Ortsname: Rownans Wohnung Art: Wohnung Spezielles: Bewohnt von Rownan
Beschreibung: In einem ruhigen Wohngebiet in Maldina liegt dieser Wohnungskomplex auf zwei Ebenen, der um ein kleines Atrium angeordnet ist, in welcher Mitte sich ein gemeinsamer Brunnen befindet, der über eine Pumpe bedient werden kann. Die Wohnung selbst befindet sich im oberen Stockwerk und ist von außen über eine Treppe erreichbar. Das Appartement Rownans ist relativ minimalistisch eingerichtet. Beim Betreten der Wohnung ist auf der rechten Seite eine kleine Ankleide mit einem großen Spiegel, ehe sich der Raum eröffnet. Etwas abgetrennt auf der linken Seite ist die kleine Küchenzeile untere anderem mit Oberschränken, einem Ofen und einem Spülbecken. Des Weiteren finden sich in dem großen Zimmer ein Schreibtisch, Nachttisch und ein großes Bett, neben welchem sich noch ein Kleiderschrank sowie eine Kommode befindet. Abgerundet wird die Einrichtung durch eine kleine Essecke mit einem Bücherregal. Insgesamt ist der Raum sehr hell, da alle Fenster zum Innenhof gerichtet sind. In einem separaten Raum befindet sich das Bad mit Dusche, dessen besonderes Merkmal die voluminöse Badewanne ist.
Alles in der Wohnung scheint akkurat sortiert oder angeordnet zu sein und für einen derart felligen Bewohner, muss nach Staub oder Haaren mühsam gesucht werden. Die Küche ist mit diversen Utensilien ausgestattet, die eine große Variation an Zubereitungen ermöglichen. Einzig Deko und Pflanzen sucht man vergeblich, abgesehen von einem Bild über dem Schreibtisch auf der Fensterbank, welches erst kürzlich dazugekommen ist.
„Es gibt kein Meer ohne Wellen, den Wellengang werden wir nie stoppen können. Wir können uns nur Schiffe bauen und auf ihnen reiten, mit ihnen schwimmen anstatt gegen sie anzukämpfen und unterzugehen.“
- Ronja zu Lian -
[…]
Schnell flog die Umgebung an dem Bogenschützen vorbei. Bäume, Büsche, Gleisübergänge – hinter einem Schleier aus Regen, der kontinuierlich gegen die Scheibe des Zugfensters prasselte. Gedankenverloren hatte der Falls zwei Tropfen beobachtet, die am Glas hinabliefen und sich in der Vorstellung des 20-Jährigen ein Wettrennen Kopf an Kopf lieferten. Mal war der eine Tropfen vorne, dann der andere, im ständigen Wechsel, sodass Lian seine Prognose, welcher Regentropfen dieses spannende Match gewinnen würde, immer und immer wieder umwälzen musste. Es war ernüchternd, als die Tropfen schlussendlich gleichzeitig den Rand des Fensters erreichten und damit aus dem Sichtfeld der Sphynx verschwanden. Ein stummes Seufzen entfloh seinen Lippen, ehe die Umgebung, in der er sich befand, allmählich wieder in sein Bewusstsein zurückkehrte. Stimmen drangen an sein Ohr, er hörte das Rascheln einer Tüte, roch etwas, das ihn an gebratene Nudeln erinnerte. Die hellgrünen Augen sahen sich um, musterte die Köpfe und Haaransätze, die er über die diversen Sitzlehnen hinweg ausmachen konnte. Bereits am Bahngleis in Aloe Town war es voll gewesen und Lian war froh gewesen, dass er noch einen Sitzplatz in diesem Zug hatte ergattern können. Ob sie alle das gleiche Ziel hatten wie er? Ob sie alle nach… Maldina Town wollten?
"Ich habe jeden Tag auf dich gewartet. Ich habe so sehr gehofft, dass du zurückkommst."
Es war dieser eine Satz von Rin gewesen, der Lian einerseits aus der Bahn geworfen hatte und ihn andererseits dazu gebracht hatte, endlich etwas anzugehen, das er viel zu lange aufgeschoben hatte. Der 20-Jährige hatte versprochen, sich zu melden. Hatte zugesagt, nach Süd-Fiore zu reisen. Und was hatte der Falls in den letzten Wochen getan? Nichts. Lian war in seine alten Muster verfallen und hatte die Dinge lieber aufgeschoben, anstatt sich darum zu kümmern, so als würden sie sich dadurch irgendwann von alleine lösen. Bis zu dem Tag, als Rin ihm diese Worte an den Kopf geworfen hatte und er endlich zugelassen hatte, sich auch mal in die Position einer anderen Person hineinzuversetzen. Ob Rownan überhaupt noch mit einer Nachricht gerechnet hat?, fragte sich der Falls im Stillen, während er sich wieder dem Zugfenster zu seiner rechten Seite zuwandte. Zugegeben, viel war geschehen seit dem gemeinsamen Wochenende, das er mit dem Lupinen der Gilde Satyrs Cornucopia verbracht hatte. Und mehr als einmal hatte Lian die Geschehnisse und seine Handlungen hinterfragt, hatte sie – je länger die Ereignisse in der Vergangenheit lagen – aus einem anderen Licht betrachtet. Ronja hatte es erwähnt – die Emotional Magic, die einen Dinge fühlen lassen konnte, die gar nicht von einem selbst stammten, wenn man die Magie nicht unter Kontrolle hatte. War es möglich, dass es auch damals so gewesen war? Dass der Falls sich von etwas hatte mitreißen lassen, das nicht wirklich aus ihm selbst heraus entstanden war? Zumindest wäre es eine Erklärung dafür, warum sich der Lockenkopf so erschlagen gefühlt hatte, warum er Dinge im Affekt getan hatte, obwohl das etwas war, das ihm im Alltag doch gänzlich zuwider war. Er dachte an die Fotobox, an das Abschiedsgeschenk, das Rownan ihm überreicht hatte und schloss die Augen.
Er war nervös.
Der Falls legte den Kopf in den Nacken und stieß mehr oder minder sanft gegen die Lehne hinter sich, ehe er die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ausstieß. Er hoffte inständig, dass das bald wieder verging, denn wenngleich er gar nicht wusste, mit welchen konkreten Zielen er sich heute auf die Reise nach Maldina begeben hatte, war er doch sicher, dass Nervosität ihm alles andere als helfen würde, um in dieser Sache voranzukommen, oder? Wieder einmal wünschte sich der 20-Jährige, dass er in der Kontrolle der Emotional Magic weiter wäre. Es hätte ihm die Möglichkeit gegeben, seine Nervosität – so wie viele andere seiner unkontrollierten Gefühle – einfach verschwinden zu lassen. Seit Lian davon erfahren hatte, dass es möglich sein könnte, sämtliche Gefühle einfach abschalten zu können, hatte er sich immer mehr in dieser Idee verfangen. Aber… soweit war er noch nicht. Und so blieb ihm nur die gute, alte Variante eines Normalsterblichen übrig: Ruhig atmen, die Gedanken sammeln und das eigene Herz beruhigen. Was würde er eigentlich machen, wenn Rownan gar nicht am Bahnhof von Maldina Town auftauchte? Wie lange würde er warten? Es war eine Möglichkeit, über die Lian erst jetzt wirklich nachzudenken begann. Wieder sah er aus dem Fenster und fragte sich, ob der Regen noch stärker geworden war. Vermutlich würde es ziemlich kalt am Bahnhof sein… vielleicht sollte er sich in diesem Fall auf den Weg zur Praxis von Ronja begeben. Die Dunkelhaarige hatte sich zumindest als gute Ratgeberin entpuppt und Lian argwöhnte, dass ein Gespräch mit der Vogellady in diesem Fall die bessere Option wäre, als gänzlich unverrichteter Dinge zurück nach Aloe zu reisen. Es könnte seine Seele ein wenig erleichtern. Wenn Lian ehrlich war, würde er es dem Lupinen nicht einmal wirklich verübeln können, wenn er sich dagegen entschied, am Bahnhof zu erscheinen. Nicht nur hatte er wochenlang nichts von Lian gehört, die Zeilen, die er schlussendlich erhalten hatte, waren auch eher kurz als ausufernd gewesen. Einerseits könnte man jetzt sagen, dass das nun einmal typisch für Lian Falls war. Andererseits hätte man sich nach allem, was zwischen ihm und Rownan geschehen war, durchaus mehr erhoffen können, oder?
Zitat :
Rownan,
mein Zug nach Maldina Town wird am […] ankommen. Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll, außer… dass es mich freuen würde, wenn wir uns sehen könnten.
Bis bald,
Lian
Ob diese wenigen Zeilen ausreichen würden, um den Lupinen an den Bahnhof zu locken? Hoffentlich. Denn wie der Sphynx gerade erst aufging, hatte er in seiner Tasche vieles dabei, aber keinen Regenschirm. Regen war ein Wetterphänomen, mit dem ein Wüstenbewohner für gewöhnlich kaum bis gar nicht in Berührung kam. Hätte Lian vor seiner Abreise nur den Wetterbericht für Maldina Town gelesen…
#1 Es war einer dieser Tage, an welchem der Lupine es pflegte in seinen eigenen vier Wänden zu verweilen, wenn es ihm möglich war. Oder zumindest irgendwo zu sein, wo es trocken war. Nun war es nicht so, dass der Wolf die Nässe überhaupt nicht mochte, im Gegenteil, aber war er doch mit der gefrorenen Variante aufgewachsen, die sich noch leichter von seinem dichten Fell abstreifen ließ als das wärmere Pendant, welches von außen an die Fensterscheiben seiner beschaulichen Wohnung prasselte. Diese Zeiten waren es, die der Grauhaarige nutzte, um seine Papiere zu sortieren, etwas von den verdienten Jewels für den ein oder anderen Luxus auszugeben oder, wie seit einiger Zeit häufiger, schlichtweg nachzudenken. Die Ruhe und vor allem Geruchslosigkeit, die mit dem aktuellen Wetterphänomen einhergingen, waren Aspekte, die Rownan zu schätzen wusste, wenn er sich auf sich selbst besann. Doch was war es, dass den Satyrs motivierte sich am heutigen Tag in seine Gedanken zurückzuziehen? Die Antwort darauf war so simpel wie komplex zu gleich. Allen voran war sie jedoch kurz. Schon bevor er den Umschlag geöffnet hatte, hatte er eine Duftnote erfasst, die schon seit einiger Zeit nicht mehr gerochen hatte. Und dennoch hatte sie sich so tief in seinem Sein abgeprägt, dass sie schon willentlich verdeckt werden musste, damit er sie nicht erkennen würde. Es war der Duft von Lian Falls, seines Zeichens Magier von Crimson Sphynx und … genau dort waren sie stehen geblieben. Sie waren definitiv Freunde. Aber ihre Verbindung war tiefer, intensiver als es in einer normalen, gewöhnlichen Freundschaft der Fall war. Jedoch war so viel an ihrem gemeinsamen Wochenende geschehen, dass es dieser Punkt war, der noch immer offen war. Einig waren Sie sich, dass sie lieber miteinander diese verrückte Welt bestreiten wollten als allein. Ein Lippenbekenntnis dessen Gewicht beiden bewusst war. Die eigentliche Tatsache, welches dieses Bekenntnis mit sich brachte, hatte allerdings noch keiner der beiden ausgesprochen. Mit den Krallen vorsichtig über das Briefpapier streifend, erkannten seine Augen ohne Mühe den Absender. Seine Nase hatte ihn nicht im Stich gelassen. Noch am Briefkasten hatte er kurz die Augen geschlossen und es versetzte ihn sofort in den Moment zurück, an welchem sie sich das letzte Mal gesehen hatte. Genau wie jetzt blendete er damals die Welt um sich herum aus und sein Fokus lag vollkommen auf dem braunhaarigen jungen Mann vor sich, dessen Lippen sich langsam von den seinen lösten und dessen Hände sich vorsichtig von seiner Schnauze lösten. Es war eine Art Versprechen, welches ihm der Dieb damals gab, doch wie es für die beiden so typisch war, war es eben dieses Wort, welches keiner der beiden verwendete. Die Augen wieder langsam öffnend, bemerkte Rownan, wie schon lange nicht mehr, wie seine Rute freudig hin- und herschwang. Der Wüstenmagier hatte, zumindest in der Gedankenwelt des Hybriden, nicht an Magie verloren.
Aus dieser Erinnerung erwachend, schauten die eisblauen Augen den verschiedenen Regentropfen zu, die, wie zuvor, weiterhin an die Scheiben prasselten. Denn nachdem sich die anfänglich Begeisterung gelegt hatte, machte sich eine unbekannte Skepsis im Tiermenschen breit. War das wirklich eine kluge Entscheidung, sich auf die Einladung des Schützen einzulassen? Vorsichtig ließ Rownan den Umschlag zwischen seinen Fingern rotieren, in welchem sich das letzte Puzzleteil der selbstgebastelten Collage befand. In den ersten Tagen hatte er jenen jeden Tag entstaubt, wollte er sicher gehen, dass er sich in einem makellosen Zustand befand. Doch je mehr Zeit verging, desto deprimierender wurde diese Tätigkeit. Zudem hatte sich bereits die ersten, unfreiwilligen Knicke gebildet. Womöglich belastender als das letzte Teil des Geschenkes war der Fakt, dass er sich das gleiche Bild in einem Rahmen auf die Fensterbank gestellt hatte, die seinen Schreibtisch flankiert. So schaute er jeden Tag, den er an diesem Ort erwachte, auf eben jene Erinnerung, eben jenen Tag, der ihm so kostbar erschien. So sehr er sich allerdings bemühte es zu erhalten, verblasste sein neu gewonnener Enthusiasmus allmählich. Der Umschlag war bis zum heutigen Tag in einer Schublade verstaut worden und die gemeinsame Fotografie verbildlichte die verstrichene Zeit, denn, ungewöhnlich für den sonst so reinlichen Wolf, hatte der Rahmen eine sichtbare Staubschicht auf sich. Jede Entscheidung, die er treffen würde, hätte ihre Berechtigung. Entscheiden musste er sich dennoch. Und so traf er dann eine Entscheidung. Er würde Lian treffen. Natürlich wäre es leicht, den Illusionsmagier dafür verantwortlichen zu machen, dass so lange Funkstille zwischen ihnen war. Aber hätte nicht auch er schreiben können? Immerhin war ihm ebenso viel daran gelegen, wie dem Wüstenbewohner. So hoffte er zumindest weiterhin. Aber auch in Rownans Leben war so viel geschehen, der Alltag als Magier, die Arbeit, Dinge… die er selbst nicht aussprechen wollte, dass sich nur schwerlich freie Spitzen hätten finden lassen, in welchen er eine Nachricht postulieren konnte. Sicherlich war es dem Tunichtgut nicht anders ergangen. Und darüber hinaus gab es noch so vieles, was sie nicht ausgesprochen hatten, was er mit ihm besprechen wollte … und womöglich auch belastete, dass er sich nichts besser vorstellen konnte als all diese Dinge endlich ansprechen zu können. Den Umschlag auf dem Schreibtisch ablegend, packte er einen großen Regenschirm, groß genug um so einen kompakten Menschen, wie es der Falls war, noch unterzubekommen, ehe er sich dem Spiegel gegenüberstellte, mit der Intention seine Krawatte zu richten. Erst jetzt fiel Rownan ein, dass er Optionen hatte. Wie würde er Lian gegenübertreten? Wie sollte er ihm gegenübertreten? Oder wie wollte er es gar? Die neugewonnen Fähigkeiten waren bei weitem nicht perfekt, jedoch hatte er stetig daran gearbeitet. Es war auch diese Tatsache, die er seinem Seelenverwandten präsentieren wollte. Vorsichtig strich er mit den Krallen seiner Pranke über die Merkmale seines Gesichtes. Es war eben dieses Gesicht, welcher der junge Mann doch so gut kannte. Für den Anfang würde er daher auf Bekanntheit bauen. Ein letztes Mal tief ein- und ausatmend, verließ er die Wohnung in Richtung des Bahnhofes.
Unter dem überschaubaren Verdeck des Wiesenbahnhofs wartend, ertönte der bekannte Ton der Lokomotive, die die verschiedenste Teile des Königreiches miteinander verbanden. Für den Lupinen war es eine freudige Abwechslung einmal nicht in die heißen Gefilde der Wüste einfahren zu müssen. Stattdessen bekam er Besuch in seiner Wahlheimat, die sich allmählich so etwas wie einen passablen Status verdient hatte. Dann stieg ihm auch schon der Geruch von verbrannter Kohle in die Nase. Es war das Zeichen, dass der Zug gleich in Sichtweite kommen würde. Und so, wie das Gefährt langsam an Geschwindigkeit einbüßte, waren auch neue Nuancen innerhalb des starken Geruchs zu erkennen. Dann ganz plötzlich tauchte eben jener Duft auf, der bereits in Form eines Briefes zu einer Nostalgiereise eingeladen hatte. Kein Wunder, dass nun auch das Herz des Wolfes schneller anfing zu schlagen. Ihm wurde warm, so warm, dass er den strammen Kragen um seinen Hals etwas lockern musste. Erst da bemerkte er, wie auch sein Schweif von neuem freudig reagierte. Selbst wenn er wollte, würde sein Körper ihn an den Braunschopf verraten. Warum war er so nervös? So aufgeregt? Schon einige Zeit hatte er dieses Gefühl nicht mehr gespürt. So leicht wie seine Körpersprache es Lian machen würde, würde es der Hybride jedoch nicht. Wer sich derart verspätet meldete, der hatte auch die ehrenvolle Aufgabe die Begrüßung zu übernehmen. Ein weiter Grund zur Nervosität. Was würde der junge Mann tun? Und wie würde Rownan drauf reagieren? Mit gefasster, neutraler Miene hielt er nach seinem Besuch Ausschau, bedacht darauf ihm außer den körperlichen Signalen keine weiteren zu geben.
Lian schloss die Augen und lehnte mit dem Kopf gegen die kühle Scheibe des Zuges, darauf bedacht, seine Gedanken endlich zu sortieren. Wieder und wieder ging er die Möglichkeiten durch, die ihn in Maldina Town erwarten könnten. Wie sollte er das erste Zusammentreffen mit Rownan nach der ganzen Zeit richtig gestalten? Egal woran der 20-Jährige dachte, es kam ihm alles nicht richtig vor, er suchte nach besseren Möglichkeiten, wurde aber einfach nicht fündig. Und dann war da auch noch die Eventualität, dass der Lupine nicht auftauchte, dass er den Brief des Falls wohlmöglich gar nicht erst gelesen oder den Inhalt schlicht ignoriert hatte. Aber würde Rownan das wirklich machen? Ihm einfach so den Rücken kehren, nach allem, was sie an dem gemeinsamen Wochenende durchgestanden und erlebt hatten? “Igitt, das esse ich nicht!“ Es war eine schrille Stimme, die höchstens zwei oder drei Sitzreihen hinter dem Braunhaarigen ertönte und dafür sorgte, dass er die Augen wieder öffnete. Seine Stirn lehnte weiterhin gegen die Scheibe, aber er hörte genauer hin. “Hast du dir mal die Verpackung angesehen? Das ist abgelaufen!“, ergänzte die aufgebrachte Mädchenstimme und die Worte, die danach folgten, nahm Lian nicht mehr im Detail wahr. Er hing vielmehr an dem letzten Satz, der ausgesprochen worden war: Das ist abgelaufen. Ja, es stimmte. Alles in dieser Welt hatte ein Ablaufdatum, nicht nur Lebensmittel, sondern auch Worte. Man konnte viel sagen, konnte viel ankündigen, aber wann immer man seinen Mund öffnete, war es, als würde ein imaginäres Männchen mit einem Etikettiergerät auf der Schulter sitzen und alle Worte, die man sagte, entsprechend markieren. Selbstverständlich gehörten dazu auch Versprechen. Der Falls hatte angekündigt, dass er sich melden würde, hatte Rownan voller Überzeugung gesagt, dass er nach Maldina Town kommen würde, um ihn zu besuchen. Es war kein explizites Datum genannt worden, kein Zeitraum, in dem der Lupine mit der Nachricht und dem Besuch hätte rechnen können – wenn man nur danach ging, hatte Lian sein Versprechen gehalten. Aber der Bogenschütze wusste es natürlich besser, er machte sich nichts vor: Auch ohne ein Datum zu nennen, hatte dieses Versprechen ein Ablaufdatum besessen. Hatten sie dieses bereits überschritten? War er zu spät dran? Lian seufzte stumm. Er griff nach der braunen Tasche auf dem leeren Sitz gleich neben sich und warf sich diese über die Schulter, bevor er entschlossen auf den Ausgang des Abteils zusteuerte. Es brachte nichts, sich darüber Gedanken zu machen, was sein könnte. Wenn er es herausfinden wollte, dann musste er sich der Situation stellen, so unangenehm es sich auch anfühlte – immerhin war das der Grund, warum er sich überhaupt erst auf den langen Weg nach Süd-Fiore begeben hatte.
Lian war nicht die erste, aber auch nicht die letzte Person, die aus dem Zug stieg. Noch bevor seine Füße den vom Regen nassen Bahnsteig betreten hatten, blieb er stehen und sah sich um… sein Herz stolperte für den Bruchteil einer Sekunde. Er erkannte Rownan sofort. Lag das nun an überschwänglichen Gefühlen, daran, dass zwei Seelenverwandte in der Masse an Menschen einfach sofort die gegenseitige Anwesenheit spüren, sich gar gegenseitig mit einem vereinzelten Blick bereits tief in die Seele blicken konnten?... Oder lag es vielleicht schlicht daran, dass Rownan eine Erscheinung war, die fast immer aus Menschenmassen herausragte? Was auch immer der wahrhaftige Grund für den sofortigen Blickkontakt auf Distanz war, der Falls hielt den Blick endlos wirkende Sekunden aufrecht, bevor er sich zusammenriss, sich einen Ruck gab und den Zug endlich verließ, um auch den restlichen Passagieren die Möglichkeit zu geben, in Maldina Town anzukommen. Es war eine wirre Geräuschkulisse, die den jungen Mann umgab: Ein Mix aus verschiedensten Stimmen, aber auch das kontinuierliche Prasseln der Regentropfen, die auf der Überdachung des Bahnhofsgeländes landeten. Aber Lian blendete alles um ihn herum aus, während er auf den Satyrs zutrat und schlussendlich nur zwei Schritte von Rownan entfernt stehenblieb. Schweigen. Alle Worte, die sich Lian für das Zusammentreffen zurechtgelegt hatte, kamen ihm unglaublich dämlich vor, weshalb er es nicht schaffte, den Mund zu öffnen. Seine Haut kribbelte und er glaubte, sein Herz in der Kehle zu spüren – hoffentlich sah man ihm das nicht sofort an! Die stoische Miene des Lupinen machte es nicht gerade einfacher – wenn Rownan sich über das Wiedersehen mit der Sphynx freute, dann ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Lians Blick wanderte tiefer, er musterte die Rute, die freudig im Rücken des Tiermenschen schwang. Es passte so gar nicht zu dem mürrischen Gesichtsausdruck in Rownans Zügen. Ganz kurz war Lian versucht, seine Emotional Magic einzusetzen, denn er war in den letzten Wochen deutlich besser in der Anwendung geworden. Der Falls konnte die Magie in den meisten Fällen bewusst ein- und ausschalten, konnte sich aussuchen, wann er das Innere eines Gegenübers ausspionieren wollte. So wie jetzt bei Rownan? Nein, Lian entschied sich dagegen, es erschien ihm gegenüber seinem Freund einfach falsch. „Hey, Rownan“, äußerte Lian rau und kratzig, als hätte er zu lange nicht gesprochen. Wo war seine Stimme hin?! Der 20-Jährige räusperte sich, versuchte händeringend, die Stille zwischen ihnen irgendwie zu durchbrechen. Und so, wie es für den jungen Mann üblich war, ging er natürlich nicht auf das eigentlich wichtige Thema ein, sondern suchte etwas anderes. Ein unverfängliches Thema, um das Eis zwischen ihnen zu brechen: „Steht irgendeine besondere Feierlichkeit in Maldina an? Hier ist viel mehr los als bei meinem letzten Aufenthalt.“ Fettnäpfchen Nummer eins: Lian deutete an, bereits in Maldina Town gewesen zu sein, ohne sich bei Rownan gemeldet zu haben. Gut, er grenzte nicht ein, wann genau er hier gewesen war, aber die Möglichkeit bestand, dass sein Besuch irgendwann zwischen dem heutigen Tag und dem Wochenende in Aloe Town stattgefunden hatte. Grandioser Start von dem sonst so scharfsinnigen Dieb. Er sah sich die verschiedenen Leute am Bahnhof genauer an – beinahe so, als würde er dem direkten Blickkontakt mit Rownan nun doch noch ausweichen wollen. Aber dann, endlich, gab sich der Falls einen Ruck, sein Gesicht drehte sich wieder zum Lupinen und er versuchte händeringend, die Nervosität, die in ihm brodelte, unter Kontrolle zu bekommen. Ein, zwei Sekunden verstrichen, ehe Lians Stimme ein weiteres Mal erklang: „Ich war mir nicht sicher, ob du auftauchst“ Normalerweise hätte der Lockenkopf diese Worte mit einem schiefen Grinsen ausgesprochen, hätte mit den Schultern gezuckt, damit sie nicht mehr so schwer in der Luft hingen und um sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihn wirklich beschäftigt hatte. Aber nicht hier, nicht vor Rownan. Lian sah vollkommen ernst aus, die Stirn gerunzelt, die Lippen aufeinandergepresst. Dass ihn dieser Gedankengang beschäftigt hatte, war mehr als offensichtlich. „Ich freue mich, dich zu sehen.“ Dieses Aufeinandertreffen hätte so gut verlaufen können, wenn er nur nicht so verspannt wäre. Gott, warum war er so angespannt?!
#2 Obwohl seine Nase den jungen Mann schon geortet hatte, suchte seine Augen dennoch nach der Quelle des Geruchs. Nicht so energisch, dass man es sehen konnte oder es gar hektisch wirkte, aber dennoch konzentriert. Fast zeitgleich trafen sich deshalb auch ihre Blicke als Lian den Zug verließ. Auch für Rownan wirkte es so, als ob die Zeit fast zum Erliegen gekommen war, als ob alle um sie herum nur noch Statisten waren in dem Theater, das sie beiden spielten. Der Hybride spürte einen Impuls einen Schritt nach hinten zu machen und sich dieser Situation zu entziehen, dem er jedoch nicht nachgab. Erst als der Wüstenmagier die letzten Schritte auf den Bahnsteig hinabstieg und etwas in der Menge verschwand, prasselten alle Eindrücke auf den Lupinen ein. Seine Rute war weiterhin freudig aber nun verstärkte sich auch das, was sein Herz und sein Kopf ihn mit unterschiedlichsten Eindrücken, Emotionen und möglichen Entscheidungen sagen wollten. Nicht verwunderlich, dass sein Körper in erster Linie die Flucht antreten wollte. Mit einer so heftigen Reaktion hatte der Satyrs wirklich nicht gerechnet. Gemütlich wie es für den Schützen üblich war, trottete er durch die Menge, als wäre er einfach nur auf dem Weg zu einem beliebigen Laden. Als hätte ihn irgendetwas triviales hierhergeführt. Womöglich empfand er es ja tatsächlich so. Aber hätte er sich dann die Mühe gemacht nicht nur eine Nachricht zu schicken sondern auch tatsächlich hier her zu kommen? Für Rownan gab es so viele Möglichkeiten, was ihm nur wieder verdeutlichte, wie gut er sein Gegenüber auf der einen Seite kannte und wie schwierig es auf der anderen Seite dennoch war ihn zu lesen, zu kategorisieren und vielleicht auch zu durchschauen. Jetzt war es gleich so weit und sein Besuch musste auf irgendeine Art und Weise reagieren. Er musste irgendetwas tun und der Grauhaarige wusste, wie schwer es für den anderen war genau das zu tun. Flüchtig zog die Erinnerung ihrer Verabschiedung am Bahnsteig von Aloe erneut durch seinen Kopf. Wann immer Lian sich überwinden konnte, dann war etwas Gutes passiert. Konnte man das so sehen? Viel weiter kam er mit dieser Idee nicht als der Braunhaarige tatsächlich fast zwei Schritte entfernt von ihm stehen blieb. Es erforderte Rownans ganze Konzentration nicht auf diese physische Distanz zu reagieren. Würde er es sehr streng formulieren, dann fühlte sich bereits diese Geste wie ein Schlag ins Gesicht an. Noch zu gut erinnerte er sich daran, wie er den Dieb im Eingangsbereich dessen Gilde in den Arm genommen hatte und sich die Verabschiedung am Tag ihres damaligen Auftrages zurückgeholt hatte. Damit hatte er ein klares Zeichen für den Ton des früheren Wochenendes gesetzt. Übertrug der Wolf dies nun auf heute, dann würde es wohl ein kühler Besuch werden, unter Umständen auch ein sehr kurzer. Nicht weniger angenehm war deshalb der Blick Lians, der, statt zu sprechen, den Magier zu mustern schien. Natürlich wusste der Tiermensch, wie sehr ihn gerade sein Schweif verriet, was ihn bereits gestört hatte als er am Bahnhof angekommen war. In diesem Moment jedoch derart offen damit konfrontiert zu werden, besonders nach allem, was er erlebt hatte, löste vieles in seinem Inneren aus, nicht zuletzt Scham. Allerdings überwand er sich nicht dazu seinen Anhang festzuhalten oder gar zu verschleiern. Bevor die Sphynx nicht ein Wort gesprochen hatte, wollte er ihm weiterhin so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten. Und allein diese Wortwahl unterstützte das Narrativ, welches sich im Kopf des Lupinen etablierte.
Dann endlich sprach er. Eventuell hätte er es lieber lassen sollen. Dabei war es so typisch für sein Gesprächspartner, dass es direkt einen beruhigenden Effekt hatte, wenn auch nur leicht. Er kann es einfach nicht besser. Normalerweise hätte diese Reaktion natürlich einer Antwort bedarf, doch die eiserne Miene blieb standhaft. Die Unsicherheit in der Stimme des anderen war ihm dabei keinesfalls entgangen, attribuierte er es allerdings nicht so tiefgründig, wie es der Sprechende gerade selbst mental tat. Anstelle einer verbalen Antwort beobachtete er stattdessen, wie sich der Magier räusperte, während er sich wohl überlegte, wohl überlegen sollte, was er nun noch Weiteres sagen wolle. Eigentlich hätte es Rownan besser wissen müssen und dennoch schaffte der folgende Satz es ihn zu überraschen. Nicht nur die ausweichende Frage war es, der den Wolf am ehesten schlichtweg zweifeln ließ, ob dieses Treffen eine gute Idee war, sondern auch der Inhalt der Aussage. Nur für einen Moment blitzend seine Augen auf, ehe er sich wieder mäßigte. Er war also zwischendurch hier? Ein bekanntes Klopfen manifestierte sich in seinem Hinterkopf, welches er mit wenig Mühe verstummen ließ. Dafür war jetzt keine Zeit und vor allem hatte er keine Lust auf diese Spielchen in diesem Moment. Es gab so viele rationale Gründe, warum diese Tatsache Bestand hatte. Eine Quest wäre die naheliegendste gewesen. Womöglich wäre es dem Satyrs ähnlich ergangen, hätte er sich nicht bewusst gegen Aufträge in der Wüste entschieden. Wohlgemerkt nicht wegen Lian, sondern wirklich nur wegen der Temperaturen. Aber wäre es nicht möglich gewesen, auch schon damals, eine Nachricht da zu lassen? Lian hätte nicht einmal persönlich auftauchen müssen, aber es war der Wunsch nach irgendeinem Lebenszeichen des jungen Mannes, welches sich Rownan gewünscht hätte. Eine solche Feststellung traf einen durchaus eitlen Gesellen heftiger. Irgendwo konnte sich der Grauhaarige dennoch vorstellen, wie zeitgleich auch sein Gegenüber gerade zu diesen oder ähnlichen Erkenntnissen gekommen war, weshalb es nicht verwunderlich war, dass dieser den intensiven Blickkontakt zum wiederholten Mal unterbrach, sinnbildlich stehend für die lange Kontaktpause zwischen ihnen. Dabei konnte sich der Illusionist nicht einmal ausmalen, welcher Machtkampf in den Gedanken des Hybriden stattfand. Jede Fraktion kämpfte um Kontrolle, um ihn zu drücken, zu verstoßen, mit ihm zu sprechen oder zu schweigen, es zu versuchen … oder es zu beenden. Ebenso sinnbildlich wie es der abgebrochen Blickkontakt war, für ihre Distanz, war die Tatsache, dass Lian diesen nach nur wenigen Sekunden wieder aufbaute ebenso ein Merkmale der Beziehung zwischen den beiden. Denn es waren immer ihre Blicke gewesen, die so viel mehr transportierten, als es alle Worte dieser Welt konnten und es waren immer die Augen des anderen, die Seelenspiegel, in welchen beide versuchten Halt zu finden und wirklich und wahrhaftig in den anderen zu blicken. Die hellgründen Augen in Verbindung mit der nächsten Kommunikation, brachten sogar Rownan dazu kurz zu schlucken. Diese verdammten Augen. Ob er es nun von seiner so stoischen Miene dennoch abgelesen hatte oder selbst darauf gekommen war, sprach der Dieb einen mehr als validen Punkt an. Natürlich war auch ihm dieser Gedanke gekommen, in verschiedenster Intensität. Dass dabei die typischen Marotten des jungen Mannes ausblieben, sprach noch mehr für die Aufrichtigkeit dieser Aussage und den damit implizierten Konsequenzen. Lian verstand sehr gut, in welcher Position sich beide befanden. Unter Umständen hatte er unbewusst die richtige Herangehensweise gewählt. Es war in dieser Ernsthaftigkeit, dass dieser endlich die Worte wählte, die Rownan hören wollten, nach welchen er sich fast schon sehnte. Und es war dieser Satz, der die Miene des Wolfes zumindest etwas entspannte. Diese zerreißende Spannung jedoch hatte er ihm alles andere als verziehen.
Nun war es am Satyrs den Blickkontakt abzubrechen. Über den Kopf des anderen hinweg, beobachtete er die letzten Nachzügler der Kolone, die sich in Richtung der Stadt bewegten. „Maldina ist eine touristische Stadt. Hier ist immer etwas, wie du sagen würden, ‚los‘“. Diese Art Aussage wäre sonst ebenso begleitet von einem Augenzwinkern oder einer stimmlichen Veränderung. Allerdings klang die Neutralität weiter mit. Es war dadurch mehr eine trockene Feststellung als ein Signal dafür, dass das Eis zwischen ihnen gebrochen war. Einige Sekunden so verweilend, atmete er noch einmal tief ein und aus, so als ob sich der Lupine vergewisserte wirklich die richtige Entscheidung zu treffen, als sich sein Kopf wieder senkte und den Kontakt wieder aufbaute. Noch einige weitere Sekunden schaute er ihn einfach nur an, ehe seine linke Pranke sich auf dem Kopf des Wuschelkopfes wiederfand. „Ich freu mich auch dich zu sehen“. Einen kurzen Moment verweilte er so, ehe er die Hand wieder zurückführte, sich auf der Stelle umdrehte und den Regenschirm aufspannte. Allein die Berührung fühlte sich wie ein Stromschlag an, der sein ganzes System neuzustarten schien. Eine wilde Reihe an Emotionen spielten sich nun in seinem Gesicht ab, wo es der andere nicht sehen konnte und einiges von der Anspannung der letzten Minuten löste sich von ihm. Irgendwo hatte Rownan das Gefühl schon lange nicht mehr etwas so Anstrengendes erlebt zu haben. Und irgendwo war Lian einfach wie ein hilfloser Welpe, dem man nicht böse sein konnte. Und irgendwo hasste er ihn dafür, dass er nach der ganzen Zeit noch immer in der Lage dazu war, das Gemüt des Wolfes derart zu beeinflussen. Ganz ohne Magie, wie er zumindest hoffte. Von der geruchlichen Essenz, die seine Hand nun in die Nähe seiner Nase führte, noch gar nicht gesprochen. „Vom Wiesenbahnhof bis zu mir ist es noch ein Stück. Ich würde dem Regen an deiner Stelle weniger Angriffsfläche bieten“. Mit diesem Satz gesprochen, begann er sich langsam der letzten Traube Menschen anzuschließen.
Diese Augen. Einerseits wollte Lian dem direkten Blickkontakt mit Rownan ausweichen, wollte ihm entkommen, da er einfach nicht abschließend einschätzen konnte, wie die beiden Magier gerade zueinanderstanden. Konnten sie dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten? Oder war es doch ein gänzlich anderer Zustand, in dem sie sich befanden, nach den vielen Wochen, die seit ihrem letzten Treffen vergangen waren? Doch dann, als er in die Seelenspiegel des Satyrs blickte, verlor er sich schon wieder in dem hellblauen Farbton, erkannte die kleinen Farbverläufe und Nuancen, die in den Augen des Lupinen sichtbar wurden – zumindest für jene, die sich die Zeit nahmen, sie im Detail zu betrachten. Der Falls wusste nicht, dass es Rownan ganz ähnlich erging, dass auch er in die hellgrünen Seelenspiegel des Diebes blickte und sie gedanklich verfluchte, weil sie eine entsprechende Wirkung auf ihn hatten. Und so nahmen die beiden Magier gleichermaßen wenig wahr, wie lange sie sich nur schweigend gegenüberstanden und anstarrten, während die Menschen um sie herum sich bewegten, ihnen teils auswichen und ihnen wohlmöglich auch den einen oder anderen irritierten Blick zuwarfen. Der Illusionist glaubte für den Bruchteil einer Sekunde, den Mundwinkel des Wolfes zucken zu sehen, als wäre es ein kleines, kaum merkbares Lächeln, das sich in seine Züge schlich. Aber Rownan wandte sich zu schnell ab, entzog sich dadurch nicht nur dem Blickkontakt, sondern auch der weiteren Musterung durch den Falls, sodass dieser sich am Ende nicht sicher sein konnte. Hatte er sich das Lächeln nur eingebildet?
Der beendete Blickkontakt sorgte dafür, dass die Uhren wieder tickten, dass Lian wahrnahm, wo sie sich befanden und sie nicht ewig stillschweigend auf diesem kühlen Bahnhofsgelände verweilen konnten.
„Eine touristische Stadt“, wiederholte der junge Mann nachdenklich die Worte des Gegenübers, verkniff es sich allerdings, dem Blick von Rownan über das Gelände zu folgen. Lian war da tatsächlich anderer Meinung. Unwillkürlich erinnerte er sich an seinen ersten Aufenthalt in dieser Stadt, der mittlerweile über ein Jahr in der Vergangenheit lag. Damals, als er das gestohlene Amulette von Yuuki bei einem empfohlenen Schmuckhändler der Ortschaft hatte verhökern wollen und ungeplant auf Isabelle getroffen war. Damals war Lian schnell zu dem Schluss gekommen, dass Maldina ein verschlafenes Dorf voller Bauern war. Aber er verkniff es sich, Rownan das zu erzählen. Nicht nur, weil er befürchtete, dem Lupinen mit einem solchen Urteil über seine Heimat wohlmöglich zu nahe zu treten… irgendwie glaubte der Falls auch, dass die Erwähnung von Isabelle die Stimmung zwischen den beiden Männern nicht gerade entspannt hätte. Nein, das Risiko ging er besser nicht ein, weshalb er schlussendlich nur zustimmend nickte. Ehe weitere Worte über die Lippen des Diebes gekommen waren, drehte sich Rownan wieder in seine Richtung und… legte die Linke auf seinen Wuschelkopf? Es war eine Berührung, die diverse Emotionen im 20-Jährigen freisetzte, allem voran aber… positive, wie er über sich selbst überrascht feststellte. Lian war überzeugt davon, dass das eine Geste war, die er sich im Normalfall nie einfach so hätte gefallen lassen. Die ihm sogar gehörig gegen den Strich gegangen wäre. Aber bei Rownan fühlte es sich irgendwie anders an. Eine Berührung von Rownan, die beinahe beiläufig wirkte, der Sphynx aber so etwas wie Sicherheit und auch eine gewisse Zuneigung vermittelte. Im ersten Moment konnte man die Überraschung leicht aus den Zügen des jungen Mannes ablesen und dann… lächelte er. Vorsichtig, so als sei er nicht sicher, ob es angemessen wäre, just in dem Augenblick, als Rownan die Hand aus seinen Haaren löste und sich abwandte. Er freut sich auch, mich zu sehen Das war ein gutes Zeichen, oder? Lian erinnerte sich an seine Gedankengänge während der Zugfahrt, die Überlegung, ob sein Versprechen, nach Maldina Town zu kommen, wohlmöglich bereits abgelaufen war. Die Gesten und Worte von Rownan gaben dem Dieb allerdings neuen Mut, trotz der Anspannung, die natürlich immer noch in der Luft hing und schon fast greifbar war. Der Falls wusste immer noch nicht, wohin genau dieses Treffen führen würde, allgemein war er sich nicht sicher, ob das, was Rownan und er hier taten, wirklich das Richtige war… aber immerhin wurde ihm klar, dass er mit dieser Unsicherheit über das weitere Vorgehen nicht alleine war. Und so merkwürdig diese Schlussfolgerung von außen betrachtet auch wirken mochte, diese Erkenntnis gab Lian die Entschlossenheit, das Ganze hier fortzuführen, anstatt ständig über Flucht nachzudenken. Ein unbelehrbarer Narr, fuhr dem Braunhaarigen als Selbsturteil durch den Geist und er schmunzelte innerlich. Geschwind folgte er Rownan, als dieser sich mit einem letzten, recht nüchtern ausgesprochenen Satz in Bewegung setzte. Lian fühlte sich beinahe schon euphorisch…
… und fiel dann vom Regen in die Traufe. Haha.
Während der Lupine, ohne sich umzudrehen, mit aufgespannten Regenschirm auf die Straßen Maldinas getreten war, blieb der Falls am Rande der Überdachung des Bahnhofsgeländes stehen und starrte auf den unablässigen Regen, der bereits riesige Pfützen auf den unebenen Straßen der Stadt hinterlassen hatte. Das hatte ich schon wieder vergessen… Lian hatte so wenig Erfahrung mit dieser Art von Wetterzustand, dass er ziemlich lange darüber nachdachte, wie er damit umgehen sollte. Einfach so durch den Regen laufen? Klar, er war nicht aus Zucker, das würde er schon überleben. Der Gedanke, bis auf die Haut durchnässt in Rownans Wohnung anzukommen, war allerdings alles andere als erfreulich. Der 20-Jährige hatte keine Wechselkleidung in seinem spärlichen Gepäck dabei und er bezweifelte, dass Rownan Kleidung besaß, die seinem vergleichsweise schmächtigen Körper auch nur ansatzweise passen würde. Einen Regenschirm hatte er immer noch nicht dabei. Und die Idee, irgendeinen unaufmerksamen Passanten geschwind um seinen Regenschirm zu erleichtern und die Flucht anzutreten, ehe diesem der Verlust auffiel, verwarf Lian auch so schnell wieder, wie er gekommen war. Rownan würde das mitnichten gutheißen. Der ältere Satyrs hatte sich inzwischen noch weiter entfernt, offensichtlich hatte er nicht einmal gemerkt, dass Lian in seinem Rücken stehengeblieben war. Der Illusionist musste sich entscheiden, wenn er nicht den Anschluss verlieren wollte…
… und so entschied sich die Sphynx.
„Sorry“, sprach er aus, just in dem Augenblick, als er zu Rownan unter dessen geöffneten Regenschirm schlüpfte. Einzelne Regentropfen waren in dem lockigen Haar und auf der Kleidung des Falls auszumachen, immerhin war er einige Meter durch das Wetter gelaufen, bis er bei dem Lupinen angekommen war. Vor dem Gröbsten war der Braunhaarige allerdings verschont geblieben, solange Rownan ihm Asyl gewährte. „Ich würde jetzt gerne behaupten, dass ich meinen Regenschirm in Aloe Town vergessen habe. Aber das wäre eine dreiste Lüge. Um ehrlich zu sein, besitze ich keinen Regenschirm.“ Der Braunhaarige schmunzelte und hob die Schultern. „Ist nicht gerade das, was man für gewöhnlich in der Wüste benötigt.“ Das durchgehende Geräusch des prasselnden Regens auf den Schirm ließ den Falls zu dem Schluss kommen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, sich vor der Nässe zu schützen. Andernfalls wäre er innerhalb von Minuten bis auf die Haut durchnässt gewesen. Auch wenn… naja, der Platz unter dem Schirm so gering war, dass es sich überhaupt nicht verhindern ließ, dass die beiden Magier sich berührten. Lian versuchte, es nicht allzu sehr an sich heranzulassen, immerhin waren sie gerade dabei, zumindest ein bisschen… lockerer miteinander umzugehen. Dorthin zurückzufinden, wo sie mal gewesen waren. Das war es zumindest, was sich der Dieb einredete, während er in einer naheliegenden Pfütze das Spiegelbild von ihm und Rownan zu erhaschen glaubte. Er schulterte das Gepäck neu und seufzte leise. Vielleicht war es auch albern zu glauben, dass sie einfach dort weitermachen konnten, wo sie zuletzt gestoppt hatten. Wenn man bedachte, wie viel Zeit vergangen und was für Dinge in der Zwischenzeit geschehen waren. Dennoch: Lian wollte wirklich versuchen, das Beste daraus zu machen, weshalb er – anstatt weiterhin zu schweigen – versuchte, ein paar mehr Worte aus Rownan hervorzulocken. Bisher hatte er ihn doch immer auf die eine oder andere Weise zum Sprechen bringen können, oder? „Wohnst du im Gildenhaus von Satyrs Cornucopia?“, fragte er, da es das erste war, was ihm einfiel. Wenn er sich nicht vollkommen irrte, stimmte die Richtung, die sie derzeit einschlugen, noch grob damit überein. Auch wenn man den Bogenschützen mitnichten als ortskundig bezeichnen konnte. „Und kommt deine Wohnung an mein eigentlich unvergleichliches Refugium heran?“, ergänzte er im sarkastischen Tonfall und suchte den Blickkontakt mit Rownan. Irgendwie konnte sich Lian nicht vorstellen, dass der Lupine sich mit einer Wohnung, wie Lian sie bewohnte, zufriedengegeben hätte. Sicher sagen konnte der junge Mann es aber natürlich nicht. Es war... ein Anfang, damit die beiden Männer mehr miteinander ins Gespräch kamen. Ob Rownan darauf eingehen würde?
#3 Keine Sekunde zu früh hatte Rownan sich aus dem Gespräch „gerettet“, sich umgewendet und war losgelaufen, ehe er die Contenance verloren hätte. Mit dem Geruch in der Nase und dem Rücken seinem Gast zugewandt, hatte er das erste Mal in der kurzen Zeit, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatte, die Möglichkeit allem, was ihn bewegte, freien Lauf zu lassen, obwohl er durch dieses rabiate Verhalten natürlich die feinen Nuancen verpasste hatte, die er durch seine Geste in Lian ausgelöst hatte. Das Lächeln jedoch, wenn nur kurz, war ihm nicht entgangen. Eigentlich hatten damit beide die Bestätigung, sogar die Gewissheit, dass sie dort weitermachen konnten, wo sie aufgehört hatten. Dafür müsste allerdings einer von beiden genau diese Tatsache aussprechen. Eine Fähigkeit für die keiner der beiden wirklich bekannt war, wenn man ihre Vergangenheit betrachtete. Zumindest nicht ohne die ein oder andere Auseinandersetzung. Zumal im Fall des Wolfs gerade andere Geschehnisse seine volle Aufmerksamkeit verlangten und für solche oder ähnliche Gedankengänge kaum Kapazität vorhanden war. Es waren eben jener Geruch, der, durch die krallenbesetze Hand, die nun den Regenschirm trug, jetzt keine 30 Zentimeter von seiner feinen Nase entfernt war. Es fühlte sich nun beinahe so wie zu ihrer ersten Begegnung an. Nicht der Abschied, nicht die Bar sondern tatsächlich ihr erstes, physisches Aufeinandertreffen. Das Blut des Braunhaarigen hatte ihn damals elektrisiert und der Magier wusste nun zu gut, dass er zwar manipuliert worden war, aber es einen tiefliegenden Wunsch gab eben jenes Verhalten an den Tag zu legen. Ganz ohne Einwirkung von außen. Genau das war es gewesen, was ihn so empfänglich für den Zauber gemacht hatte. Jetzt in diesem Moment waren die Eindrücke ebenso berauschend, doch rein positiver Natur. Gefühle wie Freude, Hoffnung, Lust, Dankbarkeit, Inspiration und … Liebe wären die Worte, zu welchen der Grauhaarige gegriffen hätte, wenn er versucht hätte, diese Flut an Empfindungen zu sortieren. So war es sein Körper und primär sein Gesicht, welches diese Welle bremste und sichtbar machte. Zu seinem Glück hatte er genau deshalb dem Wüstenmagier den Rücken gekehrt und auch die Leute um ihn herum schienen ihm keine große Beachtung zu schenken nicht zuletzt, weil sie das Ende des schützenden Bahnhofes erreichten und sich bereitmachten in den strömenden Regen einzutreten. Seine Rute hingegen kam ihm nun gelegen, denn diese machte einfach nur so weiter wie vorher. Bis zu ihm war es natürlich nicht so weit, wie er dem anderen propagiert hatte, aber lang genug, um sich zu sammeln und all diese Impressionen in konstruktive Bahnen zu lenken. Allmählich bemerkte er durch eben diese Gedankengänge, dass der initiale Funke, der ihn im Denken und Handeln lähmte, fortwährend erlosch. Nicht so sehr, dass er keine Gefühle mehr hatte, aber genug, um wieder Herr seiner Sinne zu werden. So würde er seinen Frust aber auch seine Wiedersehensfreude verbalisieren können ohne dabei wie ein einfältiges Kind vor sich her zu stammeln. Je länger Rownan darüber nachdachte, nachdenken konnte, was er gleich alles tun könnte und würde, desto sicherer wurde er wieder in seinem Sein.
Das Problem des Satyrs war jedoch, dass er die Rechnung wie immer ohne seine schlechtere Hälfte gemacht hatte. Völlig in Gedanken verloren, hatte er nicht damit gerechnet, dass die Worte, die er an Lian gerichtet hatte ausnahmslos sinnfrei verpufft waren. Eigentlich hatte er intendiert, dass dieser ebenso seinen Schirm aufspannte und dem Lupinen ohne viel Aufsehen folgte. Ohne Regenschirm etwas, was nur schwer möglich war. Da Rownan allerdings wie mit Scheuklappen aus dem Schutz herausgegangen war und aufgrund allem, was auf ihn einwirkte, nicht die Überlegung hatte sich nach seinem Gast umzudrehen, entging ihm schlichtweg die Tatsache, dass jener noch immer dort stand und überlegte, was nun zu tun war. Gerade kam dem Hybriden, während er den Regen, die Lachen und die Stadt als solche beobachtete, Allegorien, Metaphern und Symbole in den Geist als er die Stimme des Illusionisten vernahm, ganz nah an ihm, ehe sich eben dieser unten den Regenschirm schummelte. All die aufgebaute Zuversicht, viel eher noch der Mut und das Selbstbewusstsein verpufften ebenso schnell, wie es der warnende Hinweis des Tiermenschen zuvor getan hatte. Nur mit Mühe unterdrückte er ein stotterndes Äußern des Namen seines Begleiters. Seine Körpersprache war es jedoch, die ihn womöglich erneut verraten würde, allen voran seine Rute, die, wie von einer Kältewelle getroffen, zu Eis erstarrt zu sein schien. Seine Ohren angespannt, die Schulter hochgerissen, wodurch nicht zuletzt der Regenschirm etwas nach oben glitt, kämpfte sein Körper erneut mit den Urinstinkten: Sollte er fliehen oder kämpfen? Natürlich lauschte er den Worten des anderen, doch sein Kopf wendete sich schlagabartig ab, versuchte irgendeinen Punkt zu erfassen. Irgendwas, was nicht das hübsche, liebliche Gesicht Lians war. Und allein diese Attribuierungen bestätigten ihn in seinem Verhalten. Und wie so oft, schon seit er den jungen Mann kannte, fragte sich Rownan, wie es dieser schaffte all seine Sitten, Normen und Erziehung so mühelos ins Wanken zu bringen. Es war zum verrückt werden. Die unbewusst bewusst Berührung multiplizierte diese Problematik nur noch um ein Vielfaches. Es war einzig sein Fell, welches noch peinlichere Äußerungen nach Außen verhinderte. Leider war er insgesamt so sehr abgelenkt worden, dass die Worte des Diebes zwar sein Ohr erreichten, sie aber keinesfalls wirklich verarbeitet wurden. „Ja“ äußerte er kurz und knapp auf die Aussage in der Hoffnung, dass keine Frage gestellt worden war. Ein Moment verging und Lian sprach erneut. Für den Wolf fühlte es sich so an als ob sie Unterwasser miteinander sprachen. Nicht ganz falsch, wenn man die Menge an Wasser betrachtete, die der Himmel ihnen gerade entgegenschüttete, aber keine wirklich Ausrede, da sein Gesprächspartner alles andere als nuschelte. „Was?“ war die irritierte Antwort auf die erste Frage, „Bitte?“ folgte auf die Zweite. Refugium wurde im Kopf des Hybriden zu reinstem Kauderwelsch. Die Hitze, die zuvor dafür gesorgt hatte, dass er seinen Kragen lockern musste, stieg wieder in ihm auf und ohne darüber nachzudenken, griff er sich mit seinen freien Hand dorthin und zog dran so als ob er sich Luft verschaffen müsste. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er zu hecheln begann. Nicht allerdings wegen der Temperatur sondern schlichtweg aus Stress. Er musste seine Gedanken fokussieren, sich irgendwie wieder in dieses Katz und Mausspiel einbringen. Aber wollte er das? Hatte nicht beide auf die ein oder andere Art festgestellt, dass es zwar komisch war, die Gefühle für den jeweils anderen aber alles andere als verschwunden waren? Wie nur wie konnte er diesen Gedanken transportieren. Und wie würde er diese verdammte Wärme loswerden!?
Egal wie viele Überlegungen er anstellte, er würde zu keiner zufriedenstellenden Lösung kommen. Nichts wäre authentisch, nichts würde sich echt anfühlen. Es musste etwas sein, dass beide dazu zwingen konnte über den Elefanten im Raum zu sprechen. Wofür sich Rownan letztendlich entschied in diesen wenigen Sekunden, war nichts anderes als der Versuch die Distanz der beiden, sei es die Schrittlänge am Bahnhof aber sogar auch ihr leichter Kontakt unter dem gemeinsamen Regenschirm, gepaart mit ihren verbalen Wortfetzen, aufzubrechen. Sich selbst und damit irgendwo auch Lian wieder aus ihren Komfortzonen zu holen, die Momente provozieren, die ihnen beiden so fremd waren und dadurch erst ihre Echtheit, ja sogar Schönheit erhielten. Noch einen kurzen Augenblickt schaute er vorbei in den Himmel. Will ich mir das wirklich antun? Nichts was eine Bürste nicht wieder hinbekommt. Seine Tat war so simpel wie brillant zu gleich. Statt sich in den nächsten Schirm zu stemmen, setze er den Fuß beinahe schon in der Luft ab, verlagerte sein Gewicht nach hinten und lockerte den Griff um den Schutz, wodurch es im Komplettpaket so wirkte als ob eine starke Böe den Schirm erwischt hatte. Seine Rute wischte fast beiläufig von rechts nach links. Mit dem Mana, welches er in dieser kanalisiert hatte, attackierte seine Magie die einzige Trennung zwischen ihnen und der kühlen, unbarmherzigen Nässe und riss ihm diesen nun nicht einmal nur förmlich aus der Hand. In dieser Situation hätte es schon ordentlich Kraft bedürft das Objekt festzuhalten. So wendete er sich noch mit gespielter Hoffnung dem Gebilde hinterher und seine Kralle griff ins Leere, ehe der Wind tatsächlich unterstütze und den Gegenstand über die Dächer der Stadt bewegte. Der Regen erfasst beide sofort und Rownan spürte, wie sich die Flüssigkeit bis in die tiefsten Schichten seiner Haare zu fressen schien. Kein angenehmes Gefühl. Und doch erlebte er so etwas wie Freiheit. Den Blick wieder zu Lian richtend, betrachtete er ihn kurz, machte dabei keine Anstalten sich zu bewegen, ehe er seinen Kopf gen Himmel richtete und ...lachte. So unangenehm die Nässe war so angenehm fühlten sich die kalten Temperaturen an. So sehr, dass er wieder klarer bei Verstand war. „Jetzt sind wir nicht einmal in der Wüste“ begann er dann zu sprechen, bevor den Blickkontakt förmlich suchte „und doch ist mein Fell wieder nass. Man könnte meinen es liegt an dir, Lian“. Ein echtes Lächeln bildete sich in seinem Gesicht, während er gleichzeitig die Handflächen hob und dem Regen beim Aufprallen zusah. „Sieh es als eine Art Willkommensgeschenk: So etwas erlebst du wohl nicht so schnell in Aloe“. „Mein Refugium, wie du es nennst, ist nicht weit. Das Tempo überlasse ich dir“. Die Frage war, wie sehr er dem Braunhaarigen wirklich das Tempo überließ, wenn man diese Aktion betrachtete. Beide machten jedenfalls Schritte auf den anderen zu, auch wenn diese verdammt klein waren.
Lian runzelte irritiert die Stirn, wenngleich das Lächeln auf seinen Lippen erhalten blieb. Aumerksam musterten die hellgrünen Seelenspiegel Rownan und der 20-Jährige fragte sich, ob er… missverständlich gesprochen hatte? Die Fragen des Lupinen wirkten so aus der Luft gegriffen und unpassend zu dem, was der Falls gesagt hatte, dass er sich doch einen winzigen Augenblick selbst infrage stellte. Eigentlich hatte das alles einfach nur ein kleiner Witz sein sollen, um die Stimmung aufzulockern. Okay, ja klar. Lians Humor war vielleicht nicht der Beste und es wäre wohl zu viel verlangt gewesen, als Belohnung ein herzhaftes Lachen von dem Lupinen zu ergattern. Aber nicht einmal ein Lächeln? Ein winziges Schmunzeln? Oder nur ein… zuckender Mundwinkel?! Ach komm, so schlecht war der Humor nun auch wieder nicht gewesen! Der Satyrs Magier wandte den Blick ab, nestelte an seinem Kragen herum und obwohl Rownan eigentlich nur nach Luft und ein bisschen Freiraum suchte, wirkte es auf den Falls, als überlegte sein Kollege ernsthaft, wie er auf die Witze angemessen reagieren sollte. Meine Güte, es brachte den Wüstenbewohner für einen kleinen Augenblick sogar dazu, ernsthaft darüber nachzudenken, sich für den schlechten Witz zu entschuldigen! Hätte Lian mal seine Emotional Magic genutzt, dann hätte er wissen können, was wirklich hinter dem Verhalten von Rownan stand. Obwohl, ganz ehrlich: Emotional Magic wäre dafür nicht einmal nötig gewesen. Ein bisschen Menschenverstand hätte bereits vollkommen ausgereicht. Aber Menschenverstand war etwas, das Lian auffallend häufig in der Gegenwart von Rownan abhandenkam. Woran das wohl lag?
So oder so rechnete der Lockenkopf nicht mit dem, was wenige Sekunden später geschah.
Sein Mund hatte sich bereits geöffnet, um irgendwelche Worte zu formen, die die Stille zwischen den Magiern erneut durchbrechen sollten, da veränderte sich unerwartet die Haltung von Rownan. Der Schirm wanderte bedenklich weit nach hinten und die linke Hand, die den Schirm umklammert hielt, entfernte sich vom Körper der Satyrs Magiers. Es war eine Pose, die alleine schon ausreichte, um zu erahnen, was gleich geschehen könnte… mitnichten bekam Lian allerdings mit, dass es ein Manaimpuls war, der ihr Schicksal besiegelte und nicht eine echte Windböe, die durch die Straßen Maldina Towns fegte. Just in dem Augenblick, als sich die krallenbesetzten Finger des Lupinen vom Schirm lösten, zuckte Lians eigene Hand nach vorne, aber natürlich war es zu spät, um noch irgendeine Rettung zu ermöglichen. Der Schirm flog gen Himmel, entfernte sich in Windeseile von den Magiern und verschwand am Ende schlicht hinter den Dächern der Stadt. Und mit ihm zusammen verschwand auch die letzte Hoffnung des Wüstenbewohners, an diesem Tage trocken in der Wohnung von Rownan anzukommen. Benommen blieb Lian stehen, vollkommen ungeschützt vor dem unerbittlichen Regen, der nicht nur auf ihn niederprasselte, sondern auch sofort von seiner Kleidung aufgesogen wurde, als hätte diese auf solch eine einmalige Gelegenheit nur gewartet. Es dauerte nicht lange, bis das lockige Haar an Volumen verlor, dem jungen Mann stattdessen unschön in der Stirn klebte. Ja, in diesem Augenblick fühlte sich Lian ganz genau so, wie er von außen betrachtet auch aussehen musste: Wie ein begossener Pudel. Wieder einmal wechselte er einen stummen Blick mit Rownan, der sich genauso wenig bewegt hatte – aus Schock über den Verlust des Regenschirmes oder aus ganz anderen Gründen, vermochte der Falls gerade nicht zu sagen. Dennoch blinzelte der 20-Jährige, als der Lupine den Kopf in den Nacken legte. Er lacht?! Die rechte Augenbraue des Illusionisten huschte skeptisch nach oben. Man mochte meinen, es läge an ihm? Hatte er nicht letztens erst mit einem anderen Magier zu tun gehabt, der ganz ähnliche Worte an die Sphynx gerichtet hatte? Lian schnaubte voll gespielter Entrüstung: „Solche Dinge höre ich in letzter Zeit eindeutig zu oft. Sollte mir das wohlmöglich zu denken geben?“ Ohne es bewusst wahrgenommen zu haben, hatte sich auch in dem Gesicht des Braunhaarigen ein breites, kaum zu übersehendes Grinsen ausgebreitet, das auffallend wenig zu der nassen Kleidung und der kalten Luft, die ihn normalerweise hätte erschaudern lassen müssen, passte. Lian sollte es eigentlich gerade beschissen gehen. Er sollte frieren, fluchen und irgendjemanden verteufeln. Warum … fühlte er sich dann gerade so wohl? Warum machte ihm diese Situation auch noch Spaß? Wieder ein Schnauben, als Rownan ihm offenbarte, dass dieser kühle Regen ein Willkommensgeschenk sein sollte. Anstatt loszulaufen, wie es sich eigentlich in dieser Situation gehört hätte, sprach der Lupine seelenruhig weiter und erwähnte beiläufig, dass es kein allzu weiter Weg bis zu seiner Wohnung wäre und dass er das Tempo, um dorthin zu gelangen, seinem Besucher überließ. Lian schüttelte ungläubig den Kopf und wollte Rownan fragen, ob er geisteskrank war, hier im strömenden Regen herumzustehen und zu quatschen, als würden sie gerade beim Abendessen miteinander verweilen und nicht immer mehr durchnässt werden. Aber… die Worte kamen ihm einfach nicht über die Lippen, irgendetwas schien ihn daran zu hindern, es auszusprechen. Genauso wenig wie der Falls das Lächeln aus seiner Mimik entfernt bekam, während er seinen Kollegen betrachtete. Und dann… dann lachte auch Lian endlich los. „Rownan, hörst du dir selbst eigentlich zu?“, fragte er, sichtlich amüsiert und schüttelte erneut den Kopf. Lian lief los, nicht aber, ohne Rownan im Vorbeilaufen am Handgelenk zu packen und mit einem ordentlichen Ruck ebenso in Bewegung zu setzen. Natürlich war das alles ein aussichtsloses Unterfangen: Bis sie die Wohnung erreicht hatten, wären sie beide durchnässt – wenn sie es denn nicht jetzt schon waren. Aber sollten sie nicht zumindest den Anschein erwecken, darum bemüht zu sein, dem Regen zu entkommen? Und wenn es nur mit der Absicht geschah, morgen nicht todkrank im Bett zu liegen? Ganz gleich, dass ein Lupine und ein ehemaliges Straßenkind ein bisschen Regen vermutlich gesund überstehen würden. „Ich gebe zu, so ein Willkommensgeschenk hat mir noch keiner gemacht“, ließ er Rownan im Laufen wissen und wich auffallend geschickt einigen Pfützen zur rechten und linken Seite aus, ehe er über eine besonders große Lache hinwegsprang, die sich direkt vor dem Magier aufgetan hatte. Maldina Town sollte dringend mal seine Straßen erneuern, so schlecht, wie das Regenwasser ablaufen konnte! „Und ehrlich gesagt bin ich mir auch noch nicht sicher, ob ich so ein Willkommensgeschenk in Zukunft nochmal erhalten möchte“, sprach er weiter und lachte erneut, ehe er endlich über die Schulter zurück zum Lupinen blickte. „Es wird mir auf jeden Fall in Erinnerung bleiben.“ Die hellgrünen Seelenspiegel funkelten amüsiert auf. Mit dem Zeigefinger deutete Lian nach den Worten vor sich, die Straße entlang. „Aber für den Moment wäre ich dir echt verbunden, wenn du den Weg ansagen würdest. Und ich hoffe, du hast ausreichend Handtücher, denn ich befürchte, die werden wir benötigen.“ Wenn ein paar Handtücher denn ausreichend waren. Lian war gerade erst in Maldina angekommen, hatte Rownan nach all der Zeit gerade erst wiedergetroffen und nur ein paar wenige Worte mit ihm ausgetauscht… wie hatten sie bitte sofort wieder in so eine Situation geraten können?!
#4 Wie man in eine solche Situation geraten konnte? Es war eine Mischung aus Kalkül, impulsiven Verhalten und einer Prise Liebe, die das so merkwürdige und doch gewohnte Verhalten der beiden am heutigen Tag erklären konnte. Jetzt, wo Rownan wieder etwas klarer denken konnte, wusste er auch, warum er am Bahnsteig so neben sich war. Es war Lian mit jeder Facette, Macke und Reaktion. Jede Unze des anderen elektrisierte den Hybriden und er genoss jede Sekunde davon. Es brauchte nur ein wenig Zeit und Regen, damit er diesen Fakt wieder einmal realisieren konnte. Es hatte länger gedauert als geplant aber es hatte seinen Seelenverwandten wieder hierher, wieder zu ihm gebracht und endlich hatten sie wieder Zeit für einander. Und es musste diese Vorfreude sein, die den Wolf so durcheinandergebracht hatte. Er genoss jede Sekunde und erst jetzt merkte er wirklich bewusst, wie sehr im der andere gefehlt hatte. Als wäre ein Stück seiner Selbst verlorengegangen nur um jetzt an die passende Stelle eingefügt zu werden. Sein Herz schlug noch immer schnell, doch in diesem Augenblick war es ein so gewohntes Gefühl, dass er es mit offenen Armen empfing statt sich dagegen zu wehren. Wer es noch nicht bemerkt hatte: der Lupine war verdammt glücklich. All der Frust, das Warten, die Unsicherheit waren aktuell erst einmal nebensächlich. Nichts was zu schwer wog oder unbedingt vorher geklärt werden musste. Dafür hatten sie alle Zeit der Welt, wo sie doch wieder auf einem Haufen waren. Nicht verwunderlich, dass er mit dieser Emotionsexplosion den anderen überfordert hatte. Jedoch nicht, weil dieser seine Magie nutze, um nachempfinden zu können, was gerade passierte, sondern schlichtweg, weil dieser nicht mit einem fast irrationalen Verhaltens seines Partners gerechnet hatte. Dabei musste doch gerade Lian wissen, welche Wirkung sie aufeinander hatten, noch immer hatten. Nur wenige weitere Momente vergingen, da stieg der Braunhaarige bereits mit in das Theater ein, welches sie einander vorspielten und Rownan erfreute sich daran. Selten fühlte sich der Tiermensch so unbeschwert, wie in diesen Situationen und womöglich war es auch genau der Grund, weshalb es so fremd auf sein Umfeld wirkte. Keine Spur vom ordentlichen, gestriegelten, kalkulierten Rownan schien in diesen Momenten durch. Stattdessen war es lebendig, organisch, chaotisch. Vielleicht könnte man das als Schwäche bezeichnen, unter Umständen würde er es in ruhigen Minuten selbst so nennen, aber eigentlich war es ein Zeichen seiner Entwicklung, wie auch Hingabe einer Person gegenüber, die ihn so gut verstand, wie kein anderer. War es nicht fast schon nur fair, dass er sich diesem gegenüber so verhielt. Ihn nicht mit Förmlichkeiten oder Standesdünkel bei der Stange hielt. Irgendwo war dies hier einfach ein Stück Persönlichkeit, welches schon lange keine frische Luft mehr bekommen hatte, wenn man es so umschreiben wollte. Nicht immer war der Kampf einer gegen seine animalische Seite. Auch diese Dinge zeigten sich wohl nur begrenzt, zumindest bei Fremden. Und Lian war alles andere als ein Fremder.
Ob ich mir zuhöre? Oh, ich weiß genau was ich gesagt habe und ich meine es so ging es dem Grauhaarigen durch den Kopf, während er nach außen hin nur auf seinen Begleiter hinabschmunzelte, das Lachen allmählich zurückziehend. Was ihn daraufhin überraschte, war die Körperlichkeit seines Freundes, genau wie zuvor, als dieser unter den Schirm schlüpfte. Dieses Mal lähmte es ihn nicht. Dieses Mal war es wie Kohle für die lodernde Flamme in seinem Inneren. Ihre erste Berührung an diesem Tag und durch das Wetter und ihre Stimmung wirkte es fast so als ob sie nun auf ein Abenteuer aufbrechen würden. Die Blicke, die Nässe, der Weg, so vieles wirkte auf einmal so nebensächlich. Obwohl er wusste, was ihr Ziel war, ließ sich Rownan mitziehen, gespannt darauf, wohin sie ihre Reise bringen würde. Bis sie losgelaufen waren, war selbst er bereits bis in die letzte Schicht durchnässt. Natürlich hatte er für sich ein paar Wechselklamotten. Bei der Sphynx musste er etwas kreativ werden, so spärlich, wie dieser gepackt zu haben schien. Wann hatte er sich das letzte Mal über so triviale Dinge Gedanken gemacht, Gedanken machen können? Ein so wohltuendes Gefühl. Das Lob seines „Geschenkes“ nahm der Magier amüsiert kopfschüttelnd entgegen und musste den Blick tatsächlich abwenden, um nicht doch noch auffällig zu erröten. Die Augen also wenig auf die Straße gerichtet, waren die eigenen Manöver um das nasse Pflaster der Stadt weniger elegant. Und dann sprach der Schütze Worte, die wohlwollender nicht hätten aufgenommen werden können. Zwischen all den Beschwerden, die dieser in seine Aussage verbaute, war es doch ein Kompliment. Sie hatten hier an diesem Ort, Rownans Wahlheimat, schon nach kurzer Zeit wieder eine Erinnerung, die sie schätzen konnten an kalten Tagen oder wenn einmal nicht alles so rosig wirkte. Gepaart mit dem Lachen wusste auch der Hybride, wie gut es seinem Besuch gerade ging. Kein Wunder, dass er dem Blick in die Seelenspiegel des anders nicht auswich, wie er es bei den Pfützen hätte tun sollen, in die er geradewegs hineinlief, sondern hielt diesem Stand und fixierte sie ebenso zurück. Warum nur, warum hatten sie nicht gleich so angefangen? So sehr zumindest der Befellte alles um sich herum genoss, so sehr schien der Dieb allmählich von den Wassermassen genervt zu sein. Es war an Rownan nun zu Lachen und die Führung zu übernehmen. „Dabei dachte ich, ich hätte hiermit genau deinen Nerv getroffen. Endlich siehst du so aus, wie du dich manchmal fühlst“. Weiter ausführen musste er diese Aussage nicht. „Pah, Handtücher“ erwiderte er ihm gespielt echauffiert „In Casa del Rownan wird dein minimalistisches Herz noch Freudensprünge machen. Du wirst nie wieder gehen wollen. DAS wird dir in Erinnerung bleiben“ beendete er seine kleine Antwort, warf seinem Gesprächspartner beim Überholen noch ein kleines Lächeln zu, ehe er diesen überholte und ihn ebenso für eine kurze Zeit am Handgelenk packte, so als ob er sich Sorgen machen müsste, dass der arme Mann verloren gehen könnte. Gleichzeitig äußerte er natürlich auch etwas, was beide wohl direkt verdrängt haben. Bis jetzt waren diese Treffen immer auf Zeit. Zeit, die bereits jetzt ablief.
Um eine weitere Ecke biegend, erreichten sie endlich den Gebäudekomplex, in welchem sich auch die Wohnung des Satyrs befand. Durch das Atrium in der Mitte, waren die Wohnungen über eben jenes zu erreichen und so entkamen sie dem Regen bereits als sie in den Gang traten, der sie zu den Eingängen führte. Das Atrium selber war bis auf die freie Fläche in der Mitte, wo der Brunnen gut sichtbar residierte, überdacht und so würden sie von hieraus die Wohnung betreten können ohne wiederholt durchnässt zu werden. Zielstrebig ging Rownan auf die Treppe zu und spürte gegenwärtig sehr deutlich, wie viel Wasser seine Klamotten, aber vor allem er aufgenommen hatte. Ein ihm sehr bekannte Person würde gleich eine böse Überraschung erleben. Fast schon kindisch waren diese Gedankengänge. Bereits beim Aufstieg zur Tür überlegte er nochmal zu pausieren, so wie er es damals in Aloe getan hatte. Um ein paar Dinge loszuwerden, den Tonus des Wochenendes zu setzen und schließlich seine privaten Räume für seine bessere Hälfte zu öffnen, so wie diese es zuvor getan hatte. Doch dieses Mal entschied sich Rownan dagegen. Stattdessen entschied er sich für praktische Worte. „Nimm die Schuhe mit rein, der Flur lässt sich gut reinigen und dann trocknen sie schneller“. Beinahe schon zu rational klangen diese Worte, nach allem was gerade passiert war, als parallel dazu der Schlüssel ins Schloss glitt und er die Tür aufsperrte. Dadurch, dass die Sonne sich nun hinter den Wolken versteckte, wirkte die Wohnung etwas dunkler und doch wusste er blindlings wo sich alles befand. Den Schlüssel auf der anderen Seite wieder in die Verriegelung steckend, machte er endlich Platz, sodass Lian seine Wohnung betreten und die Tür hinter ihnen geschlossen werden konnte. Endlich waren sie zu zweit. Natürlich konnte der Wolf beobachten, wie die Augen des Magiers durch die unbekannte Umgebung wanderten, jedoch hätte dieser später noch genug Zeit sich umzusehen. Immerhin war da doch noch das Problem mit der Nässe. „Ich zeig dir einen Trick, wie man das Wasser effektiver loswird“ zog der Grauhaarige die Aufmerksamkeit wieder auf sich, ehe er sich, ganz typisch für sein Stammtier, von Kopf bis Fuß schüttelte. So konnte er selber eine ganze Menge Wasser loswerden und im gleiche Zug Lian noch etwas mehr durchtränken. Sein Flur war dafür bestens konzipiert. Er würde ihn schnell trocken können. Sein eigentlicher Plan offenbarte sich erst jetzt. Wie es typisch war bei diesem Verhalten, kniff Lian die Augen zu, riss sogar die Arme hoch, obwohl diese nicht viel nasser werden konnte. Just in diesem Augenblick überbrückte Rownan den einen Meter, packte seinen Freund mit der linken unter dessen Gesäß, hob ihn mühelos an und presste ihn noch sanft genug gegen die Pforte, bevor sein rechter Arm nun nach vorne schoss und sich an der Tür abstütze, unweit des Kopfes des Gepackten. Eine solche Aktion hatte mannigfaltige Implikationen und löste vermutlich gerade diverse Reaktionen aus. So auch beim Hybriden. Der Geruch des anderen war wieder intensiv in seiner Nase. Zudem hatte er endlich wieder physischen Kontakt aufgebaut, war in den Raum des anderen eingedrungen. Die Gänsehaut war wunderbar sichtbar geworden, seine Schnauze nur wenige Zentimeter vom Gesicht des anderen entfernt. Einen kurzen Atemzug hielt er diese Pose, ehe sein rechter Arm ein nachvorne gefallenes Haar seines Gastes sanft nach hinten strich. „Ich habe dich wirklich vermisst Lian“ sprach er sanft, fast wispernd. Eigentlich müsste noch etwas folgen, jetzt, wo sie so nah aneinander waren. Jedoch konnte er ja nicht die ganze Arbeit für Lian erledigen. Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen bereits jetzt am nassen Shirt des anderen zu zupfen. Zeitnah müsste er die Heizung aufdrehen, wenn seine bessere Hälfte nicht erfrieren sollte.
Sollten die beiden Magier gerade das Ziel verfolgen, vor dem Regen zu fliehen, so musste festgehalten werden: Das war ein vollkommen hoffnungsloses Unterfangen. Noch bevor sich Lian und Rownan wirklich in Bewegung gesetzt hatten, waren sie bereits bis auf die Haut durchnässt und ein Blick gen Himmel genügte, um sicher zu sein, dass der Regen in naher Zukunft auch nicht enden würde. Der Falls glaubte sogar, dass die Tropfen noch an Intensität zunahmen, während er einigen Pfützen auf der unebenen Straße Maldina Towns geschickt auswich und sich in einer beiläufigen Bewegung die patschnassen Haarsträhnen aus der Stirn strich. Oder hing dieser Eindruck nur mit dem eiskalten Wind zusammen, dem sie sich entgegenstemmen mussten und der die Situation noch viel schlimmer machte? Ja, der Bogenschütze spürte die Nässe und auch die Kälte, die ihm eine Gänsehaut bescherten, je länger er gemeinsam mit dem Satyrs durch die Straßen irrte. Er war eben ein Wüstenbewohner, der Trockenheit und Hitze im Alltag gewohnt war und diesen Wetterzuständen auch deutlich mehr abgewinnen konnte. Und dennoch musste Lian… lachen. Warum lachte er? Warum begeisterte es den jungen Mann so sehr, hier gemeinsam mit Rownan durch den Regen zu laufen, fast schon albern und kindisch? Der Illusionist fühlte sich so frei und unbeschwert wie schon lange nicht mehr, als sein Freund ihm nicht nur folgte, sondern auch auf die Aussagen reagierte. Wie konnte der Falls es nur wagen, daran zu zweifeln, dass es in der Wohnung des Lupinen Handtücher gab! Es sollte sogar noch mehr als nur das geben. Noch während der Grauhaarige an ihm vorbeizog und ihm ein kurzes Lächeln zuwarf, machte das Herz des Falls tatsächlich einen kleinen Hüpfer… wenngleich das vermutlich nicht mit der Wohnungsausstattung des Satyrs zusammenhing, oder? Er würde nie wieder gehen wollen? Lian befürchtete es allmählich selbst. Er und Rownan waren so lange getrennt gewesen, es gab noch so viele Dinge, über die sie sprechen mussten, die sie nicht einmal voneinander wussten… ganz abgesehen von dem Frust, der Sorge und vielleicht sogar Trauer, die sie verspürt hatten in der Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten – unter anderem, weil Lian sich trotz seines Versprechens nicht gemeldet hatte. Ein Illusionist, ein Taugenichts und ein Dieb, gingen ihm mal wieder einige Urteile durch den Kopf, die andere Menschen über ihn getroffen hatten und die – so ehrlich musste man sein – leider viel zu oft den Nagel auf den Kopf trafen. Niemand konnte seiner Herkunft entkommen, auch ein Lian Falls nicht… eine Sache, über die er dringend mit Rownan sprechen wollte, denn es war ein Thema, das sie bisher höchstens an der Oberfläche behandelt hatten. Doch irgendwie rückten alle Bedenken des 20-Jährigen zunehmend in den Hintergrund, während er die Rückansicht seines Freundes betrachtete, sein Lachen hörte und sogar kurz selbst schnaubte, als Rownan mit besonderem Schwung in eine der größeren Pfützen trat und Lian dadurch noch nasser machte als ohnehin schon. Sie hatten noch Zeit, um über die Dinge zu sprechen. Es war in Ordnung, die gelassene Stimmung und die Freude, die sie gerade empfanden, einfach zu genießen, oder? Ja… sie beide hatten es durchaus verdient, sich ein wenig treiben zu lassen. Allem voran, wenn man bedachte, wie sie in dieses Treffen am Bahnhof von Maldina Town gestartet waren. Lian lächelte – nicht direkt für Rownan, der es ohnehin nicht sehen konnte, sondern vielmehr für sich selbst. Ihm ging es gerade wirklich gut.
Erst als der Lupine das eilige Tempo drosselte und sie eine Überdachung erreichten, konzentrierte sich Lian wieder mehr auf seine Umgebung. Hier wohnte der Satyrs also? Wenn die Wohnungen von innen auch so aussahen, was das Gebäude von außen versprach, dann war sich der Wüstenbewohner sicher, dass sein winziger Kabuff im Gildenpalast wirklich nicht mit den säuberlichen Gemächern Rownans mithalten konnte. Besonders am Steinbrunnen, der sich auf dem rechteckigen Platz in der Mitte des Gebäudes befand, blieb der Blick der hellgrünen Augen ein wenig länger hängen. War das ein Ort, an den die hiesigen Bewohner sich auch mal trafen? Und benutzten sie den Brunnen auch? Oder war das reine Dekoration, damit es hier noch ein bisschen edler und gehobener aussah? Ein bisschen fehl am Platz fühlte sich der Dieb schon, der den Großteil seines Lebens bei der Unterschicht Aloe Towns verbracht hatte. Wieder dieser Gedanke mit seiner Herkunft. Es erinnerte ihn an seine erste Begegnung mit Rownan, als er diesem verbittert deutlich gemacht hatte, dass er mit der gehobenen Gesellschaft so wenig wie möglich zu tun haben wollte. Mit einer gehobenen Gesellschaft wie jener, die hier in Maldina Town residierte? Bisher nicht mehr als eine Vermutung. Was allerdings keine Vermutung war: Rownan war ein Teil jener Menschen, die hier lebten und damit wohlmöglich auch ein Teil dieser Gesellschaft. Aber der Lupine war anders – das wusste die Sphynx mittlerweile. Die Schichten reichten tiefer, als man auf den ersten Blick vielleicht urteilen wollte und das war ein Gedanke, an dem der Falls für den Moment festhielt. „Hm?“ Beinahe hätte der 20-Jährige übersehen, dass der andere Magier vor einer der vielen Türen stehengeblieben war und sich zu ihm umdrehte. Der Falls rechnete bereits mit irgendwelchen bedeutungsschwangeren Worten, sodass er wirklich überrumpelt war von der Bitte, die durchnässten Schuhe mit in den Flur zu nehmen. Vielleicht auch, weil Rownan die Erziehung des Braunhaarigen bei Weitem überschätzte. Ohne diesen Kommentar hätte Lian nicht einmal darüber nachgedacht, ob er die Schuhe draußen oder drinnen ausgezogen hätte... Naja, sie entstammten beide eben gänzlich unterschiedlichen Kreisen. „Klar“, stimmte er zu und wartete dann ab, bis ihm Eintritt in die Wohnung gewährt wurde. Selbstverständlich konnte es sich der Falls nicht nehmen lassen, sofort einen aufmerksamen Blick nach rechts und links zu werfen, kaum dass er die Türschwelle hinter sich gelassen hatte – er wollte wirklich gerne wissen, wie Rownan lebte, so als würde es ihm noch mehr über den Grauhaarigen verraten können. Doch allzu viel konnte er vom Flur aus nicht erkennen und das kaum vorhandene Sonnenlicht machte es auch nicht gerade einfacher, viel zu erkennen. „Ein Trick, wie man…“, begann er im fragenden Tonfall die Worte zu wiederholen, die er an seiner Seite hörte, drehte sich herum… und riss, noch ehe der Satz beendet worden war, instinktiv die Arme nach oben, als ihm die ersten Tropfen entgegenflogen. Was zum-?! Sich über das Verhalten von Rownan zu beschweren, wäre vollkommen unnötig gewesen, denn tatsächlich konnte Lian kaum noch nasser werden, als er es ohnehin schon war und doch lagen ihm diverse Worte auf den Lippen.
Aber nicht ein einziger Gedanke wurde verbalisiert.
Plötzlich spürte der Falls eine Hand an seinem Hintern und er verlor den Halt unter seinen Füßen. Mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt, hoben sich die Lider des 20-Jährigen wenige Atemzüge später wieder an und er erkannte… Rownan. Rownan, der ihn nicht nur hochhob (mit einer Hand. Und dazu noch der Linken!), sondern der sich auch zu ihm beugte, sodass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Lian musste an Aloe Town denken, an die Ankunft seines Freundes im Gildenpalast – auch damals hatte der Lupine ihn unerwartet hochgehoben, ihn an sich gedrückt und Lian war so überrannt gewesen von dieser Begrüßung, dass er vollkommen paralysiert gewesen war. So wie auch jetzt? Der Falls hatte sich tatsächlich noch keinen Zentimeter gerührt, erwiderte schlicht unverwandt den Blick des älteren Magiers und ihm blieb in der ersten Sekunde die Luft weg… aber es war trotzdem anders als damals. Die Muskeln des Diebes spannten sich an, sein Herz pochte wild und sein Kopf setzte mal wieder aus. Plötzlich war da keine Kälte mehr und auch die Nässe, über die er sich eben noch Gedanken gemacht hatte, war vergessen. Tatsächlich wurde dem Falls sogar ziemlich warm, so nah, wie Rownan ihm plötzlich gekommen war. Und in dem Augenblick, als der Lupine ihm eine nasse Haarsträhne nach hinten strich, kamen die Lebensgeister endlich wieder zurück. Der Braunhaarige hob verschmitzt die Mundwinkel an und die hellgrünen Augen blitzten auf. „Ich sehe, du nimmst immer noch keine Rücksicht darauf, dass ich eine zarte Gestalt bin“, erwiderte der junge Mann in Anspielung auf die Worte, die er auch damals genutzt hatte, als Rownan ihm im Gildenpalast hochgehoben hatte. So ähnlich die Worte waren, so unterschiedlich konnte der Tonfall kaum ausfallen. Er und Rownan standen mittlerweile gänzlich anders zueinander, wie der Falls gerade mehr als deutlich an seinen körperlichen Reaktionen spürte. Aber es gab eine Sache, die sich trotz allem nicht geändert hatte: Sie kämpften miteinander, auf die eine oder andere Art und Weise und keiner von ihnen wollte sich einfach so geschlagen geben. So war es auch jetzt, als Lian die einzige Bewegungsmöglichkeit nutzte, die ihm überhaupt noch gegeben war: Er hob die Beine an, umschloss mit ihnen den Körper von Rownan zog ihn noch näher an sich. Lian fühlte sich vollkommen elektrisiert, während er unverwandt in die hellblauen Seelenspiegel des Lupinen blickte und seinen warmen Atem auf der nassen Haut spürte. Es war ziemlich eindeutig, dass Lian das hier alles ziemlich gefiel, dass er es nur noch ein wenig hinauszögern wollte, während sich die Lippen der beiden Magier ganz sanft streiften und die Hände des Falls langsam auf Wanderschaft gingen. „Ich habe dich auch vermisst, Rownan“, wisperte er heiser, schwierig, kontrolliert zu atmen. Und das war keine Lüge – das merkte der 20-Jährige immer mehr. Diese kurze Zeit hatte schon gereicht, um dem Braunhaarigen spüren zu lassen, wie sehr er die Zeit mit dem Lupinen genoss und dass er einer der Wenigen war, denen es gelang, dass ein Lian Falls sich mal keine Sorgen und Gedanken machte. Irgendwann wanderten die Hände des Diebes über den Hals des Lupinen, streiften sanft darüber... ehe er urplötzlich den Kragen packte und Rownan näher zog, sodass sich ihre Lippen endlich richtig berührten. Für einen Moment lagen sie nur leicht aufeinander, so als müssten beide erstmal realisieren, was geschah. Doch dann bewegten sich die Lippen des Falls. So groß, wie die Angst, die Sorge und der Frust der letzten Wochen gewesen waren, so intensiv fühlte sich die Nähe zu Rownan just in diesem Augenblick an. Und da war auch wieder dieses Brennen – dieses Feuer, das der Lupine schon damals in Lian hatte entfachen können. Ja, sie hatten sich treffen wollen, um miteinander zu reden, um mehr über den jeweils anderen zu erfahren. Doch Lian beschied, dass sie dafür auch noch später Zeit hatten. Die nasse Kleidung mussten sie ohnehin vorher loswerden, oder?
#5 Es war spannend zu beobachten, wie intensiv Lian auf diese überaus gewagte und doch irgendwo ganz verständliche Aktion reagierte. Kaum hatte er ihn gepackt, spannten sich alle Fasern seines Körpers an und Rownan hätte schwören könnten, dass man eben diese Spannung förmlich hören konnte. Was er jedoch wirklich bemerkte, war der Geruch des anderen, der allmählich die Umgebung flutetet und durch die starke körperliche Reaktion nur noch verstärkt wurde. Obwohl der Wolf natürlich nicht hundertprozentig deuten konnte, was genau seine Nase alles wahrnahm, wusste er doch instinktiv, dass einige Emotionen, aber vor allem Reize im Körper der anderen in den Vordergrund traten. Und es war eine Wahrnehmung, die der Hybride über alle Maßen hin genoss. Kein Wunder, dass der Braunhaarige nicht sofort reagierte, sondern selbst einen Moment brauchte wieder in seine Rolle zu finden, was erneut irgendwo typisch war. Dabei war Rolle nicht unbedingt die treffendste Beschreibung, war es viel eher die Art, wie die Sphynx wirklich war, jedoch war man es so gewohnt, dass er so wenige an sich heranließ, dass man auch diesen Zustand den Verhaltensmustern des Langfingers attribuierte. Lian war eben jemand, der sein Herz auf der Zunge trug, sofern man es geschafft hatte ihn dazu zu bekommen. Und frech war er obendrein. Der Satyrs wusste so gut wie jeder andere im Raum, wie widerstandsfähig diese vermeintlich „zarte Gestalt“ wirklich war. Nicht verwunderlich, dass er diesem koketten Spruch mit einem verschmitzten Grinsen und einem provokanten Wandern der Zunge über seine Maul und Nasenspitze begegnete, die scharfen Zähne einen Moment aufblitzen lassend, und es sich nicht nehmen ließ seinen Griff noch etwas zu intensivieren. Wozu trainierte man immerhin seine körperlichen Fähigkeiten. Bereits dieser verbale wie nonverbale Schlagabtausch charakterisierte nicht nur einen weiteren Aspekt ihres Status sondern trieb die plötzliche Spannung immer weiter an und Rownan zerriss es allmählich darauf zu warten, wann sich diese entlud. Die Situation im Zug, als sie sich kennengelernt hatten, ihr Treffen im Gildenpalast und nun schließlich in seinen vier Wänden: jede Situation war geprägt von Extremen, die darauf warteten ein Ventil, eine Schwachstelle, einen Riss zu finden, um dann endlich über die beiden hereinzubrechen, wie es der Regen außerhalb der Wohnung über Maldina tat. Dieser Tatsache schien sich der Schütze mehr als bewusst zu sein, was zwar für das gute oder sehr gute Verständnis der beiden füreinander sprach, den Grauhaarigen jedoch Wahnsinnig machte, was nicht zuletzt seinem Stammtier geschuldet war. Erst als die freien Hände Lians selbst auf Erkundungstour gingen, spürte nun auch Rownan die Dinge, die er womöglich selbst ausgelöst hatte. Es fühlte sich so an als ob er jede einzelne Strähne seines Fells wahrnehmen konnte und mit jedem einzelnen spannten sich auch die in der Nähe liegenden Muskeln an. In Kombination mit ihrem intensiven Blickkontakt entstand einen wortwörtlich atemberaubender Moment, der nur durch die leise Antwort seines Partners unterbrochen wurde. Warum nur hatten sie sich so sehr aus den Augen verloren, sich dieser Dinge fast so selbstverständlich verwehrt, wo doch ihre Reaktion ganz deutlich zeigte, dass es etwas war was sie brauchten. Sie sehnten sich nacheinander und wie Magneten trieb es sie wieder zueinander. Mit einer Wucht, die nicht zu verachten war. All jene Themen, die für beide noch so wichtig waren, ihre beidseitig verkopfte Ader, einfach alles, über dass die beide Magier sich bis vor wenigen Minuten noch den Kopf zerbrochen hatte, rückten in den Hintergrund. Das war ihr Augenblick und alles andere wurde untergeordnet. Ein Gefühl nach welchem nicht nur Rownan zu schmachten schien.
Den intensiven ersten Kuss, den sie nach so lange Zeit miteinander teilten, ließ die Zeit für den Grauhaarigen urplötzlicher langsam vergehen. Das Trommeln des Regens, welches zuvor noch die Wohnung erfüllte, war nur noch ein langsames, leises Klopfen an den zurzeit so weit entfernten Fensterscheiben seiner Behausung. Wie so oft und Rownan ging davon aus, dass es nicht nur ihm so ging, wollte er diesen Moment am liebsten in einer Flasche festhalten, auf dass er ihn ewig wieder würde genießen können. Doch ohne diese Möglichkeit blieb ihm nichts anderes übrig, in der positivsten Art, wie man diese Aussage treffen konnte, als den Kuss zu halten, zu erwidern, zu erneuern bis ihm die Luft allmählich ausging und er sich lösen musste, um nach Luft zu schnappen, dabei darauf achten, den Abstand zwischen den beiden nur so wenig zu verringern, um beide eine Atempause zu gönnen. Seine Atmung war nun nicht nur durch die alten neuen Reize aufgeregt. Natürlich und das wussten beide Männer zu gut, war es ihre Verbindung, die sie zueinander trieb und nicht der Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung. Und gerade Rownan, dessen Existenz sich unter anderem genau um diese Frage drehte, war sich durchaus bewusst, was nun triebhaft und was verstandsgeprägt war. Jedoch wusste er, wie sehr es das ganze erleichterte, das Reden erleichtertere, wenn man gewisse Dinge im Vorfeld aus dem Weg schaffte. Und irgendwie stand natürlich noch im Raum, was sie nun eigentlich waren, zueinander waren und so gehörte dieser Aspekt womöglich einfach nur dazu. Trotz alles dieser Verkopftheit war es natürlich so, dass er es über alle Maße hin genoss. Der Rücken und das Bett des Falls waren die besten Indikatoren für diese Tatsache. Mit einer vermeintlich so langen Zeit zwischen ihren Treffen, wollten auch diese Aspekte bedient werden. Das zeigten sie sich gerade sehr eindeutig. Einen Moment betrachtete er seinen Vertrauten, verlor sich etwas in den grünen Seelenspiegeln, ehe er eine neue, intensive Welle der Liebkosung begann. Alles an Lian wirkte wie von einem Maler in den Vordergrund gehoben. Ganz abgesehen von den Augen, in welchen sich beide nur zu gut verlieren konnten, wirkte das Braun seiner Haare wie das einer starken Eiche, was ebenso gut zum Charakter seines Freundes passte, hatte sich dieser in seinem Leben des Öfteren verbrannt aber schien stehts erstarkt hervorgegangen zu sein. Die Wildheit der Anordnung zeigte sich in der Unkonformität, der Individualität des anderen, der Wille anders zu sein, dem Wunsch hervorzustechen und doch ungesehen zu bleiben, nicht dazuzugehören und doch, wenn man den Pfaden folgte, führten sie an der ein oder anderen Stelle zusammen, wo sie hinter dem sinnbildlichen Dschungel die wahren Facetten offenbarten. Unweigerlich glitt sein Blick natürlich auch über das Zeichen der alten, verflossen Liebe, soweit zumindest der Magier wusste. Aber es war auch ein Symbol gar ein Beweis dafür, dass Lian genau zu den Dingen fähig war, die ihm der Wolf immer und immer wieder attestierte. So offen wie Lian sich ihm gegenüber zeigte, gab es jedoch immer noch schlichtweg Dinge, die sie füreinander noch nicht vollständig ergründet oder erklärt hatten. Ein Fakt, der minder wichtig in den Augen des Satyrs war, wusste er doch, dass das, was sie hier hatten, wie Crocus, nicht an einem Tag erbaut würde.
„Warum nur haben wir so lange gewartet“ presste er hauchend heraus in einem Augenblick der Pause. Es war viel eher eine rhetorische Frage, doch nutze er das kurze Intermezzo, um den Blick in die Augen des anderen zu genießen, ehe er sich für seinen Teil wieder an die Arbeit machte. Sich wieder lösend, war es wirklich an der Zeit die klammen Klamotten hinter sich zu lassen, denn es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Hitze, die sie gerade beide verspürten der eisernen, kalten Realität weichen würde und zumindest der Braunhaarige anfangen würde zu frieren. Seine linke Hand, die das Gewicht seines Begleiters gehalten hatte, wurde durch sein linkes Knie ersetzt, während nicht nur sein Paar Hände sondern auch Lian selbst dabei war, das jeweilige Oberteil des anderen auf den Boden zu befördern. Immerhin hatten beide ein Talent dafür diese Dinge in Wohnungen zu verteilen. Ihn dann wieder packend, löste er sie beide von der Wand, doch wirklich weit kamen sie nicht, als er das Bedürfnis nach Nähe förmlich überzukochen schien und er Lian an die Wand neben dem Spiegel presste, ehe seine Lippen nun mehr Fläche hatten als nur den Mund zu küssen. Der Geruch des anderen war um ein vielfaches Intensiver geworden und trieb nicht nur die Taten des Wolfes, sondern auch die Gedanken. Es war das vertraute in seinem Hinterkopf, welches sich meldete. Und obwohl es diese Aktionen zum wiederholten Mal guthieß, versteckte sich etwas anderes darin, was der Satyrs nicht zuordnen konnte, aber aufgrund der Situation auch nicht einen Moment weitert drüber nachdachte. Er wollte ganz im Augenblick sein, ganz da sein für den Mann, den er so sehr liebte. Seine Augen lösten sich nur kurz von seinem Gegenüber, waren sie zuvor Mal geschlossen mal geöffnet, und glitten geschwind über die Teile der Wohnung, die durch ihren Positionswechsel erkennbar geworden waren. Natürlich war alles aufgeräumt und eigentlich gab es nur einen logischen Art, wohin sie sich begeben sollten. Und doch wollte sein so förmliches Gehirn sichergehen, dass alles für den anderen annehmbar war und jener keine Schmach oder soziale Schelle erhielt durch die Umgebung, die er dem anderen offenbarte. Erst dann packte er ihn erneut und überbrückte die kurze Strecke zum Bett, wo er ihn mittig ablegte und sich ebenso geschwind mit ihm beziehungsweise auf ihm. Es folgte ein weiterer Moment, in welchem er den anderen einfach nur von nahen ansah, eher sich im Kuss verloren, der vom Mund über den Nacken wanderte. Der Gedanke, an welchen er zuvor nicht mehr Zeit verschwendet hatte, kam mit geknallter Kraft zurück. Beiß ihn! Schoss es ihm durch den Kopf und Rownan riss die Augen auf, hatte er das Gefühl, als ob eine dritte Person im Raum war. Er war in Kontrolle, dass wusste er und er würde nicht zulassen, dass jemand und selbst wenn er es war, diese Verbindung zerstören würde, obwohl er genau wusste, wie ernst er diese Warnung hätte nehmen sollen. Kurz schüttelte er sich und hatte so etwas Distanz aufgebaut, ehe er Lian wieder lüstern betrachtete. Ein kleines Gerangel folgte nach welchem die beiden nur noch ein leichtes Stück Stoff am Körper hatten, welches sie davon trennte, such vollständig zu verlieren. Für den Wolf trennten sie nur noch Sekunden davon ihr letztes bisschen Verstand, zumindest für eine kurze Weile auszuschalten. Grund genug für eben diese Aspekte sich ein letztes Mal aufzubäumen. Der Geruch von Schweiß, Speichel, Körpergeruch und all dem anderen, womit sie die Umgebung aufgeheizt hatten, intensivierte wiederholt und für den Hybriden wirkte es so als ob sich alles, wonach er sich jetzt sehnte, am Hals des Falls zu sammeln schien. Er müsste nur noch zupacken und es sich holen. Sein Herz raste, seine Atmung war unregelmäßig und all diese Dingen versperrten ihm letztlich die Möglichkeit einen letzten, klaren Gedanken zu formulieren. Es war dieser Moment vor der Ekstase, die eine gewisse Partei nun auszunutzen versuchte. Abermals überbrückte er die Distanz zu seinem Gegenüber, stieß mit seiner Schnauze den Kopf des anderen vorsichtig zu Seite, ehe er den Hals Lians vorsichtig mit Bissen liebkoste. Ein, zwei, drei Mal. Dann, ohne es wirklich zu merken, biss er fester zu, fester vielleicht als es noch erotisch wäre. Wollte da jemand mehr als nur metaphorisches Blut lecken?
Laut rauschte das Blut in den Ohren des Falls, übertönte jedwedes Geräusch, das von außen versuchte, in den Verstand des jungen Mannes vorzudringen. Lian war erschlagen von der Intensität seiner eigenen Gefühle, sodass er sogar vergaß zu atmen. Wie sehr hatte er sich nach diesen Berührungen und nach einem Kuss mit dem Lupinen gesehnt? Danach, diese besondere Nähe mit ihm zu teilen und ihn auch festhalten zu können? Lian war eine Person, die sich nicht nur selbst gerne verleugnete, sondern auch seine eigenen Emotionen verdrängte. Etwas, das er auch in den letzten Wochen getan hatte und was nun, wie ein Boomerang, zu ihm zurückgeflogen kam und ihn – im übertragenen Sinne – ziemlich umwarf. Die schmalen Finger des Diebes vergriffen sich im Kragen des Satyrs Magiers, er zog ihn näher und küsste Rownan, ohne richtig darüber nachzudenken. Vergessen waren die Zweifel der vergangenen Wochen, die Fragen, die sich der Lockenkopf bezogen auf ihr gemeinsames Wochenende in Aloe Town immer wieder gestellt hatte. Obwohl Lian sich dagegen gewehrt hatte, musste er sich jetzt doch eingestehen, dass Rownan es auch in den letzten Wochen immer wieder geschafft hatte, sich in seine Gedankenwelt zu schummeln. Wenn er unsicher gewesen war, hatte er sich gefragt, was Rownan ihm wohlmöglich geraten hätte. Wenn er sich einsam gefühlt und wieder einmal zu lange seinen Grübeleien nachgehangen hatte, waren die Gedankengänge so manches Mal unkontrolliert zu Rownan gewandert und hatten für Ablenkung gesorgt – in verschiedener Hinsicht. Obwohl sie sich so lange nicht gesehen hatten, war der ältere Magier also doch immer wieder da gewesen, hatte es dennoch geschafft, auf so viele Schritte in Lians Leben Einfluss zu nehmen. Eine Erkenntnis, die den Braunhaarigen erschreckte, denn keinesfalls wollte er sich wieder von jemandem abhängig machen. Aber irgendwie… war da auch ein wenig Freude. Eine merkwürdige Mischung aus Gefühlen.
Anders als der Lupine waren es keine Gedanken über eine mögliche Kälte, die sich auf der nassen Haut schon bald bemerkbar machen würde, die Lian dazu brachten, seine Finger weiterwandern zu lassen. Nein, denn Kälte war so ziemlich die letzte Empfindung, die der junge Mann aktuell wahrnahm. Ungeduld brodelte in ihm und er musste sich wirklich zusammenreißen, um mit geschickten Fingerbewegungen die Knöpfe des klatschnassen Hemdes zu lösen, das Rownan immer noch trug. Ganz ehrlich? Lians Abneigung gegenüber Hemden war soeben weiter gestiegen. Kaum dass der weiße Stoff zu Boden gefallen war, unterstütze der Braunhaarige bereitwillig seinen Freund, um ebenso von seinem durchnässten Shirt befreit zu werden. Nur kurz lösten sich die beiden Männer voneinander. Warte, hatte Lian nicht auch seine klatschnassen Schuhe im Eingangsbereich ausziehen sollen? Das… naja, dazu war bisher nicht wirklich Zeit geblieben. Wenn man bedachte, wie er und der Lupine eben noch übereinander hergefallen waren, sah es schon beinahe komisch aus, als Lian sich urplötzlich die Zeit nahm, die Schuhe akkurat auszuziehen und sogar ordentlich nebeneinander zu stellen, als wäre er ganz normal in dieser Wohnung angekommen. Er hatte sich noch gar nicht richtig erhoben, da ging es allerdings bereits weiter und der Anflug dieser Normalität war so schnell verschwunden, wie sie dagewesen war. Wieder wurde der Falls gegen die Wand gedrückt und seine Augen weiteten sich, als Rownan nun nicht mehr nur seine Lippen liebkoste, sondern auch die freigewordene Haut berührte – Lian konnte ein leises Keuchen nicht mehr unterdrücken. Der gesamte Körper des Illusionisten stand unter Strom. „Weil wir verdammte Idioten sind“, antwortete er atemlos auf den Kommentar des Grauhaarigen und versuchte sich immer noch an seinem amüsierten Grinsen, das nun jedoch deutlich angestrengter ausfiel. Lian merkte, wie sich sein Hirn zunehmend verabschiedete und er schloss die Augen, wodurch ihm mehrere Dinge entgingen: Nicht nur der prüfende Blick des Lupinen durch seine eigene Wohnung, sondern auch, dass sich erste Anzeichen für ein Unheil ankündigten. Denn zwischen all der Zuneigung und Leidenschaft zwischen ihnen hatte sich noch ein dritter Akteur in die Situation geschlichen, der nur darauf lauerte, den Moment abzupassen, in dem beide Magier ihre sonst stets hochgelobte Kontrolle gänzlich ablegten und unaufmerksam wurden.
Aber ganz ehrlich, wie hätte Lian das gerade auch wahrnehmen sollen?
Der 20-Jährige ließ sich vom Lupinen durch das Zimmer leiten und obwohl er es sich eigentlich nie entgehen ließ, sich seine Umgebung ganz genau einzuprägen und nach Details Ausschau zu halten, hatte der Falls gerade absolut kein Auge für rechts oder links. Er war vollkommen fokussiert auf Rownan, tauschte Berührungen und Küsse aus und der kleine Rest an Aufmerksamkeit, der noch übrig war, wurde benötigt, um gelegentlich Luft zu holen und einem Tod durch Sauerstoffmangel vorzubeugen. Ein bisschen so wie damals in Aloe fühlte es sich an, als Lian auf dem Bett des Lupinen landete, dieser sogleich folgte und sich über dem Illusionisten aufbaute. „Hm. Ein Anblick, an den ich mich wirklich gewöhnen könnte.“ Lian meinte, die Luft knistern zu hören, was ihre Ungeduld nur zusätzlich anfachte. Und doch… hielten beide Männer kurzzeitig inne, sahen sich einfach nur an, als wollten sie sich diesen Augenblick einprägen. Da waren wieder die hellblauen Seelenspiegel von Rownan, in denen Lian sich ziemlich schnell verloren hatte. Das Herz des 20-Jährigen machte diesen merkwürdigen Hopser, wie damals in der Fotobox von Aloe. Und da war auch dieses Kribbeln in seinem Magen, das sich von der allgemeinen Erregung abhob. Just in diesem Augenblick ertappte sich Lian bei einem Gedanken, den er wochenlang vor sich hergeschoben hatte. Der Gedanke daran, dass er möglicherweise wirklich verliebt in den Lupinen war – ganz gleich, was sein Kopf dazu vielleicht zu sagen hatte.
Der Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als Rownan plötzlich seinen Kopf schüttelte. Warum schüttelte er den Kopf? Der Dieb runzelte die Stirn, betrachtete seinen Freund nachdenklich und wollte ihn bereits ansprechen… doch Lian kam nicht dazu. Denn von jetzt auf gleich änderte sich die Stimmung wieder, der Blick des Satyrs Magiers festigte sich und ließ den Falls erschaudern – im positiven Sinne. Lian hätte es ansprechen sollen, hätte sich erkundigen müssen, was in dem Lupinen vorging. Aber er konnte nicht. Kaum dass sich der Lupine zu ihm herabbeugte und den Kontakt mit seinen Lippen suchte, schaltete sich Lians Hirn einfach wieder aus. Vielleicht war es auch ein rein egoistischer Zug, der dafür sorgte, dass der 20-Jährige nichts sagte, denn er wollte nicht, dass diese Intimität hier und jetzt endete. Nein, dafür hatte er zu lange auf Rownan gewartet, dafür hatte der Grauhaarige sich zu oft in die Gedankenwelt des Falls geschummelt und ihn all das gedanklich ausmalen lassen, wozu sie jetzt endlich die Gelegenheit erhielten. So sagte er nichts, hatte das Hadern des älteren Magiers schon sehr bald gänzlich vergessen und konzentrierte sich vielmehr auf die Liebkosungen, die beide miteinander austauschten und in dessen Verlauf weitere Kleidungsstücke schon bald achtlos neben dem Bett auf dem Boden landeten. Die Geschehnisse verschwammen miteinander: Die Krallen, die den nackten Rücken des Falls entlangfuhren und kribbelnde Bahnen hinterließen. Lians Finger, die sich in Rownans Fell vergriffen, während sie mehr als einmal die Position miteinander wechselten, sich so dicht aneinanderdrängten, wie es ihnen nur möglich war. Die Küsse, die auf Augenhöhe begonnen hatten, aber schon sehr bald die restlichen Körperregionen mit einnahmen. Und natürlich auch die Hände, die ihren Beitrag zum Genuss dieses Momentes beitrugen. Hätte man Lian gefragt, er hätte nicht mehr sagen können, wie viel Zeit verging, während er und Rownan miteinander beschäftigt waren. Das Einzige, was er hätte sagen können, war, dass die Hitze des Augenblicks ihm mittlerweile gänzlich zu Kopfe gestiegen war. Die Gedanken, die Lian sonst hegte und pflegte, seine Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit waren ihm abhandengekommen, allem voran seine Vernunft. Denn wenn auch nur ein Fünkchen jener noch vorhanden gewesen wäre, hätte der 20-Jährige nicht nur gegrinst und seinen Kopf vollkommen widerstandslos zur Seite schieben lassen, sodass er Rownan seinen Hals – eine der verwundbarsten Stellen eines Menschen – ungeschützt präsentierte. Hatte er aus den Geschehnissen in der Wüste nichts gelernt? „Rownan…“, seufzte Lian langgezogen und schloss die Augen. Der erste Biss war wie ein Donnerschlag, der durch den Körper des jungen Mannes raste. Als der zweite Biss folgte, vergriffen sich die Finger des Falls in der Decke unter ihnen. Dieser Nervenkitzel, der leichte Schmerz, der sich in seine allgemeine Erregung hineinmischte – fuck, dem Falls wurde gerade klar, wie sehr er auf diese verdammte Kombination stand. Wieder biss der Lupine zu, streifte mit seinen spitzen Zähnen die empfindliche Haut zwischen Hals und Schulter. Eine Stelle, an der Lian besonders empfindlich war, sodass es gleich ein weiterer Stromschlag war, von dem er erfasst wurde. Wie gut es sich anfühlt, war alles an Gedanke, den Lian zustande brachte, ehe Rownan neu ansetzte. Beiß mich nochmal, ergänzte er, die Augen immer noch genießerisch geschlossen und diese Stelle vollkommen ungeniert für die scharfen Reißzähne des Lupinen präsentierend. Die Zähne setzten an, verstärkten ihren Druck und der süßliche Schmerz kehrte zurück. Lian keuchte und zuerst dämmerte ihm nicht, dass sich etwas veränderte. Dass der Druck der Zähne stärker wurde, dass der Schmerz sich intensivierte. Sogar in dem Augenblick, als der Schmerz zu stark wurde, um sich noch mit der Lust zu vermischen, handelte er nicht sofort. Die Zähne stießen durch die Haut, Lian keuchte, aber sein Hirn war noch nicht einsatzfähig. Es war, als würde die gesamte Welt vor dem jungen Mann kippen, als würde alles aus seinen Fugen gerissen werden. Die Erkenntnis, was gerade geschah, traf den 20-Jährigen mit solch einer Heftigkeit, dass es sich anfühlte, als hätte man ihm mit der geballten Faust in den Magen geschlagen. Die Luft entwich seiner Lunge und er erinnerte sich ausgerechnet an Gins Worte:
„Und dann, hoffe ich, tust mir einen letzten Gefallen und stirbst einen grauenvollen Tod, Lian.“
Ein Schalter im Wüstenbewohner legte sich um. Zu diesem Zeitpunkt waren die scharfen Reißzähne des Lupinen schon längst durch die Haut des Falls gestoßen und Blut quoll aus der Wunde. Als das Blut die Zunge berührte, war es allerdings nicht der eigentlich zu erwartende Geschmack nach warmen Eisen, das der Tiermensch schmeckte. Die Flüssigkeit war so scharf, dass es bereits bei einem normalen Menschen sämtliche Schmerzrezeptoren überstrapaziert hätte. Wie sich das dann erst für einen Tiermenschen anfühlen würde? Als Rownan zurückwich, sprang Lian gleich hinterher und nutzte den Überraschungsmoment, um dem Grauhaarigen den eigenen Unterarm unter die Kehle zu stoßen und ihn mit Wucht gegen die Wand hinter seinem Bett krachen zu lassen. Ein Knall, der so manches Inventar des Zimmers wackeln ließ. „Glaubst du wirklich, dass ich mich so leicht umbringen lasse?!“, zischte Lian, ungeachtet dessen, wie himmelschreiend ungerecht dieser Vorwurf war. Dass er wissen könnte, dass es andere Umstände gab, die Rownan zu seinen Handlungen gebracht hatten und er mit diesen Worten den Lupinen vermutlich ziemlich treffen würde. In seiner Wut und seinem Zorn, die natürlich von deutlich mehr Dingen herrührten als nur von diesem einzelnen Augenblick, ignorierte Lian das Blut, das ihm immer noch über die Schulter lief. Die hellgrünen Seelenspiegel, die eben noch voller Zuneigung gewesen waren, verengten sich und versprühten just in diesem Augenblick nichts als Kälte und Distanziertheit. Und… Wut. Wie hatte Lian nur so dämlich sein können? Sich so gehen lassen? Das Misstrauen, das von dem Braunhaarigen Besitz ergriffen hatte, gipfelte darin, dass er ohne jedes Zögern und ohne merkliche Scham weitere Magie gegen seinen Freund einsetzte. Vielleicht würde Rownan spüren, dass er sich kaum noch bewegen konnte, selbst wenn er versuchte, sich aus dem Klammergriff zu befreien. Schweigen breitete sich zwischen den beiden jungen Männern aus und dann kam es allmählich wieder – das Geräusch des Regens, der gegen die Fensterscheibe der kleinen Wohnung prasselte. Die Welt drehte sich weiter und so wie die Geräusche zurückkehrten, war es auch Lians Verstand. Der Illusionist begann zu frösteln er senkte den Blick, sodass er nachdenklich die drei schwarzen Linien musterte, die sich über seinen Unterarm zogen. „Was ist passiert?“, fragte der Falls schließlich resigniert, ohne den Blick wieder zu heben. Eine Frage, die nicht nur auf Rownan bezogen war.
Loss of taste TYP: Elementlose Magie ELEMENT: --- KLASSE: I ART: Support MANAVERBRAUCH: 15 pro Minute MAX. REICHWEITE: 20 Meter SPEZIELLES: Ein Ziel VORAUSSETZUNGEN: Willenskraft Level 2, Manaregeneration Level 2 BESCHREIBUNG: Der Magier beeinflusst den Geschmackssinn des Opfers und lässt ihn genau das schmecken, was der Illusionist möchte. Natürlich muss der Magier selbst wissen, wie es schmecken soll, damit die Illusion nicht auffällt. Ein grundlegend kulinarisches Wissen ist daher unabdingbar! Durch diese Manipulation kann man zum Beispiel Gifte oder andere Mittel in die Nahrung des Opfers mogeln, ohne dass dieser bemerkt, was er eigentlich zu sich nimmt.
Medusas Gaze TYP: Elementlose Magie ELEMENT: --- KLASSE: III ART: Fessel MANAVERBRAUCH: 150 pro Minute MAX. REICHWEITE: 5 Meter SPEZIELLES: Ein Ziel VORAUSSETZUNGEN: Willenskraft Level 7, Manaregeneration Level 5 BESCHREIBUNG: Diese hinterhältige Kunst der Illusion beginnt, sobald das Opfer dem Anwender in die Augen schaut, worauf sein Körper beginnt sich von den Füßen aus in Stein zu verwandeln. Es dauert 5 Sekunden bis das Opfer komplett versteinert ist und sich gar nicht mehr bewegen kann, allerdings kann die Versteinerung innerhalb dieses Zeitraums auch unterbrochen und rückgängig gemacht werden, indem das Opfer seinen Blick vom Anwender abwendet. Die Illusion kann abgesehen von den üblichen Brechungsregeln außerdem aufgelöst werden, indem das Opfer einen Zauber der Stärke 7 oder höher anwendet.
#6 Nur nebensächlich registrierte der Lupine die Kommentare seines Gefährten, während sie sich so innig weiterberarbeiteten. Es gab gewiss viele Parallelen zu den Dingen, die sie gemeinsam erlebt und erfahren hatten. Dinge, die auch in seinem Kopf hätten in Erinnerung gerufen werden können, wär es nicht für die starken Gefühle und die überwältigende Sehnsucht nach der Person, die direkt vor einem war. Seine durchaus vorhandene emotionale Seite war so oft auf dem Abstellgleis, dass sie ihn in Momenten wie diesen, in Momenten Mit Lian ihn schlichtweg zu überwältigen wusste. Und beide hatten bereits festgestellt dass es ab und an schön war jemanden zu haben, bei dem die beiden so verkopften Magier abschalten konnten. Wie sehr sie wirklich abschalten konnten, durfte beide nur kurze Zeit spät neu eruieren. Womöglich war es das, was der Braunhaarige spürte und in seiner Gedankenwelt als Liebe titulierte, welche nun auf eine harte Probe gestellt werden würde. Warnsignale hatte es durchaus einige gegeben, aber vielleicht wollten sie diese schlichtweg ignorieren. Vielleicht war Rownan zu nichtsahnende gewesen und glaubte nach den Geschehnissen der letzten Zeit noch besser über sich Bescheid zu wissen. Dass es nicht mehr war als ein Ausrutscher, eine Manifestation des Möglichen. Allerdings hätten die Vorboten in seinen Gedanken genug Indiz dafür sein sollen, dass es sich um einen Trugschluss handelte. Gleichzeitig waren beide so distanziert voneinander gewesen, dass Lian gewiss in der Lage war den Wolf zu lesen, so wie er ihn kannte. Jedoch waren in diesem Bild viele neue schwarze Flecken aufgetaucht ohne die man die Zeichen nicht korrekt lesen konnte. Und vielleicht wünschte sich auch der Dieb in diesem Augenblick ein wenig von der Normalität, die dem ungleichen Duo so selten gewährt wurde.
Die Bisse erzielten den gewünschten Effekt und mit jeder Reaktion bestätigte es den Satyrs darin, dass er das richtige tat. Die Grenze zwischen dem was sein durfte und dem was er irgendwo unterbewusst wollte, verschwamm mit jeder Wiederholung. Er hörte, wie sein Gegenüber sich in ihre Unterlage krallte und natürlich wollte er wissen wohin diese überaus starke Regung führte. Das Keuchen des Mannes ließ die letzte Sicherung fallen und wie ein frisch gewetztes Messer glitten die vier Eckzähne in das zarte, weiche Fleisch. Noch bevor der Grauhaarige selbst merken konnte, vielleicht auch wollte, dass es aus dem Ruder lief, war die überaus destruktive Gedankenwelt des Illusionisten wieder am Werk. Und Rownan sollte nun zeitnah merken, dass die Sphynx nicht mehr die gleiche Person war, die er damals im Zug kennengelernt hatte. Die ersten Tropfen Blut benetzten die empfindliche Zunge des Hybriden und der so bekannte Teil seiner Persönlichkeit ächzte förmlich nach Erlösung in Form einer roten Köstlichkeit, eine Art Belohnung für die harte Arbeit. Stattdessen bekam er zum ersten Mal in seinem Leben eine Kostprobe seiner eigenen Medizin. Statt der bittersüßen Trophäe, traf ihn eine ungewohnte Schärfe. Nein diese Schärfe war viel stärker als er sie je wahrgenommen hatte. Die feindliche Präsenz in seinem Inneren war wie weggewaschen und Rownan bemerkte, was er getan hatte. Instinktiv wich er zurück, wollte bereits in Scham versinken und sich entschuldigen, hatte die Rechnung aber ohne jene Naturgewalt gemacht, die er soeben entfesselt hatte. Wenn es darum ging eine Kostprobe seiner eigenen Medizin zu bekommen, gehörte mehr dazu als dem anderen ausgeliefert zu sein. Es war nicht mehr als eine Sekunde vergangen, das Maul des Wolfes wollte sich gerade öffnen, einerseits für Worte andererseits als Reaktion auf das Feuer in seiner Kehle, als er mitansehen konnte, wie Lian die Initiative ergriff und ihm den Unterarm gegen die Kehle stieß. Nicht nur das, er befördere den massiven Hybriden noch mit ungeheurer Kraft gegen die Wand. Sofort wurde ihm sämtliche Luft aus dem Hals gepresst, alle Worte im Keim erstickt und die Augen weit aufgerissen. Die Worte seines Freundes brannten sich förmlich in seine Gehörgänge und der Eindruck, der durch all diese Handlungen gebildet wurde, würde er vermutlich nie vergessen. Rownan hatte sofort reagieren wollen, aber jetzt, wo er gegen die Wand gedrückt war, die unendlich harten Worten in seinem Kopf wie ein Echo wiederhalten, änderte sich etwas. Ein Kribbeln durchfuhr seinen Körper, doch war es weder Erregung noch Liebe. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sich sein Fell aufstellte. War es die Kälte? Wut? Anspannung? Es war nichts von all dem. Es war etwas, was Rownan in dieser Intensität bis jetzt nur selten erlebt hatte und gewiss nie ausgelöst durch die Person, für die er Berge versetzen würde. Angst machte sich im Lupinen breit. Angst vor dem Mann, den er so innig liebte. Sofort schossen ihm die Bilder des Wachmannes in den Kopf, dessen letzten Worte nur Beleidigungen waren, ehe ihm der Tiermensch das Fleisch aus dem Hals herausriss. Ein Moment der vor wenigen Sekunden ebenso hätte passieren können, wäre es nicht gerade dem Überlebensinstinkt des Wüstenmagiers geschuldet. Jetzt wusste Rownan, wie sich der Mann gefühlt haben musste, so machtlos jemand ausgesetzt zu sein. Und dabei völlig unwissend, welche Parallele womöglich seine Zähne mit der verflossene Liebe des Schützen im Kopf dieses gezogen wurden, die eine derartige Reaktion nur noch befeuerten. Den Blick nicht von seinem Gegenüber abwendend können, musste er jede Nuance, jede Facette beobachten. Das hier war so anders, so grundlegend anders als ihre erste Konfrontation im Zug. Das hier war kein Geplänkel zwischen zwei testosterongeladenen Kerlen oder vielleicht wie in ihrem Fall, zweier Kerle, die unterschiedlicher nicht hätten aufwachsen können. Rownan spürte durch den Blick allein die Wut und die Intention als einziger Lebender diesen Raum zu verlassen. Rownan tat gut daran Angst zu haben, denn er war definitiv derjenige, der in Gefahr war. „L…ian“ krächzte er nach außen ohne, dass sich etwas änderte. Nach Luft ringend aktivierte sich auch seine Überlebensinstinkte. Seit wann ist er so stark? In seinem Schrank war sein Degen. Mit einem geführten Puls konnte er sich die Waffe heranziehen und das Blatt wenden. Der Satyrs stockte. Was waren das für Gedanken? Wie kurz nur waren Schreck und Furcht und wie selbstverständlich die Gedanken den anderen zu verletzten. Lian hatte damals im Zug sein Leben riskiert um ihn zu immobilisieren, während er direkt nach seiner Waffe greifen wollte, nachdem er ihn gebissen hatte. Er war der Aggressor in diesem Szenario! Was um alles in der Welt ist falsch mit mir!? Die Zeit, die der Magier womöglich wirklich gehabt hätte um sich zu wehren, waren verstrichen. Den Blick noch immer auf den anderen fixierte spürte er wie seine Gliedmaßen immer unbeweglicher wurden. Es fühlte sich an als ob seine Füße versteinert, alle seine Sinne bestätigten ihm dies und nur sein Wissen über Lian war es, was ihn zumindest glauben ließ, dass dem nicht so war. Nichtsdestotrotz konnte er sich seinem Gefährten nicht erwehren. Zu zerstreut darüber was gerade passierte, was er bereit war so einfach zu tun, um seine Konzentration zu sammeln einen Zauber zu kanalisieren. Das hier war die Medizin die der Hybride so bereitwillige verteilt hatte: völlige Auslieferung einer Bestie gegenüber. Nur dass diese Bestie sein Seelenverwandter aus Aloe war. Seine einzige Hoffnung war, dass Lian Mitleid mit ihm hatte Etwas, was der Tiermensch in der Vergangenheit anderen nicht gewährt hatte.
Aus der Verwunderung, dem Schock und der Angst wurde allmählich Panik. Er wusste, dass er das nicht mehr lange durchhalten könnte ohne das Bewusstsein zu verlieren und Rownan wusste beziehungsweise er ahnte, dass das hier nur die Spitze des Eisberges war. Der jüngere Magier zeigte dem Befellten gerade zum ersten Mal ganz bewusst, welches Potenzial er wirklich besaß. Aber es war eine Sache jemanden zu motivieren und eine andere eben jeden Fähigkeiten am eigenen Leib zu spüren, besonders dann, wenn es sich um magische Begabungen handelte. Schon immer fragte sich der Grauhaarige, wenn auch nur flüchtig, wie sehr er die Realität hinterfragen musste, wenn er mit Lian interagierte. In diesem Augenblick wünschte er sich nichts Sehnlicheres als dass es sich um eine Illusion handelte. Dass Lian die Vorboten bemerkt hatte und gerade nichts anderes tat als ihm zu helfen. Vielleicht waren es diese Überlegungen, die zeigten, wie verzweifelt der Angegriffene gerade wirklich war. Der Straßenjunge zeigte mehr als deutlich seine metaphorischen Zähne, welchen ihn so lange am Leben gehalten hatten und die dafür gesorgt hatten, dass er so gut allein zurechtkam. Langsam begann sich sein Sichtfeld zu verschlechtern, zu drehen und der Angstzustand durfte nur immer deutlicher sichtbar sein, zusammen mit den physischen Auswirkungen, die sich durch den Griff tatsächlich ereigneten. Der Gedanke, ausgerechnet von der einen Person getötet zu werden, die ihn wie keinen zweiten verstehen konnte und ihn so akzeptiert hatte, wie er war, ja sich sogar auf ihn eingelassen hatte, trieben dem Wolf die Tränen in die Augen. Es fühlte sich so surreal an und doch wusste jede Faser seines Körpers, dass das hier echt war. Wie gerne er die Zeit, und wären es nur wenige Sekunden, zurückdrehen und sich vor dem Fehler bewahrte, der ihn in diese Situation gebracht. Der sie beide in diese Situation gebracht hatte. Sekunden fühlten sich wie Minuten an, ehe Lian den Blick von ihm abwendete und die Kräfte des Hybriden wie mit einem Fingerschnipsen zurückkehrten. Sich aus dem Griff befreiend, bestimmt aber nicht übertrieben, sprang und stolperte er aus dem Bett in Richtung des Esstisches, an welchem er sich nun abstütze nur um dann mit dem Husten zu beginnen, ausgelöst durch den Druck auf seinem Hals und dem Mangel an Luft. Jetzt konnte er endlich gebrauch von dem Adrenalin machen, welches ihm sein Körper so großzügig zur Verfügung stellte. Sofort fuhr sein Kopf herum zum Täter. Jetzt konnte er ihn übermannen, ihn unschädlich machen, seinen Emotionen freien Lauf lassen. Doch statt irgendetwas gegen Lian zu unternehmen, sah er nur die vier Punkte am Hals aus welchen noch immer Blut floss und die Schulter und Seite seines Freundes herunterlief. Es war dieser Eindruck der seinen Geist freispülte, erneut von dem ungebeten Gast in seinem Inneren, aber auch von all den perfiden Gedanken, die sich aufgrund der körperlichen Energie gebildet hatten. Übrig blieb nur Scham und Reue. In seiner Hybris hatte er gedacht, dass er endlich ein Stück Glück in sein Leben Einzug gehalten hatte. Aber mit einem Wisch seiner selbst in Form seines schändlichen Gebisses, hatte er sich jede Chance dessen beraubt. Vielleicht war es auch besser so. Und trotz all dieser Gedanken, wollte er den anderen beschützen, ihm helfen, sich aufopfern. Das musste es sein, was Liebe zwischen ihnen war.
Der Verbandskasten schoss es ihm in den Kopf und er stolperte in Richtung seines Badezimmers, riss den Spiegelschrank auf und holte eine metallene Kiste heraus. Schnellen Schrittes bewegte er sich zurück zum Bett und musste sich bei der Ankunft am Pfosten abstützen. Er war bei weitem noch in keiner guten Verfassung und die Strapazen der letzten Minuten hatten ihre Spuren hinterlassen. In Ruhe würde er sich die Wunde noch einmal angucken müssen, wenn sein Gegenüber dann überhaupt noch hier war. Fürs erste war es wichtig, dass der Braunhaarige etwas Druck ausübte in der Hoffnung, dass der Biss nicht zu tief war. Bewusst im Sichtfeld des anderen öffnete er die Packung und führte ein ungezähltes Bündel des weißen Stoffes in Richtung des Halses. Es fühlte sich an als ob er einem Raubtier am Schwanz ziehen wollte und dass dieser jederzeit nach seiner Hand schnappen würde. Rownan hatte Angst davor, was passieren könnte. Dennoch ließ ihn der Mann gewähren und die Lagen an Stoff fanden ihre richtige Stelle. „D-du musst Druck ausüben“ stotterte der sonst so gestandene Lupine, weiterhin Angst davor, dass jedes seiner Worte das Wesen zurückholte, welches sich gerade gezeigt hatte. So gern hätte er ihm die warme Decke um den Körper gelegt, jedoch kostete jede Bewegung in diese Richtung mehr Kraft als er gerade hatte. So blieb ihm nichts anderes übrig als den Gesamtanblick auf sich wirken zu lassen und sich selbst so gut zu beruhigen, wie er konnte. Was hatte er nur getan? Eine Frage, die er sich immer und immer wieder stellen musste. Womöglich ewig stellen musste. Hatte der andere nicht gefragt was passiert war? Die Szene aus dem Gefängnis, welches die Tiermenschen gehalten hatte, manifestierte sich vor seinem Inneren Auge. Es war fast die gleiche Frage, die ihn Rin damals gefragt hatte. Nein, es war die gleiche Frage. Und bis heute hatte er keine bessere Antwort gefunden. „Ich… ich bin passiert, Lian“ antworte er mit einem ähnlichen Tonfall und angegriffener Stimme. Erst jetzt, wo auch bei ihm die Spannung abklang und der Illusionist keine Anstalten machte ihn wieder derartig anzugehen, prasselten die restliche Eindrücke auf den Hybriden ein. Der Geschmack des Blutes, der so abartig verändert war. Die vier blutenden Punkte am Hals seiner geliebten Person. Sein blutüberströmtes Selbst in der verlassen Lagerhalle. Das Stück Fleisch des Mannes in seinem Mund. Und die Augen Lians, die nur Kälte und Wut für den Lupinen übrighatten und so distanziert wirkten, wie er sie noch nie wahrgenommen hatte. Keine Sekunde verschwendete der Grauhaarige daran, dass er vielleicht gar nicht alleinig schuld dafür war, was gerade passiert war. Was dieses Fass letztlich zum Überlaufen brachte, war der Geruch des so bekannten Blutes, welches in seine empfindliche Nase strömte. Rownans Magen drehte sich um. Und dies nicht nur metaphorisch. Er spürte wie im unendlich übel wurde. Übel wegen der Eindrücke und übel wegen seiner vergangenen wie aktuellen Taten. Er ekelte sich so vehement vor sich selbst, dass es eine physische Reaktion auslöste. Einen Moment stockte er, ehe er zur Toilette im Badezimmer eilte um sich zu entleeren. Er wusste nicht, ob der andere noch da wäre, wenn er sich gesammelt hätte. Es würde ihn nicht wundern, wenn dem nicht so wäre. Seiner Meinung nach hatte er das hier gerade mehr als verdient und so kehrte das so bekannte Glitzern in seinen Augen zurück, befeuchtete das Fell um seine Augen, während er sich erneut übergab. Unter Umstände der bislang tiefste Punkt im Leben Rownans.
Es gab viele Ausdrücke, die Lian aus dem Gesicht von Rownan kannte, nicht zuletzt, weil er sie selbst verursacht hatte. Da wäre das Amüsement, das in den hellblauen Seelenspiegeln des anderen Magiers aufgeblitzt war, nachdem Lian großspurig und nicht mehr ganz nüchtern seine Vermutungen über die mysteriöse Vergangenheit des Lupinen kundgetan hatte. Oder der blinde Zorn, als der Satyrs wild hinter dem Wüstenmagier durch diverse Zugabteile gehetzt war und neben dem verursachten Sachschaden beinahe auch ernsthafte Personenschäden entstanden wären. Auch Missbilligung war schon vorhanden gewesen, als der ältere Magier den Diebstahl gegenüber dem Zugpassagier mitbekommen und er den Falls dennoch entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten bei der illegalen Tat gedeckt hatte. Was hatte es noch gegeben? Überheblichkeit, kurz bevor die beiden jungen Männer mit Fäusten aufeinander losgegangen waren oder die Unsicherheit, nachdem Lian seinen Freund nach der ersten gemeinsamen Nacht so rüde von sich gestoßen und Abstand aufgebaut hatte. Und nicht zuletzt waren es Zuneigung und Leidenschaft gewesen, die die Oberhand gewonnen hatten, als sie danach wieder zueinandergefunden hatten. Aus dieser Aufzählung, die mitnichten vollständig war, wurde bereits deutlich, dass der Braunhaarige eine ganze Palette an Gesichtsausdrücken von Rownan kannte. Doch ganz egal, wie oft er seine Erinnerungen durchforstete, es gab einen blinden Fleck. Eine einzige Gefühlsregung, die Lian bis zum heutigen Tage nicht verursacht hatte: Angst.
Das aufgestellte Fell, die angelegten Ohren und die großen, aufgerissenen Augen hätten den Falls zur Vernunft bringen müssen. Es war offensichtlich, dass Rownan schon lange wieder zur Vernunft gekommen war und keine Gefahr mehr von ihm ausging. Aber… Lian sah es nicht. Als wäre es ein anderer Mensch, der hier zum Vorschein kam, ein anderes Wesen, das die Zügel übernommen hatte, steigerte sich der Braunhaarige in seine destruktiven Gedanken hinein. Überlegungen, die nicht nur ihn selbst zerfraßen, sondern auch die brüchige Verbundenheit, die er zum Grauhaarigen besaß. Lian sah just in diesem Augenblick vieles – nur nicht die Realität. Hatte der Lupine geglaubt, dass er sich so leicht töten ließ? Dass er keine Gegenwehr zeigen würde? Hatte der Satyrs ihn, genauso wie viele vor ihm, dermaßen unterschätzt? Es war wie damals im Zug von Crocus Town, als der Tiermensch sich für stärker und mächtiger gehalten hatte. Als er geglaubt hatte, man könnte mit Lian anstellen, was man wollte, ohne einer wirklichen Gefahr gegenüberzustehen. Wie sehr sich der Satyrs doch geirrt hatte! Lians rechter Mundwinkel zuckte und der Hauch eines hochmütigen Grinsens erschien auf seinen Lippen. Wie oft war der Falls es gewesen, der sich in der Zwickmühle befand, auf den man herabgeblickt hatte? Wie sehr er es doch gehasst hatte, so schwach zu sein und welche Vorwürfe er sich selbst deshalb immer wieder gemacht hatte. Wie viele Dinge in seinem Leben wären anders verlaufen, wenn er stärker gewesen wäre? Nicht so heute! Der Unterarm des 20-Jährigen drückte noch ein wenig fester zu. Als wäre das nicht genug, demobilisierte der Lockenkopf seinen Freund zusätzlich, indem er seine Illusionsmagie einsetzte – gegen eine Person, die schon längst keine echte Gegenwehr mehr zeigte. Wie lange Rownan wohl noch durchhalten würde? Die hellgrünen Seelenspiegel verzogen sich zu schmalen Schlitzen und von dem Strahlen, das bis eben noch in ihnen gelegen hatte, war nichts mehr zu erkennen. Der Falls war wie besessen, schien in einer anderen Welt zu wandeln, bis es ein angestrengtes Krächzen war, das sich durch den dichten Nebel in seinem Kopf kämpfte.
„L…ian.“
Sein Name. Die Stimme von Rownan.
„Du bekommst ihn nur, weil ich dich in diesem Moment mehr fürchte und hasse als Orwynn.“
Die Erinnerung kehrte zurück – an das bleiche Gesicht von Gin und die blutroten Tränen, die ihre Wangen hinabgelaufen waren. Bilder, die erschreckend viel Ähnlichkeit mit der Gegenwart hatten und mit Rownan, der nun vor ihm verharrte, verschwammen. Lians Augen weiteten sich, die zusammengebissenen Zähne lösten sich voneinander und endlich sah er seinen Freund wirklich an, nicht durch ihn hindurch. Was tat er hier? Was war passiert? Was waren das für Gedankengänge?! Der Braunhaarige verstand sich selbst nicht mehr und der Tiermensch nutzte den Moment der Unachtsamkeit, um sich aus dem Klammergriff zu befreien, aus dem Bett zu springen und Abstand aufzubauen. Eine Reaktion, die vollkommen nachvollziehbar war – jeder andere hätte auch so reagiert. Lian blieb derweil vollkommen benommen zurück und betrachtete die kahle Wand vor sich. Nur dumpf drang das Geräusch des Hustens an sein Ohr und erst nach und nach begriff er, dass Rownan nach Luft rang, dass er nur knapp der Bewusstlosigkeit entkommen war. Eine Bewusstlosigkeit, die Lian verursacht hätte. Diese Kraft – seit wann war er so stark? Die Geschehnisse in der Siedlung Calavera blitzten auf – auch damals hatte er Kräfte in sich mobilisiert, von denen er nicht gewusst hatte, sie zu besitzen. War das hier vergleichbar? Der Hustenanfall des Lupinen endete und als Lian sich herumdrehte, trafen sich die Blicke der beiden Magier. Die Spannung im Raum war greifbar – dieses Mal war es allerdings eine Spannung, die auf Angriffslust basierte. Der Wille von Rownan, nach den Geschehnissen zu kämpfen, war deutlich sichtbar und anstatt deeskalierend zu wirken, brachte Lian sich instinktiv in Position, um einen Angriff des Älteren abzuwehren.
Ein Angriff, zu dem es glücklicherweise nicht mehr kam.
Von einer Sekunde zur nächsten verpuffte das Adrenalin, die Körperhaltung von Rownan veränderte sich und so tat es auch jene des Falls. Zuerst sah es so aus, als wolle der Grauhaarige etwas sagen, aber dann drehte er sich herum und verschwand aus dem Sichtfeld des Wüstenbewohners. Lian blieb alleine in dem Zimmer zurück, vollkommen benommen und neben sich stehend. Langsam verstand der 20-Jährige, was geschehen war. Er konnte die einzelnen Schritte dieser Kettenreaktion nachvollziehen. Nur eine Sache verstand er nicht und es waren ähnliche Gedanken, die auch Rownan gehabt hatte: Was zum Henker ist falsch mit mir?. Es hätte den Falls nicht verwundert, wenn er alleine geblieben wäre, jedoch kehrte der Lupine zurück ins Zimmer. Doch war das ein Zögern? Ein vorsichtiges Annähern, bevor er Lian auch wirklich erreichte und berührte? Druck ausüben…, wiederholte dieser gedanklich die Aufforderung und tat, wie ihm befohlen wurde. Das erste Mal sah der Illusionist zu seiner Schulter und erkannte das Blut, das aus der Wunde strömte. Warum spürte er den Schmerz nicht? Wenn er es nicht besser gewusst hätte, er wäre davon ausgegangen, dass es die Verletzung einer anderen Person sein musste. Es gab so viele Dinge, die es zu klären gab, Dinge, die in Worte gefasst werden mussten. Warum blieben Lian dann gerade jetzt alle Worte im Halse stecken? Er wagte es nicht, seinem Freund direkt in die Augen zu sehen und alles, was er herausbekam, war ein „Es… ich weiß nicht…“ bevor sich die Lippen wieder schlossen. Der Lockenkopf wusste nicht, was genau der Auslöser war, als Rownan urplötzlich aufsprang und davoneilte.
Es folgten Geräusche aus dem Badezimmer, die keine Zweifel offenließen.
Alles, absolut alles bei diesem Zusammentreffen war aus dem Ruder gelaufen. Lian war hergekommen, weil er Dinge hatte klären wollen, weil er darüber nachgedacht hatte, was er mit seinem kommentarlosen Verschwinden wohlmöglich angerichtet hatte. Aber jetzt? Es wäre besser gewesen, wenn er einfach untergetaucht wäre. „Ganz egal, wo wir auftauchen, wir hinterlassen einen Scherbenhaufen“, murmelte der Braunhaarige und fasste sich mit geschlossenen Augen an die Stirn. Es waren Worte, die Rownan einst an ihn gerichtet hatte und die sich gerade erneut bewahrheitet hatten. Egal welche Beziehungen der Falls in seinem Leben einging, es war wie ein Kartenhaus – irgendwann fielen sie alle in sich zusammen. Seine Lider hoben sich an und er sah sich das erste Mal wirklich in der Umgebung um. Dieses Zimmer, das ihm so vollkommen unbekannt war. Das Zimmer, das Rownan gehörte. Alles hier sah so anders aus als die vier Wände in Aloe Town. Es war aufgeräumt, alles hatte seinen akkuraten Platz, die Küche, der Eingangsbereich, der Schreibtisch. Einzig was Dekorationen anging, waren der Lupine und er gleichermaßen uninspiriert. Obwohl… eine Sache gab es doch. Ein Bilderrahmen? Der Illusionist richtete sich auf wackeligen Beinen auf, trat auf das Bild zu und betrachtete es genauer. Auf dem verstaubten Gegenstand sah Lian nicht nur Rownan, sondern auch… sich selbst.
Erneute Geräusche aus dem Badezimmer.
Er musste von hier weg. Sofort. Einfach verschwinden. Lian wandte sich herum und sammelte gehetzt seine immer noch nassen Kleidungsstücke ein. Er dachte auch nicht darüber nach, dass er durch den strömenden Regen zurück zum Bahnhof laufen müsste, ohne irgendeinen Schutz vor dem Wetter. Alles war dem 20-Jährigen gerade Recht - solange er Abstand aufbauen konnte, anstatt noch mehr Schaden zu verursachen. Es war das Beste, nicht nur für sich, sondern auch für Rownan. Kaum hatte er sich angezogen, legte Lian die Hand auf die Türklinke und …
"Ich habe jeden Tag auf dich gewartet. Ich habe so sehr gehofft, dass du zurückkommst."
Noch ein Mensch, den Lian mit seinem Verhalten endlos enttäuscht hatte. Und war es nicht jener Moment, jene Aussage der Inuyama, die den Falls überhaupt dazu bewogen hatte, sich endlich mit Rownan zu treffen? Nicht länger zu fliehen, sobald es schwierig wurde? Seine Finger zuckten, er runzelte die Stirn und senkte den Blick. Tatsächlich gab ihm der Gedanke an Rin die Klarheit, die er benötigte und er schloss die Tür wieder, selbst wenn alles in ihm danach schrie, wegzulaufen. Er würde Rownan in Ruhe lassen – aber erst, wenn er wusste, dass es ihm gutging und er ihn allein lassen konnte. Lian wollte sich setzen und warten, aber mit seiner nassen Kleidung hätte er das Mobiliar seines Freundes ruiniert. Also war er unruhig in dem Zimmer auf und ab gelaufen und hatte überall hingesehen, nur nicht erneut zum Schreibtisch mit dem Bilderrahmen. Mehrfach näherte sich der Falls auch der Badezimmertür, nur um sich dann, nach langer Grübelei, doch wieder unverrichteter Dinge von der Tür zu entfernen. Es war wie eine unsichtbare Barriere, die über dieser Tür lag und die der Falls nicht überwinden konnte.
Am Ende saß er auf dem Boden der Wohnung, lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und fröstelte stumm vor sich hin. Die Knie waren angewinkelt, ein Ellbogen darauf abgestützt, während die andere Hand den Verband unter der Kleidung weiterhin auf die Bisswunde gedrückt hielt. Ob die Wunde überhaupt noch blutete? Lian war sich nicht sicher. Von seiner jetzigen Position aus hatte der Falls die Badezimmertür im Blick und war gleichzeitig weit genug entfernt, dass Rownan sich in seinem Sicherheitsabstand hoffentlich nicht eingeschränkt fühlte. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit – wie lange genau es gedauert hatte, war unmöglich zu sagen – öffnete sich die Tür des Badezimmers. „Du solltest etwas trinken“, waren die ersten Worte, die Lian von seinem Platz aus äußerte. Seine Stimme war ruhig, eigentlich etwas zu ruhig, wenn man bedachte, was zwischen den beiden Magiern geschehen war. Gleichzeitig hob er beide Hände deeskalierend in die Höhe. Eine Geste, die zeigen sollte, dass von ihm keine Gefahr ausging? Dass er unbewaffnet war? So ganz sicher war Lian sich da selbst nicht. Schlussendlich deutete der Illusionist mit dem rechten Zeigefinger auf den Esstisch, der gleich gegenüber der Badezimmertür und damit in Rownans Nähe stand. „Da steht ein Glas Wasser. Und ein Pfefferminztee, der irgendwann mal warm war. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich deine Vorräte durchsucht habe...“ Der Braunhaarige wandte unsicher den Blick ab. „Wenn du jetzt allein sein willst, dann verschwinde ich, Rownan. Jetzt sofort. Aber ich wollte nicht gehen, ohne zu wissen, wie es dir geht.“ Lian stoppte in seinen Worten. Er hatte viel Zeit gehabt, um die Ereignisse in dieser Wohnung nochmal Revue passieren zu lassen und er hatte Dinge erkannt, die er zuvor zu ignorieren versucht hatte. Unter anderem hatte der Illusionist sich an die Erzählungen des Lupinen über seine zweite Persönlichkeit erinnert - jene Persönlichkeit, die einst Lian als Ziel eines Racheaktes auserkoren hatte. „Wir haben beide die Kontrolle verloren. Aber das vorhin… das war deine andere Seite, oder?“ Er zögerte. Rownan hatte einst davon gesprochen, dass es eine vorläufige Friedenserklärung zwischen ihm und seinem tierischen Ich gäbe. Doch das war mittlerweile mehrere Wochen her und nicht nur in seinem, sondern auch in Rownans Leben war vermutlich viel geschehen. „Ist es das erste Mal seit Aloe Town, dass so etwas passiert ist?“
#7 Hier saß er also der stolze Wolf in nicht viel mehr als seiner Unterwäsche, Erbrochenes vor ihm in der Toilette und an seiner Schnauze. Die langen Speichelfäden, die an seinen spitzen Zähne herunterhingen wie Spinnenfäden, komplementierten das Bild. Weder Rownan noch seiner Körper wussten wirklich damit umzugehen, was gerade passiert war aber noch viel weniger, was gerade passierte. Keine der Erinnerungen, die dem Lupinen gerade in den Kopf schossen, gaben ein Indiz darauf, dass auch eine solche Reaktion möglich war. Was jedoch noch mehr als lebendig im Kopf des Satyrs war, als er die Augen schloss und sich auf seinen Magen konzertiertet, war der Blick Lians. In dem Augenblick hatte es der Hybride nicht einmal richtig wahrgenommen, doch sein Geist schon. Die Wut und Aggression waren mehr als deutlich, aber die schmalen Augen in Verbindung mit, und Rownan begann seiner eigenen Wahrnehmung zu misstrauen, einem Grinsen, ja es war ein Grinsen gewesen, erzeugten ein so vehement anderes Bild der Sphynx, dass er dieses einfach nicht glauben konnte. Nicht glauben wollte. Ich bin das Problem, nicht er! schrie er sich förmlich selbst an und spürt so gleich, wie ihm erneut übel wurde. Am liebsten hätte er seine Umgebung auseinandergenommen, nur um diesen Gedanken zu verdrängen. Doch je länger er darüber nachdachte desto eher musste er akzeptieren, dass das was passiert war, wirklich passiert war. Lian war drauf und dran ihm eine Lektion zu erteilen, womöglich hatte er tatsächlich mörderische Tendenzen ihm gegenüber. Allerdings konnte der Grauhaarige nicht verstehen, was eine derartige Reaktion ausgelöst haben konnte. Der braunhaarige wusste um das Risiko als er sich mit Rownan eingelassen hatte. Er hatte ihm sogar geholfen. Eine Abwehr oder Distanz hätte er verstanden, ja sogar erwartet. Woher aber kam dieser Fokus, diese Aktivität. Der Wolf war der Aggressor gewesen doch nur für einen Bruchteil einer Sekunde. Irgendetwas andere schwamm hier mit, es musste einfach so sein. Weshalb sonst sollte der Magier so auf ihn losgehen? Selbst als er sich befreit hatte, war Lian noch immer bereit zu kämpfen. Oder hatte der Lupine womöglich einfach sein Kapital erschöpft? War sein Missgeschick gerade einfach nur der Tropfen auf dem heißen Stein gewesen? Dann wäre die Frage wie lange diese Wut schon in dem anderen brodelte. War es der Stille geschuldet dass er die Zeichen nicht sehen konnte? Oder kämpfte sein Seelenverwandter so sehr mit einer Entscheidung, die er heute verkündeten wollte, etwas was er klären wollte, wovor er sich so sehr fürchtet, vielleicht sogar aus dem Weg ging oder ihn derartig belastete, dass er so lange damit gewartet hatte ihm zu schreiben und es sich jetzt in diesem Augenblick entladen hatte? Dass er es auf die nette Tour probieren wollte und sich der alten Zeiten wegen hingegeben hatte, nur um überrascht zu werden und in seiner geplanten Handlung etwas über das Ziel hinauszuschießen? Die Kette fand ein jähes Ende, als sein feines Gehör die Türklinke vernahm, ehe sich die Tür schloss. Resigniert senkte er den Kopf nun endgültig auf das Keramikgefäß. Damit waren alle Gedanken hinfällig. Er würde nie erfahren, was hier passiert war. Wie konnte es nur so weit kommen?
Einen Moment verweilte er einfach so, fühlte sich leer ins seinem Inneren. Irgendwo erinnerte es ihn an seinen ersten Tag, den ersten Tag in dieser Form. Verwirrt, orientierungslos und mit Blut am Maul war er inmitten der eisigen Schneewüste erwacht und mit diesem Tag stand sein ganzes Leben plötzlich auf dem Kopf. Und doch fand er schon wenige Tage später Halt, eine Mentorin, die sich seiner annahm. Selbst als er nach Maldina aufgebrochen war, waren seine Motive ebenso wie seine Ziele klar vor seinem inneren Auge zu sehen. Erst als der Schütze in sein Leben trat, hatte er ein Element, welches sich nie hundertprozentig vorhersagen ließ. Obwohl Rownan die Ordnung, die Perfektion liebte, verlor er sich in diesem Chaos. So sehr, dass jetzt, wo Lian förmlich in ungreifbare Nähe gerückt war, er sich seit langem, vielleicht überhaupt zum ersten Mal seit des schicksalhaften Tages wirklich ziellos fühlte. Es war ein furchtbares Gefühl und der Hybride spürte, wie sich sein Magen von neuen zusammenzog. Wie konnte etwas, was nur in seinem Kopf war, derartig schmerzen? Mühsam hob er die Schnauze an, senkte den Deckel, um sich zumindest etwas vor dem Geruch zu schützen, ehe er sich lustlos an die Wand daneben bewegte und die Schultern kraftlos ablegte. Ein kleiner Teil in ihm hoffte noch immer, dass er sich dies alles hier nur einbildete. Dabei wusste er ganz genau, dass es ein Albtraum war, der Wirklichkeit geworden war. Ein bekanntes Gefühl tat sich im Tiermenschen auf. Es war ähnlich dem Gefühl, welches er in der Wüste erlebte als der Illusionist ihm half durch die Mauer zu brechen, die ihn so lange blockiert, wobei sie nicht mehr geschafft hatten als einige Steine zu bewegen. Genug, um einen Blick darauf zubekommen was gewesen war. Damals fühlte es sich so an als ob er Gast in seinem eigenen Körper gewesen war. Als ob er die Welt durch fremde Augen wahrnahm. Auch jetzt spürte er diese Leere. Sie fühlte sich so vertraut an, wie ein schwarzer Sog gepaart mit dem Gesang einer Sirene. Er könnte sich fallen lassen, jetzt wo er den finalen Nagel in seinen emotionalen Sarg gehämmert hatte. Einfach aufgeben. Kurz bevor er niedergeschlagen seine Augen schloss, vernahm er durch den Spalt, den die Tür noch offen war, nachdem er sie nur schnell hinter sich hergezogen hatte, Schritte. Instinktiv nahm er die Gerüche seiner Umgebung auf. Wie es schien, hatte Lian seine nassen Klamotten wieder angezogen. Die eigene Körperwärme verteilte seinen Duft durch das Verdunsten der Nässe wie ein Sprinkler in der gesamten Umgebung. Das heißt … er ist noch da! Einen kurzen Moment euphorisch klammerte er sich bereits am Sitz fest um sich hochzuziehen, ehe er wieder bemerkte, warum er eigentlich dort saß. So eine Wirkung hatte der junge Mann weiterhin auf ihn. Aber nach allem … warum war er noch hier? Nicht wirklich verwunderlich konnte sich Rownan keine Reim darauf machen, weshalb der Braunhaarige nicht gegangen war. Ich habe doch die Tür gehört? Irgendetwas musste ihn aufgehalten haben. Oder jemand? Nein, seine Nase vernahm niemand anderen. Wie für den Lupinen üblich, besonders in seiner aktuellen Verfassung, ging er nach dem für ihn aus logischsten Grund aus: es regnete in Strömen. Warum sollte er sich das ein weiteres Mal antun? Dass er mit Rownan spielend fertig wurde, hatte er gerade eindrücklich gezeigt. Ihm drohte keine Gefahr. Der Grauhaarige hingegen, war sich nicht so sicher, ob es klug war, den Raum zu verlassen, obwohl er bereits bei dem Gedanken spürte, wie es sein Herz erfreuen würde. Nicht aber in die Augen zu blicken, die ihn noch wenige Minuten zuvor an die Wand gedrückt hatten, sondern solche, wie sie auf dem Foto auf seinem Schreibtisch zu sehen waren. Irgendwo musste die Person doch noch zu finden sein, die ihm den Kopf verdreht hatte. Galt das gleiche auch für ihn selbst? Konnte er vielleicht einfach einmal die Person sein, die er sein wollte, die er seiner Meinung nach auch war?
Ruhig konzentrierte er sich auf die Geschehnissen in seinen vier Wänden. Die Schritte in Kombination mit dessen Geruch wanderte unruhig durch die Wohnung. So sehr, wie sich der Wolf in seine Gedanken hineingesteigert hatte, blieb ihm die möglichen Gedankengänge des anderen versperrt. So fremd wirkte es, dass er sich nicht mehr in den anderen hineindenken konnte. Nicht zuletzt die Furcht, die er zuvor gespürt hatte, befeuerte diese mentale Blockade. So sehr er am liebsten herausgestürmt wäre und auf Knie nach Vergebung gebeten hätte, etwas, woran er vor Lian nicht einmal gedacht hatte, kollidierte mit der Furcht vor der Bestie, die den Tiermenschen so mühelos in den Schatten stellte. Besonders eindrücklich war dies als die Schritte sich dem Badezimmer näherten. Kommt er herein? Der Satyrs spürte, wie seine Muskeln sich anspannten, sein Körper sich bereit machte auf eine Revanche. Nie im Leben hätte er gedacht, jemals so auf den Dieb zu reagieren. Es schmerzte ihn von neuen. Selbst seine Rute, die ihn so verlässlich an den anderen verraten hatte, zog sich ein, wenn sich die Schritte näherten. Wie konnte die Situation nur so eskalieren? Wie ein Karussell kam dieser Gedanke immer und immer wieder. Erst als er hörte, wie in der Küche Wasser aufgekocht wurde, beruhigte sich sein Puls etwas. Die Tarnung des Geräusches nutzend, erhob er sich vorsichtig. Es half nichts. Er konnte sich nicht ewig in diesen vier Wänden verstecken. Geringfügig kehrte wieder etwas des Stolzes in sein Wesen ein. Lieber ging er mit erhobenen Hauptes voran, als weiterhin den Schwanz einzuziehen. Wortwörtlich. Mühevoll erhob er sich, setzte an den Raum zu verlassen, ehe er sich im Augenwinkel des Spiegels sah. Als er zuvor den Verbandskasten geholt hatte, war er so aufgeladen, dass er sich selbst nicht wahrgenommen hatte. Jetzt war seine volle Aufmerksamkeit wieder da und erneut blickte er, wie schon hunderte Mal zuvor, in die Fratze, das Gesicht, welches ihn immer wieder aufs Neue daran erinnerte, dass es keine Freude in seinem Leben geben durfte. Was auch immer ihm widerfahren war, Rownan glaubte langsam, dass für ihn nie mehr geplant war als zu töten und zu fressen. Eine Wut kochte in ihm hoch, doch dieses Mal war es seine menschliche Seite, die diese Emotion geschuldet war. Er spürte jede einzelne Muskelfaser als er seine krallenbesetzen Hände anspannte. Er brauchte er ein Ventil und jede Sekunde, die er sich im Spiegle betrachtete, wollte er diese Wut gegen sich selbst richten. Die Schnauze, die Haare, die Ohren einfach alles abschlagen, verstümmeln, was ihn immer wieder daran erinnerte, dass er nicht in diese Welt gehörte. Ein paar Mal atmete er ein und aus. Der Teekessel wurde lauter und je näher dieser zum Punkt kam, an dem das Wasser kochte, wollte der Hybride zuschlagen. Diese vermeintlichen Gaben einmal so einsetzen, wie er es wollte. Das Pfeifen ertönte aus der Küche und sein Hände schossen herab. Los, Rownan, sieh mich an. Millimeter vor seinem Gesicht stoppte er in de Bewegung, wie zu Eis erstarrt. Sofort fuhr sein Kopf herum zur Tür, doch er erblickte nicht die Stimme, die dazugehörte. Wie eine unsichtbare Berührung, glitten seine Hände vorsichtig herab, verloren die Spannung und hingen schließlich wieder neben seinem Körper. Es war die Stimme Lians, doch war es viel eher eine Erinnerung. Ich weiß nicht, worüber genau du dir Gedanken machst, aber… vergiss auch du nicht, dass du das nicht mehr alleine durchstehen musst … Es ist alles okay. Worüber auch immer du nachgedacht hast: Wir können das gemeinsam schaffen, zu zweit. Wie so viele ihrer Konversationen hatte sich auch diese in seinem Kopf auf alle Zeit eingebrannt. Wie tief ging dieses Versprechen? Galt es auch nach allem, was sich gerade ereignet hatte. Gab es noch ein „gemeinsam“, ein „zu zweit“. Der Hybride wollte so gerne daran glauben. Die erste Hoffnung seit der Eskalation. Womöglich war das auch der Grund, weshalb der andere noch da war. Eine so tiefe Verbundenheit war strapazierfähig. Dennoch ließ ihn die Überlegung nicht los, nicht völlig los, dass er ihre Nerven über das Maß hinaus strapaziert hatte. Wenn es jedoch nur den Hauch der Chance gab diesen Fehler wieder gerade zu biegen, musste er sie einfach ergreifen. Allmählich kehrte er zu sich selbst zurück. Doch zu seinem Einsiedlertum, dazu wollte er keineswegs zurückkehren. Sich nun vollständig im Spiegel betrachten, bemerkte er erneut, dass sein Outfit nicht gerade Seriosität versprühte. Seine Klamotten allerdings waren vollständig im anderen Raum, auch die trockenen. Trocken. Immerhin konnte er sich etwas vom Regen befreien und vielleicht einige Handtücher als Friedensangebot mitbringen. In den nassen Klamotte würde sich sein Gefährte nur erkälten. Das hatten sie zu Beginn schon festgehalten. So trocknete sich der Wolf erst einmal etwas ab, machte sich frisch, entfernte Reste aus seinen Zähnen. So sehr er sich zu verachten wusste, konnte diese Emotion auch in ein penibles Auftreten münden. So penibel, wie es in einer Unterhose möglich war.
Kaum hatte er die Tür geöffnete, hörte er die Stimme Lians. Ruhig war sie, ungewohnt ruhig, erinnerte man sich an ihren Schlagabtausch. Bewusst blickte er kurz zu ihm herüber. Allein die Körperhaltung sollte den Grauhaarigen zeigen, dass auch jener eine Achterbahnfahrt hinter sich hatte. Zu welchem Ergebnis diese Geführt hatte, konnte er jedoch absolut keine Vorhersage treffen. Und doch galten die ersten Worte, die er äußerte, der Sorge um den Satyrs. Unbewusst wurden die Gesichtszüge Rownans weicher und er hoffte, dass dies nur der Beginn ihrer gemeinsamen Reparation war. Vor allem aber, gab es einen weiteren Grund für Hoffnung. Kaum waren diese Worte geäußerten, erhoben sich auch die Hände des Magiers. Bereits jetzt wollte er ihm an liebsten an den Hals springen, metaphorisch gesprochen, ihn umarmen und drücken und gleichzeitig spürte er noch immer diese Unruhe auch nur in der Nähe des anderen zu sein. So folgte er der Erklärung und erblickte den Grund für den Teekessel. Er hat mir wirklich Tee gekocht. Der Monolog war so surreal, dass er am liebsten angefangen hätte zu lachen, wer die Situation nicht so todernst. Noch immer wusste er nicht, weshalb der Falls noch da war. Selbst als dieser sich nach seinem Befinden erkundigte, wobei er ihm gleichzeitig offerierte, sofort aufzubrechen. Nein! Schoss es ihm durch den Kopf doch Rownan riss sich zusammen, um die Bühne, die sich seine Gegenüber gerade mühsam aufbaute, nicht zu zerstören. Stattdessen schlug seine Rute einmal aus, bevor er sich schweigsam an seinen eigenen Tisch setzte und ein Schluck des lauwarmen Tees nahm. Es war ein gutes Gefühl. Ein Moment der Ruhe kehrte ein als Lian von neuem sprach. Verwunderung huschte durch seine Mimik. Beide? Wie zuvor wollte er direkt nachfragen, doch hielt er sich erneut zurück. Spätestens als dieser seine ‚andere Seite‘ erwähnte. Langsam wendete er den Kopf zu seinem Gesprächspartner um. Es war keine klare Antwort, aber der Satyrs ging davon aus, dass es mehr sagen würde als tausend Worte. Es war unendlich schwer. Die anknüpfende und vorerst letzte Frage veranlasste den Grauhaarigen dazu den Blick des anderen auszuweichen und stattdessen die Wand vor sich anzuschauen, wobei er viel eher an der Wand vorbeischaute, sich auf sein Inneres konzentrierte. Da war es wieder: das Talent der beiden mit dem Finger genau in die Wunde zu drücken. Zu zweit huschte es erneut durch seinen Kopf. Jetzt würde sich zeigen, wie viel daran wirklich dran war. Aber wie sollte er das ganze anfangen?
Langsam drehte er den Kopf zurück und schaute das Häuflein Elend an, welches sich auf seinem Boden befand. Und es erinnerte ihn an einige Situationen, in welcher Lian so sehr für sich allein saß, der Eigenbrötler, der er war, die sie beide waren. Jedes Mal war es richtig, dass der Tiermensch die Nähe gesucht hatte und ihm Halt bot. Das bedeutete es doch, was sie einander versprochen hatten. Ein tiefes Ein- und Ausatmen erfüllte den Raum, während sich Rownan langsam durch das Gesicht strich, ehe er einmal an die Decke schaute, die Fäuste ballte, die Hände wieder öffnete und zu Lian schaute. „Es ist schon vor Aloe passiert…“ begann er, während er sich langsam erhob. Sein Freund konnte gut erkennen, mit jedem langsam Schritt, den er in sein Richtung ging, wie sich das Fell langsam aufstellte und seine Rute einklemmte. Jede Zellen in seinem Körper sagte ihm, dass es Abstand suchen sollte, sich retten sollte. Und wie so oft kämpfte Rownan gegen seine Triebe an. Zu erst drehte er einen der Heizkörper auf, eher er vor dem anderen ankam und er vorsichtig in die Hocke ging, wo er Lian die beiden Handtücher reichte. Sie waren mehr als genug um drei Lians trocken zu bekommen. „Du solltest die Sachen loswerden und dich abtrocken, sonst wirst du wirklich krank“. Dann blickte er kurz zum Fenster und durch seine Wohnung. Überall Wasser. „Bei dem Wetter geht keiner von uns“ kommentierte er schließlich die Aussage. Etwas unpersönlich, jedoch musste er sich anstrengen die Worte zu sagen, die er wirklich meinte und nicht impulsiv zu sprechen. „Ich will … ich würde mich freuen“ begann er, allerdings fühlte sich das alles nicht richtig an. Nicht wie sie. So ziellos er sich gefühlt hatte, desto sicherer war er nun mit dem, was er tun wollte. Sein Blick suchte die Augen seines Partners „Ich will nicht allein sein … nicht ohne dich. Nie mehr“. Womöglich hätte er sich entschuldigen sollen, jedoch glaubte er, dass die Worte, die Emotionen, die er projezierte und in diesen Worten mitschwangen, seit er den Raum betreten hatte mehr für seine Causa taten als alles andere. Immerhin war er dabei wieder einmal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Einen Augenblick verweilte er noch so, ehe er sich neben den Schützen setzte, bedacht darauf ihn nicht zu berühren, gerade weil sein Fell und seine Körperhaltung ihn noch immer verrieten. Es gab Dinge, derer er sich nie erwehren würde können. „Bereits auf der ersten Quest“ brach er die Stille und wollte damit auf die Fragen eingehen „die ich als Magier unternommen hatte, hätte ich beinahe einen Banditen einen Kopf kürzer gemacht. Und dann wieder. Und dann bei dir, auch wenn wir bis heute nicht wissen, was genau passiert war. In dem Waisenheim in Crystalline war alles so simpel, so … reizfrei. Kaum hatte ich diesen geschützten Ort verlassen, musste ich mich ständig prüfen, hinterfragen. Dank dir sah ich endlich eine echte Möglichkeit diesem Teufelskreis zu entkommen, der Gefahr, eines Tages nicht stark genug zu sein mich zu beherrschen. Aber was wir an diesem Tag getan haben. Ich glaube ich habe die Büchse der Pandora geöffnet und dich da auch noch mit reingezogen“. Besonders der letzte Teil war unterlegt mit Frust und Wut. Denn irgendwo befürchtete Rownan, dass sich auch Lian dafür verantwortlichen machen würde, was er ihm gleich offenbarte. So sehr es der andere womöglich abstreiten würde, konnte der Braunhaarige unwahrscheinliche empathisch sein. Ein Grund mehr, weshalb sie so aneinandergerieten und gleichzeitig so eine tiefe Verbindung hatten. „Nach unserem Treffen habe ich diesen Punkt, den du durch deine Magie erzeugt hattest, mithilfe meiner Magie erfassen können. Und es war wundervoll“. Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte sich der Lupine neben ihm in eine Gestalt verwandelt, die von Fell nicht weiter entfernt sein konnte. Die Hand in Richtung der Decke streckend, bewegte er jedes einzelne Glied seiner Finger einzeln. „Ich spürte die Strahlen der Sonne auf meiner Haut, hatte meine Gedankenwelt für mich. Zu Beginn nur wenige Minute, zwischenzeitlich schon über einen Tag“. Die freudige Miene verfinsterte sich, wurde resignierter. „Aber wie bei allem in dieser Welt, gab es auch hier einen Haken. Je mehr ich meiner menschlichen Gestalt nacheiferte, versuchte diese Form zu halten, desto mehr gewann diese Stimme, diese andere Seite an Stärke. Soweit, dass auch sie eine Form bekam“. Die Hand wurde massiger, die Krallen kehrten zurück, doch das Fell wurde so weiß, wie es seine Haare zuvor waren. Auch von der Angst war nur noch wenig zu spüren oder zu sehen. „Hier war ich nicht unbedingt zu Gast, aber ich spürte andere Dinge. Ich wurde riskobereiter, impulsiver … aggressiver. So sehr sich meine menschlichen Aspekte in auf der einen Seite intensivierten, tuen es die tierischen in dieser. Nur in Grau scheint eine Mischung, ein Gleichgewicht zu herrschen. Logische Tätigkeiten fördern die eine, emotionale, so wie vorhin, die andere Seite“ beendete er seinen Prolog und senkte die Hand und ließ die Worte einen Moment sacken.
„Bis dato hab ich es für mich unter Kontrolle bekommen, habe allein gearbeitet, wenn ich konnte. Aber dass die Grenzen verschwammen, noch mehr als zuvor, das konnte ich nicht verneinen. Jedoch gab es ein Ereignis …“ er stockte und führte eben jene Hand über seine Schnauze. Sollte der Dieb aufmerksam sein, so könnte er womöglich noch die Spuren der schweren Eisenketten an den Handgelenken bemerken. Die sonst so starke Stimme des Lupinen kämpfte damit, diese Erfahrung in Worte zu packen. „Es ist noch nicht lange her. Ich war dumm, naiv, so wie du es nicht anders von mir kennst. Bevor ich wusste, wie mir geschah, saß ich in einem Käfig. Ich sollte verkauft werden, wie Vieh. Aber selbst Vieh hatte es besser als wir. Zu unserem, zu meinem Glück, hatten sich noch zwei andere Magier in dieser Misere befunden. So konnten wir einen Ausbruch wagen. Wir taten das richtige uns und die anderen zu befreien. Tiermenschen, die niemanden leid antaten und nur ihr Leben lebten. Aber diese Verbrecher“ und sein Händen ballten sich wiederholt zu Fäusten. „Sie waren so blind, in dem was sie taten, was sie dachten“ und dabei fuhr er mit einer Hand seine Schulter entlang, wo ihn einer der Peitschenhiebe getroffen hatte „es war schlimmer als alles, was ich selbst je getan hatte, denn sie taten es willentlich und aus Überzeugung. Und dieser Mann, dieser widerliche Sadist, er verkörperte alles, was falsch war an diesen Leuten, an ihren Tun und Denken, an ihrem Sein. Wir wollten gehen. Einfach nur gehen, aber er ließ einfach nicht ab“. Und hier kam es Rownan in den Sinn. Das Gesicht. „Er wirkte … er schaute genauso, wie du es eben getan hast, er ergötzte sich an jedem Augenblick“. Lian konnte an der Stimme mehr als deutlich hören, wie schwer es dem Hybriden fiel, diesen Vergleich zu ziehen, denn diese Erkenntnis schmerze ihn zutiefst. „Ich war frustriert, aufgewühlt, sauer und all das sammelte sich in dieser einen Person und dann habe ich … ich habe“ Rownan stockte und drehte den Kopf, in der Hoffnung in die Augen seines Freundes zu blicken und die Kraft zu finden, die er brauchte. „Ich gab nach. Nur ein einziges Mal. Ich gab nach und riss ihm das Fleisch von den Knochen. Ich tat genau das, weshalb diese Leute sich vor uns fürchten. Und weißt du was das Schlimmste daran war … ich habe jede einzelne Sekunde genossen. Jede. Einzelne. Sekunde. Der Geschmack des Blutes, der Geruch der Angst, als das Leben aus seinen Augen verschwand. Und wie du am eigenen Leib gespürt hast, würde ich es wohl wieder tun. Und es macht vor nichts Halt, nicht einmal vor dir“. Gegen Satzende wurde er leise, zog die Beine heran, wendete sich ab und mimte unbewusst die Haltung des anderen, während das Fell um seine Augen wieder an Feuchtigkeit zunahm. Eigentlich wollte er noch Fragen, was Lian damit gemeint hatte, als er sagte, dass sie beide die Kontrolle verloren hatten. Nur angedeutet hatte er es mit seinem Vergleichen zwischen diesem und dem Wärter. Womöglich würde der junge Magier gleich ebenfalls Licht ins Dunkel bringen. Weiterhin lautstark prasselte der Regen gegen die Fensterscheibe des düsteren Zimmers.
Gewirkter Zauber:
Personality Manifestation TYP: Elementlose Magie ELEMENT: --- KLASSE: III ART: Support MANAVERBRAUCH: 125 MAX. REICHWEITE: Selbst SPEZIELLES: Persönlicher Zauber von Rownan VORAUSSETZUNGEN: Willenskraft 7, Advanced Level BESCHREIBUNG: Da sich die Gestaltwandelmagie in Rownans Fall überhaupt erst durch den Kampf mit sich selbst, innerlich wie äußerlich, manifestiert hat, war es für ihn nur logisch diese neue Fähigkeit in eine sinnvolle Bahn zu lenken. Die Idee ist Teile seiner Persönlichkeit stärker oder schwächer hervortreten zu lassen. Was der Zauber an sich bewerkstelligt, ist diesen Gedanken eine Form zu geben. Daraus resultierten insgesamt zwei Gestalten, deren Aussehen in gleicher Art und Weise immer wieder abgerufen werden können. Da es für ihn allerdings nicht simple Verwandlungen sind, sondern bewusste, tiefgreifende Entscheidungen und diese teilweise noch sehr nah an seinem tierischen wie früherem Ich sind, kann er die Verwandlungen bis zu einem Tag aufrechterhalten. Diese Verwandlungen verschaffen ihm keine weiteren Vorteile. Löst er den Zauber innerhalb dieser Zeitspanne nicht auf, löst sich der Zauber automatisch auf, zieht ihm aber dennoch das Mana einer weiteren Verwandlung ab.
Spoiler:
Form 1: Beastman Diese Form ähnelt seinem regulären Aussehen, insofern, dass keine der tierischen Merkmale verschwinden. Stattdessen prägen sich diese noch weiter aus. Sein Fell wird dichter und voluminöser, die Farbe verändert sich in ein weiß, mit blaugrünen Akzenten entlang des Rückens und des Kopfes. Insgesamt wird seine Statur kräftiger, er bekommt ein massiveres, muskulöseres Aussehen. Die Schnauze ist deutlich kantiger und etwas größer, die Ohren liegen enger zusammen. Statt menschlichen Beinen, sind diese nun tatsächliche Hinterläufe mit Pfoten und auch der Gang findet komplett über die Zehen statt. Meistens entscheidet er sich in dieser Form für einen schwarzen T-Shirt mit dazu passenden Handschuhen und angepassten Stiefeln sowie einer dunkelgraue Chino. Nach Lust und Laune wird dieses Outfit noch durch einen Trenchcoat komplementiert.
Aussehen:
Form 2: Human Self Aus der Erinnerung an seiner Kindheit entspringend, versucht Rownan durch diese Form sein menschliches Ich zu visualisieren. Statt dem grauen Fell hat er nun einen blassen Hautton, der ebenso zu seinen weißen Haaren passt. Diese sind etwas zerzaust mit einem Pony, der seine Stirn teilweise verdeckt. Maul und spitze Ohren, sind den menschlichen Pendants gewichen und auch von der Rute ist keine Spur mehr. Ansonsten entspricht seine restliche Statur seinem normalen Aussehen. Ein ganz gewöhnlicher Mensch. Die Klamotten gleichem hier gerne dem Outfit aus Form 1.
Es war nur ein winzig kleiner Moment gewesen. Wenige Sekunden, in denen Lian den unsicheren Blick seines Freundes hatte auffangen können, kurz nachdem dieser aus dem Badezimmer zurückgekehrt war. Leider war der Moment nicht ausreichend gewesen, um wirklich erkennen zu können, was in Rownan vor sich ging, was er dachte oder gar fühlte. Kaum hatte der Wüstenbewohner die Frage gestellt, die ihm seit mehreren Minuten nicht mehr aus dem Kopf gegangen war, wandte der Lupine den Blick wieder ab, starrte stattdessen die kahle Wand seiner Wohnung an und schien wieder mehr in seine eigene Gedankenwelt abzudriften, an der Lian nicht teilhaben konnte. Die Stille kehrte zurück und die Geräusche des stürmischen Regens vor dem Fenster wurden umso lauter. Nur um das nochmal festzuhalten: Lian fühlte sich gerade absolut miserabel und das nicht nur aufgrund der Kälte, die ihm tief in den Knochen saß. Er kämpfte mit vollkommen widersprüchlichen Gefühlen und balancierte durchgehend zwischen dem Gedanken, dass es richtig war, nicht die Flucht ergriffen zu haben und dann doch wieder der Sorge, dass er wohlmöglich lieber hätte gehen sollen, als es die Gelegenheit dazu gegeben hatte. Wäre es sinnvoller gewesen, ihnen beiden Raum für sich selbst zu geben? Drängte sich Lian dem Lupinen mit seinem aktuellen Verhalten vielleicht sogar auf? Überschritt er hier irgendwelche Grenzen? Der Braunhaarige war es mittlerweile schon gewohnt, sämtliche seiner Handlungen in der Gegenwart des Tiermenschen mehrfach zu hinterfragen, sich deutlich unsicherer zu fühlen, als er es sonst im Alltag war. Aber das hier, nach allem, was geschehen war, war nochmal ein ganz neues Level. Der Blick der hellgrünen Augen senkte sich und der 20-Jährige kam inmitten der Stille zu dem verzagten Schluss, dass er Rownan von der unangenehmen Situation erlösen sollte. Er würde aufstehen, würde gehen und ihn nicht in die Verlegenheit bringen, diese Worte selbst formulieren zu müssen. Just in dem Augenblick, als die Sphynx den Blick wieder anhob und die Lippen sich öffneten, um eine entsprechende Verabschiedung zu formulieren, kam auch Bewegung in Rownans Körper. Der ältere Magier strich sich zögerlich durch das Gesicht, atmete mit einem Blick gen Decke tief ein und wieder aus und sah dann zum Illusionisten. Es war kein kurzer Blick, einer, der erneut abgewandt wurde – dennoch war es anders als zuvor ein Blick, der bis auf den Grund von Lians Seele zu gehen schien. Die Worte, die der Grauhaarige formulierte, drehten sich nicht darum, dass er den Falls loswerden wollte, sondern er erzählte davon, dass es auch schon vor Aloe Kontrollverluste gegeben hatte. Dann stand Rownan von seinem Sitzplatz am Tisch auf und kam langsam, Schritt für Schritt, auf Lian zu, der immer noch auf dem Boden kauerte. Die Körperhaltung, während der Lupine nähertrat… Er hat Angst vor mir, schoss es dem Falls durch den Kopf und sein Magen zog sich heftig zusammen. Angst? Vor ihm? Nach dem, was er getan hatte, konnte Lian die Furcht zwar verstehen, es so genau erkennen zu können, schmerzte deshalb allerdings nicht weniger. Es war überraschend, dass Rownan sich trotz dieser unübersehbaren Gefühlslage vor Lian hockte und ihm zwei Handtücher reichte. Geistesabwesend nahm dieser die Tücher entgegen und starrte auf sie hinab, brauchte zwei Sekunden länger, um die Worte seines Freundes auch entsprechend zu verarbeiten. Er sollte sich abtrocknen, um nicht krank zu werden? Bei dem Wetter sollte keiner von ihnen beiden gehen? Lian sah auf, direkt in die hellblauen Seelenspiegel des Gegenübers und spürte sein Herz überdeutlich schlagen, als Rownan die letzten Worte formulierte: Er wollte nicht allein sein. Nicht ohne ihn. Nie mehr, wiederholte Lian gedanklich und vergaß die Sache mit der Kälte und der nassen Kleidung schlagartig. Der gesamte Körper des jungen Mannes spannte sich an und unzählige emotionale Bomben detonierten gleichzeitig in seinem Inneren. Lian freute sich unglaublich darüber, dass Rownan ihn nicht fortschickte und ihm sogar sagte, dass er nie mehr ohne ihn sein wollte. Gleichzeitig hatte er aber auch Angst. Gar Panik. Und dann waren da noch Schock und nicht zuletzt Trauer, als dem Falls aufging, dass die Worte seines Freundes so gar nicht zu seiner ängstlichen Körperhaltung passten. Es erinnerte daran, dass Liebe und Zuneigung, die es zwischen ihnen gab, von einem Moment zum anderen in eine ernsthafte Auseinandersetzung umgeschlagen waren. Konnte so etwas nicht jederzeit wieder geschehen? Vermutlich waren es ähnlich widersprüchliche Gefühle, mit denen auch Rownan sich herumschlagen musste, denn als er sich neben den Falls setzte, achtete er doch akribisch darauf, dass sie sich nicht berührten. In der Realität waren es nur wenige Zentimeter zwischen ihnen, für Lian fühlte es sich allerdings an, als wäre es ein unendlich tiefer Abgrund, der sich zwischen den beiden Magiern aufgetan hatte. Anstatt die Kleidungsstücke loszuwerden, so wie Rownan es sinnvollerweise vorgeschlagen hatte, warf sich Lian eines der großen Handtücher über die Schultern und zog die Knie noch ein wenig enger an sich, um unter dem Stoff zu verschwinden. Es würde ihn schon warm halten… doch entstand damit nicht eine weitere Barriere zwischen ihm und dem Lupinen?
Sie sahen sich nicht direkt an, während Rownan erzählte, aber das mussten sie auch nicht, damit die gesprochenen Worte ihre Tragweite entfalten konnten. Lian hätte den ersten Teil der Geschichte noch von ihrem gemeinsamen Wochenende in Aloe kennen können, wenn die Sätze wie so viele andere Dinge nicht dem übermäßigen Alkoholpegel und dem daraus entstandenen Filmriss zum Opfer gefallen wären. So hörte es sich in den Ohren des 20-Jährigen gänzlich neu an, was Rownan ihm mitteilte. Danach kam der Tiermensch auf die Zeit nach ihrem gemeinsamen Wochenende zu sprechen und mitnichten entging Lian, dass sein Freund in der Vergangenheitsform sprach, als er erwähnte, damals eine Möglichkeit gesehen zu haben, diesem Teufelskreis aus Kontrollverlusten entkommen zu können. Das, was sie damals getan hatten, hatte die Büchse der Pandora geöffnet? Und Lian war mit hineingezogen worden? Was sollte das bedeuten? Der Illusionist spannte die Schultern an und sah mit einem Seitenblick zum Lupinen, aber Moment. Was… was tat Rownan da? Plötzlich veränderte sich die Gestalt des Satyrs und dort, wo eben noch ein Tiermensch gesessen hatte, saß nun ein… Mann. Helles Haar, blasse Haut, verhältnismäßig schmale Statur. Lian kannte diesen Mann – es war jene Gestalt, die er auch damals in der Wüste zu Gesicht bekommen hatte. Die menschliche Gestalt von Rownan? Er konnte die Verwandlung bewusst herbeiführen? „Wie hast du…“, begann Lian irritiert und verstummte sofort wieder, als sich die Form erneut veränderte. Beine, Arme, Oberkörper und nicht zuletzt die Hand, die gen Decke gestreckt wurde, wurden breiter, die Finger verformten sich zu dunklen Klauen und das Fell kehrte zurück. Die tierischen Merkmale prägten sich noch deutlicher aus, als es sonst üblich war, das Fell war heller und länger und insgesamt wirkte Rownan … monströser. Ohne diese Gestalt wieder zu verlassen, erzählte der Satyrs Magier weiter, griff an seine Schnauze und erst dann erkannte Lian es: Die Spuren an seinen Handgelenken. Fesselspuren? Die Augen des Falls weiteten sich und allmählich dämmerte ihm, dass schreckliche Dinge geschehen sein mussten, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
Rownan war gefangen worden? Er hatte verkauft werden sollen? Die brüchige Stimme des Satyrs, kombiniert mit seiner Körperhaltung und die Spuren, die von dieser Gefangenschaft übriggeblieben waren, gaben Lian einen kleinen Ausblick auf das, was sein Freund hatte durchstehen müssen. Schlagartig hatte der Lockenkopf ein schlechtes Gewissen und das nicht nur wegen seinem Verhalten vor einer guten Stunde. Wann genau hatte es diese Gefangenschaft gegeben? Und was hatte er in dieser Zeit getan? Während Rownan irgendwo gequält worden war, hatte Lian sein Leben in Aloe genossen und es dabei gekonnt aufgeschoben, sich bei dem Satyrs Magier zu melden. Während er den gemeinsamen Nachmittag mit der hübschen Isabelle als willkommene Ablenkung genutzt hatte, war Rownan wohlmöglich verletzt worden? Oder hatte der Lupine all das durchmachen müssen, während er und Gin… Lian stockte der Atem. Damals, in Aloe Town, hatte der 20-Jährige dem Lupinen versprochen, dass er ihm den Rücken freihalten und für ihn da sein würde. Was war davon in der Realität übriggeblieben? Als wären all diese Vorwürfe, die sich der Falls gerade selbst machte, nicht schon genug, setzte Rownan dem Ganzen die Krone auf: Der Verbrecher, ein widerlicher Sadist, der all das Leid der Tiermenschen verursacht hatte, hatte genau den gleichen Ausdruck besessen wie Lian. Er? Gleichgesetzt mit diesem Verbrecher? Der Falls wollte etwas sagen, aber er wusste beim besten Willen nicht, was genau. Wie genau er gewirkt hatte, das hatte Lian bisher nur anhand der Reaktion seines Freundes erahnen können – bis jetzt. Nun, da Rownan diesen Vergleich gezogen hatte, konnte der Illusionist sich nichts mehr schönreden. War es auch das, was Gin damals zu Gesicht bekommen hatte? Hatte er in Calavera auch so gewirkt? Oder damals, als er mit Arkos in der Mine gekämpft hatte? War das… war das wirkliche eine Seite, die Lian in sich trug? In der allerletzten Hoffnung, die Bestätigung zu finden, dass es nicht so wäre, sah er auf und direkt in die feuchten Augen von Rownan, der ebenso mit sich kämpfte. Der Lupine sprach weiter: Davon, dass er nachgegeben hatte, dass er diesen Verbrecher, der doch den gleichen Ausdruck in den Augen gehabt hatte wie der Falls, getötet und jede Sekunde dieses Mordes auch noch genossen hatte. Eine Brutalität, die nicht einmal vor dem Falls Halt machte, wie sich eben gezeigt hatte. Mit diesen Worten hatte Rownan seine Reserven aufgebraucht: Er verstummte, zog die Beine heran und senkte seinerseits den Blick. Lian derweil war immer noch sprachlos. Er konnte nachvollziehen, wie es geschah, dass man einen solchen Menschen töten wollte. Er glaubte sogar, dass es eine gute Sache war, die Welt von dieser Grausamkeit zu befreien. Aber sagte er damit nicht indirekt, dass es auch eine gute Sache wäre, ihn selbst von der Erde zu radieren? Steckte in ihm nicht offensichtlich genau das Gleiche, das auch in diesem namenlosen Verbrecher gesteckt hatte? Der Falls verstand mit diesen neuen Informationen viel mehr, was in seinem Freund vorgegangen war und wie sich die Dinge zwischen ihnen hatten so entwickeln können, wie sie es getan hatten. Die Eindrücke, die Parallelen zu der vergangenen Situation… Deshalb ist ihm übel geworden Wie verzweifelt musste Rownan gerade sein? Die Erkenntnis, den Mord an einer anderen Person genossen zu haben, musste schockierend sein. Insbesondere dann, wenn es überhaupt nicht den moralischen Vorstellungen entsprach, die man selbst besaß und nicht dem, wie man selbst sein wollte. Hätte Lian an der Stelle des Lupinen wohlmöglich genauso gehandelt? Vermutlich. Gerade eben erst hatte der Wüstenbewohner gezeigt, zu was er fähig war – und das, auch ohne dass er ein Tiermensch war. Genauso wie Rownan diese Seite an sich nicht besitzen wollte, wollte es auch Lian nicht. Der Falls sah mit einem Seitenblick ein weiteres Mal zu dem Satyrs Magier und betrachtete das ihm zugewandte Handgelenk, auf dem immer noch die Spuren der Gefangenschaft zu erkennen waren. Obwohl der Wüstenbewohner Zurückweisung befürchtete, konnte er es doch nicht verhindern: Seine Hand tastete sich unter dem Handtuch hervor und legte sich vorsichtig auf das Handgelenk seines Freundes, direkt auf die Spuren der Fesseln. Es war eine kleine Berührung, die eigentlich kaum einer Erwähnung wert war, wenn man bedachte, wie nahe sich die beiden Magier körperlich schon gekommen waren. Warum fühlte es sich für Lian dann nach vielmehr als das an? Es war wie eine wacklige Hängebrücke, um den Abgrund zu überwinden, der sich zwischen ihm und Rownan aufgetan hatte.
Die Berührung allein sorgte dafür, dass Lian seine wilden Gedanken ein wenig mehr sortieren konnte. Wie hatte es der Lupine einst formuliert? Jedes Mal, wenn sie ehrlich miteinander sprachen, konnten sie sich selbst besser verstehen, indem sie den anderen besser kennenlernten. Sie waren beide wie zwei Seiten der gleichen Medaille. Auch heute zeigte sich wieder, dass an dieser These durchaus etwas dran war. Rownan hatte seinen Kontrollverlust genossen und die Taten, die damit einhergingen – zumindest in dem Moment, als es geschehen war. Im Nachhinein quälte ihn das schlechte Gewissen und die Sorge darüber, zu was er noch fähig wäre. Es war wie bei Lian, der seinerseits von ganz ähnlichen Schatten verfolgt wurde. So sehr der Falls auch versuchte, es von sich zu schieben, um sich selbst nicht damit zu identifizieren: Er hatte es genossen, die Macht zu besitzen. Er hatte sich an dem Leid anderer – nicht nur Rownans – ergötzt. Und immer wieder hatte er erst im Nachhinein die Klarheit über seine Handlungen erhalten, hatte sich selbst infrage gestellt und gehofft, dass es höchstens Ausrutscher gewesen waren, die ihn so hatten auftreten lassen. Lian hatte Angst davor gehabt, sich mit dieser dunklen Seite von sich selbst auseinandersetzen zu müssen. Rownan war weiter als Lian – er hatte nicht nur erkannt, was in ihm schlummerte, sondern es auch in Worte gefasst. Wieder einmal stellte der Falls fest, dass er von seinem Freund lernen konnte und dass dieser eine Stärke besaß, die weit über seine eigene hinausging, selbst wenn dem Lupinen selbst das überhaupt nicht so bewusst war. „Das, was geschehen ist, klingt schrecklich. Ich wünschte, ich wäre da gewesen und ich hätte dir helfen können, Rownan.“ Natürlich hätte der Falls gerne etwas gesagt, dass den Taten seines Freundes die Schärfe genommen hätte, aber… das wäre eine Lüge gewesen. Es gab keine ehrlichen Worte, mit denen man einen Mord entschuldigen konnte. Rownan hatte die Kontrolle verloren und einen Menschen getötet, obwohl es sicherlich andere Wege gegeben hätte, um sich zu befreien. Was Lian allerdings konnte, war ehrliches Verständnis zu äußern, denn das war es, was er wirklich empfand. Seine Hand – die zumindest bisher noch nicht abgeschüttelt worden war – wanderte ein Stückchen weiter und legte sich auf die immer noch durch die fremde Gestalt veränderte Hand seines Freundes. Ganz gleich, in welcher Erscheinung: Das hier war immer noch Rownan, oder? Lian dachte über die Worte des Älteren nach, darüber, dass die Ereignisse in der Wüste der Auslöser für all das gewesen sein sollten. Schon damals waren Zweifel in dem Falls aufgekommen, ob das, was sie taten, das Richtige war. Hätten sie es nicht probieren sollen? Andererseits hatte Rownan damals einen Blick auf seine eigene Vergangenheit erhaschen können und Lian, der selbst nur allzu gut wusste, wie es sich anfühlte, wenn einem Teile der eigenen Existenz gänzlich unbekannt waren, glaubte, dass das einen unbeschreiblichen Wert hatte, der ihre Taten mehr als rechtfertigte. Der 20-Jährige holte Luft und wollte äußern, dass sein Freund sich keine Sorgen darüber machten müsste, dass er ihn verletzen könnte, dass der Illusionist sicher war, weil er sich schützen konnte… doch gleich mit diesem Gedanken erinnerte sich der Braunhaarige daran, was er selbst getan hatte, und die Worte blieben ihm im Halse stecken. Stattdessen äußerte er zögernd: „Und ich… ich kann deine Überforderung mit der Situation gut nachvollziehen.“ Lians Lippen schlossen sich. Was konnte er sagen? Er wollte nicht, dass Rownan sich von ihm abwandte und gleichzeitig hatte auch der Lupine darüber gesprochen, was ihm widerfahren war, was ihn beschäftigte und worüber er sich sorgte. Schon beim letzten Mal hatte der Falls festgestellt, dass der Grauhaarige so viel mehr von sich erzählt hatte als es Lian umgekehrt möglich gewesen war. Der Braunhaarige hatte sich vorgenommen, sich zu bessern und mehr Vertrauen zu zeigen. Und so… nahm sich der junge Mann zusammen. „Erinnerst du dich daran, dass ich dir damals von meinen Albträumen erzählt habe?“, begann er unvermittelt. Ein Themenwechsel, der beim älteren Magier durchaus für Verwirrung sorgen könnte. Doch davon ließ Lian sich nicht aufhalten und er sprach weiter: „Zuerst dachte ich, sie wären besser geworden. Aber… dann kamen sie zurück. Anfangs schleichend, doch dann immer deutlicher. Ich kann mich nicht im Detail an die Träume erinnern, aber immer, wenn ich aufwache, fühle ich mich schrecklich machtlos. Und gleichzeitig wütend. Das ist ein Gefühl, das mich nicht mehr loslässt. Auch wenn ich versuche, sie zu verdrängen, sind sie doch immer da.“ Er stoppte und atmete einmal tief durch, denn allein die Erinnerung an die Träume ließ Lian unruhig werden. „Warum ich dir das erzähle: Seit diese Träume zurückgekehrt sind, habe ich immer wieder Dinge getan, die ich überhaupt nicht tun wollte. Oder… wollte ich es doch tun? Ich verstehe mich selbst nicht mehr richtig.“ Lians Finger verkrampften sich. „Das vorhin, als ich dich angegriffen habe, auch das war so ein Moment. Ich war plötzlich so überzeugt davon, dass du mich umbringen möchtest, dass sich irgendein Schalter in mir umgelegt hat. Ich weiß nicht, warum ich so überreagiert habe, aber… irgendetwas setzt in mir aus. Ich habe das Gefühl, mich zur Wehr setzen zu müssen und kann dann nicht mehr stoppen. Und… ich… vielleicht fühle ich mich in diesen Momenten so, wie du dich gefühlt hast, als du dich gegen diesen Verbrecher zur Wehr gesetzt hast.“ Da war es wieder: Die zwei Seiten einer Medaille. Lian stoppte in seinen Worten und dachte darüber nach, wann es mit seinen erneuten Albträumen und diesen Aussetzern seinen Anfang genommen hatte. Er brauchte nicht lange, um es zu wissen, doch gleichzeitig zögerte die Sphynx die Worte hinaus. Überdeutlich spürte er nun seine eigene Hand auf jener von Rownan liegen. Ob sie gleich kommen würde? Die Zurückweisung? „Die erneuten Albträume und die Aussetzer… sie begannen, als Gin in Aloe Town aufgetaucht ist.“ Die Geschehnisse des damaligen Tages ließen Lian bis heute nicht los. Gleichzeitig hatte der 20-Jährige mit niemandem im Detail darüber gesprochen, was damals zwischen ihm und der Vampirin geschehen war und das nicht zuletzt deshalb, weil dieser Tag den Falls in vielerlei Hinsicht in keinem besonders guten Lichte dastehen ließ. „Es passierte einige Zeit nach unserem Wochenende in Aloe Town. Sie stand plötzlich vor mir und ich war vollkommen überfordert mit der Situation. An diesem Tag ist so viel aus dem Ruder gelaufen. Ich hatte… eigentlich nur mit ihr sprechen wollen.“ Erst jetzt wurden Lian die vielen Parallelen zu seinem heutigen Zusammentreffen mit Rownan wirklich bewusst. Und so schloss der junge Mann deutlich leiser: „Da hatte ich meinen ersten Aussetzer. Am Ende hat sie mich genauso erschrocken angesehen wie du vorhin. Voller Angst. Und Hass.“ Es war nicht weniger als der Tod gewesen, den die Du Bellay dem Falls gewünscht hatte. Aber das war etwas, das Lian noch nicht in Worte fassen konnte.
#8 Es war das erste Mal seit ihrer Konfrontation, dass jetzt, wo er vor dem anderen kniete und ihm die Handtücher hinhielt, er sich wieder etwas in den anderen hereindenken konnte. So viel, wie im Kopf Rownans passierte als er die richtigen Worte und Taten überlegte, so musste es ebenso im Kopf Lians gerade arbeiten. So zumindest wirkte dessen Gesicht, welches so viel und so wenig gleichzeitig ausstrahlte, dass es die richtige Entscheidung gewesen war es bei den Worten und der kleinen Geste zu belassen, ehe er sich hingesetzt hatte. Die nächsten Minuten war gewiss mehr als kritisch wenn es darum ging diesen Waldbrand, den sie miteinander entfacht hatten, wieder zu bändigen und wieder zu dem Status zurückzukommen, den sie sich so mühsam erarbeitet hatten. Anders als in der Wohnung des Wüstenmagiers war es diesmal keine Hoffnung, keine Offenbarung für den Braunhaarigen, sondern eine Vergewisserung, dass auch dieser heftige Streit nicht an den Gefühlen des Hybriden gerüttelt hatte. Erneut spiegelten sich ihre Welten ohne dass es der jeweils andere vollständig mitbekommen konnte, was ein Zeichen für beide sein sollte, dass sie zwei auf irgendeine sonderbare Art und Weise zusammengehörten. Verbunden im Trauma und der Erfahrung, konnten sie womöglich dort weiterkommen, wo sie es allein nicht schafften. Wahrheit war das Fundament ihres Miteinanders und genau deshalb war es dem Satyrs so wichtig in diesem Moment reinen Tisch zu machen, wie so oft, so sehr ihn die Gedanken auch quälten, die er begann auszusprechen und so gerne er die Erlebnisse dieser Zeit vergessen hätte. Denn Vergessen war es, die Unfähigkeit, sich an Dinge zu erinnern, die in seinem Leben passiert waren, die ihn überhaupt zu diesem Moment geführt hatten. Das letzte was er ihnen beiden antun wollte, war ein weiteres Geflecht von Lügen, Täuschungen und Ablenkungen aufzubauen. Dafür kannte er Lian gut genug, dass dieser sich vermutlich nichts sehnlicher wünschte als einen Platz, an dem er sich nicht verstellen musste, an dem er nicht verurteilt wurde für das, was er war, wer er war oder was er tat. Bedingungslose Ehrlichkeit war etwas Schmerzliches konnte aber dabei aber so befreiend sein, dass die bloße Option an etwas derartig Positives wie eine Illusion wirken konnte. Eine Materie, mit der beiden Erfahrungen hatten.
Mit der beginnenden Wärme, die in den Raum einstrahlte, sollte auch das Handtuch seinen Dienst tun, obwohl es der Dieb eher wie eine traurige Decke verwendete. So sehr Rownan danach schmachtete sich ebenfalls darunter zu gesellen, allgemein Nähe zu erfahren, wählte er seine Annährung weiterhin mit bedacht. Die Schichten, die nun zwischen ihnen waren, waren dabei beladen mit Symbolik. So wie Rownan seinerseits Abstand wählte, erzeugte Lian durch das Handtuch neue Distanz, obgleich diese ja den Bedingungen geschuldet waren, in welcher sie miteinander interagierten. Jedoch, und das sollte auch der Weißhaarige im Gesprächsverlauf wieder bemerken, gab es von allem, was sie miteinander teilen und taten, zwei Seiten. Nicht alles war inhärent gut oder böse, positiv oder negativ. Es war der Blickwinkel, der die Dinge wortwörtlich in perspektive setzte. So konnte auch seine Haltung und das Einkapseln seines Partners nur auf einen temporären Zustand hindeuten, auf Mauern, die wieder abgerissen werden konnten, wenn der Zeitpunkt richtig war. So saßen die beiden nebeneinander, während der Hybride sprach. Wie er bereits unter Alkoholeinfluss gemerkt hatte, hatte er ein Talent dafür die Dinge sehr umschweifend darzustellen, doch war er sich sicher, dass jedes Detail von Relevanz war, wenn er wollte, dass ihn die Sphynx verstehen konnte. Wenn er wollte, dass ihm dieser wieder in die Augen und nicht durch ihn hindurchsah. So überraschte ihn die Reaktion nicht sonderlich, als er durch seine Gestalten wechselte. In der Wüste waren sie beide überrascht worden. Für Rownan war es zu diesem Zeitpunkt etwas Normales. Dennoch hätte er sich einen schöneren Umstand gewünscht, in welchem er seinem Freund diese Erfolge gezeigt hätte, sofern man es als diese titulieren wollte. Diese Magie in Verbindung mit den Worten wären vermutlich für viele Leute überladend gewesen, wäre da nicht ihre gemeinsame Historie, ihre Verbindung, die allem, was geäußert wurde noch eine unbekannte Intensität verlieh. So wie der Tiermensch den Schützen am liebsten schon in jungen Jahren aus dessen Misere geholt hätte, machte sich ohne die Kenntnis des Lupinen, sein Nebenmann gerade Gedanken darüber, was er, während dieser Zeit der Erzählungen, getrieben hatte. Briefe waren die Art, wie sie miteinander in Kontakt traten, allerdings war ihr Austausch so wenig frequent, dass sie nicht wussten, was in der Welt des anderen passierte. So gern es der Wolf auch gewusst hätte, wusste er auch, dass der andere die Dinge in seiner Zeit umsetzen musste. Man konnte ihn den Weg zeigen, aber gehen musste Lian selbst. Womöglich hätte Rownan abgewunken, wenn er diesen Gedankengang erfahren hätte. So erzählte er schlichtweg weiter und deutete die Stille als eine Mischung aus Aufmerksamkeit und Betroffenheit. Ihre Blicke trafen sich kurz und das Gewicht der Situation war beiden Akteuren nun mehr als deutlich bewusst. Das hier war kein Geplänkel mehr. Irgendwo wünschte sich Rownan, dass ihn Lian stoppen würde, bevor er die darauffolgenden Worte aussprach, aber gleichzeitig wusste er, wie wichtig es war, wenn er das, was gerade passiert war, verstehen wollte. Noch immer stand im Raum, dass der junge Mann mit den grünen Augen, der ihm den Kopf verdreht hatte, nach allem, was er hörte, aufstehen und gehen würde. Und mit jedem Wort rückte diese Möglichkeit immer näher heran. Jedoch hätte er es sich, gerade auch nach der Anschuldigung, den Blick Lians mit seinem Peiniger zu vergleichen, nicht verziehen, wenn er seine Gräueltaten nicht ausgesprochen hätte. Jetzt, wo er sich dieser Taten erneut bewusstwurde, indem er sie ausgesprochen hatte, spürte er, wie sich sein Magen wiederholt zusammenzog. Nichts auf dieser Welt würde ihn und sein Gewissen davon reinwaschen können, unabhängig davon, wie sehr man mit seinen Handlungen sympathisierte. Es war so grundlegend anders als die Kämpfe, in welcher nur einer überlebte. In diesem Moment hatte er eine Wahl gehabt, hatte sich bewusst entschieden und musste nun mit diesen Konsequenzen leben. Nie im Leben hätte er gedacht, den Braunhaarigen damit derart zu beeinflussen, wusste er zu diesem Zeitpunkt ja nicht, wie nah er an etwas dran war, was den Illusionisten umtrieb, welcher wiederum in seiner Analyse den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Dann wiederum hatten sie dafür ein Talent. Ein Gedanke, der aktuell sehr tief vergraben war.
Rownan hatte alles gesagt, was er sagen wollte, was er in diesem Augenblick sagen musste. Nicht unbedingt um sich zu verteidigen oder sich zu rechtfertigen, sondern um, wie es von vornherein seine Agenda war, reinen Tisch zu machen. Wenn er eines war, dann ehrlich und das würde er auch bleiben … selbst wenn es ihn alles kostete, was er sich aufgebaut hatte. Bereits seine Körperhaltung deutete darauf hin, wie er wieder damit begann sich in seinem eigenen Gedankenkarussell zu verlieren als ihn plötzlich etwas berührte. Die Stelle zuckte sofort, wie ein Reh im Wald, wenn ein Ast brach. Es war lang genug her, dass es nicht mehr schmerzte, aber die Erinnerung war noch immer da. Es stand fast schon sinnbildlich für Lian, mit welcher unbewussten Präzision er das tat, was er für richtig hielt. Plötzlich war sein Kopf wie leergefegt. Da war nur noch der Braunhaarige, dessen Hand auf den Spuren eines der dunkelsten Momente des Hybriden und der Wolf selbst, in genau der Form, die dieses Unheil über ihn hereinbrechen ließ. Wie so oft bei ihnen, waren es ihre Blicke, ihre Körpersprache ihren Gesten, die es vermochten das Innere des Gegenübers zu berühren, wie kein anderes Wort es schaffte. So auch in diesem Moment. Rownan spürte keine Entschuldigung, nicht mal Verständnis. Es fühlte sich gesehen, gesehen in dem Kampf den er mit sich kämpfte. Und von keiner Person wollte er sich mehr gesehen fühlen als von Lian. Der Magier hatte seine Atmen angehalten und atmete nun aus und war damit auch im Hier und Jetzt wieder angekommen, sein Blick wanderte zum Braunhaarigen herüber. Durch das Handtuch wirkte es so als ob er in sich verschlossen war aber einer kleine Stelle erlaubte nach außen zu treten. Und das nicht für sich selbst, sondern einem treuen Freund Trost zu spenden. Wenn er wüsste, wie selbstlos er gerade ist huschte es durch seinen Kopf. Was sich noch alles hinter diesen simplen aber effektiven Geste versteckte, durfte der Lupine zeitnah erfahren. Ein leichtes, anerkennendes Lächeln bildete sich in dem Gesicht des Gastgebers. Auch Lian würde so schnell nicht gehen, dessen war er sich wieder sicher. Kein Wunder, dass die Worte, die die Stille durchbrachen, mehr einem nüchternen Ergebnisse glichen als irgendetwas anderem. Es war schrecklich. Es wäre ein Segen gewesen, wäre der Magier an diesem Tag dagewesen um zu helfen. Und gleichzeitig war der Gedanke dass alles getan zu haben, während Lian anwesend gewesen wäre noch viel schlimmer als das, was tatsächlich passiert war. Darüber hinaus, und dessen schien sich auch der Dieb bewusst zu sein, war es kein Freifahrtschein. Er erkannte das Problem. Punkt. Traurigerweise hatte sein Freund womöglich genauso ein Szenario im Kopf gehabt. Sie sollten sich eine Strategie für die Zeit danach überlegen. Dazu war es nie gekommen. Die Hand des anderen glitt durch und über das dichte Fell bis zu seiner Hand und es waren diese Stellen, die an denen seine Haare verhältnismäßig dünn waren, an welchen er die Berührungen umso intensiver spürte. Noch mehr so, wenn er die Augen schloss. Statt dies zu tun, folgte er einfach der Bewegung und beobachtete ihre Hände, wie sie so selbstverständlich aufeinanderlagen nach allem, was sich erst Minuten zuvor ereignet hatte. Nun war es wohl an dem Schützen sich mitzuteilen, eine Überleitung zu finden. Überforderung war eine gute Beschreibung der Situation und so schaute Rownan beinahe schon neugierig von den Händen zu seinem Gast als dieser gestand, eben diesen Eindruck gut nachvollziehen zu können und gleichzeitig war es unwahrscheinlich wohltuend, dass er sich nicht auf Anhieb in irgendeiner Art rechtfertigen musste.
Der Einleitung folgte eine Frage, die der Hybride nach kurzer Überlegung mit einem stummen Nicken bejahte. Für den Wolf es der erste Kontakt mit Gin, wenn auch nicht persönlich und den Ähnlichkeiten, die beide mitbrachten und so auf den Wüstenmagier einwirkten. Doch damals schon dachte er, dass ihre neue, gemeinsame Verbindung dafür sorgte, dass so etwas wie Heilung einsetzte. Dem schien auch so zu sein, allerdings war auch etwas passiert, was Rownan nicht wissen konnte. Das, was Lian beschrieb, war so eindrücklich und, würde er es nicht besser wissen, hätte er auch über Rownan selbst geredet, es hätte eins zu eins gepasst. Erneut spiegelten sie sich, diesmal in der Atmung. Was nun folgen würde, war nur für die wenigsten Ohren bestimmt, weshalb der Magier seine umso mehr spitze. Es war eine so seltsame Erfahrung die Gedanken in der Stimme seines Vertrauen zu hören, die so oft durch seinen eigenen Kopf wanderte. Er spürte, wie sich die Hand seines Freundes verkrampfte. Mit Blick auf die Historie der Sphynx wirkte diese emotionale Äußerung beinahe schon beleidigend logisch. Aber genauso taten es seine eigenen Taten, wenn man wusste, wen man vor sich hatte. Es war das Wissen über die Biographie des jeweils anderen, die dafür sorgte, dass eben jene Emotionalität nicht verloren ging. Ihre Taten waren so belastend, weil sie genau wussten, weshalb sie so reagierten. Für einige, wie wohl für Lian, war der Trigger nicht bekannt, dennoch konnte dieser so haargenau mit dem Finger auf die Situationen zeigen, in denen Teile seines Geistes, sein anderes Ich, die Zügel in die Hand nahm. Und es schien nie so, dass etwas Positives daraus entsprungen war. Trotzdem wusste Rownan, dass gerade im vergangenen Moment diese Seite Lian das Leben gerettet hatte. Wer konnte schon sagen, wie lange sich der junge Magier dem Wolf hätte erwehren können. Der Blick, den er zuvor im anderen gesehen hatte, als dieser ihn an die Wand gepresst hatte, verband sich mit der Parallel zu Rownans Erzählung. Ja, der Wüstenmagier setzte sich zu wehr. Aber wenn sich das Blatt erst gewendet hatte … genoss er es. So wie Rownan es als Aggressor tat, so tat es Lian in seiner Defensive. Wie lange trägst du es schon mit dir? Es rächte sich gerade sehr, dass sie sich derart aus den Augen verloren hatte. Gleichzeitig offenbarte es ihnen, wie sehr sie sich brauchten. Wer, außer dem jeweils anderen, war bereit so etwas mitzumachen? Der Lupine jedenfalls glaubte nicht daran, dass es noch jemand anderen gab.
Wie sich herausstellte, lag der Schwertkämpfer etwas daneben. Der Trigger war niemand anderes als Gin. Die Kette, der Ausruf im Kampf. Langsam kam alles zusammen. Pünktlich wie die Maurer meldete sich nun auch seine andere Seite als der Name der Verflossenen fiel. Womöglich genau aus dem Grund, den man vermuteten konnte: Eifersucht. Traf sich Lian heimlich mit ihr? Kurz musste sich der Weißhaarige schütteln, um derartiges im Keim zu ersticken. Wie konnte er in einem solchen Moment nur an so etwas denken und trotzdem war dieser Gedanke nun da. Nun waren es seine eigenen Hände, die verkrampften, bereit sich zurückzuziehen, wenn die Worte geäußert wurden, die er befürchtet. Nur sprechen wollen … eigentlich? Rownan hielt den Atem an. Selbstverständlich war der Hybride völlig auf dem Holzweg gewesen. Er hatte sich nicht etwa mit ihr eingelassen. Er hatte ihr das gleiche Programm serviert, welches der Tiermensch gerade erfahren hatte. Nur mit dem Ergebnis, dass sie nicht mehr da war. Es klang endgültiger. Denn Hass war es, den Rownan zu keiner Zeit verspürt hatte. Angst, Panik und Angriffslust, definitiv. Aber niemals Hass. Nicht mehr verwunderlich war es, weshalb ihn der Illusionist derart angefahren war. Was auch immer Gin zu ihm gesagt haben musste, als sie auseinandergingen, konnte nur das Schlimmste bedeuten. Auch Lian wirkte nun so als ob er sich ausgesprochen hatte, den Worten die Zeit geben wollte, die sie brauchten. Es war der Scheidepunkt ihrer fragilen Beziehung. Er konnte wie Gin reagieren. Oder aber er rette genau das, was er glaubte, verloren zu haben. So hakte er sich kurzerhand mit seiner eigenen Hand in die Hand des anderen, wenn auch seine Fingerglieder so viel grober waren als die des Langfingers. Ein leichtes Drücken sollte nun seinerseits ausdrücken, dass er für ihn da war. Er wollte ihm Halt geben nach den Worten, die ein unbeschreibliches Gewicht haben mussten, wenn es jemanden wie dem braunhaarigen schwerfiel sie auszusprechen. Der Griff um die Finger seines Gegenübers wurde etwas kräftiger. So schlimm der Gedanke den anderen für immer als Partner zu verlieren, konnte er es sich nicht vorstellen, wie es war derartig zu mit einer Person einander zu geraten, die man einst geliebt hatte. Wie so oft hatte sich herausgestellt, dass es Kommunikation und fehlendes Wissen waren, was dazu geführt hatte, dass sich die beiden Turteltauben an die Gurgel gingen. Es gab nun mannigfaltige Möglichkeiten, aber so vieles resultierte darin vergangene Dinge korrigieren zu wollen, die schlichtweg passiert waren. Sie brauchten eine andere Herangehensweise für die Probleme, die gerade bestanden. Die lösbar waren. Nicht nur durch seine Form, sondern auch durch das, was er gerade erfahren hatte, hatte sich sein Körper, sein ganzes Wesen langsam entspannt. Natürlich war es immer noch etwas, was man verdauen musste, aber der dichte Nebel, der zwischen ihnen aufgezogen war, lichtete sich mit jeder vergangenen Minute. Und Rownan hatte jetzt ein ganz klares Ziel, bevor sie weitermachen konnten. Kaum hatte er seinen Entschluss gefasst, begann sein Herz wieder wie wild zu pochen. Da war sie wieder die Aufregung, aber auch die Vorfreude und … die Liebe. Dennoch wollte er sachte vorgehen, sich nicht übermannen lassen von dem Verhalten, welches sie an diesen Punkt gebracht hatte.
Der Griff um die Hände des anderen wurde lockerer. „Lian“ begann er leise zu sprechen, obwohl seine Worte der Statur wegen einen tiefen, dunklen Unterton bekamen, während sie laut genug waren das Prasseln des Regens zu überwinden. „Ich habe mich seitdem schon öfter gefragt, was gewesen wäre. Ich frage mich viel zu oft, was hätte sein können. Niemand kann das sagen. Aber woran ich mich sehr gut erinnern kann, sind zwei junge Kerle in einer kleinen Wohnung, die sich auf etwas eingelassen haben, was sein könnte. Was immer noch ist, wenn es nach mir geht. Etwas Glück in einer Serie von Enttäuschungen. Diese“ und Rownan glaubte gar nicht daran, dass er es wirklich aussprach „Beziehung ist schon seit dem ersten Tag auf einem unwahrscheinlich wackligen Fundament. Aber das ist auch unsere Stärke als Partner: wir wachsen an diesen Herausforderungen. Zusammen. Das kann uns niemand nehmen. Weder der Gast in meinem Kopf noch das, was aktuell mit dir zu passieren scheint“. Statt sich zu erheben, setzte er sich kurzerhand vor Lian im Schneidersitz, um den Eingepackten direkt ansehen zu können. Seine Hände reichten vorsichtig nach vorne, berührten die umwickelten Knie und strichen sanft über diese. Keine der scharfen Krallen verletzten ihn, trennten nicht einmal eine Faser des Tuches ab. Eine leichte Intimität, die den Wolf in seinem Handeln bestätigte. Den Blick nun konkret auf das Gesicht des Gegenübers gerichtet, ergriff er erneut das Wort mit einem Blick, der vieles ausstrahlte allen voran aber Hoffnung. „Schau mich an Lian. Wir sind uns viel zu ähnlich. Das haben wir gerade wieder festgestellt. Gleichwohl höre ich gerade deshalb deine Worte im Kopf: Meine Augen haben dich an Gin erinnert. Aber wenn du jetzt in sie blickst, siehst du nicht Gin. Du siehst mich … nur mich. Und ich nur dich. Wie könnte ich diese Augen jemals hassen? Angst ja, durchaus. Aber niemals Hass“. Das Herz des Lupinen raste förmlich und er spürte, wie es sich ein Ventil zu suchen versuchte. Er liebte diesen Mann über alles, jedoch war es klug nach allem die Dinge nicht zu überstürzen, so sehr er sich nach Nähe sehnte. Es war ein Wechselspiel der Extreme an diesem Tag und so hatten sie in der kürze der Zeit, wie so oft, einige tiefgründige Probleme an die Oberfläche geholt. So sehr es die Stimmung auch trübte, war es eine Chance. Eine Chance, sofern es alle Parteien so sahen.
Nachdem Lian in seinen Erzählungen geendet hatte, ließ er seine Gedanken inmitten des Schweigens an jenen Tag zurückkehren – an den Tag, an dem Gin in Aloe Town auftauchte. Dieser Tag, der mittlerweile mehrere Wochen in der Vergangenheit lag, hatte das Leben des 20-Jährigen nachhaltig durcheinandergewirbelt und er arbeitete immer noch daran, nicht nur über die Ereignisse nachzudenken, sondern sie auch zu verstehen. Alles hatte gut begonnen, als Rin unerwartet vor seiner Haustür erschienen war und ihn kurzerhand ins Rosemary und Thyme eingeladen hatte. Ganz gleich, dass Lian sich anfangs überrumpelt gefühlt hatte, erinnerte er sich doch noch allzu gut an sein warmes Lachen, als die Canine mit ihrer unnachahmlichen Art mitten in einen Heiratsantrag gestolpert war und für dieses in den Augen Dritter unverschämte Verhalten missbilligende Blicke kassiert hatte. Die Atmosphäre zwischen ihnen war angenehm und friedlich gewesen, alle Zeichen hatten dafürgestanden, dass die beiden Magier der Gilde Crimson Sphynx einen schönen Tag miteinander verbringen würden. Im Nachhinein würde Lian sogar sagen, dass er sich glücklich und irgendwie auch frei gefühlt hatte.
Doch dann tauchte Gin auf.
Wenn man es so formulierte, kam immer wieder die gleiche Vermutung auf: Gin war an allem schuld. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Lian das leichte Gefühl der Freiheit weiter im Herzen tragen können, als gäbe es keine Vergangenheit, die ihn belastete. Aber war wirklich die Vampirin verantwortlich für die Ereignisse, zu denen es danach gekommen war? Hatte Gin ihren Ex-Freund dazu gezwungen, sich gegenüber der Inuyama wie das letzte Arschloch zu verhalten? Hatte sie sich an ihn herangemacht und war ihm ungefragt bis zu seiner Wohnung gefolgt? Hatte sie ihn bedroht? Hatte sie… Lian unterbrach seine Gedankengänge. Es war ganz egal, welche Fragen er stellte, sie alle hatten die gleiche, unbestreitbare Antwort: Nein Obwohl er immer noch nicht verstand, was genau es war, das mit ihm und um ihn herum geschah: Er trug selbst die Verantwortung für seine Taten, auch wenn er darin noch nie besonders gut gewesen war. Lian suchte sich lieber einen Sündenbock, den er für schlechte Dinge verantwortlich machen konnte und war es nur das Schicksal, das diese Rolle für ihn übernehmen musste. Aber in diesem Fall war es zu kurzgedacht, Gin als Täterin darzustellen. Die junge Frau kam der Rolle eines Opfers viel näher: Ein Opfer ihrer Familie, ihrer Vergangenheit, von Orwynn Zerox und letztendlich sogar ein Opfer von Lian selbst. Die Gedanken des 20-Jährigen kreisten, wurden düsterer und negativer gegenüber sich selbst. Auch wenn er die Du Bellay nicht als Partnerin zurückhaben wollte, änderte es doch nichts daran, was sie einander einst bedeutet hatten. Und das, was er der Schwarzhaarigen angetan hatte, hatte sie in dieser Art und Weise nicht verdient. So wie auch Rownan das, was ihm angetan worden war, nicht verdient hatte? Als sich die Hand des Lupinen verkrampfte, war Lian sicher, dass der Andere sich gleich von ihm abwenden würde. Genau das, wovor der Illusionist sich so sehr fürchtete, würde eintreten: Wieder die Ablehnung eines Menschen spüren, der ihm wichtig geworden war, den er doch eigentlich an seiner Seite wissen wollte. Tu nicht so, als wärest du unschuldig, hatte ihm einst seine Mutter schnaubend vorgeworfen und dann, mit einem verächtlichen Unterton ergänzt Der Apfel fällt eben nie weit vom Stamm.. Und damit hatte sie nicht sich selbst gemeint, sondern Lians Erzeuger. Es war eine Aussage, die für den damals noch sehr jungen Falls schwer zu verkraften gewesen war, da er besagten Stamm nicht einmal kannte... Oder zumindest nur über die schlechtesten Eigenschaften von ihm Bescheid wusste. Lians Muskeln spannten sich an und er spürte den Drang, zu fliehen. Weg von diesem Ort, weg von den Blicken, weg von jeder Person, die ihm zu nahekommen könnte, in der Hoffnung, auf diesem Wege auch all die negativen Gedanken, Sorgen, Ängste und Nöte hinter sich lassen zu können. Einfach verschwinden, das konnte der Braunhaarige immer noch am besten. Bevor es dazu kam, bewegte sich allerdings Rownans Hand. Und anders, als Lian es befürchtet hatte, wandte sein Freund sich nicht von ihm ab: Die Handfläche drehte sich herum und die groben Finger des anderen Magiers verflochten sich mit den seinen.
Rownan drückte zu.
Nicht so fest, dass es schmerzte, aber doch ausreichend, damit Lian wusste, dass der Satyrs bei ihm war. Irritiert starrte der Illusionist auf die Pranke, die einerseits so fremd aussah und ihn andererseits genau in jenem Moment festhielt, in dem er es so bitter nötig hatte. Schafften die beiden Magier es gerade wirklich, sich gegenseitig den Halt zu geben, den sie brauchten? Nach allem, was zwischen ihnen geschehen war? Ein Kloß bildete sich in Lians Hals, er versuchte zu sprechen, doch seinem sonst so vorlauten Mundwerk wollten keine Worte gelingen. Und so schlossen sich die Lippen wieder und anstatt etwas zu sagen, ließ der Lockenkopf die Geste für sich sprechen, ließ sie auf sich wirken, bis sich der Händedruck wieder löste. Es war die auffallend dunkle Stimme des Lupinen, die kurze Zeit später durch den Raum vibrierte und Lians Namen aussprach. Die Stimme tönte nicht nur hinweg über das prasselnde Geräusch des Regens, sondern auch hinweg über das laute Pochen von Lians Herz, das schneller schlug, als er es von sich kannte. Rownan sprach verschiedene Dinge an: Dass sie sich damals in Aloe Town aufeinander eingelassen und etwas zugelassen hatten, das ihnen beiden Glück nach einer Reihe von Unglücken beschert hatte. Er betonte, dass sie beide gemeinsam wachsen und sich zu zweit den Herausforderungen stellen könnten, mit denen sie sich jeweils konfrontiert sahen. Ja, Lian erinnerte sich daran, dass er damals ganz ähnliche Worte verwandt hatte, als der Lupine in seine eigenen, düsteren Gedanken versunken war. Es war das gewesen, was der 20-Jährige voller Überzeugung empfunden hatte und auch immer noch empfand, obwohl die Taten, die sie jeweils begangen und mit denen sich ihr Gewissen auseinandersetzen musste, in den letzten Wochen um Einiges schwerer geworden waren. Doch in all diesen Worten war es ein bestimmter Begriff, der in der Gedankenwelt des Braunhaarigen nachhallte wie das endlose Echo in einer tiefen Höhle: Beziehung.
Lians Herz stockte, ihm wurde warm und kalt zugleich. Es war ein kleines Wort, das auf vielfältige Weise interpretiert werden konnte. Zwischenmenschliche Beziehungen zielten auf jede Art von Verbindung ab: Familie, Freunde oder Beruf. Es gab Beziehungen, die durch eine gemeinsame Sache entstanden. Beziehungen in Gruppen und Gemeinschaften. Und es gab romantische Beziehungen. So unterschiedlich diese Formen von Beziehungen waren, hatten sie eines gemeinsam: Lian hatte schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Erfahrungen, die Narben hinterlassen hatten und bis heute schmerzten. Just in dem Augenblick, als Rownan dieses Wort verwandte, flammten diese Schmerzen erneut auf. Was waren das nur für widerstrebende Gefühle, die von Lian Besitz ergriffen und ihn hin- und hergerissen sein ließen? Auf der einen Seite sehnte der Falls sich nach dieser tiefen Form der Verbundenheit, die er vielleicht sogar hoffte, gemeinsam mit Rownan aufbauen zu können. Er suchte nach allem, was ihm widerfahren war, nach einer bedingungslosen Annahme seiner Person, nach jemandem, der ihn trotz aller Fehler, die er mitbrachte, akzeptierte. Auf der anderen Seite war die Angst in dem jungen Mann tief verwurzelt, genauso wie die Überzeugung, für so eine Art von Verbindung einfach nicht geschaffen zu sein. Es war etwas, das für andere Menschen bestimmt war, nicht aber für jemanden wie ihn, wie die vielen zerbrochenen Verbindungen der Vergangenheit für ihn unter Beweis stellten. Vollkommen in Gedanken versunken zuckte der 20-Jährige umso heftiger zusammen, als sich die Hände des Lupinen auf seinen Knien ablegten. Es waren Hände mit langen, dunklen Klauen, die mit Leichtigkeit Wunden hätten verursachen können und doch gerade jetzt auffallend behutsam vorgingen, um keine Kratzer auf diesem Erkundungspfad zu hinterlassen – als würde auch Rownan spüren, auf welch wackeligem Gerüst sie unterwegs waren. Erst als Lian dazu aufgefordert wurde, hob er seinen Blick an und erkannte, dass der ältere Magier sich vor ihn in den Schneidersitz begeben hatte. Was sagte Rownan da? Er könne Angst, aber niemals Hass empfinden? Lian wollte abweisend erwidern, dass es in der Vergangenheit schon andere Menschen gegeben hatte, die solche oder ähnliche Gedanken gehabt hatten und sich am Ende doch anders entschieden hatten. Woher wollte Rownan wissen, dass sich das nicht auch bei ihm ändern würde? Das, was gerade eben erst zwischen ihnen geschehen war, machte deutlich, wie schnell die Stimmung zwischen ihnen kippen konnte. War dieser kurze Moment des Glücks zwischen ihnen das Risiko für all die Schmerzen, die folgen würden, wirklich wert?
Aber Lian bekam diese vielen Bedenken einfach nicht über die Lippen.
Anstatt zu sprechen, sah der Illusionist schweigend und gebannt in die hellblauen Seelenspiegel seines Freundes, die ihn an den strahlenden Wüstenhimmel an Sonnentagen erinnerten. Und genauso wie es der Wüstenhimmel vermochte, wärmte auch der Anblick dieser Augen sein Inneres. Er sieht mich. Und ich sehe ihn. Lian musterte diese Augen, suchte händeringend nach dem Aufflackern von Zweifeln, die ihn in darin bestätigten, dass der Lupine nicht wirklich meinte, was er sagte. Er wollte, dass Rownan ihn anlog. Doch gleich, wie lange er suchte: Lian wurde nicht fündig. Da war immer noch der Hauch von Angst, die nicht gänzlich abgefallen war, allem voran erkannte Lian in den Iriden des anderen Mannes allerdings ungetrübte Überzeugung und… Liebe. „Ich wünschte, ich könnte mich aus deinen Augen sehen“, sprach Lian seine Gedanken aus, die er schon damals in Aloe Town gehabt, aber nicht hatte äußern können. Aber… irgendetwas war anders als damals, sodass sich seine Zunge löste. „Ich habe dir bisher so wenig von mir erzählt und trotzdem siehst du mich so an, als würdest du ganz genau wissen, wer ich bin.“ Rownan empfand Dinge für den Falls, die er sich selbst gegenüber nicht empfinden konnte, schien Dinge zu erkennen, die er selbst nicht sah. Und da war noch mehr in den hellblauen Seelenspiegeln zu erkennen: Nicht nur die Gefühle, die der Lupine ihm gegenüber hegte, sondern es war fast so, als würde der Grauhaarige der Sphynx einen Blick auf seine eigene Seele gewähren. Auf Rownans Geschichte, auf jedes Lachen und jede Träne der Vergangenheit. Auf eine Weise, die Lian nicht richtig erklären konnte, fand er in den Augen des anderen Magiers Trost, Verständnis und die Gewissheit, dass er genau dort war, wo er hingehörte. Es waren so viele einzelne Dinge, die der junge Mann zu sehen glaubte und die ihm neuen Mut gaben. Und… naja, beruhte das vielleicht auf Gegenseitigkeit? Waren all diese Dinge, die Lian in Rownans Augen ablas, Dinge, die der Lupine umgekehrt auch in den grünen Augen der Sphynx entdecken konnte? War das die Erklärung, nach der er gesucht hatte?
Lians Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln an.
Seine Hände kamen unter dem Handtuch hervor und legten sich erneut auf jene von Rownan, die immer noch auf seinen Knien verweilten. Anstatt sofort zu sprechen, beugte Lian sich nach vorne und ließ die Stirn nach vorne auf ihrer beide Hände fallen. Der Lupine war nicht vor ihm zurückgewichen, hatte sogar selbst nach diesem Körperkontakt gesucht. Das war ein gutes Zeichen, befand der Illusionist. „Wie machst du das?“, murmelte er leise, obwohl er gar keine wirkliche Antwort auf diese Frage erwartete. „Nach allem, was passiert ist, sprichst du von Beziehung. Du nennst uns Partner. Das… ehrlich gesagt macht mir das Angst, Rownan. Immer wenn mir jemand zu nahegekommen ist, endete es schlussendlich in einer Katastrophe. So wie gerade eben. Mein Kopf sagt mir eindeutig, dass das keine gute Idee ist. Dass es für uns beide der sicherere Weg wäre, sich zurückzuziehen, anstatt dieses ständige auf und ab mitzumachen.“ Es war anstrengend, nervenaufreibend und nicht zuletzt einfach unlogisch. Dieses auf und ab der Gefühle war vollkommen überfordernd und verbunden mit Fragen, die Lian nicht beantworten konnte. Warum also war es am Ende doch wieder sein Herz, das den Kampf für sich entschied, als die Sphynx die Stirn von den Händen löste, das Gesicht anhob und erneut in die hellen Augen von Rownan blickte. „Und trotzdem möchte ich das hier nicht loslassen. Das, worauf wir uns eingelassen haben. Das, was auch von meiner Seite aus immer noch ist. Ganz egal, wie wir uns begegnen.“ Lians Herz schlug schneller. Nur beiläufig nahm der 20-Jährige wahr, wie das Handtuch zu Boden glitt, während seine linke Hand den Arm des Tiermenschen hinauffuhr, durch das dichte Fell. Das hier war die Gestalt von Rownan, die so viel Unheil und Leid verursacht hatte. Man hätte es als gefährlich bezeichnen können, sich nach dem, was Lian gerade eben erst erfahren hatte, anzunähern... aber es war eben auch Rownan. Der Falls kam auf die Knie und die rechte Hand wurde hinzugenommen, um die Schnauze vorsichtig entlangzufahren und sich am Ende an der Wange des Lupinen zu vergraben. Lian war für gewöhnlich ein Mensch, der Kontrolle suchte, der sich nur selten wirklich von seinen Emotionen leiten ließ. Und trotzdem… „Ich habe das Gefühl, es passieren so viele Dinge in meinem Leben, die sich meiner Kontrolle entziehen.“ Etwas, das ihm doch normalerweis zuwider war, aber nicht in diesem Moment. Lians Gesicht näherte sich dem seines Freundes und er ergänzte flüsternd: „Du bist eine davon, Row.“ Mit diesen Worten küsste er den Lupinen. Es fühlte sich richtig an, obwohl es noch viele Dinge gab, die zwischen ihnen ungesagt geblieben waren. Und das Kribbeln, das sich vom Mund ausgehend über den gesamten Körper des 20-Jährigen ausbreitete, bestätigte ihn in seinem Handeln. Da war es wieder: Das auf und ab ihrer Begegnungen. Ob sich das jemals ändern würde?
#9 Gin war unweigerlich eine Schlüsselfigur im Leben der Sphynx und so wären die Gedanken dieser für Rownan alles andere als merkwürdig gewesen, wäre er in der Lage gewesen diese wahrzunehmen. Genau deshalb hatte er so auf Lian reagiert, um eben jenen Unterschied zu machen. Es brauchte einen Moment, bis er sehen konnte, wie er sein Gegenüber aus seinem gedankenverlorenen Zustand herausholte. Es war eine Mischung aus Überraschung und Verwunderung, die im Gesicht des anderen abzulesen war. Einen Augenblick fragte sich der Weißhaarige, ob er bereits je selbst einen solchen Schlüsselmoment erlebt hatte. Einen Moment, in dem jemand für ihn hätte da sein können, ihn durch eine Handlung so derartig zu irritieren, dass es konkrete Dissonanzen auslösen konnte. Unweigerlich huschten Bilder der Vergangenheit an seinem inneren Auge vorbei. Es hatte einige dieser Situationen gegeben. Und nur in einer war er allein gewesen. Es war genau diese, die ihm so verhängnisvoll nachhing, die, in welcher er die Kontrolle einer Instanz gegeben hatte, die anders als die beiden Magier hier, nicht das Beste für beide im Sinn hatte. Genau wie sich der Braunhaarige im inneren Monolog verloren hatte, wollte es der Satyrs dann nicht tun und so äußerte er die Worte, ließ sich auf den Moment ein und verdrängte alles, was sich versuchte zwischen sie zu drängen. Besonders der Punkt der Beziehung, weshalb es Rownan selbst überrascht hatte, es in einem solchen Augenblick anzusprechen, sorgte dafür, dass er vollständig wieder im Hier und Jetzt war. Denn nicht viel anders als es der Dieb gerade tat, waren all diese Wünsche und Hoffnungen auch der Beweggrund für sein eigenes Handeln. Die Ähnlichkeit, die der Lupine auch am heutigen Tag schon hervorgehoben hatte. Wenn er ganz ehrlich mit sich war, dann wusste er auch nicht, was passieren würde, wenn ihm auch diese letzte Stütze wegbrechen würde. Schon immer war Veränderung und Fortschritt der Motor des Wolfes gewesen. Was seine Fähigkeiten anging, hatte er diese auch kontinuierlich. Jedoch reichte es nicht aus sich nur auf dieser Ebene weiterzuentwickeln. Er war eben nicht mehr der gutbehütete Hybride gewesen, der mit seinen durchaus einfältigen Ideen in die Welt hinausgereist war. Er hatte ebenso seine Erfahrungen gemacht, hatte gelacht, geweint, gekämpft. Und es war unbestreitbar, dass gerade Lian die Flüssigkeit war, die diesen Motor in Wallungen brachte, auf die ein oder andere Art und Weise. Beziehungen auf dieser Ebene waren ein noch sehr unerforschtes Terrain. Allerdings hatte er es für sich schon oft genug festgestellt und auch deshalb am heutige Tag geäußert: Konnte etwas, was sich so grundlegend gut und richtig anfühlte, im Ganzen gesehen wirklich schlecht sein? Das es nie perfekt sein würde, dessen waren sich beide mehr als bewusst. Erneut ging es hierbei letztlich um Chancen. Aber es war einfach diese Chance mehr zu sein als die Summe der eigenen Teile. Womöglich auch die Heilung für die Teile, die man vermeintlich verloren hatte oder noch beschädigt irgendwie zusammengehalten wurden. Dieser Wunsch war es, den Rownan transportierte.
Es ging am Befellten nicht vorbei, wie seine Worte und Taten Reaktionen auslösten. Er spürte förmlich wie sein Partner innerlich am Arbeiten war, so, wie es sie es beiden in diesen Momenten immer taten. So sehr Lian vielleicht probierte den Kampf in seinem Inneren nicht nach außen zu tragen, verriet er sich und vielleicht tat er das nur, weil die beiden sich doch so gut kannten. Die Seelenspiegel des anderen blickten nun wirklich in die eigenen und Rownan erkannte so vieles und noch viel mehr. Es würde nicht die Bestie sein, die der Weißhaarige gerade verkörperte, sondern allein die Überzeugung, der Glauben an die Sache, an sie beide, die er in dem Blick des Tiermenschen würde erkennen können. Denn es entsprach hundertprozentig der wahren Gefühlswelt. Dann endlich, nach etlichen Versuchen, hatte der Braunhaarige die Kraft gesammelt seinen Gedanken eine Form zu geben. Schlagartig wurden die Züge des Satyrs weicher als er die hellere Stimme seines Gegenübers vernahm. Er hatte einfach dieses Talent eine Spannung aufzulösen. Gefolgt von einem Satz, der gewöhnlicherweise Tränen in die Augen treiben konnte. Es war etwas poetisch und überaus romantisch. Genau deshalb blieben die Mimik des Wolfes unverändert. Am liebsten hätte er ihm direkt geantwortet, doch er glaubte, dass es jetzt an der Zeit war Lian ebenso die Möglichkeit zu geben seine Gedanken zu sammeln und zu formulieren. Doch bereits diese zwei Sätze bestätigten den Älteren in seinen Handlungen. Er hatte das richtige getan und mit diesen Gedanken kehrte die innerliche Wärme zurück. Fast verlegen wäre er dem Blick der Sphynx ausgewichen entschied sich jedoch diesem weiter stand zu halten. Es waren immerhin immer ihre Augen gewesen, die so viel transportieren und es war dieser Kanal, dem er sich keineswegs verschließen wollte, gar verpassen wollte. Dann endlich kam das Lächeln, das ansteckende Lächeln, denn auch Rownans weiche Gesichtszügen ließ nun ein Lächeln zu. Den vorsichtigen Kontakt des Lupinen erwidernd, war sich der Magier nun sicher, dass sie wieder vollständig auf der gleiche Stufe waren. Gleichzeitig hatte er sich diese Frage ebenso oft gestellt, wenn er mit dem Wüstenmagier interagierte. Gespannt lauschte er deshalb den Worten Lians, konzentriert und bestimmt keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ein intelligenter Schachtzug, hätte bereits der Begriff ‚Angst‘ eine gewisse Panik auslösen können. Nicht verwunderlich, dass der Hybride nach dem ersten Teil der Aussage angespannt auf die Pointe wartete. Die Chance, die Waage oder wie auch immer man es nennen wollte, war das prägende Bild im Kopf des Wolfes. Das musste auch der Wüstenmagier so sehen, dessen war er sich sicher. So sicher, dass es für ihn in dieser Irrationalität gar keine andere logische Begründung geben konnte. Lian musste einfach das gleiche fühlen wie er. War das nicht auch der Grund, weshalb beide noch immer in seinen vier Wänden waren, statt schon längst das Weite gesucht zu haben?
Die Spannung löste sich mit einem lauterem Ausatmen, denn der Lupine hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. Die Stirn, die der Schütze so vertrauensvoll auf seine Hände gelegt hatte, richtete sich auf und Rownan blickte in die grünen Seelenspiegel, in welcher sich hundertfach verlieren konnte. Die jedes Mal, wenn er in sie blickte, etwas neues offenbarten. Heute offenbarten sie etwas, was man gut und gerne als Lippenbekenntnis titulieren konnte, doch nicht er. Rownan war sich sicher, dass jedes Wort, dass Lian gerade äußerte, seine intimsten Wünsche offenbarte. Für den Hybriden hatte dieser Augenblick noch mehr wert, geschah er doch noch während er diese Form innehat, die so viele Aspekte verkörperte, die er von sich zu trennen versuchte. Jedoch waren es auch Teile dieser Aspekte, die dafür gesorgt hatten, dass die zwei sich ineinander verliebt hatten. Schon oft hatte er von Fremden wie Freunden gehört, dass er Dinge aus zwei Welten verkörperte. Im positiven Sinne. Das hier fühlte sich zum ersten Mal so richtig an, so gewiss an, dass auch er diesem Gedanken etwas abgewinnen konnte. Dass nicht alles schlecht war an der Art, wie er war. Genau dafür machten sie das ständige auf und ab mit. Sie beiden waren eben nicht die Leute, die den einfachen Weg gehen konnten. Sie mussten arbeiten für das, was sie wollten. Und wenn sie einander wollten, mussten sie auch dafür arbeiten, so anstrengend es auch war. Sein Gegenüber kam auf die Knie und ohne zu zögern, berührte die Hand des anderen seine Wange. Diese Nähe in dieser Form war das größte Geschenk, welches ihm die Sphynx gerade machen konnte und so schloss er bereits die Augen, noch bevor sich die vertraute Hand in das dichte Fell grub. Ein weiterer Moment, an welchem er am liebsten die Zeit angehalten hätte. Und umso passender waren die Worte, die sein Seelenverwandte daraufhin äußerte. Es beschrieb in einem Satz alles, was Rownan erlebt hatte, seit er seine Heimat verlassen hatte. Er sieht mich huschte es durch seine Gedanken und spiegelte die Aussage des jungen Mannes wider. Sie hatten eine Verbindung, die es ermöglichte die Dinge sichtbar, fast greifbar zu machen, die sie über sich selbst nur mit größten Aufwand preisgaben und das mit einer Leichtigkeit, die beinahe erschreckend sein konnte, wenn sie in ihrem Kern nicht so inhärent wohltuend wäre. Rownan spürte, wie Lian näherkam und so öffnete er die Augen und blickte in das Gesicht seines Partners und in das, was er nicht anders als bedingungslose Liebe beschreiben konnte. So erwiderte er den Kuss und es fühlte sich an wie der Deckel, der ihren so intensiven Konflikt verschloss und beendete. Kein Wunder, dass die Worte, die zuvor damit einhergegangen warne, fast in Vergessenheit gerieten. Eine Ewigkeit später erst löste er ihre zärtliche Verbindung und neben einem verliebten Blick, schlich sich etwas Amüsement ein. Die kräftigen Händen des Wolfes packten sein Gegenüber am Rücken und zogen ihn näher zu sich heran. „Das ist die Geschichte meines Lebens: Willkommen. Ich glaube wir haben uns in einer seltsamen Phase unseres Lebens getroffen. Aber ich bin unendlich erleichtert, dass du es so siehst. Dass du uns so siehst“ erwiderte er, um so auch etwas Spannung aus der Situation zu nehmen, ehe er selbst zu einem neuen Kuss ansetzte. Letztendlich verdeutlichte es aber erneut, weshalb sie so sehr harmonierten und gleichzeitig, weshalb sie einander so tief verstehen konnten - das Urvertrauen. Sich wieder zurückziehend, betrachtete er ihn noch einen Moment, ehe er den Kopf etwas anschrägte. „Ich liebe dich Lian, weißt du das?“ einen Augenblick ließ er diese Romantik im Raum, denn er meinte diese Worte auch, ehe er wieder ansetzte. „Aber bei aller Liebe: Row? Wirklich?“. Es war eine Mischung aus einem amüsierten Lachen als auch der Tatsache, dass er sich über Lian lustig machte. Etwas, woran er in dieser Form, die er noch immer innehatte, nie gedacht hätte einmal zu erleben: Normalität und Leichtigkeit.
Nachdem er auch der Sphynx die Chance gegeben hatte sich zu revanchieren, führte er eine seiner Pranken nach vorne, die Krallenspitzen wanderten dabei vorsichtig die Brust seines Gegenübers auf und ab und die Gänsehaut, die er beobachten konnte, war sicher nicht nur der fehlenden Decke geschuldet. „Du wünscht dir also, dass ich dich besser kennenlerne? Was hast du im Sinn, Li-Li?“ mimte er den Spitznamen nach und konnte dabei selbst nicht ganz ernst bleiben. Sein vorheriger Unterton jedoch ließ einige Interpretationen zu. Lian wollte Kontrolle und die wollte ihm Rownan nun auch geben. Auch wenn er natürlich seine eigenen Vorstellungen hatte.
Für einen winzig kleinen Moment erhaschte Lian noch einen Blick in die hellblauen Augen des Lupinen, die ihn nicht nur seit geraumer Zeit in ihren Bann gezogen hatten, sondern die es auch immer wieder schafften, das reißende Chaos im Inneren des Falls zu durchbrechen und ihm einen Halt zu bieten, wann immer er befürchtete, sich selbst in dem eigenen Gedankenkarussell zu verlieren. Obwohl es dem jungen Mann immer noch sehr schwer fiel, vollkommen ehrlich sich selbst gegenüber zu sein, konnte er es in diesem kleinen Moment einfach nicht mehr leugnen: Er war wirklich verdammt verliebt in Rownan. Wie sonst hätte er sich das wilde Flattern in der Magengegend erklären sollen oder seinen deutlich erhöhten Puls, als hätte er einen Hundert-Meter-Sprint zurückgelegt, wobei er doch eigentlich nur auf dem Boden dieser kleinen Wohnung herumsaß und mit dem Hellhaarigen gesprochen hatte? Lian entschied sich schlussendlich dazu, sich nicht ständig zu hinterfragen, sondern den Moment lieber zu genießen. Die Lippen der beiden Magier trafen sich und der Illusionist senkte seine Lider, um sich ganz auf die innige Berührung zu konzentrieren. Es war ein Drahtseilakt gewesen, auf dem sie sich bewegt hatten, in der ständigen Gefahr, zur einen oder anderen Seite hinabzustürzen. Aber sie hatten die Schlucht überwunden, oder? Als sich das Gesicht von Rownan wieder entfernte, fühlte sich der Lockenkopf immer noch vollkommen benommen von diesem Auf und Ab ihrer Begegnung. Auch nach dem Kuss war da immer noch das Rauschen in Lians Ohren und das angenehme Kribbeln, das sich über seinen ganzen Körper und Brustkorb ausbreitete. Etwas, das sich so gut anfühlte, konnte nicht falsch sein, oder? Die Sphynx war so sehr mit den eigenen Empfindungen beschäftigt, dass er trotz seiner im Alltag doch so hoch gelobten Reflexe überrascht wurde von der stürmischen Umarmung, in die Rownan ihn wenige Sekunden später zog. „Eeeh…“ Viel mehr war es nicht, was der Falls zustande brachte. Er blinzelte irritiert und spürte das weiche und warme Fell des Tiermenschen. Was sagte Rownan da? Sie hatten sich in einer ziemlich seltsamen Phase ihres Lebens getroffen? Der Falls schmunzelte: Treffender hätte auch er es nicht zusammenfassen können. Kaum waren diese Worte gesprochen worden, setzte der ältere Magier zu einem erneuten, stürmischen Kuss an. Ein Kuss, in den Lian einfach selig hineinlächeln musste. Selig?! War das hier wirklich Lian Falls? Der Typ, der alles und jeden von sich stieß, sobald man ihm zu nahekam? Der alles dafür tat, dass man ihm seine Gefühle nicht anmerkte? Just in diesem Augenblick zeigte sich eine gänzlich andere Seite an dem Lockenkopf und ehrlich gesagt war es eine Seite, von der der Braunhaarige gedacht hatte, überhaupt nicht mehr zu ihr fähig zu sein, nach den verschiedensten Dingen, die er bereits durchlebt hatte. Lian spürte einen riesigen Ballast von seinen Schultern fallen, je länger der Kuss mit Rownan andauerte. Erst jetzt, wo dieses Gewicht endlich von ihm abfiel, erkannte er, wie schwer er in den letzten Wochen zu tragen gehabt hatte – ganz gleich, dass er sich etwas anderes hatte einreden wollen, in dem ständigen Versuch, sich nicht von Gefühlen leiten zu lassen. Erneut blinzelte der junge Mann, als sich der Hellhaarige aus der innigen Berührung löste und die nachfolgenden Worte schienen dem Lupinen so leicht über die Lippen zu kommen, dass es Lian sichtlich sprachlos machte. Er liebt mich, wiederholte er gedanklich die Worte. Zuerst war es eine erneute Angst, die aufflammte – Angst vor dem Verlust. Angst davor, mit diesen Gefühlen nicht umgehen zu können. Aber viel stärker als die Angst war eine andere Empfindung, die ihn aufrichtig lächeln ließ: Freude. Lian war bereits drauf und dran, etwas zu erwidern, da kam Rownan ihm zuvor: Er wiederholte den Spitznamen Row und zog den Jüngeren zu allem Überfluss auch noch damit auf, diesen Spitznamen geäußert zu haben. Eine leichte Röte schummelte sich auf die dunklen Wangen des Wüstenbewohners, der sich so sehr von dem Moment hatte mitreißen lassen, dass der Kosename mehr unterbewusst herausgerutscht war. Für ein verlegenes Abwinken war es allerdings eindeutig zu spät, weshalb Lian improvisierte. „Du brauchst gar nicht so unschuldig zu tun. Row passt hervorragend zu dir“, begann er zu erklären und das Grinsen auf den Lippen wurde breiter, je mehr er darüber nachdachte. „Hinter der nüchternen Fassade steckt deutlich mehr, als du auf Anhieb zu zeigen bereit bist. Die perfekte Anspielung auf fast jede Begegnung, die ich mit dir gehabt habe.“ Lian musterte den Lupinen genauer und lachte leise. Es war vermutlich eine Seite des Satyrs Magiers, die der breiten Öffentlichkeit unbekannt war und gerade deshalb genoss der Lockenkopf es umso mehr, genau diese Seite von Rownan zu kennen. Seine ungestüme Art, die emotionale Seite, die sich – wenn auch unbeabsichtigt – immer wieder von Lians Angewohnheiten aus der Fassung bringen ließ. Der 20-Jährige rückte mit dem Gesicht wieder näher an seinen Freund heran und die Finger seiner rechten Hand kraulten langsam durch das dichte Fell im Nacken des Lupinen. Mit einem verschmitzten Lächeln suchte der Falls den direkten Blickkontakt und flüsterte: „Du wirst dich an den Namen gewöhnen müssen.“ Immer noch sah Lian direkt in die Seelenspiegel, doch plötzlich hielten seine Finger inmitten des zärtlichen Kraulens inne. Das verschmitzte Lächeln verschwand, die Lippen des Falls öffneten sich einen Spalt breit. Während Rownan mal wieder unter Beweis gestellt hatte, dass er sein Herz auf der Zunge trug, war es für Lian nicht so leicht. Er wusste, was er fühlte und doch musste er mit sich selbst kämpfen, musste die Mauer, die er um sich errichtet hatte, bewusst einreißen. Sich verwundbar machen. Er musste die Gefühle, die er besaß, in Worte fassen. Nach einem Moment des Schweigens gab sich der Magier den entscheidenden Schubser, den er benötigte und äußerte zögerlich: „Ich… ich liebe dich auch, Row.“ Die Stimme des Falls zitterte und die Röte auf seinen Wangen erreichte eine ganz neue Intensität, was dem Ganzen nicht ganz das Selbstbewusstsein verlieh, das Lian eigentlich gerne zur Schau stellte und von dem man in seiner Fantasie dachte, dass man es in dieser Situation doch sicherlich haben würde. Wann hatte er das letzte Mal einer Person diese Worte gesagt? Das, was er mit Rownan teilte, war von Grund auf anders als das, was er mit Gin erlebt hatte. Doch trotz dieser Unterschiede war er sich absolut sicher, dass es Liebe war, die er für Rownan empfand. Wie konnte das sein? Bedeutete das etwa, dass seine Gefühle für Gin niemals wirklich Liebe waren? Oder war da vielleicht doch etwas Eigenartiges an seinen Empfindungen für Rownan? Oder... konnte es sein, dass Liebe ein so individuelles und einzigartiges Gefühl war, dass sie sich niemals in genau der gleichen Art und Weise zeigte?
Ein bisschen unangenehm war Lian diese gezeigte Unsicherheit ja schon. Er wollte bereits den Blick abwenden, da spürte er die Krallenspitzen des Tiermenschen, die vorsichtig über seine Brust strichen. Die Berührung allein reichte aus, um ihm eine Gänsehaut zu bescheren und die Gedanken des 20-Jährigen unerwartet wieder abdriften zu lassen. Moment, Rownan tat das mit Absicht, oder? Der Falls sah in das Gesicht des Wolfes und schnaubte, die Röte auf den Wangen vielleicht noch nicht ganz verschwunden, aber doch wieder mehr so, wie Lian eben war. „Li-Li am Arsch“, entgegnete er in seiner üblichen, unverwechselbaren Art und bemerkte tatsächlich erst in der zweiten Sekunde die Doppeldeutigkeit dieser Aussage, was Lian breit über sich selbst grinsen ließ und die Angespanntheit verschwinden ließ. Die hellgrünen Seelenspiegel verzogen sich zu schmalen Schlitzen und zuerst wirkte es so, als wolle der Illusionist seinen Freund küssen, doch kurz bevor es zu einer wirklichen Berührung kam, hielt Lian inne und äußerte mit gespielt bedrohlichem Unterton: „Gewöhn dir das an und du wirst dir den Spitznamen Row sehnlichst zurückwünschen.“ Ein Moment des Schweigens setzte ein und nachdenklich sah Lian hinab auf die Schnauze des Lupinen. Was er im Sinn hatte, um Rownan besser kennenzulernen? „Hm. Es gäbe da einige Möglichkeiten, um sich besser kennenzulernen“, raunte er gedankenverloren und fuhr mit seiner Fingerspitze vorsichtig die Lippen des anderen entlang. Als Rownan seine Schnauze leicht öffnete, blitzten die scharfen Zähne dahinter hervor und keine Frage: Es wäre ein Leichtes, in dieser Situation zuzubeißen und Lian, der immer noch versonnen die Lippen entlangfuhr, ernsthafte Verletzungen zuzufügen. Aber der Falls machte sich überhaupt keine Sorgen, ganz gleich, in welcher Gestalt der Satyrs sich gerade befand: Rownan würde ihn nicht angreifen. „Aber ehrlich gesagt fällt mir das Denken gerade zunehmend schwerer...“ Lian stoppte abrupt, löste sich von dem Älteren und genoss es, die Irritation in den hellblauen Augen aufblitzen zu sehen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand er auf, griff an den Saum seines Oberteils und zog es sich über den Kopf. Des Oberteils entledigt, sah er hinab zu Rownan und grinste herausfordernd. „Wie war das? Nicht, dass ich mit erkälte?“ Er hielt dem Lupinen die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Ob Lian losließ, nachdem er Rownan auf die Füße geholfen hatte? Natürlich nicht. Er zog ihn vielmehr dicht an sich, sodass der Hellhaarige spätestens jetzt sehr genau merken würde, wonach Lian der Sinn stand. Die Sorge vor einer Erkältung war bei diesen Handlungen eindeutig zweitrangig. „Fürs Erste werden wir dort weitermachen, wo wir vorhin unterbrochen worden sind. Ich habe viel zu lange auf dich gewartet, als dass ich das so im Raum stehen lassen kann.“ Ungeniert wanderten Lians Hände tiefer und er schmunzelte, als er merkte, dass er offensichtlich nicht die einzige anwesende Person war, die derzeit keinen klaren Kopf hatte, um tiefgründige Gespräche miteinander zu führen. Gebannt beobachtete er die Reaktionen in Rownans Gesicht und stellte zufrieden fest, dass der Ältere sich widerstandslos zurück in Richtung seines Bettes leiten ließ. „Ich bin mir sicher, danach lässt es sich deutlich besser sprechen…“
[…]
Das Erste, was Lian bewusst wahrnahm, war das Geräusch des Regens, der unterstützt von den Sturmböen erbarmungslos gegen die Fensterscheibe der Wohnung prasselte. Es war ein Geräusch, das Lian aus seiner Heimat nicht kannte, in der doch beinahe immer die heiße Sonne vom blauen Himmel herabschien. Dennoch konnte der Illusionist nicht leugnen, dass es etwas Entspannendes hatte, diesem gleichmäßigen Geräusch zu lauschen, während man selbst in einem warmen und weichen Bett lag. „Wie kann es sein, dass es immer noch regnet, die Stadt aber noch nicht davongeschwemmt wurde?“ Die Stimme des 20-Jährigen klang müde, beinahe verschlafen, wobei er sich ziemlich sicher war, trotz der düsteren Lichtverhältnisse absolut keine Sekunde geschlafen zu haben. Oder? Vielleicht war er kurzzeitig weggedöst, nachdem er sich an den Körper Rownans geschmiegt und sich für einen winzig kleinen Moment erlaubt hatte, die Augen zu schließen. So lag der Falls auch jetzt hier: Den Arm um den Lupinen gelegt und das Gesicht an das weiche Fell seines Freundes geschmiegt. Damals, in Aloe Town, war er in einer ganz ähnlichen Art und Weise erwacht und hatte sofort die Flucht ergriffen. Heute fragte sich Lian, wie er so dämlich hatte sein können, diese Gefühl nicht länger auszukosten. Der Braunhaarige seufzte, bewegte sich und strich noch ein letztes Mal über Rownans Arm, bevor er sich angestrengt in eine sitzende Position aufrappelte. Allmählich kehrten seine Gedanken zurück und mit einem Seitenblick sah er hinab zu seinem Freund. Er hatte wieder seine alte Gestalt angenommen? Wann genau das geschehen war konnte Lian ernsthaft nicht mehr sagen. Er schloss die Augen und rieb sich über den wuscheligen Hinterkopf. Schemenhaft blitzten die Erinnerungen auf und er grinste amüsiert. „Sollte ich mir meinen Rücken überhaupt ansehen?“ Schon früher hatte sich gezeigt, dass der Wüstenbewohner durchaus nichts dagegen hatte, wenn es etwas grober zuging, aber das mit Rownan war dann doch ein ganz eigenes Kaliber... Lian wandte sich ans Fenster, betrachtete den Regen und da fiel es ihm ein: Seine Kleidung! Er ließ den Blick der hellgrünen Seelenspiegel durch die Wohnung wandern und er fand verteilt über dem Boden sein Shirt, seine Hose, Schuhe und Unterwäsche. „Die sind nie im Leben trocken…“, murrte er und verfluchte sich, dass er nicht nur den Regenschirm, sondern auch jede Form von Wechselkleidung in Aloe Town gelassen hatte…
#10 Das Stimmung war wundervoll und dauerte weiterhin so an. Deshalb war es auch für Rownan nicht verwunderlich, dass Lian die Leichtigkeit der Situation aufgriff, die der Weißhaarige durch seine Frage erzeugt hat. Die Antwort jedoch ließ ihn eine Augenbraue heben und so konnte man trotz der ungewohnten Form das Gefühl bekommen, dass der Originalhybride vor einem saß. Unschuldig? Das war nun wirklich ein Begriff, mit welchem sich der Wolf nie in Verbindung gebracht hätte. Aber vielleicht war es genau diese Eigendynamik, dieser Blick von außen, der die sonst so feste Fassade des Tiermenschen aufrüttelte, in der positivsten Arten und Weise. Fassade war hierbei das richtige Wort, denn auch der Braunhaarige verwendete es sogleich, weshalb der Satyrs aus seiner Verwunderung nicht herauskam. Doch viel mehr als amüsiert den Kopf zu schütteln konnte er gar nicht, es hatte ihm tatsächlich die Sprache verschlagen. Dieser freche Typ schoss es ihm durch den Kopf, allerdings nicht aus dem Mund. Der Magier kannte nicht eine Person, die sich trauen würde, derart mit ihm zu sprechen, schon allein der Tatsache geschuldet, dass ihn niemand so kannte, wie der Langfinger vor ihm. Und allein die Tatsache, dass es ein Dieb war, der sein fester Partner war, führte so vieles ad absurdum. Eigentlich war es an der Zeit etwas zu sagen, um Lian nicht zu zeigen, wie sehr er den stolzen Lupinen zur mentalen Arbeit zwang und um ihm die Genugtuung zu verwehren weiter in das überraschte Gesicht zu blicken, als jener wieder mit dem Gesicht heranrückte und ihm so auch erneut wieder den letzte Boden unter den Füßen wegriss. Bevor er also etwas sagen konnte, vergruben sich die Finger seines Gegenübers in seinem Nackenfell. Eine Schwachstelle, egal in welcher Form. Der nun genießende Blick des Wolfes traf das verschmitzte Lächeln Lians. „Ich hasse es, dass das klappt. Aber das Kraulen ist der Spitzname definitiv wert. Und wenn du das irgendwem erzählst, zeig ich dir meine ‚nüchterne Fassade‘“. Eine zufriedenstellende Parade. Der innige Moment der Stille stoppte. Statt sich also weiter im Moment fallen zu lassen, blickte auch Rownan tiefer in die Augen des anderen. Er wusste, dass ihn etwas beschäftigte und so hielt er dem Kontakt stand, gespannt zu erfahren, womit der Braunhaarige gerade rang. Erst als es Lian aussprach, realisierte der Hybride, dass es die Antwort auf die eigene Liebesbekundung war. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte es die Sphynx noch nicht erwidert. Zusammen mit der Röte, die unbekannterweise in sein Gesicht stieg, wurden seine Züge weicher, zeigten Verständnis und Zugneigung. Womöglich brauchte er den Spitznamen, um über seine Schatten zu springen. Ein akzeptabler Kompromiss. Die Quintessenz des Ganzen, war dabei etwas, was ein dauerhaft warmes Gefühl in ihm auslöste: diese permanente Unsicherheit zwischen ihnen war erst einmal geklärt. Sie hatten Gefühle füreinander, hatten diese ausgesprochen und waren auch irgendwie der Meinung, dass sie es lieber zusammen bestritten als alleine. Und zum ersten Mal in seinem Leben, seit er das Waisenhaus verlassen hatte, hatte er eine Person, die sich um ihn sorgte und sich kümmerte. Ungewohnt, jedoch keineswegs unwillkommen. Ein solides Fundament. Und eines auf welches man aufbauen konnte. Zu einem späteren Zeitpunkt.
Wenn es um diese Thematik ging, die er eingeleitet hatte, verstanden sich beide jungen Männer überraschend schnell. So auch wieder in diesem Moment. Der dämliche Spitzname sorgte dafür, dass von der vorerst sehr intimen und romantischen Stimmung wenig übrigblieb, allerdings wollte sich Rownan diese Hyperbel auch nicht nehmen lassen. Die Drohung, die auf das hin- und her folgte, beantworte er seinerseits damit sich herausfordernd über die gebleckten Zähne zu lecken. Man spürte, wie sich die Stimmung veränderte und ein erneutes Abtasten stattfinden. Interessiert, neugierig und auch zunehmend wieder erregt, folgte sein Blick dem Finger des Falls. Der Geruch dessen war so intensiv in seiner Nase, dass es ein leichtes gewesen wäre gewissen Trieben nachzukommen. Dennoch tat er es nicht und er hatte nicht einmal das Verlangen danach. Viel eher genoss er die Intimität, die er in dieser Gestalt so noch nie erlebt hatte. Es half ihm indirekt damit umzugehen, dass auch das stark animalische ein Teil seines Seins war, wenn auch diese Erkenntnis, wie so oft, eher im Unterbewusstsein zustande kam. Der Satyrs verstand bewusster viel eher die Geste, die sein Gegenüber damit bezweckte: es gab keinen Grund für Angst und noch viel wichtiger – das Vertrauen war da. Kein Wunder, dass der Weißhaarige merkte, wie seine Atmung sich erhöhte und er unweigerlich die Schnauze etwas öffnete. Die Berührung endete und man konnte dem Hybriden nun sehr klar ansehen, dass er das nicht unbedingt guthieß. „Ja ja. Erkältung kann so schnell passieren“ sprach er eher geistesabwesend, die Augen dabei auf den entblößten Oberkörper fixiert. Nur ein Saberfaden aus dem Maul des Tiermenschen hätte das Bild vervollständigt. Sich nicht so weit fallen lassend, folgte er den Handlungen seines Partners, ließ sich auf die Füße ziehen und bemerkte … wie sehr sie doch wieder auf einer Wellenlänge waren, in allen Belangen. Auf die Aussage hin konnte Rownan nicht anders als schwer auszuatmen und sich auf seinen Lefzen zu beißen. „Ich finde du hast die Lage genau richtig eingeschätzt“. Immerhin waren sie immer noch in der Blüte ihrer Jugend. Und hatten sich einige Zeit nicht gesehen. Zeit für Worte war später. Auf dem Bett angekommen, flüsterte er ihm herausfordernd ins Ohr „Ob du danach noch reden kannst, sehen wir gleich“.
Es war das Prasseln der vielen Regentropfen gegen die geschützte Fensterseite, die nur so bedingt gegen den starken Wind etwas ausrichten konnte, die seine Ohren gen Geräuschquelle bewegten noch bevor Rownan seine Augen geöffnet hatte. Dabei war es nicht so, dass er es nicht hätte tun können, er wollte nicht. Denn er brauchte weder sein Seh- oder Hörsinn um zu bemerken, wer noch immer an seinem Rücken lag und anscheinend das Gefühl der Wärme und des durchaus kuscheligen Fells genoss. In dieser Hinsicht war es mehr als vorteilhaft, dass der Lupine von sich aus so warm war, denn sonst wäre Lian womöglich wirklich noch erfroren, so fern von seiner vertrauten Sonne. Wie auch dieser musste er selbst irgendwann eingeschlummert sein, weshalb er selbst nicht sagen konnte, wie viel Zeit wirklich vergangen war. Das Wetter jedenfalls verriet ihnen nicht, wie spät es war. Die Worte seines Partners erklangen im sonst so stillen Raum und übertönten für einen Moment die Monotonie des Wassers. War das gerade wirklich alles was ihn interessierte? stellte sich der Hybride gedankliche die Frage, während seine Augenlider gegen die Bequemlichkeit der Situation ankämpften. „Kanalisation. Tolle Technik“ murmelte er als Anstandsantwort, jedoch konnte man bereits am Murmeln erkennen, welche Priorität er der Beantwortung der Frage gab. Erst als der Wüstenmagier begann seinen Arm wegzuziehen und das Bett in Wallungen brachte, musste er akzeptieren, dass es an der Zeit war sich wieder ins Hier und Jetzt zu begeben. Schon beim Blinzeln bemerkte er seine bekannte Fellfarbe, daher hatte sich der Zauber wohl irgendwann aufgelöst. Eine erfreuliche Wendung. Auch ohne das Gesicht seines Besuchers zu sehen, konnte der Satyrs an der Stimme vernehmen, wie amüsiert jener von seiner eigenen Aussage war. So sehr sich der Magier auch anstrengte, in der Hitze des Gefechtes waren es immer noch Krallen, die seine Hände zierten. Und gerade die eher animalische Form war damit bestens ausgestattet. „Ich würde ja was sagen … aber das würde man nur falsch verstehen“ antwortete Rownan ihm, während er sich erst einmal lang machte, die Muskeln das dichte Fell rundum zum Zittern brachten, ehe er, wie ein müder Hund, ein leichtes Jaulen von sich gab, während er gähnte. Dann zog er alle Gliedmaßen zu sich heran, um sich dann, wie der Braunhaarige zuvor, in eine sitzende Position zu begeben. Statt den Blick auf seine Umgebung zu richten, brachte sich der Wolf, noch immer sitzend, hinter den Dieb und verlagerte sein Gewicht auf diesen, indem er ihn umarmte, die krallenbesetzte Hände vorsichtig mit dem anderen Paar Hände verschränkte und den massigen Kopf sachte auf dessen linke Schulter ablegte. So spürte er, wie sein Fell einige empfindliche Stellen des jungen Mannes kitzelte, was er wiederum selbst zu genießen wusste. „Irgendwie haben wir den Schritt mit dem Aufhängen vergessen“ wisperte er leise, ehe er den Kopf sachte an der Wange Lians rieb. „Ich könnte dir ja ein Hemd von mir geben und wir schauen, wie viele von dir reinpassen, während wir uns etwas Schönes zu Essen kochen. Und beide von Tellern essen“ ein kurzes, tiefes und inneres Kichern brummte in seiner Schnauze. „Oder…“ sein Blick wanderte zum Badezimmer und er ließ er sich nicht nehmen, den Körper des anderen etwas mitzudrehen „wir nutzen die Badewanne dieser Wohnung Mal für die Personenanzahl, für die sie ausgelegt ist. Immerhin wolltest du ja etwas reden und so haben wir etwas voneinander und können uns zeitgleich weiter kennenlernen … bis deine Klamotten trocken sind natürlich“. Eine sehr simple Wahl, was zur Abwechslung sicher beiden Parteien gefiel.
Es fühlte sich warm an. Geborgen. Irgendwie sicher. Lian konnte nicht sagen, wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte. Die Umgebung war kühl, das Wetter stürmisch und rau, der Regen prasselte unaufhörlich gegen das Fenster der Wohnung, als verlange er Eintritt in die vier Wände. Doch die Wärme von Rownans Körper hüllte den Falls in eine kuschelige Blase, die alle anderen Aspekte in den Hintergrund rücken ließ. Rein vom Kopf her hätte auch der 20-Jährige diesen Moment noch lange auskosten können, doch es war der unruhige Körper des Illusionisten, der nach Bewegung verlangte – die Muskeln kribbelten, die Glieder wollten sich strecken. So kam es, dass Lian sich im weichen Bett des Lupinen schwerfällig aufrichtete, sich streckte und seinen Blick gen Fenster richtete. Die Antwort seines Freundes kommentierte Lian nur mit einem schiefen Grinsen. Kanalisation? Tolle Technik? Wow. Das war eine rhetorische Frage gewesen! Dem Falls lag eine Erwiderung auf der Zunge, aber dann fielen ihm seine Kleidungsstücke ein und der Fokus wechselte, weg vom Regen, zurück in das Innere der Wohnung: Shirt, Hose, Unterwäsche, alles lag verstreut und zerknüllt über dem Boden verteilt. Lian musste seine Kleidung nicht berühren, um zu wissen, dass sie noch nass waren. Und Wechselkleidung hatte er keine dabei… wie auf Kommando kroch die Kälte zurück in die Glieder des Lockenkopfes und er fröstelte, bis es ausgerechnet der Körper von Rownan war, der sich von hinten an ihn schmiegte. Krallenbesetzte Finger verschränkten sich mit jenen des Falls, gleichzeitig spürte Lian, wie der ältere Magier seinen Kopf auf seiner linken Schulter ablegte und wohlig brummte. Erneut wich die Kälte und machte stattdessen der Wärme von Rownans Körper Platz, gleichzeitig kitzelte sein langes Fell Lians Wange und Hals. Es war ein schönes Gefühl. Lians Augen schlossen sich und seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. Sie könnten etwas gemeinsam kochen und beide von Tellern essen? Der Illusionist lachte, ohne die Augen zu öffnen. „Und dabei dachte ich, das wäre jetzt unser Ding. Du vom Boden, ich vom Tisch…“ Er öffnete ein Auge, um Rownan amüsiert anzufunkeln, doch im gleichen Atemzug bewegte der Lupine sich. Er navigierte den Blick des Wüstenbewohners geschickt auf die linke Seite, sodass er direkt auf die Badezimmertür blickte. Sie könnten… Moment. „Du hast eine Badewanne?“ Lian konnte es nicht verhindern: Er war wirklich erstaunt. Im zweiten Moment allerdings ging ihm auf, wie naiv diese Frage war. Das Gebäude, in dem sie sich befanden, hatte bereits von außen einen extrem luxuriösen Eindruck erweckt. Ganz offensichtlich lebte der Lupine deutlich gehobener und edler, als es Lian selbst aus seiner Heimat – den Randbezirken Aloe Towns – gewohnt war. Eine Badewanne… ob Rownan überhaupt bewusst war, was für ein verdammter Luxus das war? Der Falls schüttelte sich. „Was ein Gastgeber. Warum habe ich bisher eigentlich keine Rundführung bekommen?“ Wieder dieses amüsierte Funkeln in den hellgrünen Seelenspiegeln, als er Rownan anblickte. „Warst du etwa abgelenkt?“, ergänzte Lian und erinnerte sich daran, wie ihre Ankunft in der Wohnung abgelaufen war. Hmm. Ja, die Ablenkung war ziemlich groß gewesen und das Grinsen des Crimson Magiers wurde noch breiter. Anstatt Rownan auf seine Frage zu antworten, stand der Wüstenbewohner auf, doch sogleich bereute er diese Entscheidung. Die Kälte kehrte zurück und eine Gänsehaut machte sich auf seinem Körper breit. Lian sah zuerst an sich herab, dann sah er sich um und blieb ein weiteres Mal an Rownans Bett hängen. Er schnappte sich kurzerhand eine der Decken und wickelte sie sich um den Körper.
Und so war es nur noch Lians wuscheliger Kopf, der oben aus der Deckenrolle herausguckte.
Der Falls wechselte einen Blick mit Rownan und ehe er einen Kommentar geben konnte, kam Lian ihm zuvor: „Sexy, ich weiß.“ Aber jetzt gab es erstmal wichtigere Dinge zu erledigen! Lian trat auf die Badezimmertür zu und hielt davor kurzzeitig inne. Wie oft hatte er vorhin vor dieser Tür gestanden, sich aber nicht überwinden können, einzutreten? Um sich zu vergewissern, dass sie diesen Moment wirklich hinter sich gelassen hatten und Lian die Erlaubnis hatte, das Badezimmer zu betreten, warf er einen Blick über die Schulter zurück zu Rownan. Der Grauhaarige saß stumm auf der Bettkante und hielt Lian nicht auf, sein Gesichtsausdruck sah sogar belustigt aus. Das kam einer Erlaubnis gleich, oder? Der Braunhaarige schloss die Augen, atmete durch und öffnete die Tür.
Das hier sollte ein Badezimmer sein?!
Nee, jetzt mal ernsthaft. Dieser Raum war mindestens so groß wie die gesamte Wohnung von Lian. Der Falls stellte sich vor, wie sein eigenes Bett in einer Ecke des Badezimmers Platz fand, in der anderen Ecke Esstisch und Kleiderschrank. Okay, korrigiere: Dieser Raum war eindeutig größer als sein eigener Kabuff! „Satyrs Cornucopia bezahlt seine Mitglieder offensichtlich besser als Crimson Sphynx…“, murmelte Lian und schüttelte ungläubig den Kopf. „Dusche und Badewanne. Obwohl, ist das wirklich eine Badewanne? Das könnte auch als Pool durchgehen.“ Übertrieb der Falls mit seinen Ausführungen? Eindeutig. Wollte er sich zurückhalten? Keinesfalls. Ungeachtet dessen, ob Rownan ihm gefolgt war oder nicht, tappte er über den kühlen Fliesenboden (oder gab es auch noch Fußbodenheizung? Bestimmt gab es Fußbodenheizung.), bis er vor der Badewanne zum Stehen kam. Lian passte mindestens viermal in dieses Ding rein! Er ging in die Hocke, was sich eingehüllt in eine dicke Decke als gar nicht so leicht herausstellte und betrachtete die Wanne, als wäre es ein fremder Gegenstand, den es erstmal genauer zu inspizieren galt. In Wahrheit hielt Lian Ausschau, ob das Ding auch noch eine Whirlpool-Funktion besaß. Wundern würde es den 20-Jährigen nicht… „Eine Badewanne“, wiederholte er das Wort und drehte das Gesicht in Richtung Eingang des Badezimmers. Spätestens jetzt wäre Rownan ihm doch sicherlich hinterhergekommen, oder? Der junge Mann neigte den Kopf zur Seite und lächelte vage. „Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal gebadet habe.“ Er selbst hatte nie eine Badewanne besessen. Seine Familie auch nicht. Und bei den Wüstenfüchsen hatte es das erst recht nicht gegeben. Das, was einem Bad am nächsten kam, war wohl die gelegentliche Abkühlung in einer der nahegelegenen Oasen in der Wüste gewesen. Der Falls und Rownan kamen eben doch aus sehr unterschiedlichen Hintergründen, wie auch jetzt wieder deutlich wurde. Das, was für den Lupinen vollkommene Normalität war, war für Lian Luxus pur. Aber die Vorstellung, sich in warmes Badewasser gleiten zu lassen, während draußen der Sturm tobte, hatte durchaus etwas Reizendes an sich. „Ich glaube, das ist eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen sollte“, fasste er zusammen und lachte leise.
#11 Das Gefühl der innigen Zweisamkeit, losgelöst von weltlichen Belangen, war etwas, was Rownan über alle Maßen hin genoss. In diesem Moment womöglich noch mehr als er es sonst tat. Zu selten hatten beide die Zeit sich wirklich miteinander zu beschäftigten, denn oft war es die wenige Zeit, die dafür sorgte, dass es immer um Trauma, Probleme oder gar Streit zwischen ihnen ging. So oder so ähnlich hatte ihre gemeinsame Zeit auch an diesem Tag angefangen. Jetzt wirkte die Konfrontation in weiter Ferne und nur das Hier und Jetzt hatte eine Relevanz. Lian für seinen Teil, zumindest wirkte es auf den Hybriden so, schien dem ganzen alles andere als abgeneigt, obwohl natürlich auch die Kälte dem Lupinen in die Hände spielte. Zumindest so lange, bis die Heizungen die Temperaturen auf ein Maß gebracht hatten, die auch für einen Wüstenbewohner erträglich waren. Auf den unsäglichen Witz des Diebes intensivierte er nur seine Umarmung und den Griff etwas, auch wenn man sofort merken konnte, dass auch er leicht amüsiert wurde durch die Umschreibungen, mit welchen sie beide gleichermaßen spielten. Erneut ehemals ernste Situationen, die nicht nur durch die Zeit, sondern auch ihren intensiven Umgang miteinander zu etwas wurden, worüber man tatsächlich lachen konnte. Und wer Rownan etwas kannte für den war es schwer vorstellbar, dass der Grauhaarige einmal über Verwandlungen und seine Formen derart entspannte witzeln konnte. Es zeigte sich, dass keiner von beiden auf der Stelle stehen geblieben war. Eine Charaktereigenschaft, die der Satyrs mehr als zu schätzen wusste. Die Badewanne, die er so entspannt ins Spiel gebracht hatte, schien die Aufmerksamkeit der Sphynx auf sich gezogen zu haben und so tappte die unwissende Fliege langsam in das Netz der Spinne. Aus dem Augenwinkel konnte er die so typische Mimik des Illusionisten erkennen, der genau wusste, welche Impulse bei seinem felligen Gefährten für Reaktionen sorgten. „Pah“ stieß er nur als Reaktion darauf aus und überspitzte seine Betroffenheit mit einem „Tze“. Soll er den eitlen Wolf ruhig necken, seine Abrechnung wird noch früh genug kommen. Oder kam sie bereits? monologisierte er und dachte dabei an den Rücken des anderen. Ein Lächeln bildete sich wieder in seinem Gesicht. Wann war er jemals so unbeschwert gewesen, wie in diesen Augenblicken? Die heile Welt wurde nur vom Aufspringen des Schützen unterbrochen, weshalb sich der Tiermensch selbst etwas zurückzog, den Rücken richtete und seine ganze Haltung etwas gerader wurde. Der feine Geruch Lians veränderte sich und ein kurzer Blick, vielleicht auch ein Starren, offenbarte seinem Partner, dass die Temperaturen in diesem Raum noch nicht angenehm waren. ]b]Wie war das gleich mit der Ablenkung?[/b]. Ein unfreiwilliges, ernüchtertes Seufzen verließ die Kehle des Magiers, als er nur noch den bekannten Wuschelkopf erblicken konnte. „Ich will die Decke wieder haben“ sprach er seiner besseren Hälfte nach, die sich anscheinend schon entschieden hatte.
Jetzt, ohne Lian vor sich, rückte er die letzten Meter zur Bettkante vor und setzte auch die krallenbesetzen Füße auf dem Boden ab. Er spürte den Unterschied zum mollig warmen Bett, auch wenn es nur geringfügig unangenehm war. Sein Blick jedoch folgte seinem Freund, der nun vor der ominösen Badezimmertür stehen geblieben war. Worauf wartet er? Belustigt schrägte er den Kopf an in der Hoffnung, der andere würde sich noch einmal umdrehen. Es gab nichts in dieser Wohnung was Rownan peinlich war. Naja, außer Lian selbst vielleicht. So trat jener in das Zimmer und scheinbar verblüffte den jungen Mann etwas in dem gefliesten Raum, doch waren die Äußerungen so leise, dass selbst der Grauhaarige sie nicht vernehmen konnte, nicht zuletzt aufgrund des weiterhin prasselnden Regens. Stattdessen richtete er sich nun auch vollständig auf und ergriff die klammen Klamotten der beiden Magier mit der Intention, sie auf der Heizung im Bad zu trocken. Wer verreist ohne Wechselklamotten? Amüsierte schüttelte er den Kopf und folgte in Richtung des Badezimmers. An der offenen Tür angekommen, lehnte er sich gegen den Rahmen und beobachtete den Braunhaarigen. Er wirkte in diesen Momenten wie ein Kind, welches zum ersten Mal den Ozean erblickt hatte. War die Tatsache, dass solch „Luxus“ existierte das, was ihn verblüffte oder eher die Tatsache, dass ein Magier wie Rownan diesen Luxus genießen konnte. „Gibt es in Aloe überhaupt so viel Wasser?“ stichelte der Hybride nun zurück. Dass der Dieb nicht aus den besten Verhältnissen kam, wusste er bereits. Wie schlimm es in der Realität war, darüber hatten sie noch nie genau gesprochen. Vielleicht wäre er dann etwas feinfühliger gewesen. Dann wiederum glaubte Rownan auch nicht, dass man der Sphynx wirklich auf die Füße treten konnte, wenn man sich gerade zu beleidigend oder ausfallend wurde. „Gute Entscheidung“ pflichtete er seinem Gegenüber bei, ehe er sich vom Türrahmen abstütze, an Lian vorbeiging und die nasse Kleidung der beiden aufhing. Auf eine so taktische Decke, wie der Falls sich mitgebracht hatte, hatte er wiederum verzichtet. Wozu auch. Aus einem der Badschränke kramte er einige kleine Flaschen hervor, die er nacheinander dem Schützen zuwarf, während er selbst zu den Amateuren der Wanne ging. „Badezusätze. Riechen gut. Machen das Fell“ er stockte kurz und schmunzelte „und vermutlich auch die Haut schön und, was dich vermutlich köstlich amüsieren wird, entstehen dabei große Schaumblasen. Alter Spielmatz“ witzelte der Hüne und drehte den Hahn für das heiße Wasser auf, welches, nachdem auch der Stöpsel eingedrückt worden war, die Wanne langsam zu füllen begann. Dem Wasser einige Sekunden zusehend, wendete er sich um, damit er auf dem Rand der Wanne Platz nehmen konnte, die Rute nach vorne geholt, um diese fürs erste trocken zu halten. Baden war etwas tolles, aber an die initiale Nässe hatte er sich nur bedingt gewöhnt. „Glaub ja nicht, dass ich hier besser verdiene. Aber ich würde Lügen, wenn ich behaupte, dass ich diese Wohnung nicht mit Absicht ausgewählt habe. Wobei ich noch nie Besuch empfangen habe. Nun ja, außer dir natürlich“. Erneut schrägte er den Kopf etwas an und wartete natürlich auch darauf, welche Auswahl Lian nun treffen würde. Noch immer fühlte sich diese Normalität zwischen den beiden surreal an. Gut, aber surreal.
Aufmerksam verfolgten die hellgrünen Augen die Bewegungen des Lupinen, der auf die andere Seite des Raumes zutrat. Er hielt auf die Badezimmerschränke zu? Ehe sich Lian versah, wurden ihm mehrere kleine Fläschchen zugeworfen und instinktiv löste der Wüstenbewohner die Finger von der Decke, die immer noch um seine Schultern lag. Lian fiel nach hinten, fing die Behälter im gleichen Atemzug auf und das Stück Stoff rutschte herab. Nun war es nur noch der Schritt des 20-Jährigen, der bedeckt war, während er oberkörperfrei auf dem Badezimmerboden seines Freundes saß und ins Leere blinzelte. Immerhin war er mit dem Hintern auf der Decke gelandet und es war warm genug, um nicht zu frieren. Waren die Behälter aus Glas? Hätten sie kaputtgehen können? „Eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen“, schalt Lian den älteren Magier und funkelte ihn mit einem gespielt bösen Blick an. Aber was waren das denn nun für Badezusätze, die Lian in den Händen hielt und zum Teil in den Schoß hatte fallen lassen? Sie machten das Fell und vermutlich auch die Haut schön? „Wir werden bald herausfinden, ob sich das hier für meine tägliche Skincare Routine eignet.“ Lian schmunzelte amüsiert und hob dann das erste Fläschchen an die Nase, um zu schnuppern – der erfrischende und leicht medizinische Geruch konnte nur zu Eukalyptus gehören. Nicht gerade ein Favorit für den Falls, weshalb er die Nase über das zweite Fläschchen beugte. Dieser Duft wiederum erinnerte ihn witzigerweise an Charon Dargin, blumig und irgendwie feminin. Das Etikett verriet, dass es sich um Rosenblüten handelte, was scheinbar eine Geruchsrichtung war, die der Finsternismagier von Crimson Sphynx gelegentlich als Parfüm verwendete. Auf ein Bad mit Rownan, bei dem ständig der Geruch von Charon in der Luft hing, konnte Lian wirklich verzichten. Der Braunhaarige schnaubte leise und schloss amüsiert die Augen, um an dem dritten Fläschchen zu schnuppern… Lians Herz setzte einen schrecklichen Schlag lang aus. Alles in seinem Inneren zog sich zusammen und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Ob ihm auch die Farbe aus dem Gesicht wich? Dieser Geruch… Lian kannte diesen Geruch viel zu gut. Überrascht riss er die Augen auf und fand sich in seiner Vermutung bestätigt, als es das Wort Lavendel war, das Lian auf dem Etikett las. Er erinnerte sich an das letzte Mal, dass er diesen Geruch in der Nase gehabt hatte: Damals, als er Gin nach dem Besuch im Rosemary und Thyme mit in seine Wohnung genommen hatte. Als er… Lian schüttelte den Kopf. Das hier war eindeutig ein Duft, der viel zu belastet war für den 20-Jährigen. Er warf das Fläschchen geschwind zurück zu den anderen in seinem Schoß und schnappte sich den letzten Badezusatz, der noch übrig war. Diesen hielt er Rownan entgegen, bevor dieser auch nur eine Frage hatte formulieren können. „Sandelholz.“ Holzig und warm, das war durchaus eine Geruchsrichtung, der Lian etwas abgewinnen konnte. Außerdem war es ein Duft, der unbelastet war und keine unschönen Erinnerungen hervorrief. Ob der Grauhaarige den kurzen Aussetzer seines Freundes wahrgenommen hatte? Der ältere Magier nahm den Badezusatz entgegen und machte sich daran, diesen mit dem einlaufenden Wasser zu vermengen. Lian stellte die übriggebliebenen Fläschchen auf den Boden neben sich und schob sie ein Stück weit von sich, wobei sein Blick einen Moment länger auf dem Lavendel-Gefäß ruhte. Irgendwann würden diese starken Reaktionen endlich nachlassen, oder? Er wandte sich demonstrativ davon ab und betrachtete stattdessen Rownans Rückseite. Er hat gesagt, dass er mich liebt Der Falls wollte ihm glauben. Und die Gefühle, die er gegenüber dem Satyrs Magier empfand, waren mindestens genauso intensiv. Lian wollte das hier, er...
„Pervers.“
Diese Stimme. Eine Erinnerung an… Levi. Damals war Lian bereits mit Gin zusammen gewesen, hatte an jenem Nachmittag allerdings mit seinem besten Freund alleine auf einer Bank am Bahnhof von Aloe Town gesessen. Die beiden Jungs, vielleicht sechszehn Jahre alt, hatten die Passanten im Blick behalten wollen, mit dem Ziel, im alltäglichen Gewusel jemanden um seine Brieftasche zu erleichtern. Doch es war eine andere Sache gewesen, die Levis Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte – und infolgedessen auch jene von Lian. An einem der Gleise stand ein Mensch. Oder nein, es war kein Mensch, sondern ein… „Du meinst den Reptilia?“ Der Braunhaarige hatte damals nicht sonderlich viele Berührungspunkte mit anderen Spezies gehabt, weshalb es mehr als Frage formuliert gewesen war. Das war nur indirekt das, worauf Levi mit dem Fingerzeig hatte hinaus wollen, denn der Reptilia war nicht alleine. Bei ihm am Gleis stand eine Frau - kein Reptilia, sondern rein äußerlich betrachtet ein gewöhnlicher Mensch. Das alleine war bereits ein Bild, das Aufmerksamkeit auf sich zog, doch endgültig ungewöhnlich wurde der Anblick, als sie sich… küssten? „Boah, das können die doch nicht bringen“, war der Ausruf von Levi gewesen und ein schmutziges Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen. Er schüttelte den Kopf. „Es gibt doch echt Grenzen. Ist denen das nicht peinlich? Schau mal, wie die Leute gucken.“ Lian ließ den Blick ebenso über die Umgebung schweifen und es stimmte: Einige Menschen sahen pikiert in Richtung des offensichtlich sehr ungleichen Paares, manche versuchten auch vehement, einem direkten Blick auszuweichen. Weil es ihnen unangenehm war? Solche Verbindungen zwischen verschiedenen Völkern waren nicht gerade das, was man in der Öffentlichkeit allzu oft zu sehen bekam. Selbst wenn man nebeneinander existierte, war es doch immer noch stark vertretener Grundsatz, dass man lieber unter seinesgleichen bleiben sollte. Verbindungen zwischen verschiedenen Völkern waren von der Gesellschaft nicht besonders angesehen. Lian spürte den erwartungsvollen Blick von Levi auf sich ruhen, er wartete auf eine Reaktion. „Ja, ernsthaft“, war Lians Antwort gewesen, bevor ein Zug einfuhr und die Sicht auf das ungleiche Pärchen verdeckte. Der Sechzehnjährige schnaubte. „Immerhin müssen wir uns das nicht länger anschauen. Schau mal lieber dahinten. Der Typ sieht doch nach leichter Beute aus…“
Lians Erinnerungen endeten und er kehrte zurück in das kleine Badezimmer, die hellgrünen Seelenspiegel waren direkt auf Rownan gerichtet. Scham machte sich in dem Falls breit, als ihm auffiel, dass sie sich eine Zeit lang angeschwiegen hatten. Wartete der Lupine darauf, dass Lian etwas sagte? Erst dieser Lavendel-Geruch, dann diese Erinnerung an Levi und diese unbedachten Aussagen, die der Wüstenbewohner damals getätigt hatte. Wäre der Falls sicherer, hätte er das direkte Gespräch mit Rownan gesucht, auch um das eigene Gewissen zu erleichtern… aber Lian war nicht sicher. Obwohl sie sich nähergekommen waren, fühlte sich diese Situation immer noch surreal und auch fragil an. Der Falls wollte es nicht zerstören, aber die Erinnerungen hatten es nicht gerade leichter gemacht, ein lockeres Gespräch miteinander zu führen. Der Illusionist entschied sich daher, eine andere Sache anzuschneiden, um die Stille zu durchbrechen. Vielleicht würde sich die Spannung in der Luft damit endlich auflösen? „I-ich wollte dir noch etwas erzählen“, fing Lian an und räusperte sich. Er legte die Hände in den Schoß und sah beschämt zur Seite, während er sich die folgenden Worte zurechtlegte. Er hatte Rownan diese Neuigkeit schon so viel früher erzählen wollen, aber es hatte keine Gelegenheit gegeben. Die beiden Magier hatten sich Ewigkeiten nicht gesehen und Lian hatte sich nicht getraut, den ersten Schritt zu wagen. Die Neuigkeit hatte daher über Wochen hinweg in ihm gebrodelt – ein Brodeln, das gerade wieder stärker wurde. „Bei deinem letzten Besuch hast du mir doch geholfen, diesen Beförderungsantrag auszufüllen. Und du hast vorgeschlagen, dass ich den Rang offenlassen soll, um nach meinen Regeln zu spielen. Ich… ich habe in der Zwischenzeit eine Antwort auf diesen Antrag erhalten.“ Langsam wanderte der Blick der hellgrünen Augen zurück zu Rownan und nur noch das Geräusch des einlaufenden Wassers war inmitten der dramatischen Pause zu hören. Obwohl die Beförderung schon mehrere Wochen in der Vergangenheit lag, hatte der Falls sie nur halb akzeptiert, hatte sie vielmehr von sich geschoben. Erst jetzt, wo er mit Rownan über das Ergebnis des Beförderungsantrages sprechen konnte, schien es ihm… real. „Ich bin tatsächlich befördert worden. Zum A-Rang-Magier.“ Der Satyrs wusste mit Sicherheit noch, dass Lian ursprünglich ein C-Rang-Magier gewesen war, er also mit dieser Beförderung einfach einen ganzen Rang übersprungen hatte. Das war nichts, was gewöhnlicherweise passierte und vermutlich auch bei Rownan auf Überraschung stoßen würde. Der Braunhaarige neigte den Kopf mit einem kleinen, zaghaften Lächeln zur Seite. „Ich bin mir nicht sicher, ob der Gildenleiter mir damit nicht einfach nur einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Um mir klarzumachen, dass nicht ich die Spielregeln bestimme.“ Etwas, das Lian seinem Onkel in jedem Fall zutraute. Vielleicht waren sie sich in dieser Hinsicht einfach zu ähnlich. „Weder ich noch irgendein anderes Gildenmitglied hat das kommen sehen. Scheinbar hat es so eine Form der Beförderung bei Crimson Sphynx bisher nicht gegeben und die meisten anderen Gildenmitglieder sind… naja, nicht unbedingt überzeugt von dieser Entscheidung. Ich musste mich in letzter Zeit mit ziemlich vielen unschönen Gerüchten herumschlagen. Ich mein, nicht, dass ich viel darauf gebe, aber… naja, irgendwie ist es schon anstrengend.“ Nicht viel darauf geben, natürlich. Lian vergaß mal wieder, mit wem er hier sprach: Rownan wusste ganz genau, dass der Falls dazu neigte, sich von der Meinung anderer Menschen viel zu schnell verunsichern zu lassen. Insbesondere wenn es darum ging, dass andere Menschen negativ über ihn urteilten und ihm sagten, dass er das alles überhaupt nicht aus eigener Kraft hätte schaffen können. Lians Lächeln, das er seinem Freund zuwarf, war entsprechend angeknackst. „Ich weiß nicht, ob diese Beförderung die richtige Entscheidung war. Aber… naja, ich wollte mich trotzdem bei dir bedanken. Ich mein, irgendwann werden sich die Leute damit abfinden und es ist ein Schritt, den ich vermutlich nicht gewagt hätte, wenn du nicht gewesen wärst.“ War das Schaum, der allmählich über den Rand der Badewanne hinweg sichtbar wurde? Das Bad war offensichtlich bereit.
#12 Der Wurf des Lupinen hatte einen unerwarteten, wenn auch nicht unerfreulichen Nebeneffekt als sich Lian mitsamt der Zusätze auf den Badezimmerboden beförderte. Für jemanden, der bewiesenermaßen so fingerfertig war, eine durchaus überraschende Wendung. Der Schalkhaftigkeit der Atmosphäre schien dieses Manöver jedoch kein Abbruch zu sein. Für Rownan war es wieder mal spannend zu beobachten, wie jemand, dessen Nase „gewöhnlich“ war, Geruchsstoffe untersuchte. Auch vom Rand er Badewanne konnte der Hybride die Düfte erkennen, einordnen und sie vermutlich mit verbundenen Augen wieder an ihren richtigen Platz stellen. Gleichzeitig genoss er die Spannung, die sich allmählich aufbaute, denn noch wusste er nicht, wie sich der Braunhaarige entscheiden würde. Es war so etwas triviales aber genau darin lag die Schönheit dieses Augenblickes. Wäre er in der Lage alle Düfte zu erkennen? Wahrscheinlich würden die Augen des Schützen ganz heimlich über die Etiketten wandern. Der Magier schmunzelte, während sein Blick weiterhin auf seinem Partner ruhte. Nicht nur deshalb aber auch, weil die beiden Magier sich möglicherweise so gut kannten wie kein anderer, überraschte ihn die starke Reaktion, die er im Gesicht seines Gegenübers erkennen konnte. Es dauerte nur wenige Sekunden als sich die Mimik wieder normalisierte, die Gestiken sich wieder beruhigten und das gewohnte Pokerface sich manifestierte. Wenn Rownan ehrlich mit sich war, fielen ihm sofort einige Gründe ein, warum der Wüstenmagier gerade so reagierte. Die Frage war allerdings, welchen dieser Gründe er auswählen und würde und, noch schwieriger, wie er dies ansprechen konnte. Sollte er es überhaupt ansprechen? Sie hatten gerade eine Situation, in welcher eben nicht tiefsitzende Probleme an die Oberfläche geholt wurden. Diese fragile Normalität wollte doch gerade er jetzt in diesem Moment erhalten. Noch bevor er seinen Mund öffnen konnte, sprangen ihn das Wort „Sandelholz“ an zusammen mit der Flasche, die ihm der andere nun entgegenstreckte. Etwas perplex griff der Grauhaarige nach der Flasche. Kurz überlegte er, ob er nicht nur die Flasche ergreifen sollte, da löste sich die Hand des anderen schon. Der sonst selbst so geschwinde Wolf scheiterte gerade daran, impulsive Entscheidungen zu treffen. Womöglich traf er aber genau damit die richtigen Entscheidungen. Oder aber er traf einfach andere Entscheidung. Bewusst oder unbewusst veränderte sich in diesem Moment etwas an der Dynamik. Wie dem auch war, jetzt, wo dieser Augenblick vorbei war, konnte er sich auch erst einmal sammeln. Vom Rand der Wanne aufstehend, gab er die ausgewählte Menge des Zusatzes in das heiße Wasser, ehe er es mit seiner Hand im Wasser verteilte. Bereits durch das Fell spürte er die Hitze. Vielleicht war es sogar für ihn etwas zu heiß, jedoch würde zum Ende hin sowie so etwas kaltes Wasser hinzugeben werden. Notfalls würden sie kurz warten müssen. Die Flüssigkeit löste sich auf und tauchte das Bad in eine seichte, braune Farbe zusammen mit dem Duft, der sich in den vier Wänden ausbreitete. Dann bildete sich strudelförmig eine Schicht an Schaum, die nach und nach die Wanne einnahm.
Einige Mal wiederholte er die verteilende Bewegung im Badewasser, ehe er sich wieder an den Rand der Wanne setzte. Lian selbst schien etwas in Gedanken verloren zu sein und so war es nur das gleichmäßige Rauschen des Wasser, welches die sonst so, womöglich sogar beklemmende Stille durchbrach. Dabei war die Abwesenheit von Worten keinesfalls ein Zustand, den die beiden zu vermeiden versuchten. Es nur, zumindest für Rownan, eigenartig, dass sie nach so langer Zeit, die sie sich nicht gesehen hatte, ihr Redefluss so derart schnell zum Versiegen kommen konnte. Dachte er nur an sich selbst, gab es noch so vieles, was er erzählen könnte. Auch einfacher Smalltalk, über Quests und Aufträge wäre eine Möglichkeit gewesen. Nicht unbedingt der Status Quo für die beiden, aber dennoch eine Möglichkeit. Wie sonst würden sie ihr Verhältnis wahren können, wenn sie jedes Mal mit riesigen Päckchen ankamen. Irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, in der die großen Wunden der Vergangenheit, die jeder von ihnen mit ihn dieses fragile Konstrukt, das sich Beziehung nannte, mitbrachten, sich langsam verschlossen. Narben waren bereits bei einigen Dingen mehr als sichtbar. Jedoch war das auch in Ordnung, irgendwo auch obligat, wenn man sich der Trageweite dieser Ereignisse bewusst war. Mit angeschrägten Kopf saß der Hüne deshalb weiter da und ließ seinen Gedanken freien Lauf, als es der Schütze war, der das Wort ergriff. Dieser Anfang kann nichts Gutes bedeuten schoss es ihm in den Kopf und seine Körperhaltung verkrampfte sich. Allein die Tatsache, dass ihm Lian nicht in die Augen schauen konnte, musste doch etwas Unheilvolles bedeuten. Die Spannung löste sich etwas als er das Wort „Beförderungsantrag“ vernahm. Beinahe hätte er sogar gelacht und erzählt, was ihm gerade alles durch den Kopf gegangen war. Stattdessen lauschte er nun weniger verkrampft dem Illusionsmagier, der sich sehr abzumühen schien mit dem, was er sagen wollte. So wie es sich der Hybride dachte, war er natürlich befördert worden nicht aber ohne noch ein paar Sätze seiner Gildenmitglieder und des Gildenmeister abzubekommen, die das ganze so unangenehm machten. So legt er seinen Kopf auf den Innenseiten seiner Hände ab, während er gleichzeitig die Ellenbogen auf seinen Knien abstütze. Eine Mischung aus Verliebtheit und Amüsement machte sich in der Mimik breit. Dann endlich trafen sich ihre Blicke wieder und Rownan ging stark davon aus, dass sein Gegenüber seinen Blick deuten konnte. Noch viel eher ging er davon aus, dass er sehen konnte, wie, aus der Überraschung heraus, der Wolf von seinem rechten Knie abrutschte und sich mit etwas Mühe am Wannenrand festhalte konnte, da auch er sich sonst auf dem Boden, mit dem Kopf zuerst, wiedergefunden hätte. „G-Gratulation“ stammelte er für seine Verhältnisse ungewöhnlich schnell heraus, um Lian nicht ganz vor den Kopf zu stoßen. Jedoch war dieser noch nicht ganz fertig und so sammelte er sich und versuchte eine Aura der Neutralität aufzubauen. Wie töricht wäre es auch gewesen, wenn der Grauhaarige jetzt nicht die Worte gehört hätte, die der andere ihm entgegenwarf. Es gab immer einen Haken, eine Wendung, eine Unstimmigkeit, wenn es um den Falls ging. Und damit meinte er nicht den Gildenmeister. So wie sich bei Rownan so vieles um seine Gestalt drehte, so ging es beim Braunhaarigen oft darum, wie das Bild, dass er von sich hatte nicht mit dem Übereinstimmte, wie er wirklich war. Und es war wohl nicht nur der Satyrs, der dem Magier ab und an etwas Reflektion eintrichtern musste. Womöglich würde er dem Gildenmeister aus Aloe einen Dank aussprechen müssen. Bevor es jedoch so weit kommen würde, musste er sich erst ein Mal um das Häufchen Elend kümmern, welches auf seinem Boden kauerte.
Statt zu antworten, stellte er das einlaufende Wasser ab, da es sonst das Bad fluten würde, erhob sich von seinem Sitz und überbrückte die kurze Distanz zwischen ihnen beiden. Nun vor Lian und diesen um einiges überragend, verpasste er seiner besseren Hälfte einen gutgemeinten, wenn auch schmackhaften Hieb auf den Kopf. Kein Wunder, dass dieser zusammenzuckte und sich die Schädeldecke rieb. „Du bist echt ein Dummkopf Lian Falls, ich hoffe du weißt das“ ertönte die dunkle Stimme des Lupinen, ehe sich dieser in einen Schneidersitz fallenließ. „Aber ich bin auch sehr Stolz auf dich. A-Rang ist keine Kleinigkeit und vor allem nicht mit einem Skillset wie deinem. Ich meine …“ und dabei wurde nun auch Rownan einen Moment etwas ernster „ich habe dich schon in Aktion erlebt. Das Level, auf welchem du dich bewegst, trennt dich ab jetzt von vielen anderen Magiern. Die Aufträge werden gefährlicher, die Verantwortung größer. Und jeder, der dir diesen Rang abspricht, ist entweder ein Neider oder weiß nicht … wozu du in der Lage sein kannst“ beendete er mit einer kurzen Pause seine erste Ansprache. Naheliegend war es natürlich, dass der Hybride auf ihren Disput vor kurzer Zeit anspielte. Gleichzeitig waren da noch ihre gemeinsamen Quests, die Situation in der Wüste, die allesamt doch sehr positiv waren. Selbst Rownan wusste in diesem Augenblick nicht, was für ihn in diesem Lob eher im Fokus stand. Nichtsdestotrotz meinte er seine Aussagen genau als das, was er meinte: als Lob. Und irgendetwas in seinem Innere wusste er, dass Lob und Stolz Dinge waren, die sein Partner nur selten erfahren hatte. Umso wichtiger war es ihm, dass sein Vertrauter wusste, wie wichtig diese Informationen für ihn waren. „Also lass dich bitte nicht von den negativen Kommentaren runterziehen. Sie können es ja mit dem Meister ausmachen, wenn es sie stört. Ich für meinen Teil finde, dass es die richtige Entscheidung war . Und irgendwie ist der Gedanke für mich schön, dass ich daran beteiligt war. Es zeigt doch, wie weit du, wie weit wir gekommen sind. Als Team. Danke, dass du es mir erzählt hast“. Seine Miene war weich, die Tonalität seiner Stimme ebenso. Der wenige Abstand, der zwischen ihnen lag, wurde nicht mehr aufrechterhalten, als sich Rownan zu Lian vorbeugte, sein Kinn sanft ergriff und ihm einen Kuss gab. Nur kurz, nicht intensiv. Eine kleine Aufmerksamkeit, keine Liebeserklärung. „Als Zeichen meiner Dankbarkeit. Ich bin wirklich Stolz auf dich. Du hast dir das verdient“. Ein weiterer, schöner Moment, der mental abgespeichert werden konnte und irgendwann vielleicht hervorgeholt werden konnte, wenn die Welt einmal nicht so rosig aussah. Auch der Wolf hatte einiges, was ihm auf der Seele brannte, und so konnte womöglich dieser Moment der geistigen Abwesenheit erkannt worden sein, wie er durch Lian hindurchsah, ehe er sich wieder auf den Braunhaarigen konzentrierte. „So Herr A-Rang. Wollen wir das Wasser erkunden?“.
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