Crimson Sphynx Gildenpalast - Ostturm

Lustlos ließ der Illusionsmagier den Reinigungswagen los, den er hinter sich hergezogen hatte, löste den Wischmopp aus der dafür vorgesehenen Halterung und tauchte ihn mit einem schmatzenden Geräusch in das Wasser, das bereits eine schrecklich dunkle Farbe angenommen hatte. Der triefende Mopp wurde kurz über dem angebrachten Sieb ausgedrückt, bevor Lian das Putzutensil klatschend auf den Boden schlug und gähnend vor sich hin wischte. Meine Güte, war das langweilig. Warum musste er seine Zeit als billige Putzkraft der Gilde vergeuden? Und warum zum Henker hinterließen die ganzen Magier so verdammt viel Dreck?! Ernsthaft, der Falls war entsetzt gewesen, als sich das kristallklare Wasser in seinem Putzeimer bereits nach der ersten Ecke des langen Flures in eine braune, undefinierbare Masse verwandelt hatte. Putzten sich die Leute ihre Schuhe nicht ab? Gab ja wohl genügend Matten, an denen man sich ein bisschen säubern konnte, bevor man gefühlt den Bodenbelag von halb Aloe Town ins Gildenhaus schleppte. Unverschämtheit! Zwei namenlose Magierinnen gingen kichernd an Lian vorbei, er schenkte ihnen aber kaum Beachtung. Klar, das hier war ein scheiß Job und in seinem Hausmeister-Outfit sah der Braunhaarige sicherlich auch wenig beeindruckend aus. Wäre er in ihrer Position, hätte er auch gelacht. Er trug einen dunkelgrünen Einteiler mit diversen Taschen, ein Schwamm, der aus seiner Brusttasche lugte und grellgelbe Gummihandschuhe, die ihm bis zu den Armbeugen reichten. Und in diesem wenig imposanten Outfit zog er mit dem dreckigen Wischmobb seine Bahnen. Nur kurz sah der Falls auf, um sich klarzumachen, dass der Flur noch ziemlich lang war… und dieser ganze Flur sollte heute von ihm geputzt werden. Er seufzte stumm. Aber wie war er hier gelandet? Naja, unter der Putzkolonne, die sich sonst engagiert um die Säuberung des Gildenpalastes kümmerte, hatte es eine böse Krankheitswelle gegeben. Also mussten andere Magier einspringen… und Lian war einer der glücklichen Auserwählten. Er war überzeugt, dass sein Onkel Aram das mit Absicht gemacht hatte, nur um ihn zu ärgern. Vielleicht hatte auch Koren seine Finger im Spiel? Wahrscheinlich steckten beide unter einer Decke. Wer jetzt dachte, dass sich der 19-Jährige doch sicherlich mit Händen und Füßen gegen diese Aufgabe gewehrt hätte, der lag falsch. Der Falls war sich sicher, dass es genau das war, was Aram und Koren mit der Aufgabenzuteilung erreichen wollten. Daher verhielt sich Lian bewusst anders: Er hatte die Aufgabe kommentarlos angenommen, sich selbstbewusst in den grünen Einteiler geschmissen und stoisch die grellgelben Gummihandschuhe übergezogen, sie klatschend auf seine Haut aufschlagen lassen und dann erhobenen Hauptes den Wischmopp über die Schulter geworfen. Wenn sie dachten, ihn so leicht aus der Fassung zu bringen, dann lagen sie gehörig falsch. Und nun war er hier, in einem der Flure vor den Quartieren der anderen Magier und schrubbte vor sich hin. Wie lange er wohl noch brauchte? Egal, einfach weiterschrubben. In mittlerweile schon genau einstudierter Bewegung zog Lian den Reinigungswagen ein Stückchen weiter, tunkte den buschigen Mob erneut ins Wasser, drückte ihn im Sieb aus und klatschte ihn wieder auf den Boden. Nochmal. Und nochmal. Leise pfiff er vor sich hin, um sich mit der kleinen Melodie von der eintönigen Arbeit abzulenken. Okay, also spätestens jetzt war der Falls durch und durch zur Putzkraft geworden. Vielleicht sollte er über einen Berufswechsel nachdenken?

# 1 Dieses Gildengehabe war anstrengend. Aram Falls, der Gildenleiter der Vereinigung, der Juno sich angeschlossen hatte, forderte in einem kurzen, persönlichen Gespräch etwas mehr Einsatz für die Gemeinschaft. Was genau er von ihr wollte, verstand die Magierin nicht so recht. Also schlug sie ihm vor, einen Posten für die Gilde zu bekleiden, eine Aufgabe „für die Allgemeinheit“ zu übernehmen. Aus der spontanen Idee heraus und aufgrund mangelnder Überlegungszeit, warf sie den PR-Manager in den Raum. Eine Position, die aktuell unbekleidet war und für die man jemanden suchte, wie Juno sich zu erinnern glaubte. Es folgte Stille. Das… war etwas Gutes, oder? Immerhin hatte Aram nicht sofort nein gesagt… allerdings auch nicht ja. Nach einer gefühlten Ewigkeit erklärte der Gildenmeister schließlich, dass er die Idee ganz gut fände, er ihr aber erst einmal jemanden an die Hand geben würde. Juno ging mit gemischten Gefühlen aus diesem Gespräch heraus. Einerseits hatte sie Aram zufriedenstellen können, andererseits musste sie sich nun mit jemandem rumschlagen müssen. Sie bekam einen Babysitter an die Hand…

Das Klackern von Absätzen hoher Schuhe hallte durch die Flure. Geräusche, lauter noch als die Stimmen, die einander in einem Gespräch abwechselten. Juno unterhielt sich mit Yuuki über die Sache mit der Public Relations Aufgabe und dem Babysitter dafür. Warum? Die Magierin war nicht dumm. Sie wusste um die Aufgaben des Rotschopfes und vermutete in ihm einen potenziellen Kandidaten dafür, sie an die Hand zu nehmen. Wenn die Halbdämonin ihrem Babysitter schnell klarmachen konnte, dass sie keine Hilfe brauchte, dann würde man sie sicher schneller wieder in Ruhe lassen.
"Es ist mir wichtig das elitäre Auftreten nach außen hin zu bewahren, verstehst du? Die Leute sollen uns als professionelle und starke Magier wahrnehmen. Auf keinen Fall will ich hören, wie jemand uns in einem Satz mit diesem Chaoshaufen mit Feenflügeln erwähnt." Alleine der Gedanke an diese rauflustige, friedensliebende Versagerbande sorgte im Magen der Magierin für ein Gefühl der Übelkeit.
Ziellos wanderte zumindest Juno durch die Gänge. Sie hatte Yuuki abgepasst, dann aber den Eindruck gemacht, sie wäre ihm zufällig begegnet. Nun lief sie einfach dort entlang, wo ihn seine Beine hintrugen, um das Gespräch möglichst lange aufrecht zu erhalten. Eigentlich hatte sie grade nämlich rein gar nichts zu tun. Zwei Magierinnen kamen ihnen entgegen. Sie tuschelten und kicherten, stellten für Juno allerdings nicht viel mehr als Hintergrundstörgeräusche dar. Das taten andere Mitglieder dieser Gilde sehr häufig. Die Halbdämonin war nicht besonders gut darin, sich mit anderen anzufreunden, ergo blendete sie sie zumeist einfach aus. Anders als Yuuki in diesem Moment. Immerhin war er vielleicht so etwas wie ihr Schlüssel zur Tür hinter der man sie in Ruhe lassen würde.

Der Kopf des Falls wippte passend zu der entspannten Melodie, die seine Lippen verließ. Es machte die Arbeit durchaus leichter und hob die Stimmung des jungen Mannes an, der bereits einige Meter im unendlich lang anmutenden Flur vorangekommen war und gerade in einer erneuten Bewegung des Wischmobb ins Wasser tunkte, kurz ausdrückte und den Flur direkt im Anschluss weiter säuberte. Lian hatte das Zeitgefühl verloren, was für die diese eintönige Aufgabe aber auch ganz hilfreich war – wenn er nicht wusste, wie viel Zeit vergangen war, konnte er sich auch nicht darüber aufregen, wie viel Lebenszeit er bereits in die Säuberung des Bodens des Gildenpalastes verschwendet hatte. Er musste es positiv sehen: Immerhin konnte er dieser Säuberungsaktion alleine nachkommen. Allein der Gedanke daran, eine weitere Putzkraft an der Seite zu haben, die im schlimmsten Fall auch noch eine immer sprechende Quasselstrippe war, ließ den 19-Jährigen erschaudern. Nein, da machte er lieber sein eigenes Ding. Natürlich hörte Lian zwei Stimmen, die sich ihm näherten, interessierte sich aber wenig dafür. Ähnlich wie die beiden Magierinnen, die wenige Augenblicke zuvor bereits tratschend und kichernd an ihm vorbeigeschritten waren. Lian arbeitete einfach stumm weiter, den Blick der hellgrünen Augen gen Boden gerichtet und noch immer pfeifend, als könnte nichts und niemanden ihn in seiner Arbeit aus der Ruhe bringen. Während der Falls seine ganze Aufmerksamkeit dem Putzen widmete, waren die anderen beiden Personen in ihr ganz eigenes Gespräch vertieft, sodass sie alle überhaupt nicht darauf achteten, sich gegenseitig nicht in die Quere zu kommen.

Daher kam es, wie es kommen musste: Lian stand mittig im Flur, machte eine halbe Drehung mit dem Wischmobb und konnte nicht mehr stoppen, als er plötzlich auf hübsche Damenfüße starrte. Der nasse Mobb wurde einmal quer über die femininen, hochhakigen Schuhe gezogen... Lian unterbrach seine pfeifende Melodie, blinzelte und setzte dann ein charmantes Lächeln auf, als sein Blick langsam nach oben glitt. „Oh, entschuldigen Sie, verehrte…“, begann er sein typisches Gesülze, unterbrach sich aber inmitten des Satzes, als er in das Gesicht der Dame blickte. Sekunden verstrichen, ohne dass sich irgendetwas in den Zügen von Lian regte. Stille. „Eh…“ Man konnte förmlich sehen, wie es im Kopf des jungen Mannes ratterte, während er stoisch sein Lächeln aufrechterhielt. Dann wurden seine Augen größer, das Lächeln verschwand und Lian meinte, sein Herz würde stehenbleiben. Ihn trennten nur wenige Zentimeter von, von… „Juno?!“, sprach er den Namen aus und konnte es immer noch nicht so richtig glauben. Fast um sich zu vergewissern, dass er sie nicht verwechselte, starrte er kurz auf die Hörner und danach auf den dämonischen Schweif, der in ihrem Rücken zuckte. Nein, Verwechslung ausgeschlossen. Aber was machte sie hier? Der Illusionsmagier war erstarrt und seine volle Aufmerksamkeit lag auf der Decidius, weshalb er die rothaarige Gestalt an ihrer Seite nicht einmal wirklich ansah. Und selbst wenn er Yuuki angesehen hätte, war fraglich, ob Lian ihn sofort wiedererkannt hätte. Denn genauso wenig, wie er mit Juno gerechnet hatte, rechnete der Falls an diesem Tag mit einem Wiedersehen mit dem Grynder. Wow. Zufälle gibt’s! Während er die Dämonin noch ein paar Sekunden fassungslos anstarrte, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er nicht nur wenige Zentimeter von Juno entfernt stand, sondern auch noch ihre verdammten Schuhe besudelt hatte. Er sprang ein gutes Stück zurück und hob hastig seinen Mobb - die einzige Waffe, die ihm gerade zur Verfügung stand. „Was zum Henker machst du hier?!“, fragte er nach, ohne seine Verteidigung gegenüber der Frau zu vernachlässigen.

# 2 "Richtig.", stimmte Juno ihrem Begleiter zu. "Ich habe da auch gar keine Bedenken, geschweige denn so etwas wie Schuldgefühle, Fairy Tail vor den Zug zu schubsen, sollte es das Ansehen unserer Gilde schützen." Sie sah sogar eine Chance darin, sollte ein Magier von Fairy Tail in ein Problem der Gilde involviert sein, den Ruf seiner Gilde als Sündenbock zu nutzen, um das eigene Ansehen zu bewahren. Vollkommen unabhängig vom eigentlichen Geschehen. Ein Stadthaus fängt durch den Zauber eines Crimson Sphnyx Magiers Feuer? Fairy Tail war involviert? Die Fee war schuld. So einfach konnte PR sein. Dieses Gespräch verlief weiter und Juno war verdammt motiviert. Sie legte sich richtig ins Zeug, wenn auch nicht ganz ohne Hintergedanken. Sie wollt einfach ein gutes Bild abgeben – Nein – Das bestmögliche Bild abgeben, damit man sie zukünftig ihre Arbeit einfach alleine machen lässt. Sie brauchte keinen Aufpasser an ihrer Seite, der ihr auf die Finger schaute und das versuchte sie zu beweisen.
Abgelenkt von der Konversation beachtete Juno die Aushilfsputzkraft vor ihr so überhaupt nicht. Sie nahm sie höchstens unterbewusst wahr, sah sich aber keineswegs dazu gezwungen einen Bogen um die verrichtete Arbeit zu machen. Wenn, dann war es ja wohl die mindere Arbeitskraft, die ihr ausweichen musste! Tat sie nicht. Stattdessen zog dieser Einfallspinsel einmal ordentlich seinen in Brackwasser getränkten Mob über ihre Füße. Wie als wäre sie zu Stein erstarrt, blieb Juno stehen. Ihr Blick richtete sich zunächst fassungslos nach unten, während sie bereits spürte, wie das Wasser über ihre Haut lief, und es sich in ihren Schuhen ausbreitete. Innerlich begann es bei ihr sofort zu brodeln. Unaussprechbare Gefühle des Zorns arbeiteten daran, aus ihr herauszubrechen. Selbst der Dämon in ihr drängte darauf, in Form ihres Take Over Zaubers befreit zu werden, um diesem Tölpel den Kopf von den Schultern zu trennen. Die Stimme, die Worte der Entschuldigung aussprach, kam ihr bekannt vor, doch es war Blickkontakt nötig, um zu erkennen, um wen es sich handelte. Nicht, dass die Tatsache, dass es sich bei dem Vertretungshausmeister um Lian handelte, irgendetwas an ihrer Wut oder dem Drang, ihm Schmerzen zuzufügen, änderte. Es war lediglich die Überraschung, die ihre Gewaltbereitschaft kurzzeitig unterband. Die Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach, deutete ebenfalls darauf hin, dass er sie nicht hatte kommen sehen. Es dauerte einen kurzen Moment, ehe das Erkennen des Gildenleiterneffen das Potenzial ihrer Gewaltbereitschaft nur noch anfeuerte. Ihre Hand ballte sich zur Faust, bereit nach ihm zu schlagen, doch der Magier ergriff Präventivmaßnahmen. Er sprang ein Stück zurück und hob sein Putzutensil als Werkzeug zur Verteidigung. Was sie hier machte? Na was wohl?! Arbeiten! Die viel größere Frage war… "Was glaubst du was du hier machst?!", keifte sie zurück. "Nicht einmal als Putze bist du zu gebrauchen!" Ihre Faust hatte sie aufgelöst, um ihre Hand in seine Richtung zu werfen und auf ihn zu zeigen. Ihr Arm zitterte vor Wut und die Option, Agash nach draußen zu lassen, war noch lange nicht verworfen.

Natürlich hatte Juno nach ihm schlagen wollen – das war immerhin das, was das rosahaarige Monster am besten konnte: Anderen Schmerzen zufügen. Lian war froh, dass er schnell genug geschaltet hatte, um den nötigen Sicherheitsabstand zwischen sich und der Decidius herzustellen und zusätzlich seinen Mopp schützend vor sich hielt – eine erbärmliche Waffe, aber immer noch besser als gar keine Waffe. Es dauerte auch nicht lange, da deutete Juno mit vor Wut zitternder Hand auf ihn und spie ihm böse Worte entgegen. Zumindest setzte sie nicht sofort zum Angriff gegen den Falls an, was eine ganz willkommene Abwechslung war. Die Worte, die sie aussprach, halfen Lian bei seinen vielen Fragen in diesem Augenblick allerdings nicht weiter, denn anstatt ihm zu antworten, stellte Juno einfach prompt die gleiche Gegenfrage. Verdammt nochmal, nicht einmal Klartext konnte diese verdammte Dämonin sprechen! „Oh, ich bin für ein geschäftliches Essen hier, sieht man mir das nicht an?“, fragte er mit vor Ironie triefender Stimme. Um seine Worte zu untermalen, hob er die rechte Hand mit dem grellgelben Gummihandschuh und dem Wischmopp nochmal ein Stück höher. Eine kurze Pause folgte, bevor er mit gerunzelter Stirn und deutlich ernsterer Ausdrucksweise ergänzte: „Ich putze, meine Güte! Ist doch offensichtlich.“ Dass er angeblich nicht einmal als Putzkraft etwas taugte, überhörte Lian geflissentlich. War ja nicht so, als hätte er nette Worte von der Dämonin erwartet. Genauso wie in Juno brodelten auch in dem Braunhaarigen viele Emotionen – unter anderem Zorn, viel mehr allerdings eine gute Portion Angst. Da ihm Angst in diesem Moment aber wenig half, klammerte er sich an den Zorn, um seine Verteidigung oben zu halten. Er befürchtete, dass er von dieser Dämonin ziemlich schnell zerfleischt werden würde, wenn er sich seine Angst offensichtlich anmerken ließ. Nachher konnte sie seine Furch noch riechen… Er sprach weiter, um sich schnell von diesem Gedankengang abzulenken. „Aram…“, rutschte ihm in der Schnelle der Vorname heraus, aber dann wurde ihm bewusst, dass er gerade nicht mit Juno alleine war, weshalb er sich schnell mit einem Kopfschütteln korrigierte. „Gildenmeister Falls hat mir diese unglaublich ehrwürdige Aufgabe übertragen. Weil man als Magier dieser Gilde ja nichts Besseres zu tun hat.“ Und dann kam ihm die Erkenntnis – die schreckliche, schreckliche Erkenntnis. Der zornige Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand, als er Juno erschrocken anstarrte. „Bitte sag mir, dass du dich hier drinnen nur verlaufen hast. Ich zeige dir gerne den Ausgang. Bitte sag mir nicht, dass du eine Crimson Sphynx Magierin geworden bist.“ Alles, nur das nicht. Wie sollte er ihr aus dem Weg gehen, wenn sie eine Kollegin geworden war?! Allein die Vorstellung, mit der Decidius zusammen einen Auftrag zu erledigen, ließ es ihm eiskalt den Rücken herunterlaufen.

Als wäre das alles nicht schrecklich genug, wurde es nur noch viel schrecklicher. Denn erst als der rothaarige Typ an Junos Seite seine Stimme erhob, wurde Lian dazu bewegt, ihm überhaupt einen Hauch Aufmerksamkeit zu schenken. Noch ehe er ihn genau angesehen hatte, stöhnte der Falls lautstark: „Sag mal, seid ihr alle blind? Ich laufe in meiner Freizeit nicht zum Spaß mit einem Mopp herum!“ Ernsthaft, was sollte er hier sonst machen außer zu putzen? Aber Moment. Hatte der nicht irgendetwas von Dieb gefaselt? Der Braunhaarige stutzte und hob verwundert die Augenbrauen, als er in vor unglaublichen Zorn funkelnde Augen sah. Er hatte ihn einen Dieb genannt… diese Haare… diese Augen… und während der Grynder seinen Zauberspruch wirkte – was auch immer das genau bedeutete – fiel für Lian der Groschen. Yuuki! Der Typ aus dem Crocus Park. Sein Medaillon! Der Falls war endgültig überfordert mit der Situation. Warum war dieser Yuuki hier? Warum war Juno hier? Und… warum waren die beiden zusammen hier?! Der Grynder ging bedrohlich einen Schritt auf den Illusionsmagier zu, in seinen Händen hielt er einen Stab, so als wolle er ihn jederzeit zum Angriff einsetzen. Lian ahnte bereits, dass sein Wischmopp einer direkten Konfrontation kaum standhalten würde und ging instinktiv einen Schritt zurück, den Blick allerdings nicht von dem Rothaarigen abgewandt. Er hatte keine Gelegenheit gehabt, um sich hierauf vorzubereiten oder sich einen guten Plan zurechtzulegen. Yuuki machte mit seiner gesamten Körperhaltung mehr als deutlich, dass Lian es gar nicht erst versuchen sollte, mit der Freunde-Masche zu kommen. Deshalb ließ er es lieber. Die Stimme blieb ernst, als er antwortete: „Alter, keine Ahnung, wovon du sprichst.“ Der Falls hatte das Medaillon nicht dabei, weshalb er einfach genau die gleiche Leier abzog wie damals im Crocus Park: Den Diebstahl abstreiten. Solange man das Diebesgut nicht an ihm fand, konnte man ihm auch keine Schuld nachweisen, oder? Damals hatte er Yuuki gegenüber behauptet, unschuldig zu sein, er hatte sowohl seine Mitgliedschaft bei Crimson Sphynx als auch seine Magiebegabung verleugnet und davon gesprochen, in irgendeinem Zirkus zu arbeiten. Er hatte eine junge Frau bestohlen und den geleerten Geldbeutel am Ende dem unwissenden Grynder zugesteckt. Das waren alles Lügen gewesen, wie Yuuki spätestens jetzt und nach seinem kurzen Wortwechseln mit Juno erkennen konnte. Es war also nicht weit hergeholt, dass es auch eine Lüge war, dass er das Medaillon nicht gestohlen hatte. Die Frage war aber: Wie sollte die Wahrheit ans Licht gebracht werden? Sie würden ja wohl aufgrund eines Verdachts ohne Beweise kaum einen anderen Magier mitten in der Gilde vermöbeln… oder etwa doch?!  

# 3 Lian machte es aber selbst auch noch schlimmer mit dem was er sagte. Statt sich vernünftig zu entschuldigen, warf er zynische Kommentare zurück. Wir sprechen hier von einer standesgemäßen Entschuldigung, dafür reichte das Lächeln, welches den Charme eines begossenen Pudels hatte und ein larifari daher gesagtes „entschuldigen Sie“ bei weitem nicht aus. Er hatte ja nicht mal im Ansatz seinen Kopf geneigt oder eine Verbeugung angedeutet. Genauer betrachtet wäre Juno aber auch mit einem Kniefall nicht mehr zufrieden gewesen…
"Du meinst, weil du zu mehre nicht nütze bist.", warf sie bissig hinein, als Lian über die Aufgaben als Gildenmagier sprach. Der Aushilfshausmeister verpackte dann hoffnungsvoll die Erkenntnis, die er nicht wahrhaben wollte in Worte. Ja, sie war nun eine Gildenkollegin. "Was glaubst du, treibe ich sonst hier? Wenn es deine Hoffnung nährt, dann spreche ich es nicht aus." „Bitte sag mir nicht“, hm? Ändern tat es gar nichts. Er müsste damit leben, ihr täglich begegnen zu können. So wie es umgekehrt auch der Fall war. Glücklich waren mit dieser Tatsache beide nicht.
Die Situation so ganz fassen konnte wohl auch Yuuki nicht. Dass er damit so seine Probleme hatte, konnte Juno allerdings zunächst nicht nachvollziehen. Dass er seinen Ohrring herausnahm und damit nun Lian bedrohte, okay… Er hatte ja immerhin auch seinen verranzten Mob über ihre Füße gezogen. Aber warum betitelte er ihn denn als Dieb? Der Rotschopf ging bald schon einen Schritt weiter und forderte vom Gildenleiterneffen sein Medaillon zurück. Überrascht wanderte Junos Blick von Yuuki zum angeklagten Dieb hinüber. Lian stritt sofort ab. Er stellte sich komplett unwissend und meinte, er wisse gar nicht wovon Yuuki sprach. Juno hingegen war verblüfft davon, mit was für einer Überzeugung der Rothaarige ihm seinen mit Steroiden aufgepumpten Ohrring unter die Nase hielt. Er glaubte fest daran, Lian wieder zu erkennen. "Ha! So ist das also!" Die Magierin konnte ein Auflachen nicht zurückhalten. "Na dass du deine Finger nicht bei dir behalten kannst, ist ja nichts Neues." Sie wurde nicht müde auf dem Ereignis, welches zwischen ihnen vorgefallen war herumzureiten. Die Halbdämonin machte darüber hinaus auch nicht grade den Eindruck, als wolle sie eine Streitsituation schlichten wollen. Warum auch? Es wäre ein Genuss für sie, mit anzusehen wie Yuuki Lian vermöbeln würde. Beachtlich jedenfalls, wie schnell ihr Zorn verschwunden war. Die Tatsache, dass sich der Falls grade ganz schön tief in der Scheiße steckte, amüsierte sie viel zu sehr, als dass sie noch hätte wütend sein können.
Der Fokus lag nun auf Lian. Yuuki wollte irgendein Medaillon zurückhaben und stellte den Langfinger zur Rede. Junos Blick lag ebenfalls auf ihm, in Erwartung seiner Rechtfertigung. Ein bisschen mehr als „keine Ahnung was du meinst“ musste da schon kommen. Fordernd verschränkte die Halbdämonin ihre Arme unter der Brust. Ihre Augenbrauen wanderten in Erwartung der Geschichte nach oben. "Hast du’s schon verkauft? Dann lieber schleunigst raus mit deinen Kontakten." War er es überhaupt? Die Wahrheit war Juno egal. Er sollte leiden.

Juno! Dieses verdammte Biest machte die Situation nur noch schlimmer als sie ohnehin schon war. Die konnte auf eine Entschuldigung für ihre dummen Schuhe warten, bis sie alt und grau wurde (was bei einer Halbdämonin wohlgemerkt ein Weilchen dauern konnte). Ihr höhnisches Lachen hallte durch den Flur und so, wie es für sie Gewohnheit war, hob die Rosahaarige ihre Nase in die Höhe und versteckte die scharfen Eckzähne hinter ihrem Handrücken. Der Braunhaarige war zu abgelenkt von der Gefahr, die dieser Yuuki ausstrahlte, um der Decidius Kontra zu geben. Dabei hätte sie das mehr als verdient gehabt! Stand da herum und ließ mal wieder andere Leute die Drecksarbeit für sich machen. Und Yuuki spielte auch noch mit! Damals im Crocus Park hatte ihm der Typ echt mehr gefallen… wo war der naive Tölpel von damals hin? Gerade glich dieser Rothaarige nicht annähernd dem freundlich dreinblickenden Hundchen, das ihm und Grishira eine Vorführung seiner Künste gezeigt hatte. Er war eher ein wild gewordener Grizzly, dem man lieber aus dem Weg ging, wenn man weiterleben wollte. Lian spürte, dass er gerade knietief in der Scheiße steckte – sein Hirn ratterte, wie er sich retten konnte. Bisher waren da aber nicht sonderlich viele Ideen vorhanden, weshalb er mit dem Abstreiten der Tat auf Zeit spielte.

„Den Ruf der Gilde in den Dreck ziehen?“ Wäre die Situation nicht so zum Zerreißen angespannt, hätte der Falls aufgelacht. Was sollte das denn bitte heißen? Yuuki kam noch einen Schritt näher, Lian wich synchron einen weiteren Schritt zurück. Und dennoch konnte er es nicht ganz auf sich sitzen lassen. Es war nun nicht so, dass Lian jedem auf die Nase band, dass er ein Crimson Sphynx Magier war. Vor allen Dingen keinen Leuten, die er bestahl – die Gefahr, dadurch aufzufliegen, war viel zu groß. Meine Güte, nicht einmal der Grynder selbst hatte deshalb gewusst, wer Lian eigentlich war! Ein Detail, dass der Rothaarige in seinem Zorn offensichtlich vollkommen ignorierte. „Du wusstest nicht einmal, dass ich dieser verdammten Gilde angehöre. Wie sollte ich ihren Ruf da in den Dreck ziehen?!“, keifte er, von einer kleinen Welle des Zorns mit neuem Mut erfüllt. Bis eben war Yuuki überzeugt davon gewesen, von einem reisenden Zirkusartisten bestohlen worden zu sein! Und dabei hätte es auch gerne bleiben können, wenn es nach Lian gegangen wäre… Oh und Yuuki konnte sich sicher sein, dass er nicht bestohlen worden wäre, wenn der Braunhaarige gewusst hätte, dass es sich bei ihm um einen Gildenkollegen handelte. Nicht, weil er seine Kollegen mochte, sondern aus rein strategischen Gründen, denn dadurch passierten so unschöne Dinge wie jetzt gerade. Yuuki beendete seine Ausführungen damit, dass ausgerechnet Aram von dem Diebstahl erfahren sollte. Zuerst war er geschockt, aber je mehr Lian darüber nachdachte, desto weniger Schrecken hatte er vor dieser Offenbarung. Jedem hier war klar gewesen, dass er nicht als Magier in diese Gilde gehörte. Aram, Koren und auch ihm selbst. Wenn er durch das Gerede von diesem Yuuki aus der Gilde fliegen würde, dann wäre es eben so. Es war ja doch nur eine Frage der Zeit gewesen, ein unausweichliches Ereignis. Lian lächelte milde. „Der ehrenwerte Gildenmeister wartet nur darauf, also nur zu“, kommentierte er trocken.

Lian wollte noch etwas sagen, aber dazu kam er nicht mehr. Juno grätschte mit ihrer schrillen Stimme dazwischen und fragte nach, ob er das Schmuckstück bereits verkauft hatte. Nein, hatte er nicht. Aber das wollte er so gerade nicht zugeben. Der junge Mann machte den großen Fehler, kurz den Blick von Yuuki abzuwenden, stattdessen zur Dämonin zu blicken. Und da passierte es: Noch gar nicht richtig begreifend, was passiert war, spürte Lian einen heftigen Schlag mitten in die Magengrube, der ihm sämtliche Luft aus den Lungen drückte. Der Illusionsmagier keuchte schmerzerfüllt auf und wurde im nächsten Augenblick schon einige Meter durch die Luft geschleudert. Zusammen mit dem Mopp, an den er sich mit letzter Kraft klammerte, knallte der 19-Jährige zurück auf den Boden, was die nächste Schmerzwelle durch seinen Körper jagte und ihn aufstöhnen ließ. Er krümmte sich, kniff die Augen zu und biss die Zähne fest zusammen, um sich selbst unter Kontrolle zu halten. Okay, das hier war endgültig eskaliert. Er hörte die Stimme von Yuuki, was Lian dazu bewegte, die Augen wieder zu öffnen und mit angespannter Gesichtsmuskulatur zu dem Rothaarigen aufzublicken. Die Bilder? Er wollte sie wiederhaben? Oh, der Falls hatte auch schon so vieles in seinem Leben gewollt und es doch nicht bekommen. Dieser Grynder hörte sich an wie ein patziges Kind. Als der Typ sein Wort an Juno richtete und ihr erklärte, sie hätte ihren ersten Auftrag, runzelte der Falls die Stirn. Was auch immer für ein Auftrag – es war ihm egal. Und doch machte es ihm bewusst, dass er gerade zwei Leute gegen sich hatte und hier eindeutig die schlechteren Karten hatte. Also? Was tun?

Lian klammerte sich an den Wischmopp und just in diesem Moment wurde die Umgebung in ein helles Licht gehüllt. Keine Sekunde später sprang der Falls ohne Vorwarnung nach vorne, um Yuuki in eine direkte Konfrontation zu verwickeln. Ein direkter Zweikampf, Mann gegen Mann, auf dass der Bessere gewann!

Nicht.

Okay, das war das, was der Grynder zu sehen bekam. Als würde ein Illusionsmagier wie Lian sich ernsthaft einem echten Kampf stellen. Der Witz war gut! Tatsächlich hatte der Braunhaarige Feint Attack eingesetzt, um dem Rothaarigen einen Angriff vorzutäuschen. Nach ein paar Sekunden würde die Illusion vor den Augen des Gegenübers schon wieder verschwinden, stattdessen würde er noch den Wischmopp erkennen, der ohne Halter zu Boden plumpste und vielleicht noch die Schemen von dem Falls erkennen, der seine Beine in die Hand genommen hatte und hastig um die Ecke des Flures rutschte. Lian wusste, dass es hier nichts für ihn zu gewinnen gab, weshalb er nur allzu gerne die Flucht ergriff! Leider war dem jungen Mann nicht bewusst, dass er mit seinem Ohrring und seiner silbernen Kette Metallgegenstände an sich trug, die ein Magnetismusmagier wie der Grynder mit Leichtigkeit orten konnte… Tja, nicht zu Ende gedacht.

# 3 Es dauerte einen Moment, bis bei Yuuki der Groschen gefallen war und er realisierte, dass Lian tatsächlich ein Magier der Gilde war. Dabei war das nicht einmal das Schockierendste. Wie würde er erst reagieren, wenn er erfuhr, dass es sich beim Langfinger um den Neffen des Gildenleiters handelte? Nicht, dass Juno beabsichtigte, dies preiszugeben. Es war eine wertvolle Information und wer konnte schon wissen zu was diese noch mal gut sein konnte, wenn sie sie noch eine Weile für sich behielt? "Aber er hat’s rausgefunden.", stichelte die Magierin einfach mal ins Gespräch hinein, um Lians Rechtfertigung zu diskreditieren, ihn damit also weiter in die Scheiße zu reiten. Wenn Yuuki herausbekam, dass es sich bei Lian um einen Magier Crimson Sphynx handelte, konnten andere das wohl auch, oder? Na gut, wie viele Opfer seiner Diebstähle würden schon durch den Gildenpalast spazieren? Ungefähr keines, in etwa. Aber ob in so einer hitzigen Situation genauer über Junos Worte nachgedacht werden würde?
Wahrscheinlich nicht zuletzt durch Junos Sticheleien gefördert, wurde der Magnetismusmagier schließlich endgültig handgreiflich. Er nutzte seine Kräfte und seinen Stab dazu, Lian durch die Gegend zu schleudern. Die Augenbrauen der Halbdämonin zuckten hoch vor Überraschung, ihre Mimik mündete jedoch in einem gehässigen Grinsen. Geschah ihm recht. Als Yuuki durch seine Worte andeutete, dass er mit dem Dieb noch nicht fertig war, begann sie daraufhin laut zu fantasieren. "Diebische Elster als Verräter enttarnt. Magier durch Crimson Sphynx ins Exil geschickt", so ihre Schlagzeile, bei der sie den Schluss extra so betonte, dass man davon ausgehen konnte, dass diese zweideutig zu verstehen war. Aber nicht auf die versaute Art und Weise.

Zunächst irritiert von Lians Gegenangriff, schaltete Juno dann doch. Sie erinnerte sich an seine Magie, realisierte jedoch trotzdem zu spät, dass er Yuuki täuschen wollte, um dieses Täuschungsmanöver zu unterbinden. Geschickt griff sie nach einem ihrer Schuhe, nachdem sie die Hacke hoch genug gezogen hatte. Juno zog ihn aus und schleuderte ihn Lian wütend hinterher. "Er rennt weg!", verriet sie ihrem Pressekollegen, was allerdings eine mehr oder weniger versteckte Aufforderung zur Verfolgung war. Der Mistkerl durfte nicht entkommen! Er musste büßen für das, was er getan hatte und ihr die verschmockten Schuhe ersetzen! Und vielleicht die Bilder wieder rausrücken. Hätte Yuuki sich dafür verdient, ihm eine Tracht Prügel zu verpassen.

Hatte Juno gerade ernsthaft ihren Schuh nach ihm geworfen?! Lian hatte den Wurf nur noch aus dem Augenwinkel mitbekommen und den Gegenstand knapp an seinem Kopf vorbeisegeln sehen, danach gehört, wie er polternd auf den Gang des Gildenpalastes geknallt war. Diese Dämonin hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wer warf denn bitte einen Schuh nach einer flüchtenden Person? Der Falls fühlte sich fast wie ein billiger Streuner, den man verjagen wollte… Pff. Na, wenn die nichts besseres zu bieten hatte, dann ihr Pech. So würden sie den fliehenden Dieb mit Sicherheit nicht einfangen! Zuerst hatte der 19-Jährige vorgehabt, so weit und schnell zu laufen, wie ihn seine Füße tragen konnten. Allerdings waren die Gänge des Gildenpalastes groß, lang und kaum mit Möglichkeiten versehen, um sich verdeckt zu halten. Der junge Mann befürchtete, dass dieser Yuuki ihn bei einem Sprint schnell einholen könnte, weshalb der Plan verworfen und durch einen anderen ersetzt wurde: Lian würde in der Besenkammer abtauchen, in der er die Putzutensilien für seinen heutigen Job geholt hatte. Die kleine Räumlichkeit war vollgestopft mit allen möglichen Dingen und vermutlich würde es ziemlich eng werden, wenn der Falls sich zwischen Besen und Eimern dort verstecken wollte, aber es erschien ihm sinnvoller, als einfach nur zu laufen. Und wer kam schon auf die Idee, in einer Besenkammer nach ihm zu suchen? Niemand. Er würde ein paar Minuten ausharren und dann einen vorsichtigen Blick hinauswerfen, ob die Luft rein war. Und dann… naja, hoffen, dass er weder Juno noch Yuuki so schnell wieder begegnen würde. Zumindest hätte er Zeit, um sich auf ein eventuell zukünftiges Treffen besser vorzubereiten. Lian huschte also in die Besenkammer, die in absolute Dunkelheit gehüllt wurde, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Irgendetwas Feuchtes hing ihm in den Haaren… er schloss die Augen und zwang sich dazu, nicht darüber nachzudenken.

Die Schritte, die sich der Besenkammer näherten, konnte der junge Mann nicht hören, erst als die Klinke nach unten gedrückt wurde, zuckte der Illusionsmagier sichtlich zusammen. Als das Licht des Ganges die Besenkammer erhellte, kniff Lian angestrengt die Augen zusammen und es dauerte einen Augenblick, bevor er sich wieder an die Helligkeit gewöhnt hatte. Die Umrisse vor ihm schärften sich und… da standen Yuuki und Juno! Was zum-?! Wie hatten die ihn gefunden? Das Hirn des Braunhaarigen ratterte, dann fiel ihm ein, dass der Rothaarige damals eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, dass er in Magnetismusmagie bewandert war. Plötzlich spürte der Falls sowohl seinen Ohrring als auch die silberne Kette um seinen Hals mehr als deutlich, sie schienen ihm schwerer geworden zu sein, zogen ihn gen Boden. Konnte Yuuki das Metall erspüren? Verdammt, wie hatte ihm das entgehen können? Lian blinzelte, als er den bösen Blick aus den roten Seelenspiegeln des Gegenübers erkannte. Verstecken war sinnlos? Er sollte ihm die Bilder zurückgeben, dann konnte er gehen? Yuuki drohte ihm? Bis eben hatte der Braunhaarige einfach nur fliehen und dem Konflikt aus dem Weg gehen wollen, aber dieses hochnäsige Gehabe des Grynder ließ eine Sicherung in Lian durchbrennen. Es war nicht so, dass der Falls dem Rothaarigen seine Bilder oder das Medaillon nicht zurückgeben konnte, aber Yuuki drückte einfach genau die falschen Knöpfe bei dem Dieb. Er hasste es, wenn man von oben auf ihn herabblickte. Wenn man glaubte, alles mit ihm anstellen zu können, ohne ihn irgendwie ernst zu nehmen. Als wäre er nicht mehr wert als der Dreck, der unter Yuukis Fingernägeln verschimmelte! Der 19-Jährige spürte den Zorn in sich aufsteigen und verdrängte, dass er versteckt in der Besenkammer mit Sicherheit ein ziemlich jämmerliches Bild abgeben musste. Stattdessen erwiderte er das boshafte Funkeln in den Augen Yuukis und die rechte Augenbraue wanderte skeptisch in die Höhe. „Sag mal, hast du sie noch alle?“, fragte Lian nun sichtlich erzürnt – das erste Mal an diesem Tag. Yuuki hatte ihn in Gegenwart von Grishira als offen, freundlich, sogar witzig kennengelernt. Beim ersten Aufeinandertreffen im Flur war er erschrocken und ängstlich gewesen. Aber jetzt zeigte Lian echten Zorn, ohne jede Fassade. Man konnte einen Blick auf die echte Gefühlswelt des jungen Mannes erhaschen. „Ich habe keine Ahnung, was du denkst, wer du bist und was dir das Gefühl gibt, in dieser Gilde abziehen zu können, was du willst. Aber ich erinnere dich gerne daran, dass ich bis eben meinem Job für die Gilde nachgegangen bin und nur diesen beschissenen Flur gewischt habe, bevor du mich angegriffen hast. Ich hingegen habe keinen Finger gegen dich erhoben. Und jetzt tauchst du hier auf und drohst mir?“ Lian hatte genug von diesem scheiß Getue. Er redete sich richtig in Rage, kochte vor Wut. „Okay, ja. Ich habe dir eine Brieftasche in Crocus Town untergejubelt. Ja, ich habe die Passantin damals bestohlen“, gab er zu, was er normalerweise niemals getan hätte. Immerhin gestand er damit vor einem Gildenkollegen, gestohlen zu haben. Ob das dem Grynder Genugtuung gab? Lian sprach direkt ohne lange Pause weiter: „Aber verdammt nochmal, denkst du ernsthaft, das rechtfertigt, dass du mich mitten im Gildenpalast angreifst? Nur weil ich die Brieftasche damals gestohlen habe, ist das noch lange kein Beweis, dass ich dein beschissenes Medaillon habe! Selbst wenn du überzeugt davon bist, dass ich doch ein böser, böser Dieb bin, dem niemand eine Träne nachweint. Klar? Es gibt dir keinen Freifahrtschein, mich anzugreifen, weil dir nach Selbstjustiz ist und du an irgendjemandem deine Wut auslassen musst. Scheiße, bring dich mal unter Kontrolle! Wie unser lieber Gildenmeister darüber wohl denkt?“ Yuuki drohte ihm ständig mit dem Gildenmeister? Dann sollte er jetzt eben seine eigene Medizin schmecken! Derzeit sah alles danach aus, dass sie beide – Yuuki und Lian – Dinge ausgefressen hatten, die einem Aram Falls nicht unbedingt zu Ohren kommen mussten. Eigentlich eine gute Basis für Verhandlungen, oder? Fraglich war nur, ob nur einer der beiden Sturköpfe es schaffte, genau das zu bemerken und für ein humanes Gespräch zu nutzen. Ob Juno gleich noch mehr Öl ins Feuer schütten würde? Ach, beim Thema Juno huschte der zornige Blick der grünen Seelenspiegel doch nochmal zur Dämonin, die sich bisher sehr gekonnt im Hintergrund gehalten hatte und amüsiert für die Drecksarbeit ihre Hundchen Yuuki vorgeschickt hatte. „Und ernsthaft, du wirfst einen Schuh nach mir?“, fragte er entsetzt nach, fasste sich an die Stirn und schüttelte leicht den Kopf. Er wusste gar nicht, was er dazu noch sagen sollte. „Keine Ahnung, in welcher Beziehung ihr beide zueinandersteht und von was für einem Auftrag ihr da vorhin gefaselt habt, aber wenn ihr irgendwelche merkwürdigen Schlagzeilen formuliert, dann hoffe ich doch sehr, dass ihr ein bisschen mehr Recherche betreibt, anstatt die erstbeste, reißerische Aussage zu formulieren, die euch gerade in den Sinn kommt. Oder wollt ihr ein billiges Klatschblatt drucken?“ Diebische Elster als Verräter enttarnt… ernsthaft? Die Skepsis, mit der Lian Printmedien konsumierte, war durch diesen Einblick in die Arbeit der Journalisten nun noch zunehmend gesteigert worden. Hauptsache man konnte Aufmerksamkeit erhaschen. Sowohl Juno als auch Yuuki hatten bisher ihren Spaß damit gehabt, auf Lian nach Belieben einzutreten. Aber auch ein Lian Falls konnte irgendwann zur Gegenwehr ansetzen. Wie die beiden damit wohl umgingen?

# 4 Juno schaltete leider zu spät um die Flucht des Magiers zu vereiteln. Sie wusste von seiner Magie, doch ließ sie sich von dem Scheinangriff trotzdem genug irritieren, damit Lian die Flucht gelang. Der geworfene Schuh änderte daran natürlich auch nichts. Er war viel mehr ein Ausdruck von Junos Gefühlslage. Immerhin war er eh verdreckt und triefte vor Putzwasser. Weiter darin gelaufen wäre die Magierin sowieso nicht.
Yuuki erklärte indes, dass der Kerl nicht weit kommen würde. Dabei wirkte und klang er sehr selbstsicher. Es schien so, als wisse er entweder, wohin Lian geflohen war oder aber er hatte eine Möglichkeit ihn wieder aufzuspüren. Die Magierin war kurz davor ihren zweiten Schuh ebenfalls auszuziehen, um dann in ihrer Strumpfhose über den steinernen Boden des Gildenpalastes zu laufen, als sie mit ansah, wie der Rotschopf sich an dem geworfenen zu schaffen machte. Er verzauberte ihn, sodass er wieder aussah wie neu. Juno war ein wenig verdutzt. Nicht, dass sie Magie an sich verwunderte, immerhin war sie selbst in der Lage zu zaubern, sie fragte sich lediglich, was dieser Zauber mit Magnetismus zu tun hatte. Immerhin dachte sie zu wissen, dass Yuuki genau so eine Art von Magie nutzte. Doch mit einem Magneten bekam man ja nicht mit Brackwasser verschmutzte Kleidung wieder sauber. "Danke.", sprach sie kleinlaut aus, während sie in den ihr hingehaltenen Schuh schlüpfte. Ein Wort, welches ihr nicht oft über die Lippen ging. "Wo glaubst du eigentlich, ist Lian hin?", schob sie sogleich nach, um nochmal auf den Kommentar zu seiner Flucht zurückzukommen. Yuuki entschuldigte sich erst einmal für seinen Wutausbruch, auch wenn er sich dafür in ihren Augen keinesfalls entschuldigen brauchte. Weiter erklärte er, dass er den Dieb seines Medaillons „spürte“. Na gut, dann sollte es ja tatsächlich leicht sein ihn wiederzufinden. So stöckelte Juno dank Yuukis Eingreifen weiter durch die Gänge des Palastes, statt nahezu barfuß hindurchschreiten zu müssen. Mal sehen wo sich der Langfinger so rumtrieb.

Weit war Lian tatsächlich nicht geflohen. Der Rotschopf öffnete nach einer kurzen Weile eine Türe, woraufhin der Betrügermagier nicht nur ertappt, sondern auch in der Falle war. Es war schon ein belustigender Anblick, wie der Kerl in der Besenkammer kauerte und vor Schreck zusammenzuckte. Dieser Lappen, der ihm halb auf dem Kopf lag… wahrscheinlich stank er wie ein begossener Pudel.
Was dann geschah verwunderte Juno allerdings sehr deutlich. Statt ein wenig beizusteuern oder zurückzustecken, drehte Lian voll auf. Er fühlte sich scheinbar im Recht oder so ähnlich. Jedenfalls regte er sich plötzlich auf. Er kritisierte Yuuki für sein Verhalten und, so ganz nebenbei, für sein Auftreten. Was trieb ihn dazu? Noch viel verwirrter war die Halbdämonin, als er fast im selben Atemzug zugab, dass er den Magnetismusmagier tatsächlich geframed hatte.
"Wer einmal lügt…", zitierte Juno, die die Ruhe weg hatte, halblaut dazwischen, während Lian sich in Rage redete. Gefolgt von weiterem Piesacken. "Na, so wie er über dich denkt, wird er Yuuki wahrscheinlich ohnehin im Recht sehen.", antwortete sie auf die wahrscheinlich rhetorische Frage des Diebes.
Ob sie tatsächlich einen Schuh nach ihm geworfen hatte? "Das nächste Mal treffe ich hoffentlich.", bestätigte sie weiter provokant. War ja nicht so, dass er es nicht verdient gehabt hätte. Junos Dämonenschwanz zuckte hinter ihrem Rücken hin und her.
Lians Kritik an der vermeintlich mangelhaften Recherche verstand die Magierin nicht. Er war ein Dieb, hatte dies sogar selbst zugegeben. Außerdem ging sie immer noch fest davon aus, dass er auch Yuuki bestohlen hatte. Das machte ihn zu einer Art Verräter, oder nicht? Immerhin bestahl er in diesem Fall einen Kollegen, ein Mitglied der eigenen Gilde. Ihm die Beziehung der Zwei oder das Gesprächsthema von zuvor zu erklären, darauf hatte sie keine Lust.
Ein vorbeispazierender Magier, der neugierig in Richtung der Besenkammer linste, erhaschte die Aufmerksamkeit der Rosahaarigen. Ein stechender Blick ihrerseits zur Seite beendete die Beobachtung der Szenerie jedoch schnell wieder.
Dass Juno der Provokationen nicht müde wurde, war wohl offensichtlich. Wenn es nach ihr ging, durfte Yuuki ruhig weiter auf Lian einprügeln. Wie es dem Rotschopf erging, konnte sie aber nicht sagen. Er wirkte zuerst weicher als zuvor, doch wie er den Wutanfall des Schuldigen verkraften würde? Die Halbdämonin war jedenfalls die falsche für einen gegebenenfalls benötigten Schlichter.