. Kein Wunder, dass Rownan so rot anlief, wie er nur konnte, war diese Begegnung zwar schicksalshaft, aber dennoch alles andere als ruhmreich gewesen. Ein Moment der Schwäche, der aus seinem verstärkten, persönlichen Interesses herausgewachsen war. Dabei war das an die Gurgel gehen, wie Lian es so platt formulierte, eigentlich gar nicht lange her, dachte man nur an die Wüste, wo eine andere Seite des Wolfes sich Gehör verschaffen wollte – war es klug das zu imitieren, selbst wenn dieser Fakt beiden gar nicht so bewusst war in diesem Moment. Es war ein Risiko aber eines über welches der Satyrs nicht nachdachte. Stattdessen schmunzelte er aus der Verlegenheit heraus, immerhin hatte er dem Jungen schon eine ganz gute Abreibung gegeben, da er sich ja auch zurückgehalten hatten. Eine kleine Rauferei also, geschauspielert – das war etwas in das er sich hineinversetzen konnte und der Braunhaarige recht, schlimmer ging es nicht mehr. Sie mussten hier irgendwie noch etwas herausholen und wenn er seine letzten Jewel an diesem Ort verlieren würde.
Lian hatte definitiv ins Schwarze getroffen, mit der Feststellung, dass beide miteinander besser funktionierten, wenn sie nicht so viel darüber nachdachten, was ihnen allerdings nicht immer gelang, die Fotos waren also eine Möglichkeit das zu üben, eine Herausforderung, die nun auch den Schwertkämpfer animierte. Und tatsächlich entstanden, sofern sie scharf waren, einige gute Momente in überzogener Manier, begleitet von einem gelegentlichen Blitzen der Apparatur. Genau wie bei ihrem Schlagabtausch im Zug, geschahen Dinge so schnell, dass sie sie in dem Augenblick gar nicht greifen konnten, sondern erst im Nachhinein wirklich verstehen würden, was passiert war. So war es nun auch bei dem abschließenden Vorschlag des Braunhaarigen bezüglich der Kopfnuss. Natürlich fürchtete sich Rownan in diesem Moment um seine empfindsame Nase und der Angst, dass sein gegenüber die Entfernung falsch einschätze – Lian wäre sicher nicht der Leittragende im folgenden Moment, doch es sollte alles ganz anders kommen. Statt mit dem Kopf zuerst, wie es auf der Quest der Fall gewesen war, gruben sich die Finger des Magiers in das Fell des Tiermenschen, mit der Absicht, eine Kopfnuss zu imitieren. Stattdessen imitierte diese Geste jedoch etwas, was auch Rownan zuvor versucht hatte zu imitieren: das Unbekannte, Neue. Die Spannung, die Unsicherheit, das Nebulöse. Es hatte so viele Worte, so viele Beschreibungen und doch hatte es keiner wirklich ausgesprochen, bestenfalls angedeutet, mit mehr oder minder starken Worten. Essenziell war, dass genau dieser Sachverhalt beiden im gleichen Moment bewusst wurde. So nah, wie sie sich seit dem Morgen nicht gekommen waren, die Hände seines Freundes tief in seinem Fell vergraben, blickte die eigenen, eisblauen Seelenspiegel in die Grünen des jungen Mannes. Beide wussten was in diesem Momenten geschah, geschehen war, geschehen würde vielleicht auch geschehen worden sein wird. Ein weiteres Grund, weshalb die beiden sich beinahe schon spiegelten in ihrem Ausdruck, ihrem Verhalten. Spiegel waren also ebenfalls etwas, was sie als Gegenstand aber auch metaphorisch zu verbinden schien. Schlichtweg Gemeinsamkeiten. Doch noch immer war nicht der Punkt gekommen, darüber zu reden, dieses Wochenende sollte nicht der Zeitpunkt sein, an dem sie dieses Gespräch suchten. Bevor er jedoch selbst reagieren konnte, die Schnauze leicht geöffnet, ob des Wetters oder der Spannung geschuldet war unklar, klimperte bereits das Wechselgeld der Maschine und erfüllte den so verhassten Raum mit einem störenden Klang. Nur in Gedanken vollführte sich wohlmöglich die Handlung, die beide antizipiert hatten, sich vielleicht sogar gewünscht hätten. Einfach alles, um aus dieser Lage herauszukommen. Während Lian zu den Fotos schaute, die in der Ablage lagen, aber von ihrer Position aus nicht zu sehen waren, räusperte sich der Wolf und schaute in einer der anderen Ecken, während er alibihaft Hemd und Fell richtete, ertappt von etwas, dass ihn nicht stören sollte, im Gegenteil, eher erfreuen sollte. Doch die Gedanken wanderte in eine andere Richtung. Was hatte er sich nur dabei gedacht die beiden in eine derartige Situation zu bringen, er kam sich etwas dumm vor aber vor allem hatte er auch irgendwie eine Art schlechtes Gewissen. Lange konnte er jedoch nicht mit sich hadern, denn kaum hatte der Lockenkopf etwas über die Abzüge gemurmelt, war sie wieder da, die unangenehme Stille, auf engsten Raum. Natürlich war sich Rownan mit dem was er sagte sicher gewesen und hoffte, dass das gleiche auch für Lian galt. Im Gegensatz zu diesem hatte er jedoch keine Vergangenheit in dieser Richtung, keinen Kampf mit sich, der sich wohlmöglich bis in diesem Moment zog und den der Lupine nur bedingt erfassen und verstehen konnte. Für ihn viel ausschlaggebender war die Ungewissheit ihrer Beziehung zueinander, die für diesen merkwürdigen Moment sorgten. Ob da noch mehr schlummerte, vermochte er durch die Haltung des Schützen gar nicht zu sagen, bevor dieser fast schon fluchtartig und ohne Ergebnisse die Anlage verließ. Nicht verwunderlich, dass sich auch Rownan Gedanken machte, was er eventuell verbrochen hatte, neben des Offensichtlichen. Noch einen Moment so verharrend, machte er nicht viel mehr als einen Schritt nach vorne, ehe er nach den Bildern greifen konnte. Eine wahre Collage von Eindrücken, wie ein zerrupftes Daumenkino, dessen Ersteller zu faul war wirklich jede Sekunde zu zeichnen. Und doch machte sich ein bekanntes, wohlig warmes Gefühl in der Brust des Magiers breit, so wie er es Momente zuvor gespürt hatte. Jede Facette ihres Miteinanders war auf einem dieser Bilder, manchmal in mehrfacher Ausführung, abgelichtet, und fast schon verschwenderisch, waren es die letzte Moment, die die Maschine fast schon hyperinflationär darzustellen wusste. Alle Bilder würde der Dieb nicht bekommen, dafür würde er nach Maldina kommen müssen, aber Rownan bekam eine neue, bessere und spontane Idee, wie er neben einem gelungenen Essen, die Stimmung wieder aufbessern konnte und den Abschied vielleicht eher in einen Moment der Vorfreude verwandeln konnte – vielleicht war die Gestalt nicht alles, was der Lupine verändern konnte.
Noch einmal tief durchatmend und die Bilder in seiner Brusttasche verpackt, trat er nach draußen zu seinem Gastgeber. „Einige Bilder sind gut, viele verwackelt – ich muss sie mir in Ruhe nochmal angucken, wenn das Licht nicht so hell ist, sonst werden sie beschädigt“. Keine Wertung, keine Hinweise. Rein technische Details, die davon ablenken sollten, was er im Schilde führte. Wenn es etwas gab, dass Rownan gut konnte, dann technisch, sachlich und trocken sein. Der Schütze dürfte also keinen Verdacht schöpfen. Vielleicht würde er sich sogar etwas ärgern, dass seine Mühe es ebenfalls nicht wert gewesen war. Umso besser würde dann das Geschenk wirken, welches der Grauhaarige sich in den letzten Minuten zusammengesponnen hatten. Jedoch wollte er die Situation nicht ganz so rational stehen lassen. „Danke dir für deinen Einfall“ ergänzte Rownan nach einigen Momenten der Pause „Ich glaube, dass sie positiv dazu beigetragen hat. Und danke … für deine Geduld“. Gerade der letzte Teil war der aufrichtigste. Wer es schaffte, sich und eine andere Person so aus sich herauszuholen, der durfte nicht ohne zumindest einen verbalen Dank gehen gelassen werden. Was nun blieb war der letzte Weg zum Bahnhof und zu ihrer Möglichkeit etwas zu essen, der letzte Teil ihres nicht genau benannten, aber durchaus als solches zu bezeichnendes Dates. Statt wie zuvor beinahe schon wehleidig den Weg anzutreten, war es nun der Grauhaarige, der fast schon im Marsch in Richtung des wohltuenden Schattens schritt. Mit einigen Reisen nach Aloe ging nicht nur die Erfahrung über Leute und Geographie sondern auch über Essegewohnheiten einher. Es hatte ihn daher nur bedingt verwundert, dass sich Lian von fleischhaltiger Küche fernhielt, war sie in diesen Breitengraden doch sowieso schwerer herzustellen und musste vermutlich aus den grüneren Ecken des Königreiches hier her geliefert werden. Und Lieferungen warne teuer – daher etwas womit der Straßenjunge wohl eher wenig Kontakt gehabt haben durfte, sofern alles so stimmte, wie er es dem Hünen erzählt hatte. Zweifel daran hatte er jedenfalls keine. Mit der ersten oder letzten Möglichkeit von Souvenirs, hatte sich natürlich am Bahnhof selbst, zumindest zu bestimmten Stoßzeiten, auch eine kleine Sammlung an Händler aufgebaut. Ihr Hauptgeschäft war gewiss das Zentrum, aber allein der Weg vom Bahnhof in die Stadt und umgekehrt konnte beschwerlich sein und so konnte man doch einige Jewel mit Nahrungsmitteln verdienen, ob für die Mitnahme oder Ankunft in der heißen Metropole. Erst als sie die Überdachung erreicht hatten blieb er stehe und drehte sich zu seinem Begleiter um, in der Hand einige Jewel. „Ich will noch etwas für die Reise besorgen, hier sind einige Jewel“ dann deutete er auf einige Stände „ich denke du solltest dich ebenfalls auskennen aber bitte frag nach dort nach „Ḥawāuschī“ aber mit „Ta'mīya“ oder was auch immer dir mundet … das sind übrigens Falafel, und dann gehst du dort hin und holst „Baba Ghanoush“, das müsste grünlich-braun sein mit einige Kräutern und Sesam. Falls sie es erst zubereiten müssen, kannst du ruhig warten. Wir treffen uns dann wieder hier“. Ließ er dem anderen wirklich eine Wahl? Nein, es war keine rhetorische Frage, es war nicht mal eine Frage, er hatte seinem Gastgeber einfach aufgetragen, etwas zu holen. Weder wollte er riskieren, dass sie herumdrucksten, was sie denn essen konnten und wollten, noch wollte er es ihm erneut aufbürden die Situation zu retten. Dieses Mal wollte Rownan glänzen und kulinarisches Wissen hatte ihn bis dato im Kontext des Umgangs mit Lian noch nie enttäuscht. Die Fremd- und Fachwörter dürften zudem ihren Teil beitragen den armen Magier zu verwirren oder zumindest neugierig drauf zu machen, was er gleich essen würde. Und vielleicht, so hoffte der Wolf natürlich innerlich, zeigte das Interesse auch, wie aufrichtig die Intentionen des Tiermenschen waren. Sein Interesse galt nicht nur Lian selbst, sondern auch allem was dazu gehörte und er hoffte, dass auch sein Ausdruck und seine Stimme einen Hauch davon transportierten. Natürlich war er sich seinen Gefühlen gegenüber Lian noch nicht ganz im Klaren. Aber völlig haltlos waren sie definitiv nicht. Dafür fühlte es sich doch viel zu richtig an. Um sich aber in eben diesen Gedanken nicht zu verlieren, musste auch er sich beschäftigen, weshalb er seinerseits die Poststation des Bahnhofs aufsuchte. Immerhin hatte er noch einen Idee mit den Fotos.
Lian liebte das Gefühl der wärmenden Sonne auf seiner Haut. Während andere Menschen unter der Wüstenhitze litten, sich kaum konzentrieren konnten und nach einer Abkühlung suchten, strebte der Braunhaarige vielmehr nach dem warmen Kribbeln, das die Strahlen auf seinen Armen und Beinen hinterließen. Schon von Kindesbeinen an hatte es ihn beruhigt, ließ ihn konzentrierter und fokussierter werden. Hier fühlte er sich sicher. Zumindest… unter normalen Umständen. Was war nur los mit ihm?! Der 19-Jährige hatte die Fotobox fluchtartig verlassen und fühlte sich mit einem Schlag geblendet von der hellen Mittagssonne, die hoch oben am Himmel stand und auf den Wüstenboden herabschien. Er kniff die Augen zusammen, hob den Arm schützend an und erst mit einiger Verzögerung hatten sich die grünen Seelenspiegel an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt. Lian sah sich um und plötzlich erschien es ihm so, als würden die Menschen im Umfeld auf ihn achten, ihn anstarren. Moment, war das wirklich so? Oder bildete der Falls sich hier nur irgendetwas ein, während seine Gedanken noch immer nicht stillstehen wollten, sich wie wild im Kreise drehten? Das Herz des jungen Mannes raste und er sog scharf die warme Luft ein, hielt sie einen Augenblick in seiner Lunge gefangen, ehe er sie ausstieß und weiter floh. Weg aus der Sonne, weg von den vielen Menschen, unter eine Überdachung, die ein wenig Schatten spendete. Ja, das war es, was Lian gerade brauchte, um sich zu sammeln. Im Schatten angekommen, starrte der Illusionist auf seine Hände. Sie… zitterten. Warum zitterten seine Finger? Es waren keine gänzlich unbekannten Gefühle, die er gerade empfand und doch erschlugen sie ihn. Lian wusste nicht, ob er das wollte. Sich hier, wo man ihn sehen konnte, so gar nicht unter Kontrolle haben. Der Falls wollte keine Kontrolle abgeben, schon gar nicht über seinen eigenen Körper. Warum funktionierte er nicht einfach? Warum spielte alles in ihm so verrückt? Es war schwierig für ihn, ordentliche Gedanken zu formulieren. Oh, Fuck. Reiß dich zusammen, Junge Wie oft hatte der junge Mann sich das an diesem Wochenende schon gesagt? Es immer wieder wiederholt. Wieviel hatte es genützt? Wie oft an diesem Wochenende hatten sein Kopf und sein Körper gleichermaßen verrückt gespielt? Aktionen, die normalerweise vollkommen harmlos waren, warfen ihn gänzlich aus der Bahn. Dieser Moment, als er die Kopfnuss mit Rownan zusammen hatte nachstellen wollen, es sollte eine lustige Idee sein. Eine Idee, um ein akzeptables Foto zu erzeugen, damit der Lupine sich darüber freuen konnte. Was war es gewesen, das diesen Moment so hatte entgleisen lassen? Hätte Lian irgendetwas anders machen müssen? Sollen? War es albern gewesen? Merkwürdig? Argh, je mehr der Braunhaarige darüber nachdachte, desto schlimmer wurde sein Herzrasen und seine sonst so guten Überlegungen verstrickten sich zunehmend, bis ein undefinierbares Kauderwelsch in seinem Kopf herrschte. Er wusste absolut nicht, was richtig und was falsch war. Es war das Eine gewesen, sich in den sicheren vier Wänden seiner Wohnung auf diese Gefühle einzulassen. Es war so… abgekapselt gewesen von der echten Welt. Aber hier fühlte es sich anders an. Es waren viel mehr Eindrücke, die auf Lian einprasselten und die ihm klarmachten, dass er immer noch in der echten Welt unterwegs war und dass alle Dinge, für die er sich entschied, auch echte Konsequenzen mit sich brachten. Auswirkungen. Und das letzte, was er wollte, war wieder einen Menschen zu verletzen. So wie er eben auch selbst verletzt worden war. Er hatte Sorge, dass es genau darauf irgendwann hinauslaufen würde.
Die Stimme von Rownan ließ den Falls aufschrecken. Er drehte sich auf dem Absatz herum und erkannte den älteren Magier, der direkt auf ihn zutrat. Sein Ausdruck wirkte… nachdenklich. Fast schon ernst. Gleichzeitig strahlte er eine Ruhe und Kontrolliertheit aus, für die Lian ihm irgendwie dankbar war. Es färbte zumindest insoweit auf den Bogenschützen ab, dass seine eigene Unruhe für den Moment mehr in den Hintergrund rückte und er sich mehr auf den Satyrs konzentrierte sowie auf die Botschaften, die er zu vermitteln hatte. Einige Bilder waren verwackelt? Er musste sie sich nochmal ansehen, wenn es weniger hell war? Der 19-Jährige konnte es nicht verhindern, dass sein Blick kurz gen Himmel wanderte, dann wieder hinunter zu dem Lupinen. Ja… Helligkeit war in der Wüste so eine Sache. Lian, der sich selbst für einen Meister der Manipulation und des Truges hielt, witterte in keiner Weise, dass die nüchterne Ausdrucksweise von Rownan mehr Schein als Sein war. Dass er einen Plan ausheckte, den der Falls nicht mitbekommen sollte. Das, was der Satyrs Magier zu ihm gesagt hatte, passte zu dem Charakter, den Lian bisher von ihm kennengelernt hatte. Technische Details auf den Punkt gebracht, ohne groß um den heißen Brei herumzureden, das war eine Art, die Rownan schon in Crocus gezeigt hatte. Und da Lian immer noch kein ernsthaftes Verlangen hatte, sich die Fotos von sich selbst anzusehen, war er auch ganz froh, dass er so gar nicht erst in die Bedrängnis kam, sie sich ansehen und kommentieren zu müssen. Der Braunhaarige war überzeugt davon, dass sie ihm nicht gefallen würden. So wie ihm noch nie Ablichtungen gefallen hatten, auf denen er zu sehen war. Dankbar nahm er daher an, einer entsprechenden Situation ausweichen zu können, wenn Rownan die Bilder erst zu einem späteren Zeitpunkt mustern konnte. Vielleicht erst, wenn er zurück in Maldina war? „Dann hat es sich ja zumindest gelohnt“, antwortete er dem Lupinen ein wenig ausweichend, während er sich mit der linken Hand über den strubbeligen Hinterkopf rieb. Es wäre ärgerlich gewesen, diese Achterbahnfahrt der Gefühle durchstehen zu müssen und am Ende ohne echtes Ergebnis für Rownan dazustehen, oder? Eine Pause stellte sich zwischen den Magiern ein, in der Lian nicht an allzu viel dachte… ehe die dunkle Stimme seines Freundes ein Dankeschön formulierte. Nein, nicht nur eines, sondern sogar zwei. Für den Einfall, aber auch für seine Geduld. Kurz hielt der Falls den Atem an, presste die Lippen aufeinander und eine leichte Röte machte sich auf dem dunklen Gesicht bemerkbar. Ein Dankeschön war nichts, was der Falls erwartet, erst Recht nicht verlangt hätte. Aber es… hörte sich aufrichtig an. So aufrichtig, dass es Lian schon unangenehm war. In Ermangelung an besseren Worten war es ein leises „Nichts zu danken…“, das der junge Mann vor sich hinmurmelte und kurz zur Seite wegblickte. Dabei war das – wenn der Falls ehrlich zu sich selbst gewesen wäre – eine absolute Untertreibung. Er hatte sich zu Dingen überwunden, die er sonst niemals getan hätte. Er hatte es nicht nur über sich ergehen lassen, sondern wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Rownan eine Freude zu bereiten. Die Minuten in dieser Fotobox gehörten zu den wenigen Momenten im Leben des Bogenschützen, in denen Lian nicht sich selbst und die eigenen Bedürfnisse an erste Stelle gesetzt hatte, sondern jene seines Gegenübers. Das war etwas, das durchaus anerkannt werden konnte, so wie Rownan es auch tat. Aber vielleicht lag es auch daran, dass all das mit diesen merkwürdigen Emotionen zusammenhing, die der Falls nicht so recht zu greifen vermochte, dass er auch dies lieber herunterspielte, als es vor dem älteren Magier offen zuzugeben. Rownan würde es vermutlich verstehen – soweit immerhin kannten sich die beiden jungen Männer mittlerweile, spätestens seit diesem gemeinsamen Wochenende. Wie es wohl aussehen würde, wenn sie wirklich irgendwann ernsthaft miteinander über ihre Gefühle und die Art, wie sie zueinander standen, ins Gespräch kommen sollten? Es war nichts, worin Lian besonders gut war, dem er – wie so vielem in seinem Leben – lieber auswich. Ja, man konnte durchaus gespannt bleiben, wohin ein solches Gespräch die beiden Magier bringen würde. Aber nicht heute, nicht an diesem Wochenende. Dafür hatten sie beiden schlicht schon genug durchgemacht.
Ehe sich Lian versah, lief der Grauhaarige auch schon weiter – so schnell, dass der Wüstenbewohner beinahe den Anschluss verloren hätte. Was… was war denn nun los? Warum hatte er es plötzlich so eilig? Der Falls stolperte Rownan vielmehr hinterher, als dass er lief und wäre beinahe in ihn hineingerannt, als er abrupt wieder stehen blieb. Okay, ein wenig verwirrt war die Sphynx schon, was man seinem Blick vermutlich auch ansehen konnte. Erst Recht, als ihm kurzerhand einige Jewel in die Hand gedrückt wurden und der Lupine auf diverse Essensstände deutete, die unweit entfernt am Rande der Straße standen. Er folgte dem Fingerzeig seines Freundes, sah dann wieder zurück und öffnete den Mund einen Spalt breit. Ḥawāuschī, Ta'mīya und Baba Ghanoush? Schon damals im Zug von Crocus war Lian... ja, fast schon eingeschüchtert gewesen von dem kulinarischen Wissen, das Rownan an den Tag gelegt hatte. Er konnte mit Begrifflichkeiten um sich schmeißen, von denen das ehemalige Straßenkind nicht einmal gehört hatte. Aber das hier war anders und verursachte gleich unzählige Fragen im Köpfchen des 19-Jährigen. Warum kannte Rownan sich mit der hiesigen Küche aus? Hatte es ihn jemals zuvor in die Wüste verschlagen? Lian war bisher – naiv wie er war – davon ausgegangen, dass der Besuch bei ihm der erste Besuch des Lupinen in der Wüste war. Und sie waren sich doch erst an diesem Wochenende näher gekommen. Hatte Rownan etwa noch andere Verbindungen hierher? Andere Gründe, die dafür gesorgt hatten, dass er so sicher wissen konnte, was man an den Ständen vor dem Bahnhof von Aloe Town bestellen konnte und wollte? Der Falls blinzelte. „Woher…“ Doch weiter kam er nicht, denn Rownan wartete gar nicht ab, dass er seine Zustimmung oder Bestätigung gab. Es war vielmehr ein konkreter Plan, den der Lupine aufgestellt hatte und der jetzt nur noch in die Tat umgesetzt werden sollte, während er selbst sich auf dem Absatz umdrehte und in eine andere Richtung verschwand. Etwas für die Reise besorgen? wiederholte Lian gedanklich die Worte, die der Satyrs genutzt hatte und sah noch kurz auf den Rücken von Rownan, der allmählich mit der Masse anderer umherlaufender Menschen verschmolz. Noch immer wurde er nicht stutzig, nicht misstrauisch, sondern zuckte schlussendlich mit den Achseln und widmete sich der Aufgabe, die ihm zugeteilt worden war. Die Besorgung von Essen klang einfach, wenig nervenaufreibend und daher nach etwas, das sogar der Falls aktuell ganz gut hinbekommen sollte, oder?
Doch, diese kleine Auszeit tat Lian wirklich ziemlich gut. Es waren die verschiedensten, zumeist würzigen Dürfte, die ihm in die Nase stiegen, während er darauf wartete, seine Bestellung aufgeben zu können. Ziemlich viel los, bemerkte der Illusionist, während er sich ein bisschen umsah. Natürlich lag es an der Uhrzeit, die nicht nur sehr geeignet für eine kleine Mahlzeit war, sondern auch eine Zeit, in der viele Menschen zu ihren Reisen aufbrachen – und daher gerne vorher noch eine Mahlzeit aßen oder mit zum Zug nahmen. Aber auch sonst war es eine auffallend lange Schlange, die sich vor dem Stand sammelte und an dem eine Bestellung nach der nächsten abgearbeitet wurde. Das konnte durchaus dafür sprechen, dass es ein besonders guter Laden war, oder? Wieder dachte Lian darüber nach, dass Rownan so gezielt hierher gezeigt hatte und er auch genau gewusst hatte, was er bestellen wollte. Ob er schon einmal hier gewesen war? Wenn ja, warum? Mit jemandem? Der Falls ertappte sich bei einer Gedankenschlaufe, aus der er erst durch den eher barschen Ausruf des Verkäufers gerissen wurde. Oh, er war an der Reihe? Die ungeduldigen Blicke im Rücken ignorierend, trat der Falls nach vorne und bestellte, wie ihm geheißen und sah zu, wie die Teigtaschen gegriffen und gefüllt wurden. Der Anblick alleine reichte aus, um den Magen des Illusionisten leise grummeln zu lassen. Die Geschehnisse des Morgens hatten ein wenig darüber… hinweggetäuscht, wie hungrig er in Wirklichkeit war. Naja, der Fokus hatte auch irgendwie woanders gelegen, oder? Und es war ein gutes Zeichen, dass Lian Hunger verspürte. Bedeutete das nicht, dass er allmählich wieder mit sich selbst im Gleichgewicht war? Nicht mehr so unter Stress stand? Es war ganz angenehm, dass sein Körper sich ausnahmsweise nicht in einem Ausnahmezustand befand. Wenn Lian genauer darüber nachdachte, würde er nach diesem Wochenende vermutlich mehrere Tage durchschlafen müssen, um sich von all den mentalen Strapazen erholen zu können… “Guten Appetit!“, sprach der Verkäufer schlussendlich, schob dem Falls das verpackte Essen zu und nahm mit der freien Hand die Jewels entgegen, die der Falls ihm entgegenhielt. Und erst als ihm die Jewels aus der Hand gegriffen wurden, fiel Lian auf, dass Rownan ihn damit zum Essen eingeladen hatte, oder? Hätte er sich dafür bedanken sollen? … so viel dazu, dass der Ausnahmezustand in seinem Kopf endlich ein Ende gefunden hatte.
„Hier.“ Als Lian zurück zum vereinbarten Treffpunkt kam, wartete der Lupine bereits auf ihn. Die Zubereitung der Mahlzeit hatte doch ein bisschen mehr Zeit in Anspruch genommen, zusammen mit der Wartezeit, bis der Braunhaarige überhaupt an der Reihe gewesen war. Aber vielleicht sprach das ja nur für die Qualität des Essens? Alles war besser als eine Massenproduktion, die nicht frisch zubereitet, sondern höchstens aufgewärmt wurde. Der Falls dachte gar nicht daran, Rownan danach zu fragen, was er in der Zwischenzeit erledigt hatte, sondern reichte ihm eine der Teigtaschen. Danach deutete er auf eine abgelegene Mauer, die im Schatten eines Gebäudes lag. Es war ein wenig abseits, nicht ganz so im Gedränge und gleichzeitig hatten sie einen guten Überblick über die Straße. Ein guter Ort, um gemeinsam zu essen, oder? „Lass uns dort hingehen“, ließ er Rownan daher wissen und trat voran, um den Weg zu weisen. Schließlich fanden die beiden Magier sich sitzend auf der Mauer wieder, jeder eine Teigtasche in den Händen, dazu den Auberginendip, der nach und nach vertilgt wurde. Es war auffallend… still zwischen ihnen, wie Lian erst nach einigen Bissen auffiel. Und er erkannte auch sofort, woran das lag: Die Situation, in der sie sich gerade befanden, war so normal. Keine Verfolgungsjagden auf Leben und Tod, keine emotionale Manipulationen, keine Todesschreie inmitten der Wüste, keine emotionale Anspannung, die auf die eine oder andere Art und Weise vollkommen unvorbereitet entladen wurde. Sie saßen zusammen auf einer Mauer, aßen still vor sich hin und verhielten sich wie ganz normale Leute. In der Kombination miteinander war das nichts, worin Lian und Rownan in ihrer bisherigen Bekanntschaft sonderlich viele Erfahrungen hatten sammeln können. Es war so normal, dass es sich für den 19-Jährigen fast schon unnormal anfühlte. Der erste Versuch, das Eis zu brechen, gelang dadurch auch eher schlecht als recht: „Meins schmeckt ziemlich gut. Und deins?“ Er schielte zur Seite und schlug sich gedanklich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Super, sie konnten auch anfangen über das Wetter zu sprechen, das wäre ungefähr auf dem gleichen Niveau. Lian schloss kurz die Augen und entschied sich dann, sich ernsthaft Mühe zu geben. Er hatte Fragen gehabt, hatte mehr von Rownan wissen wollen. Seit wann fiel es ihm so schwer, die Fragen, die er hatte, auch einfach zu formulieren? Sonst machte er sich doch auch nicht so viele Gedanken darüber. Weil er nichts Falsches sagen wollte? Keinen falschen Eindruck erwecken? Aber was sollte bitte ein falscher Eindruck sein? Lian entschied, dass er sich albern verhielt, schluckte also einen weiteren Bissen seiner Teigtasche herunter und hob die Augenlider wieder an. „Wie kommt es, dass du dich mit der hiesigen Küche auskennst?“, fragte er ehrlich interessiert nach, ehe er das Gesicht erneut dem Lupinen zuwandte. Zum einen bekam Rownan dadurch die Bestätigung, dass dem Dieb sein kulinarisches Wissen durchaus aufgefallen war. Und auch, dass er Lian in gewisser Weise dadurch beeindruckt hatte. „Hattest du schon mit der Wüste zu tun? Also… unabhängig von mir.“ Die Mundwinkel des Falls hoben sich zu einem leichten Schmunzeln an und er neigte den Kopf leicht zur Seite. Smalltalk – auch das sollten die beiden jungen Männer hinbekommen können, oder?
Beschäftigen. Das war das Wort, dass der Wolf gewählt hatte, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Es war auch die Motivation gewesen den Braunhaarigen ganz bestimmtes Essen holen zu lassen, während er selbst tatsächlich die örtliche Poststation aufsuchen wollte. Der Vorteil an diesen Läden war, dass sie natürlich nicht nur Briefe und Pakete annahmen sondern auch das Material dafür zur Verfügung stellten. Und genau dieses hatte der Hybride im Blick gehabt als er sich für diese Adresse entschied. Aber kaum hatte er einen so souveränen Schritt von seinem Begleiter weggetan, ertappte er sich dabei, wie seine linke Hand fast unbewusst zu seiner Brusttasche gewandert war. Nur kurz nachdem sie ihre Schnappschüsse getätigt hatten, ächzte er förmlich danach diese Momente immer und immer wieder durch die Fotos zu erleben, zu durchdenken, wobei sie nur einen kleinen Teil ihres ganzes Wochenende einfingen. Jedoch lag es eher an der Tatsache, dass sie es schafften all diese neuen Erfahrungen in einer so positiven Art und Weise zu bündeln, dass es berauschend, fast süchtig machend wirkte. Solch eine starke Reaktion hatte es relativ einfach die sonst so strukturierte Gedankenwelt des Lupinen durcheinander zu bringen. Vor dem Laden angekommen, atmete er bereits wieder schwer, sein Herz wie wild am Schlagen und doch wusste er es nicht mit der drückenden Hitze zu verbinden. Es war dieser Augenblick in welchem er sich am liebsten kaltes Wasser über den Kopf geschüttet hätte, um sich irgendwie wieder Herr zu werden. Für erste musste er sich mit ein paar heftigen Klopfern gegen die Schnauze begnügen. Rownan erfasste in dieser Situation natürlich nicht, dass bei all der Emotionalität, die er bekanntlich so vehement von sich wegzudrücken schien, diese natürlich in beide Richtungen funktionierte. Nicht jeder Reiz war bösartig, nicht jeder Impuls boshaft, nicht jeder Reflex musste unterdrückt werden. Die Realität provozierte diese Dinge und noch immer wusste er nicht, wie sehr es in Ordnung war sich so zu fühlen. Zumindest die Positivität dieser Eindrücke hatte er für sich wahrgenommen. Weder das Irrationale noch das Rationale ließ ihn in Ruhe oder gab ihm eine Möglichkeit sich zu sammeln. Wie unfair das Leben doch war! Die Schläge rüttelten ihn wach und das darauffolgende Schütteln, von Kopf, Körper und Rute, wirkt es auf Außenstehende noch so befremdlich, beförderten die Agenda, mit welcher er hergekommen war, wieder in den Vordergrund. Mit etwas klarerem Kopf betrat er so sein Ziel, wo er direkt freundlich begrüßt wurde. Nicht nur die Umschläge wurde ihm mit relativ wenig aufwand ausgehändigt, auch die weiteren Utensilien wie Schere, Unterlage und Leim ließen sich mit nur wenigen Jewel in seinen krallenbesetzen Händen wiederfinden. Eine zusätzliche, freundliche Geste erlaubte es ihm zudem den kleinen Bereich zu entfremden, der sonst zur Beschriftung diente. Nun tatsächlich die Produkte des Automaten betrachtend, konnte er sich nicht anders helfen als zu Lächeln, aufrichtig zu Lächeln und, auch wenn er das nie zugeben würde, war ihm wohlmöglich ein kleiner Seufzer entfleucht. Er musste die einzelnen Teile noch einen Moment ansehen, ehe er zu Tat schritt und die Verbindungen zerschnitt, die jede Reihe zusammenhielt. Je länger er an seinem kleinen Werk arbeitete, desto zufrierender wurde er und umso sicherer war seiner Meinung nach die Einschätzung, dass es seinem Gastgeber gefallen würde. Die letzte Notiz dazu packend, verschloss er das Kuvert und beschriftete dies ebenso. Wenn man überlegte, was diese Magier alles bereits durchgemacht hatten und noch durchmachen würden, war es beinahe schon lächerlich, wie diese trivialen Dinge derartig anstrengend zu bewältigen waren. Ich sollte langsam zurück. Er dürfte so gut wie fertig sein.
Anscheinend hatte der Grauhaarige die Geschäftigkeit am heutigen Tag etwas unterschätzt, denn Lian war noch nicht zurückgekehrt. Dann musste sich der Satyrs wohl noch ein wenig gedulden. Oder hatte sich der Dieb etwa klammheimlich aus dem Staub gemacht, während der Ältere gerade dabei war etwas vorzubereiten. Der Schütze war, soweit er ihn kennengelernt hatte, eigentlich nie ein Mann vieler Worte, zumindest nicht wenn es um das Alltägliche oder das Unannehmliche ging – also eigentlich immer. Schon in der Wohnung hatten beide gemerkt, wie eigenartig es war nach diesem ereignisreichen Wochenende getrennte Wege zu gehen. Zumindest fürs erste. Wäre es da nicht das leichteste, wenn einer von ihnen einfach von dannen zog und so jede Spannung, die sich aufbauen konnte, direkt im Keim erstickte. Bereits jetzt malte sich Rownan aus, wie die Sphynx einem der Bahnangestellten eine kurze Notiz dagelassen hatte, wohlmöglich so unscheinbar, dass der Angestellte nicht einmal wusste, woher sie kam, bis er sie sah. Mit einer kurzen Beschreibung des Hybriden würde dieser Zettel gewiss schnell sein Ziel finden und dann säße er schon im Zug nach Maldina, bis er realisierte, dass es vorbei war. Was er wohl geschrieben hätte? „Sorry, musste los. Man hört sich. L.“. So oder so ähnlich traf Rownan seiner Meinung nach ganz gut den Sprachduktus des anderen Magiers. Die Ausführlichkeit dieser hypothetischen Situation trübte das Gemüt des Hünen. Nicht nur, weil er es sich so lebhaft vorstellen konnte, sondern weil es gleichzeitig auch zeigen würde, wie wenig sie sich wohlmöglich verändert hatten an diesen drei Tagen. Dass die Dinge unter Umständen doch ganz anders waren als sie dachten, als sie vielleicht auch wollten. Oder war es gar die Angst vor dem Neuen, die sie antrieb, etwas Dummes zu tun. Der Mensch war immerhin ein Gewohnheitstier. Noch nicht ganz aufgeben wollend, reckte der Wolf die Nase nach oben, um so die feineren Nuancen der Umgebung wahrnehmen zu können, ehe er die Augen schloss und sein so präsentes Organ einmal sehr bewusst dafür einsetzte, wofür es gemacht worden war. Die Essenstände allein reichten bereits dafür aus ihm die Suche nach der Note, die er mehr als deutlich vor seiner inneren Nase riechen konnte, zu erschweren. So sehr, dass er schon nach wenigen Sekunden glaubte eine vergebliche Suche gestartet zu haben. Doch dann ganz plötzlich unter all diesen Leute, erschnupperte er die feine Note. Die Pflegeprodukte, der Körpergeruch und auch etwas von sich selbst konnte er an ihm wahrnehmen. Lian war tatsächlich noch da und anscheinend auch auf dem Weg zu ihm, denn der Duft wurde prominenter. Die Tüte mit Lebensmittel sorgte dafür, dass sich auch sein Magen über die Wiederkehr des Wüstenbewohners freute. Er ist tatsächlich noch da. Und so schnell wie diese Ideen gekommen waren, so schnell kam sich Rownan auch dumm vor. Ein wenig Scham mischte sich mit hinein. Wie konnte ich nur so naiv sein zu denken er käme nicht wieder. Dass die beiden Magier einmal solche Gedanken pflegen würden, grenzte schon an Surrealität in Anbetracht ihrer turbulenten Vergangenheit. Die Nase wieder senken und die Augen öffnend, merkte der Lupine, wie sehr ihn dieses Faktum beruhigte. So sehr sogar, dass der andere unter Umständen keinen Unterschied bemerken würde zu dem Wolf, der ihn mit einer Fülle an Informationen zurückgelassen hatte.
Jetzt direkt vor ihm stehend, überschatte der Geruch des Essen nicht nur seine Überlegungen und Zweifel, sondern sein Verdauungstrakt preschte nun nach vorne und sollte zumindest für die nächsten Minuten die Agenda vorgeben. Dankend und mit einer ungewohnt offenen und freundliche Miene nahm er die Teigtasche entgegen und spürte sofort, wie die Speichelproduktion angeregt wurde. Am liebsten hätte er hier sogleich hineingebissen und sich dadurch ein weiteres Mal vor sich selbst und dem Braunhaarigen blamiert. Er war zwar hungrig aber noch nicht so hungrig. Die Mauer auf die sein Gastgeber deutete, machte einen stabilen Eindruck und war ebenso weitgenug vom großen Trubel entfernt, so dass sie sich zumindest mit etwas Ruhe unterhalten konnten. Sich auf ihrem Zielobjekt platziert, begann beide zu essen. Im Vergleich zu seinem spartanischen Abendbrot, war Rownan nicht nur froh, wieder mit seinen Händen essen zu können sondern lobte sich selbst auch für die Qualität seiner Zusammenstellung. Frei von der Knechtschaft des Appetits wurden wieder Ressourcen frei die Umgebung zu sondieren. Viel interessanter als diese war jedoch die Stille, die zwischen beiden aufgekommen war. Auch Rownan war sie selbstverständlich aufgefallen. Statt allerdings die Normalität der Situation zu realisieren, trieb den Tiermenschen eher die Sorge, um etwas Falsches oder gar zu viel sagen zu können. Er war es immerhin gewesen, der so manchen unbequemen, wenn auch wichtigen Punkt an diesem Wochenende angesprochen hatte. Ohne Absprache hatten sie beide für sich festgelegt gewisse Dinge noch nicht ansprechen zu wollen und daran sollte auch diese eingetretene Ruhe nichts ändern. Dennoch fühlte sich der Satyrs nicht in der Position ein Gespräch zu eröffnen. Vielleicht war es gerade diese Stille, so glaubte er einige Augenblicke später, die die beiden jetzt gebrauchen konnten. Die gemeinsame Zeit wurde mit jedem Bissen weniger und auch dieses gemeinsame Beieinandersitzen war eine Möglichkeit all die positiven Aspekte ihrer Zweisamkeit zu bündeln. Man war in der Lage sich auch wohlzufühlen und nicht zu sprechen. Es erinnerte den Magier etwas an seine Zeit im Waisenhaus, an die Abende, die er und seine Mentorin schweigend in der Bibliothek verbrachten, beschäftigt mit den Büchern, die sie sich ausgewählt hatten. Und trotz dessen interpretierte er eine Art unsichtbare Verbindung in diese Erinnerungen, ein nonverbales Verständnis für die Situation, in welcher sie sich befanden. Momente an die er, bei all der Härte, dem Elend gar, gerne zurückdachte. Gleichzeitig genoss er unter Umständen auch den Fakt, dass sein Körper trotz der körperliche Nähe einmal nicht verrücktspielte. Die Erkenntnis des Abebbens derartig überwältigender Gefühle war etwas Positives. Zukünftig würden sie also auch normal miteinander reden können, wenn sie sich einen Moment Zeit gaben. Es war Lian der das schwache Equilibrium veränderte. Mit einem frischen Bissen gerade heruntergeschluckt, hatte der Befellte viele Möglichkeiten. Seine erste Reaktion war ein kurzes Schmunzeln, ehe er wieder eine neutrale Miene fokussierte. Was genau an dem jungen Mann gerade zur Belustigung sorgte, durfte sich dieser selbst überlegen. „Tauglich … den Vorstellungen entsprechend“ war die diplomatische, vielleicht schon kalte Antwort, die er seinem Sitznachbar offerierte. Die wieder einkehrende Ruhe bestätigte beide darin, dass es gerade alles andere als leicht war den Faden wieder aufzugreifen. Doch es war der Tunichtgut aus Aloe, der jetzt seine sonst so ungenutzten Kräfte mobilisierte, um doch noch eine sinnvolle Konversation zu beginnen. Zwar ging es erneut um die kulinarische Erfahrung, allerdings wirkte die Frage nun nicht danach irgendwie die Zeit zu füllen, sondern nach aufrichtigem Interesse. Wenn man bedachte, wie gut sein einander wirklich kannten, nämlich in vielen Punkten noch so gut wie überhaupt nicht, dann war es ein gewinnbringende Frage. Den Blickkontakt erwidernd, spezifizierte der Falls seine Anfrage noch etwas. Jetzt, wo Rownan nach einiger Zeit das Gesicht seines Gegenüber und nicht nur das Profil sehen konnte, die wundervoll grünen Augen, die Strähnen, die spielerisch herabhingen, merkte er bereits, wie der Zirkus in seinem Kopf von neuen begann. Immer und immer wieder konnte dieser Typ ihn irgendwie wuschig machen. Abgerundet wurde das Ganze von dem charmanten Neigen des Kopf. Wie angewurzelt blickte der Wolf sein Gegenüber an. Statt seinen aktuellen Happen zu kauen und dann eine Antwort zu beginnen, versuchte der arme Lupine das letzte Teil komplett zu verschlingen, verschluckte sich und drehte sich daraufhin weg, um zu husten. Peinlicher konnte es nicht mehr werden und in solchen Situationen war er vielleicht sogar froh, dass sein Fell die Schamesröte verdeckte. Ein kräftiger Schluck Wasser und ein paar Schläge auf die Brust normalisierten das Geschehen wieder. „Entschuldige bitte“ war der Anfang seiner Antwort. „Tatsächlich, und frag mich bitte nicht in welchem Zustand ich damals war, hat mich meine erste Quest, wenn auch nur kurz, hier her verschlagen. Eigentlich hatte ich damals schon mit diesem Ort abgeschlossen. Nur kurze Zeit später haben ich mit einem deiner Gildenkollegen hier zusammengearbeitet, ein fähiger Magier... Yuuki Grynder, sofern ich es Recht in Erinnerung hab. So kompetent wie er auch war, er hat mich für ein Frühstück bis nach Aloe fahren lassen … die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Ich hatte also mein ein oder anderes Intermezzo hier … unabhängig von dir“ beantwortete er die Frage und bediente sich sogleich den sprachliche Mitteln, die Lian zuvor verwendet hatte. Für einen so kläglichen Start lief der Rest durchaus souverän seiner Meinung nach. Platz für eine Antwort lassend fuhr er fort. „Es freut mich, dass ich dir auch in der Heimat etwas Neues zeigen konnte. Wobei ich tatsächlich daran interessiert wäre zu wissen, welche Ort, welche Ausblicke man in dieser Stadt entdecken kann, wenn man, sagen wir, viel per pedes unterwegs ist“. Passend zum Satzende setzte der Grauhaarige nun auch ein Schmunzeln auf, tangierte er doch die eigentlich immer noch sehr aktive Vergangenheit des Diebes.
Das Pfeifen des einfahrenden Zuges war es, der die Endlichkeit dieser letzten Augenblicke zementierte. Mit ihrer Mahlzeit aufgebraucht, gab es auch keinen guten Grund mehr sich nicht in Richtung des Bahnsteigs zu bewegen. Noch ein letztes Mal, fast so als ob er ein mentales Foto machte, blickte er auf seinen Begleiter und die Umgebung, ehe er geschickt von der Mauer herabstieg. Fast unterbewusst griff er dann nach seiner nichtexistenten Krawatte, um sie richten zu wollen, nur um die Hände in Ermangelung einer Handlung kurz zu Fäusten zu ballen und dann herabhängen zu lassen. Die Einfahrt des Fahrzeugs erzeugte, neben des bereits beschriebenen Effekts, auch noch weitere, sogar ambivalente Gefühle. Es war der Ort an dem sie sich kennenlernten, der sie zusammengeführt hatte und der irgendwo auch dafür gesorgt hatte, dass er am heutigen Tag noch immer hier war. Gleichzeit erzeugte es aber wie eine Art bitteren Nachgeschmack im Mund, wie zu Beginn des Wochenendes, wenn man überlegte, wie glanzlos sie auseinandergegangen waren. Lian hatte Rownan praktisch am Gleis stehen gelassen mit so vielen Dingen, die sie nicht ausgesprochen hatte und die auch in den drei Tagen teilweise nur tangiert wurden. Wie würde sich das ungleiche Duo dieses Mal verabschieden? Mit welchen Gefühlen den jeweils anderen zurücklassen, kam doch erschwerend dazu, dass sie noch immer nicht wussten, was sie jetzt eigentlich hatten geschweige denn welches Label sie trugen? Anders als zuvor, wollte der Hybride am heutigen Tag den Anfang machen. Noch während das Gefährt dabei war zu bremsen, das laute Quietschen half ihm sich durchzuringen, weil es ihm eine Privatsphäre suggerierte, schaute er Lian nun direkt an. „Lian … bevor ich jetzt Punkte aufbringe, die uns hier noch ewig festhalten, die uns zwingen, über Dinge zu sprechen, die heute noch nicht besprochen werden sollen, gerade jetzt, wo wir einen so schönen Abschluss gefunden haben, wollte ich, wollte ich …“ doch so richtig ging es ihm trotz allem nicht über die Lippen. So sehr er sich bemühte, musste er doch ablenken. „Ich … bin glücklich über alles, was wir erreicht haben. Ich weiß nicht, ob ich es ohne dich geschafft hätte. Auch das Vertrauen, dass du in mich steckst, weiß ich mehr als zu schätzen. Und ich würde mich freuen, wenn wir das hier“ deutete mit einem Fingerzeig abwechseln zwischen ihnen beiden „fortsetzen können, in Maldina fortsetzen können, bei … mir fortsetzen können. Als kleine Motivation habe ich etwas für dich, aber du darfst es erst öffnen, sobald der Zug dein Sichtfeld verlassen hat“. Eine beinahe kindische Aussage des so erwachsenen und belesenen Hybriden mit welcher er den Kuvert überreichte. Mit der Tasche über der Schulter und dem geschäftigen be- und entladen der Passagiere blickte er nun zu seinem Gegenüber, mit einer Mischung aus Hoffnung, Erwartung und irgendetwas, was er selbst nicht benennen konnte. Seine Rute hatte sich derweil unbemerkt chaotisch bewegt, während seine Ohren stark aufgestellt nach vorne gerichtet waren er sich dafür aber ebenso bewusster auf die Augenhöhe Lians herabgelassen hatte. Für die starke Emotionalität jedenfalls, die beide an den Tag legen konnten, besonders miteinander, war Rownan selbst erstaunt, wie gefasst er noch war, war doch der Abschied nun so imminent, wie es überhaupt möglich war und die so vielsagenden Augen, über die sie so viel kommunizierten, uneingeschränkt sichtbar.
Lian blinzelte überrascht, als Rownan sich den Mund vollstopfte, direkt danach in einen heftigen Hustenanfall verfiel und sich schlussendlich wegdrehen musste, um die Reflexe irgendwie wieder unter Kontrolle zu bringen – und die Nahrung dem Bogenschützen im Zweifel nicht wortwörtlich vor die Füße zu spucken. Der Illusionist war naiv genug, um in diesem Moment gar nicht zu verstehen, dass es sein eigener Anblick – im positiven Sinne – gewesen war, der den Lupinen so aus dem Konzept gebracht hatte. Es war nicht so, dass der Falls sich bewusst in Position geworfen hätte oder so… aber vermutlich waren es genau diese kleinen Dinge, die nochmal deutlich machten, in was für einer Art Beziehung die beiden wohlmöglich zueinanderstanden, oder? Zumindest für jeden Außenstehenden deutlich. Nicht für die Beteiligten selbst, schlichen sich kurz vorher doch immer wieder die altbekannten Sorgen, Bedenken und Überlegungen in die Sache herein, da sie beide gleichermaßen unfähig waren, ihren Kopf gänzlich auszuschalten. Der Falls war kurz davor gewesen, seinem Freund kräftig auf den Rücken zu klopfen, um ihm bei der Befreiung seiner Atemwege zu helfen, hielt allerdings inne, als der Satyrs Magier von alleine aufhörte zu husten. Das, was übrigblieb, war ein leichtes Schmunzeln in den Gesichtszügen des Illusionisten aufgrund der irgendwie doch ziemlich amüsanten Situation. Er mochte die Anwesenheit von Rownan, genoss sie sogar ziemlich… in einem Ausmaß, das dem Dieb vermutlich erst nach dem Abschied so richtig bewusst werden würde.
Naja. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ausgerechnet der Name Yuuki Grynder fiel.
Wirklich, hätte man Lian gefragt, wie der Lupine es schaffen könnte, ihre angenehme Zweisamkeit mit einem Schlag zu vernichten, die Leichtigkeit und das amüsierte Lächeln aus den Zügen des 19-Jährigen verschwinden zu lassen… ihm wäre beim besten Willen nichts eingefallen. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass auf die Frage, ob sein Freund bereits zuvor in der Wüste gewesen war, eine Verbindung zu der von ihm vermutlich am meisten verachteten Person in der gesamten Gilde hergestellt werden würde. Und nicht nur das: Rownan sprach auch noch in einem guten, wohlwollenden Tonfall von ihm. Im Inneren des Falls machte alles dicht, die lockeren Gesichtszüge entglitten ihn – es war ziemlich offensichtlich, dass die Aussagen des Satyrs Magiers ihm missfielen. „Unter diesen Umständen hätte sich meine Begeisterung sicherlich auch in Grenzen gehalten“, stimmte er dem Grauhaarigen verdrossen zu und schnaubte verärgert. „Ehrlich, Rownan, wenn du die Worte Yuuki Grynder und kompetent oder fähig jemals wieder in meiner Anwesenheit in einem Satz verwendest, muss ich ernsthaft über uns beide nachdenken.“ Über… sie beide nachdenken? Über was genau denn nachdenken? Die mögliche Andeutung, die Lian damit tätigte, ging ihm gar nicht auf, viel zu sehr hing er gedanklich an dem Ärger, den die Erinnerung an Yuuki in ihm heraufbeschworen hatte. Dass es irgendetwas gab, das zwischen den beiden Crimson Sphynx Magiern vorgefallen war und das dafür gesorgt hatte, dass ihr Verhältnis sehr angespannt war, war mehr als offensichtlich. Auch das könnte ein Thema sein, das sie irgendwann in der Zukunft nochmal miteinander besprechen würden, oder? In der Hoffnung, dass der Lupine einen passenden Zeitpunkt dafür fand, denn wenn es einen Stimmungskiller für Lian Falls gab, einen Trigger, der alles zum Explodieren bringen konnte… dann war es der Name Yuuki Grynder. So viel stand jedenfalls fest. Er konnte es einfach nicht im Raum stehenlassen, fühlte sich genötigt, noch einen bissigen Kommentar nachzuschieben. „Wundert mich absolut nicht, dass dieser Schnösel alle Menschen zu sich antanzen lässt und sich dann auch noch als der große Gönner aufspielt.“ Es war eine etwas andere Seite an Lian, die der ältere Magier hier zu sehen und zu hören bekam, die auf eine ganz spezielle Art und Weise aber auch zeigte, dass er Rownan vertraute und sich ihm gegenüber mehr öffnen wollte. Der Bogenschütze hatte seine Antipathie gegenüber Yuuki für gewöhnlich mehr für sich behalten und höchsten Scherze auf seine Kosten gemacht. Er tat normalerweise so, als würde ihn das alles nicht wirklich beschäftigen, als würde er über den Dingen stehen. Ein bisschen milder wurde Lian gestimmt, als sein Freund weitersprach und in Aussicht stellte, dass es andere Dinge in Aloe gab, die ihn interessieren würde. Orte und Ausblicke, die Lian ihm zeigen könnte. Die gerunzelte Stirn entspannte sich endlich wieder, die zusammengezogenen Augenbrauen wanderten wieder auseinander und die Mundwinkel hoben sich sogar wieder ein bisschen an. Es gefiel ihm, dass Rownan Interesse an seiner Heimat zeigte, denn der Falls liebte die Wüste und auch Aloe Town. Und so war es nicht verwunderlich, dass er nach dem letzten Bissen seiner Mahlzeit zustimmend nickte. „Solange ich mir dabei keine Geschichten über Yuuki Grynder anhören muss, kommen wir sicherlich miteinander ins Geschäft.“ Der Falls hätte noch etwas ergänzt, doch das nicht zu überhörende Geräusch eines einfahrenden Zuges kam ihm in die Quere.
Das letzte Zeichen dafür, dass das Wochenende des ungleichen Pärchens an seinem Ende angelangt war.
Noch einen winzigen Augenblick hatte Rownan gezögert, bevor er von der Mauer gesprungen war, um sich auf den Weg Richtung Zug zu machen. Die Hände, die sich zwischenzeitlich stützend hinter Lian auf die vergleichsweise kühlen Steine gelegt hatten, verkrampften sich – als wollte der Körper des jungen Mannes sich nicht auf den Weg machen, um dem Lupinen zu folgen. Weil er nicht wollte, dass ihre Zweisamkeit endete? Oder weil dem Falls klar war, dass der Abschied näherkam – der Abschied, von dem auch der Braunhaarige nicht wusste, wie genau dieser eigentlich ausfallen würde. Nur kurz huschten die Erinnerungen aus der Fotobox durch seinen Geist, die das Innere des Bogenschützen sofort wieder in Wallung brachten. Nein, er hatte nicht vor, sich irgendwie gehenzulassen, sicherlich nicht einfach so in der Öffentlichkeit. Das konnte er nicht. Das wollte er nicht! Aber… was sollte er dann machen? Es dauerte tatsächlich ein paar Sekunden länger, bevor Lian schwer schluckte und sich dann doch dazu überwinden konnte, von der halbhohen Mauer zu springen. Das Gefährt, in das der ältere Magier gleich einsteigen würde, fuhr in den Bahnhof von Aloe Town ein und noch ehe es laut quietschend vollends zum Stehen gekommen war, wandte sich der Lupine herum und sprach Lians Namen aus. Der 19-Jährige konnte es nicht verhindern, er hielt die Luft an, seine Finger versteiften sich und er starrte in die hellblauen Iriden seines Freundes. Er wollte… er wollte… was wollte er?! Der ganze Körper des Falls war angespannt, obwohl er nicht einmal wusste, was er hier eigentlich erwartete, was genau ihn hier so nervös machte. Als Rownan weitersprach, atmete der Braunhaarige beinahe verstohlen aus, konnte spüren, wie ein Stück der Nervosität wieder von ihm abfiel. Der Lupine war froh über alles, was sie erreicht hätten? Er dankte ihm für das entgegengebrachte Vertrauen? Vertrauen… etwas, das in der Vergangenheit nicht unbedingt zu den Stärken Lians gezählt hatte. Er hoffte, dass weder Rownan noch er das jemals bereuen würden… und zuletzt deutete der Lupine zwischen sie und stellte in Aussicht, dass er sich freuen würden, wenn sie… es fortsetzen könnten. In Maldina. Beim Satyrs Magier. Einerseits spürte der Illusionist sofort, wie sein Herz bei dem Gedanken einen unkontrollierten Hüpfer machte. Gleichzeitig maßregelte er sich selbst sofort, sich gefälligst zusammenzureißen! … Moment. Eine Motivation?
Irritiert blickte Lian auf das Kuvert, das ihm von Rownan in die Hand gedrückt wurde. War das ein Geschenk? Für ihn? Aber… was sollte in diesem Kuvert sein? Es sagte viel über den Falls aus, dass er zuerst glaubte, veralbert zu werden, als sich einfach nur ehrlich und unverfälscht über die Aufmerksamkeit zu freuen. Wie oft hatte er Menschen, die er bestohlen oder ausgetrickst hatte, irgendwelche Nachrichten zugesteckt, die diese Leute erst zu sehen bekommen hatten, wenn er selbst mit einem Zug auf und davongefahren war? Aber jetzt war er genau in der umgekehrten Position, er war derjenige, der zurückblieb und dem gesagt wurde, dass er das Kuvert erst öffnen dürfte, wenn der Lupine nicht mehr in Sichtweite war. Der Griff um das Papier festigte sich. Es war ein Kuvert von Rownan – warum glaubte er, dass er verarscht wurde? Hatte der Lupine ihm irgendeinen Anlass gegeben, an seinen guten Absichten zu zweifeln? Vielleicht… war es wirklich nicht mehr als ein Geschenk. Für ihn. Lian spürte eine ihm gänzlich unbekannte Ungeduld in sich aufsteigen, wie ein kleines Kind am Weihnachtsabend, das sich nur schwer zusammenreißen konnte, um auch noch die letzten Minuten vor der Bescherung zu überstehen. Als er aufblickte, sah er direkt in das Gesicht von Rownan und schlagartig blendete er alle Menschen um sie herum aus, die eifrig aus dem Zug stiegen. Da war nur noch der Satyrs Magier und er, wie sie sich ansahen, beide gleichermaßen erwartungsvoll, miteinander auf Augenhöhe. „Rownan… ich…“, stotterte er atemlos, die hellgrünen Augen deutlich geweitet und sichtlich aufgeregt. Kurz löste Lian den Blick von den blauen Iriden, sah hinab auf die Schnauze, auf die Lippen… er bewegte sich, so als wolle der Rownan hier in aller Öffentlichkeit küssen. Doch kurz bevor ihre Lippen sich wirklich trafen, schwankte der Falls plötzlich minimal zur Seite… und das, worin sie sich wiederfanden, war nicht mehr in eine freundschaftliche Umarmung.
Er hatte sich nicht getraut. Lian hatte einen verdammten Rückzieher gemacht. Er durfte sich hier nicht so gehen lassen, er musste die Kontrolle behalten! Nicht seine Emotionen herrschten über ihn, sondern er herrschte über seine Emotionen! Diese und ähnliche Gedanken waren es, die die Sphynx sich stumm vorsagte… aber wenn er es war, der über seine Emotionen herrschte, warum fühlte er sich dann so miserabel, während er noch immer in der Umarmung mit Rownan verweilte? „Ich… ich bin auch sehr glücklich über alles, was wir erreicht haben“… was genau hatten sie denn erreicht, wenn er jetzt nicht mehr als eine freundschaftliche Umarmung zustande brachte? Zweifel kamen in dem Falls auf. „Ich… Rownan, das Wochenende war… schön…“ Gott, konnte es noch schlimmer werden?! Auch dem Braunhaarigen fiel auf, dass er mit jedem Satz, den er aussprach, alles nur noch schlimmer machte. Mittlerweile waren die Menschen ausgestiegen und ein erneuter Pfeifton machte deutlich, dass alle Fahrgäste einsteigen mussten, die vorhatten, mit dem Zug die Stadt zu verlassen. Also auch… Rownan. Lian löste sich aus der Umarmung, sah fast schon verkrampft zu seinem Freund und trat einen Schritt zurück. Anstatt etwas zu sagen, was die Situation retten könnte, vielleicht sogar etwas zu unternehmen, ließ er den Lupinen einfach wortlos in den Zug steigen. Wieder einmal hatte Lian es geschafft, mit einem Schlag alles zu zerstören, was er an positiven Beziehungen und Erlebnissen in seinem Leben aufgebaut hatte. Während der Satyrs Magier die Treppenstufen in den Zug emporstieg, sah der junge Magier wieder hinab auf seine Hände und sein Blick blieb an dem Kuvert hängen, das Rownan ihm gegeben hatte.
Das Geschenk, das er erst öffnen durfte, sobald der Zug die Stadt verlassen hatte. Wenn Rownan für ihn nicht mehr erreichbar wäre. Von jetzt auf gleich atmete Lian durch, plötzlich war alles glasklar für ihn, er hatte ganz genau einen Gedanken.
„Rownan!“
Noch während er Lupine sich umdrehte, um auf den Ausruf seines Namens zu reagieren, würde er Hände spüren, die sich an seine Wangen legten und ihn herabzogen. Ob er perplex war oder nicht, sich gedanklich darauf vorbereitet hatte, ob er es erwiderte oder nur über sich ergehen ließ – Rownan würde Lippen spüren, die auf die Seinen trafen und erst in dem Moment, in dem diese Lippen von ihm abließen, den Wuschelkopf von Lian Falls erkennen. Große, mindestens genauso überrascht dreinblickende Seelenspiegel würden ihn ansehen, sprachlos und außer Atem. Als könnte er selbst nicht ganz verstehen, was da gerade über ihn gekommen war – die Erkenntnis, dass er trotz aller Bemühungen seines Verstandes nicht fähig gewesen war, sein Herz so zu übertönen. Waren es etwa doch seine Emotionen, die die Macht über ihn erlangt hatten? Und selbst wenn es so war… war es so schlimm, einmal die Kontrolle an diese abzugeben? Das laute Pfeifen des Zuges machte das letzte Signal vor der Abfahrt und noch immer ohne ein Wort zu sagen, taumelte Lian zurück – heraus aus dem Zug, wieder auf den Bahnsteig, ohne Rownan dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. „Ich werde nach Maldina kommen“, entkam es seiner Kehle, während der Brustkorb sich deutlich hob und senkte. Die Türen setzten sich in Bewegung, waren drauf und dran, sich zu schließen. „Ich… danke dir, Rownan.“
Und damit schlossen sich die Türen des Zuges, trennten die beiden Magier endgültig voneinander. Durch das Fenster konnte der Falls einen letzten Blick auf seinen Freund erhaschen, ein Anblick, der ihn lächeln ließ, ehe der Zug sich in Bewegung setzte. Der 19-Jährige trat einen Schritt zurück, wurde sich plötzlich bewusst darüber, was er da gerade getan hatte… er beugte sich vornüber, kniff die Augen fest zusammen und wuschelte wie wild mit den Händen durch sein ohnehin strubbeliges Haar, ehe ein lauter Schrei seiner Kehle entkam, der quer über den Bahnhof hallte. Obwohl man ihn für geisteskrank halten könnte – es war die einzige Möglichkeit für Lian gewesen, um diese überschüssige Energie irgendwie loszuwerden, um auch nur ansatzweise wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Langsam richtete er sich wieder auf, ließ die Hände aus den Haaren gleiten und sah dem fahrenden Zug nach, der allmählich in der Ferne verschwand. Es hätte so viel coolere Abschiede gegeben. Lässigere Auftritte. Ob Rownan ihn jetzt für vollkommen bescheuert erklärte? Der Blick huschte nach unten und fast schon verstohlen sah der Falls hinab auf das Kuvert, das ihm von seinem Freund zugesteckt worden war und das Lian zwischenzeitlich in seine Tasche gesteckt hatte. Er… er durfte es jetzt öffnen, oder?
Wer hätte gedacht und allen voran sicher nicht Rownan, dass der Name Yuuki Gyrnder den sonst so undurchsichtigen und taktierenden Lian Falls derart aus der Fassung bringen konnte. Als sich die Gesichtszüge seines Gegenübers veränderten, hatte der Hybride natürlich kurz die Sorge gehabt, er habe den Jungen mit seiner Aussage in irgendeiner Art und Weise beleidigt. Sie wohnten zwar in dem gleichen Land jedoch gab es hier und da selbstverständliche andere Sitten und Bräuche. Wie er es für sich selbst, aber besonders im Kontext des Braunhaarigen kannte, ging der Wolf jedes gesagte Worte im Kopf noch einmal durch, um jeden Hauch einer Missbilligung zu identifizieren, kam jedoch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Schlimmer noch Lian schnaubte nun sogar. Erst jetzt, während der andere sprach, dämmerte es dem Lupinen allmählich und er musste sich zusammenreißen kein Grinsen, gar ein arrogantes Lächeln, aufzusetzen. Natürlich gab es mannigfaltige Möglichkeiten, warum die beiden Magier der gleichen Gilde sich nicht leiden konnten. Bei Ava und ihm beispielsweise beruhte es in erster Linie auf einem fast schon einprogrammierten Skepsis beider Spezies gegeneinander, die sie nur aufgrund ihres Intellektes überwinden konnten. Bei Yuuki und Lian war es gewiss ein Zusammentreffen von Persönlichkeiten, aber auch Vergangenheiten, soviel wusste der Satyrs über beide Magier. Und es passt einfach so gut zu dem Illusionsmagier, kämpfte dieser doch so krampfhaft dagegen zu akzeptieren, was für ein fähiger Magier er war. So überraschte es Rownan sogar relativ wenig, dass die beiden sich nicht mochten, auch wenn die genauen Gründe fürs erste im Dunkeln verblieben. In all diesem Amüsement entging dem sonst so aufmerksamen Hybriden, in welcher Art und Weise ihm der andere gerade gedroht hatte. Er hatte von einer Gemeinsamkeit gesprochen. Einer zukünftigen Gemeinsamkeit. Etwas, was er selbst nur wenige Zeit später aufgegriffen hatte, vielleicht genau deshalb aufgegriffen hatte, weil irgendeine Windung seines Verstandes ihm diesen Hinweis gesteckt hatte in der Hoffnung das bewusst oder auch unterbewusste Ziel zu erreichen: Mehr Zeit mit dem Falls, um all diese neuen und brüchigen Strukturen zu festigen. Noch immer blieb auch eine Definition, ein fester Begriff schuldig, was die beiden denn nun hatten. Fast schon überlegte der Grauhaarige, ob er intervenieren musste als ein weiterer scharfer, fast feindlicher Kommentar folgte. Er befürchtete schon der Schütze würde sich jetzt in Rage reden, so wie er es selbst einige Mal an diesem Wochenende getan hatte. Statt sich also nach außen hin zu verraten, hörte ihm der Lupine einfach geduldig zu, bedacht darauf seine neutrale Miene zu erhalten. So gerne er auf diese emotionalen Kommentare reagiert hätte, behielt er seine Reaktion für sich und nickte nur verstehend, kratze sich sogar nachdenklich an seiner Schnauze so als ob die Worte der Sphynx ihn dazu bringen würden über den Gyrnder noch einmal nachzudenken. Wäre er nur so energisch und motiviert, wenn es um seine Arbeit gehen würde. Die Überleitung zur Heimat sorgte dann zumindest dafür, dass sie ihre gewohnt lässig Stimmung wieder einnahmen. Solange bis der Abschied eingeläutet wurde.
Es hatte den ganzen Mut des Wolfes gebraucht die Worte zu äußern, den Kuvert zu übergeben und doch war es nur ein Bruchteil von dem, was er wirklich dachte, fühlte und sagen wollte. Aber es war diese permanente Unsicherheit der Lage, was sie waren, wie sie waren, warum sie waren und nicht zuletzt die fehlenden Erfahrungswerte, das fehlende Wissen alle Faktoren, die ihn daran hinderten, sich voll und ganz in den Moment zu legen. Man konnte behaupten es war das Beste, was er aktuell zu Stande bringen konnte, obwohl er keine vierundzwanzig Stunden zuvor Lian Dinge gestanden hätte, die er nie für möglich gehalten hatte. Jedoch hatte er selbst bereits gemerkt, dass die Intimität, die die Wohnung mit sich gebracht hatte an diesem Ort fehlte. Vermutlich waren es noch weitere Aspekte, die ihn hemmten, offen zu sprechen und zu reagieren, nicht zuletzt auch Lian selbst, der ähnlich mit der Situation zu kämpfen schien. Womöglich war es ganz einfach so, dass ihr Energie nach allem, was vorgefallen war, schlichtweg verbraucht war und sie, selbst wenn sie es wollten, sich nicht mehr aufraffen konnten das zu tun, was sich richtig anfühlte. In Kombination mit ihren eigenen, kleinen wie großen Baustellen, mischte sich hier ein Cocktail zusammen, der sie beinahe schon an jene Situation zurückbeförderte, die Rownan überhaupt erst hierhergebracht hatte: der Abschied am Bahnhof in Crocus. Dieser überaus peinliche und merkwürdige Abschied. Da es an seinem Gegenüber war zu antworten, fixierte er diesen förmlich mit seinen Augen. Natürlich konnte er beobachten, fast vielleicht schon riechen, wie sehr diese Situation auch den anderen Magier aufzuwühlen schien, was an sich eine gute Sache war, wäre da nicht die Tatsache gegeben, dass sie nur noch wenige Augenblicke miteinander teilen konnte, ehe der Satyrs in den Zug würde hechten müssen. Rownan hätte es gereicht, wenn sich der Braunhaarige bedankt hätte, so wie er es zuvorgetan hätte und ihm versicherte, dass er zu Besuch kommen würde. Damit hätten sie schon hundertmal mehr erreicht als beim letzten Mal. Allerdings kannte der Hybride Lian zwischenzeitlich gut genug, um zu wissen, wie schwer ihm derartige Handlungen fielen. Er hasste es förmlich so im Mittelpunkt zu stehen. Nur zu gerne hätte der Lupine einen Einblick in die Gefühlswelt des anderen bekommen, so wie dieser es eventuell bewusst oder unbewusst bei Rownan tun konnte. Aktuell mussten die aussagekräftigen Augen reichen. Dann plötzlich ein paar Worte, ehe er sich langsam in die Richtung des Grauhaarigen bewegte. Dieser kannte die Geste, erahnte was passieren konnte, was passieren würde und spürte sogleich, wie auch der eigene Puls anzusteigen schien. Unter Umständen wollte der Schütze sich die Worte sparen und seine Antwort in einer Art und Weise kommunizieren, die beiden verstanden. Sehr gut sogar, nach diesem Wochenende. Doch es sollte alles anders kommen. Der Wolf war fast so weit, dass er seine Augen schließen wollte, sich ein letztes Mal fallen lassen wollte, nur um plötzlich in einer Umarmung, einer innigen Umarmung zu landen. Wobei innig auch nicht richtig war, wenn man überlegte, was sich zuvor angedeutet hatte. Mehr als perplex legte er seine Pranken vorsichtig auf den Rücken des anderen, wirkte es nach außen jedoch eher, als ob er ihn vorsichtig tatschälte als wirklich gefühlstark umarmte, der Blick starr nach vorn gerichtet. War das alles? war der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss. Eine Umarmung. Gepaart mit den Worten, die oberflächlicher nicht sein konnten, hätte man gut und gerne Frust oder gar Zorn im anderen erwartet. Auf Rownans Gesicht fand sich jedoch ein leichtes Lächeln. Obwohl so viel zwischen ihnen vorgefallen war und obwohl der Hybride gerade auf ganz gute Art und Weise ihre schöne und doch komplizierte Lage zusammengefasst hatte, ging es hier immer noch um Lian Falls. Der Junge war an diesen Tagen so oft aus seiner Komfortzone gerissen wurden, dass diese Umarmung und diese Worte, so deplatziert sie auch wirkten, womöglich das Beste waren, was der Illusionsmagier gerade fabrizieren konnte und, verglichen mit seinem klassischen Modus Operandi, wie ein Ritterschlag wirkten. Es war einfach so sinnbildlich für den Braunhaarigen, dass Rownan gar nicht anders konnte als sich darüber zu freuen, diese Reaktion zu bekommen. Es war natürlich nicht bei weitem das, was er erwartet hatte oder worauf er sich gefreut hatte. Und doch transportierte es irgendwie ebenso die Gedanken- und Gefühlswelt des anderen, wie es der symbolische Kuss getan hätte. Außerdem hatten sie in Maldina noch ein weiteres Mal die Gelegenheit diese Dinge zu üben. Seine Rute jedenfalls pendelte rhythmisch und langsam von links nach rechts und zurück.
Die Umarmung wieder lösend musterten die beiden sich fürs erste wohl ein letztes Mal. Fast instinktiv richtete der Wolf seine Klamotten, die imaginäre Krawatte gleichfalls, und musste sich zurückhalten nicht wie eine Mutter die Klamotten seines Gesprächspartners zu glätten. Stattdessen nickte ihm der Grauhaarige noch einmal zu, ehe er seine Tasche lässig über die Schulter warf und in Richtung des Zuges ging. Noch immer nicht der Abschied, den er sich nach allem gewünscht hatte, aber mit einem, der ihn nicht nachts umtreiben würde. Eine Zufriedenheit machte sich im Tiermenschen breit und man konnte daran gut erkennen, wie er bereits langsam in seine Reflexion abdriftete, die ihn auf jeden Fall während der Zugfahrt aber gewiss auch darüber hinaus beschäftigten, würde. Genügsam hinter den letzten Fahrgästen, in seinem Fall als letzter sogar, einsteigend, verkniff er sich einen letzten Blick nach hinten zu werfen. Rownan war sich unsicher, wie er reagieren würde, wenn er seinen Gastgeber allein am Bahnsteig sehen würde. Sofort kam ihm das eigene Bild in den Kopf, wie er in Crocus zurückgelassen wurde. Im schlimmsten Fall würde er nicht einsteigen und noch schlimmer eventuell etwas dummes tun. So sehr sie auch nacheinander schmachten mochten, so wichtig war es jetzt, dass beide Zeit für sich bekamen. So sah es zumindest der Hybride. Als dann plötzlich sein Name gerufen wurde, von einer Stimmte die ihm mehr als bekannt vorkam, war es eher der Reflex der ihn dazu brachte, sich umzudrehen als es etwa Hoffnung oder Erwartung war. Keine Sekunde zu früh. Noch bevor er irgendwie reagieren konnte, weil Lian sich nicht zuletzt bewegt hatte, spürte er bekannte Hände an seinen Wangen die ihn in eben jene Geste zogen, die sich beide doch so sehnlichst gewünscht hatten: Einen Kuss. Und dann noch für alle Fahrgäste wie Menschen im Bahnhof zu sehen, die darauf unterschiedlichste reagierten. Im ersten Moment noch überrascht, am ganzen Körper angespannt, lies nur Sekundenbruchteile später die Spannung ab und seine Augen schlossen sich, als würde dadurch der Moment ewig währen. Es fühlte sich so unendlich gut an und noch besser war die Tatsache, dass nicht nur Rownan so fühlte. Es gab jetzt jemanden in seinem Leben, der mehr war als ein Freund. Und jede Windung im Körper des Hybriden, tierische wie menschliche, waren mehr als entzückt darüber was gerade passiert war. So freudig wie es der Satyrs war, war er dennoch ebenso außer Atem wie Lian als sie voneinander abließen. Wäre es sichtbar, könnte man dem Wolf nun mehr als deutlich die Schamesröte ansehen, während die grünen Seelenspiegel seines Partners die eigenen fixierten. Dieses Wagnis, dass Rownan eingegangen war, hatte sich gelohnt, mehr als gelohnt und nach allem, was ihm widerfahren war, fühlte es sich zum ersten Mal seit langer Zeit an, als ob es aufwärts ging. Wirklich positiv und aufwärts. Ein ganz und gar ungewohntes Gefühl. Die letzten Worte, die Lian dann äußerte war so perfekt im Kopf des Lupinen, dass dieser einfach nur verliebt lächelte, während seine Tatze auf dem Glas der Tür verweilte. Er kommt. Er kommt wirklich zu mir huschte es durch seinen Kopf, während die Silhouette des Diebes immer kleiner wurde. Der Magier hatte ihm wohl etwas mehr als nur den Kopf verdreht.
Es dauerte noch einen Moment, bis sich der Grauhaarige aus seiner Schockstarre löste und dabei vorsichtig mit seiner Kralle über die Stelle strich, die Lian geküsst hatte, während er ganz unbewusst die Schulter erfreut hochzog und eher grinste als lächelte, wie ein Teenager, der gerade etwas Berauschendes getan hatte. Die Gäste aus dem Zug war die Szene nicht entgangen und so trafen ihn verlegene wie amüsierte und anerkennende Blicke. Nicht zuletzt, weil seine Rute ihn mal wieder unmissverständlich verriet. Peinlich berührt ließ er sich auf einem Sitz nieder, der nicht zu viele Zuschauer hatte, stellte seine Tasche neben sich ab und, ganz untypisch für den sonst so stolzen Wolf, atmete er aus, in dieser Art und Weise, wie es nur ganz bestimmte Gruppen von Leute taten, eher er seine Schnauze in den Händen ablegte und aus dem Fenster schaute, die Wüste allmählich hinter sich lassend. Nur kurz schoss ihm das Geschenk durch den Kopf. Zuvor war es ihm noch zu kitschig zu peinlich vorgekommen. Nach der Aktion gerade traf es vermutlich genau den Nagel auf den Kopf. Natürlich waren die Fotos aus dem Automaten etwas geworden und mit den Mitteln, die er zur Verfügung hatte, hatte er dem Magier aus Aloe eine kleine Collage gebastelt. Insgesamt neun Bilder waren hier möglich, jedoch waren nur acht zu sehen. Es waren acht mögliche Bilder, die mal besser mal schlechter waren. Das Beste, das natürlichste, der Moment als sich beide einfach nur in die Augen gesehen hatten und das fühlten, was sie das ganze Wochenende begleitet hatten, hatte Rownan mitgenommen. Es fehlte in dem Kunstwerk und ohne dieses war das Objekt nicht komplett. Dafür würde Lian nach Maldina kommen müssen. Dafür und für Rownan natürlich.
Lian sah sich aufmerksam in den vier Wänden um, die er mittlerweile seit knapp zwei Jahren bewohnte. Nichts deutete mehr darauf hin, was hier vor wenigen Wochen geschehen war. Die Glasscherben, die sich über den gesamten Boden verteilt hatten, waren verschwunden und auch das Fenster direkt über dem Schreibtisch war ausgetauscht worden. Nur die Erinnerungen waren geblieben: Sein Treffen mit Gin, genauso wie ihr erneutes – vielleicht sogar endgültiges – Verschwinden aus seinem Leben. Und nicht zuletzt ihre Worte: Diese Worte, die sich in der Gedankenwelt des Illusionisten festgebissen hatten. Die Vampirin hatte ihn um den Gefallen gebeten, zu sterben… ausgerechnet Gin war die erste Person in seinem Leben, die ihm ernsthaft und wahrhaftig den Tod gewünscht hatte. Aber konnte man der Dunkelhaarigen dafür überhaupt einen Vorwurf machen? Lian hatte einen unglaublichen Triumph verspürt, nachdem er seine Ex-Freundin mittels seiner Illusionen in die Ecke gedrängt hatte. Er war sogar stolz gewesen, sich nicht aufgrund irgendwelcher Sentimentalitäten zurückgehalten zu haben, hatte nichts bereut. Würde er es sogar wieder so machen, wenn er erneut in eine solche Situation geraten würde? Dieser Abend mit der Du Bellay hatte dem Bogenschützen mehr offenbart als nur den Namen von Gins Meister. Nein, Lian glaubte, auch ganz neue Erkenntnisse über sich selbst gewonnen zu haben und all das waren Erkenntnisse, die das Bild, das er von sich selbst hatte, nicht gerade verbesserte. War er vielleicht wirklich nicht mehr als ein unheilbringendes Monster?
Der 20-Jährige schüttelte den Kopf, wandte sich vom Fenster ab. Es brachte ihn nicht weiter, sich in diesen Gedankengängen zu verlieren. Mehr als Ablenkung als aus tatsächlichem Eifer sammelte er ein älteres Shirt vom Boden auf und machte eine schnelle Schnupperprobe: Doch, das konnte problemlos nochmal angezogen werden! So fand die Montur den Weg direkt zurück in den Kleiderschrank zwischen weiteren Shirts, Pullovern und Hosen. Lian wollte sich bereits wieder abwenden, da… fiel ihm etwas auf. Zwischen den zumeist schwarzen, weißen, braunen oder höchstens gelb/orangenen Kleidungsstücken blitzte eine Farbe hervor, die dort nicht hingehörte. Was war das für ein hellblauer Farbton? Der Lockenkopf stutzte, griff zwischen die verschiedenen Stofflagen hindurch wunderte sich, als es kein Oberteil war, das er zutage förderte. Ein Schal huschte ihm durch den Kopf, um sogleich von der Erkenntnis ergänzt zu werden Rins Schal? Stimmt. Damals in Stillsnow hatte sie ihm ihren hellblauen Schal ungefragt um den Hals gewickelt, ehe Lian hatte Widerworte erheben können. Noch zu gut erinnerte sich der Illusionist daran, wie unangenehm ihm die Situation gewesen war, wie er sich schnell weggedreht hatte, damit Rin ihm nicht ansehen konnte, wie sehr ihn diese nette Geste berührt hatte. Auch erinnerte sich Lian daran, dass der Schal nicht nur bereits durch Rin vorgewärmt worden war, sondern auch, dass er nach der Inuyama gerochen hatte. Ob er immer noch?... Der Falls hob den Schal bereits an, doch stockte, als ihm klar wurde, was er da gerade tun wollte. Er lachte, amüsiert über sich selbst, ehe er das Stück Stoff nochmal genauer musterte. Rin hatte ihm den Schal damals ausgeliehen und sogar betont, dass sie ihn wiederhaben wollte. Doch am Ende der Quest… musste Lian das Ganze einfach vergessen haben. Dieser unerwartete Fund ließ diverse Erinnerungen in ihm hochkommen: Zum Einen daran, wie die Canine ihn das erste Mal einen Freund genannt hatte. Und auch daran, wie sie ihn in den Arm genommen und ihm Trost gespendet hatte. Es war ein warmes Gefühl, das sich bei diesen Gedanken in Lian breitmachte, das allerdings keine Sekunde später von Düsternis überschattet wurde: Die Erzählung der jungen Frau über den Verlust ihrer Familie. Der Moment in der Wüste, als Lian ihre Gefühle mittels Magie geteilt hatte und damit einen Ausblick auf das tiefsitzende Trauma erhalten hatte, von dem die Hellhaarige offensichtlich trotz ihres immer gezeigten Lächelns gefangen gehalten wurde. An ihre tränenreiche Begegnung vor nur wenigen Wochen, nachdem er sie für Gin von sich gestoßen hatte.
"Du hast mir sehr weh getan. Du hast mir das Gefühl gegeben, nicht mehr als ein Hindernis für dich zu sein, als wäre ich nichts weiter als im Weg. Ich wollte einfach nur abschließen."
Der Griff um den Schal von Rin verstärkte sich und der Falls schloss die Augen. Er hatte die junge Frau schon damals in Stillsnow warnen wollen, hatte versucht, sie auf Abstand zu halten. Weil er geahnt hatte, dass er der Hellhaarigen irgendwann wehtun würde. Weil er niemand war, den man wirklich in seinem nahen Umfeld wissen wollte. Es war eine Befürchtung gewesen, die Lian schon immer gehabt hatte. Und eine Befürchtung, die spätestens seit seinem letzten Treffen mit Gin für ihn zur Realität geworden war. Der junge Mann hob die Lider wieder an, der Blick seiner hellgrünen Seelenspiegel lag erneut auf dem weichen Schal der Inuyama. Was sollte er nun damit anstellen? Einerseits wollte der Falls ihn behalten, das spürte er ziemlich deutlich, denn trotz allem war es eine wunderbare Wärme, die der Schal in ihm auslöste. Andererseits… gehörte er ihm nicht. Und wenngleich er immer noch wusste, dass er ein Dieb war, wollte er es doch nicht gegenüber der Caninen sein. Er musste den Schal also zurückgeben – es erschien dem 20-Jährigen in diesem Augenblick als das einzig Richtige.
Lian wusste nicht, wie die junge Frau reagieren würde, wenn er einfach so – ohne Ankündigung – vor ihrer Haustür erschien. Gerade nach den Dingen, die zuletzt geschehen waren, spürte er selbst die Nervosität in sich aufsteigen. Und dennoch überwand er sich nach ein, zwei Sekunden des Innehaltens und trat an die Tür zu Rins Wohnung. „Rin?“, rief er, bevor er die Hand hob und anklopfte. Abwarten – doch nichts geschah. „Rin?“, wiederholte der Falls, diesmal ein Stückchen lauter und klopfte ein weiteres Mal an. Aber auch dieses Klopfen blieb unbeantwortet. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder war die Inyuama nicht Zuhause oder sie wollte ihm nicht öffnen. Plötzlich war da dieses Bild, diese Vorstellung, wie die junge Frau sich die Decke über den Kopf geworfen hatte und versuchte, möglichst still zu sein, damit Lian bloß nicht bemerkte, dass sie in Wirklichkeit doch Zuhause war. Das Letzte, was Lian wollte, war sich unangenehm aufzudrängen oder dafür zu sorgen, dass sich Rin schlechter fühlte. Und so seufzte er, entschied sich kurzerhand, den hellblauen Schal um den Türgriff zu wickeln und den Rückzug anzutreten. Sie konnte sich den Schal ja holen, wann auch immer sie bereit dazu war. Vielleicht erinnerte sie sich auch gar nicht mehr daran, dass es ausgerechnet Lian war, dem sie diesen Schal zuletzt geliehen hatte? Vielleicht wäre das sogar das Beste, dachte sich der Falls, kurz bevor er seine eigene Wohnung wieder erreicht hatte.
Die Glieder der jungen Frau schmerzten, doch ihr blieb nichts anderes übrig, als sich die Stufen des Ostturms hinaufzuhiefen. Sie liebte ihren Job, liebte es, ihren Mitmenschen zu helfen, doch manchmal war es auch ihr zu viel. Den gesamten Tag hatte sie damit verbracht, Kamele zu hüten. Die armen Tiere waren aus ihren Gehegen ausgebüchst und waren mitten in die Wüste geflüchtet ... und es gab wohl niemanden, der besser für die Aufgabe, sie wieder enzufangen, geeignet war, als ein Hund. Letztendlich hatte sie es tatsächlich geschafft, jedes einzelne Tier sicher wieder zurück zu seinem Herrchen zu bringen, doch dafür hatte sie auch den gesamten Tag gebraucht. Keine einzige Minute hatte sie sich eine Pause gegönnt, der Gedanke, dass eines von ihnen die Nacht alleine und frierend draußen verbringen musste, hatte sie angetrieben. Doch diese Motivation war nun fort und zurück blieb eine Rin, die sich komplett verausgabt hatte. Ein schwerer Seufzer entwich ihren Lippen, als sie die letzte Stufe endlich erklommen hatte. Jetzt musste sie nurnoch zu ihrer Zimmertür und dann konnte sie endlich ins Bett fallen und für die nächsten 24 Stunden schlafen. Mit einer Hand kramte sie ihren Schlüssel aus der Hosentasche, die andere griff nach der Klinke. "Huh...?" Anstatt des kühlen Metalls, spürte sie etwas weiches. Das machte doch keinen Sinn? Sie blickte hinab und sah, dass jemand einen Schal dort hinterlassen hatte. Ihr Kopf legte sich schief und sie schnüffelte kurz. "Lian...? Hä?" Die Canine war so müde, dass sie überhaupt nicht erkannte, dass es sich dabei um den Schal handelte, den sie damals in Stillsnow dem Falls überlassen hatte. Außerdem war es bereits dunkel und der Stoff roch nach ihm, wer konnte es ihr also verübeln? Sie wickelte ihn ab, überlegte dann kurz. Sie wollte und musste ruhen, dringend... Doch jetzt war ihre Neugierde entfacht. Wieso hinterließ der Braunhaarige etwas an ihrer Türklinke? War das ein Geschenk oder so? Das passte allerdings nicht zu ihm ... Sie seufzte. Mal kurz nachfragen konnte ja nicht schaden. Ewig bleiben musste sie ja nicht. Sie würde nur kurz klären, was es damit auf sich hatte und direkt danach würde sie sich endlich in ihr Bettchen kuscheln! So war zumindest der Plan, dass dieser meilenweit von der Realität entfernt war, hätte sie eigentlich erahnen können, tat sie aber nicht. So klopfte sie an die Tür, nur wenige Meter von ihrer eigenen entfernt. "Liaaahhnnn...?" Die Mitte seines Namens verwandelte sich ungewollt in ein langes Gähnen. "Hehhhyyy, ich bin's Rinnn." Noch ein Gähner. Sie musste sich definitiv zusammenreißen, bevor er die Tür öffnete! Hastig fuhr sie sich ein paarmal durch die Haare, zog ihre Schultern zurück und glättete ihre Kleidung. Der lange Rock hatte inzwischen einige Falten und Kamelhaare dazugewonnen, doch das war alles noch im Rahmen, oder? Ach, wieso machte sie sich überhaupt so verrückt? Es war so viel einfacher, den Korb, den sie bekommen hatte, zu verdrängen, doch das durfte sie nicht. Ihr selbst und Lian zuliebe, auch, wenn es weh tat. Ihre Ohren sanken nach hinten, doch sie bemerkte es rechtezeitig und schob sie mit den Händen nach oben, sodass sie wieder aufrecht standen. Vielleicht hätte sie sich doch lieber zweimal überlegen sollen, ob sie hier aufkreuzen wollte. Vielleicht hatte es einen Grund, wieso er ihr den Schal nicht persönlich übergeben hatte? Wollte er sie nicht sehen? Oh, wieso war sie darauf bloß nicht eher gekommen? Ihr Herz rutschte ihr in die Hose (oder eben den Rock). Auf einmal war sie wieder hellwach. Ihre Füße wollten fliehen, doch ihre Muskeln waren noch immer träge. Außerdem konnte sie das jetzt echt nicht bringen, hier einfach abzuhauen. Er könnte jede Sekunde aufmachen und sehen, wie sie am flüchten war. Oh Gott, wieso war sie so? Bevor sie sich jedoch weiter verrückt machen konnte, öffnete sich die Türe. Mit großen Äuglein starrte sie geradeaus. "Oh - du ... hii...!" Sie hob eine Hand zur Begrüßung. Eine Umarmung wäre nach alldem ziemlich unangebracht, oder? Mit der anderen hielt sie den Schal hoch. "Wieso?" Ernsthaft?! Warum konnten sich ihre Gedanken nicht ordnen? "Äh, was ich sag-fragen wollte ... was will ich mit deinem Schal? Oder so."
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Lian Thief in Distress
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Es war ziemlich spät geworden – so spät, dass Lian nicht mehr damit gerechnet hatte, nochmal Besuch zu erhalten. Natürlich hatte er nicht vergessen, dass er den weichen Schal von Rin gefunden hatte und im Verlauf des Nachmittags und Abends auch mehr als einmal darüber nachgedacht. Doch je mehr Zeit verging, desto deutlicher war er zu dem Schluss gekommen, dass die Inuyama vermutlich tatsächlich nicht mit ihm hatte sprechen wollen. Vielleicht war sie Zuhause gewesen und hatte seine Stimme gehört, hatte sich bewusst dagegen entschieden, ihn sehen zu wollen und die Tür daher geschlossen gelassen. Lian machte der Caninen deshalb keine Vorwürfe, sondern akzeptierte es vielmehr, wenngleich es doch einen kleinen Stich in seinem Herzen hinterließ. Er hoffte immer noch, dass er und Rin irgendwann wieder zueinanderfinden würden, denn er vermisste ihre wuselige und überdrehte Art in seiner Gegend – ganz gleich, dass er das niemals öffentlich zugegeben hätte. So hatte Lian irgendwann lange und ausgiebig geduscht, um die eigenen Gedanken zu sortieren und saß mittlerweile bei einer kleinen, unscheinbaren Mahlzeit an dem winzigen Tisch seiner Wohnung. Von seinem Platz aus hatte er die untergehenden Sonne über der Wüstenstadt beobachtet, die seine Wohnung in ein warmes, rotorangenes Licht hüllte. Er selbst trug eine legere Jogginghose, die an den Knöcheln enger wurde, keine Socken und ein einfaches, weißes Shirt, während die die noch leicht feuchten Locken frisch gewaschen um seinen Kopf tänzelten. Lian hatte gerade einen letzten Bissen heruntergebracht, da hörte er ein Klopfen an der Tür. Gefolgt von einer Stimme, die er selbstverständlich sofort erkannte.
Rin?
Sie klang ein wenig merkwürdig, wobei Lian nicht sofort sagen konnte, woran das lag. Dennoch brauchte er keine zwei Sekunden, um auf die Stimme und auch das Klopfen an der Holztür zu reagieren. Sofort sprang er von seinem Platz auf, kam auf die Tür seiner Wohnung zu und riss diese auf, bevor er sich die richtigen Worte auch nur ansatzweise zurechtgelegt hatte. Und so starrten die hellgrünen Seelenspiegel hinab auf die Inuyama, die mit riesigen Augen zurückstarrte, als hätte sie überhaupt nicht mit ihm gerechnet. Gerne hätte Lian sie darauf hingewiesen, dass sie es war, die an seine Wohnung geklopft hatte, aber er entschied sich dagegen. Stattdessen nutzte der Falls den Moment der gegenseitigen Sprachlosigkeit, um Rin im Ganzen zu mustern. Ihm fiel sofort auf, dass sie wieder so aussah, wie er sie kannte – in einem hübschen, langen Rock, mit einem recht legeren Oberteil und einem hellblauen Überwurf, der schick, aber nicht übertrieben figurbetonend war. Lian überraschte sich selbst, als er darüber… erleichtert war. Gott, was war denn mit ihm los? „Häh?“, erwiderte er auf die Frage der Hellhaarigen genauso idiotisch, wie Rin das Gespräch begonnen hatte und musterte den hellblauen Schal, den sie hochhielt. Noch immer waren es Fragezeichen, die man vom Gesicht Lians ablesen konnte, selbst als Rin ihre Frage näher ausführte. Was wollte sie mit seinem Schal? „Was meinst du damit?“, gab der Illusionist die Frage zurück und öffnete die Tür nun ein bisschen weiter, sodass er im Ganzen im Türrahmen zum Stehen kam. Es brauchte wirklich noch ein paar Sekunden, bis der Groschen bei Lian fiel und er verstand… dass Rin nicht verstand. Okay, das war schon ein bisschen süß. „Das ist nicht mein Schal“, begann er zu erklären und seine Mundwinkel hoben sich amüsiert an, ohne die Inuyama dabei aus dem Blick zu lassen. „Glaubst du wirklich, dass eine Farbe wie hellblau in meinen restlichen Kleiderschrank passt? Rin, das ist dein Schal. Damals, in Stillsnow, falls du dich erinnerst?“ Er konzentrierte sich auf die junge Frau, insbesondere darauf, ob er Erkennen in ihren Seelenspiegeln aufblitzen sehen würde. In seinem eigenen Inneren tauchten infolge seiner Worte diverse Erinnerungen auf – insbesondere an den Vormittag, als er den Schal gefunden hatte und die Dinge, über die er sich in diesem Kontext Gedanken gemacht hatte. Und plötzlich… fühlte er sich gar nicht mehr so Selbstsicher wie zuvor. Lian wandte den Blick von Rin ab und räusperte sich. „Ich habe ihn gefunden… und gedacht, dass du ihn vielleicht zurückhaben möchtest…“ Er kratzte sich an der Wange, dachte darüber nach, was er sagen oder auch nicht sagen sollte, aber die Worte waren ihm schneller über die Lippen gekommen, als dass er sich daran hätte hindern können: „Ich war bei dir, aber du hast die Tür nicht geöffnet. Deshalb habe ich ihn an der Tür zurückgelassen…“
Rin blinzelte. Starrte sie? Nein, sie starrte nicht. Oder?? Sie schüttelte kräftig den Kopf, riss sich von dem jungen Mann los, der ihr gegenüber stand... falls sie starrte. Aber wie sollte sie nicht starren? Gott, wieso war sie so? Sie wollte Lian nicht so anglotzen. Nach all dem hatte sie gedacht, dass es leichter werden würde. Aber das wurde es nicht. Vielleicht war es sogar noch schwerer geworden? Ihre Erschöpfung machte es ebenfalls nicht leichter, sich zusammenzureißen. Planlos suchte sie nach Worten, die erklärten, wieso sie hier war, doch sie schien nur für noch mehr Verwirrung zu sorgen. "Was meinst du damit?", fragte sie, kratzte sich dabei hinter dem Öhrchen. So wirklich trug ihr Gegenüber auch nicht dazu bei, das Missverständnis aufzuklären. Die Fragezeichen um die Beiden herum wurden immer größer. Manchmal waren sie sich gar nicht so unähnlich. Zumindest in ihrer Verpeiltheit standen sie sich in nichts nach. "Nicht ...? Wieso hängst du einen Schal von einer anderen Person an meine Tür...?" Ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite, während sie ihn verwirrt anblinzelte. Nun hatte sie wirklich den Faden verloren. Ein großes Gähnen überkam ihre Lippen, wurde aber sogleich von ihrer Hand verdeckt. "Naja ... vielleicht hast du ja mal was Neues ausprobiert oder so." Blau war tatsächlich eine Farbe, die man an dem Falls eigentlich nie sah. Seine Kleidung besaß fast immer dunkle oder erdige Töne. Hin und wieder auch weiß. So auch heute. "Meiner?" Sie blickte hinab auf den Schal in ihrer Hand. Langsam und nachdenklich knetete sie das Material ein wenig durch. Hm, ja. "...stimmt." Jetzt, wo er es sagte, das war tatsächlich der Schal, den sie damals mit nach Stillsnow genommen hatte. Allerdings war sie ohne ihn zurückgekehrt. Natürlich hatte sie das, was in dem verschneiten Dörfchen passiert war, nicht vergessen. Sie hatte schlichtweg gedacht, dass dieser Schal ein Geschenk an Lian gewesen war. "Aber dann ist es ja trotzdem deinaaahh...." Sie musste erneut gähnen. Was hatte er denn gedacht, dass dieser Schal war? Dachte er, er hätte ihn versehentlich geklaut? Oder wollte er ihn etwa nicht? ... vielleicht sogar, weil er von ihr war? Ihre Ohren legten sich ein wenig zurück. "Wieso sollte ich ihn zurück wollen? Ich habe ihn dir doch geschenkt." Das machte doch keinen Sinn. Wer verschenkte etwas und wollte es dann zurück? "Wie kommst du denn auf sowas?" So wirklich konnte sie den Gedankengängen des Lockenkopfs noch immer nicht folgen. Übersah sie etwas? Sollte sie erklären, was ihr Standpunkt war? "Dir war damals kalt. Aber du hattest keinen Schal. Deswegen habe ich dir meinen gegeben. Als Geschenk weil ich befürchtet habe, dass du vielleicht gar keinen hast." Schließlich waren Schals nicht unbedingt etwas, das ein Wüstenbewohner benötigte. "Ich dachte du behälst ihn und ... naja, trägst ihn, falls dir mal wieder kalt ist." Und vielleicht dachte er dabei auch nur ganz kurz einmal an Rin. Doch das war gar nicht das wichtige dabei. Hauptsache er fror nicht nocheinmal. Die Hellhaarige zog die Ärmel ihres Cardigans nach vorne und rieb sich die trägen Äuglein. Ihre Augenlider waren noch immer schwer, wollten immer wieder zufallen. "Du warst da...?", wiederholte sie. "Tut mir Leid. Ich habe den ganzen Tag Kamele gesucht. Bin gerade eben erst zurück gekommen." Entschuldigend blickte sie ihr Gegenüber an. Hatte Lian tatsächlich zum ersten Mal versucht, sie zu besuchen und ausgerechnet dann war sie unterwegs gewesen? "Ich freue mich..." kicherte sie leise. Also, nicht darüber, dass sie ihn verpasst hatte, aber darüber, dass er es versucht hatte. Ihre Rute wedelte leicht. "Aber der Schal is echt deins." Sie trat an ihn heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und wickelte ihm den blauen Stoff - genau wie damals - um den Hals. Es war ein unerklärlicher Impuls gewesen, der sie dazu veranlasst hatte. Er hatte überhaupt keinen Grund, hier und jetzt zu frieren, aber irgendwie ... wollte sie es einfach tun. Also tat sie es. Vorsichtig zupfte sie ihn noch ein wenig zurecht, sodass er ordentlich saß. Vielleicht lag es daran, dass sie die Zeit damals in Stillsnow irgendwie ein wenig vermisste? Klar, es waren nicht nur schöne Dinge passiert ... aber die positiven Erinnerungen überwogen trotzdem. Sie gähnte. Wie sie ihr Zimmer geteilt hatten, das gemeinsame Frühstück, die Umarmung, wie sie zusammengearbeitet hatten. Damals war ihre Beziehung so viel simpler gewesen. Ob man diese Momente wohl nocheinmal zurückholen konnte? "...warte mal eben kurz ..." Mit eiligem Schritt war sie zurück zu ihrer eigenen Wohnung gelaufen und war in dieser verschwunden. In Windeseile hatte sie alle Decken und Kissen zusammengesammelt, die sie tragen konnte und machte sich nun bis obenhin vollbepackt zurück zu dem Falls. All die Sachen passten kaum in ihre Arme. Kissen quollen oben heraus und die Decken schleiften halb über den Boden. Ein Glück waren die Flure des Gildenturms stets sauber. "Da bwin iff fwieda." nuschelte sie durch mehrere lagen Stoff und Flausch. Kurz, bevor sie die Tür ihres Kollegen jedoch erreichte, trat sie versehentlich auf eine der Decken und so passierte das unvermeidbare: Elegant, wie sie war, geriet sie ins Stolpern und landete - Nase voraus - vor Lians Füßen. Immerhin fiel sie weich. Fast schon zu weich. Vielleicht konnte sie ja einfach hier liegen bleiben? Irgendwie war es ja doch gemütlich.... "Uwff...."
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Lian Thief in Distress
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Der Falls sah hinab auf die kleine Magierin und konnte sich das Schmunzeln einfach nicht verkneifen. Man konnte der Inuyama vom Gesicht ablesen, wie es in ihrem Hirn wild ratterte, wie sie den hellblauen Schal in ihren zierlichen Händen ganz genau musterte und versuchte, zu verstehen, was ihr vermittelt worden war. Es war genau diese Art, mit der sich die 19-Jährige schon damals nach und nach durch den harten Panzer von Lian Falls gekämpft hatte. Dieses süße, naive Auftreten, das direkt aus ihrem kleinen Herzen zu strahlen schien. Der jetzige Moment ließ den Illusionisten beinahe vergessen, was sie zuletzt miteinander durchgemacht hatten, es war wie ein warmer Sonnenstrahl, der die Schatten der Vergangenheit verdrängte. Wie sehr sich Lian wünschte, dass er diesen Augenblick noch länger hätte festhalten können. „Geschenkt?“, kam es ihm dann allerdings doch überrascht über die Lippen und er blinzelte verwundert. Moment. Sie hatte nie gesagt, dass dieser Schal ein Geschenk sein sollte, da war er sich absolut sicher. Vielmehr erinnerte er sich an ihren strengen Blick, nachdem sie ihm den Schal überreicht hatte und die Inbrunst, mit der sie verkündet hatte, dass das Kleidungsstück nur geliehen war. Irgendwie hatte Rin auch damals ziemlich knuffig ausgesehen, das konnte Lian nicht leugnen. Er schnaubte, gleichzeitig hoben sich seine Mundwinkel aber auch an. „Du hast nie gesagt, dass du ihn mir geschenkt hast!“, setzte er sich zur Wehr, um seine Handlungen zu verteidigen. Aber ehrlich gesagt… freute er sich auch darüber. Er wollte es nicht vor der jungen Frau zugeben, aber es war genau das gewesen, was er sich gewünscht hatte: Den Schal einfach behalten. In Erinnerung an die Geschehnisse in Stillsnow, an die er sich trotz aller Höhen und Tiefen bis heute gerne erinnerte. Rin hatte es damals geschafft, das erste Mal durch seine Schale zu brechen und Lian hatte Emotionen zugelassen, die er zuvor jahrelang irgendwo in sich selbst verschlossen hatte. Es war wie ein erster Befreiungsschlag für ihn gewesen. Er wollte noch etwas sagen, verstummte allerdings schlagartig, als die Canine auf ihn zutrat, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm den Schal einfach so um den Hals legte. Und da war es wieder: Ganz genau so wie damals in Stillsnow. Während die Hellhaarige den Schal noch zurechtzupfte, als wäre es das Normalste der Welt, war Lian vollkommen verstummt, sah mit riesigen Augen auf die Inuyama herab und wagte sich kaum zu atmen. Als könnte er irgendetwas falsch machen, das diesen Moment sofort wieder zerstörte. Ihm ging erst jetzt auf, dass es das erste Mal seit langer, sehr langer Zeit war, dass Rin ihm so nahe gekommen war… und er musste sich selbst eingestehen, dass er es wirklich vermisst hatte. Benommen betastete der 20-Jährige das Stück Stoff um seinen Hals, sah an sich selbst hinab… und schloss die Lider, während er einfach lächeln musste. „Danke, Rin“, sprach er aus und meinte es vollkommen ernst. Dieser Schal schien ihm nach einer ziemlich düsteren Zeit irgendwie Halt zu geben. Er öffnete die Augen wieder und wollte gerade auf die Sache mit den Kamelen eingehen – und darauf, dass Rin verdammt müde aussah – aber da unterbrach die junge Frau ihn auch schon wieder. Er sollte warten? „Was…“ Aber weiter kam der Falls überhaupt nicht. Mit wedelnder Rute lief sie davon und ließ den vollkommen verdutzten Lian einfach stehen. „Als wären wir zurück in die Vergangenheit gereist“, murmelte Lian und schüttelte für sich selbst sachte den Kopf. Und musste dann doch wieder leise lachen.
Lian hatte wie befohlen gewartet. Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er im Türrahmen seiner Wohnung und hatte die Augen zwischenzeitlich geschlossen, hier und da nochmal gedankenverloren nach dem Schal gegriffen, der ihm von der Hellhaarigen um den Hals gelegt worden war. Und dann hörte er… ja, was hörte er denn da? Der Falls blickte auf und sah nicht mehr als einen Haufen Kissen und Decken, die Beine bekommen hatten und durch den Gildenflur liefen. Und der Kissenhaufen konnte auch noch sprechen! „Rin?“, fragte der 20-Jährige überrascht, da passierte auch schon das Unglück: Die Inuyama blieb an einer der Decken hängen, geriet ins Straucheln und fiel – die Nase voran – direkt vor die Füße des verdutzten Falls. Der hatte sie noch auffangen wollen, war aber natürlich zu spät gewesen. Er starrte hinab auf das hellhaarige Fellknäuel, eingewickelt in Decken und Kissen, das da zu seinen Füßen lag und konnte einfach nicht anders, als lauthals zu lachen. „Rin! Dein Ernst?“ Er schüttelte den Kopf, aber das Lachen wollte einfach nicht abebben. Immer noch kichernd ging er in die Knie, direkt vor der Inuyama und musterte sie, dann wieder die Kissen und Decken. Und dann ging ihm ein Licht auf. „Du willst nicht ernsthaft die Pyjama-Party nachholen.“ Oh Gott, er erinnerte sich noch daran, wie begeistert die junge Frau diesen Vorschlag damals in Stillsnow gebracht hatte. Und wie Lian sie damals unglaublich schweren Herzens hatte vertrösten müssen, weil er leider keinen Pyjama zu der Quest mitgebracht hatte. Das hier nahm wirklich immer mehr den Charakter einer Zeitreise an. Vielleicht mochte es kurz so wirken, als würde der 20-Jährige ablehnen, denn er reagierte nicht sofort. Doch dann… hielt er Rin tatsächlich die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Und er lächelte. „In Ordnung. Aber ich habe leider immer noch keinen besonders guten Pyjama zu bieten. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“ Er zwinkerte amüsiert und griff mit der freien Hand bereits nach ein paar von Rins Kissen, um ihr zumindest einen Teil ihrer schweren Last abzunehmen.
Es waren Momente gefüllt von einer Wärme, die die Hundedame eigentlich gar nicht mehr von dem Falls gewohnt war. In letzter Zeit waren ihre Begegnungen meist gefüllt von Trauer und Frust gewesen. Doch heute war alles irgendwie anders. Heute stand der Lian vor ihr, der ihr Herz gestohlen hatte - der Lian, den sie noch immer am liebsten hatte. Wie er sich wunderte, als sie ihm erklärte, dass der Schal ein Geschenk gewesen war! Sie kicherte leise. "Jetzt habe ich es doch gesagt." Hatte sie ihm diese Tatsache wirklich verschwiegen? Sie war davon ausgegangen, dass sie es deutlich genug gemacht hatte, dass sie ihn nicht hatte zurück haben wollen ... da hatte sie sich wohl geirrt. Nun gab es aber wirklich keine Zweifel mehr! Sorgfältig wickelte sie ihm den weichen Stoff ein zweites Mal um den Hals, auch, wenn sie dieses Mal im Herzen der Wüste waren. Im Gegensatz zu Stillsnow stand dieses Mal jedoch nicht die Wärme des Schals, sondern die Wärme, die die Geste spendete, im Mittelpunkt. Zumindest für die Hellhaarige. Mit großen, kugelrunden Augen blickte der Falls sie an, sagte aber nichts. "Hm?" Leicht legte sie den Kopf schief, blinzelte ihn mit schläfrigen Äuglein an, gleichzeitig konnte sie sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. "Gerne, Lian." Die Spitze ihrer Rute zuckte zufrieden. Irgendwie war sie sehr glücklich, dass er den Schal annahm. Eigentlich hatte sie vor gehabt, nur kurz bei dem Wuschelkopf vorbeizuschauen, sich danach direkt in ihr Bett zu verziehen. Doch ganz so sollte der Abend wohl doch nicht verlaufen, denn bevor sie sich versah, hatte sie auch schon andere Pläne geschmiedet und war in ihr Zimmer geeilt, um all die Decken und Kissen zu holen, die ihre Arme halten konnten. Das vorfreudige Hüpfen ihres Herzens verleihte ihren Schritten wieder Energie. "Rin!", entgegnete sie fröhlich. Ja, sie war kein schwebendes Kuschelmonster! Das wäre jedoch auch ohne ihre Aussage klar geworden, denn bereits im nächsten Moment lag sie ihrem Kollegen zu Füßen. Anstatt ihr aufzuhelfen, begann dieser jedoch lauthals zu lachen. Und sie konnte es ihm nicht einmal übel nehmen, kicherte einfach mit. "Natürlich!" Sie schleppte sicherlich nicht aus Spaß all das hier an! Das war alles absolut notwendig! Sie wusste ja, dass Lian einfach nicht die nötige Ausrüstung besaß, um eine extra gemütliche Pyjamaparty zu veranstalten. Da musste sie eben ein bisschen was mitbringen. Er kam hinab auf ihre Augenhöhe, musterte sie und ihre Mitbringsel ausführlich. Ein wenig beschämt vergrub sie ihr Gesicht in einem der Kissen. Was schaute er denn so? "Viewweicht.", murrte sie. "Wär doch wustig..." Oder? Ja, es war eine kindliche Idee, doch wer sagte, dass es deswegen nicht trotzdem Spaß machen durfte? Vorsichtig hob sie wieder ihren Blick, linste ihm mit großen Hundeäuglein neugierig entgegen. Da konnte man doch nicht nein sagen ... außer man war wirklich, wirklich herzlos. Doch das war der Falls nicht. Einen Moment lang blickte sie ihn einfach nur an ... ehe er ihr schließlich die Hand reichte. Sofort zog sich ein zufriedenes Grinsen über das Gesicht der Hündin, sie zögerte keinen Moment, ehe sie die Hand griff, um sich auf die Füße ziehen zu lassen. "Yayy! Gute Entscheidung!", quietschte sie begeistert, "Aber nur noch dieses Mal! Wir müssen dir mal einen gescheiten besorgen." Tadelnd hob sie den Zeigefinger. Wusste er denn nicht, wie wichtig es war, zumindest einen coolen Pyjama zu besitzen? Genau für Fälle wie gerade jetzt! Sie schnappte sich die restlichen Kissen und Decken, ließ Lian dabei jedoch nicht los, zog ihn stattdessen hinter sich hinein in seine eigene Wohnung. Ihre Rute wackelte fröhlich vor sich hin. Sie konnte einfach noch nicht loslassen. Es war einfach zu lange her, dass sie ihn so nah bei sich hatte haben können. "Jetzt müssen wir nur gucken, wo wir unser Nachtlager aufschlagen!", erklärte sie, ließ ihren Blick dabei aufmerksam durch den Raum wandern. Hier lagen Bücher von Charon, dort irgendwelche Deko, die sie selbst angeschleppt hatte. In einer Zimmerecke hingen immer noch ein paar Fetzen der Sprüh-Spinnenweben, die sie irgendwann mal überall verteilt hatte. Seit ihrem allerersten Besuch hatte sich Lians Zimmer doch ein wenig verändert. Inzwischen wirkte es wie ein Ort, an dem wirklich gelebt wurde, fast schon wie ein richtiges Zuhause und nicht nur eine triste Bleibe. Sie lächelte. Ob der Wuschelkopf das wohl genauso sah? Schließlich marschierte sie hinüber zu dem Bett, ließ ihre Sachen daneben fallen. "Perfekt." Mitspracherecht? Das hatte der Falls gerade sicherlich keins, auch, wenn er es versuchen würde. "Der wichtigste Part: Das Einrichten. Du hilfst mit, ja?" Mit einem kurzen Blick auf seine Hand ließ sie diese los. "Du übernimmst die Decken, ich die Kissen, Arbeitsteilung und so!"
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Lian Thief in Distress
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Wie konnte man nur so… so… so süß sein? Ernsthaft, das war doch nicht mehr normal. Lian fühlte sich eiskalt manipuliert von den riesigen, hellblauen Hundeäuglein, die ihn flehentlich anblickten. Sie wusste doch ganz genau, was sie tat, nie im Leben sah sie ihn rein zufällig auf diese Art und Weise an. Und das Schlimmste daran? Es störte ihn nicht einmal, so offensichtlich von der Caninen gelenkt zu werden... Es war ein warmes Lächeln, das sich auf Lians Lippen zeigte, als er sich seinem Schicksal wehrlos ergab und seiner Freundin die Hand reichte, um ihr nach dem Sturz auf Decken und Kissen wieder auf die Füße zu helfen. Natürlich dauerte es keine Sekunde, bis Rin die dargebotene Hand angenommen hatte, aufgesprungen war und ihre Begeisterung quietschend kundtat. Sie hatte ihr Ziel erreicht, durchaus. „Ich gelobe natürlich Besserung“, entgegnete er dem gespielt tadelnden Tonfall der Caninen und zwinkerte. Ehe er noch weitere Dinge hätte ergänzen können, schnappte sich die 19-Jährige die restlichen Decken, die noch auf dem Boden gelegen hatten und sprang in die Wohnung, ohne dabei die Hand des Falls loszulassen. Dieser war überrascht von der Kraft, die in den zierlichen Ärmchen der jungen Frau schlummerte und wurde hinterhergerissen, sodass er nur gerade so eben die Wohnungstür hinter sich schließen konnte. Ja, dieser Abend hatte eine unerwartete Wendung genommen – aber es war eine Wendung, über die sich Lian ziemlich freute, wenn er ehrlich zu sich selbst war.
Anstatt sofort das Bett anzusteuern, um die vielen Decken und Kissen loszuwerden, blieb Rin inmitten der Wohnung stehen und sah sich aufmerksam um. Lian folgte ihrem Blick… und brauchte tatsächlich ein paar Sekunden, um zu begreifen, was genau die Inuyama eigentlich erblickte. Der Lockenkopf hatte sich bereits so sehr an die verschiedenen Dinge in dieser Wohnung gewöhnt, die eigentlich gar nicht von ihm stammten, dass sie ihm… nunja, überhaupt nicht mehr richtig aufgefallen waren. Aber jetzt war das anders. Auch der 20-Jährige sah sich das erste Mal bewusst in diesem Raum um und nahm die Bücher von Charon wahr, die hier und dort auf dem Boden gestapelt waren und über die der Braunhaarige bereits das eine oder andere Mal fluchend gestolpert war. Er erkannte die Überreste der Spinnenweben, die Rin damals zu Halloween an der Decke verteilt hatte. Auch an seiner Wohnungstür waren noch immer Spuren von dem Überfall Karmas auszumachen, tiefe Kerben waren am Kopfende seines Bettes zu erkennen, man konnte auch sehen, dass das Fenster dieser Wohnung zwischenzeitlich ausgetauscht worden sein musste. In dieser Wohnung waren wirklich allerlei Dinge geschehen. Dinge, die diesem Ort so viel mehr Charakter verliehen hatten, als Lian es je vorgehabt hatte, als er vor rund zwei Jahren gezwungenermaßen der Gilde Crimson Sphynx beigetreten war. Es war… wie ein Zuhause. Ein bisschen so wie das Versteck der Wüstenfüchse es einst für ihn gewesen war? Kurz dachte Lian an Evie... und auch an seinen Freund Levi.
Rins entschlossene Schritte in Richtung Bett ließen Lian zurück in die Gegenwart kehren und er wandte sich in ihre Richtung. „Das Einrichten?“, fragte er nochmal nach, unsicher, was genau die junge Frau damit meinte. Denn ehrlich gesagt hatte der Falls auffallend wenig Erfahrung mit Übernachtungspartys unter Freunden. Was genau gab es da denn einzurichten? Er trat vorsichtig näher, betrachtete den Haufen an Decken und Kissen, die Rin auf den Boden geworfen hatte, sah dann zu seinem eigenen Bettzeug. Im Hirn des jungen Mannes ratterte es und dann… ja, ihm fiel etwas ein. Die hellgrünen Augen sahen zu den Stühlen, die ebenso in der Wohnung zu finden waren, dann wieder zu den Decken. Okay, Lian fühlte sich viel zu alt für so etwas. Aber dann musterten die hellgrünen Augen aufmerksam die Inuyama, die direkt neben ihm stand und irgendwie war er sich sicher, dass sie von der Idee absolut begeistert wäre. Es sieht ja keiner, dachte sich der 20-Jährige, beinahe so, als wolle er sich selbst Mut zusprechen, sich hier nicht zu blamieren. Vielleicht hatte er ja sogar selbst ein bisschen Lust darauf? Wann sonst würde sich noch einmal eine solche Gelegenheit ergeben? Dem Falls fiel auf Anhieb zumindest niemand in seinem Bekanntenkreis ein, mit dem er eine so kindische Idee hätte umsetzen können. Er packte die Gelegenheit also am Schopfe: „Wir könnten ein Fort bauen“ Die Mundwinkel hoben sich immer weiter an, je mehr Lian darüber nachdachte. Noch bevor die Inuyama hierüber ein abschließendes Urteil hätte fällen können, schnappte sich der Falls bereits zwei der Stühle und brachte sie in Position. Während er eine der Decken über die Stühle warf und mithilfe von Charons Büchern beschwerte, wanderte sein Blick sich noch einmal zu der Caninen. Bei der ganzen Energie, die sie versprüht hatte, hätte er beinahe vergessen, wie müde und erschöpft sie doch aussah. Was hatte sie noch gleich erzählt? „Du warst vorhin nicht Zuhause, weil du Kamele gesucht hast?“, sprach Lian seine Gedanken aus, auch um keine allzu lange Stille zwischen ihnen aufkommen zu lassen. Er genoss diese gelöste Stimmung, die er schon viel zu lange nicht mehr mit seiner Freundin hatte teilen können - er wollte sie nicht wieder verlieren. „Sag bloß, es waren Laylas Kamele? Und ich hoffe, du warst bei der Suche zumindest erfolgreich?“ Wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht, ehe Lian sich daran machte, die Decken auch auf der Seite des Bettes mithilfe von Charons Büchern zu beschweren. Das würde mit Sicherheit das beste Fort werden, das Rin je gesehen hatte!
Große, blaue Seelenspiegel starrten den Falls entgeistert an. Hundeohren zuckten, als wären sie sich nicht ganz sicher, ob sie das gerade wirklich gehört hatten. "Ein Fort...?", wiederholte Rin, obwohl sie sich eigentlich sicher war, dass sie sich nicht geirrt hatte. Ja, es war wirklich so, denn bevor sie überhaupt ihre Zustimmung geben konnte, hatte Lian bereits mit dem Aufbau begonnen. Die Rute der Canine begann zunehmend hektischer zu wedeln, ehe sie mit ordentlich Schwung auf das Bett hüpfte und begann, die Decke so zurechtzuziehen, dass ihr Freund darauf die Bücher ablegen konnte. "Perfekt~", trällerte sie sichtlich begeistert, "Das ist die beste Idee, die du je gehabt hast!" Niemals hätte sie damit gerechnet, dass der Wuschelkopf sich zu solchen Spielereien überreden ließ oder sie sogar selbst vorschlug! Doch sie hatte nichts dagegen, im Gegenteil. Wer hätte gedacht, dass in ihm solch eine verspielte Seite steckte? Rin selbst ging damit ziemlich offen um - konnte es aber auch verstecken, wenn die Situation es verlangte -, doch der eher verschlossene, zurückhaltende Braunschopf ließ nur selten durchschimmern, dass er überhaupt ab und an Spaß hatte. Umso wichtiger war es für sie, dass er nun so enthusiastisch die Initiative ergriff. Oftmals war sie es, die Ideen lieferte und ihn am Handgelenk packte, um ihn mitzuziehen, doch heute war es umgekehrt. Eine mehr als willkommene Abwechslung. Nachdem ihre Hände beim Dächerbau nicht mehr benötigt wurde und Lian diese wichtige Aufgabe eigenständig fortführte, krabbelte sie vorsichtig am Kopfende zurück, um das entstehende Meisterwerk nicht direkt wieder einzureißen. "Huch, was ist denn hier passiert?" Sie rutschte auf den Boden hinab, ihr Kopf blieb jedoch - in den Nacken gelegt - noch auf der Matratze. "Erst das kaputte Fenster und jetzt schau dir dein Bett an, das ist ja total zerkratzt. Hast du versucht, hier einen Wolf zu zähmen oder was?" Sie kicherte und schüttelte amüsiert den Kopf. So weit entfernt von der Wahrheit war sie mit dieser Frage gar nicht, doch das konnte sie nicht wissen. Eine Antwort erwartete sie auch überhaupt nicht, viel mehr wollte sie ihn einfach ein wenig aufziehen. Jetzt aber zurück zu den wichtigen Dingen: Ein ordentliches Fort wollte auch eine ordentliche Einrichtung. "Ja, genau. Irgendein Idiot hat wohl über Nacht das Gatter geöffnet und so sind die alle rausspaziert." Sie schnappte sich einige der übrigen Decken und breitete diese übereinander auf dem Boden aus, um einen gemütlichen Untergrund zu schaffen. "Oh doch, es waren Laylas. Sie hat mich sogar wiedererkannt.", kicherte sie, "Und sie meinte, ich soll dir schöne Grüße ausrichten. Du sollst dich mal wieder Blicken lassen." Einige größere Kissen wurden daraufhin vor dem Eingang deponiert, um diesen zu schmälern. In eine richtige Festung konnte man schließlich auch nicht einfach hineinspazieren! "Selbstverständlich. Meiner Spürnase entkommt kein Kamel." Den strengen Eigengeruch der Trampeltiere konnte man in einer sonst eher leblosen Wüste kaum überschnüffeln. Außerdem konnte sie es sich wirklich nicht erlauben, ein bekanntes Gesicht zu enttäuschen. "Aber einige von denen sind echt weit gekommen." Der Rest wurde am Bettrahmen und den Stuhlbeinen entlang verteilt, um diese auszupolstern. Harte Ecken und Kanten verboten! Hier und da schob sie noch einige Kissen an andere Stellen, tauschte aus und korrigierte, bis schließlich alles - zumindest in ihren Augen - perfekt ausgeplüscht war. Mit einem kräftigen Nicken bestätigte sie ihre Entscheidung, ehe sie sich auf den Bauch fallen ließ und den Kopf aus dem Eingang streckte. "Wie sieht's draußen aus?" Sie stützte ihr Kinn auf ihre Handflächen und linste neugierig um sich herum. Es schien, als hätte sich der Falls wirklich riesige Mühe gegeben. Vor lauter Freude machte ihr Herz einen großen Satz. "Oooh, das ist dir echt gelungen!" Ihre Rute wedelte aufgeregt, streifte dabei an einer tiefer hängenden Decke entlang. "Ups." Damit sollte sie wohl für den Rest des Abends eher aufpassen. Einen Moment lang grübelte die junge Frau. Brauchten sie sonst noch irgendwas? Hmm ... "Oh, ein Passwort!" Irgendwie mussten sie schließlich für Sicherheit in ihrem Fort sorgen, sodass keine ungebetenen Gäste eindringen konnten. Davon gab es in diesem Raum zwar keine, aber es ging um das Prinzip. Sie legte den Kopf schief. Aber was für eins? Sie musste nicht lange nachdenken, da zog sich ein freches Grinsen über ihr Gesicht. "Das Passwort ist 'Rin ist die Beste'. Das musst du jetzt immer sagen, wenn du rein willst. Ohne Passwort kein Einlass." Das war zwar ein wenig fies, aber auch die Hundedame hatte ihre kecke Seite. "Und Versorgung solltest du lieber auch mitbringen. Schließlich soll die Burgdame etwas davon haben, dich herein zu lassen." Ob er überhaupt etwas da hatte? So wie sie ihn kannte, würde es sie nicht wundern, wenn er das nicht tat. Gleichzeitig wollte sie ihm aber auch zutrauen, wenigstens ein paar Snacks zu haben. Der Gedanke, ihren neuen, kuscheligen Bunker verlassen zu müssen, um noch einmal zurück zu ihrer eigenen Wohnung zu eilen, gefiel ihr eher weniger. Ihre Aufmerksamkeit wanderte hinüber zu den Küchenschränken ihres Kollegen und ihre Augen schmälerten sich. "Sag mal, hast du immer noch ein ganzes Regal voll Alkoholflaschen?" Sie lachte. "Oder hast du inzwischen auch andere Getränke?"
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Lian Thief in Distress
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Erst in dem Moment, als ihn die riesigen Augen der Inuyama fassungslos anstarrten, ging Lian auf, was er vorgeschlagen hatte. Von sich aus. Ohne Fremdeinwirkung. Oh Gott, was war nur in ihn gefahren?! „Ja…“, erwiderte er, beinahe kleinlaut und zuckte zusammen, als Rin nach dem ersten Schockmoment auf sein Bett sprang und freudig verkündete, dass das die beste Idee wäre, die er je gehabt hatte. War es das? Lian bezweifelte es, aber er konnte nicht bestreiten, dass die gute Laune seiner Freundin ansteckend war. Die Mundwinkel des jungen Mannes hoben sich zu einem gut sichtbaren Grinsen an, ehe er sich die Bettdecke schnappte und damit begann, das angekündigte Fort Stein für Stein… oder eher Kissen für Kissen zu errichten. Er war so vertieft in die Aufgabe, dass er überhaupt nicht bemerkte, was genau die Canine in der Zwischenzeit tat. Oder auch, wo sie sich befand, weshalb er ihre Worte in der ersten Sekunde auch überhaupt nicht verstand. „Hm?“, gab er fragend von sich und erhob sich aus der Hocke, eines der vielen Kissen in den Händen haltend. Nur ein Wort drang noch bis in sein Hirn durch – Wolf. Lian gefror inmitten seiner Bewegung und starrte erst zu Rin, dann zum Kopfende seines Bettes… und dann wieder zu Rin. Die Kratzspuren – die hatte er mittlerweile schon gänzlich vergessen gehabt. Ob er versucht hätte, einen Wolf zu zähmen? Von zähmen kann kaum die Rede sein… war die Erwiderung, die der verräterischen Zunge des jungen Mannes beinahe entkommen wäre, aber er biss so fest darauf, dass es schmerzte. Es war höchstens seiner dunklen Hautfarbe, kombiniert von der Unaufmerksamkeit der Inuyama geschuldet, dass ihr entging, wie Lian bis in die Haarwurzel errötete und er schnell wieder in die Hocke ging, um dem direkten Blickkontakt mit seiner Freundin zu entgehen. Er dachte noch darüber nach, wie er ausgerechnet der Inuyama die Kratzspuren am Bett erklären sollte, da wechselte die junge Frau das Thema. Lian sandte ein Stoßgebet gen Himmel, räusperte sich und besann sich wieder. Kamele. Layla. Ja, das waren doch gute Themen! Viel besser als die Sache mit den Kratzspuren, die Rin hoffentlich schnell wieder vergaß. „Warum überrascht es mich nicht, dass sie das gesagt hat?“ Das hatte sie früher schon immer getan. Lian glaubte, dass es nur daran lag, dass er ihr früher manchmal beim Kamelverleih ausgeholfen hatte, wenn er sonst nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen gewusst hatte. Aber grundsätzlich mochte er Layla und die Tiere durchaus, weshalb der Falls mit den Schultern zuckte. „Ich schau, dass ich demnächst mal wieder bei ihr vorbeischaue. Und dann halte ich ihr eine Predigt, dass sie besser auf ihre Tiere aufpassen soll. Kann ja nicht sein, dass wegen ihrer Unachtsamkeit eine Rin Inuyama bis zum Umfallen schuften muss“, tadelte er die nicht anwesende Layla und lachte im gleichen Atemzug leise. Er wusste, dass Layla sich ganz hervorragend um ihre Kamele kümmerte und es ein absoluter Ausnahmefall gewesen sein musste, dass sie Magier hatte beauftragen müssen, um die Tiere wieder einzusammeln. Daher meinte er die Worte nur halb ernst. „Gut, dass du mit deiner Spürnase aushelfen konntest“, ergänzte er schlussendlich noch, wobei er Rin schon gar nicht mehr sehen konnte. Sie hatte sich inzwischen in das Innere ihres kuscheligen Forts verkrochen. Erst als das Köpfchen der jungen Frau aus dem Eingang herauslugte, trafen sich die Blicke der beiden Magier erneut. „Alle Kissen sind in Position gebracht, Madame.“ Und um den spielerischen Tonfall zu ergänzen, deutete der Falls vor der Burgherrin einen Diener an. Tatsächlich merkte auch Lian, wie er sich in dieses kleine Spiel zunehmend hineinsteigerte… aber er unternahm auch nichts dagegen, sondern ließ es vielmehr zu. Er blinzelte, als er das Passwort hörte, das seine Freundin vorschlug. Die rechte Augenbraue wanderte prompt skeptisch nach oben. „Was für ein vollkommen uneigennütziges Passwort“, erwiderte er ironisch und schüttelte im gleichen Atemzug den Kopf. Er folgte ihrem Blick in Richtung Küchenzeile und kratzte sich am Hinterkopf. Auch das mit den Alkoholflaschen bei dem letzten Besuch seiner Freundin hatte er schon wieder verdrängt. Es war nicht so, dass der junge Mann nicht durchaus das eine oder andere alkoholische Getränk in diesen Räumlichkeiten bunkerte – aber die Menge von damals war doch mehr ein Versehen gewesen. Ihm ging auf, dass Rin wohlmöglich wirklich glaubte, dass er ein Alkoholproblem hätte. Sollte er das bei Gelegenheit nochmal richtigstellen? „Ich schaue, was sich finden lässt“, ließ er die Canine wissen, ehe diese wieder ins Innere des Forts verschwunden war. Lian schmunzelte und trat auf seine Küchenzeile zu.
Die Suche kostete einige Minuten, denn auf Besuch war die Sphynx nicht vorbereitet gewesen. Lian fand in den hintersten Ecken seiner Schränke noch ein paar gesalzene und ungesalzene Erdnüsse, Kürbiskerne und sogar ein paar Kartoffelchips. Er hätte zwar gehofft, auch noch ein paar Kekse zu finden – er vermutete, dass Rin vor allem auf Süßigkeiten aus gewesen war – aber hiermit konnte er leider nicht dienen. Den Schrank mit alkoholischen Getränken ließ er lieber geschlossen und kam stattdessen mit zwei Bechern und frisch gekühltem Fruchttee aus seinem Kühlschrank zurück zum Fort. Obwohl Lian seine ganze Konzentration aufbringen musste, um die verschiedenen Utensilien auf seinen Armen zu balancieren, machte Rin sich nicht einmal die Mühe, aus dem Kuschelberg hervorzukommen und zu helfen. Irgendwie verwunderte es den 20-Jährigen nicht. Er wollte bereits in das Fort klettern, da fiel ihm auf, dass Rin den Eingang mit einem besonders großen Kissen blockiert hatte. „Pff.“ Sie machte wirklich ernst, oder? Ihn schleppen lassen und dann auch noch den Zugang zum Fort verwehren. „Wie war das Passwort nochmal? Rin ist die Dreisteste?“ Der Falls grinste, als er einen empörten Laut aus dem Inneren des Kissenberges vernahm, das man auch seiner Stimme problemlos anhören konnte, als er korrigierte: „Ach nein. Rin ist natürlich die Beste.“ Wie von Zauberhand verschwand das Kissen vom Eingang und Lian glaubte, ein spitzbübisches Grinsen aufblitzen zu sehen, das sich allerdings sofort wieder in das Innere des Forts zurückzog. Er schnaubte und folgte widerstandslos.
Der junge Mann musste den Kopf einziehen, um ihr Konstrukt nicht gleich wieder einzureißen und natürlich war es im Inneren ziemlich eng – gerade für zwei voll ausgewachsene Menschen, die sich hineinquetschten. Vielleicht hatte es ja doch einen Grund, warum es eigentlich Kinder waren, die sich zu solchen Albereien hinreißen ließen? Ein wenig umständlich drapierte der Bogenschütze die Knabbereien, die er zusammengesucht hatte, in der Mitte des Forts, genauso wie die Becher und das kühle Getränk. Erst danach zog Lian sich selbst in den Schneidersitz zurück, legte die Hände ungewohnt brav im Schoß ab und sah sich vorsichtig um – immer noch aus Sorge, dass eine unbedachte Bewegung die Decke über ihren Köpfen zum Einsturz bringen könnte. Rin ging im Vergleich mit ihm deutlich weniger vorsichtig um. Entweder ihr Vertrauen in dieses Fort war größer… oder sie machte sich einfach weniger Gedanken über mögliche Konsequenzen. Lians Bauchgefühl vermutete Zweiteres. Während die Canine die Snacks begutachtete, schweifte der musternde Blick des Illusionisten über die Hellhaarige. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den blauen Schal, den er von Rin geschenkt bekommen hatte, immer noch trug. Mit der Rechten umfasste er den weichen Stoff, sah an sich selbst hinab und der zuvor noch so gelöste Ausdruck in seinem Gesicht trübte sich ein wenig. Lian genoss es, hier zusammen mit der Caninen zu sitzen, versteckt in dem Fort, das sie gemeinsam gebaut hatten. Als wäre es ein Schutz vor der gesamten Außenwelt. Lian hatte sich auf dieses Spiel eingelassen, hatte sich vielleicht auch eine Auszeit von sich selbst genommen. Aber… er hatte es nicht vergessen. Rin, die ihn mit tränenreichen Augen angesehen hatte. Rownans Vorwürfe. Oder Gins Worte – dass sie ihn mehr fürchtete und hasste als Orwynn Zerox. Noch immer in Gedanken versunken, bewegte sich der Mund des Braunhaarigen schneller, als dass er es hätte verhindern können: „Für was für einen Menschen hältst du mich, Rin?“
Ja, Rin hatte tatsächlich fast bis zum Umfallen geschuftet, um die entlaufenen Kamele zurück nach Hause zu bringen, doch es war eine Arbeit gewesen, die sich wirklich ausgezahlt hatte. Zum Einen waren die Tiere brav mit ihr zurück gekommen, nachdem sie sie gefunden hatte, zum Anderen war es einfach zu süß zu sehen, wie sie erkannten, dass sie wieder bei Layla waren. "Sei doch nicht so gemein. Sie hatte bestimmt ganz schön Angst um ihre Kamele", kicherte sie, schüttelte dabei den Kopf, "Ich hatte schon schlimmere Aufträge. Layla würde ich jederzeit wieder helfen!" Nun hatten sie aber wirklich genug von Arbeit geredet! Es war Zeit, sich so richtig in ihre aktuelle Aufgabe zu vertiefen, schließlich wollten sie ja noch fertig werden, bevor die Müdigkeit die Inuyama doch noch einholte! Mit größter Sorgfalt kümmerte sie sich also um die Inneneinrichtung, während Lian sich weiterhin darum kümmerte, die Außenwände möglichst stabil und sicher zu gestalten. Das war schließlich essentiell für ein uneroberbares Fort! Genauso wichtig war jedoch, dass man sich im Inneren dann auch wohl fühlte, weshalb die Hundedame keinerlei Abstriche machte. Ähnlich ging es wohl auch dem Falls, denn als sie ihren Kopf aus dem Eingang steckte, war ihr sofort klar, dass er sich wirklich Mühe gegeben hatte. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er nur selten sein Ganzes in etwas steckte, doch dieses Mal war anders. Konnte es etwa sein ... dass er Spaß daran hatte? Bevor der Baumeister jedoch sein eigenes Meisterwerk betreten durfte, musste noch Bestechung für die Burgherrin her. Während er diese besorgte, zog sich Rin schon wieder zurück und verbarrikadierte den Eingang. Man musste schließlich auf Nummer sicher gehen, es gab schließlich auch fiese Diebe, die eine wunderschöne Burgdame wie die Inuyama sofort klauen würden! Zu ihrer Sicherheit diente auch das Passwort, dass sie sofort forderte, als Lian versuchte, hereinzukommen. "Pah! Falsch!", schnaubte sie und bließ die Wangen auf. Sie war doch nicht dreist! Nur vorsichtig! "Einen Versuch hast du noch, sonst gibt es keinen Zugang!" Da kannte sie wirklich keine Gnade. Zu seinem Glück legte es der Wuschelkopf es aber gar nicht erst darauf an und sprach dieses Mal den richtigen Satz. "Ding, Ding! Korrekt!" Schon war die Barrikade fort und er erhielt Einlass. Sie robbte beiseite und während er noch damit kämpfte, sich selbst und seine Mitbringsel irgendwie unter das Deckengebilde zu buchsieren, machte sie es sich bereits ordentlich gemütlich. Ähnlich wie ihre vierbeinigen Verwandten ließ sie sich einfach auf die Seite fallen, streckte dabei alle Viere entspannt von sich. Mit ihren Fingern erreichte sie dabei gerade noch die Chipstüte, die sie wie ein gieriges Eichhörnchen zu sich zog. Eine große Packung Gummibärchen oder sogar Kekse waren ihr zwar deutlich lieber, aber Chips waren auch nicht schlecht, solange sie nicht super scharf waren! Mit den Zähnen riss sie die Tüte auf, ehe ihre Pfote auch schon darin verschwunden war und sich die ersten Snacks herausangelte. Jetzt gab es nur noch ein Problem: Im Liegen konnte sie nichts trinken... Mit einem widerwilligen Seufzen setzte sie sich also nun doch wieder auf, behielt die Tüte aber in ihrem Schoß. Wenn Lian etwas abhaben wollte, dann musste er es schon sagen! "Hier, für dich." Mit einem Lächeln streckte sie ihm einen bis zum Rand gefüllten Becher entgegen, ehe sie ihren eigenen befüllte und direkt einen herzhaften Schluck nahm. "Mhh, das ist ja echt gut", murmelte sie und kippte den Rest direkt noch hinterher, ehe sie neu auffüllte. Sie war sich nicht ganz sicher, was genau das eigentlich war, aber es schmeckte süß und erfrischend - genau das, was sie am liebsten mochte. Da war zwar noch ein leichter, bitterer Nachgeschmack, doch dieser war unauffällig genug, um ihn einfach zu ignorieren. "Hm, was meinst du?" Die hellen Äuglein der Canine blinzelten ihrem Gegenüber überrascht entgegen. Dieser sah plötzlich nicht mehr so fröhlich aus, wie noch wenige Minuten zuvor. Besorgt legte sie die Ohren zurück. Wie kam er bloß so plötzlich auf diese Frage? War die Antwort nicht offensichtlich? Sie sah hinab auf ihren Becher, während sie überlegte, wie sie ihre Gefühle für den Falls in Worte fassen konnte. Je länger sie allerdings darüber nachdachte, desto roter wurden ihre Wangen. "Ähhh-" Den Becher drehte sie zwischen ihren Fingern immer wieder hin und her, ehe sie noch einen Schluck nahm. Wer trank, der konnte in diesem Moment nichts falsches sagen. "Ich halte dich für einen wirklich guten Menschen." Das war die oberflächlichste Antwort, die sie sich ausdenken konnte. Doch das würde ihn sicherlich nicht zufriedenstellen. Garantiert würde er fragen, wieso sie das dachte. Vor allem nach all den Dingen, die zwischen ihnen passiert waren. Doch auch, wenn er ihr das Herz gebrochen hatte, änderte das nichts daran, dass sie die guten Seiten des Wuschelkopfes sah. Diese verschwanden schließlich nicht einfach. "Du ... naja, weißt du, du bist ehrlich. Du warst einer der ersten, die mich nicht in Watte packen wollten, nur weil ich so aussehe, wie ich es eben tue." Sie blickte an sich hinab. Klein, schwach, hilflos und niedlich, wie ein Schoßhündchen. Das war es doch, was die meisten von ihr dachten, oder nicht? Doch Lian hatte ihr nie das Gefühl gegeben, dass er das in ihr sah. "Das bedeutet mir wirklich viel. Und auch, wenn du dich nicht so benimmst, fühle ich mich sicher in deiner Gegenwart." Warum? Das wusste sie selbst nicht. "Du gibst mir das Gefühl, dass ich in deiner Gegenwart so sein kann, wie ich bin ..." Bevor sie sich versah, hatte sie begonnen, zu reden, einfach auszuplaudern, was ihr in den Sinn kam. Das war eigentlich keine Seltenheit bei der Inuyama, doch gerade wenn es um ihre Gefühle für den Braunhaarigen ging, war sie eigentlich lieber still. "Ich finde du bist stark, clever und wirklich zuverlässig." Vorsichtig schielte sie zur Seite um zu sehen, wie er auf ihre Worte reagierte. Komischerweise drehte sich dabei alles ein wenig. Was war das denn? "Aber weißt du, was ich auch glaube, Lian?" Vorsichtig rückte sie näher an ihn heran, so nah, dass ihre Schultern sich berührten. Leicht lehnte sie ihren Kopf noch zur Seite, sodass sie ihm ins Ohr flüstern konnte: "Ich glaube, dass du dir manchmal selbst im Weg stehst." Und damit schadete er nicht nur sich selbst, sondern auch immer wieder der Inuyama. "Und weißt du nochwas? Das finde ich echt schade, weil ich möchte, dassdu sssooooo riiiichtig glücklich wirst." Was für eine doofe Aussage, dafür würde er sie sicher auslachen. Doch das konnte er schlecht, wenn sie sich zuvor schon selbst auslachte. "Ich... ich weiß ja auch nicht... aber, naja." Mit einem weiteren, großen Schluck leerte sie ihren Becher und stellte ihn beiseite. Ihre Zunge hatte sich schon lange nicht mehr so locker und leicht angefühlt wie heute. Das lag bestimmt an der Sicherheit, die ihr Fort bot! "Ach, weißt du?" Lachend schüttelte sie den Kopf. "Du machst mich einfach glücklich. Deswegen glaube ich, dasssu ein guter Mensch bist. Und deswegen will ich, dassdu auch glücklich wirst." Sie drehte sich zu dem Falls, sah ihn kurz direkt an, ehe sie den Kopf schüttelte. Ein großer Fehler, denn obwohl sie saß, bekam sie das Gefühl, sie würde gleich umfallen. Reflexartig schlang sie ihre Arme um ihn, sodass sie nicht wirklich noch umkippte. "Huch, was war das denn eben?"
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Lian Thief in Distress
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Oha. Der bis an den Rand gefüllte Becher erschien so plötzlich in Lians Sichtfeld, dass er Mühe hatte, beim Entgegennehmen nichts zu verschütten. Gerade auf den weißen Decken und Kissen hätte sich ein roter Fleck alles andere als gut gemacht, ganz abgesehen davon, ob er mithilfe einer Wäsche überhaupt wieder aus dem hellen Stoff herausgegangen wäre. Die Frage, die der Falls seiner Freundin stellte, war ihm viel zu schnell und unüberlegt über die Lippen gehuscht. Kaum hatte Lian verstanden, was er da gesagt hatte, starrte er genauso sprachlos wie die Canine in die hellblauen Äuglein. Sie waren beide gleichermaßen verdutzt… und dann umgriff der 20-Jährige den Becher in seinen Händen fester, auf der Suche nach dem notwendigen Halt, riss sich vom entsetzten Gesichtsausdruck seiner Freundin los und stierte stattdessen in die rote Flüssigkeit vor ihm. Warum hatte er das gesagt? War er vollkommen bescheuert? Was war da nur über ihn gekommen? Die Stille, die sich zwischen beiden Magiern ausbreitete, war kaum auszuhalten. Um die Zeit zu überbrücken, trank Lian, war gedanklich allerdings vielmehr mit seinen eigenen Sorgen und Unsicherheiten beschäftigt, als dass er den Geschmack des Früchtetees zu schätzen wusste. Zumindest glaubte Lian wirklich, dass es gekühlter Früchtetee war, den er und Rin hier zu sich nahmen. Dass er die Flasche mit der ebenso süßlichen Fruchtbowle verwechselt hatte sprach nicht gerade für die Behauptung, der Falls hätte kein Problem mit Alkohol. Aber im Moment hatte Lian beim besten Willen keine Kapazitäten übrig, um sich hierüber Gedanken zu machen, denn sein Kopf kreiste um die Frage, die er Rin gestellt hatte und die bisher noch nicht beantwortet worden war. Erst als der 20-Jährige sein Getränk geleert hatte, stand sein Entschluss fest: Er musste es zurücknehmen. Lachen, abwinken und das alles nur als schlechten Witz abtun. Aber Rin… sie kam ihm zuvor.
"Ich halte dich für einen wirklich guten Menschen."
Ja, es war eine ziemlich oberflächliche Antwort und Lian zweifelte, ob die Hellhaarige meinte, was sie sagte – denn er hatte sich in der Vergangenheit ihr gegenüber nicht gerade als guter Mensch verhalten. Ob sie das nur sagte, weil sie gar keine andere Möglichkeit hatte? Weil der Falls ihr irgendwie die Pistole auf die Brust gelegt hatte? Dabei hatte er das wirklich nicht gewollt… es war ihm einfach nur herausgerutscht. Lian schenkte sich selbst nach, eher um Zeit zu schinden und ein wenig nachzudenken. Nein, er würde nicht weiter nachbohren, sondern es bei der Antwort belassen. Das war für beide Seiten die beste Lösung. Aber die Inuyama wäre nicht sie selbst, wenn sie es einfach darauf hätte beruhen lassen und… so sprach sie weiter. Davon, dass Lian ehrlich wäre. Ehrlich?, dachte sich der 20-Jährige, während er am Tee nippte und überall hinsah, nur nicht zu Rin. Also bitte, ehrlich war er nun wirklich nicht! Das, was Lian zuerst nicht für voll nehmen konnte, nahm allerdings doch noch Form an, je mehr die junge Frau äußerte. Es stimmte durchaus: Lian hatte nie vorgehabt, Rin in Watte zu packen, nur weil sie so aussah, wie sie aussah. Tatsächlich… hatte er sich gerade zu Beginn ihres Kennenlernens ziemlich abweisend ihr gegenüber verhalten, sie versucht auf Abstand zu halten und auch, wenn er oft genug darüber nachgedacht hatte, wie knuffig sich Rin verhalten konnte, so war das nie ein ausschlaggebender Punkt für Lian gewesen, um Zeit mit ihr verbringen zu wollen. Er mochte die Gesellschaft der Hellhaarigen, genoss es, Zeit mit ihr zu verbringen. Ihre Art tat ihm einfach gut. Und er hatte sich schon… naja, weiterentwickelt, seit sie sich kennengelernt hatten. Das war der Grund, warum er die Inuyama nicht verlieren wollte, warum er sie als besondere Freundin sah. Lian löste sich von seinem Getränk, sah stattdessen zu der 19-Jährigen, die ihn als… stark, clever und zuverlässig bezeichnete. Und sie meinte, was sie sagte, das konnte man ihren hellblauen Seelenspiegeln allzu deutlich ansehen. Ihre Worte gingen ihm nahe – vielleicht sogar etwas zu nahe. „Rin, du…“ Lian konnte den Satz nicht beenden, denn plötzlich rückte sie näher, ihre Schultern berührten sich und Lian schnappte nach Luft in dem stickigen Fort, als sie ihm plötzlich ins Ohr hauchte. Das hatte er bei der jungen Frau wirklich noch nicht erlebt. Natürlich konnte der Falls nichts dagegen tun, dass die unerwartete Nähe und das Flüstern ihn irgendwie ein wenig erstarren ließen. Wieder einmal flüchtete er sich in seinen Tee, um sich das nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Wäre Lian gedanklich nur ein bisschen mehr bei diesem vermaledeiten Getränk gewesen, hätte er das Unheil, das sich hier anbahnte, vielleicht früher erkannt und gegensteuern können. Vielleicht wäre ihm auch bewusst geworden, dass er deutlich an Anspannung aufgrund des Körperkontaktes verlor, je mehr Schlucke er sich genehmigte. Als er die genuschelten Worte der jungen Frau hörte, fand der Braunhaarige das sogar so lustig, dass er herzhaft auflachen musste. Lian schob es auf die Müdigkeit der Inuyama, immerhin war sie genauso bereits vor seiner Wohnung aufgekreuzt. Nicht unwahrscheinlich, dass die Müdigkeit sich nun erneut bemerkbar machte, oder? „Sssooooo riiiichtig glücklich, ja?“, versuchte er den Tonfall der Caninen nachzuahmen und grinste breit. Er schüttelte den Kopf und stellte den eigenen, erneut geleerten Becher ab. Anstatt auf Abstand zu gehen, grinste der Illusionist, rückte ebenso mit dem Gesicht näher und flüsterte, ganz ähnlich wie sie es getan hatte: „Aber nur, wenn du auch ssooooo riiiichtig glücklich wirst, ja?“ Auch wenn es sich gerade gar nicht so schwer anfühlte – Lian hatte damals in der Wüste einen Einblick in die Gefühlswelt von Rin erhalten. Und auch seit ihrem Gespräch in Stillsnow wusste er, dass hinter der immer lächelnden Fassade deutlich mehr steckte, als die Canine sich für gewöhnlich anmerken lassen wollte. Er war also nicht der Einzige, der seinen Weg zum Glück finden musste. Er sah ihr noch kurz in die Augen, ehe er sich wieder zurückzog – auch wenn das in ihrem kuscheligen Fort sowieso kaum möglich war. „Weißt du, vermutlich hast du Recht. Ich stehe mir echt oft selbst im Weg“, gab er zu und zuckte mit den Schultern. Sein Unwille, Verantwortung zu übernehmen und die Angst davor, zu versagen. Lian bezeichnete sich selbst als kleines Licht und wollte immer anderen Menschen den Vortritt lassen, die es vermeintlich besser konnten. Dabei gab es viele Leute, die ihm mittlerweile zu verstehen gegeben hatten, dass er mehr war als das. Wie hatte Rownan es formuliert? Ein kleines Licht, das für ihn heller leuchtete als manch ein Leuchtturm. Lian sah wieder zu seiner Freundin und lächelte. „Aber genau dafür habe ich ja eine Rin Inuyama, die mich daran erinnert, dass ich das mal lieber sein lassen soll. Ich kann mich echt glücklich schätzen.“ Der junge Mann fühlte sich leicht wie schon lange nicht mehr und kicherte, neigte den Kopf ein wenig und… ja, irgendwie waren seine Gedanken ein bisschen in Watte gepackt. Dass das aber an einem verwechselten Getränk und nicht an der stickigen Luft in diesem Kissenfort liegen konnte, ahnte er noch immer nicht. Meine Güte, wie konnte ausgerechnet Lian so auf dem Schlauch stehen?! „Und weißt du noch was? Du machst mich auch ziemlich glücklich, Rin! Wusstest du eigentlich, dass du mich schon bei unserer ersten Quest beeindruckt hast? Wie du dich voll und ganz für deine Ideale eingesetzt hast, hat mir wirklich imponiert. Und in Stillsnow hast du erkannt, wie schlecht es mir ging, bevor ich es selbst wirklich realisiert hatte und mich aufgefangen, obwohl ich alles und jeden von mir hatte fernhalten wollen. Ich war selten einem Menschen so dankbar wie dir damals. Du bist wirklich etwas Besonderes, Rin und ich bin froh, dich zu haben“, sprach er ungeniert weiter. Die Zunge des Falls hatte sich mal wieder gelöst und aus dem wortkargen Illusionisten wurde ein richtiges Plappermaul. Lian bekam nicht genau mit, was geschah, aber plötzlich schlang die Canine ihre Arme um ihn und lehnte sich gegen seinen Körper. Es war nicht das erste Mal, dass es zu einer Umarmung zwischen ihnen kam, eigentlich war es sogar ziemlich üblich für Rin. Normalerweise war es die Rolle des Falls, bei so einem Körperkontakt innezuhalten und zu warten, dass die beiden Magier wieder Abstand zueinander aufbauten. Aber gerade war es anders: Lian lachte, während er Rin einfach hielt und auf den hellen Haarschopf hinabblickte. „Mensch, echt schon so müde?“, fragte er nach und schüttelte seinerseits den Kopf. Ja, Lian war eindeutig auch von dem, was er getrunken hatte, beeinflusst. Aber er vertrug immer noch mehr als die zierliche Dame. Er war nicht an dem Punkt, an dem sie sich befand… und konnte daher auch immer noch nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Lian half der Inuyama, sich wieder ordentlich zu setzen, während er sich den Tee schnappte, der wirklich verdammt lecker war und einfach weiterredete: „Dabei gehört doch zu jeder guten Pyjama-Party ein Spiel. Sowas wie…“ Lian trank, wog den Kopf sichtlich zur rechten und linken Seite, ehe er mit einem spitzbübischen Grinsen Rin musterte. „Wahrheit oder Pflicht?“ Meine Güte, wo kam das denn her? Sie waren doch keine fünfzehn Jahre mehr! „Oder worauf hast du Lust? Komm schon, die Übernachtungsparty hat doch gerade erst angefangen!“ Wieder dieses Lachen, das vielleicht eine Spur zu laut war. Lian hatte keine Lust, dass der Abend jetzt schon endete!
Wie Rin wohl reagieren würde, wenn sie morgen aufwachte und sich an dieses Gespräch erinnerte? Würde sie bereuen, was sie gesagt hatte oder wäre sie womöglich sogar erleichtert, ihre Gedanken so ungefiltert ehrlich ausgesprochen zu haben? Sie hielt sich nur selten damit zurück, Lob, Komplimente und nette Worte an ihre Mitmenschen zu verteilen, denn sie wusste selber, wie gut sich diese anfühlen konnten. Vor allem, wenn sie von Freunden kamen. Doch bei Lian war es ihr in letzter Zeit kontinuierlich schwerer gefallen, schließlich wollte sie nicht den falschen Eindruck erwecken, ihn mit ihren Gefühlen weiter belasten. Hatte er womöglich sogar deswegen gefragt, was sie von ihm dachte? Hatte er gemerkt, dass sie sich zurück hielt? Sie wusste es nicht, gleichzeitig war sie jedoch auch nicht fähig, tiefer über diese Thematik nachzudenken. Woran das nur lag? Bestimmt an den Worten, die der Wuschelkopf ihr entgegen warf, denn diese brachten sie gehörig aus der Fassung. Beschämt blickte sie nach unten, als er sie so offensichtlich nachäffte. Wenn man es so ausdrückte, klang es wohl wirklich irgendwie doof, was? Als er jedoch näher zu ihr heranrutschte, verriet, dass er sich das selbe für sie wünschte, war sie vollkommen verwirrt. War das doch nicht so doof? "Äh-" Mit großen Äuglein, zurückgelegten Ohren und knallroten Wangen blickte sie ihm direkt entgegen. Sie war ihm zwar selber gerade so nah gekommen, aber wenn er das machte, war es etwas vollkommen anderes. Und dann noch seine Worte. Das verstand sie jetzt überhaupt nicht! Sie hob die Hände, als wollte sie ihre fehlenden Worte irgendwie ergreifen. "Ich bin doch schon glücklich", erwiderte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das vermutlich jeden hinter's Licht geführt hätte, der sie nicht gut kannte. So schwer es ihr auch fiel, klare Gedanken zu finden, diesen Abwehrmechanismus verlor sie auch jetzt nicht. Nein, sie war gerade absolut nicht bereit, zuzugeben, dass sie alles andere als glücklich war. Dafür brauchte es wohl noch etwas mehr Früchtetee. Außerdem war sie just in diesem Moment durchaus glücklich, denn all die Sorgen, die sonst so schwer auf ihren Schultern lasteten, waren wie fortgeblasen."J-ja! Natürlich habe ich recht", zögerte sie keinen Moment, um wieder von sich abzulenken. Es war doch so viel angenehmer, nicht von sich selbst zu reden, sondern von anderen. "Ich werde niemals aufhören, dich daran zu erinnern, wenn dir das wichtig ist." Schließlich war es für sie eine gewisse Art der Belohnung, zu sehen, wie ihr Kumpel über sich hinauswuchs und sogar sich selbst überraschte. Doch das war natürlich nicht der Hauptgrund, warum sie ihn unterstützte. Sie waren Freunde, da machte man das so. Dass sie wirklich alles tat, um ihren Lieblingsmenschen dabei zu helfen, ihr volles Potential zu entlocken, war nur selbstverständlich. So selbstverständlich es aber auch für sie sein mochte, es fühlte sich trotzdem gut an, dafür gewertschätzt zu werden. Vor allem von dem Falls. Es war doch nicht egoistisch, sich darüber zu freuen, oder? Über seine nächsten Worte freute sie sich jedoch ganz und gar nicht - oder doch? Es war vermutlich eine Mischung aus beidem, denn es gefiel ihr gewissermaßen schon, doch gleichzeitig war es einfach zu viel für sie, das zu hören.Wie oft hatte sie sich gewünscht, dass er netter zu ihr war? Jetzt war er es ... und es überforderte sie vollkommen. Meinte er all das wirklich ehrlich? Eigentlich zweifelte sie nicht an seinen Worten, doch sie wollte es. Sie wollte, dass das, was er sagte, falsch war, denn es sorgte dafür, dass ihr Herz so schnell schlug, dass sie auch das letzte bisschen Fokus vollkommen verlor. "H-hä-hä?? Du - was?" Schnell zog sie ihre Knie an, verbarg ihr Gesicht dahinter. Das, das ging ja mal gar nicht! "Ich dachte - ich - äh, ich habe immer gedacht, dass du mir deswegen bö-böse warst..." Schließlich hatte er beide Male unfassbar abweisend reagiert. Jetzt zu erfahren, dass er eigentlich das exakte Gegenteil gefühlt hatte, war für sie ein harter Schlag. Ein guter Schlag, aber hart war er trotzdem. "Ich bin doch wirklich nichts besonderes. Das hätte doch jeder für dich getan..." Oder nicht? Sie machte nur das, was sie für richtig hielt ... so wie jeder andere auch! Es war wirklich schwer für sie, zu begreifen, dass sie in dieser Welt so eine große Ausnahme war, dass die meisten Menschen nicht so bereitwillig ihren Weg verließen, um jemandem zu helfen. Oder wollte sie es vielleicht gar nicht begreifen? "A-aber ... ich bin auch sehr froh, dich zu haben, Lian", fiepte sie schließlich. Es war so einfach und doch so schwer, diese Worte auszusprechen. Dabei war es doch die Wahrheit. Man, es fühlte sich gerade alles so merkwürdig an. Aber es war ein schönes Merkwürdig, also brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, oder? Sie sollte es genießen, dass die Welt und ihre Gedanken gerade so leicht wie eine Feder waren, wer wusste schon, wann es sich wieder so anfühlen würde? Dass es eigentlich nur Alkohol benötigte, um diesen Gefühlszustand zu erreichen, konnte sie ja nicht wissen. So viel hatte sie bisher noch nie getrunken - und sie wusste ja nichteinmal, dass sie nicht nur Früchtetee trank! "Müde ...", wiederholte sie nachdenklich, "Ja, das muss es wohl sein. So sehr hab ich mich schon laaange nicht mehr verausgabt." Von Erschöpfung konnte einem durchaus mal schwindelig werden! Aber ob es wirklich auch der Müdigkeit zuzuschreiben war, dass sie sich nicht direkt wieder aufsetzte, sondern ihre Arme dort ließ, wo sie waren und ihren Kopf vollkommen entspannt an Lians Schulter ruhen ließ? Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass sie sich damit keinen Gefallen tat, doch wie hätte sie widerstehen sollen? Wie oft war es, dass er diese Geste einfach erwiderte? Ihre Rute wedelte fröhlich hin und her. So sicher, warm und geborgen fühlte sie sich nur selten ... Was war eigentlich mit dem Wuschelkopf los? Er verhielt sich heute überhaupt nicht so, wie er es normalerweise tat. Hätte er sie nicht bereits mit der Fort-Idee vollkommen überrascht, hätte sie vielleicht schlussfolgern können, dass es am Tee lag, doch in ihren Augen verhielt er sich schon die ganze Zeit anders, nicht erst seit sie ihr Getränk genossen. Außerdem war der heutige Lian wirklich nett zu ihr. Schließlich rappelte sie sich doch wieder - dank seiner Hilfe - auf, ehe sie sich die Augen rieb. Sie wollte auf keinen Fall schon einschlafen! "Ich bin nicht so müde!", murrte sie, ehe sie die Wangen aufbließ und kicherte. "Ich bin absolut bereit, was zu spielen. Schlafen is' was für Schwaaache!" Wann bekam man schonmal die Chance für sowas? Wahrheit oder Pflicht hatte sie das letzte Mal gespielt, als sie noch in der Schule gewesen war. Wie lange war das inzwischen her? Definitiv zu lange. Dementsprechend war sie auch Feuer und Flamme, als er den Vorschlag brachte. "Oh ja, ich will anfangen!", rief sie mit funkelnden Augen und einem breiten Grinsen. "Wir hatten ja eigentlich gerade schon Wahrheit ... also nehm' ich Pflicht!" Sie war schon immer die Art von Mensch gewesen, die 'Pflicht' bevorzugte. Erstens redete sie nicht gerne über sich selbst und zweitens kamen dabei meist die lustigsten Dinge raus. Oh, sie würde es garantiert nicht bereuen, dem frechen, gewitzten Falls zu erlauben, ihr eine Aufgabe zu geben ... "Wehe du denkst dir was langweiliges aus!"
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Lian Thief in Distress
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Gleichermaßen amüsiert wie auch fasziniert betrachtete Lian die Canine, die nicht nur rot anlief, sondern auch das Gesicht beschämt hinter ihren Knien zu verbergen versuchte. Das hätte jeder für ihn getan? Rin war nichts Besonderes? Der Falls wollte über diese Aussage, die so weit von der Realität entfernt war wie seine eigenen Illusionen, ungläubig den Kopf schütteln. Nur im letzten Augenblick konnte er sich davon abhalten und betrachtete die junge Frau schweigend. Am Ende lächelte er: „Nein, das hätte nicht jeder für mich getan. Jeder normale Mensch hätte sich von mir abgewandt. Aber du… du bist geblieben.“ Erst jetzt, wo er es aussprach, ging dem Braunhaarigen wirklich auf, wie groß der Einsatz der Hellhaarigen schon immer gewesen war. Lian war schroff und abweisend gewesen, sodass die meisten Menschen sich von ihm abgewandt und ihm seinem Schicksal überlassen hatten. Warum auch sollte man es weiter versuchen? Wer nicht gewillt war, Hilfe anzunehmen, der musste selbst mit den Konsequenzen leben – so, wie es Lian Falls in der Vergangenheit auch immer wieder hatte tun müssen. Die Inuyama allerdings war entgegen dem allgemeinen Strom geschwommen, sie hatte sich immer wieder der Gefahr ausgesetzt, abgewiesen zu werden und hatte aus der reinen Überzeugung heraus, dass sie Lian doch noch helfen konnte, die Schmach heruntergeschluckt. Schlussendlich hatte die Caninen ihn umarmt und nicht mehr losgelassen. Jener Moment in Stillsnow war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen. Eine Freundschaft, die trotz aller Höhen und Tiefen, die sie miteinander erlebt hatten, immer noch Bestand hatte. Lians Lippen öffneten sich einen Spalt breit und es erschien ihm, als würde er Rin gerade in einem ganz anderen Licht wahrnehmen. Die 19-Jährige war zu einem der wichtigsten Menschen in seinem Leben geworden. Der Falls schluckte…
... und wurde dann, als Rin gegen ihn taumelte und die Arme um ihn schlang, wieder zurück auf den Boden der Tatsachen befördert.
Lian verstand nicht, dass es dem Früchtetee geschuldet war, dass nicht nur Rin sich an ihm festhielt, sondern auch er selbst die Arme um seine Freundin legte und ihr Halt gab, obwohl er doch sonst immer wieder körperlichen Abstand aufgebaut hatte. Der Lockenkopf fühlte sich auffallend leicht und locker und genoss den Moment dieser Nähe vielleicht ein bisschen zu sehr. Wo war seine Hemmschwelle hin verschwunden? „Sehr gut, genau das wollte ich hören!“ Lian lachte laut auf, drückte Rin noch ein bisschen fester an sich und schwenkte mit ihr zusammen nach rechts und links, um seiner überschwänglichen Freude in einer für ihn im Normalfall doch sehr untypischen Art Ausdruck zu verleihen. Zum Glück wollte Rin trotz ihrer Müdigkeit bei noch einem kleinen Spielchen dabei sein, wozu hatten sie denn sonst auch dieses Fort erbaut? So viel Mühe war in die Errichtung dieser flauschigen, kuscheligen Festung geflossen, da musste die Gelegenheit unbedingt genutzt werden! Ein weiteres Mal nippte der 20-Jährige von seinem süßlichen Getränk, ehe die hellgrünen Augen hinab auf Rin blickten. Er erwiderte das breite Grinsen, das ihm von der Hellhaarigen zugeworfen wurde und zwinkerte verschmitzt. „Pflicht also, ja? Was eine spannende Wahl. Da muss ich mir etwas Gutes für dich ausdenken.“ Der Illusionist neigte den Kopf geschwind nach rechts, sodass die wilde Lockenmähne zur Seite hüpfte – so als würde er besonders ausgiebig über eine Vielzahl von Optionen nachdenken. Tatsächlich hatte er ziemlich schnell eine seiner Meinung nach verdammt geniale Idee, aber zu sehen, wie die Inuyama ihn gespannt wie ein Flitzebogen aus riesig großen, blauen Augen anstarre, war einfach viel zu amüsant, als dass Lian es nicht bis in die letzte Sekunde hin auskosten wollte. Als er merkte, dass er selbst ungewöhnlich ungeduldig wurde, zählte er sicherheitshalber gedanklich bis zehn und lachte dann erneut auf. „Ah. Ich hab’s!“ Erst jetzt lösten sich die Finger des Braunhaarigen von Rin und er rückte von ihr ab, sodass er direkt vor ihr in dem engen Fort kniete und sie direkt ansehen konnte. Das spitzbübische Grinsen, das sich keine Sekunde später auf seine Gesichtszüge schlich, konnte sich der angetrunkene Magier beim besten Willen nicht verkneifen. „Beleidige mich.“ Moment… was redete Lian da bitte?! Riesige Äuglein sahen ihn an und vermutlich wartete Rin darauf, dass der 20-Jährige diese vollkommen bescheuerte Aufgabe korrigierte. Was die Inuyama stattdessen bekam, war nicht mehr als ein weiteres Lachen. „Was sind die fünf schlimmsten Beleidigungen, die du auf dem Kasten hast, Rin? Komm schon, lass alles raus!“ Tja. Die Hellhaarige hatte es selbst kurz zuvor angesprochen: Lian war niemand, der sie mit Samthandschuhen anfasste, nur weil sie süß aussah. Aber ob sie das so gemeint hatte? Zumindest Lian war vollkommen überzeugt von der Genialität dieser Aufgabe, denn während Flüche für ihn selbst zum absolut normalen Wortschatz zählten, waren ausgesprochene Beleidigungen für eine Person wie Rin Inuyama mit Sicherheit so entgegen ihren Gewohnheiten, dass es eine umso größere Herausforderung darstellen würde, sie zu verbalisieren, während Lian ihr ziemlich genau zuhören konnte. Ob Rin überhaupt schlimmere Worte als Fiesling oder Idiot zum Ausdruck bringen könnte? Das Lachen verstummte und Lian beugte sich nach vorne, sodass die Gesichter der beiden Freunde nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Mit einem schmalen Grinsen und herausfordernd funkelnden Augen ergänzte er: „Und komm nicht auf die Idee zu flüstern. Es muss schon laut und deutlich ausgesprochen werden.“ Er rückte wieder von ihr ab (soweit das in diesem Fort denn möglich war) und zuckte übermütig mit den Schultern. „Na? Kriegst du das hin? Oder ist das schon zu viel?“ Wieder lachte Lian und leerte seinen Becher in einem letzten, besonders langen Zug. Das schmeckte wirklich grandios! „Solltest du es schaffen, wähle ich übrigens Wahrheit.“
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