Ortsname: DeepCorp Alpha Art: Gebäude/Mine Spezielles: Aktuell teilweile eingestürzt und nicht in Betrieb
Beschreibung: Die größte Mine der DeepCorp, die unter dem Namen 'DeepCorp Alpha' bekannt ist. Sie gräbt sich tiefer als jede andere Mine in den Berg und bindet die größte Arbeitskraft des Unternehmens. Hier werden wertvolle Materialien abgebaut. Die Mine erstreckt sich über mehrere Ebenen und unzählige Gänge und gleicht somit einem menschengeschaffenem Ameisenbau... wer weiß, was sich alles in den Tunneln verbirgt, die keiner mehr nutzt?
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when the night is dark you know I'll light the path
Arkos Aurelius | Quest: Into the Mountain # 17 | @Lian
Etwas erschöpft hockte Arkos noch auf dem Boden, rappelte sich dann aber langsam auf und sah nachdenklich auf seine Hand mit dem Satyrs-Zeichen. Für einen Moment hatte er das Gefühl, es hätte seine Farbe verloren, aber nach dem nächsten Blinzeln war es wieder ganz normal, leicht grünlich eben, und wieder ohne ein seltsames Verschwimmen an der Seite. Seine Glieder fühlten sich schwächer an als noch zuvor, und selbst bis in die Fingerspitzen spürte er, wie eine gewisse… Müdigkeit sich breit machte. Was war das eben gewesen? Er hatte doch überhaupt nichts Spezielles gemacht… im Gegenteil, er hatte sich eigentlich nur von den Fesseln befreien wollen. Noch einmal atmete er durch, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die hübsche Frau, während er seinen Handschuh wieder anzog. Was genau sie meinte, sie wolle sich mit ihm noch intensiver beschäftigen, wusste er nicht. Was er allerdings wusste war, dass Lian überhaupt nicht begeistert davon schien, sich ‚ausweisen‘ zu müssen. Ehrlich gesagt: Bisher war Arkos zwar erschrocken gewesen, aber… irgendwie war er nicht sonderlich misstrauisch. Diese Frau schien so stark zu sein, dass sie keinerlei Probleme damit hätte, ihn und Lian so richtig schön durch den Fleischwolf zu drehen. Da sie es aber nicht tat, sondern eher spielerisch und ein wenig überheblich mit der Situation umging, vermutete er einfach, dass sie… nicht ‚böse‘ war.
Außerdem war der Schmied ein wenig neugierig. Lian war so ein geheimnisvoller Typ, dass es doch ein wenig interessant werden konnte, oder?
Das sich der Falls allerdings direkt anfing, auszuziehen, hatte der Rotschopf dann doch nicht erwartet. Die Winterjacke fiel, der Pullover wurde ausgezogen, das Shirt gleich mit. Darunter kam ein – offensichtlich frierender – Oberkörper zum Vorschein, außerdem braun gefärbte Haut, wie am Rest des Körpers. Außerdem eine Kette, an der zwei Dinge zu hängen schienen, welche Arkos aber nicht genau erkannte. Das Zeichen von Crimson Sphynx auf seinem Rücken konnte er aus seiner Position allerdings sehen… und war überrascht, wie groß es war. Außerdem fragte er sich, wer auf die Idee kam, es sich genau da hin zu machen… das war doch furchtbar unpraktisch. Wie man ja gerade sah. Irgendwie passte das zu Lian. Es wirkte ein wenig unüberlegt. Und einen Moment lang war Arkos versucht, ein wenig den Kopf zu schütteln. Lian hatte recht stabile Schultern, das sah man – musste er als Bogenschütze wohl auch. Aber ansonsten wirkte er ziemlich schmächtig. Ganz offensichtlich niemand, der arbeitete… körperlich zumindest nicht. Lian wirkte allerdings auch nicht wie ein krasser Bücherwurm. Was trieb der Mann nur den lieben langen Tag? Nach der Zustimmung von der Frau, und keine Sekunde vorher, begann Lian sich wieder anzuziehen, während der Schmied wieder die Ehre erhielt, die Aufmerksamkeit der eleganten Frau zu kommen. „Es scheint im Recht des Stärkeren zu liegen, zu entscheiden, wem man trauen darf?“, fragte Arkos ein wenig unzufrieden mit der Gesamtsituation. Sie hatte keinerlei Möglichkeit, die Integrität von ihr zu testen. Immerhin stellte sie sich vor, und es war, als hätte er schon einmal diesen Namen gehört. Minerva… Minerva… der Rotschopf sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen an, und seine so bernsteinfarben wirkenden Augen wurden nur von ihrer violetten Lichtquelle und dem Leuchtstab an seinem Arm erleuchtet. Ihre weiteren Worte… überraschten ihn dann doch ein wenig, und sein Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig. Sie war freiwillig, und einfach so, in diese Mine eingedrungen? Und sah immer noch so aus, als wäre es ein Sonntagsspaziergang? Das wurde ja immer bunter.
„… Arkos Aurelius, Schmied. Ja. Es war ein dringender Aufruf, insofern mussten sie sich mit mir begnügen“, erwiderte er vollkommen der Wahrheit entsprechend, auch wenn das nicht alle seine Beweggründe gewesen waren. Der junge Mann verschränkte ein wenig die Arme vor der Brust, und Minerva kicherte ein wenig in sich hinein, trat dann langsam auf den Aurelius zu. Sie war kleiner als er, ein ganzes Stück, aber ihre Ausstrahlung machte das locker wieder wett. Und als sie sich ein wenig vorbeugte, offenbarte sie einen Anblick, den der junge Mann dann doch erstmal ein wenig vermied, indem er sich auf ihre Augen fixierte. Meine Güte. Sie wusste genau, was sie tat, und ihr verspieltes Grinsen blieb für einen Moment, dann aber drückte sie den Rücken wieder durch. „Aurelius, hm? Hmm?“ Sie legte nachdenklich einen Finger an ihre Lippen und drückte sie ein wenig ein, etwas, was so naiv und gleichzeitig erotisch wirkte, dass Arkos langsam, aber sicher fürchtete, sie manipulierte gerade seine Emotionen, so, wie Lian das gemacht hatte. „Oh keine Sorge, meine Lieben, ich kann keine Gedanken lesen. Aber Männer sind oft sehr durchschaubar.“ Sie zwinkerte leicht. „Du bist auch eine Magierin? Welcher Gilde gehörst du an?“ Arkos bewies mal wieder, dass er kein Allgemeinwissen hatte, ansonsten hätte er sie vielleicht erkennen können. Minerva zog ihren Hut ein wenig zurecht, streckte leicht die Zunge raus. „Ich bin eine Hexe, mein Lieber, und Gilden sind sowas von nicht mein Ding! Ich bin einfach Minerva. Und ihr habt Glück, dass diese hübsche Hexe hier schon fast alles für euch erledigt hat! Zwei so schmucke Burschen wie ihr könnt sicher ein wenig Hilfe gebrauchen - ohne Gegenleistung - oder?“ Sie kicherte, trat dann noch einmal an Arkos heran. Zu nah. Ihre Finger näherten sich seinem Gesicht und sie strich nachdenklich über seine Wange, packte sein Gesicht dann plötzlich und zog ihn mit einiger Kraft zu sich herunter. Plötzlich befand er sich direkt auf einer Höhe mit ihr, und ihre strahlend grünen Augen zogen ihn in ihren Bann. „Du heißt Aurelius? Wie interessant. Da schlummert wohl was in dir, oder? Ich habe diesen Namen schon einmal gehört…“ Sie hielt ihn noch kurz fest, dann ließ sie ihn los, zog einen der vielen Ringe von einem ihrer Finger, nahm seine Hand und steckte ihm den Ring an den Finger. Arkos schauderte ein wenig – einerseits von der Beiläufigkeit der Geste, und von der Intensität ihres Blicks. „Und schon bist du einer von den meinen, werter Arkos. Studiere diesen Ring. Vielleicht wird er dir helfen.“ Sie zwinkerte mysteriös, und Arkos blinzelte. Wie… was… was sollte das heißen, sie kannte seinen Namen. Was sollte dieses ganze mysteriöse Geschwafel! „Was…“, fing er an, wurde aber mit einem Fingerzeig zum Schweigen gebracht. „Ah-ah, mein Guter. Genug Aufmerksamkeit für dich.“
Sie ging wieder auf Lian zu und ließ Arkos zappeln. Töte. Mich. Jetzt, dachte der sich, und knurrte wieder leise. Aber er fürchtete, aus ihr nichts mehr herauszubekommen. Minerva klopfte Lian fröhlich auf die Schulter. „Ein paar Liegestütze würden dir ganz gut tun, mein Lieber. Du hast dir wirklich einen dämlichen Platz für dein Gildensymbol herausgesucht, oder?“ Kichernd näherte sie sich jetzt auch Lian, und dämpfte ihre Stimme. Arkos versuchte zu verstehen, was sie sagte, aber so richtig verstehen konnte er es nicht. “Ist es nicht ein wenig unglücklich, wenn jeder das Tattoo an deinem Arm sieht, wenn du dich als Gildenmitglied ausweisen möchtest?“, wisperte sie zärtlich in sein Ohr, und Lian konnte deutlich merken, dass sie es liebte, die Oberhand zu haben. “Und auch dieser Ring um deinen Hals ist doch eigentlich zu wertvoll, um ihn zu oft zu zeigen, hm? Wer immer ihn dir geschenkt hat, möchte offenbar sichergehen, dass du immer und überall vor Gefahren geschützt bist. Wie niedlich! Zu was Liebe doch alles in der Lage ist!“ Entzückt trat sie einen Schritt zurück und klatschte in ihre Hände. “So, meine zwei Hübschen, genug gesprochen. Es ist hier unten viel zu feucht, meine Haare kräuseln sich schon! Noch irgendetwas, womit ich euch helfen kann, bevor ich verschwinde? Ihr schafft den Rest doch alleine, oder?“
Fast schon ein bisschen zu entschieden schloss Lian den Reißverschluss seiner Jacke und brummte genervt. Er war froh darüber, dass diese Minerva Black sich für den Moment von ihm abwandte und stattdessen auf den Aurelius zutrat. Ernsthaft: Ja, es gab Situationen, in denen es Lian sicherlich angemacht hätte, befohlen zu bekommen, dass er sich ausziehen sollte. Aber hier? In dieser Mine? Nein, so krass war nicht einmal der Lockenkopf drauf. Arkos stellte sich derweil namentlich vor – eine Sache, die der Falls bisher vermieden hatte und auch nicht vorhatte, zu ändern. Bereits Arkos gegenüber hatte er klargemacht, dass er es nicht mochte, wenn sein eigener Name in der Weltgeschichte herumgereicht wurde. Mitnichte hatte er daher vor, diesen einer wildfremden Frau auf die Nase zu binden, die ihm bis eben noch eine verdammte Klinge an die Kehle gehalten hatte. Aber dann wurde Lian doch neugierig, als sie den Nachnamen des Satyrs nachdenklich wiederholte – beinahe so, als würde sie ihn kennen. Ein kleiner Schlagabtausch über die viel zu leicht durchschaubaren Gedankengänge von Männern folgte, genauso darüber, dass sie eine Hexe und keine Magierin einer Gilde wäre… und dann packte sie bereits das Gesicht vom Arkos und zog ihn bestimmt zu sich herunter. Vielleicht hätte Lian eifersüchtig sein können, aber tatsächlich… stellte sich ein entsprechendes Gefühl nicht bei ihm ein, als er einen Schritt auf die beiden zutat. Was das anging, unterschied er sich dann scheinbar doch von dem Schmied. Einer von den ihren? Was genau meinte Minerva damit? Und was war das für ein Ring, den sie da an den Rothaarigen übergeben hatte?
Aber die Fragen sollten unbeantwortet bleiben – denn die braunhaarige Frau wandte sich noch ein letztes Mal an Lian.
Es missfiel ihm, von ihr beinahe kameradschaftlich auf die Schulter getätschelt zu werden und sich anhören zu müssen, dass ihm ein paar Liegestütze guttun würden. „Das kommt ganz darauf an, was man mit dem Gildensymbol anfangen will“, erwiderte die Sphynx verärgert auf den zweiten Satz und schluckte, als sie sich plötzlich zu ihm beugte und erneut dieser verführerische Duft von Parfüm in seine Nase stieg. Minerva dämpfte ihre Stimme und … die Augen des 20-Jährigen weiteten sich. Instinktiv griff er mit der Linken um seinen rechten Unterarm, obwohl man von dem Tattoo unterhalb der Jacke ohnehin nichts mehr erkennen konnte. Gar kein Zweifel: Diese Minerva Black hatte das Tattoo an seinem Unterarm nicht nur gesehen, sie schien auch zu wissen, was es bedeutete. Aber… „Woher kennst du das Tattoo?“, wisperte Lian ebenso, irritiert, aber auch ein bisschen angriffslustig, wie er verwundert über sich selbst feststellte. Aber Minerva schenkte ihm als Antwort nicht mehr als ihr mysteriöses Lächeln, bevor sie auch noch auf… auf den Ring zu sprechen kam? Wer auch immer ihm diesen Ring geschenkt hatte, wollte offenbar sichergehen, ihn vor allen Gefahren zu schützen. Rin, schoss Lian sogleich durch den Kopf und er sah an sich selbst hinab – dorthin, wo der Ring unterhalb seiner Kleidung getragen wurde. Die Puzzleteile setzten sich allmählich im Kopf des Falls zusammen, was offenbar auch Minerva erkannte. Sie kicherte, leise, aber zumindest auch hörbar für Arkos, ehe sie einen Schritt zurücktrat, in die Hände klatschte und ankündigte, dass dieses unverhoffte Treffen zu seinem Ende gekommen wäre.
Ob es noch etwas gäbe, womit sie ihnen helfen könnte, ehe sie verschwand? Alles, aber auch wirklich alles in Lian schrie danach, den Mund zu halten. Minerva Black hatte sie hier in dieser Höhle vorgeführt, hatte sich über sie erhoben und ihnen nur allzu deutlich gemacht, wie ausgeliefert sie ihr waren. Der Falls hasste es – hatte es schon immer gehasst, wenn irgendwelche Menschen dachten, sich über ihn erheben zu müssen. Wenn man ihn eindeutig von oben herab behandelte und ihn zur eigenen Belustigung vorführte. Minerva Black stellte da keine Ausnahme dar, ganz gleich, wie verdammt attraktiv ihr Äußeres war. Der Braunhaarige wollte, dass sie verschwand, dass sie die beiden endlich in Ruhe ließ. Aber… Verdammte scheiße, fluchte er gedanklich und gab sich einen Ruck, bevor er sich doch noch entschied, dass sein eigener Stolz wichtiger war. „Der versperrte Ausgang“, begann er deshalb zu erklären und hielt dem direkten Blickkontakt mit der Black trotz seines eigenen Unwohlseins stand. „Wenn wir die Minenarbeiter hier herausbekommen wollen, muss der Gang freigeräumt werden.“ Die Wizard Saint blinzelte, dieses Mal tatsächlich ein wenig… überrascht. Scheinbar hatte nicht einmal sie damit gerechnet, dass einer der beiden jungen Männer tatsächlich um Hilfe bitten würden. “Ich bin beeindruckt“, ließ sie Lian schlussendlich wissen, aber es täuschte für den Illusionisten nicht über das höhnische Lächeln hinweg, das auf den Lippen der Schönheit lag. “Man kann dir förmlich ansehen, wie sehr es dir widerstrebt, mich um Hilfe zu bitten. Eigentlich möchtest du dir lieber die eigene Zunge herausreißen. Und dennoch… tust du es.“ Lian nahm die Worte als Beleidigung auf und bereute es bereits wieder, es ausgesprochen zu haben. Er runzelte die Stirn, öffnete den Mund, doch Minerva kam ihm zuvor: “Der Weg wird freigeräumt sein“, versprach sie und warf sich spielerisch eine ihrer braunen Locken über die Schulter zurück, ehe sie den Kopf minimal zur Seite neigte und schmunzelte. “Kümmert euch nur um die Minenarbeiter. Oh und eine Sache noch: Dass ihr mir in dieser Mine begegnet seid, bleibt unser kleines Geheimnis, ja?“ Sie zwinkerte sowohl dem Falls als auch dem Aurelius zu. Wie, sie sollten niemandem erzählen, dass sie ihr begegnet waren? Wer sollte überhaupt ein Interesse an dieser Information haben? Lian hätte gerne nachgefragt, aber ein Blick von Minerva genügte, um deutlich zu machen, dass sie nicht vorhatte, irgendwelche Fragen zu beantworten. Und damit drehte sie sich herum, seufzte fast schon theatralisch und trat an Lian und auch an Arkos vorbei, in die Richtung, aus der die beiden Männer gekommen waren. “Passt auf eure hübschen Gesichter auf, ja? Das wäre tatsächlich eine Verschwendung.“ Zuerst verschwanden die Umrisse von Minerva in der Dunkelheit. Irgendwann verhallten auch die Schritte ihrer Absätze in dem Tunnelsystem. Und dann… waren die beiden Männer wieder alleine, so als hätte es den Zwischenfall überhaupt nicht gegeben. Lian fuhr mit seinen Fingerspitzen benommen die schmale Wunde an seiner Wange entlang – nur um sich selbst zu beweisen, dass er sich das Zusammentreffen mit Minerva Black nicht bloß eingebildet hatte.
Arkos Aurelius | Quest: Into the Mountain # 18 | @Lian
Verflixte Neugierde. Arkos spürte das erste Mal bei dieser Mission dieses nagende Gefühl, welches sich schon in vergangenen Aufträgen immer mehr in ihm verkehrt hatte. Bisher hatte Lian zwar mysteriös gewirkt und sein Interesse geweckt, aber diese Neugierde war jetzt doch… stärker geworden als gedacht. Und diese Minerva Black war Schuld daran. Nicht nur, dass sie ihm sehr spezielle Worte zugeraunt hatte, Lian wirkte ebenso schockiert von dem, was ihm die Braunhaarige zuflüsterte. Leider konnte er das nicht gut hören. Das einzige, was er mitbekam war, dass der junge Mann sich plötzlich an dem Arm fasste… dort, wo Arkos eben noch ein Tattoo hatte aufblitzen sehen. Ihm sagte das nichts. Es sah aus wie etwas, was man in einer dummen Jugendzeit verbrochen hatte, weil man es irgendwie ganz cool fand. Lian wirkte wie jemand, der so etwas tun würde, urteilte Arkos vielleicht nicht ganz korrekt, aber vielleicht auch nicht ganz daneben. Fakt war: Der Schmied stand ein wenig da wie bestellt und nicht abgeholt, und verschränkte die Arme. Der goldene Ring, welchen Minerva ihm auf den Finger gesteckt hatte, blitzte leicht im Licht auf. Erstaunlich übrigens, dass er an seinen Finger gepasst hatte – die Hexe hatte eindeutig sehr viel schmalere, schlankere Finger als er. Nachdenklich hatte Arkos seinen Handschuh wieder angezogen und verfolgte den jetzt doch ein wenig hörbareren Wortwechsel zwischen Lian und Minerva mit. Ehrlich gesagt verstand Arkos das Problem von Lian nicht so ganz. Wieso sah er so unwillig aus?
Vielleicht war es der Pragmatismus, den Arkos seit jeher pflegte, aber ihm war im Grunde vollkommen Recht, wenn jemand anderes die Arbeit erledigte, wenn es schneller und besser ging. Lian und er hatten bisher keinen wirklichen Stich dabei gesehen, die Mine zu räumen, und Minerva schien willig, ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen. Wenn das hieß, ein wenig Hochnäsigkeit auszuhalten, war das wirklich kein Problem. Erstens sah sie bezaubernd aus dabei, und zweitens… war das noch immer nichts gegen Esmée. Die war deutlich Hochnäsiger gewesen mit deutlich weniger Fähigkeit, um das auch zu unterstreichen. Immerhin rang sich Lian durch, um Hilfe zu bitten, und Minerva ergötzte sich ein wenig daran, wie er sich unter ihren Worten wandte. Arkos konnte… ein kleines Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie spielte mit Lian, und sie spielte mit ihm. Offenbar waren ein A-Rang und ein B-Rang-Magier für sie nicht mehr als ein paar Steinchen auf ihrem Weg. Beeindruckend.
Und dann ging sie. Einfach so. Das violette Licht verschwand, und es verblieben zwei junge Männer, die wahrscheinlich erst einmal einen Moment verarbeiten mussten, was gerade vorgefallen war. Arkos bewegte sich als erster und trat neben seinen Kollegen, sah noch einmal in die Richtung, in die die Hexe gerade verschwunden war. „Ich habe irgendwie das Gefühl, dass diese Situation von Anfang bis zum Ende nach ihrem Willen abgelaufen ist“, merkte er ein wenig matt an, sah zu Lian, der gerade den Riss in seiner Haut befühlte. „Warum möchte sie nicht, dass wir davon erzählen, dass wir sie getroffen haben? Ist sie jemand, den man kennen muss?“ Arkos grübelte. „Ich bin nicht sonderlich bewandert in ‚Magier-Hochadel‘. Der Name kam mir ein wenig bekannt vor, aber…“ Kopfschüttelnd straffte er seinen Rücken und fokussierte sich wieder ein wenig. Es gab gerade wichtigere Dinge als sich über all das Gedanken zu machen, was Minerva gerade eröffnet hatte. Bisher hatten sich auf dieser Quest mal wieder nur mehr Fragen ergeben, als es Antworten gegeben hatte. Wie so oft. „Wir sollten weitermachen.“ Das war mehr zu sich selbst gesprochen, als zu Lian, aber Arkos hatte das Gefühl, dass er hier sonst festwurzeln würde. Die Präsenz der Hexe verschwand langsam aus der Luft, so wie ihr Parfum, und ließ ihn wieder ein wenig freier atmen. „Wo sind die Arbeiter?“ Er hoffte, dass Lian anfangen würde, die Richtung vorzugeben, und das tat er sogar – es ging weiter, in die genau gegengesetzte Richtung von der, in die Minerva gerade verschwunden war. Arkos warf dem Dunkelhaarigen einen kurzen Blick zu, sah dann wieder nach vorne und konnte ein feines Grinsen nicht ganz verbergen.
„Was für ein Teufelsweib“, murmelte er – und war, ganz ehrlich, selbst ein wenig überrascht von diesen Gedanken. Arkos war eigentlich kein Mann, der sich ständig irgendwelchen Fantasien hingab, und noch viel weniger irgendwelchen Frauen hinterher geierte. Aber Minerva… nun, war einfach eine Frau, die man definitiv nicht ignorieren konnte, ob man denn wollte oder nicht. „Man weiß überhaupt nicht, ob man ihr gerade nicht in die Quere kommen sollte oder ob man es nicht doch drauf anlegen müsste. Was hat sie dir gesagt? Du hast ausgesehen, als hättest du einen Geist entdeckt.“
Minerva Black – der Name hallte in den Gedanken Lians nach, auch nachdem ihr Schemen mit der Dunkelheit verschmolzen und der Klang ihrer Schritte in den weiten Tunnelsystemen verklungen war. Der Falls kannte diesen Namen nicht, konnte ihn nicht zuordnen und doch… nahm er sich vor, Nachforschungen zu betreiben. Diese Frau hatte ihn vorgeführt, gedemütigt und in die Ecke getrieben, hatte sich an seinem Unwohlsein ergötzt. Keine Frage: Minerva gehört mit ihrer gesamten Ausstrahlung zu den attraktivsten Frauen, denen Lian je in seinem Leben begegnet war. Auch er hatte sich ihrem ordentlichen Hüftschwung und den gesäuselten Worten nicht gänzlich entziehen können. Und doch nahm er sich in diesem Augenblick vor, es dieser Hexe irgendwann heimzuzahlen. Ja, Lian mochte Machtspielchen, das war wahr. Aber auch nur, weil er niemand war, der sich in genau jenen allzu leicht unterkriegen ließ. Der 20-Jährige schmunzelte bei diesem Gedanken, ehe es Arkos war, der auf ihn zutrat und ihn ansprach. „Vielleicht könnte jemand den Namen hören, der ihn nicht hören sollte. Und das wiederum Konsequenzen verursachen, mit denen sie sich nicht auseinandersetzen möchte.“ Der Lockenkopf verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete den Rothaarigen mit einem nachdenklichen Blick. Wohlmöglich erinnerte er sich an den Wortlaut – am Beginn des heutigen Tages, als sie sich am Bahnhof von Crystalline Town getroffen hatten, hatte Lian ganz ähnliche Worte verwendet. Er wusste nicht, warum genau Minerva ein Geheimnis aus ihrer Anwesenheit machen wollte und doch war er der Letzte, der ihr dafür einen Vorwurf hätte machen können. Lian ging selbst ebenso vorsichtig mit seinem Namen um und versuchte zumeist, ihn unter Verschluss zu halten, damit er möglichst wenig Spuren hinterließ, wo auch immer er auftauchte. Der Falls glaubte nicht, dass es die gleichen Beweggründe waren, die er und Minerva teilten, was allerdings nichts am Ergebnis änderte. Immerhin was das anging waren er und diese bildhübsche Frau sich irgendwie ähnlich. Lian zuckte mit den Schultern. „Aber bevor du mich fragst: Ich habe den Namen auch noch nie vorher gehört“, gab er zu und seufzte, löste die Verschränkung seiner Arme und deutete dann schon beinahe beiläufig auf einen anderen abzweigenden Tunnel. „Ich habe die Minenarbeiter dort hinten gespürt, bevor sie hier aufgetaucht ist.“ Nur mit einem kurzen Seitenblick streifte er das leblose Ungetüm mit Hörnern, das scheinbar von Minerva niedergestreckt worden war. Die beiden Männer machten sich wieder auf den Weg und obwohl sie sich von dem Schauplatz entfernten und auch Minerva verschwunden war, hatte die Frau doch genügend Eindruck hinterlassen, dass sich irgendetwas an der Atmosphäre hier unten nachhaltig verändert hatte. Den gemurmelten Worten von Arkos nach zu urteilen war Lian nicht der Einzige, der so empfand. Okay, der Falls konnte einfach nicht anders, er musste einfach lachen. „Verdammt, diese Frau hat dir ordentlich das Hirn vernebelt“, urteilte die Sphynx und grinste – um das zu erkennen, musste er nicht einmal seine Emotional Magic einsetzen. Bisher war ihm der Rothaarige als ziemlich trockener und nüchterner Mensch erschienen, der sich nicht allzu viel von Emotionen steuern ließ. Jetzt gerade blitzte allerdings eine andere Seite an dem Aurelius hervor – eine Seite, die ihn in den Augen von Lian gleich deutlich sympathischer machte. „Ich meine, nicht, dass ich es nicht nachvollziehen könnte…“, murmelte er, schloss kurz die Lider, schüttelte dann allerdings den Kopf. Er mutmaßte, dass seine Gefühle Minerva gegenüber doch nicht an jene von Arkos heranreichten. Erneut richteten sich die hellgrünen Seelenspiegel auf den Schmied. „Sie hat mir empfohlen, ein paar mehr Liegestütze zu machen“, erzählte Lian, stoppte dann kurz. „Und sie hat mich auf ein Tattoo auf meinem Körper angesprochen. Traf scheinbar nicht ganz ihren Geschmack. Genauso wie der Schmuck, den ich trage.“ Der Falls ließ sich nicht anmerken, was genau er davon hielt – er hatte den Schrecken zumindest soweit verarbeitet, dass er es mittlerweile schaffte, Neutralität auszustrahlen. Dennoch fragte er sich, woher Minerva das Symbol kannte. Und dann war da auch noch die Sache mit dem Ring, den Rin ihm geschenkt hatte… „Oh und was war das?“, wechselte Lian bei diesem Gedankengang das Thema und deutete auf die Hand von Arkos. Zwar konnte man es durch den dunklen Handschuh nicht mehr erkennen, aber die Sache mit dem goldenen Ring an seinem Finger hatte der Falls durchaus mitbekommen. Und das lag nicht nur daran, dass er als Dieb einen ausgeprägten Spürsinn für kostbare Schmuckstücke hatte. „Gehörst du jetzt ganz offiziell zu ihrem Harem?“, fragte Lian und verkniff sich dabei die Mutmaßung, dass der Aurelius dagegen vermutlich gar nicht allzu viel einzuwenden hätte. Wobei… man diese Gedanken den amüsiert funkelnden Seelenspiegeln des Illusionisten auch so ansehen konnte.
“W-wer ist da?!“
Es war eine tiefe, raue Stimme, die die beiden Männer wenige Minuten später hörten, noch ehe sie am eigentlichen Ort des Geschehens angekommen waren. Aber drei, vier Schritte später fiel das Licht ihrer Leuchtstäbe auf die ersten Männer, die kraftlos und entmutigt an den steinigen Wänden lehnten und in dem Augenblick, als die Magier zu ihnen traten, die Augen fest zusammenkniffen. Beinahe so, als wären sie das Tageslicht nicht mehr gewohnt. Lian war sich sicher: Das hier waren die Minenarbeiter, nach denen sie gesucht hatten. „Wir sind Magier“, begann der Lockenkopf zu sprechen, trat noch ein bisschen näher, damit das Licht seines Leuchtstabes auch in den letzten Winkel vordringen konnte – er überschlug geschwind die Anzahl und kam auf rund zwanzig Männer, die hier verteilt auf dem Boden saßen. „Wir sind geschickt worden, um euch hier herauszuholen. Gibt es Verletzte?“ Einer der Männer stieß hörbar die Luft aus, stützte sich an der Wand zu seiner rechten Seite ab und mühte sich auf die Beine. War das ihr ernannter Anführer? “Ihr habt dieses Monster tatsächlich besiegt?! Wir waren schon kurz davor, aufzugeben“, gestand er, die Stimme belegt. “Die Höhle schien noch weiter einzubrechen und dieses Monster griff uns plötzlich an, da sind wir tiefer in die Mine geflüchtet. Aber wir hatten keine Karte und irgendwann ging unserem Licht die Energie aus…“ Das erklärte zumindest, warum diese Männer nicht am Unfallort geblieben oder zumindest dorthin zurückgekehrt waren. “Wir haben mehrere Verletzte.“ Der Falls hatte nicht genügend medizinisches Know-How, um sofort zu verstehen, wie schlimm die Verletzungen waren, die er auf Anhieb bei den Männern erblicken konnte. Verkrustetes Blut, Platzwunden und auch manch ein verdrehtes Bein fielen ihm auf – mehr allerdings nicht. Er hoffte einfach, dass sie das Schlimmste verhindern konnten, wenn sie alsbald von hier verschwanden. Es sollte nicht noch mehr Tote geben. „Könnt ihr uns folgen? Dann leiten wir euch hinaus“, sprach Lian weiter, was der Minenarbeiter mit einem Nicken beantwortete. Er gab ein Signal an die restlichen Männer, die langsam ebenso auf die Beine kamen, sich teilweise gegenseitig stützten. Lian wechselte derweil einen Blick mit Arkos – vermutlich mussten sie Geduld mitbringen, denn die Verletzten konnten sich nur langsam bewegen. Aber… die Rückkehr ans Tageslicht schien näher zu rücken. Zumindest der Falls konnte es kaum noch erwarten.
Arkos Aurelius | Quest: Into the Mountain # 19 | @Lian
Der Blick, den Arkos Lian zuwarf, war eindeutig: Er hielt nichts von dieser Geheimnistuerei. Es war einfach nicht sein Stil. Die Vorstellung, sein eigenes Leben nicht in der Hand zu haben und sich soweit von anderen kontrollieren zu lassen, dass man nicht mal mehr seinen Namen preisgeben konnte… nein. Dieses ‚Privileg‘ war seiner Meinung nach Gaunern, Dieben und Kriminellen vorenthalten. Und Minerva war sicher vieles, aber das konnte er sich wirklich nicht vorstellen. „Ich habe das Gefühl, dass die Konsequenzen sich nicht mit ihr auseinandersetzen wollen“, meinte er dann wiederum matt, fast ein wenig erschöpft. „Vielleicht solltest du daran arbeiten, jemand zu werden, der konsequent ist. Dann wird sich das schon einrenken.“ Aber mit dieser Weisheit beließ er es dann auch. Ehrlich gesagt war Lian zwar ein interessanter Kollege, aber wenn er kein Interesse daran hatte, sich weiter zu öffnen, war das Arkos an sich ganz recht. Zumindest solange sie in dieser Mine waren. Wenn sie sich allerdings irgendwie so mal über den Weg laufen sollten, sollte Lian sich hüten, mysteriös wabernde Worthülsen vor sich herzuschieben. Arkos war niemand, der sich damit lange aufhielt. Er würde diese Worthülsen nehmen und sie einfach über die Schulter werfen und direkt auf den Punkt kommen.
Auf dem Weg aber entlockten die Worte des Schmieds seinem Kollegen tatsächlich ein Lachen – welches sogar wirklich ein wenig gelöst wirkte. Amüsiert schmunzelte der Rotschopf und zuckte mit den Schultern. „Vernebelt, weiß ich nicht genau. Aber ich kann nicht ganz verleugnen, dass ich wahrscheinlich noch nie so jemanden getroffen habe.“ Etwas nachdenklich schaute er in Richtung Tunneldecke und schien einen Moment nachzudenken, während Lians Worte weiter an ihm vorbeiplätscherten. Dann allerdings musste er ein wenig lachen und grinste leicht. „Möglich. Es war tatsächlich ein wenig fies von ihr, aber du hast auch nicht unbedingt glücklich darüber ausgesehen, dich hier auszuziehen.“ Wäre er auch nicht, dabei angemerkt. „Und aha? Du lügst mich an.“ Arkos sah Lian für einen Moment direkt in die Augen, und wieder war da so ein gewisses Glimmen. Er war nicht einmal böse, aber Lian sollte schon wissen, dass man Leute nicht einfach so an der Nase herumführen sollte. Es war für ihn eindeutig, dass Lian etwas verbarg. Es war zu offensichtlich. „Zumindest zum Teil. Bitte lass das. Dann sag lieber, dass du es nicht sagen möchtest.“ Der Rotschopf schnaufte leicht durch die Nase, um seinen Punkt klar zu machen. Aber dann zuckte er wieder mit den Schultern, sah in Richtung seiner Hand… und konnte wiederum ein Grinsen nicht ganz untertreiben. „Neidisch?“ Er blinzelte seinem Kollegen kurz zu, aber schüttelte dann den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das so gemeint war. Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber… ehrlich gesagt fühlte es sich mehr wie ein Hinweis an als alles andere.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. „Sie hat meinen Namen angesprochen. Ich weiß nicht, wo ich herkomme, aber sie scheint irgendeine Information darüber zu haben. Wirklich seltsam. Ich muss diesen Ring wohl ein wenig genauer unter die Lupe nehmen.“ Nachdenklich spielte er mit dem Schmuckstück unter seinem Handschuh herum, sah dann wieder zu dem Falls und grinste leicht. „Und falls es sich herausstellen sollte, dass es doch nur ein Zeichen dafür war, dass sie irgendetwas in mir sieht, nun, dann soll’s mir recht sein“, gab er zu. Arkos war eine ehrliche Haut, und Minerva war faszinierend, so oder so. Es musste nicht einmal etwas Anzügliches sein. Ehrlich gesagt war es auch wieder diese Neugierde in ihm, die ihn dazu trieb, sie interessant zu finden.
Wenige Minuten später fanden sie die Bergarbeiter, die in der Dunkelheit hockten und darauf zu warten schienen, dass es zuende ging. Oder so. Es war ein jämmerlicher Anblick, einerseits, aber andererseits auch sehr besorgniserregend. Arkos war froh, die Männer endlich gefunden zu haben, und noch viel glücklicher waren vermutlich die Männer, die sich gefunden fühlten. Sie waren sicherlich ziemlich unterkühlt, und wahrscheinlich auch dehydriert. Lian machte eine schnelle Bestandsaufnahme, und zum Glück schien die Anzahl ungefähr dem zu entsprechen, was sie hier unten hatten finden wollen. Arkos stieß – ähnlich wie der Minenarbeiter – die Luft aus und spürte eine gewisse Zufriedenheit über sich kommen. Es war zwar nicht allzu viel Krasses passiert, dafür umso mehr Chaos gewesen. Es war schwierig, dabei den Überblick zu behalten. „Ich gehe hinten“, meinte er zu seinem Kollegen, und nickte ihm zu. „Dann kann ich sicherstellen, dass niemand zurückbleibt. Der Weg sollte ja nun frei sein.“ Er begab sich nach hinten und begutachtete die Minenarbeiter auf dem Weg. Sie alle schienen vollkommen erledigt zu sein, und einige von ihnen zitterten. Auf dem Weg zurück wurde offensichtlich, dass einige von ihnen unter Schock standen, und ein paar andere so unterkühlt waren, dass sie aus dem Zittern nicht mehr herauskamen. Arkos wärmte die, die es benötigten, mit seiner Flamme, bis sie zu dem verschütteten Teil des Tunnels kamen – wo ein mannsgroßes Loch wartete, was vorhin noch nicht so da gewesen war. Verdammte Hexe. Arkos nahm sich vor, sie beim nächsten Treffen irgendwie besser kennenzulernen. So jemanden zu kennen, konnte doch nur von Vorteil sein, oder? Arkos nahm sich vor, Lian noch einmal darauf anzusprechen – nur, falls der Falls die Frau nochmal traf. Und da gab es noch etwas – die Sache mit den Pfeilen. Auch die wollte er noch einmal ansprechen.
“Wow…“, murmelte einer der Minenarbeiter. “Ihr müsst ja fantastische Magier sein. Ohne Probleme in die Mine gekommen, so ein Loch gemacht, und sehr noch nicht einmal angestrengt aus.“ Er sah höchst beeindruckt aus, während er als letzter durch das Loch ging – dahinter folgte nur noch Arkos. „Nun, ähm… der Kollege da vorne ist ein A-Rang-Magier…“, bestätigte er ein wenig hilflos, weil er sich nicht so richtig überlegt hatte, wie sie Minerva aus der Sache heraushalten sollten. “Ein A-Rang-Magier? Ich habe bisher nur von solchen Typen gehört! Ein Glück, dass er Zeit hatte!“ Die Arbeiter tuschelten untereinander, und schon bald würde das Tuscheln auch den Beginn des Trosses erreichen, wo Lian anführte. Arkos bekam es nicht mit, aber als die Geschichten vorne ankamen, waren sie schon wilder geworden. “Und er soll das Loch mit bloßen Händen gegraben haben! So einen könnten wir hier gebrauchen…“ „Alter, der hat besseres zu tun… sieht so schmächtig aus, aber könnte uns wahrscheinlich mit einer Rückhand wegklatschen…" "Anscheinend hat er die Bestie, die unsere Kumpel einfach zerrissen hat, mit einer Handbewegung getötet." "Scheiße..." "Ruhe in Frieden, Jimmi..."
Okay, zugegeben: Die Direktheit von Arkos überraschte Lian nicht nur, sie traf ihn irgendwie auch auf dem falschen Fuß. Der ältere Magier hatte mit allem, was er sagte, vollkommen Recht: Der Falls hatte gelogen, zumindest in Teilen. Für gewöhnlich war er allerdings ein ausreichend guter Lügner, dass er nicht direkt mit seinen Unwahrheiten konfrontiert wurde. Oder… die Menschen in seinem Umfeld nahmen die Lügen einfach kommentarlos hin und dachten sich ihren Teil. Bei dem Aurelius schien das anders und nach allem, was sie gemeinsam erlebt hatten, ertappte sich der 20-Jährige dabei, sogar ein schlechtes Gewissen aufgrund seiner Lüge zu haben. Er erinnerte sich an die Mutmaßung des Rothaarigen, kurz bevor sie diese dunkle Mine betreten hatten: Zusammen fast sterben scheint zusammenzuschweißen. Lian glaubte, dass der Satyrs mit dieser Vermutung wohlmöglich Recht haben könnte. Vielleicht tat er dem Schmied mit seiner Geheimniskrämerei ja Unrecht, vielleicht könnte er sich ihm gegenüber ein bisschen mehr öffnen. Oder zumindest – so wie auch Arkos selbst es vorschlug – einfach ehrlich kommunizieren, wenn es Dinge gab, über die er nicht bereit war, zu sprechen. Lian nahm sich vor, sich die Bitte des Kollegen zu Herzen zu nehmen, sollte es tatsächlich passieren, dass sich ihre Wege irgendwann in der Zukunft erneut kreuzten. Ob er diesen Vorsatz auch einhalten würde? Das würde sich zeigen, denn im Moment gab es andere Dinge, mit denen er sich beschäftigte – zum Beispiel die Frage, ob er neidisch wäre. „Vielleicht ein bisschen“, gestand Lian mit einem sichtlich amüsierten Schmunzeln, hörte danach aber den weiteren Ausführungen seines Kollegen zu und nickte hier und dort. Er wusste also nicht, woher er kam? Aber diese Minerva könnte etwas wissen? Der Ring als ein Hinweis? „Es wäre einfacher gewesen, wenn sie dir einfach direkt gesagt hätte, was sie weiß.“ Nicht, dass Lian Falls in solchen Dingen sonderlich große Töne spucken dürfen. Aber dennoch! „Vermutlich wäre das ihrem mysteriösen Auftreten und dem Spannungsbogen nicht zuträglich genug gewesen.“ Der junge Mann dachte kurz darüber nach, musterte dann erneut Arkos und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Ich drücke dir die Daumen, dass sich aus diesem Ring etwas ergibt. Seien es Hinweise auf deine Vergangenheit oder … andere Dinge.“ Beim zweiten Teil lachte Lian erneut und merkte, wie die Anspannung der letzten Stunden endlich aus seinem Körper zu weichen schien. Der 20-Jährige gestand sich endlich ein, dass er den rothaarigen Schmied aus der Gilde Satyrs Cornucopia wirklich sympathisch fand. Er hätte es mit seinem Questkollegen wirklich schlimmer treffen können.
Schließlich fanden sie die gesuchten Minenarbeiter und machten sich – nach einem kurzen Wortwechsel – auf den Rückweg. Arkos blieb hinten, Lian führte den Trupp an, sodass die beiden Magier sich aus den Augen verloren. Keine Frage, der Illusionist war erschöpft, das spürte er in seinen Knochen, doch die Aussicht darauf, bald wieder ans Tageslicht zurückzukehren, beflügelte ihn. Hier und dort musste er sich drosseln, um sich an die Geschwindigkeit der erschöpften und teilweise verletzten Minenarbeiter in seinem Rücken anzupassen, was wohlmöglich einen falschen Eindruck hinsichtlich seiner Ausdauerreserven vermittelte. Allgemein sprach Lian auch wenig mit den Menschen hinter ihm – nicht, weil er etwas gegen sie hatte, sondern mehr, weil er mit den Gedanken woanders war. Zum Beispiel bei Minerva Black und der Frage, ob sie ihr vielleicht doch noch einmal in den hiesigen Gängen begegnen würden. Weder ahnte der Falls, dass irgendwo am Ende des Trosses über ihn gemunkelt und spekuliert wurde, noch, dass er mit seiner Verschwiegenheit der Gerüchteküche noch mehr Zündstoff verlieh. Denn verschwiegene Magier waren gleich noch viel mysteriöser und boten mehr Stoff für waghalsige Geschichten, die mit ihnen in Verbindung standen. Als Lian das mannsgroße Loch in dem Geröllhaufen erkannte, das wie von Geisterhand erschienen war, musste er sich wirklich zusammenreißen, um sich absolut nichts anmerken zu lassen. Sie muss wirklich ein Teufelsweib sein…, dachte sich der Braunhaarige. Wie sehr hatte Arkos sich abmühen müssen, um auch nur einen winzigen Teil aus diesem Gestein zu lösen? Im Gegensatz dazu war es für Minerva Black höchstens ein Fingerschnippen wert gewesen. Und das… beeindruckte und erschrak Lian in gleicher Weise. Aber ganz egal, was Lian hierüber dachte, die Magier hatten versprochen, ihr Zusammentreffen mit Minerva für sich zu behalten. Und so trat die Sphynx kommentarlos als erste Person durch das Loch im Gestein, gefolgt von den restlichen Männern.
Er ahnte nicht, was sich in diesem Augenblick im Hintergrund zusammenbraute. Dass mal wieder etwas geschah, was sich schon bald verselbstständigen würde und außerhalb seiner Kontrolle lag. Und das es etwas war, das durchaus bleibende Auswirkungen auf sein gesamtes Leben haben würde.
Um ehrlich zu sein, war der Falls davon überzeugt, dass jeden Moment irgendetwas schiefgehen musste. Er erwartete ein Erdbeben, einen weiteren, verschütteten Tunnel, irgendwelche Gegner, die aus dem Nichts erschienen und sie angriffen. Es konnte nicht sein, dass er und Arkos das hier wirklich geschafft hatten... ohne selbst auch nur einen Finger wirklich krumm gemacht zu haben. Es war Lönne mit seinen Hunden gewesen, der sie bis zur Mine transportiert hatte und durch den sie eine Lebensgefahr nach der anderen überlebt hatten. Und hier in der Mine waren sie ein wenig herumgelaufen, hatten miteinander gesprochen und Lian hatte hier und dort nach wilden Gefühlen Ausschau gehalten, aber sonst… waren das hier höchstens die Lorbeeren von Minerva Black. Nein, es musste noch etwas geschehen. Sie mussten noch in irgendeinen größeren Konflikt geraten.
Aber… das taten sie nicht.
Plötzlich fand Lian sich im Schneegestöber wieder, in einem eiskalten Wind, der ihm ins Gesicht fegte und ihn sogleich wieder mehr frieren ließ. Er konnte seinen eigenen Atem in der Luft sehen und blinzelte. Sie waren draußen. Der Falls wusste nicht, wie lange er und Arkos in der Mine gewesen waren, soweit er es beurteilen konnte, war es allerdings mitten in der Nacht. Nur einzelne Fackeln spendeten um sie herum Licht und auch Wärme – der Falls drehte sich auf dem Absatz herum und wollte etwas sagen, doch bevor auch nur eine Silbe über seine Lippen gekommen war, verstummte er. Die Minenarbeiter… hielten die gerade Abstand zu ihm? Und warum starrten sie ihn so an? Beinahe… ehrfürchtig. Lian verstand überhaupt nicht, was los war, da ertönte ein begeisterter Schrei in seinem Rücken. “Sie haben es geschafft! Sie haben es wirklich geschafft!“ Erst mit Verzögerung verstand der Falls, dass der Schrei von den Zelten kam, in denen die restlichen Minenarbeiter, die nicht verschüttet worden waren, versorgt wurden. Noch ehe er sich richtig herumgedreht hatte, ging das Gewusel los. Die Männer, die Arkos und er aus der Mine geleitet hatten, setzten sich mit neuer Kraft gesegnet in Bewegung und fielen jenen, die aus den Zelten herbeiliefen, in die Arme. Man konnte den Leuten ansehen, wie all die Last, die Sorge, die Verzweiflung und auch die Angst der letzten Tage mit einem Schlag von ihnen abfielen und sie wieder Hoffnung schöpften. “Wie habt ihr es nur geschafft?“, fragte ein Mann. “Wie konntet ihr den eingestürzten Tunnel durchqueren?“, fragte ein anderer. Erst als Lian merkte, dass es immer wieder verstohlene Blicke der verschiedenen Minenarbeiter waren, die man ihm zuwarf, spitzte er die Ohren und konnte Fetzen der Antworten vernehmen. “Der A-Rang Magier…" oder “…die Felsen mit einem Schlag zerstört.“ Und auch ein “Einmal mit dem Finger geschnippt…“ war dabei. Immer noch konnte der Braunhaarige nicht ganz begreifen, was diese Leute da redeten, aber er begab sich an die Seite von Arkos, schob sich die grellorangene Mütze auf seinem Kopf zurecht und stieß die Luft hörbar aus. „Weißt du, worüber die da reden?“, fragte er den Schmied. Er war immerhin am Ende des Trosses gegangen, vielleicht hatte er dort ja ein bisschen mehr mitbekommen als der Illusionist?
Arkos Aurelius | Quest: Into the Mountain # 20 | @Lian
Endlich waren sie draußen. Arkos atmete ein wenig zufrieden aus – zwar fühlte er sich an der kalten Winterluft nicht wirklich wohler, wohl aber war er erleichtert darüber, dass die verbliebenen Bergarbeiter alle unbeschadet aus dem Bergwerk hatten entkommen können. Es war gar nicht einfach, merkte der Aurelius, Verantwortung für so eine Gruppe an Menschen zu übernehmen. Selbst dieses kurze Stück war schon sehr angespannt gewesen – bei jedem Stolpern hatte er das Gefühl gehabt, sofort helfen zu müssen, wenngleich die Männer sich schon ganz gut selbst helfen konnten. Nachdenklich darüber sinnierte Arkos noch einmal kurz darüber nach, ob es vielleicht auch das gewesen war, was Minerva dazu veranlasst hatte, die Mine so mirnichts, dirnichts zu verlassen. Die Frau hatte sehr mächtig gewirkt, aber auch mächtig uninteressiert daran, die Aufgabe abzuschließen. Aber so war es allerdings auch dazu gekommen, dass die Minenarbeiter noch immer recht ehrfürchtig und respektvoll den Braunhaarigen A-Rang-Magier der kleinen Gruppe anschaute. Arkos selbst sah zu Lian, der ein wenig überfordert damit zu sein schien, wie ihn die Männer anschauten – und bei jedem Satz noch ein wenig verwirrter aussah. Als die verbliebenen Minenarbeiter mit ihren Kollegen wiedervereint waren, verbreiteten sich die Gerüchte noch schneller, und Arkos konnte sich nicht ganz das Grinsen verkneifen. So, wie sich Lian gerade wieder die Mütze auf dem Kopf zurechtrückte, konnte man wirklich meinen, er wäre nur ein junger Mann, der auf dem Weg war, eine Verabredung wahrzunehmen – dabei wusste Arkos mittlerweile schon recht gut, dass unter der Oberfläche Dinge schlummerten, die Lian nicht so einfach preisgab. Oder zumindest vermutete Arkos stark, dass es da noch eine Menge gab. „Nun“, meinte er dann und schmunzelte leicht. „Die Minenarbeiter sind der Überzeugung, dass nur ein A-Rang-Magier derart problemlos dafür gesorgt haben kann, dass diese Bestie tot ist und dass dieses große Loch in der Wand ist. Sie vermuten, dass du das mit einem Fingerschnippen erledigen konntest.“ Seinen eigenen Anteil bei der Sache verschwieg Arkos. Es war auch egal, denn letztlich wäre es auf das gleiche hinausgelaufen, da war sich der Rotschopf ganz sicher.
Der Mann, der ihnen die Informationen gegeben hatte, kam schließlich auch aus dem Zelt und stapfte mit Lönne auf sie zu. „Ihr habt es tatsächlich geschafft!“, frohlockte er und klopfte ihnen beiden heftig auf die Schulter. Selbst Arkos tat ein wenig der Arm weh davon und nickte. „Das ist fantastisch! Ich wusste, es würde helfen, Magier zu rufen. Natürlich haben wir Opfer zu beklagen, aber…“ Er seufzte ein wenig schwer, sah zu den Arbeitern, die allesamt nach und nach im Zelt verschwanden. „… immerhin sind es nicht mehr geworden. Die Arbeiter haben mir kurz erzählt, was passiert ist. Wer hätte gedacht, dass eine solche Bestie in die Tunnel kommen würde! Und dann auch noch der Einsturz. Ich bin höchst beeindruckt. Und das hast du so einfach hingekriegt?“ Er sah direkt Lian an und nickte anerkennend – ein langsames, männliches Nicken, was wohl zeigen sollte, dass er Lian als Mann akzeptierte. So richtig männlich. „Ich werde euch natürlich gleich die Belohnung aushändigen, aber keine Sorge: Ich werde noch einmal lobend erwähnen, wie schnell ihr hier gewesen seid, und wie einfach du die Situation lösen konntest.“ Wieder ein Nicken, und Arkos verschränkte die Arme vor der Brust. Überhaupt nicht vorwurfsvoll, weil er ehrlich gesagt kurios fand, wie einfach die Männer davon ausgingen, dass es genau so war, wie sie sich vorstellten. Aber es war am Ende des Tages wahrscheinlich auch wirklich egal: Wer das Problem gelöst hatte, war nicht so wichtig. Wichtiger war, dass es gelöst war, und das war auch alles, was den Rotschopf interessierte. „Wenn ich eine Bitte äußern dürfte…“, sagte er trotzdem frei heraus, und sah den Vorarbeiter taxierend an. „Ich würde mich freuen, wenn ihr einen Kontakt zwischen den Verantwortlichen hier und mir herstellen könntet. Ich bin Schmied und immer interessiert daran, gutes Material zu kaufen.“ Der Mann musterte Arkos, ein wenig abschätzig, nickte dann aber und zuckte mit den Schultern. „Klar, immerhin hast du dem A-Rang-Magier geholfen, das Schlamassel hier aufzuklären. Irgendwann wirst du sicher auch so stark sein wie er. Hoho!“ Der Mann klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und sah dann zu Lönne. „Er wird euch zurückfahren. Dieses Mal aber über die sicherere Route, nicht wahr, Lönne?“ „… vielleicht“, antwortete der große Blondschopf und… Arkos war wirklich geschockt, in seinen Augen etwas wie Amüsement funkeln zu sehen. Erstens weil er das offenbar empfinden konnte, und zweitens weil es eine sichere Route gegeben hätte?
Arkos seufzte leise, nachdem auch die letzten Arbeiter verschwunden waren und sie sich wohl erstmal am nächsten Tag um Aufräumarbeiten kümmern würden. „Übrigens, ich erinnere mich daran, dass du etwas von Pfeilspitzen erzählt hast“, merkte er an und sah den Braunhaarigen kurz an, während sie Lönne (der nur ein kurzes Zeichen gegeben hatte) zu dem Hundeschlitten folgten. „Wenn du mal in Maldina bist, besuch‘ mich in der Schmiede ‚Zur ewigen Flamme‘. Mein Ziehvater Mimir könnte uns dabei behilflich sein.“ Der Rotschopf packte sich bewusst wieder ein wenig mehr ein, weil die Kälte jetzt schon ein wenig schneidender wurde, und grummelte ein wenig vor sich hin. „Vielleicht sollte ich mir in Crystalline Town einen Unterschlupf für die Nacht suchen… und ein schönes heißes Bad nehmen. Ist ja kaum auszuhalten hier, oder?“
„Sie vermuten was?!“ Die Stimme des Bogenschützen war zum Schluss hin eine Spur zu laut und schrill geworden, aber er konnte den Unglauben beim besten Willen nicht überspielen. Aus riesigen Augen heraus starrte Lian seinen Questkollegen an und wartete darauf, dass man ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte und dieser Scherz aufgelöst wurde. Denn das musste es doch sein: Ein schlechter, richtig schlechter Witz: Oder? Bitte? Wo war die versteckte Kamera? Lian wartete vergebens, denn der Schmied hatte nicht vor, seine Worte zurückzunehmen. Und so stand der Braunhaarige da, mitten im Schneegestöber und öffnete die Lippen wie ein Fisch, der überfordert nach Luft schnappte. Diese Minenarbeiter konnten doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass er diese Bestie erlegt hatte – dazu noch mit einem Fingerschnippen! Hatten die ihn mal angesehen? Lian war ein Lauch. Eine Bohnenstange. Ein Streichholz. Ehe er dieser Bestie auch nur ein Haar hätte krümmen können, wäre er selbst in der Mitte einfach ZACK durchgebrochen worden. Die frohlockende Stimme des Minenvorarbeiters, der gemeinsam mit Lönne auf die Magier zutrat, machte die Situation keineswegs besser. Mehrfach betonte auch dieser Mann, dass es Lian gewesen sein sollte, der die Menschen aus der Höhle gerettet, der mit bloßen Händen die gigantischen Felsen aus dem Weg geräumt und auch das Monstrum im Inneren besiegt hatte. Auch wenn sie es nicht sagten, Lian wusste ganz genau, was es für Bilder waren, die diese fremden Männer im Kopf hatten: Er, der die Bestie mit den eigenen Händen furchtlos erdrosselte und lachte, weil es ihn nicht einmal ins Schwitzen brachte. Instinktiv legten sich die Fingerkuppen des 20-Jährigen an seine Wange, auf der noch der feine Schnitt zu erkennen war, der ihm von Minervas Klinge zugefügt worden war. Auch dieser Schnitt würde sich in die Geschichte einarbeiten lassen – die einzige Spur, die die Bestie auf dem stahlharten Körper der Sphynx hinterlassen hatte. Oft genug kam sich Lian wie ein verdammter Hochstapler vor, nicht selten provozierte er es sogar ganz bewusst. Aber das hier war anders – das Gefühl, hier gerade unzählige Menschen eiskalt betrogen zu haben, stieg in ungeahnte Höhen und schnürte ihm die Luft ab. Lian wollte diesen Irrtum wirklich aufklären, aber nicht nur plapperten die Minenarbeiter durcheinander und ließen ihn gar nicht erst zu Wort kommen… er hatte es Minerva auch versprochen. Niemand sollte wissen, dass die Wizard Saint in dem Höhlenkomplex gesichtet worden war. Da auch Arkos nicht einschritt sondern die unverdienten Lorbeeren ganz bewusst dem Falls – diesem unglaublichen A-Rang-Magier – überließ, blieb Lian gar nichts anderes übrig, als zu schweigen. Schweigen und darauf warten, dass das alles bald vorüber wäre. Der Falls schloss die Augen, als sich die Aufmerksamkeit endlich von ihm abwandte und der Schmied die Kontakte sowie die gute Stimmung nutzte, um sein eigenes Schmiedegeschäft voranzubringen. Lian war das nur Recht, denn so konnte er sich kurzzeitig wegdrehen und einen stummen Schrei ins Nichts entsenden. Die Sache mit der sicheren Route hinab ins Tal bekam er dadurch nicht einmal mehr mit. Besser so – ansonsten wäre Lian vermutlich endgültig durchgedreht.
„Ich kann nicht fassen, dass die ernsthaft glauben, ich hätte dieses Monster besiegt. Du hättest ruhig etwas sagen können!“ Der junge Mann klang eindeutig vorwurfsvoll, als er gemeinsam mit Arkos in Richtung Hundeschlitten ging. Natürlich hatten es sich die Minenarbeiter nicht nehmen lassen, einer nach dem anderen doch noch auf den mächtigen A-Rang-Magier zuzutreten und ihm ihre aufrichtige Dankbarkeit für die Rettung aus der verschütteten Höhle mitzuteilen. Manche von ihnen waren sogar so mutig gewesen, Lian zu berühren, ihm die Schulter zu klopfen – und dann ganz geschwind wieder auf Abstand zu gehen, nicht dass die Stimmung des Falls doch noch kippte und sie seine mächtige Magie ebenso zu spüren bekamen. Lian war es wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis man ihn endlich in Ruhe gelassen hatte und er sich nun wieder mit Arkos in trauter Zweisamkeit befand. „Scheiße, haben die mich mal angesehen? Wie kommen die auf so eine abstruse Idee? Himmel, deshalb sind Minenarbeiter mehr für ihre Muskeln als für ihre Intelligenz bekannt“, motzte der Falls weiter, mehr im Selbstgespräch als wirklich an den Satyrs Magier gerichtet, der gleich neben ihm ging. Ein tiefer Seufzer entfloh Lians Lippen und er ließ die Schultern hängen. „Naja. Immerhin haben wir es jetzt hinter uns gebracht. Sollen diese Leute sich doch erzählen, was sie wollen. Sie werden meinen Namen und alles, was hier geschehen ist, nächste Woche schon wieder vergessen haben.“ Eine Annahme, die kaum weiter von der Realität entfernt sein konnte, aber auch das würde Lian noch früh genug bemerken. Für den Moment jedenfalls drehte er sich zu Arkos und nickte. „Wie gut, dass ich in letzter Zeit ohnehin immer wieder in Maldina bin. Ich werde vorbeischauen.“ Er lächelte und streckte dem Aurelius dann tatsächlich die Hand entgegen. „Danke für die gute Zusammenarbeit. Ich war mir anfangs ja nicht sicher, aber du bist ein ziemlich korrekter Typ. Auch wenn du mich am Ende vor den Minenarbeitern schändlich im Stich gelassen hast.“ Ja, diesen Vorwurf konnte sich Lian einfach nicht verkneifen. Nochmals musterte er Arkos, dachte an die Dinge, die in der Mine geschehen waren. Dieser winzig kleine Moment, als der Rothaarige seine Menschlichkeit irgendwie verloren hatte. Auch Minerva schien irgendetwas Besonderes in dem Schmied erkannt zu haben. Lian wusste zwar nicht, was es war, doch es änderte nichts daran, dass er überzeugt davon war, dass Arkos einige Geheimnisse verbarg. Da gab es sicherlich noch vieles herauszufinden – aber nicht jetzt, nicht heute. „Na schön, lass uns lieber früher als später zurückkehren.“ Mit diesen Worten setzte sich Lian auf den Schlitten, ganz genau auf den Platz, auf dem er auch zu Beginn dieser Quest gesessen hatte. „Ich werde den ersten Zug zurück in die Wüste nehmen, den ich kriegen kann. Ich habe wirklich genug von dieser schrecklichen Kälte.“ Und gemeinsam mit der Kälte wollte der Falls auch all die merkwürdigen Geschehnisse und die Gerüchte der Minenarbeiter weit hinter sich zurücklassen. Aber… Gerüchte verbreiteten sich schnell. Schneller, als es ein Lian Falls in diesem Augenblick einzuschätzen vermochte.
Plot-Off – Fragments of Memory Teilnehmer: Eohl, Aurea
Es war eine neutrale Location, die Royal Crusade gewählt hatte. Eine von vielen Minen, die eine große Firma auszuschlagen versuchte, eigentlich noch aktiv. Aktuell jedoch war nichts und niemand darin zu sehen. Nach einem erheblichen Einsturz, in dem essenzielle Teile des Höhlensystems komplett verschüttet oder instabil geworden waren, hatte man die Arbeit hier eingestellt, zumindest temporär. Es war nicht sicher, diesen Ort zu betreten, aber Sicherheit war noch nie gewesen, was eine dunkle Gilde interessierte. Wer stets am Rand der Gesellschaft in den Schatten lauerte und schlussendlich mächtige Angriffe auf die Zivilisation als Gesamtes startete, der tanzte mit ganz anderen Gefahren als einstürzenden Höhlen. Und wer solche Gefahr nicht fürchtete, der würde die Ruhe dieses Ortes genießen. Es war ein wundervoller Ort, um sich mit Leuten zu treffen, die man nicht zu sich nach Hause einladen wollte. Auch wenn sie bereit waren, mit der dunklen Gilde Snake Eyes zu kooperieren, bedeutete das noch lange nicht, dass sie einem Außenstehenden verraten würden, wo sie zu finden waren.
„Wir sind bald da“, sprach Eohl ruhig, ihr Gesicht verdeckt von der Kapuze ihres Umhangs. Es war stürmisch heute, ein kalter, steifer Wind, der den Schnee durch die Welt trug. Ein ungemütlicher Tag für ein ungemütliches Unterfangen. Eohls Aufgabe war eine einfache, aber keine angenehme. Sie war beauftragt worden, ihre Erinnerungen, an die sie selbst kaum herankam, aufzuopfern zum Wohle einer anderen Gilde. Snake Eyes... Früher waren sie mal bekannt gewesen, zu einer Zeit, an die sich die Yihwa nicht erinnerte. Jetzt, mit dem Ausbruch aus dem Ashmound Royal Prison, traten sie wohl wieder auf den Plan, weil sie ihren Kopf zurück hatten... so in etwa hatte sie es verstanden von der kurzen Erklärung, die Lord Charis ihr gegeben hatte. Es war eine sonderbare Aufgabe, die er ihr übertragen hatte. Eine außergewöhnliche. „Lord Charis meint, ich bin das einzige Mitglied der Gilde, dem er einen Auftrag wie diesen anvertrauen würde“, meinte sie unter ihrer Haube, ließ ihren Blick kurz hinüber zu ihrer Begleiterin wandern. Aurea wusste, worum es heute ging. Sie war Eohls Begleitung, die einzige, die sie hatte. „Es ist eine große Ehre, dass mir so ein Vertrauen entgegen gebracht wird.“ Auch wenn die Yihwa nicht ganz verstand, wieso gerade sie sich für eine Quest wie diese eignete. Sollte es nicht eigentlich andersrum sein? Wäre nicht jemand mit einem besseren Gedächtnis besser dafür geeignet? Auch wenn der Grünhaarigen bewusst war, dass sie sich geehrt fühlen sollte, konnte sie das nur auf einer logischen Ebene hervorheben. Ihr Innenleben sah nichts davon. Sie verstand ihre Aufgabe nicht wirklich, verstand auch nicht, warum es ihre Aufgabe war. Und sie fühlte sich nicht wohl damit.
Aber all das war Innen. Nichts davon hatte eine Bedeutung. Eohl Yihwa hatte einen Auftrag erhalten. Sie würde ihn fehlerfrei ausführen.
Das lange, silberne Haar war zusammengebunden und sicher unter der Kapuze verdeckt, sodass niemand die trügerische Farbe zu sehen bekam. So verhielt es sich auch mit den Augen der jungen Frau, über welche sie wie immer ein schwarzes, transparentes Band gebunden hatte, damit man sie nicht erkennen konnte. Der Umhang verhüllte ihre Gestalt, wenngleich man aufgrund des zierlichen Körperbaus erahnen konnte, dass sich eine Frau darunter verbarg. Diese Tunnel waren erdrückend und Aurea fühlte sich hier absolut nicht wohl. Es war ein unbehagliches Gefühl. Diese Mine könnte über ihr einstürzen und würde ihr ein schnelles Ende bescheren. Ein kaltes, dunkles Grab. Außerdem war die Luft stickig und es war dunkel. Hoffentlich würden sie schnell wieder den Weg nach draußen finden. Wann immer Aurea das Gefühl hatte, Eohl beschleunigte ihre Schritte, griff sie sanft nach ihrer Hand, um sich an ihr festzuhalten. Sie wollte die Yihwa auf keinen Fall in diesem Labyrinth verlieren.
Aurea war ein Teil dieser furchtbaren Angelegenheit. Ihre Aufgabe war es, zu schweigen. Sie hatte nicht zu sprechen, nicht zu diskutieren oder zu streiten. Sie war vorab gewarnt worden, den inneren Moralapostel zu zügeln - nur mit anderen Worten. Die Dhakalis hatte nur eine Aufgabe: Eohls körperlichen Zustand überwachen und bei Bedarf als Heilerin handeln. Ziel war es, die Yihwa wohlauf zurück zur Gilde zu bringen. Was auch immer Aurea davon hielt, was der Meister von Eohl verlangte, hatte hier keinen Platz. Für Aurea war es pervers, moralisch nicht vertretbar und ein absolut unsägliches Unterfangen. Erinnerungen einer Person in die Gedankenwelt einer anderen Person einzupflanzen. Wie konnten sie nur? Die Dhakalis wusste: Das war schwarze Magie. Verbotene Magie. So etwas konnte nicht rechtens sein. Und sie machte sich Sorgen um Eohl. Ihre Erinnerungen waren das größte Geheimnis der Yihwa und verursachten so viel Leid bei ihr. Ja, Aurea wollte auch an sie gelangen. Aber auf liebevolle, geduldige Art. Mit dem Ziel, ihr diesen Dämon Royal Crusades auszutreiben. Doch die Aufgabe der Heilerin war deutlich kommuniziert worden: Misch dich nicht ein.
„Ja.. womöglich hast du recht. Es ist eine Ehre“, murmelte Aurea, doch ihr Herz schlug verärgert gegen ihren Brustkorb. In letzter Zeit übermannte der Zorn sie immer öfter und es fiel ihr schwerer, die Fassade aufrecht zu erhalten. „Vielleicht auch eine Bürde“, fügte sie also finster an. Lord Charis warf diesen Menschen Eohl zum Fraß vor, nichts anderes sah Aurea. Und er wusste genau, dass sie seine Befehle befolgen würde. Sie hasste ihn dafür. Obwohl sie im Gleichschritt nebeneinander hergingen, griff Aurea dennoch nach der Hand der Yihwa. „Es gefällt mir nicht. Das ist nicht gut, Eohl. Hast du keine Angst vor schwarzer Magie? Lord Charis mag keine Rücksicht darauf nehmen, doch mir liegt dein Wohl am Herzen. Es sind deine Erinnerungen, sie gehören dir. Ist es nicht eigenartig, dass eine andere Person sie bekommen soll und sie als ihre eigenen erkennt? Was macht das mit dir?“ Wenn Aurea schon nicht sprechen durfte, wenn der Prozess im Gange war.. dann würde sie eben jetzt auf Eohl selbst einwirken.
Es war fast schon ironisch, dass Aurea die einsturzgefährdete Mine fürchtete, während Eohl, die noch ein gutes Stück fragiler war, keinerlei Sorge verspürte, dass etwas passieren könne. Selbst als die Decke über ihr einmal leise knackte und als anderes Mal ein kleines Steinchen aus einer der Wände herausbrach und klackernd zu Boden fiel, zuckte sie nicht einmal leicht, verengte nicht einmal ihre Augen. Stur blickte sie weiter nach vorne, achtlos auf dem Weg zu ihrem Ziel. Sie hatte schließlich eine Aufgabe zu erfüllen. Nur, als Aurea ihre Hand ergriff, sah sie zu ihr herüber und schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Selbst wenn sie arbeitete, konnte sie nicht anders, als sich über die Anwesenheit ihrer süßen Freundin zu freuen. „Eine Bürde?“, fragte Eohl überrascht, aber auch nachdenklich. Ihr Blick hob sich, glitt hinauf zur rissigen, steinernen Decke. „Ja, es ist wohl auch eine Bürde.“ Es war technisch gesehen eine sehr einfache Aufgabe, aber gleichzeitig gefiel es wohl keinem Menschen, wenn ein anderer in seinen Kopf griff und sich an den Inhalten bediente. Nicht einmal Eohl. Außerdem wusste sie nicht, was mit dem Wissen, das sie übergab, angestellt wurde. „Es ist Nichts, das jemand freiwillig machen würde“, stellte sie fest. „Ich bin froh, dass ein Sinn dahinter steht.“
So viel verstand die Yihwa also tatsächlich. Insofern war es für sie auch nicht im Grundsatz unverständlich, als Aurea meinte, dass es ihr nicht gefiel. Dass sie diese Art der Magie nicht guthieß und dass ihr der Auftrag nicht gefiel. Die Assassine schmunzelte und strich mit ihrem Daumen beruhigend über den Handrücken der Jüngeren. „Eventuell ist es ein wenig eigenartig“, nickte sie, bestätigte Aureas Gedanken. „Aber du musst das aus einer anderen Perspektive sehen.“ Trotz ihrer eigenen Sorgen und dem unwohlen Gefühl ihn ihrem Bauch zögerte Eohl nicht damit, ihren Auftrag zu erledigen. Sie sollte auch eigentlich nicht daran zweifeln. Denn wenn sie ehrlich mit sich selbst war, hatte sie gar keinen Anspruch auf das, was sie heute weggab. „Meine Vergangenheit ist längst verloren. Meine Gegenwart ist Royal Crusade verpflichtet. Mir gehört einzig und allein die Zukunft. Und zum Wohle der Zukunft stört es mich nicht, einen Teil von mir zu geben, der ohnehin nicht mir gehört... sondern unserer Gilde.“ Wenn man es so sah, dann war doch alles in Ordnung, nicht wahr? Sie brauchte nichts aufzugeben, weil sie ohnehin nichts hatte, und es war ganz normal, dass Lord Charis über etwas bestimmte, das ihm gehörte. Auch wenn dieses Etwas ihre Erinnerungen waren.
„Ah, da sind wir“, stellte Eohl fest, als sie einen etwas größeren Hohlraum erreichte, in dessen Mitte bereits eine Art steinerner Tisch platziert war, mit seltsamen Einkerbungen und Lederriemen, die daran festgemacht waren. Er passte nicht zu einer Mine, gehörte hier sicherlich nicht hin. Das war das Zeichen, nach dem sie gesucht hatten. „Unser Auftraggeber ist sicherlich bald hier“, lächelte sie unbesorgt und lehnte sich an eine der brüchigen Höhlenwände. „Und dann dauert es nicht lange, bis unsere Aufgabe erfüllt ist. Wir können bald zurück nach Hause, wo du dich wohler fühlst, in Ordnung?“
Mit ungläubig verzerrtem Gesicht sah Aurea Eohl an. Ihr war also bewusst, dass das eine Bürde war? Mit einer Ehre hatte das für die Dhakalis nichts zu tun. Doch sie wusste, dass Eohl Yihwa sich niemals gegen einen Befehl stellen würde. Auftrag war Auftrag, das wurde nicht hinterfragt. Innerlich schnaubte die Heilerin aus. Vielleicht müsste sie Eohl mal einen Befehl geben! Doch dann wurde ihr Gesicht nachdenklich. Würde sie diesen befolgen? War Aurea ihr überhaupt Weisungsbefugt? Nun, objektiv betrachtet nicht. Doch wer verstand schon etwas von der subjektiven, unvergleichbaren Wahrnehmung der Yihwa? Nicht einmal Eohl selbst schien Eohl zu verstehen. Aurea verzog den Mund, als die Assassine von einem Sinn hinter der Sache sprach. Doch sie wusste, dass sie nicht mit ihr diskutieren konnte. Gegen diese Hörigkeit konnte die Heilerin nicht ankommen. Also seufzte sie leise und rang sich zu einem sanften Lächeln durch. „Ich werde jedenfalls auf dich aufpassen“, versicherte sie ihr aufrichtig.
Leider konnte Aurea der Perspektive von Eohl nicht folgen. Natürlich verstand das Silberhaar, was sie ihr sagen wollte. Aber Aurea hatte nun einmal ein anderes Verständnis von Identität. Und dieses schloss all die Erfahrungen der Vergangenheit mit ein. Wer sich davon abspaltete und das einer anderen Person zuschrieb, der war vielleicht nicht.. gesund. Aurea würde es ihr am liebsten sagen. Am liebsten würde sie sie sogar anschreien und ihr deutlich machen, dass ihre Vergangenheit immer Eohl, die Runenritterin sein würde und das diese Kapitel genau so zu ihrem Leben gehörte, wie die Gegenwart. Doch was würde das bringen, außer Frust, Streit und Kopfschmerzen? „Bei mir ist das anders“, entgegnete Aurea entschlossen. „Mir gehört meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft. All das eint mich als Person oder wird mich als Person einen. Es gibt kein Ich aus meiner Vergangenheit, nur mich als Ganzes. So wie bei allen Menschen“, machte sie deutlich und hoffte inständig, Eohl verstand, was sie ihr damit sagen wollte. Aurea wirkte durchaus verärgert und weniger sanft als sonst. Sie war nicht böse auf Eohl, ganz und gar nicht. Sie hasste alles um Eohl herum.
Schon als die Dhakalis diese Steinerne Tischplatte mit den Lederriemen sah, an welche ihre Freundin nachher fixiert werden würde, wurde ihr schlecht. Hilflos sah sie zur Grünhaarigen, welche beruhigend auf sie einreden wollte. Sie wären bald zuhause, wo sie sich wieder wohler fühlen würde.. „Das hilft mir aber nicht. Ich würde mich wohler fühlen, wenn man dich dieser widerlichen Sache nicht ausgeliefert hätte“, murmelte Aurea nach außen hin kraftlos, doch innerlich spürte sie deutlich ihren erhöhten Puls. Sie biss sogar die Zähne bereits zusammen, hatte ihre Hände zu Fäusten geballt. Und dann bröckelte ihre Mauer. „Aber du.. du hast natürlich wieder bereitwillig zugesagt und sprichst von einer Ehre!“, stieß sie in vorwurfsvollem Ton völlig unvermittelt hervor und Tränen bildeten sich in Aureas Augen. „Das ist nicht fair, Eohl! Ständig sprichst du von Zukunfts-Eohl! Aber wenn du so weiter machst, dann wird es keine Zukunft für dich geben! All den Obrigkeiten Royal Crusades, deiner Gegenwart, wenn du so willst, ist es doch völlig egal, was mit dir passiert! Sie werfen dich Fremden zum Fraß vor ohne Rücksicht auf Verluste! Aber mir ist das nicht egal! Ich will eine Zukunft, in der du lebst! Und damit bin ich nicht die einzige, das weißt du genau!“, weinte Aurea mit impulsiver, aber tränenerstickter Stimme. Neferet würde es auch nicht wollen. Zählte das denn gar nichts für Eohl?
“Ich verlass mich auf dich, hehe”, kicherte Eohl hinter vorgehaltener Hand, als Aurea meinte, sie würde auf sie aufpassen. Wie süß die Dhakalis sich um sie kümmerte, da ging ihr glatt das Herz auf! Auf genau die gleiche Weise lächelte Eohl, als die Jüngere meinte, dass ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft allesamt gleichermaßen ihr selbst gehörten. “Das ist beeindruckend”, nickte sie. Ihre Stimme war warm, liebevoll. Es klang allerdings nicht so, als würde sie das, was ihre Freundin allen Menschen zusprach, auch auf sich projizieren. Wenn alles so lief, wie es sollte, dann würde die Yihwa wohl auch eines Tages wieder Kontrolle über ihr Leben erhalten. Sie kicherte noch einmal. “Du bist so ein starkes Mädchen, Aurea…” Ihre Ansichten waren in vielerlei Hinsicht wie Tag und Nacht. Auch wenn sich die beiden Crusaderinnen mochten, sie ähnelten sich nicht. Nicht in ihrer Moral, nicht in ihren Zielen, nicht in ihrem Selbstbild. Sie hatten beide Selbstzweifel und Sicherheiten, aber die Schnittmenge war praktisch nicht existent. Entsprechend schwer tat sich Eohl damit, ihre Freundin emotional zu stützen. Dass Versprechen, dass sie bald wieder zuhause waren, schien die Dhakalis nicht zu beruhigen, im Gegenteil. Sie regte sich richtig auf. “Ja… ich habe zugesagt”, nickte die Assassine. Das wussten sie beide. Was genau stimmte damit nicht? Verwirrt sah sie die Jüngere an. “Aurea… du klingst ja richtig aufgebracht”, stellte sie fest, legte fragend den Kopf schief. Irgendwie kam der Yihwa das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. “Ich… ich lebe doch in der Zukunft”, stellte sie klar. “Ich habe es schon gesehen. Solange Royal Crusade gewinnt, werde ich leben. Ich sterbe nur, wenn die Bösen gewinnen.” Ein strahlendes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. “Also ist es nur natürlich, dass Royal Crusade mein Leben so benutzen kann, wie sie wollen. Ohne sie hätte ich überhaupt keins.” Sie lachte fröhlich auf und trat näher an Aurea heran, breitete ihre Arme aus für eine Umarmung. “Aber ich weiß zu schätzen, dass du dich um mich sorgst”, fügte sie leise hinzu. “Das fühlt sich… wirklich schön an. Auch wenn ich es lieber hätte, wenn du glücklich bist.”
Eohl hoffte darauf, dass sie und ihre Freundin noch einen schönen Moment teilen konnten. Dass Aurea nicht sauer blieb. Denn viel Zeit zu zweit hatten sie nicht mehr. Der Körper der Yihwa versteifte sich leicht, als sie es wahrnahm. “... er ist da”, stellte sie fest und löste sich von der Dhakalis, stellte sich aufrecht hin. Ihr Blick ging hinüber zu einer fest wirkenden Wand eingestürzter Gesteinsbrocken, aus deren Richtung leise Geräusche kamen. Schritte. Als wären sie gar nicht da, trag jemand durch die Steine hindurch, eine dunkle Gestalt, gehüllt in eine schwarze Rüstung und einen schwarzen Umhang mit Zeichen darauf. Selbst die Maske, die sein Gesicht bedeckte, war mit einem einmal durchkreuzten, blauen Kreis versehen. Auf seiner Schulter trug der Fremde den Körper einer Frau - grüne Haare, dunkle Haut. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, verborgen unter dem Haar, das von ihrem Kopf so kraftlos herab hing wie der Rest ihres Körpers. “Ich hoffe, ich komme nicht in einem ungelegenen Moment”, sprach die maskuline Stimme des Herren, leicht gedimmt durch seine Maske. Auch wenn Eohl es nicht wirklich festmachen konnte, erinnerte seine Stimme sie an eine Schlange. Wie seltsam. “Wir haben bereits gewartet”, stellte Eohl fest und verneigte sich höflich - eine Geste, die ihr im Gegenzug nicht entgegen gebracht wurde. “Es ist ein guter Zeitpunkt.” “Gut, gut. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Ich habe viel über Sie gehört, Frau Yihwa”, meinte er, und auch ohne sein Gesicht zu sehen glaubte Eohl, ein Lächeln in seiner Stimme zu hören. Dann wandte er sich Aurea zu. “Und Sie sind…?”
Der entschlossene, beinahe eiserne Gesichtsausdruck wich langsam einer ungläubigen und enttäuschten Miene. Wie so oft bereits hatte Aurea versucht, Eohl klar zu machen, dass sie keine Marionette war, sondern ein Mensch mit Seele und Verstand. Sie gehörte niemandem, sondern sollte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Und auf sich aufpassen. Doch alles, was die Yihwa für Aurea übrig hatte, war ein niedliches Kichern und das Kompliment, was für ein starkes Mädchen sie doch sei. Eohl verstand einfach nicht, was Aurea versuchte, ihr zu sagen. Sie konnte es nicht verstehen, wahrscheinlich durfte sie es auch gar nicht verstehen. Manchmal vermittelte Eohl der Heilerin unbewusst das Gefühl, als rede sie absoluten Schwachsinn. Aber so war es nicht! Eohl war schwachsinnig! Sie war.. Aurea erschrak über ihren Gedanken. Nein. Eohl war das Opfer von schrecklichen Menschen. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in der Dhakalis aus.
Doch es hielt nicht lange an, denn als die Grünhaarige Aurea eigentlich beruhigen wollte, riss der Geduldsfaden der Heilerin. Sie machte Eohl Vorwürfe, redete ihr ins Gewissen und versuchte, ihr die Wahrheit aufzuzeigen. Keiner von diesen Verbrechern der dunklen Gilde meinte es gut mit Eohl! Doch die Assassine wirkte lediglich verwirrt, erklärte ihre Zukunft und sprach sogar davon, dass die Feinde Royal Crusades die Bösen waren. Aurea senkte den Blick und trocknete ihre Tränen widerwillig. Sie war so wütend und doch so hilflos. Dann spürte sie die Umarmung Eohls. Aurea schloss die Augen und ihr Körper bebte, kostete es schließlich viel Kraft, das Schluchzen zu unterdrücken. „Natürlich sorge ich mich um dich“, jammerte Aurea leise. „Aber glücklich kann ich nicht sein“ Nicht, so lange die Bösen ihr Unwesen trieben. Und nicht, solange Aurea und Maxwell ein Teil von ihnen sein mussten.
Während der Umarmung spüre Aurea, wie Eohl sich versteifte. Fragend blickte sie auf und bemerkte ebenfalls, dass jemand kam. Im ersten Augenblick erschrak die Verhüllte fürchterlich, als sie sah, wer da regungslos über der Schuler des Fremden hing. Dunkle Haut und grüne Haare. Obwohl Eohl neben ihr stand, hatte Aurea kurz den Gedanken, ihre Freundin wäre diejenige, die gefangen genommen worden war. Sie schüttelte leicht den Kopf und fokussierte sich auf die Situation. Man erkannte den Mann unter der Rüstung nicht. Er war zwar laut der Stimme männlich, doch irgendwie klang seine Aussprache eigenartig. Dann wirkte er ein wenig freundlicher, als er sich kurz mit Eohl austauschte. Erst, als er sich Aurea zuwandte und sich erkundigte, wer sie war, wirkte er wieder etwas desinteressierter. „Nennt mich Whisper“, entgegnete die Heilern kalt und knapp. Die übliche Wärme und Freundlichkeit war in diesem Augenblick nicht mehr zu finden. „Ich kümmere mich um das Wohl von Eohl Yihwa und sorge dafür, dass dieser Prozess ihr nicht schadet“ Aurea musste sich einige Adjektive verkneifen, wie sie das Vorgehen gerne beschreiben würde. Dann deutete Whipser auf die Person, welche der Mann mitgeschleppt hatte. „Ihr werden die Erinnungen eingepflanzt? Wer ist sie?“, wollte sie wissen. Aurea hatte genug davon, um den heißen Brei herumzureden.
Es war nicht immer ganz einfach, sich um Aurea zu kümmern. Eohl bemühte sich, ihr die Sorgen zu nehmen und ihr ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, aber manchmal fühlte es sich an, als würden sie komplett aneinander vorbei sprechen. Verwirrt blickte die Yihwa hinab auf den silbernen Schopf der Freundin in ihren Armen, die meinte, dass sie nicht glücklich sein könne. Aber... warum nicht? Die Yihwa war der Meinung, ihr gerade guten Grund gegeben zu haben, glücklich zu sein, aber irgendwie kam davon nichts an. Die Chance, weiter nachzufragen, bekam sie allerdings nicht. Die beiden Magierinnen waren nicht länger allein. Ordentlich aufgestellt und den Rücken gerade blickte Eohl den freundlichen, maskierten Herren an, der den Raum gerade betreten hatte, über seiner Schulter liegend die Frau, die wohl bald die Erinnerungen der Yihwa erhalten würde. „Sie ist ein Flüchtling aus Seven, vermutlich mit Wurzeln in Desierto. Sie hat keine Familie in diesem Land und die passende Hautfarbe. Die Haare sind gefärbt“, antwortete er geduldig auf Whispers Frage danach, wer die ohnmächtige Frau sei, die er mitgebracht hatte. Unsanft senkte er ihren Körper hinab auf den Tisch, der hier in der Mine so unpassend wirkte. Dabei rutschte ihr Haar beiseite. Auch wenn Haut- und Haarfarbe passten und Frisur und Körperbau nah genug an der Yihwa waren, genügte ein einziger Blick ins Gesicht, um den Unterschied zwischen ihnen zu sehen. Nein, das hier war nicht Eohl Yihwa. Ihre Gesichtsform war anders, ihre Nase größer, ihr Mund niedriger, ihre Lippen schmaler. Sie hatte Falten, die Eohl nicht hatte, eine höhere Stirn, ihre Wangenknochen saßen anders. Wer Eohl Yihwa persönlich kannte, würde sie nicht durcheinander bringen, doch das waren nicht viele Menschen in Fiore. Als jemand, der vor den Runenrittern und einfachen Zivilisten, die nur ihre Phantombilder kannten, als Eohl auftreten sollte, um ein wenig Aufregung zu verursachen, würde sie wohl reichen. Für mehr nicht. Wenn sie erst einmal gefangen genommen wurde, würde niemand glauben, dass sie jetzt die große Kriminelle Eohl Yihwa hinter Gitter gebracht hatten.
Mit langsamen, entspannten Bewegungen befestigte der Maskierte die Hände der Ohnmächtigen an dem Tisch, eine Sicherheitsmaßnahme, falls sie aufwachte. Eohl, indes, betrachtete von ihrer Position aus die Zeichen auf seiner Kleidung und seiner Maske. „Du hast dich noch nicht vorgestellt“, bemerkte sie, eine Aussage, auf die der Mann nicht reagierte. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Du bist der, den sie One Face Among Many nennen, nicht wahr?“ Dieses Mal stoppte er, sein Blick hob sich. Seine ausdruckslose Maske sah hinauf in das kühle Gesicht der Yihwa, während er den letzten Riemen festzog. „Ich erinnere mich nicht, Royal Crusade diesen Namen mitgegeben zu haben“, stellte er fest, und Eohl schüttelte den Kopf. „Hast du nicht.“ Ein paar Momente lang herrschte Stille, als er eine Erklärung erwartete, die nicht kam. Schlussendlich, während er vom Tisch aufstand, lachte er auf. „Es ist wahrlich eine Freude, mit Ihnen zusammen zu arbeiten, Frau Yihwa“, meinte er amüsiert und machte eine einladende Geste in Richtung der freien Riemen. „Wenn ich bitten darf?“ „Aber natürlich, Face“, antwortete Eohl mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht und kicherte in einem leisen „Ehehee!“ Ohne zu zögern ging sie hinab auf ihre Knie, legte ihre Hände an die vorgesehenen Stellen des steinernen Tisches. Sie hatte nicht vor, sich gegen diesen Prozess zu wehren, genau dafür war sie schließlich hier. Auffordernd deutete Face auf Aurea, dann hinab auf die Yihwa. „Frau Whisper, Sie sagten, Sie sind hier, um das Wohl von Frau Yihwa sicherzustellen?“, meinte er, seine Stimme entspannt, ruhig. „Dann würde ich Sie bitten, die Fesseln anzulegen. Ich bin keine allzu delikate Persönlichkeit, fürchte ich.“
Ein Flüchtling aus Seven, die Wurzeln vermutlich in Desertio. Eine Frau wie Eohl und Aurea, welche jedoch zur falschen Zeit am falschen Ort war und einen ähnlichen Teint hatte wie die Yihwa. Aurea verspürte tiefstes, aufrichtiges Mitleid mit dieser Frau, welche sich wohl nicht einmal im entferntesten Ausmalen konnte, was hier mit ihr geschah. Welch Schicksal ihr bevor bestand, obwohl sie absolut unschuldig war. Die Dhakalis ging alle Möglichkeiten durch, die Pläne des Mannes zu durchkreuzen um sowohl Eohl, als auch die Frau zu retten. Doch sie hatte nicht die Möglichkeiten, um auch nur einen dieser Pläne umzusetzen. One Face Among Many müsste sterben, um beide zu retten. Doch Aurea musste den Tatsachen ins Auge sehen: Dazu war sie nicht in der Lage. Sie müsste ihn dazu anstiften, ihr etwas zu tun, das würde Eohl auf den Plan rufen. Doch wie sollte sie das auf die Schnelle initiieren? Sämtliche Manöver, welche Aurea einfielen, würden auch Eohl irritieren. Die Heilerin arbeitete bereits daran, ihre Fähigkeiten als Magierin zu erweitern. Niemand bis auf Maxwell wusste bisher davon, diesen Vorteil wollte sie sich vorbehalten. Eines Tages wäre sie vielleicht dazu in der Lage, Personen wie One Face Among Many zu stoppen. Doch heute? Heute würde sie zusehen müssen, wie Leben zerstört wurden. Doch Aurea würde warten. Sie würde sich seinen Namen, seine Gestalt und seine Stimme merken und aufmerksam zuhören.
Während Eohl Freude verbreitete und der einladenden Geste auf den steinernen Tisch mit den Riemen folgte, blickte Whisper mit zusammengebissenen Zähnen finster drein. Bis auf ihre Mundpartie war ihr Gesicht nicht zu erkennen, weswegen es nicht auf den ersten Blick auffiel. Immer wieder wich ihr Blick zu der fremden Frau aus und es war für die Dhakalis schier unerträglich, nur zusehen zu können. Sie musste sich einige Kommentare verkneifen, als der dunkle Magier sich selbst als keine delikate Persönlichkeit bezeichnete. Sie musste die Contenance wahren. Also schritt sie an Eohls Seite, welche neben ihr kniete. Doch anstatt sie mit den Riemen an den steinernen Tisch zu fesseln, legte sie ihr die Hand auf die rechte Schulter. Aufrecht stand Aurea da, unerschütterlich und die verhüllten Augen auf den Magier fixiert.
„Das Wohl von Eohl Yihwa ist nicht nur mein persönliches Anliegen, sondern auch das von Royal Crusade“, begann sie, wobei ihr egal war, ob das nun geblufft war oder nicht. „Sollte ihr etwas zustoßen, habt Ihr Euch einen gefährlichen Feind gemacht“, fuhr sie mit gefährlichem Unterton fort. Ungewohnt unterkühlt klang ihre Stimme dabei. Selbst wenn die Gilde kein Interesse an Eohl hatte, Neferet würde One Face Among Many jagen und töten. „Bevor ich sie also an diesen Stein fessle, sagt Ihr mir, wie sicher diese Methode ist. Ich möchte eine Garantie, dass Eohl unversehrt bleibt. Und um das gleich klarzustellen: Euer Wort reicht mir nicht“ Aurea war müde. Sie war diese Verbrecher, diese schrecklichen Menschen leid. Und sie war es leid, zusehen zu müssen. Die Zurückhaltung wich langsam, Frust und Zorn gerieten mehr und mehr in den Vordergrund. Und wenn sich dieser One Face Among Many über sie echauffierte, dann konnte ihr das nur Recht sein.
Die Stimmung, die von Eohl und ihrer Begleiterin ausging, konnte nicht unterschiedlicher sein. Während die Yihwa fröhlich und unbeschwert wirkte, zeigte sich Whisper deutlich skeptischer und grimmiger. Ironischerweise war es damit wohl Aurea, die eine klassischere dunkle Magierin repräsentierte. Jemanden, der alles hinterfragte und seine eigenen Prioritäten ganz vorne anstellte. Insofern zeigte One Face Among Many weder Überraschung, noch Unwillen, als sie begann, Forderungen zu stellen. „Ich hatte diesen Austausch bereits mit eurem Gildenmeister, wenn auch nicht in Person“, erklärte er ruhig, während er geduldig darauf wartete, dass Whisper ihre Aufgabe umsetzte. „Die körperliche und geistige Unversehrtheit von Eohl Yihwa wird von mir gewährleistet. Zumindest in dem Rahmen, in dem man bei ihr zum aktuellen Zeitpunkt von geistiger Unversehrtheit sprechen kann.“ Das war bekanntermaßen nur begrenzt möglich und ein Eingeständnis, das auch die Gilde gemacht hatte. Dennoch hatte er nicht vor, der Grünhaarigen zu schaden. Sie diente als Quelle einer Ablenkung und würde dann als die bekannte Mörderin, die sie war, zu ihrer Gilde zurückkehren. Nicht mehr und nicht weniger. So, wie es aussah, genügte der Silberhaarigen aber sein Wort nicht. Leise lachte One Face Among Many hinter seiner Maske auf. „Nun, das stellt mich vor ein Problem. Wie genau stellen Sie sich so einen Beweis vor, Frau Whisper?“, fragte er höflich, während eine seiner Hände in seiner großen Robe verschwand. Als sie zurückkehrte, hatte sich das Symbol auf seinem Handschuh verändert. Mit gewohnter Ruhe ging er neben der ohnmächtigen Frau hinab auf ein Knie.
„Ich schätze, ich sollte Ihnen zeigen, wie genau die Übertragung funktioniert. Vielleicht beschwichtigt das Ihre Sorgen, Frau Whisper“, sprach Face unberührt, während er seine Hand auf den Kopf seines Opfers legte. In einem sanften Blau begann die Rune auf dem Rücken seines Handschuhs aufzuglühen, und als er seine Hand langsam, aber sicher hob, kam ein kühles Licht mit ihr mit. Das Leuchten, das aus dem Kopf der Frau trat, formte sich in seiner Hand zu einer Kugel aus Licht, die er Aurea präsentierte. „Das hier ist eine Erinnerung. Nur eine einzelne“, erklärte er, während er sie der jungen Dame mit einer Hand hinhielt. Bewegungen und Schemen waren im Inneren der leuchtenden Kugel zu erkennen, aber nicht im Detail auszumachen. „Ihr könnt sie in dieser Form nicht erkennen. Ich kann sie aber auslesen“, erklärte er. „Sie auf diese Weise zu entnehmen ist ungefährlich. Ein Abbild ist noch immer in ihrem Kopf verhalten, das sich langsam wieder zur ursprünglichen Form der Erinnerung entwickelt. Es wird sein, als wäre sie nie entnommen worden... es sei denn, man platziert andere Erinnerungen an ihrer Stelle. Insofern ist der Prozess vollkommen ungefährlich... solange sich die Zielperson nicht wehrt. Wenn sie sich von der Berührung losreißt, ehe der Teil der Erinnerungen, der entfernt wird, abgeschlossen wurde, dann kann es zu Schäden kommen. Um das zu verhindern nutzen wir die Riemen... auch wenn ich bezweifle, dass Frau Yihwa sich auch ohne Riemen wehren würde.“ Aber schlussendlich war das nur eine Annahme. Manche Leute reagierten instinktiv darauf, wenn jemand in ihrem Kopf herumspielte. Manche regten sich sogar, wenn sie nicht bei Bewusstsein waren. Die Frau, die er hier als Gefäß für Eohls Erinnerungen nutzen wollte, war zum Glück leicht zu bearbeiten. Das hatte er bereits im Vorhinein getestet. „Genügt das als Nachweis, Frau Whisper?“, hakte er höflich nach, seine Maske weiterhin der Dhakalis zugewandt. Noch einmal zeigte er ihr die Erinnerung in seiner Hand. „Oder möchten Sie diese hier ordentlich zu sehen bekommen, um zu sehen, dass es funktioniert? Ich kann sie gerne in Ihren Kopf einsetzen. Das ist auch ohne vorherige Entnahme einer anderen Erinnerung möglich.“
Aurea biss die Zähne zusammen, so sehr verärgerte es sie, wie One Face Among Many über Eohl sprach. Ungeniert der Tatsache, dass sie mithörte, äußerte er sich anmaßend über ihren geistigen Zustand. Doch er gewährleistete persönlich ihre Unversehrtheit. Obwohl Aurea ausdrücklich sagte, dass sein Wort nicht reichen würde, beruhigte es sie dennoch ein wenig. Doch sie ließ es sich nicht anmerken. Der Mann drückte seine Ohnmacht aus, einen handfesten Beweis für die Sicherheit der Methode zu liefern. „Ist Eohl Yihwa die erste Person, an welcher ihr dieses Verfahren anwendet? Habt ihr Erfahrungswerte? Überlebende?“, fragte Aurea also weiter und wollte diesen Verbrecher nicht so leicht vom Haken lassen. Es ging hier schließlich um Eohl. Noch immer hatte sie die Yihwa nicht fixiert, stattdessen lag weiterhin ihre Hand sanft auf der Schulter der Grünhaarigen.
Was dann geschah, schockierte Aurea. Sie hätte niemals gedacht, dass so etwas möglich ist. Hat dieser One Face Among Many gerade eine Erinnerung gestohlen? Wie ist das möglich? Wie kann er eine einzelne Erinnerung aus dem menschlichen Gehirn ziehen? Das Herz der Silberhaarigen raste, doch nach außen hin blieb sie ruhig, regelrecht unberührt. Sie musste die Fassung wahren. Doch sie war froh, dass man ihre Augen nicht sehen konnte, denn diese funkelten zu aufgeregt. Objektiv betrachtet war dieses Verfahren, welches der Mann gerade erläuterte, unfassbar faszinierend. Er entzog sich eine Erinnerung, ohne sie zu stehlen. Und doch konnte ihr Platz durch eine andere Erinnerung ersetzt werden. Völlig ungefährlich? Für ihn vielleicht. Subjektiv verurteilte Aurea dieses Verfahren. Es war moralisch verwerflich und konnte in den falschen Händen für schrecklichen Schmerz sorgen. Wieder wanderte der Blick zu der fremden Frau, welche zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ob Aurea etwas für sie tun konnte? Natürlich nicht hier und jetzt. Doch vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Sollte es einen Weg geben, würde Aurea es versuchen.
„Nein. Ich bleibe im Vollbesitz meiner eigenen Erinnerungen“, stellte Whipser unterkühlt klar. Am liebsten würde sie ihm sagen, wie sehr sie dieses Verfahren verurteilte. Aber die Konsequenzen, die Fehlverhalten ihrerseits nach sich ziehen würde, waren die Sache nicht wert. One Face Among Many würde sein Tun deswegen auch nicht überdenken, es wäre vertane Liebesmüh. Also ging Aurea kurz in die Hocke, um mit Eohl auf Augenhöhe zu sein. „Und du bist dir sicher?“, fragte sie ein letztes Mal. Kaum sprach sie mit der Yihwa, klang Whispers Stimme wieder warm und zugewandt. Voller Sorge legte sich die Hand Aureas von der Schulter Eohls fort an ihre Wange. „Ich bin da“ Dann ließ sie von ihr ab, erhob sich wieder in voller Größe und tat schweren Herzens, was getan werden musste. Vorsichtig legte sie Eohl die Gurte an und schnürte sie somit fest.
One Face Among Many lachte leise auf, schüttelte den Kopf als Aurea fragte, ob er diesen Erinnerungszaubers erstmals an Eohl anwendete. “Nein, keine Sorge. Frau Yihwa ist nicht die erste Person. Es gibt viele Erfahrungswerte und genauso viele Überlebende. Dieser Zauber hat nicht das Potenzial, jemandem das Leben zu nehmen.” Zumindest nicht im Moment des Wirkens. Natürlich gab es Personen, die später gestorben waren. Auf natürliche Weise, auf unnatürliche Weise, manche vielleicht sogar als Ergebnis des Zaubers. Jene, die sich losgerissen hatten, neigten zu einer verkürzten Lebenszeit. Manche vergaßen zu essen oder zu atmen, andere bewegten sich nicht mehr, vielleicht, weil sie keinen ordentlichen Gedanken mehr formulieren konnten. Manche wurden wahnsinnig und damit unvernünftig, und wieder andere realisierten irgendwann, dass etwas mit ihrem Kopf nicht stimmte, und konnten mit dieser Erkenntnis nicht leben. Selbst bei denen, bei denen alles gut funktionierte, waren es manchmal die eingepflanzten Erinnerungen, die sie auf einen tödlichen Weg führten. Die Dame hier auf dem Tisch gehörte vielleicht sogar dazu. Eohl Yihwa allerdings sollte sicher sein. Seine Vorführung beendet, ließ One Face Among Many die kleine Erinnerungskugel in seiner Hand einfach loß, ließ sie herabfallen, wobei sie sich auflöste, kurz nachdem sie den Kontakt zu seinem Handschuh verloren hatte. Für das Original der Erinnerung dieser Fremden hatte er keine Verwendung. Nachwachsen würde sie wohl auch nicht, schließlich würde er ihren Kopf gleich mit den Erinnerungen einer anderen Person vollstopfen. “Ich bin froh, dass wir uns einig werden konnten”, meinte er in aller Ruhe, seine Hand wieder auf den Kopf der Dame auflegend. Er ging ihre Erinnerungen durch, sortierte aus, was mit ihrem Bild von sich selbst als Eohl Yihwa in Konflikt geraten könnte. Das gleiche, sanfte Licht, das er zuvor zu einer Kugel geformt hatte, um es Whisper zu präsentieren, drang auch dieses Mal wieder aus dem Kopf der Frau heraus, doch es nahm keine Form an. Stattdessen dampfte es in kleinen Lichtwölkchen an seiner Hand vorbei, um sich in der Luft aufzulösen. Es gab keinen Grund, diese Erinnerungen zu formen oder aufzubewahren. Sie konnten einfach verschwinden. Er würde sie ohnehin gleich ersetzen.
Eohl lächelte auf zu ihrer Freundin, als diese sich an ihre Seite gesellte. “Ja. Ich bin mir sicher.” Ihren Kopf auf dem steinernen Tisch abgelegt ließ sie sich ohne Widerrede daran festmachen. “Das hier ist meine Rolle. Ich werde sie erfüllen.” Auch wenn Eohl in der Lage war, sich mit der Situation unwohl zu fühlen und sich selbst als eigenständiges Wesen mit eigenständigem Willen zu erkennen, hatte sie kein Interesse daran, ihre Befehle zu missachten. Sie ging voller Ruhe und Professionalität an diese Aufgabe heran, und auch, wenn der Gedanke Aurea sicher missfiel, tat One Face Among Many das Gleiche. Ohne Eile und ohne ein Zeichen der Häme oder anderer Emotionen, die man seiner Maske ohnehin nicht ablesen könnte, trat er hinüber zu der Grünhaarigen und legte ihr eine Hand auf den Kopf. “Jetzt bitte stillhalten”, mahnte er mit leister, aber fester Stimme, ehe er sich darauf konzentrierte, die erinnerungen der Assassine zu filtern, so wie er es zuvor mit ihrem Gegenüber getan hatte. Dieses Mal drang kein Licht nach außen, während er suchte, nur sein Handschuh selbst leuchtete. Es dauerte länger, so viel wurde schnell klar. Er fand nicht so zielsicher, was er suchte, wie er es bei der anderen Frau getan hatte. Im Gegenteil. “Wie spannend…”, stellte der Maskierte fest und hob nachdenklich seine freie Hand hinauf zu seiner Maske. “Ich verstehe so langsam, wieso Royal Crusade mir ausgerechnet diese Frau zur Verfügung stellen wollte…”
Konnte man diesem Mann überhaupt trauen, wenn er sagte, dass diese Methode sicher war? Dass sie bereits an vielen Personen ausgetestet wurde und sie alle das Verfahren überlebt hatten? Tja. Ja, das konnte man wohl. Denn das Verfahren selbst hatten sie überlebt. Aurea war zu ihrer Anfangszeit in den dunklen Abgründen dieser Welt sehr naiv gewesen. Sie konnte nicht glauben, dass ein Mensch von Grund auf Böse sein konnte. Doch diese Zeiten waren vorbei. Aurea hatte sie gesehen, diese tiefen Abgründe der menschlichen Seele. Und sie glaubte One Face Among Many mit Sicherheit nicht, dass diese dunkle Magie kein Nachspiel für die armen Opfer haben würde. „Ihr seid ein Optimist, nicht wahr?“, entgegnete sie daher nur auf sein Wort. Ein Zynismus, welchen man der Silberhaarigen nicht immer zugetraut hätte. Von Einigkeit konnte man wohl kaum sprechen, doch die Heilerin wusste, dass sie sich unmöglich noch weiter aus dem Fenster lehnen durfte. Sie hatte schlechte Karten, denn auch Eohl selbst war allzeit bereit, sich der Sache auszusetzen.
Kaum hatte Aurea ihrer Freundin versichert, bei ihr zu sein, machte sie schon die Gurte an ihren Gelenken fest. Dabei beobachtete sie, wie One Face Among Many erneut diese dunkle Magie bei der armen Frau anwandte, doch diesmal sah es ganz anders aus. Es bildete sich keine Kugel, sondern es zogen regelrecht Rauchschwaden aus ihrem Kopf. Leise und kaum hörbar gab Aurea ein verächtliches Zischen von sich. Natürlich. Das hatte er zuvor nicht erläutert, dieser widerliche Schurke. Dann legte er seine Hand an Eohls Kopf. Aurea stand keinen Meter von ihr Entfernt, blieb immer in der Nähe ihrer Freundin. Während der dunkle Magier dann seinen Zauber anwandte, begann das Herz der Heilerin heftig zu schlagen. Bis zum Hals spürte sie den starken Puls, welcher das Adrenalin durch ihren Körper pumpte. Eine schier unerträgliche Situation, in welcher Aurea das bekannte Gefühl der Hilflosigkeit zu ertragen hatte. Doch es dauerte und dauerte. Als würde er in einem Buch herumblättern, durchsuchte er die wirren Gedanken und Erinnerungen Eohls. Bis er sich dazu äußerte. Es ärgerte Aurea, dass sie nicht sofort verstand, was genau One Face Among Many damit zum Ausdruck bringen wollte. Doch sie musste die bittere Pille schlucken und nachfragen: „Was wollt Ihr damit sagen? Was seht Ihr?“, wollte sie also wissen und hoffte, dass er kein großes Geheimnis daraus machte und die Informationen stattdessen mit ihr teilte. „Es ist grundsätzlich sehr schwer für Eohl, ihre Erinnerungen zu ordnen, ganz zu schweigen davon sie gezielt hervorzurufen. Hat das einen Einfluss auf Euren Zauber?“ Vielleicht musste sie diesem Schurken gezielter fragen, damit er mit ihr sprach. Und das war eine Information, welche er vielleicht noch nicht über Eohl hatte.
Ein Optimist? Machte er den Eindruck? „Ich bin lediglich gut informiert. Ich würde keinen Zauber verwenden, den ich nicht verstehe.“ Das konnte man von den meisten Magiern nicht behaupten. Viele verstanden ihre Magie weit weniger als sie es vermutlich sollten. Wer glaubte, dass einen Zauber zu verwenden bedeutete, dass man ihn auch beherrschte, der hatte kein Potenzial. Whisper wirkte auf ihn wie jemand, der in diese Kategorie fiel. Bei Eohl hatte er keinen Zweifel. Diese Frau verstand ja selbst ihre eigenen Worte nicht. Dieser Verdacht verdichtete sich nur, als er in ihrem Kopf herumsuchte. Dennoch konnte man der schwer definierbaren Stimme des Maskierten anhören, dass er erfolgreich überrascht worden war. Auf die Rückfrage von Whisper hin schüttelte er den Kopf. „Nein, die Fähigkeit des Ziels, seine eigenen Erinnerungen aufzurufen, hat keinen merklichen Effekt auf diesen Zauber. Vor langer Zeit, als er noch legal war, wurde dieser Spruch sogar dazu genutzt, das Gedächtnis von Personen mit Amnesie wiederherzustellen, indem man vergessene Erinnerungen extrahiert und wieder einfügt.“ Seit der Gründung des magischen Rates und dem erstellen der ersten Gesetze zur Nutzung von Magie war das Spielen mit den Erinnerungen einer Person allerdings in Verruf geraten und als unmoralische Handlung verboten worden, selbst wenn das bedeutete, auf nützliche Fähigkeiten, die dem Wohle Aller dienen konnten, zu verzichten. Heutzutage war wirklich die schwerste Zeit für einen Magier, der seine Fähigkeiten wirklich entfalten wollte. An jeder Ecke wollten irgendwelche Gesetze einen einschränken für wertlose Grundsätze wie Rücksichtnahme, Moral oder die Unversehrtheit des Anderen.
„Es ist nicht so, als würden Erinnerungen fehlen. Es ist eher so, dass sie... beschädigt sind. Auf eine Weise, wie ich es noch bei niemandem gesehen habe“, gestand der Magier. Selbst wenn seine Gesprächspartnerin einfach gestrickt war, erfreute es ihn, über eine neue Entdeckung wie diese zu sprechen. „Davon abgesehen bin ich mir recht sicher, dass die Erinnerungen, die ich nicht wahrnehmen kann, keine Erinnerungen sind, die Frau Yihwa fehlen. Im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass Royal Crusade einen mehr als erheblichen Anteil ihres Lebens ausmacht, aber... unter all den Erinnerungen, die ich bisher ausgegraben habe, ist keine einzige dabei, in der Royal Crusade auch nur erwähnt wird.“ Das war definitiv seltsam. Alles, was er aus dem Mund dieser Frau gehört hatte, war, wie wichtig ihr ihre Gilde und ihre Rolle darin war und dass sie unbedingt ihren Auftrag erfüllen wollte. Und doch war es, als würde dieser Auftrag in ihrem Kopf überhaupt nicht existieren. Ein trockenes Lachen entkam dem Mann. „Beeindruckend. Wirklich beeindruckend. Wer auch immer sie so zugerichtet hat, muss seine Magie wirklich verstehen. Da werde ich mit meiner billigen Imitation eines einfachen Erinnerungszaubers glatt eifersüchtig...“ Nachdenklich schüttelte er den Kopf. „Noch beeindruckender ist wohl Miss Yihwa selbst. Ich hätte nicht erwartet, dass jemand mit einem so entstellten Inneren noch ein normales Leben führen kann.“
Ein wenig blätterte er noch im Inneren Eohls herum, versuchte Erinnerungen auszumachen, die dabei helfen würden, jemanden in den Wahnsinn zu treiben. Es war erstaunlich schwierig. Er fand keine Hinweise zur Herkunft ihres Schadens, kaum etwas zu ihrer Zeit als Runenritterin, absolut nichts zu ihrer Rolle in Royal Crusade. Es war klar, wieso Royal Crusade diese Frau bereitgestellt hatte und niemand anders. Der Gedanke, dass diese Gilde eine Person hatte, die im wahrsten Sinne des Wortes unfähig dazu war, Informationen über die Gilde weiter zu geben, selbst wenn man direkt in ihren Kopf greifen konnte, war furchterregend. Das machte es allerdings auch schwierig, eine andere Person davon zu überzeugen, dass sie diese Eohl Yihwa war. One Face Among Many hatte keine Erinnerung zur Verfügung, die er dazu nutzen könnte, der Frau einzutrichtern, dass sie spezifisch eine Magierin Royal Crusades wäre. „Hm... ich werde wohl mit den Erinnerungen arbeiten müssen, die mir zur Verfügung stehen“, stellte er fest, ein wenig enttäuscht. „Ich schätze, wenn ich ausreichend zusammenhanglose Erinnerungen einer Verrückten zusammen in den Kopf einer anderen Person krame und dabei alle Verbindungen zu ihrem echten Leben auslösche, sollte das genügen, um sie in den Wahnsinn zu treiben...“
Als der Zauber noch legal war. Wie lange das wohl her war? Aurea musste sich eingestehen, dass sie sich bisher in ihrem Leben nicht viel mit Magie beschäftigt hatte. Erst, als es darum ging, dass sie diese selbst beherrschen lernen musste. Doch das beinhaltete nicht, dass sie sich auch mit der Geschichte der Magie beschäftigte. Allgemein musste sie gerade feststellen, nur über ein Halbwissen zu verfügen. Auch sie stand für all die moralischen Grundsätze des Königreichs ein, wenn auch nicht nach außen hin, doch dass dieser Zauber, welchen sie so verurteilte, einst Amnesie-Patienten half, überraschte sie sichtlich. Sie hatte mit Menschen zu tun gehabt, welche unter Amnesie litten. Sie waren unglücklich, hatten Angst und fühlten sich unvollständig. Sie hatten sich verloren und mussten die Tränen ihrer Angehörigen ertragen, wenngleich sie nicht einmal mehr auf ihre eigene emotionale Verbindung zu diesen zurückgreifen konnten. Es war ein großes Leid, welches man also in der Theorie nehmen konnte?
„Beschädigte Erinnerungen.. ich denke in erster Linie an Verdrängungsmechanismen bei Traumata. Aber das ist ein natürlicher Prozess und bestimmt nicht mit einer beschädigten Erinnerung zu vergleichen. Denkt Ihr an eine Art Gehirnwäsche? Oder liegt dem eher eine neurodegenerative Erkrankung zu Grunde?“, fragte Whisper weiter, trat sogar einen Schritt näher an das Geschehen heran. Sie konnte sich schon denken, für welch minderwertigen Wurm One Face Among Many sie halten musste, aber das war für Aurea nicht von Belang. Sie erhoffte sich gerade Antworten auf Fragen, welche Eohl ihr niemals geben konnte. Ob sie ihre Freundin besser verstehen könnte? Ob sie einen Hinweis bekäme, was mit Eohl geschehen war? Die verhüllten, hellgrauen Augen wurden groß. Royal Crusade spielte in Eohls Erinnerungen kaum eine Rolle? Aber.. diese Gilde war doch ihr Leben. Wie konnte das sein? „Denkt Ihr, die Loyalität zu Royal Crusade ist anderweitig in Eohl verankert worden? Die Gilde ist so essenziell für Eohl. Womöglich würde man sie eher im Hirnstamm finden“, kam es gegen Ende zynisch über Aureas Lippen, denn ganz ernst konnte sie es nicht meinen. Neben Herzfrequenz und Atmung stünde Royal Crusade, das würde doch passen. Whisper seufzte. Was hatte man Eohl nur angetan? Selbst One Face Among Many war überrascht, dass die Yihwa überhaupt noch ein normales Leben führen konnte. Bei diesen Worten wurde Aurea ganz schwer ums Herz.
Doch dann äußerte sich der dunkle Magier in einer Art und Weise, welche Whisper wieder aufblicken ließ. Wie immer waren nur ihre Lippen unter der Kapuze zu erkennen, doch man erkannte, dass sie verärgert die Zähne zusammenbiss. „Eohl Yihwa ist keine Verrückte. Nennt sie nicht so“, wies sie One Face Among Many zurecht, unerschrocken und mit fester Stimme. Sie wäre ihm haushoch unterlegen, sie hätte keine Chance. Er könnte Schlimmes mit ihr tun, doch Aurea konnte das nicht auf Eohl sitzen lassen. „Ihr habt doch gesehen, dass ihr etwas Schreckliches angetan wurde. Sie ist nicht verrückt, sie ist das Opfer von Verrückten“, stellte sie mit verärgerter Stimme klar. Er sollte einfach sein Werk vollenden, damit sie endlich von hier verschwinden konnten..
Für One Face Among Many war Magiegeschichte ein faszinierendes und bedeutsames Thema, mit dem er sich mehr als gut auskannte. Eohl dagegen war da nicht anders als Aurea und hatte keine Ahnung von Magie, wenn es über ihre eigene hinaus ging. Ob sich die Dhakalis wohl über diese Gemeinsamkeit mit ihrer besten Freundin freute? Mit Gesundheit kannte sich das Silberhaar auf alle Fälle besser aus. Eine neurodegenerative Erkrankung? „Ich bin nicht medizinisch ausgebildet, insofern werde ich davon Abstand nehmen, eine Diagnose zu stellen“, meinte der Maskierte ruhig, seine Hand immer noch auf Eohls grünem Haarschopf ruhend. „Auf mich wirkt es allerdings eher wie ein magisches Thema als ein gesundheitliches. Ansonsten kann ich mir nicht erklären, wieso es so einen spezifischen Einfluss auf meinen Zauber haben sollte.“ Vermutlich sollte er dem Mädchen gar nicht so viel erzählen, erst recht nicht darüber, wo die Grenzen seines Wissens lagen, aber das Thema war nicht nur für Whisper interessant. Auch One Face Among Many versuchte zu verstehen, was genau er da vor sich hatte, und da halfen Gespräche gelegentlich. Nicht, dass es wirkte, als hätte seine heutige Gesprächspartnerin allzu viel nützlichen Input zu bieten. „Ich kann nicht sagen, wie... real ihre Loyalität ist. Sicherlich ist es möglich, dass sie nicht ganz natürlichen Ursprungs ist. Daran, das mit ihrem Kopf etwas nicht stimmt, gibt es keinen Zweifel“, meinte er ruhig, auch wenn das wohl nicht die Art Aussage war, die Aurea hören wollte. Im Gegenteil, sie reagierte ziemlich angefressen, als er Eohl als verrückt bezeichnete. Langsam drehte sich seine Maske in ihre Richtung.
„Hm... ich war dem Eindruck erlegen, dass Frau Yihwas Kollegen nicht wirklich die beste Meinung zu ihrem geistigen Zustand haben“, meinte er, während er die erste Erinnerungskugel aus Eohls Kopf herauszog. „Anscheinend sind meine Informationen nicht ganz akkurat. Es ist erfreulich zu sehen, dass es selbst in Royal Crusade Personen gibt, die sich gegenseitig stützen.“ Auch wenn er mit ihnen zusammenarbeitete, hatte One Face Among Many nicht unbedingt die beste Meinung dieses wild zusammengewürfelten Haufen egoistischer Magier, die gemeinsam irgendeinem vagen Ziel nachjagen sollten, das vermutlich weit mehr als die Hälfte kaum interessierte. Raphael Charis war ein akzeptabler Geschäftspartner, aber in seinen Augen ein herzlich fragwürdiger Anführer. Aber gut, das erklärte zumindest, warum sich der Mann so verzweifelt auf zwei Personen stützte, die der Meinung waren, die Zukunft sehen zu können. One Face Among Many verließ sich schlussendlich lieber auf all jene Geschehnisse, die er mit eigenen Händen beeinflussen konnte, nicht auf das, was ihm jemand anders weissagte. Genau deswegen packte er den Inhalt von Eohl Yihwas Kopf mit eigenen Händen, und schob ihn in das geleerte Gedächtnis einer fremden, bedeutungslosen Frau.
„In Ordnung... das sollte genügen“, meinte der Maskierte schlussendlich, nachdem er mehrere Minuten damit verbracht hatte, eine Erinnerung nach der anderen von einem Kopf in den anderen zu bewegen. Langsam richtete er sich auf, bewegte seine etwas versteiften Schultern, um sie aufzulockern. Dann wandte er sich wieder an Whisper. „Ich bin mit Frau Yihwa soweit fertig. Du kannst sie jederzeit befreien. Da einige ihrer Erinnerungen für den Moment etwas unklar sein werden, kann es sein, dass sie sich etwas desorientiert fühlt... aber das sollte sich innerhalb von weniger als einem Tag wieder geben.“
Vermutlich hatte One Face Among Many recht. Eohls geschädigten Erinnerungen musste ein Zauber, ein magischer Eingriff zu Grunde liegen. Wissen konnten sie es beide nicht, doch diese Erklärung passte besser zu der Begründung, welche Aurea sich bereits zurechtgelegt hatte. Daher war sie wohl unbewusst auch versucht, das für die Wahrheit anzuerkennen. Etwas Schlimmes war der ehemaligen Rune Knight angetan worden und es musste einfach die Schuld von Royal Crusade sein. Das war Aureas Wahrheit. Leider aber konnte One Face Among Many keine Aussage dazu treffen, was es mir der Loyalität und den dazu vergleichsweise löchrigen Erinnerungen und Gedanken zu dieser Gilde auf sich hatte. Whisper seufzte kaum hörbar aus. Es wäre vermutlich auch zu einfach, solche Fakten einfach nebenbei in einem Gespräch zu erfahren.
Bald jedoch änderte sich die kurze, einigermaßen erträgliche Atmosphäre zwischen Ihr und diesem Verbrecher. Sie wandelte sich, war plötzlich geprägt von Ärger und Zurechtweisung seitens Whisper. Sie konnte nicht zulassen, dass so über ihre Freundin gesprochen wurde. Sie musste für sie einstehen und deutlich machen, wer hier verrückt war. Als sich das Gesicht, beziehungsweise die Maske des Mannes Whisper langsam zuwandte, biss diese bereits angespannt die Zähne zusammen. Wie.. wie würde er reagieren? War sie doch einen Schritt zu weit gegangen? Mit Sicherheit. Das Herz der jungen Frau schlug stärker gegen ihren Brustkorb - bis sie kaum merklich ausatmete, nachdem sie für einen Augenblick die Luft angehalten hatte. Die Reaktion von One Face Among Many war nicht aggressiv oder impulsiv. Natürlich nicht.. warum sollte er sich auch aus der Ruhe bringen lassen? „Lasst Euch nicht blenden, Eure Informationen sind sehr akkurat. Die Mitglieder mit Herz und Seele bilden eine traurige Minderheit und sind kaum der Rede wert“, entgegnete Whisper leise und unterkühlt.
Voll Unbehagen beobachtete sie, wie der Dunkle Magier Eohls Erinnerungen aus ihrem Kopf gefischt hatte und sie nun dieser armen Frau einpflanzte. Müsste sie das Geschehen nicht so verflucht gebannt beobachten, hätte sie besser daran getan, die Augen zu schließen. Und dann kam sie endlich.. die befreiende Nachricht, dass diese Schandtat vollendet war. Aurea nahm den Hinweis über mögliche Nachwirkungen an, verzichtete aber auf einen Dank. Wofür sollte sie ihm auch danken? Dafür, dass er verbotene Magie anwandte? „Ich werde mich um sie kümmern“, entgegnete Whisper also nur weiterhin unterkühlt und ging auf Eohl zu, um ihr erst einmal liebevoll durch das grüne Haar zu streichen. „Du hast es geschafft. Wir können gehen“, sprach sie ihr mit Wärme zu, ganz anders, als sie mit dem Verbrecher gesprochen hatte. Auch wenn Eohl sie vielleicht noch nicht wahrnehmen konnte, machte sich Aurea daran, ihre Fesseln zu lösen. Dann legte sie behutsam den Arm der Yihwa um ihre Schultern, um sie zu stützen. Doch bevor sie weitere Anstalten machte, blickte Whisper noch einmal über ihre Schulter zu der Frau.. Sie würde auch sie gerne mitnehmen und in Sicherheit bringen..
Die Mitglieder mit Herz und Seele waren eine traurige Minderheit in Royal Crusade... Das, was Aurea als ihre bittere Wahrheit sah, war etwas, dem Eohl nur widersprechen konnte. Normalerweise zumindest. Jetzt gerade war die Yihwa mental abwesend. Nicht ohnmächtig, aber sie lag relativ kraftlos auf ihrem Steinblock, Kopf und Hände immer noch mit Riemen festgemacht, blinzelte sie, ohne wirklich wahrzunehmen, was da vor ihren Augen war. Die ersten paar Erinnerungen hatte sie kaum gespürt. Dann, als es mehr und mehr wurden, fühlte sich ihr Kopf so seltsam kribbelig an. Verschwommen, als hätte man ihr Watte in den Kopf gesteckt. Es war nicht so, dass die Erinnerungen weg waren, und es war auch nicht der Schmerz einer zerbrechenden Erinnerung, den sie so gut kannte. Sie war nur... so schwer zu erreichen, in diesem Moment. Sie war weg, ohne weg zu sein. Und es wurden immer mehr. Ferne Erinnerungen, die nahe Vergangenheit. Es war schwierig für den Kopf der Yihwa, dem Prozess zu folgen oder bei der Sache zu bleiben, während er sich leerte. Sie hatte es nicht bemerkt, aber irgendwann im hinteren Drittel der Entnahme hatte sich ihr Mund geöffnet und eine kleine Pfütze aus Sabber hatte sich auf dem kalten Stein gebildet, um darauf zu gefrieren. „Uuuhh...“ Ein orientierungsloses Stöhnen entkam der Yihwa, als Aurea auf sie einsprach, und sie blinzelte noch einmal, zweimal. Es brauchte ein paar Momente, bis es ihre leeren Augen wieder halbwegs schafften, sich zu fokussieren. Der Versuch, ihren Kopf zu heben, wurde von dem Riemen um ihre Stirn verhindert und aufgegeben, als es schmerzhaft wurde. „Uuhff...“ Ihre Augen glitten hinauf zu Aureas, versuchten, ihre Freundin zu erkennen. Das ging relativ fix, und sie atmete erleichtert auf. „Auu... ree...“ Es war schwierig, sie ordentlich anzusprechen, aber ihr hilfesuchender Blick zeigte, dass sie wusste, wen sie da vor sich hatte. Es war aber wahrscheinlich tatsächlich ein wenig zu früh, um Eohl wieder von ihren Fesseln zu befreien. Beim Aufstehen taumelte Eohl ganz schön, ihr Gleichgewichtssystem absolut unvorbereitet, und hätte sich gegen die Wand fallen lassen müssen, wenn sie in Aurea nicht eine andere Stütze gehabt hätte. Glücklicherweise war ihre Freundin an ihrer Seite, hatte ihren Arm um Eohls Hüfte gelegt und Eohls Arm über ihre Schultern, sodass die Assassine lange genug stehen konnte, um einen vorsichtigen Schritt zu wagen. Dann noch einen, und noch einen. Es wurde besser. So würden sie gehen können.
„Aurea... danke dir.“ Eohl lächelte warm, als sie mit der Dhakalis die stillgelegte Mine verließ. Sie hatten ihre Aufgabe erfolgreich erfüllt, auch wenn sich Eohl damit nicht ganz wohl fühlte. Anders als Aurea konnte sie nicht einschätzen, was für Erinnerungen ihr genommen und der Fremden eingesetzt worden waren. Sie realisierte nicht, dass keine Infos zu Royal Crusade weitergegeben worden waren oder dass ihr altes Leben der Fremden genauso unbekannt war wie ihr selbst. Schlussendlich war es aber auch nicht wichtig. Alles, was hier passiert war, war im Sinne von Royal Crusade. Lord Charis hätte dem nicht zugestimmt, wenn er nicht mehr zu gewinnen als zu verlieren hätte. Eohl musste lächeln als sie daran dachte, dass der stolze One Face Among Many vermutlich gar nicht ahnte, wie sehr er in die Pläne eines Anderen hineinspielte. „Ehehehee...“
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