Trotz der drückenden Hitze des Mittags waren die Fenster der Wohnung weit aufgerissen. Ein sanfter Wind versetzte die Häärchen der flauschigen Möbel in muntere Bewegung. Wie so üblich sah die Wohnung an sich aus wie frisch aufgeräumt. Das geräumige Bett war gemacht. Den Sand der Wüste trug es üblicherweise nur in erträglichen Mengen bis in die himmlischen Höhen des Turms herauf. Auf dem Kaffeetischchen stand ein Teller mit Keksen. Auf dem angeschalteten Herd, dessen Flämmchen an einem Wassertopf aus solidem Eisen leckten, blubberte irgendwas sanft vor sich hin. Sah man einmal von der üblichen Ausstattung ab, war die Wohnung jedoch gähnend leer. Nicht einmal die Sitzstange, die der Länge nach zu urteilen normalerweise einen größeren Vogel beherbergte war besetzt. Der Grund dafür war recht einfach. Beide Bewohner der Wohnung waren durch das Fenster entflohen. Das war keineswegs darin begründet, dass einem der beiden stinkige Lichtmagier göttlicher Natur aufgefallen wären, die just in diesem Moment die Treppe des Ostturms hinauf stapften. Vielmehr war es jenem Gefühl von Freiheit zu verdanken, das sich nur einstellte, wenn die Füße den Boden verließen und die Gravitation für einen Moment lang Ruhe zu geben hatte. Der spitze Schrei eines Raubvogels drang durch das offene Fenster herein, dicht gefolgt von kräftigem Flügelschlagen als ein schwarz-weißer Adler auf der Fensterbank landete. Im Gegensatz dazu kündigte nicht mehr als ein sanftes Wehen der Vorhänge die Rückkehr der eigentlichen Bewohnerin der Wohnung an.

Mit einem gurrenden Geräusch, das man einem Tier ihrer Größe vielleicht nicht zugetraut hätte, hüpfte Aire zurück auf ihren Platz auf der Stange. Der Harpyienadler lebte mal hier, mal im Geschäft. Cassandra hatte nur wenig Lust Aire in ihrer Freiheit zu beschneiden. Im Grunde fehlte nur noch eine Art Ausgang für den Vogel, damit er nach Belieben den Standort wechseln konnte. Aber solche Öffnungen wollten stets gut gesichert sein. Gegen Sand und...andere Eindringlinge. Grade hatte es Cassandra sich mit einem Buch, einer Tasse und frisch in Aufbrühung befindlichem Tee auf einem ihrer Sofas bequem gemacht, als es an der Türe klopfte. Aire drehte den Kopf in Richtung des Geräusches und gab ein fragend klingendes Krächzen von sich. Die junge Frau dagegen drehte ihr Handgelenk, um auf die schmale Armbanduhr sehen zu können. Es war nicht so, dass sie Besuch erwartete, aber die wenigsten Personen machten sich in der Hitze der Mittagssonne die Mühe zum Gildenpalast zu kommen. Ein Besuch ihrer Eltern sollte eigentlich auf mindestens zwei Wochen verzögert sein. Vermutlich also ein Auftrag oder ein Gildenmitglied, das irgendetwas wollte. Mit einem leisen Seufzer fischte sie sich ein Lesezeichen vom Tisch und bugsierte es in das Buch. Nun, falls es Gäste waren, hatte sie genug Tee und Kekse, um diese bis zum Abendessen versorgt zu sehen. Schließlich durfte niemand diese Wohnung verlassen ohne ordentlich umsorgt worden zu sein. Es dauerte einen Moment, bis sich Cassandra von der Couch entfaltet und in Richtung der Türe begeben hatte. Erst öffnete sich diese nur einen Spalt, bevor sie die Gestalt dahinter erkannte. Braune Haare, orange-goldene Augen. "Maenor?", erklang die leise Nachfrage, bevor die Tür vollständig ausschwang. "Es freut mich zu sehen, dass es dir gut geht. Möchtest du Tee und Kekse?"

Zauber: