Viss lächelte, als die Rothaarige nun auch um die Nase rot wurde, als hätte sie zu viel Zeit in der Kälte verbracht. Zugegeben, sie kannte das Gefühl von Scham und Stolz, dass die andere vermutlich gerade empfand. Dennoch war es amüsierend, die Auswirkung ein paar, netter Worte zu sehen. „Und was ist bei größeren Wunden? Für diese gibt es doch sicher auch Zauber, nicht wahr? Beherrscht du die ebenfalls schon?“, ging sie auf Shirayukis Erklärung ein, hakte nach und hielt ihre Stimme freundlich. Offen und neugierig. Sie fragte nicht nur, um die andere am Reden und bei sich zu halten, sondern auch aus ehrlichem Interesse. Wer wusste schon, was hier noch alles am Boden lag? Besser sie vergewisserte sich, was die Fähigkeiten der anderen Frau anging. Dann tauchte Modir ebenfalls auf und die Elbe war kurz dadurch abgelenkt, sie davon abzuhalten, den süßen Vogel der Rothaarigen zu jagen. Als sie sich wieder zu der dessen Besitzerin umdrehte, ob die überrascht die Brauen und schüttelte den Kopf. Viss vergaß oft, dass andere nicht hören konnten, was die Tiere sprachen. Oder zumindest, dass es für sie nicht normal war, dass sie das konnte. Wo sie herkam, war es so normal gewesen, wie mit den anderen Elben zu sprechen, dass ihre erste Erfahrung mit den Rundohren schon allein wegen ihrem Umgang mit Tieren ein Kulturschock gewesen war. „Ich rede einfach mit ihnen und sie antworten mir.“Viss hatte es sich schlussendlich so erklärt, dass die Menschen für die Tiere einfach nicht wichtig genug waren, mit ihnen zu reden. Dass es mit Magie zu tun hatte, die sie selbst besaß, war ihr noch nie wirklich gekommen. Auch wenn Shirayuki sich ernsthaft um ihre Freundin zu kümmern schien. So sehr sogar, dass sie Viss nicht wirklich erfolgreichen Versuch, Mitgefühl nachzuahmen, widersprach. Die Elbe war nicht sicher, ob es sie treffen würde, wenn ihre Vögel starben. Sie wäre natürlich wütend und würde den Schuldigen finden, der gewagte hatte, sie ihr zu nehmen … aber ihre Gefühle wären mehr auf den Grund beziehungsweise den Schuldigen fokussiert, wie auf die toten Tiere. Das war aber vermutlich nichts, was Shirayuki hören wollte, also hielt Viss den Mund und nickte nur, zauberte eine traurige Miene auf ihr Gesicht, die hoffentlich Verständnis ausdrückte. Sie verstand wirklich nicht, warum andere immer so dreinsahen. Es spannte in ihren Gesichtsmuskeln.
Die beiden wandten sich von ihren Vögeln den nächsten Schritten zu. Schritte, die Viss plante, barfuß zu machen. Sie versuchte gegen die steigende Panik anzukämpfen, als Shirayuki ihr mit dem Vorschlag von wegen Schuhe kam. Kopfschüttelnd wich sie zurück, bis die Heilerin die Idee zurückzog und nach einer Alternative fragte. Und darauf behaarte, sie wollte nur Viss‘ bestes. Das konnte sie akzeptieren. Damit konnte sie arbeiten. „Dann heilst du meine Füße einfach, wenn wieder etwas passiert“, schlug sie stattdessen vor und langsam zog sich die Angst zurück, die in ihren Augen gerade nur gefunkelt hatte. Wurde zu Vorfreude und Überzeugtheit. Mit diesem Plan im Kopf, dem Shirayuki hoffentlich zustimmen würde, wandte sie sich um und sah die Straße entlang. „Komm, wir sollten Wort unter die Menschen bringen.“ Sie winkte ihr, ihr zu folgen, bevor sie stehen blieb. „Wobei, wir sollten zuerst einen Platz finden, um alle zu versammeln, die mitgehen wollen.“ So hätte ihr Vater das sicher auch gemacht. Erst einen Standpunkt finden. Dort die Menschen versammeln und das Projekt verkündigen. Sie sah zu Modir zurück. „Hast du eine größere Fläche gesehen?“ Der Rabe krächzte und flog auf. Viss folgte dem Tier, als auch Fadir hochsprang und die Luft in den Flügeln einfing. Zeit, den beiden zu folgen! code:ronja
Bekannt gemacht, glitt der Fokus der beiden Frauen zu Viss verletztem Fuß. Die Heilerin wirkte ihre Magie, ein leichtes Kitzeln auf ihrer Sohle und fasziniert sah die Elbe zu, wie sich der Schnitt vor ihren Augen schloss. Nur das Blut blieb, aber darunter war ihre Haut zu glatt wie zuvor. Wie glatt das eben ging, angesichts dessen, dass sie nicht einmal Schuhe besaß und deshalb immerhin barfuß herumlief. Viss kicherte und lehnte den Kopf leicht zur Seite, halb auf die Schulter der anderen, an der sie sich zugleich festhielt. „Sehr nobel von dir“, stellte sie fest. Viss gab nicht gerne zu, dass sie Hilfe brauchte … aber sie war in Ordnung damit, keine Schmerzen zu haben. Entsprechend wollte sie darüber nicht diskutieren. Zumal sich wenig später ein Schatten über sie legte. Der schwarze Vogel flog über ihre Köpfe hinweg, drehte um, um kehrte noch niedriger zu ihnen zurück, wo er auf dem Boden landete. Viss trat von Shirayuki weg, teste ihren Fuß. „Der ist wirklich ganz geheilt!“, stellte sie erfreut fest, auch wenn sie der Rothaarigen keinen weiteren Blick zuwarf, sondern auf den Raben zuhielt. Hinter ihr begrüßte die Heilerin Modir, die eine Erwiderung krächzte. „Sie sagt Hallo. Und ein süßes Tierchen.“Viss deutete mit der Hand auf den kleinen Vogel der anderen Frau, als sie Mors Worte übersetzte. Die Elbe wartete, dass der Rabe auf ihrer freien Schulter Platz nahm, bevor sie sich zu Shirayuki umdrehte und das Gesicht verzog. Nicht in Mitleid, das war etwas, wo sie sich schwertat, es nachzuahmen. Aber etwas … annähernd ähnliches, dass schnell von einem Lächeln abgelöst wurde. „Ich bin sicher, du kommst darüber hinweg. Jemand mit solchen Fähigkeiten findet schnell neue Freunde.“ Vermutlich nicht ganz, was Shirayuki hören wollte, aber das Beste, was Viss zu dem Thema einfiel.
Glücklicherweise hatte Viss mit der anderen hiermit auch ihre Questpartnerin gefunden. Die Elbe kehrte zu deren Seite zurück, tippte Modir aber noch auf den Schnabel was ihr ein empörtes Aufplustern einbrachte. „Nicht essen, ja?“ „Warum ist dir das jetzt wichtig?“ „Wir essen keine Freunde.“Fadir von ihrer anderen Seite. „Sie ist nicht unser Freund.“ „Aber ein Freund von Viss neuer Freundin.“ Das der Vogel das so beschloss … zugegeben, es war nicht ungewohnt. Und immerhin brachte er Modir dazu, den Kopf wegzudrehen, anstatt das Vögelchen anzustarren. Viss grinste. „Das klingt großartig. Wir sollen Arbeiter finden, nicht? Oder so etwas in die Art?“ Es war eine Quest, die nach Vergnügen geklungen hatte. Hoffentlich würde es auch so werden, sonst wäre sie umsonst hergereist. Abgesehen vom Geld natürlich, aber dafür gab es auch andere Dinge, die man tun konnte. Auf Shirayukis Vorschlag schüttelte sie aber den Kopf und ihre Augen weiteten sich ein Stück weit. Sie wich einen Schritt zurück, als würde die andere ihr jeden Moment nachrennen und sie dazu zwingen, Schuhe zu tragen. Nein. Nein. Nein. Das Gefühl dieser Klötze an ihren Füßen, die sie am Boden festbanden. Die Empfindung von Stoff auf ihrer Haut, von etwas, dass sie vom Boden trennte. Ihre Familie mochte sie hinausgeworfen haben, aber Viss war noch immer eine Elbe und der Boden, die Natur, in jedem ihrer Herzschläge. „Ich will keine Schuhe!“, murmelte sie und sah hin und her, als überlegte sie, wie sie am besten von der Heilerin wegkommen könnte, bevor diese ihr mit weiteren Argumenten kam. Natürlich wäre es sicherer mit Schuhen … aber so rational war Viss bei dem Thema nicht, was man ihrem verspannten Körper sicher ansah. code:ronja
Viss lächelte die Rothaarige erfreut an, die ihr ihre Hilfe anbot und dann auch noch den kleinen Vogel vorstellte. Die Elbe beugte sich vor. „Hallo, Kameyo“, begrüßte sie das kleine Tierchen. Zum Glück war Mor gerade nicht hier, sonst hätte sie mit ihr über den schlechten, ersten Anblick reden müssen, den man darstellte, wenn man die Freunde anderer einfach so aß. Obwohl Viss den Gedanken zu einem gewissen Punkt interessant fand, gab er ihr nicht genug, ihm nachzugeben. Viel zu früh. Zuerst musste ihr Fuß gefixt werden und das konnte sie leider nicht alleine. Mit der anderen Frau als Stütze zog sie die Scherbe heraus. „Ah, das freut mich ebenfalls.“ Ihr Blick flackerte von dem Gesicht der anderen zurück zu dessen Vögelchen und sie legte den Kopf leicht schief. Ob es mehr sagen konnte, als ein paar Wörter zur Begrüßung? Immerhin schien Kameyo mit der Frau viel Zeit zu verbringen, ihr zu vertrauen. Vielleicht hatte ihr Köpfchen einige weitere Phrase gespeichert? Viss war so davon abgelenkt, den Vogel anzustarren, dass sie einen Moment brauchte, bevor sie das Kitzeln in ihrem Fuß spürte. Sie sah wieder hinab und das Lächeln vertiefte sich. Die Hand erhoben wollte sie über die eben noch blutige Stelle fahren, als diese sich noch weiter veränderte. Es war nicht viele Sekunden, in denen sich die Verletzung vor ihren Augen reinigte und schloss. Dann fuhren ihre Finger darüber. Es war noch etwas wund, aber nichts außer das Blut, dass an ihrem Fuß klebte, deutete noch darauf hin, dass je mehr geschehen war. „Das ist eine wunderbare Magie!“, stellte sie ehrlich fest und setzte den Fuß testweise wieder ab. Erst, als sie sicher war, stehen zu können, löste sie den Arm von Shirayukis Schulter. Viss konnte mehrere Dinge, aber diese waren meist subtiler, variabler. Heilen lag weit außerhalb ihres Könnens. Nicht, dass sie die Runen je umtauschen würde. Sie hatte sie sich erarbeitet. Viss war nie ganz normal gewesen, aber es hatte ein Zeit gegeben, in der sie etwas … menschlicher gewesen war. In der sie die Gefühle anderer zumindest ansatzweise verstanden hatte. Aber das war vorbei, als hätte die Magie die Emotionen aus ihr gebrannt. Viss trauerte dem nicht nach – sie konnte es nicht, und sie wollte auch nicht. Sie hatte es getan wie ihr Vater, war einen Schritt weiter, endlich von ihm gesehen zu werden. Natürlich musste sie dazu überleben, oder zumindest einen ehrenhaften Tod sterben, und nicht an einer Infektion, weshalb sie sehr froh über die Rothaarige war.
Modir nützte diesen Moment, um aus dem Himmel zu fallen und an Viss und Shirayuki vorbeizurauschen, bevor sie unweit auf dem Boden landete. „Ah, da ist sie!“ Triumphal deutete die Dunkelhaarige auf den Vogel. „Und das ist Modir.“ Sie beugte sich vor bis ihr Gesicht im Sichtfeld von Kameyo war. „Pass auf, kleiner Vogel. Modir ist manchmal etwas launisch und hungrig“, warnte sie das Vögelchen und grinste, als wäre es ein Scherz und nicht zu nah an der Wahrheit, um nicht gefährlich zu werden. Für kleine Tiere zumindest. Viss Aufmerksamkeit wurde wenig später zurück zu Shirayuki gelenkt, die … eine Quest ansprach. „Oh natürlich!“, rief sie aus. „Magierin. Ich bin auch eine Magierin … und ich denke, du hast deine Questpartnerin damit gefunden.“ Davon ging Viss aus, und wenn nicht … hatte sie dennoch einen Auftrag und einen Questpartner, also wäre es nicht ihr Problem, wenn sie auf der falschen Quest landete. Erwartungsvoll sah sie die andere an. code:ronja
Viss Miene hellte sich wieder auf, als ihr Gegenüber ihr antwortete. Auch wenn er zurückwich … doch da die Füße des Elbe nicht am Boden festgewachsen waren, war das zum Glück kein Problem. Sie folgte ihm. Ja, per se hatte sie nichts mit diesem fremden Menschen zu tun, aber jetzt, wo er schon einmal vor ihr stand, anstatt wie die anderen vorbeizulaufen, wollte sie ihn auch nicht wieder verschwinden lassen. Einerseits, weil sie Menschen unterhaltsam fand, aber auch, weil der Gedanke, dass er ging und sie wieder alleine hier stand, einen kalter Schauder über ihren Rücken jagte. „Oh, dann ist ja gut.“ Lächelnd legte sie den Kopf schief, gerade als der Dunkelhaarige ihre Hand von seiner Schulter wischte. Es schien ihm tatsächlich ernst zu sein, unterstrich es auch noch mit Worten. Viss überlegte einen Moment lang, seine Bitte zu ignorieren, dann zog sie aber die Hände zurück und drehte den einen, echten Goldring an ihrem Finger hin und her, während ihr Blick über sein Gesicht und weiter nach unten wanderte. Seine Körperhaltung wirkte nicht gerade selbstbewusst, aber er hielt tapfer die Hände vor sich, wie um sie abzuschirmen. Viss Lächeln verlor sich ein Stück weit und verschwand ganz, als sie erneut angerempelt wurde. Es war nicht das Schlauste, mitten auf einem Weg zu stehen, aber noch war sie nicht bereit, den anderen wieder aufzugeben. Auch wenn er deutlich weniger spannend wirkte, als sie sich erhofft hatte. Bis auf die … waren das Narben? Leider bekam sie keine Erklärung dazu, auch wenn sie das weniger stark überraschte. Die meisten, denen sie über den Weg gelaufen hatten, erzählten nicht einfach so private Dinge. Und Dinge wie das an seinem Hals … es schien für ihn wohl privat zu sein. Mehr als das fiel ihr allerdings auch nicht auf, als sie den anderen wieder am Handgelenk ergriff und mit sich zog. Mor sprang flatternd auf in den Himmel, als sie die Hand bewegte. „Viss, du sollst Menschen fragen, ob sie mitkommen wollen“, erinnerte Fadir sie von der anderen Seite, wenn auch zu spät. Sie zerrte den anderen bereits in Richtung Wegrand.
Das Entsetzen in seinem Gesicht und seine plötzlich lautere Stimme ließen Viss erstarren und sich mit leicht geweiteten Augen zu ihm umdrehen. Nicht vor Schreck, aber Überraschung. Er riss ihr sogar seine Hand aus der ihren. Nun, das war interessanter. Zwar stotterte er, aber seine Forderungen waren klar. Das Lächeln kehrte auf Viss Lippen zurück. Dass sie ihn durchaus als Belustigung sah, war zwar nichts, was sie ändern wollte oder konnte, ihr fehlte zu viel Empathie und Verständnis, um ihn als etwas anderes zu sehen, aber die anderen Dinge … „Natürlich nicht“, log sie ohne mit der Wimper zu zucken. „Aber keiner von uns möchte umgelaufen und ausgeraubt werden, nicht wahr?“Viss warf einen kurzen Blick nach oben, aber Modir war irgendwo zwischen den Blätter verschwunden. „Du darfst mich Viss nennen, wie ist dein Name?“ Er wollte Respekt? Viss konnte ihm, zumindest zu einem gewissen Punkt, Respekt geben, um ihn bei sich zu behalten. Das störte sie nicht, solange sie nicht wieder alleine hier stand und sich einen neuen Gesprächspartner suchen musste. code:ronja
Viss freute sich, dass der kleine Vogel nun endlich fliegen durfte. Fasziniert beobachtete, wie das Tierchen durch die Luft sauste und wie Fadir auf ihrer Schulter, auf der der Rothaarigen vor ihr landete. Der Vogel war also wirklich zurückgekehrt, obwohl sie im Käfig eingesperrt gewesen war. „Denkst du, sie mag den Käfig?“, fragte sie den Raben neben sich. „Ich glaube, sie vertraut darauf, dass sie darin sicher ist und wieder hinausdarf.“ Viss nickte langsam und sah den beiden weiterhin zu, während sie ihnen durch die Stadt folgten. Die Stimme des Vögelchen war etwas zu leise vor ihnen, um sie wirklich gut zu verstehen, sodass Viss nur Fetzen auffing. Außerdem sprach nicht jedes Tier so … komplex wie ihre Raben. Einerseits, weil es schlaue Tiere waren, aber auch, weil Viss seit Jahren täglich mit ihnen sprach und mit ihnen in der Menschenwelt unterwegs war. Bei ihrem ersten Zusammentreffen waren die Sprachfähigkeiten der zwei Tiere nicht viel besser gewesen wie die eines normalen Vogels.
Viss war durch ihre Gedanken und Vorhaben, der Frau zu folgen, abgelenkt, bis ihr Fuß die Scherbe am Boden traf. Die Elbe blieb fluchend stehen und hob den Fuß, balancierte ihr Gewicht gerade so aus, wobei Fadirs Gewicht ihr das etwas erschwerte. Viss stellte den Fuß wieder auf den Zehenspitzen ab, damit die Scherbe sich nicht weiter hineingrub und sah sich um. Die Rothaarige vor ihr war zum Glück auch stehen geblieben und kam nun sogar zu ihr. Trotz des Schmerzes, der ihr Gesicht verzog, breitete sich ein erfreutes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Fadir streckte den Hals vor, das Köpfchen schief gelegt und die dunklen Augen auf den kleineren Vogel fokussiert. „Nicht essen. Das wäre doch unschön“, wies Viss ihn hin, ohne den Blick von der anderen Frau abzuwenden. Diese blieb etwa einen Meter vor ihr stehen und stellte sich vor. Viss Augen leuchteten auf. „Oh, das ist großartig.“ Sie humpelte näher und nützte Shirayuki als Festhaltestelle, indem sie eine Hand auf deren Schulter ablegte und wieder den Fuß hob. So kam sie endlich zur Ferse und griff nach der Scherbe. Sie zog daran und das Stückchen Glas aus der Sohle. „Autsch, das tut weh. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, dass es aufhörte, wehzutun.“ Sie drehte den Kopf und sah der Rothaarigen ins Gesicht. „Ah, und dass es aufhört zu bluten. Ich will ja keine Spur hinterlassen.“ Sie kicherte, obwohl ihre Ferse weiter pulsierte. Viss wollte eigentlich sehr wohl eine Spur hinterlassen, aber sie wollte keine Infektion von diesem dreckigen Ort. Und ihre Spur sollte nicht aus Blut bestehen, zumindest nicht aus dem Blut aus ihrem Fuß. „Ich bin Viss, und das ist Fadir“, sprach sie weiter, ihre Stimme wieder immer mit einem melodischen Klang, als würde sie zu einer Musik in ihrem Kopf summen. „Und … oh, da ist sie ja!“ Sie sah hoch in den Himmel, streckte die Hand danach aus, während sie sich mit der anderen weiterhin an Shirayuki abstützte und somit ausbalancierte. Ihr Fuß aber auch weiterhin angehoben, aber für den Moment war ihr Fokus auf dem schwarzen Fleck, der im Himmel seine Kreise zog. code:ronja
Viss war sehr froh, dass die Menschen um sie herum Kopfhörer trugen. Ihre hellen Augen flogen über die anderen Gäste im Zug, die ihr und den beiden Raben, von denen einer auf ihrer Schulter und der andere auf ihrem Oberschenkel saß, skeptische Blicke schenkten. Einige Sitze weiter saß eine junge Rothaarige mit einem kleinen, blauen Vogel, der allerdings im Käfig hockte. Die Elbe schüttelte darüber den Kopf. Sie würde ihre beiden Vögel niemals einsperren. Außer natürlich, sie hätte einen persönlichen Grund dazu – wie zum Beispiel, um zu hören, was sie dazu sagen würden. Aber das wollte sie heute nicht wissen. Stattdessen wartete sie, bis der Zug in Aloe Town hielt und stieg aus. Hier fiel sie durch ihre helle Kleidung, dem lockerem, weißen Kleid und ihre dunkle Haut deutlich weniger auf, also dort, wo sie die meiste Zeit verbrachte. An ihrem Zeigefinger funkelte ihr magischer Goldring und anderer Schmuck, ebenso golden aber nicht echt, bedeckte ihren Körper, war in ihre Kleidung und Haare eingearbeitet oder hing um ihre Handgelenkte. Der Boden war ziemlich warm, fast schon unangenehm heiß, unter ihren nackten Füßen. Viss bewegte sich nichtsdestotrotz durch die Stadt und fragte sich durch, bis sie in die richtige Richtung geführt wurde. Der Boden wurde dreckiger und sie freute sich schon auf einen sauberen Bach, um den Schmutz von ihren Sohlen zu waschen. Modir war von ihrer Schulter abgehoben und flog ein gutes Stück voraus, während sie und Fadir sich durch die Wüstenstadt bewegte.
Sie drangen immer weiter in die trübe Gegend vor, wo Menschen auf dem Boden lagen oder sich in den Schatten versteckten. Viss‘ spitze Ohren zuckten, als sie ein Stück vor sich wieder die rothaarige Frau entdeckte, die sie schon zuvor im Zug gesehen hatte. Viss hatte zwar einen Auftrag … aber was tat die andere hier? In ihrem Kleid sah sie … knuffig aus. Wie ein Kind, auch wenn es deutlich größer war als ein Kind. Sie erinnerte Viss an ein paar ihrer ehemaligen Mitschüler. Diejenigen, die ein Zuhause gehabt hatten, wo Mutter und Vater auf sie warteten. Der altvertraute Hauch von Ärger und Eifersucht regte sich in ihrem Magen und kroch ihr in die Brust hinauf. Sicher hatte diese hier auch ihre hübsche, kleine Familie. Aber sie hatte nur einen Vogel. Viss hatte zwei. Ihr Blick war fest auf den Hinterkopf der Frau gerichtet, als sie mit der Ferse auf etwas Hartes, scharfes trat. „Oh nein!“ Sie blieb stehen und hob den Fuß, von dem Schmerz sich in Wellen ausbreitete. Etwas Kleines steckte halb in ihrem Fuß. Viss‘ Hand zitterte, als sie nach der Scherbe griff und obwohl ihre Miene eine Grimasse war, waren ihre Augen trocken. Sie zog die Scherbe heraus und zischte vor Schmerz. „Darum solltest du Schuhe tragen“, wies Fadir sie zurecht, auf wenn dieses Krächzen nur für ihre Elbenohren verständlich war. „Nein!“Viss hasste Kleidung und das Kleid war das meiste, was sie ertrug. Es war eines der Dinge, die sie etwas … seltsam machte. Aber nicht unempfänglich für Schmerz, als sie der Frau beharrlich hinterherhinkte. Es tat verdammt weh, aber sie wollte die Fremde nicht verlieren. code:ronja
Viss streckte den Arm höher und gab Mor damit zu verstehen, von ihrem Arm auf ihre Schulter zu wandern. Dann griff sie nach ihren Finger, an dem der kleine, goldene Ring lag. Eines der wenigen echten Goldobjekte. Für einen kleinen Impuls von Energie verdoppelte sich das Schmuckstück und sie schob beide wieder auf ihre Finger. Je mehr, umso besser. Sie sah lächelnd auf ihre Hand hinab. „Viss!“ Das Krächzten neben ihren Ohr zwang sie dazu, den Blick auf ihrem Schmuck zu lösen. Sie ballte die Hand zu Faust und hielt die Ringe damit sicher fest. Keiner würde sie ihr wegnehmen können. Ihre Augen waren leicht geweitet, ihr Körper angespannter als noch kurz zuvor, als sie wieder auf den Weg vor sich sah. „Was?“, begann sie Fadir zu erwidern, doch bevor sie dazu kam, knallte ihre Schulter gegen die eines anderen Menschens. „Huch!“ Mit einem überraschten Ausruf stolperte die Elbin zurück, ihr Blick fixierte den dunkelhaarigen Jungen, mit dem sie zusammengeknallt war. Trübe Augen trafen ihre leuchtend golden, als er zurückwich. Viss fing ihr Gleichgewicht wieder und die beiden Vögel, die beim Zusammenstoß aufgeflattert waren wie erschrockene Hühner, setzten sich wieder auf ihren Schultern ab. Die Dunkelhaarige beugte den Oberkörper vor, als der andere wieder zu Boden sah. Sie schnipste vor seinem Gesicht. „Hey? Hallo? Hier bin ich.“ Sie sah kurz an sich hinab, aber alles war noch da. Viss war auf genug Märkten gewesen, um Dieben begegnet zu sein, die so etwas nützten, um ihr etwas zu klauen. Ihre Miene entspannte sich und sie trat näher an den Jungen heran. „Ah ah, hoffentlich nicht. Es ist nicht nett, nicht aufzupassen.“ Sie klopfte ihm tadelnd auf die Schulter und schnalzte leise mit der Zunge. Dass auch sie hätte aufpassen sollen, übersah sie etwas. „Was willst du mit dem Menschen?“, kam von Modir, auch wenn es für ihr Gegenüber nur ein Krächzen war. Viss zuckte leicht die Schulter und spürte die Krallen der Vogel, die sich an ihr festklammerten. „Das ist ein toter Mensch, Viss. Pass auf.“ Fadir klang in ihren Ohren deutlich besorgt und Viss kniff die Augen zusammen und legte je eine Hand auf eine Schulter des anderen, um ihn so festzuhalten. Ihre Augen glitten über sein Gesicht, über seinen Hals nach … warte. „Oh, was ist das? Was ist das“, fragte sie, ihre Stimme wie immer ein leichter Singsang. Sie beugte sich noch weiter vor, den Blick auf die kleinen, hellen Stellen gerichtet. Bevor sie aber noch mehr machen konnte, stolperte eine weitere Person gegen sie und lenkte sie von dem armen Jungen ab. Sie drehte den Kopf, aber die älterer Frau war schon wieder auf dem Weg. Von ihrem Standpunkt mitten auf dem Weg ausgehend, wäre es aber nur eine Frage der Zeit, bis wieder einer ein sie laufen würde. Viss griff nach dem Handgelenk des Fremden und ließ seine Schultern dabei los. „Komm, komm. Dann kannst du mir erzählen, was passiert ist“, meinte sie, ohne viel Verständnis dafür, wie direkt und persönlich ihre Aufforderung war. code:ronja
Viss hob vorsichtig den Fuß, als eine besonders dickte Ranke ihr im Weg lag. Ihre goldenen Augen fixierten den Boden, während sie sich darüber hinwegbewegte. Fadir auf ihrer rechten Schulter rieb den Kopf gegen ihre Wange und sah zu, wie die Elbe sich weiter durch das Gestrüpp bewegte. Sie hatte nicht gewusst, dass hier ein Dorf war, als sie am frühen Morgen aufgebrochen war. Ihre kleine Höhle lag ein Stück südlich, zwischen diesem Ort und Maldina – die Stadt, in der sie sonst immer landete. Diesen Morgen war sie aber in die Gegenrichtung aufgebrochen, um die Gegend dort zu erkunden. Sie hatte gewusst, dank einer Karte, die sie sich von einem Fremdenführer geholt hatte, dass es irgendwo am Rande des großen Waldes noch zwei größere Dörfer gab, aber sie hatte gedacht, sie wäre noch weiter von ihnen entfernt. Als Modir von ihrem Flug zurückgekehrt war, hatte der Rabe sie auf die Menschen vor ihr aufmerksam gemacht. Aufregung war durch ihren Körper gepeitscht, hatte ihre Augen zum Leuchten gebracht. Die Tiere, mit denen sie lief, waren zwar genug Begleitung, dass ihr Herz nicht zum Rasen begann, aber die Aussicht, wirklich Menschen gefunden hatte, begeisterte sie. Viss trug ihre normale, menschentaugliche Kleidung. Übertrieben viel bedeckte sie nicht zum Glück, sie bevorzugte es den Wind und die Sonne auf ihrer Haut zu spüren anstatt Stoff. Ihr Tuch, dass sie sonst verwendete, trocknete von ihrem morgendlichen Bad noch über einem Ast. Neben dem leichten, weißen Kleid trug sie wie immer ihren Schmuck. Die Haare hatte sie hochgebunden und mit goldfarbenen Spangen befestigt … auch wenn diese leider nicht aus echtem Gold bestanden. Dieses war zu teuer, auch wenn Viss versuchte, zu sparen.
Jetzt schob sie sich durch das verwachsene Dorf, verwundert, dass hier wirklich Menschen lebten. Selbst ihr Heimatsort war nicht so sehr in die Natur eingewebt gewesen und dort hatten Elben gewohnt. Ein breites Lächeln auf den Lippen hob sie das Gesicht zu den zwischen den Blätter einfallenden Sonnenstrahlen. Mittlerweile konnte sie die Bewohner hören. „Das ist ein magischer Ort“, meinte sie zu Fadir, der weiterhin auf ihrer Schulter saß, während die zweite Hälfte des Rabenpaars über ihnen in der Luft war. Oder in einem Baum. Oder auf der Jagd. Andere Elben hätte es vielleicht gestört, dass ihre Begleiter Fleisch aßen. Viss selbst verzichtete meist ebenfalls darauf. Weniger aber aus moralischen Bedenken um der Tiere willen, sondern eher, weil sie die Vorstellung ekelhaft fand, etwas zu essen, mit den sie sprechen konnte. Nachdem sie um eine weitere, hohe Pflanze herumgelaufen war, erreichte sie endlich die Straße, sofern man den halb verwachsenen Weg so nennen konnte. Mehrere Menschen kamen der Elbe entgegen und warfen ihr schräge Blicke zu. Nicht verwunderlich, immerhin war ihr Aufzug nicht gerade klassisch und sie hatte einen schwarzen Vogel auf sich sitzen. Sie grinste den anderen entgegen und hob die Hand zum Himmel, sobald sie frei unter diesem stand. Ein paarmal winkte sie, bis sich ein Schatten aus einem der Bäume löste und auf sie zugeflogen kam. „Mor!“ Der Rabe landete auf ihrem aufgesteckten Unterarm und brachte die Elbe zum Kichern. „Da bist du wieder. Hast du etwas Schönes gefunden?“ Neben dem einfachen Grund, dass auch ihr Vater zwei Raben gehabt hatte, hatten die schlauen Vögel den Vorteil, im Gegensatz zu vielen anderen Tieren zusammenhängender sprechen zu können. Für ihre spitzen Ohren zumindest. Sie lauschte Modirs Erzählungen über das Dorf, während sie sich die Straße entlangbewegte, auf das Zentrum zu. code:ronja
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