Immerhin war Gin nicht alleine mit ihrem Gedanken. Auch nach der Beschreibung der anderen Räume kam der Vampirin dieser uralte Drachentempel viel weniger wie eine Gebetsstätte sondern viel mehr wie ein Gasthaus oder ein Wohnkomplex vor. Fehlten nur noch die Schlafräume, oder?
Und die Theaterbühne hast du mir verschwiegen? Vielleicht wäre da heute was tolles gelaufen., scherzte die Vampirin, stimmte aber sonst den Aussagen des Rothaarigen zu.
Auf eine Sache war er jedoch nicht eingegangen. Vielleicht wusste Yuuki es nicht und vielleicht hatte er sich nur in seinen Gedanken verloren und vergessen, auf Gins Frage zu antworten. Man musste dem Rotschopf von Crimson Sphynx zugute halten, Gin hatte recht viel gesagt. Da konnte der ein oder andere Satz im Laufe des Gefechts untergegangen sein.
Und hast du rausgefunden, wem dieser Tempel gewidmet ist? Doch das war nicht die einzige Frage. Es gab noch etwas anderes, was die Neugierde der Schwarzhaarigen anfachte. Etwas, das Yuuki im Observatorium gestanden hatte: Er wäre hier fast gestorben. Vor wenigen Minuten noch hatte Gin einen Scherz darum gemacht, denn Yuuki war bei dem Thema so unangenehm ernst geworden. Doch seitdem schwirrte eine Frage im Kopf der Bleichen herum:
Sag mal… Wie bist du hier fast gestorben? Wenn Gin ehrlich war, dann wusste sie immer noch nicht so ganz genau, was hier vorgefallen war.
Gab es einen Kampf? Sie versuchte, die Frage ein wenig taktvoll zu stellen, doch wusste sie, dass es sich für den Grynder wohl um ein sensibles Thema handelte. Er hatte es ihr noch vor wenigen Minuten selbst gesagt.
Der Rotschopf hatte sich ein wenig zur Ruhe gesetzt und als er sich nach einigen Minuten wieder erhob, wirkte er einen Zauber, der in Gins Augen bewirkte, dass seine Hose sich von selbst reinigte.
Praktisch…, sprach sie nicht ohne ein klein wenig Neid aus. Sich vorhin durch die ganzen Dornen zu schlagen hatte das Outfit der Vampirin ein Stück weit mitgenommen, da wäre sie über ähnliche, selbst-heilende Klamotten gar nicht unglücklich. Warum war das keine Magie, die Orwynn ihr aufgezwungen hatte? Das hatte immerhin etwas Praktisches.
Von mir aus gerne., erwiderte die Vampirin auf den Vorschlag, weiter zu gehen.
Da hinten gibt’s noch ein paar bunte Räume, aber irgendwie reizt mich die große Treppe mehr., ließ die Magierin verspielt verkünden, bevor sie sich daran machte, eben jene mit einigen Schritten zu erreichen.
Der Zahn der Zeit mochte vielleicht an vielem hier im Tempel genagt zu haben, doch Gin bemerkte beim Betrachten der Wendeltreppe, dass vieles auch noch sehr gut in Schuss war. Die Wendeltreppe war ein weiteres Beispiel dafür, dass einiges hier im Tempel wohl dem Zahn der Zeit und auch den Naturgewalten trotzen konnte. Ob das wohl einfach nur an robuster Bauweise lag? Was wohl Yuuki dazu dachte?
Sag mal, wenn der Tempel hier Jahrhunderte oder so unter Wasser war. Was denkst du, warum es sowas wie die Dornenranken gibt? Oder Teppichböden? Vielleicht hatte der Grynder ja schon etwas herausgefunden oder besaß eine Einsicht, die er mit der Vampirin teilen wollte?
Leise vor sich hinsummend schritt Gin - dieses Mal Ladies First - die Wendeltreppe hinab. Ihre feste Sohle hallte auf dem Stein wieder und sendete leise “Tok, Tok, Tok”-Geräusche die Treppe hinab. Die kalten, bleichen Finger der linken Hand ließ die Vampirin dabei über die noch immer recht glatte Oberfläche eines Geländers gleiten, das aus demselben Stein, aus dem auch Wände und Treppen bestanden, geformt war. Zwar war der Du Bellay bewusst, dass sie im Grunde bald wieder auf dem selben Stockwerk ankam, das sie betreten hatte, dennoch hatte es etwas Spannendes, tiefer in den Tempel vorzudringen. Besondere Schätze und Geheimnisse waren immerhin immer irgendwo unten, in den Katakomben versteckt, oder?
Es dauerte nicht wirklich lange, da waren Yuuki und Gin wieder im ersten Obergeschoss angekommen. Zu ihrer linken würde ein Wanddurchbruch die Archäologin in Spe (oder Grabräuberin in Spe, je nachdem, wie man es betrachtete) in die große Eingangshalle, in der sie Yuuki getroffen hatte, zurückführen. Doch die Treppe führte auch weiter nach unten, in den Bauch des Tempels. Und eine dritte Möglichkeit blieb den beiden Magiern ebenfalls noch offen. Ein großes, geöffnetes Portal führte in ein Zimmer, in dem Gin auf den ersten Blick einige schreckliche, monsterartige Umrisse sehen konnte. Schnell war die Lacrima-Laterne wieder eingeschaltet, die beim Hineinleuchten jedoch zu erkennen gab, dass es sich bei den Silhouetten wohl um ausgestopfte Tiere oder so handeln musste.
Jedem das seine…, kommentierte sie die Trophäen, die sie vom Eingang aus sah, und blickte sich dann zu Yuuki um.
Schauen wir uns das hier auch noch an?, fragte sie mit einem neugierigen Lächeln auf den Lippen. Das würde ihr bald vergehen.
-> tbc: 1. OG - Trophäenzimmer@Yuuki