Ortsname: Crimson Sphynx Gildenpalast - Ostturm Art: Gebäude Spezielles: --- Beschreibung: Der östlichste Turm des Gildenhauses ist das Wohnquartier für alle Magier, die sich keine Wohnung in der Stadt suchen wollen oder können. Die Räume sind orientalisch gestaltet und bieten Platz für zwei bis sechs Magier, je nach Größe des Raums. Die Kosten für ein Bett betragen immer 10.000 Jewel im Monat, was deutlich unter der normalen Miete in Aloe Town liegt, weswegen besonders die unerfahrenen Magier der Gilde hier Unterschlupf finden.
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El
Anmeldedatum : 23.01.20 Anzahl der Beiträge : 202 Alter : 32
Quest: Die Kristallkugel der Schmerzen - 3 | 10 Hoffnung verkaufte sich gut... Ja, davon wäre Elena auch ausgegangen. Umso sonderbarer fand sie es, dass diese Wahrsagerin irgendwie nur schlechte Vorhersagen traf. Was für eine komische Entscheidung, oder? El schmunzelte unter ihrer Maske wegen der Art und Weise, wie Cassandra es gesagt hatte. Wie das aber funktionierte, dass diese eher negativen Voraussagen immer zutrafen, war das, was El noch mehr beschäftigte als dieser andere Umstand, den sie nicht verstand. Sorgte die Frau dafür, dass diese Probleme eintraten? Oder war es eher so, dass es sich hier um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelte? Auch das konnte El sich vorstellen. Immerhin traf einen oft etwas Schlechtes, wenn man in der Erwartung dessen war. Auf der anderen Seite konnte man den Dingen, die einem gefährlich werden konnten ganz einfach großflächig aus dem Weg gehen. Aber ob das so einfach war? Kam sicherlich drauf an welche Art der Voraussagen diese Frau traf. Rätseln konnte sie wie sie wollte... Letzten Endes würden sie es erst vor Ort wirklich herausfinden!
Auf dem Weg nach draußen begannen die Frauen sich erst einmal wirklich miteinander zu unterhalten. Auf die Frage hin, wo sie ihr Weg hinführen würde, sprach Cassandra nicht besonders lang und ausschweifend. Der Basar, hm? Ein Ort, den El in der Regel eher mied. Zu den meisten Tageszeiten waren ihr dort zu viele Leute und mit ihren Einschränkungen war das anstrengend. Hinter der Maske bekam man nicht besonders gut Luft und mit dem einen Auge konnte sie dahinter auch nicht supergut sehen. Seit einer ganzen Weile lebte El hier. Daher konnte sie sich innerhalb der Stadt schon ganz gut orientieren. Der Weg zum Basar sollte an sich also nicht unbedingt das größte Problem werden. Mehr Sorgen machte sie sich, wenn es langsam voller in den Gassen und Straßen werden würde. Cassandra erzählte ihr derweil davon, dass dies eine ihrer ersten Quests war. Oooooh. El war hier wirklich die Erfahrenere, hm? Ob das gut gehen würde? Die notwendigen Fähigkeiten hatte die kleine Magierin ja, aber ob sie das wirklich hinbekäme gut genug zu sein, um Cassandra ein gutes Vorbild zu sein...? Apropos. Jene sprach El gerade an. Die kleine Maskenträgerin blickte zu ihr auf. „Ja, schon eine W-Weile. Läuft g-g-ganz gut.“ Hm. So ein richtig flüssiges Gespräch wollte zwischen den Beiden nicht zustande kommen, oder? Lag sicher daran, dass El auch ganz schön wortkarg und schüchtern war. Was den Plan anging, grübelte das Mädchen einen Moment lang vor sich hin. Mit ihrer kratzigen Stimme sprach sie dann: „Sollten wir sie direkt mal ansprechen? Oder unter dem V-V-Vorwand, dass wir unser Zukunft wissen w-wollen?“, fragte sie Cassandra. Allein wollte sie das nicht gern entscheiden. Es wären beides Möglichkeiten. „U-Und es wäre sicher interessant B-Betroffen zu befragen, oder?“, grübelte sie kurz. Erstmal war ja lediglich ihre Aufgabe herauszufinden warum diese Frau nur solche Vorhersagen traf und weshalb sie auch so in Erfüllung gingen. Aber sollte man die Frau direkt darauf ansprechen? Mittlerweile waren Cassandra und El jedenfalls auf dem Basar angekommen und es hatte sich ganz schön gefüllt. Die kleine Magierin musste regelrecht aufpassen, dass sie nicht mit irgendeiner Gruppe mitgedrängt wurde... und von hier unten konnte sie den Stand der Wahrsagerin nicht erkennen. Vielleicht hatte ja Cassandra etwas mehr Glück?
Scheinbar kannte El sich in der Stadt aus. Mit mehr als nur ein wenig Dankbarkeit überließ Cassandra der, vermutlich, jüngeren Magierin die Führung. Aloe Town war einfach ein bisschen zu groß. Die Gassen zu verwinkelt und je höher die Häuser waren, desto leichter war es die Orientierung zu verlieren. Langsam nahm der Gegenverkehr zu. Leute kamen mit Taschen oder gleich mit ihren Einkäufen in Händen auf die beiden zu. Vorsichtig schob sich Cassandra wieder ein Stückchen vor El. Mit der Zweihandaxt auf einer Schulter, deren Schaft schlicht keine andere Trageweise erlaubte, machte man den beiden zumindest irgendwann mal Platz. Cassandra schickte ein entschuldigendes Lächeln voraus, wie eine Lokomotive einen Schneepflug. Das hier war deutlich unangenehm. Sie machte anderen Leute wirklich ungerne Mühe, aber sie konnte ja auch nicht zulassen, dass irgendwer El übersah und anrempelte. "Gut", blieb der einzige Kommentar auf Els Aussage, dass die Mitgliedschaft in der Gilde bei ihr gut liefe. Kurz musste Cassandra schmunzeln. Die Stille, die sich hier ausbreitete, kam zumindest ihr nicht unangenehm vor. Manchmal war ein wenig Stille schlicht angenehm. Und vielleicht war El auch dieser Meinung. Kurz wurde ein relativ stiller Platz zwischen zwei Zelten gesucht. Die Zweihandaxt von der Schulter wuchtend, ließ Cassandra deren Kopf auf den Boden prallen. Auf die Dauer war das Ding halt einfach schwer.
"Wenn sie Quacksalberei betreibt, warnen wir sie, wenn wir sie darauf ansprechen", gab die junge Frau typisch leise zu hören. Was zumindest nach Cassandras Meinung ausgesprochen wahrscheinlich war. Wahrsagerei konnte nicht funktionieren oder wenn sie es tat, dann nur unzuverlässig. Wenn es wirklich funktionierte, hätte die Frau es nicht mehr nötig ihr Zelt auf diesem Basar aufzuschlagen. Aber, nun, wie sollten sie vorgehen. El hatte auf jeden Fall eine exzellente Idee gehabt. Wenn sie mit den Leuten sprechen konnten, die sich bereits Vorhersagen abgeholt hatten, fanden sie vielleicht etwas heraus. Falls das nicht funkionierte... Der Blick aus türkisgrünen Augen richtete sich nach unten aus. "Glaubst du, dass Wahrsagerei funktioniert, El?" Falls die Antwort Ja lautete, wäre es auf jeden Fall Cassandra, die sich eine Vorhersage geben ließ. Sie glaubte nicht an so etwas. Nicht einmal bei Maenor, der Träume von seinem Ziehvater erhielt. Wenn das zuverlässig wäre, hätte Ra auch einfach einen Brief an seinen Ziehsohn schreiben können. "Hallo Ra-Junior. Lange nicht gesehen. Was du übrigens tun solltest..." Von ihrer natürlich erhöhten Warte aus konnte Cassandra zumindest sehen, was vermutlich das richtige Zelt war. Zumindest hatte es oben leuchtende Sternchen, Sonne und Mond aufgemalt. Ein schwerer Vorhang versperrte die Sicht in dessen Inneres. Vor dem Eingang stand ein Schrank von einem Mann, der so aussah als würde er in seiner Freizeit Walnüsse zerbeißen. Eine steile Falte bildete sich auf Cassandras Stirn. Sah nach einem Rausschmeißer aus. Wozu brauchte eine Wahrsagerin einen Rausschmeißer? Vielleicht wegen der Leute, die mit ihren Vorhersagen unzufrieden waren? Aber die Frau war dafür bekannt, dass sie nur Negatives voraussagte. Da konnte sich niemand beschweren, wenn man reinging und exakt das bekam. Reichlich seltsam. "Mit den Betroffenen zu sprechen ist eine exzellente Idee. Die Frage ist, wie wir sie finden. Wir könnten ein wenig herumfragen." Irgendwer hier musste schließlich wissen, wer sich nach der Vorhersage einen Beinbruch oder derlei abgeholt hatte.
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El
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Quest: Die Kristallkugel der Schmerzen - 4 | 10 Die Gespräche zwischen Cassandra und El waren alles andere als ausschweifend. Was manch einer vielleicht als störend empfunden hätte, war Elena eigentlich ganz recht. Ihre kratzige und raue Stimme kam bei vielen Menschen nicht gut an und ehrlich gesagt war es auch nie besonders angenehm für sie viel zu sprechen. Das Stottern machte das Ganze nicht wirklich angenehmer. So war die androgyne Magierin doch ganz froh, wenn sie einfach mal die Klappe halten konnte. Es schien Cassandra ja jedenfalls nicht zu stören. Auf dem Weg hatte El Glück, dass ihre Begleiterin sich vor ihr bewegte und damit den Weg quasi freihielt. El war sich sicher, dass jene das mit Absicht machte. Zugegeben, mit der Axt auf der Schulter wollte man ihr auch nicht wirklich im Weg stehen, glaubte El zumindest. Ein dankbares Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht - leider für jeden Beobachter verborgen, denn die Maske lag ja darüber.
Quacksalberei. Ein schönes Worte. El nickte leicht, als Cassandra meinte, dass sie die Frau schon darauf ansprechen und warnen würden, wenn sie das denn wirklich tat. Die Frage war was sie machte und wie sie es anstellte, dass sie entweder wirklich die Zukunft der Leute sah oder sie beeinflusste. Wäre ja aber schon reichlich sonderbar, wenn sie mit diesen negativen Voraussagen immer richtig läge... Nicht jeder Mensch konnte immerzu Pech im Leben haben - auch wenn das aus Els Perspektive eine ziemlich ironische Ansicht war. Als Cassandra sie fragte, ob sie an Wahrsagerei glaubte, brauchte El nicht lange zu überlegen. „E-Es fällt mir schwer a-an Dinge zu glauben, d-d-die ich mir nicht logisch erklären k-kann.“, antwortete sie ziemlich direkt und ehrlich. „M-M-Maximal wenn Magie im Spiel ist.“ Etwas Anderes würde ihr als Grund nicht einfallen. Doch wie genau die Frau das anstellte, war eben noch das andere Rätsel... Jedenfalls waren die Beiden nun in der etwas zwielichtigen Ecke des Basars angekommen und kamen ihrem Ziel näher. Wie die Nachforschungen wohl weitergehen würden...?
“Hier, bitte… Das ist das Buch, das ich gemeint habe.” Mit einem Lächeln auf den Lippen trat Charon aus seinem Raum heraus, den alten Band in Händen haltend. Im Vergleich zu vielen seiner gesammelten Werke war er noch sehr gut erhalten - der Ledereinband war fest, sauber, ordentlich und kaum eingerissen, und allgemein konnte man das Buch gut lesen und sogar herumtragen, ohne sich Sorgen zu machen, dass gleich ein Teil davon zu Staub zerfallen würde. Über seine Schulter in sein Zimmer hinein konnte man gut sehen, wie viele Bücher er dort noch immer verstaut hatte, aber das war wohl kaum eine Überraschung für seine Gesprächspartnerin. Ronya hatte den Raum schließlich schon ein paar Mal von innen gesehen. Wenn überhaupt, würde sie erkennen, dass dort ein gutes Stück weniger Bücher aufgetürmt waren als noch bei ihrem letzten Besuch. “Ich habe es erst vor ein paar Tagen bekommen, aber ich konnte es schon ein paar Mal durchlesen. Meine neue Magie ist in der Hinsicht eine große Zeitersparnis.” Mit einem warmen Lachen überreichte Charon der Alysida das Werk, das für sie sehr Interessant sein sollte. Sie beide hatten in letzter Zeit Interesse an einer sehr spezifischen Göttin entwickelt: Die Jägerin, die Ronya ihren Namen gespendet hatte, Artemis. Wobei Charon zugeben musste, dass er sich nicht seinetwegen so viel Mühe dabei gegeben hatte, dieses Buch in die Finger zu bekommen. Ronya war eine gute Freundin, und sie hatten vor nicht allzu langer Zeit Seite an Seite einen ziemlichen Rückschlag erlebt. Einen, der die Grünhaarige ziemlich mitgenommen hatte. Das hier war ein Versuch des Dargin, ihr eine Freude zu machen. “Das dürfte alle Geschichten von ihr beinhalten, die in Fiore angekommen sind. Eine beeindruckende Sammlung. Mir ist beim Lesen nichts in den Sinn gekommen, was fehlen würde… hm?”
Etwas überrascht blickte Charon auf, als sich die Tür seinem Zimmer gegenüber plötzlich ziemlich lautstark öffnete. Dabei sollte es ihn vermutlich überhaupt nicht mehr überraschen. Es kam regelmäßig vor, dass die Oni, die er damals sehr entschieden in seiner Nähe einquartiert hatte, sich sehr deutlich bemerkbar machte; er war es wahrscheinlich gerade nicht mehr gewohnt, schließlich war er in letzter Zeit ziemlich oft mehrere Tage, manchmal Wochen nicht in seinem Zimmer. Umso mehr freute er sich, die große, rote Dame heute einmal wieder zu sehen. “Oh, hallo, Karma. Schön, dich zu sehen. Ich hab dich vermisst”, lachte er fröhlich und hob die Hand zum Gruße. Dann sah er kurz Ronya an, dann wieder die Oni. “Sagt mal… Kennt ihr zwei euch schon? Karma, das hier ist Artemis, Diplomatin unserer Gilde. Mein persönlicher Favorit unter denen, die wir bisher hatten! Und Artemis, das hier ist Karma. Eigentlich Karmajeevan. Ich und Lian haben ihr vor einer kurzen Weile dabei geholfen, hier eine Heimat zu finden.” Wenn sich die beiden doch schon kannten, dann war die lange Vorstellung vielleicht ein wenig unangenehm… aber gut, sie beide kannten Charon. Sie wussten, wie gern er sprach und erklärte. Sicher würde keine von beiden es ihm übelnehmen. “Wo ich so darüber nachdenke… ihr würdet euch sicher gut verstehen. Karma ist nämlich auch eine sehr geübte Jägerin, weißt du?”, meinte er, an Artemis gewandt. Dann, leicht peinlich berührt, fuhr er sich durch die Haare und blickte wieder hinüber zu der Tsumiho. “Da fällt mir ein… Wir waren noch gar nicht zusammen jagen, nicht? Dabei hatte ich versprochen, dich mal zu begleiten…”
Wenn man sich bei Charon auf eine Sache verlassen konnte, dann war es sein Wissen und seine umfassende Büchersammlung! Mit breitem Lächeln starrte Ronya auf das Buch, das ihr Kollege in seinen Händen hielt und ihr schließlich überreichte. Eine gebündelte Sammlung an Geschichten über Artemis, echt unglaublich. Freudig betrachtete sie den Einband, drehte das Buch ein paar Mal hin und her und hielt es dann vorsichtig, aber fest genug vor ihre Brust. “Danke, Charon. Das ist wirklich lieb von dir.” Es kam öfter vor, dass die Grünhaarige sich an der Buchsammlung ihres Kollegen bereichern durfte. Natürlich achtete sie immer darauf, dass alles heile blieb und sie den teilweise sehr wertvollen Stücken keinen Schaden zufügte. Doch dieser Einband war etwas ganz besonderes, denn nach genau solchen Erzählungen suchte sie schon eine Weile. Seit den Erlebnissen auf Enca war Artemis ein zentraler Bestandteil ihrer aktuellen Fixierungen. Es war ihr immernoch schleierhaft, was diese Stimme von ihr Wollte. Ja, sie sollte sich beweisen oder so. Aber…wie? Was war der Sinn dahinter? Etwas gedankenverloren starrte die Slayerin auf die Vorderseite des Buches. “Sag mal…hast du schon etwas mit den Büchern anfangen können, die du auf Enca mitgenommen hast?” Bestimmt hatte Charon es sich nicht nehmen lassen, dort auch herumzustöbern. Schon auf der Rückreise konnte er es sich nicht nehmen lassen, alles zu analysieren und zu untersuchen. Zumindest hatte sie es ein wenig mitbekommen, denn um ehrlich zu sein, war die Alysida in all der Zeit ein wenig geistig abwesend gewesen. Zu sehr hatten die Ereignisse ihren Kopf beansprucht, als dass ihre Aufmerksamkeit sich viel auf die Ergebnisse des Dargin konzentrieren konnten.
Doch kaum versank sie noch tiefer in allem, sprang die Tür zu Charons Zimmer plötzlich auf und eine Person trat hinein. Eine…sehr große Person mit roter Haut und langen Hörnern an ihrem Kopf. Etwas verwundert legte Artemis den Kopf schief und auf die Nachfrage ihres Kollegin hin, schüttelte sie nur den Kopf. “Nein, ich kenne sie nicht. Also…ich habe sie nur mal von weitem gesehen.” Wenn jemand in den Hallen der Gilde auffiel, dann ja wohl Karma. Daher war die Grünhaarige sich relativ sicher, die große Frau schonmal aus der Entfernung gesehen zu haben, jedoch hatte sie mit ihr bisher noch kein Wort gewechselt. Mit einem freundlichen Lächeln trat sie an ihre Gildenkollegin heran und hielt ihr eine Hand hin. “Freut mich, dich kennenzulernen Karma. Ich bin Ronya.” Sie musste ihren Arm weit nach oben strecken, immerhin wollte sie ja nicht, dass sie sich für die Begrüßung bücken musste. “Moment, du jagst auch?” Ihre Augen funkelten und ihr Grinsen wurde breiter. Sofort wurde Karma ihr noch sympathischer.
Karma hatte bisher einen frustrierend langweiligen Tag gehabt. Sie war früh morgens, noch bevor die Sonne aufgegangen war, aufgebrochen und durch die Stadt gelaufen. Dort hin, wo die Vögel sich meist zuerst regten, wenn die Wüste sich langsam erwärmte. In ihrem neuen Mantel aus Bärenfell hatte sie auf dem Balkon eines der hübschen Häuser gegessen und gewartete. Das Warten war nicht das Problem. Karma war für eine Oni ziemlich geduldig und jagte weniger indem sie Beute nur hinterherlief, sondern auch darin, dass sie auf sie wartete. Sie hatte auf die Vögel gewartet, aber dann war eine Großmutter mit zwei Enkelkinder vorbeigekommen und hatte die Tierchen aufgescheucht. Die große Oni hatten sie nicht bemerkt. Nachdem die Menschen weggewesen waren, war sie die Wand ganz hochgeklettert und hatte auf dem Dach gewartet, bis die Sonne aufging und ihre hellen Strahlen die Stadt erleuchteten. Später dann hatte sie ihr Glück noch einmal versucht und ein kleines Tierchen erwischt, dass sie sich gekocht hatte. Soweit konnte sie mit der Küche mittlerweile umgehen. Wirklich voll war ihr Bauch damit leider nicht geworden. Sie hatte die Knochenüberreste gereinigt und in ihrem Zimmer sortiert aufgelegt und dann festgestellt, dass auch ihre Geldüberreste kläglich waren. Leider ließ Geld sich nicht einfach jagen oder sammeln. Sie musste arbeiten, Quests machen. Außer sie verließ Aloe Town um sich größere Beute zu suchen, die sie dann versuchen konnte, zu verkaufen. Der Lichtblick des Tages war eine der Zeitungen gewesen, die sie entdeckt hatte. Karma blätterte sie seit ein paar Tagen immer durch, auch wenn sie mit dem Lesen mehr langsam als schnell Fortschritte, machte. Aber sie mochte die Bilder. Diesmal hatte sie endlich die Fotos von sich und Graham gefunden. Karma hatte die Zeitung mitgenommen – und den jammernden Verkäufer ein Danke zugeworfen. Jetzt stand sie mit der Zeitung in der Hand und ansonsten hungrig und gelangweilt vor Charons Türe. Sie landete oft hier, auch wenn Charon nicht immer da war, wenn sie anklopfte. Oder an der Tür riss. Als sie aber heute die Klinke hinabdrückte, schwang die Tür auf. Ein breites Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Charon!“, rief sie erfreut mit üblicher Lautstärke aus und trat ohne weiteres Warten auf eine Antwort ein. In ihrer Freude warf sie die Tür mit etwas zu viel Schwung zu und diese krachte ins Schloss. Ihre Augen fanden den Weißhaarigen und sie lief auf ihn zu, um den Magier in eine feste Oni-Umarmung zu schließen. Der hielt das immerhin aus, das musste sie ausnützen! Und ihn dabei ein bisschen von den Füßen heben. Karma stellte ihn wieder ab und sah sich um. Erst jetzt bemerkte sie bewusst, dass er nicht alleine war. Eine Frau mit grünen Haaren war neben ihm und wurde jetzt von Charon angesprochen und vorgestellt. Die Oni ließ von ihm ab und grinste stattdessen der anderen zu. Sie beließ es bei Charons Vorstellung und ersparte Artemis ihren ganzen Namen inklusive wozu sie gehörte. „Hallo!“ Sie nahm die Hand mit ihrer freien und passte bei der Kleineren auf, ihr nicht die Hand zu quetschen. Dann warf Charon das Wort jagen in den Raum und ihre gelben Augen leuchteten auf. „Oh, ja! Ich habe heute aber nur eine kleine Maus gefangen.“ Sie warf Charon einen Blick zu und wachelt mit der Zeitung. „Die war nicht füllend. Ist nicht mal was für dich übrig geblieben. Aber wir können ja jagen gehen, hm? Es dir mal zeigen? Und Ronya kann auch mit, dann zeigen wir es dir gemeinsam!“, schloss sie die Grünhaarige ohne weiteres Nachfragen enthusiastisch mit ein und vergaß die Zeitung in ihrer Hand für den Moment ganz.
“Für dich doch immer gerne”, lächelte Charon fröhlich, während er beobachtete, wie sehr sich Ronya über das Buch freute. Es war schön, sie lächeln zu sehen - ihm war ja bewusst, wenn auch nicht zwingend im Detail, dass bei der Alysida in letzter Zeit so einiges drunter und drüber ging. Als sie ihn auf die Bücher aus Enca ansprach, nickte er erfreut. “Oh, allerdings. Es sind faszinierende Werke, die Geschichten erzählen, die sich wohl kaum ein Fiorer vorstellen könnte.” Er lachte auf, offensichtlich fasziniert. Ronya wusste ja inzwischen gut genug, wie sehr Charon in den Dingen aufgehen konnte, die ihn interessierten. “Ich kann leider noch nicht sagen, was genau der Durchbruch war, der in dem Brief erwähnt wurde… In Kombination mit den Wandmalereien aus Enca habe ich langsam ein Bild davon, wieso der Tempel verlassen ist und warum die Götter sich von den Menschen distanzieren. Der Sturm um Enca herum ist mir allerdings noch immer unerklärlich… Hm.” Nachdenklich legte das Weißhaar eine Hand an sein Kinn. “Ich habe das Gefühl, ich stehe vor etwas Großem… Aber ich habe es noch nicht. Ein paar Schritte fehlen mir noch, dabei hab ich die Bücher alle schon mindestens dreimal von vorn bis hinten geprüft. Mit meiner neuen Magie geht das zum Glück relativ fix…” Kurz seufzte er auf, ehe er die Unruhe in seinem Gesicht wieder fallen ließ und zu einem entspannten Lächeln zurückkehrte. “Naja, das kriege ich schon noch raus. Wenn du magst, erzähle ich dir gern in einem ruhigen Moment ein paar mehr Details. Du könntest mich ja mal wieder zum Essen einladen, Artemis?”
Spannenderweise war die Alysida aber nicht die einzige Besucherin, die der Dargin heute hatte. Da war auch noch die große, rothäutige Oni von gegenüber - Karmajeevan Tsumiho. Die freute sich offensichtlich sehr, ihn mal wieder zu sehen, wenn der laute Ausruf seines Namens und die feste Umarmung als Indikatoren genommen werden konnten. “Ahaha… überschwänglich wie immer”, lachte Charon, der Tadel nur gespielt. Er freute sich tatsächlich über die enthusiastische Art seiner Freundin, was seine Stimme und Mimik auch klar zeigten. Zufrieden erwiderte er die Umarmung, beschwerte sich aber auch nicht, als sie ihn wieder absetzte. Boden unter den Füßen zu haben war doch etwas Schönes. “Was ist denn mit der Zeitung?”, hakte Charon neugierig nach, als er sah, wie die Oni ihm damit zuwinkte. Eventuell wollte sie ihm etwas zeigen - er sah es sich gern an. Wobei es ihm ja eigentlich noch wichtiger war, dass seine zwei guten Freundinnen sich untereinander verstanden. Schwierig stellte er sich das nicht vor - Karma war sehr offen und optimistisch und Ronya verständnisvoll und zuvorkommend. Eine gewisse Sympathie würde sich da sicherlich bilden. Gerade, dass sie beide Jägerinnen waren, schien sie direkt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. “Sehr gern. Das ist eine wundervolle Idee”, nickte Charon erfreut, als Karma vorschlug, dass sie und Ronya ihm ja zusammen zeigen konnten, wie man ordentlich auf die Jagd ging. Er wandte sich an die Alysida. “Natürlich nur, wenn du auch Zeit für uns hast. Hättest du Lust auf eine kleine Jagd unter Freunden?” Das würde sie sicher nicht ausschlagen, oder? Schließlich war die Eismagierin eigentlich immer sehr spontan. Charon musste das wissen - der nahm ganz gerne ihre Zeit in Anspruch. Außerdem war das doch eine gute Gelegenheit für die beiden Jägerinnen, sich ein wenig näher zu kommen.
Apropos Jägerinnen… Nachdenklich legte Charon den Kopf leicht schief, verschränkte die Arme vor seiner Brust. Gab es nicht eine Aufgabe, die für zwei gestandene Jägerinnen eigentlich perfekt geeignet wäre…? Als Questboardverantwortlicher war der Dargin immer gut informiert darüber, was für Magier aktuell so gebraucht wurden, und ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht, während ihm ein Gedanke kam. “Wo ich gerade so überlege… Vielleicht weiß ich sogar von einer Beute, die sich zu jagen lohnt”, stellte er amüsiert fest. “Habt ihr beiden in den letzten Tagen einmal auf das Questboard gesehen…?”
Es freute die Magierin, dass Charon in seinen Forschungen offenbar eine Menge mit den Büchern aus Enca anfangen konnte. Wie er schon mehrfach erwähnt hatte, handelte es sich hierbei um kostbare Stücke, die man so in Fiore vermutlich nicht fand. Für jemanden wie ihn, der sich all das Wissen in diesen Brocken im Handumdrehen aneignete, waren sie gefundenes Fressen. Jedes Mal aufs Neue faszinierten Ronya die strahlenden Augen ihres guten Freundes, der für solche Forschungen und Entdeckungen brannte. “Vielleicht hast du einfach noch nicht alle Informationen.” Das klang wie der logische Schluss, oder? Wenn der Dargin aus der Verkettung dieser Infos noch zu keinem Ergebnis kam, dann fehlte vermutlich etwas. “Der…du weißt schon wer…hatte bestimmt etwas mehr Kontext zu all dem. Immerhin schien er spezifisch nach solchen Informationen zu suchen.” Ronya fühlte sich immernoch unwohl, über die Ereignisse oder den Mann, dem sie nicht helfen konnten, zu reden. Doch ewig um den heißen Brei herumreden wollte sie nun auch nicht. Nachdenklich legte die Grünhaarige eine Hand an ihr Kinn. Sie war definitiv in all diesem Forscherkram nicht so drin wie ihr Freund, doch sie versuchte ihm mit ihren eigenen Überlegungen so gut zu helfen, wie sie konnte. Und irgendwie schien Charon ein wenig auf sie abzufärben. “Du müsstest bestimmt mit ein wenig Fingerspitzengefühl herangehen, aber vielleicht weiß Herr Mariére etwas über die Forschungen seines Freundes.” Marquid Cornelius Mariére, der Mann, der sie überhaupt erst auf diese Reise geschickt hatte. Und…dem sie die Nachricht ihres Scheiterns höchstpersönlich überbringen mussten. Auch keine schöne Erinnerung. “Vielleicht…gibt es auch Aufzeichnungen, die dir helfen könnten.” Es wäre doch immerhin einen Versuch wert, oder? Ein schmales Lächeln zog sich auf Artemis´ Lippen, als Charon mal wieder eine Einladung sich selbst gegenüber aussprach. Ronya konnte nicht anders, als zu schmunzeln. Sie war es ja gewohnt. “Sehr gerne. Ich habe bestimmt noch genug Zuhause, um uns etwas zu ko-”
Ihr Gespräch wurde jedoch kurzerhand von einer aufspringenden Tür unterbrochen. Eine Person trat in den Raum. Eine sehr große Person. Eine sehr große Person mit einem kräftigen Händedruck. Oh, wenn Ronya gewusst hätte, dass Karma sich zurückhielt, wäre sie ihr ziemlich dankbar gewesen. Sie hatte keine Lust, durch eine einfache Begrüßung Knochenbrüche zu erleiden. Alles in allem schien die rote Oni jedoch eine sehr nette Person zu sein. Jedenfalls machte sie einen positiven ersten Eindruck. Und sofort fand die Alysida auch schon eine erste Gemeinsamkeit zwischen den beiden, denn offenbar war Karma ein Fan vom Jagen! Ohhhh, Ronya war schon ewig nicht mehr jagen gewesen. Einfach nur sie, die Natur und ein wenig Ruhe. Ihre Pflichten der Gilde gegenüber hatten es ihr einfach unmöglich gemacht, ein wenig Zeit Abseits des Ganzen zu beanspruchen. Zumindest würde sie ihren Kopf nicht abschalten können, bei all den Ereignissen in letzter Zeit. Enthusiastisch nickte sie, als der Vorschlag eines gemeinsamen Jagdausfluges in den Raum gestellt wurde. “Oh ja, sehr gerne!” Jetzt waren es ihre Augen, die vor Begeisterung strahlten. Doch als Charon das Questboard ansprach, legte die Slayerin ihren Kopf schief. “Nein, ehrlich gesagt nicht.” Normalweise schaute sie jeden Tag mindestens einmal drauf, doch die letzten Tage waren…anders gewesen. “Momentan hab ich irgendwie viel zu tun, da hatte ich gar keine Zeit.” Ihre eigenen Forschungen um Artemis waren immerhin noch im Gange, sie suchte weiterhin nach Hinweisen bezüglich des komischen Symbols und den Daevenari, die Senka erwähnte. Dann hatte sie auch noch kürzlich eine kleine Nebenaufgabe von Aram Falls höchstpersönlich aufgetragen bekommen. Ahhh, es war alles unglaublich anstrengend und zeitfressend. “Hast du etwas bestimmtes im Kopf? Die Frage hat sicher einen Hintergrund.”
Karma grinste auf Charon hinab, als sie ihn wieder auf den Boden setzte. In Oni-Maßstäben war das noch immer zurückhaltend. Aber was sollte sie sagen, es war schon einige Zeit her, seit sie den Weißhaarigen zuletzt gesehen hatte. Die Freude darüber stand der Großen ins Gesicht geschrieben. Da bemerkte sie Charons tadelnden Ton kaum. Außerdem lächelte er ja auch! In ihrer Begeisterung in wieder zu sehen, hatte sie die Zeitung fast vergessen, bis er sie jetzt ansprach und Karma die Hand hob. Ihre Augen wurden größer. „Oh ja!“ Sie blätterte aufgeregt durch die Seiten, bis sie relativ weit vorne fand, was sie suchte. Sie drehte die Zeitung um und hielt sie Charon hin, während sie mit dem Zeigefinger der anderen Hand darauf zeigte. „Schau! Da bin ich.“ Stolz sah sie kopfüber auf das Bild hinab, dass sie in dem hübschen, kurzen Kleid zeigte, in dessen Glitzer sich das Licht fing. Sie war in Bewegung und ihre Arme durch die Haut eines Flughundes mit ihrem Oberkörper verbunden. Etwas, dass sie eigentlich nur verwendete, wenn sie von einem hohen Punkt hinabsprang, um den Sprung abzufedern. „Es war gar nicht so einfach, das nur zur Ansehen zu machen, ohne dass ich es gebraucht habe, aber ich habe es geschafft“, berichtete sie und ihr Finger wanderte zu dem kleineren Mann ihr gegenüber. „Das ist Graham.“ Sie hatte den Krieger in Oni-typischer Kriegsbemalung im Gesicht und am bloßen Oberkörper ausgestattet. „Wir haben einen Showkampf gemacht, das war bei einer meiner letzte Quests!“
Dann kam auch die andere Person ins Spiel, die neben ihnen stand. Karma runzelte kurz verwirrt die Stirn, als Charon sie als Artemis vorstellte, die Frau sich selbst aber als Ronya. Auch wenn sie sich eigentlich an das hielt, was Charon ihr erzählte, beschloss sie hier nach Ronya zu gehen. Immerhin hatte die Frau sich so vorgestellt. Warum Charon sie anders nannte, konnte sie diesen später fragen. Erstmal warf sich die Oni auf die Idee, mit der anderen gemeinsam Charon endlich mit auf eine Jagd zu nehmen. Bei der Frage des anderen schüttelte sie aber den Kopf und nickte dann. Sie hatte sich das Questboard angesehen. Aber nicht gelesen, nachdem sie das noch immer nicht konnte. Sie fischte sich eher etwas spontan heraus oder suchte sich Mitstreiter und ließ diese eine Quest wählen. Entsprechend hatte sie keine Ahnung, von welcher Beute er sprach. „Welche denn?“ Karma Neugierde war unermüdlich. Auch Ronya schien nicht zu wissen was es war, aber die Magierin meldete, dass sie gern dabei war. Etwas, nachdem Karma selbst gar nicht gefragt hätte. Sie wäre losgezogen und hätte sich dann gewundert, wo Ronya denn geblieben war, sollte sie nicht mitwollen.
„Du hast Recht... ich werde spezifischer suchen müssen. Wie auch immer ich das anstellen will“, seufzte Charon mit einem nachdenklichen Kopfschütteln. Der Vorbesitzer dieser Bücher hatte sie offensichtlich gewählt, weil er schon etwas auf der Spur gewesen war... Charon dagegen hatte die Antworten in der Hand und musste nun herausfinden, was eigentlich die Frage dazu gewesen war. Die Alysida hatte allerdings eine ziemlich gute Idee für einen neuen Ansatzpunkt. „Oh... Herr Mariére könnte ich auf jeden Fall einmal ansprechen. Ein sehr guter Gedanke!“ Es war wohl kein Wunder, dass der Dargin so gerne Zeit mit einer Dame verbrachte, die ihn immer so unterstützte. Die sich mit ihm zusammen begeistern ließ und stets mit Rat und Tat an seiner Seite stand, wenn er es brauchte. Da war es doch nur natürlich, sie zu einem gemeinsamen Essen einzuladen... das sie kochte, bei sich zuhause, auf ihre Kosten. Während Ronya einwilligte, tauchte aber auch schon die nächste junge Dame auf. „Wow, du wurdest echt für die Zeitung fotografiert? Beeindruckend“, lachte Charon, als die junge Oni ihm ihr Bild darin zeigte. Er winkte auch Ronya an seine Seite – auch wenn sie nicht explizit aufgefordert worden war, hatte Karma sicherlich nichts dagegen, wenn alle Anwesenden einen Blick auf die Fotos warfen. „Du siehst wundervoll aus. Ich liebe das Kleid. Und der hier heißt Graham, ja?“ Die Zeitung selbst in die Hand nehmend sah er sich die Bilder etwas genauer an, wobei seine Augen eher zu Karma zurückkehrten als zu dem fremden, bemalten Herren. Sie stellte sich aber auch so stilvoll dar! Das Weißhaar erinnerte sich noch gut daran, wie er ihr am Anfang in kleinsten Details hatte erklären müssen, warum es sich lohnte, mehr als ein Outfit anzuprobieren, und nun trat sie in Kleidern wie diesem an der Öffentlichkeit auf. Irgendwie spürte der Dargin einen gewissen Stolz in dem Wissen, dass sie sich so entwickelt hatte. Ob sich so ein Vater fühlte? „... Nanu?“ Leicht überrascht weiteten sich die Augen des Dargin, als er durch den Artikel blätterte und dabei das doppelseitige Poster fand – ein sehr schickes Bild einer überraschend freizügig angezogenen jungen Dame mit rosa Haaren. Eine Augenbraue gehoben zeigte er das Foto Karma. „Sag mal... Das hier ist doch Lorelai, oder nicht?“ Auf dem Poster selbst stand kein Name, aber Charon erinnerte sich noch gut an die junge Dame aus Shirotsume. Ein amüsiertes Schmunzeln legte sich auf sein Gesicht, während er die Zeitung zuklappte. „Lorelai ist tatsächlich eine Freundin von mir“, erklärte er kurz, ohne allzu tief in das Thema einzudringen. „Meinst du, es ist okay, wenn ich die Zeitung behalte? Ich würde sie gern darauf ansprechen, wenn wir uns mal wieder über den Weg laufen.“
Auf die Jagt zu gehen war eine Idee, die bei dem gesamten Team schnell anzukommen schien. Und Charon, wie er nun einmal war, kam natürlich auch gleich darauf, diese gemeinsame Zeit zu Arbeit zu machen. Es war schließlich eine gute Gelegenheit, um den Menschen Fiores zu helfen, den Ruf von Crimson Sphynx aufzubessern und gleich ein wenig Geld zu kassieren. „Anscheinend hat eine Art Schlangenmonster, das normalerweise in der Wüste lebt, den Weg nach Zentralfiore gefunden“, erklärte er kurz die Situation. „Es handelt sich um einen Thymelisken. Er bleibt nahe der Grenze und wechselt gelegentlich hin und her. Von Natur aus kann es sich sowohl in der Wüste als auch im Wald ganz gut tarnen, deshalb gibt es Schwierigkeiten damit, es aufzuspüren und festzustellen, wo genau es zu welcher Zeit steckt. Alle Jäger, die sich bisher daran versucht haben, sind wohl gescheitert.“ Stolz und selbstsicher, auch wenn er nicht das Mitglied dieser Gruppe war, das daran etwas ändern konnte, stemmte Charon eine Hand in seine Hüfte und grinste seine Kameradinnen an. „Was meint ihr? Ein Monster aufspüren und einfangen, das allen Anderen davonläuft... Wenn ihr mir zeigen wollt, was für tolle Jägerinnen ihr seid, klingt das doch nach einem guten Anfang!“
Auch wenn Ronya nicht wusste, wie Herr Mariére reagieren würde, wenn man ihn nochmal auf seinen verstorbenen Freund und seine Arbeit ansprach, war es für Charon vermutlich ein sehr guter Schritt, um an mögliche Infos zu kommen. Sie hoffte einfach, dass er da mit einem gewissen Feingefühl heranging, doch da vertraute sie ihrem Kollegen. Sie selbst würde bei so einem Gespräch nicht dabei sein wollen, denn diesen Teil ihrer Reise verdrängte Artemis nur allzu gerne. Aber wenn es ihrem Freund half, umso besser. Neugierig blickte die Grünhaarige auf das Magazin, welches die rote Oni in ihren Händen hielt und schaute ebenfalls hinein. “Oh, echt? Wie cool.” Mit einem breiten Lächeln betrachtete Ronya das Bild ihrer Gildenkollegin und staunte darüber, wie hübsch sie dort aussah. Nicht, dass sie so, wie sie gerade vor ihr stand, nicht auch schön war. Doch Fotografen, das richtige Licht und die Kleidung konnten nochmal so einiges aus dem Aussehen einer Person herausholen und das war hier definitiv gelungen. “Ja, du siehst echt super aus.” Sie schloss sich Charons Meinung vollkommen an und lächelte Karma breit entgegen. “Dieser Graham hat aber auch etwas cooles. Er ist auch Gildenmagier, ja?” Irgendwie war der Gedanke, in hübschen Klamotten in einer Zeitung zu erscheinen, schon sehr verlockend. Auch wenn Ronya niemals aus eigenen Stücken so eine Möglichkeit aufsuchen würde, würde sie ein seriöses Angebot vermutlich nicht ausschlagen. Je länger sie die Oni auf dem Bild betrachtete, desto mehr und mehr Bilder erschienen in ihrem Kopf, wie sie wohl in diesem Kleid aussehen würde.
“Lorelai?” Kaum blätterte der Dargin weiter, erkannte er anscheinend noch eine Person. Charon schien wohl einige interessante Persönlichkeiten zu kennen, wenn es solche Leute in Zeitungen schafften. Die Dame mit den rosa Haaren war auf jeden Fall bildhübsch und ließ das Herz der Grünhaarigen für einen kurzen Moment schneller schlagen, bevor sie ihren Blick hastig abwandte. Sie wollte ja nicht zu lange einfach nur starren. Gut, dass sich das Thema rasch änderte und Charon nun eine Jagd vorschlug. Von einem Thymelisken hatte die Magierin bisher noch nicht gehört, aber so ein Monster aufzuspüren, klang spannend. Und diese kleine Herausforderung ihres weißhaarigen Kollegen blieb natürlich nicht ungehört. Sofort legte sich ein breites Grinsen auf Ronyas Gesicht. Wenn es eine Sache gab, in der die Grünhaarige ihr Selbstbewusstsein steckte, dann war es Jagen! Außerdem schlugen sie mit dieser Quest zwei Fliegen mit einer Klappe. Man konnte den Leuten helfen und gleichzeitig den Drang, den Ronya seit einiger Zeit verspürte, wieder etwas besänftigen. “Bin dabei.” Ein selbstbewusster Ausdruck lag in ihren Augen, so eine Chance ließ sie sich nicht entgehen. Außerdem wollte sie Karma ein wenig besser kennenlernen, die beiden hatten immerhin gerade erst ein paar wenige Worte miteinander gewechselt. Das war doch optimal! “Ich muss nur eben nach Hause und ein paar Sachen besorgen, dann wäre ich bereit.”
Karma nickte, ein stolzes Lächeln im Gesicht, dass ihre Augen zum Leuchten brauchte. „Und ich habe dafür Geld bekommen! Aber es war eine einmalige Quest …“ Sie verzog die Lippen und ließ von der Zeitung ab, sodass Charon und Ronya sich diese genauer anschauen konnten. „Es hat echt Spaß gemacht. Weißt du, wie man dazu kommt, das nochmal zu machen?“ Karma ging es dabei weniger um die Fotos in der Zeitung, auch wenn sie natürlich stolz darauf war. Sie hatte vielmehr beim Posen und Schaukämpfen Spaß gehabt. Außerdem hatte sie noch nicht herausgefunden, wie so Kameras funktionierten! Sie musste also zu solchen Leuten zurück, um sich das ordentlich erklären zu lassen. „Das war … teuer? Es hat fast eine ganze Questbelohnung geschluckt!“ Und nach dem Tag war es jetzt ein wenig demoliert. Der Kampf hatte zwar Spaß gemacht und saß toll aus, aber er hatte seine Opfer gefordert. Die Rothaut nickte, als Charon sich Graham genauer ansah. „Ich glaube, er ist in keiner Gilde, aber er ist definitiv Magier. Zuerst wollten sie ihn nicht auf dem Foto haben, aber das wäre eine Verschwendung gewesen!“ Und Karma mochte es nicht, Sachen, Chancen oder Leute zu verschwenden. Ihr Leben hatte daraus bestanden, abzuschätzen, ob das was sie zur Verfügung hatte, auch ausreichen würde und alles zu nützen, was möglich war. Dann blätterte Charon weiter durch das Heft und blieb bei einem großen Poster von Lorelai hängen. Erneut nickte die große Oni energisch. „Ja, Lorelai ist toll! Sie macht mir mit meinen Jagderfolgen neue Talismane. Meine alten sind ja schon alle weg.“ Verkauft oder verschenkt. Aber jetzt mit der Menschen-Schamanin war das zum Glück kein Problem mehr! „Lorelai ist auch eine Magierin“, erklärte sie Ronya bereitwillig und trat dann zurück, um Charon so nonverbal das Okay für die Zeitung zu geben. Sie hatte gesehen was sie wollte und wenn sie nochmal nachschauen wollte, würde sie einfach wieder vorbeikommen. Außerdem war jetzt Charon der, der die gestohlene Zeitung bei sich trug … auch wenn das nicht bewusster Gedanke in ihrem Kopf war. Karmas Bild war da drinnen, also war es ihre – eine einfache Rechnung. Außerdem hatte er nette, später schreiende Mann sowieso genug Zeitungen gehabt.
Sobald die Zeitung weg war, stellte Charon ihnen die Idee einer Jagd vor. Keiner der beiden Frauen hatte sich in letzter Zeit viel mit dem Questboard beschäftigt, jede aus ihren eigenen Gründen. Jetzt erzählte er von dem Monster, dass sich von der Wüste aus in stärker besiedelte Regionen bewegt hatte. „Thym- Thmyelisk … Nein. Wie?“, versuchte sie das Wort auszusprechen. „Ist das eine andere, natürliche Art Zug oder etwas nochmal anderes?“ Aufmerksam hörte sie ihm nach dem kurzen Einwurf wieder zu, als er von den Gewohnheiten des Wesens erzählte. Wüste und Wald. Karma kannte die Wälder, aber die Wüste war ihr unbekannter. Ohne zu zögern stimmte sie, wie auch Ronya der Herausforderung zu. Sie sah an sich hinab. „Ich hab noch was, was ich dir zeigen wollte! Das hohle ich gleich noch.“ Ansonsten brauchte sie nicht viel. Sie würde ihre kleinen Täschenchen mitnehmen, in denen sie das Wichtigste mit sich trug, mehr brauchte sie nicht. „Müssen wir mit den Zügen wo hinreisen oder können wir von hier aus zu Fuß starten?“, erkundigte sie sich noch.
“Schwer zu sagen, wie du an so einen Auftrag wieder kommst… Crimson Sphynx wird dafür leider selten eingeladen. Mit etwas Glück kommen sie direkt auf dich zu, wenn du ihnen besonders ins Auge gefallen ist”, meinte Charon, sein Lächeln abfallend, und man sah ihm eine gewisse Unzufriedenheit an. “Ich persönlich wurde bisher noch nicht zu so einer Art Fotoshoot gefordert, also fürchte ich, ich kann dir da nicht helfen.” Es war ohnehin schon ungerecht, dass seine Gilde wegen der Vorurteile über ihre Vergangenheit nicht zu den ersten Wahlen gehörte, wenn es darum ging, große Magier abzulichten, aber es war erst Recht ein Verbrechen, dass er selbst noch nicht dazu aufgerufen worden war. Charon Dargin war schließlich nicht nur einer der größten Repräsentanten von Crimson Sphynx, sondern der magischen Welt allgemein; eine Zehn von Zehn in Magiekenntnis, Persönlichkeit und Aussehen zugleich. Leute sollten sich wundern, wenn es überhaupt mal ein Magazin gab, in dem er nicht abgelichtet war… aber stattdessen blieb er im Staub zurück. Er seufzte, ehe sein Lächeln wieder zurückkehrte. “Aber das Kleid hat sich gelohnt. Du siehst wundervoll darin aus”, strahlte er stolz mit einem Blick zu Karma. “Das ist mein Mädchen!” Es war vermutlich ein wenig seltsam, aber als die Person, die Karma zu Crimson Sphynx gebracht hatte und ihr half, sich in der menschlichen Zivilisation zurecht zu finden, war Charon ziemlich stolz auf all die Fortschritte, die sie so machte. Sie war deutlich größer als er, dennoch fühlte er sich für sie verantwortlich, wie für eine Schülerin oder ein Kind. Apropos… “Mit Talismanen kennt sich Lorelai wirklich gut aus”, lachte Charon sanft, nicht verwundert, dass die aufgeweckte junge Dame wie immer mit ihren Eigenheiten voraus auf neue Leute zutrat. Ihr Selbstbewusstsein war bewundernswert, aber bei Karma kam sie damit vermutlich auch ziemlich gut an. “Wir haben vom gleichen Meister gelernt, wie man Talismane und Ähnliches herstellt. So habe ich sie kennen gelernt.” Es war eine schöne Erinnerung. Eine erholsame, trotz Allem, was passiert war. Ein wenig ließ er Ronya noch die Seiten bewundern - sie schien auch ein großer Fan schicker Outfits zu sein, wenn man sah, wie sie sich Lorelai ansah. Relativ schnell hatte sie sich aber auch schon sattgesehen, sodass der Dargin die Zeitung schließen und ordentlich auf seinem Nachttisch ablegen konnte.
“Es ist kein Zug. Züge sind keine Tiere, Karma”, lächelte Charon leicht verzweifelt und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Wie oft hatte er ihr das schon gesagt? Aber nein, da ließ sich die Oni nicht in ihr Verständnis der Welt hinein reden. Es war ja für diese Quest auch erstmal unwichtig. “Es ist einfach eine große Schlange. Kein Metall, dafür viel Muskeln und Schuppen. Und Beine”, erklärte er kurz und schüttelte dann den Kopf. “Ich denke nicht, dass wir dafür den Zug brauchen. Unser Ziel ist ganz schön abseits der Schienen, und ich weiß, dass Artemis keine Angst davor hat, eine Weile laufen zu müssen.” Kurz schenkte er der Grünhaarigen ein freches Grinsen, aber es stimmte ja. Sie war gern im Freien unterwegs, so wie er auch, und wenn sie die langen Reisen auf ihrem Weg nach Enca nicht untergekriegt hatten, würden sie es auch an die Grenze Westfiores schaffen. Auch Händler liefen diese Strecke ja häufig zu Fuß ab, da dürfte unter drei erfahrenen Magiern keiner dabei sein, der es nicht schaffte. “In Ordnung, dann holt ihr eure Sachen. Ich packe auch ein bisschen was zusammen”, nickte Charon und öffnete den Schrank, um seinen alten Seesack hervor zu holen. “Wir treffen uns dann unten und machen uns auf den Weg, ja?” Er war gespannt, was die Tsumiho ihm noch zeigen wollte, und allgemein, wie diese doch etwas außergewöhnliche Quest wohl verlaufen würde. Gleichzeitig wollte er aber auch wirklich sehen, worauf diese beiden Jägerinnen so stolz waren. Während sie sich daran machten, sein Zimmer zu verlassen, konnte er nicht anders, als ihnen herausfordernd hinterher zu grinsen. “Ich freue mich schon darauf, zu sehen, was ihr könnt…”, meinte er amüsiert. “Hoffentlich lasst ihr euch nicht von einem Amateur ausstechen…”
Charon hatte wirklich viel Ahnung vom Sternenhimmel. Helena fragte sich, ob das mit seinen Recherchen zu Göttern zusammenhing. Immerhin standen jene mit den Sternen in Verbindung. Die Menschen aus längst vergangenen Tagen hielten das, was sie dort weit oben sahen und nicht erklären konnten, für Götter oder Ähnliches. Da war es nicht allzu weit hergeholt, dass der Dargin bei seinen Forschungen auch immer mal wieder etwas über das Firmament las. Helena fragte ihn das aber nicht mehr. Dafür hatte sie nicht mehr die Kraft, beziehungsweise Konzentration. Mehr und mehr driftete sie ab, bis sie schließlich eingeschlafen war. Es war ein anstrengender Tag, der früh begann, voller Anstrengung und Erlebnissen war. Zudem zog er sich durch die Verabredung der beiden Magier auch hinten raus zusätzlich in die Länge, also bis in die Nacht hinein. Wer würde es ihr da verübeln, ungewollt einzuschlafen? Als die Marinakis am nächsten Tage erwachte, war all das vorbei. Der schöne Abend mit Charon, der wundervolle Anblick des Himmelszelts mit all seinen funkelnden Sternen, die so weit draußen in der Wüste, abseits der Stadtlichter noch viel besser zu erkennen waren. Als Helena ihre Augen öffnete, blockierte die Decke eines Raumes den Anblick des Himmels. Sie erhob sich ein wenig, stützte sich mit dem einen Arm von dem Bett in dem sie lag ab und rieb sich mit der anderen Hand den Schlaf aus den Augen. “Hm?“, summte die Magierin fragend, als sie realisierte, dass sich einiges verändert hatte. Den Vorabend binnen Sekunden Revue geschehen gelassen, erinnerte sie sich schnell daran, die Oase nicht mehr verlassen zu haben. Jedenfalls nicht eigenständig. Schnell war klar, dass Charon sie mitgenommen hatte und wenn sie sich nicht irrte, dann dürfte das Zimmer, in dem sie nun erwacht war, Teil des Gildenhauses der Sphynxen sein. Helena lächelte zufrieden, stellte sie sich vor, wie der Weißhaarige sie behutsam aufgenommen und getragen hatte. Sie machte sich daran aufzustehen, erhob sich also vom Bett, wandte sich dem nächstgelegenen Fenster zu und streckte sich erst einmal ausgiebig. Dann trat sie an das Fenster heran, auf dessen Rahmen sie sich mit beiden Händen stützte. Aus dem hohen Turm des Gildenpalastes bot sich der Halbgöttin wirklich ein interessanter Anblick. Kein Vergleich mit dem des Vorabends, aber dennoch interessant. Die hellen Farben des Sandes und des Steins der Gebäude dominierte. Hier und da verschiedene, kräftige Farben zu erkennen, wie die der Sonnensegel, welche den Einwohnern Schutz und Schatten boten oder die Stoffe, die aus dem Marktplatz ein buntes Farbenmeer formten. Leise drangen Töne geschäftigen Treibens bis zur Magierin herauf, wenn der Wind sie so weit tragen konnte. Einen Moment lang ließ die Magierin die Eindrücke auf sich wirken. Es war eine interessante Erfahrung, den Morgen in dieser Stadt zu erleben. Sie wirkte so anders, als Crocus oder Hargeon. Aloe hatte seinen ganz eigenen Charme, wie Helena feststellen musste.
Nachdenklich lag Charon auf seinem Bett, nachdem er aufgewacht war. Es war in verschiedener Hinsicht ungewöhnlich, dass er um diese Zeit wach herumlag. Nach Nächten wie gestern, in denen er ziemlich spät aufblieb, wachte er eher selten früh auf; manchmal verschlief er sogar den halben Tag. Und wenn er doch zeitig wach war, dann war er auch praktisch sofort aus dem Bett. Machte sich schick für den Tag oder setzte sich direkt an irgendwelche Arbeit. Der Dargin war nicht der Typ dafür, sich einfach zu entspannen und den Tag passieren zu lassen, wenn er sich nicht gerade bewusst Zeit dafür genommen hatte. Heute früh fesselte ihn aber eine Frage und hielt ihn davon ab, direkt zu starten. „Ob sie wohl schon wach ist...?“ Letztes Mal, als sie ihn in ihre Wohnung mitgenommen hatte, war sie recht früh auf den Beinen gewesen, aber ob das immer so war? Das war ja schon eine eher ungewöhnliche Situation. Konnte gut sein, dass sie im Allgemeinen länger ruhte, an Schönheitsschlaf schien es ihr ja wirklich nicht zu mangeln. Andererseits war die Marinakis eine Runenritterin, die waren doch bestimmt häufiger früh auf... aber umso schöner konnte es sein, die Gelegenheit zum Ausschlafen zu haben. Charon seufzte, während er sich über die Kante seines Betts lehnte und die Schublade darunter hervorzog, sodass er ein Buch heraus kramen konnte. Gut möglich, dass sie schon wach war, aber wenn sie noch schlief, wollte er sie nicht stören. Ein bisschen mehr Zeit konnte er ihr ja noch geben...
„Helena?“
Nachdem er erst einmal seine Zurückhaltung überwunden hatte, klopfte Charon bestimmt und klar an ihre Zimmertür. Unsicher auftreten wollte er nicht. Was auch immer sie zu der ganzen Nacht gestern und ihrer Beziehung zueinander dachte... Der Dargin wollte ihr nicht das Gefühl geben, dass sie eine bestimmte Antwort wählen musste. Er hatte es ernst gemeint, was er gestern gesagt hatte. Er wollte offen und ehrlich darüber sprechen, was sie sich beide wünschten, und gucken, ob sie zueinander finden konnten. Und wenn es am Ende nicht passen sollte... dann konnten sie hoffentlich zumindest weiter miteinander zu tun hatten. Was auch immer heute passierte, Helena komplett verlieren wollte er nicht. „Guten Morgen, meine Hübsche. Gut geschlafen?“, schmunzelte er, als er in das Zimmer eintrat. Wie es aussah, war sie schon wach gewesen. Vielleicht hatte er sich zu viele Gedanken gemacht. „Ich hoffe, es geht dir gut. Du bist ja gestern Nacht einfach plötzlich weggeschlafen.“ Er lachte auf, während sein Blick kurz durch das Zimmer schweifte. Am Natürlichsten fühlte es sich wohl an, sich mit ihr auf das Bett zu setzen, aber vielleicht war das etwas zu viel Nähe. Stattdessen entschied er sich dafür, sich einen Stuhl zu nehmen und darauf Platz zu nehmen, ehe er langsam ausatmete. „Also... Was denkst du? Ist jetzt eine gute Zeit, zu reden?“
# 30 Die Halbgöttin war am Vorabend in einen recht tiefen Schlaf gefallen. Dieser war auch der Grund dafür, dass sie nicht bemerkt hatte, wie Charon sie hochgehoben und in die Stadt zurück getragen hatte. So tief ihr Schlaf letzte Nacht auch war, so bedeutete das nicht, dass sie den halben Tag verschlafen würde. In der Tat war sie es gewohnt, recht früh aufzustehen und gleich in den Morgen zu starten. Zumindest in Crocus war es für sie normal, zur Morgenstunde schon zu frühstücken und eine Runde um den Block zu drehen. Das variierte natürlich in einer Umgebung und einem Setting, das mehr nach Freizeit oder Urlaub schien, statt nach Alltag und Arbeit. Die Marinakis wurde also relativ früh Wach, jedoch später als sonst. Wie dem auch war. Nachdem sie aufgestanden und zum Fenster geschritten war, um einen Blick auf die wunderschöne Stadt zu werfen, dauerte es nicht allzu lange, bis sie ihren Namen vernahm. Jemand stand an der Tür und wünschte sie zu sprechen und wenn sich die Magierin nicht täuschte, war es die Stimme Charons gewesen. “Ja, komm herein!“, entgegnete sie ihm, nachdem sie sich der Tür zugewandt hatte. Sie bemerkte, wie ihr Puls stieg. Die Aufregung des Vorabends, an dem sie das bevorstehende Thema bereits angeschnitten hatten, kehrte zurück. Sie wusste, dass es nun ernst werden würde, schließlich hatten sie sich für dieses Gespräch verabredet. Einen weiteren Rückzieher sollte es nicht geben. Helena wollte mit offenen Karten spielen, egal wie das Ergebnis aussehen würde. Der Weißhaarige trat mit einem charmanten Spruch ins Zimmer hinein, zauberte der Marinakis damit gleich ein Lächeln auf die Lippen. “Ja, ich habe wohl geschlafen wie ein Stein. Der Tag gestern war aber auch sehr aufregend und fordernd.“, bemerkte sie. “Danke, dass du mich hergebracht hast.“ Der Dank dafür, durfte schließlich nicht fehlen. Helena beobachtete, wie der Dargin sich einen Stuhl nahm und sich dann darauf niederließ. Er kam gleich zum Punkt, was aber auch in ihrem Interesse lag. Viel zu lang hatte sie dieses Thema offen gelassen. Die Magierin ärgerte sich, es nicht viel früher zur Aussprache gebracht zu haben. “Ich glaube, eine bessere wird es vielleicht nicht geben.“, stimmte sie also indirekt zu. Helena trat vom Fenster weg, auf den Weißhaarigen zu. Sie bevorzugte es dann, sich tatsächlich auf das weiche Bett zu setzen, welches er ihr scheinbar freigelassen hatte. Sich Charon aufrecht gegenüber gesetzt, platzierte sie ihre Hände auf ihren Knien. Die Magierin spürte die Unruhe in sich, versuchte diese aber nicht allzu sehr nach außen dringen zu lassen. “Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll…“, gestand sie offen und ehrlich. Es machte keinen Sinn zu flunkern. Ehrlichkeit war es doch auch, was Helena in den Fokus setzen wollte. “Ich mag dich wirklich sehr.“, erklärte sie zuerst. “Ich denke, das weißt du. Ich bin mir aber nicht sicher ob dir klar ist, welche Ausmaße das annimmt.“ Mit einem eher aufgezwungenen Lächeln suchte sie den Blickkontakt zu Charon. Die Anziehung, die sie beide verspürten, war nicht zu leugnen. Aber was war das genau? Wo standen sie? Wie standen sie zueinander? Das war es, was es zu klären galt.
Charon lächelte erfreut, als er hörte, dass Helena gut geschlafen hatte, aber ihnen war wohl beiden bewusst, dass sie am Ende nirgendwo hinkommen würden, wenn sie wieder damit begannen, fröhlich zu plaudern und sich gegenseitig zu beeindrucken. Dass sie gut miteinander auskamen, mehr als gut sogar, war ihnen beiden bewusst. Die Frage war, was sie damit machen sollten, und der Frage wollte der Dargin nicht weiter ausweichen. Platz nehmend lenkte er das Gespräch geradewegs zum Kernpunkt: Wie standen sie wirklich zueinander, und wo wollten sie noch hin? „Jetzt ist meistens die richtige Zeit, um etwas zu tun, dem man ausweichen möchte“, schmunzelte das Weißhaar amüsiert, schweifte aber nicht weiter ab. Er nickte allerdings; ja, er wusste auch nicht recht, wo man da anfangen sollte. Inzwischen glaubte er, das Problem der Marinakis etwas besser zu verstehen, aber wie sollte man das in Worte packen? Glücklicherweise fand Helena die Sprache wieder, während Charon noch damit beschäftigt war, auch nur den Ansatz eines Einstiegs zu entwickeln.
„... welche Ausmaße?“
Aufmerksam hob er eine Augenbraue. Das klang... ominös. Dabei meinte sie es vermutlich gut, oder nicht? „Also... ich denke nicht, dass du dir Sorgen wegen dem Ausmaß machen musst. Ich mag dich auch sehr. Wir haben glaube ich beide deutlich gemerkt, wie gut wir zusammenpassen.“ Etwas peinlich berührt fuhr er sich durch die Haare. Das klang so... so emotional. Kindisch, fast schon. Wie sollte sie ihn ernst nehmen, wenn er so kitschige Sachen sagte? „Ich habe es gestern schon gesagt, aber... ich habe echt viel an dich gedacht in der Zeit, die wir uns nicht gesehen haben“, fuhr er fort in einem Versuch, das Gespräch wieder ein wenig ernster werden zu lassen. „Und ich denke, der gestrige Tag hat gezeigt, dass wir uns immer noch viel zu sagen haben, meinst du nicht?“ Gut, damit war es ausgesprochen. Sie mochte ihn, er mochte sie. Das festzustellen war keine Wissenschaft, aber immerhin sprachen sie jetzt wie Erwachsene darüber. Die Frage war nur, wie es von da aus weiterging. Charon selbst... hatte tatsächlich kein Bild davon, wie er diesen Raum verlassen würde. Was überhaupt sein Ziel bei diesem Gespräch war. Nachdenklich lehnte er den Kopf zurück. „Ich... weiß nicht genau, was wir erreichen wollen“, gab er zu, auch wenn es nicht zu dem Bild des perfekten, stets bedachten Charon Dargin passte. Es stimmte einfach. Er hatte keine Ahnung. „Aber... ich denke, ich weiß, was ich nicht möchte. Es gibt zwei Dinge, die ich gern vermeiden würde.“ Helena wieder in die Augen sehend richtete der Magier sich auf seinem Stuhl ordentlich auf und hob den Zeigefinger seiner rechten Hand, um Punkt 1 anzusprechen: „Erstens: Ich möchte nicht wieder an den Punkt kommen, an dem wir uns nicht sehen und nicht mehr miteinander reden. Das fühlt sich furchtbar an.“ Kurz stoppte er, ließ die Aussage einsinken, ehe er kurz die Augen schloss und einen zweiten Finger hob: „Und zweitens: Ich möchte nicht, dass du dich schlecht fühlst. Ich möchte eine Lösung finden, die dich glücklich macht, Helena.“
# 31 Kaum war Charon zu seiner Besucherin ins Zimmer getreten, ging es auch schon gleich zur Sache. Aber das war zum einen abzusehen und zum anderen nur fair. Ein solches Gespräch hatten die Zwei schon viel zu lange vor sich hergeschoben und als sie am Vorabend entschieden, es nun, am Folgetag zu führen, war das so etwas wie der allerletzte Aufschub. Sie mussten einfach reinen Tisch machen, zumindest, wenn ihnen etwas an dem lag, was zwischen ihnen war. Dass dem so war, da waren sie sich schon mal einig. Dass „jetzt“ der richtige Zeitpunkt war, das Gespräch zu führen, beziehungsweise Dinge zu tun, denen man zu gerne auswich, waren mehr oder minder weise Worte, denen Helena kaum widersprechen konnte oder wollte. So nickte sie langsam und bestätigend. Es fiel ihr nicht leicht, einen Einstieg in diese Konversation zu finden, was sie ja auch offen und ehrlich zugab. Die Worte, die sie im Endeffekt wählte, sorgten beim Dargin jedenfalls für eine gewisse Reaktion. Hatte sie sich zu mehrdeutig ausgedrückt? Waren ihre Worte schwer zu deuten? Es schien fast so, so wie er sie wiederholte. Aufmerksam folgte die Magierin dem, was Charon dazu zu sagen hatte. Er hob dabei noch einmal hervor, wie oft er an sie denken musste, als sie einander nicht gesehen hatten. Außerdem schob er den vorangegangenen Tag als Musterbeispiel dafür vor, wie es stattdessen laufen konnte. Grade letzteres ließ auf den Lippen der Marinakis wieder ein Lächeln entflammen. Charon fragte sich, was sie „erreichen wollten“, womit er ein Art Punkt herauskristallisierte, den es zu klären galt. Zeitgleich betonte er zu wissen, was er definitiv nicht wollte. Er wollte nicht noch einmal so weit kommen, sie nicht noch einmal sehen zu können. Außerdem wollte er nicht, dass Helena sich schlecht fühlte. Viel mehr wollte er sie glücklich sehen. So wie er das alles sagte, klang es ganz leicht. Es gab Wege, die zu diesem Ziel führten. Aufgeregt wippten die Knie der Halbgöttin ein wenig vor der Bettkante hin und her, ohne dass sie das selbst bemerkte. Was sie hingegen sehr wohl spürte, war das starke Pochen in ihrer Brust. “Es hat sich wirklich nicht schön angefühlt, die Zeit nach der Gala.“, stimmte Helena zu. “Ich habe auch häufig an dich denken müssen und das obwohl ich mir Mühe gegeben habe es nicht zu tun.“, erklärte sie weiter. “Für mich ist ganz klar, was ich mit dir erreichen möchte. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich möchte Zeit mit dir verbringen, so oft es möglich ist. Ich kann verstehen, wenn es dich an Aloe bindet, aber die Distanz soll keine Hürde darstellen.“ Die rechte Hand der Magierin wanderte zu ihrem Brustkorb herauf, auf dem sie dann Platz fand. “Charon, ich hatte das Gefühl, du siehst das mit uns eher als unverbindliche Liebelei…“ Dieses Gefühl war es, was ihre Reaktion ausgelöst und zu einer Art Blockade zwischen ihnen geführt hatte. “Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass das mit uns etwas Richtiges ist.“ Damit hatte die Halbgöttin sich von der Seele geredet, was auf dieser lag und sie belastete. Man mochte meinen, dass so eine Aussprache eine Erleichterung war, doch für den Moment spürte Helena nur noch viel mehr Aufregung. Sie konnte ihren Herzschlag nun nicht nur in sich fühlen, sondern auch an ihrer Hand, die unweit des Herzens lag.
Helenas Aufregung war ihr deutlich anzusehen, so, wie sie sich auf dem Bett bewegte. Es war ziemlich niedlich, und auch, wenn sie es vielleicht nicht bemerkte, setzte die junge Ritterin damit ihren Körper ein wenig in Szene. Eine so hübsche Dame mit so viel Energie und Lebensfreude… Es war wohl kaum verwunderlich, dass der Dargin gern ein Lächeln auf ihren Lippen sah und es bewahren wollte. Und grundsätzlich konnte er alles nachvollziehen, was sie sagte. “Ich möchte auch gerne mehr Zeit mit dir verbringen”, nickte er bestätigend. “Und ja… auch wenn es mir lieber wäre, dich näher zu haben, wäre die Distanz zwischen Crocus und Aloe nicht das Problem.” Von Natur aus war Charon die Art Mensch, die das, was sie haben wollte, auch dann haben musste, wenn sie es haben wollte. Wegen einem so trivialen Konzept wie Distanz auf etwas verzichten zu müssen, missfiel ihm. Die Hoffnung auf seiner Seite wäre auch zweifellos, diese Distanz lieber früher als später zu beseitigen. Aber… das allein würde ihn nicht abhalten. Er reiste durchaus gerne nach Crocus - auch wenn es in seinen Augen eine der hässlichsten Städte Fiores war und nur dadurch gerettet wurde, dass die Läden so prunkvolle Kleidung verkauften - und hatte sich noch nie gescheut, sich auf den Weg zu machen, um zu kriegen, was er sich wünschte. Das konnte er auch für Helena tun. Dennoch zeigte sich seine Freude noch zögerlich. Nachdenklich senkte er seinen Blick. Konnte er wirklich alles versprechen, was sich die Marinakis wünschte?
“Ich denke… es gibt einen Punkt, über den wir sprechen müssen, wenn wir am Ende beide glücklich sein wollen”, ging Charon auf den Elefanten im Raum ein. Sein rechter Zeigefinger tippte angespannt auf seinen linken Oberarm, die Arme gekreuzt. Wenn er zu dieser Frage so einfach Ja sagen könnte, dann würden sie vermutlich heute hier nicht sitzen. Nicht so. “Du sagst, du möchtest mit mir zusammen sein, aber… ich habe ein inhärentes Problem mit dem modernen Verständnis dessen, was eine Beziehung ausmacht.” So, damit war die Katze aus dem Sack. Es hatte nichts zu tun mit fehlendem Interesse an Helena oder damit, dass das hier eine Liebelei wäre. Der Gedanke, eine Beziehung einzugehen, stieß auf eines der Prinzipien des Dargin und stellte in ihm eine Blockade auf. Wie sie diese Blockade lösen wollten… nun, darüber mussten sie nun sprechen. Dafür waren sie hier, nicht wahr? Er atmete aus, lehnte sich vor. Die Arme wurden auseinandergefaltet, stattdessen seine Finger ineinander verschränkt, sodass er über sie hinweg zu Helena sehen konnte. “Die moderne Beziehung… oder nein, im größeren Rahmen der moderne Liebesbegriff definiert, dass es eine Person auf der Welt gibt, die du über jede andere stellst. Du hast es selbst gesagt… Dir ist es wichtig, die Nummer Eins zu sein.” Er erinnerte sich noch gut an ihre Worte damals auf der Gala. Damals hatte er versucht, die Bedenken beiseite zu schieben, aber vielleicht steckte mehr Wahrheit hinter dieser Sorge als ursprünglich gedacht. Nur eben nicht auf die Weise, auf die Helena es vermutete. Angestrengt atmete der Dargin aus. “Helena… Ich habe viele Freunde und Gildenkameraden, die mir etwas bedeuten. Der Gedanke, dass einer von ihnen mein Unterstützung braucht und ich sagen muss Nein, ich habe keine Zeit für dich, weil ich mich um meine Freundin kümmern muss, bricht mir das Herz. So ein Mensch bin ich nicht… und möchte ich nicht sein. Es gibt kein schlimmeres Gefühl auf der Welt, als beiseite gedrängt zu werden, weil jemand anders wichtiger ist.” Er schluckte. Das hatte er erst einmal so direkt ausgesprochen, damals, mit Rin. Zuzugeben, dass selbst in ihm solche negativen Gefühle stecken konnten, dass es in seinem Leben schon Situationen gab, in denen er sich nicht geschätzt gefühlt hatte, war eine Herausforderung. Es passte nicht zu seinem perfekten Image, überhaupt nicht. Aber wenn er wollte, dass sich seine Zeit mit Helena in die Richtung entwickelte, die er sich wünschte… dann musste er ehrlich mit ihr sein. Mehr, als er es normalerweise mit sich selbst war. “Es muss nicht einmal ein Freund sein. Ich bin die Art Person, die jedem helfen möchte, der es braucht. Ich möchte niemanden im Stich lassen”, meinte er also offen und ehrlich und zwang sich, seinem Gegenüber wieder in die Augen zu blicken. “Egal, wie wir zueinander stehen… ich werde dich niemals wegschicken, wenn du mich brauchst. Aber ich habe auch nicht vor, jede andere Person in meinem Leben zu ignorieren. Wenn du dir die Art Beziehung wünschst, bei der ich meine Zeit niemandem außer dir widme… dann bin ich nicht der richtige Mann dafür.”
# 32 Helena war eine sehr energiegeladene, junge Frau. Das war sie in allen Lebenslagen, ob auf einer Quest, bei der es richtig zur Sache ging, bei Spielen, die sie unabhängig von ihrem Gegner stets gewinnen wollte oder in einem so wichtigen, persönlichen Gespräch wie diesem. In letzterem drückte sich das in erster Linie durch ihre Mimik und Gestik aus, welche die gesprochenen Worte begleiteten. Dementsprechend war ihr die Freude sehr gut anzusehen, als Charon ihr entgegnete, dass er ebenso Zeit mit ihr verbringen wollte, was aufgrund der letzten Äußerungen weniger eine Überraschung war als die Tatsache, dass er die Entfernung zwischen ihnen, die zwischen ihren Städten, Aloe und Crocus, nicht als Problem ansehe. Die Einstellung des Weißhaarigen hatte Helena zumindest anders in Erinnerung, wenngleich diese ein wenig verschwommen war. Die Magierin hatte sich in letzter Zeit viel Mühe gegeben, zu vergessen und zu verdrängen, allerdings mit mäßigem Erfolg. So sehr sich die Magierin über die scheinbar neueren Erkenntnisse freute, so sensibel war sie allerdings auch der Tatsache gegenüber, dass es auf Seiten des Weißhaarigen da eine gewisse Zurückhaltung gab. Diese sollte ihr nicht verborgen bleiben. Die Erklärung dessen sollte auf dem Fuß folgen. Es gab einen „Punkt“, den es seiner Meinung nach zu besprechen gab, um das gesuchte, gemeinsame Glück zu finden. Wie er das so sagte, klang es nach einem großen „Aber“, dem sich die Marinakis natürlich trotzdem stellen würde. “Natürlich. Wir sprechen ja nun, um alles aus dem Weg zu räumen.“, erwiderte sie ihm also, wobei die Aufregung sich sogleich steigerte, wie auch die Frequenz und die Kraft ihres Herzschlags auf ein neues. Charon sprach von seinem Problem mit dem „modernen Begriff der Beziehung“. Was genau er damit meinte, begann er glücklicherweise sogleich zu erklären. Helena folgte seinen Worten aufmerksam. Die Hände der Magierin wanderten beide zurück in ihren Schoß, wo sie leicht nervös übereinander zu streichen begannen. Charon stellte heraus, dass es in einer Beziehung, so wie sie zutage gelebt wurde, oft darum ging, eine einzelne Person, in diesem Fall eben den jeweils anderen, über alle anderen hinweg, auf eine erhöhte Stufe zu stellen. Er verwies dabei auf ihr eigenes Wort, sie wolle „die Nummer Eins“ sein. Da der Halbgöttin bis dahin der Aspekt fehlte, der sein Problem mit der Thematik genau herauskristallisierte, schwieg sie weiter. Charon sprach nun davon, viele Freunde und Kollegen zu haben. Leute, die im Zweifelsfall seine Unterstützung benötigten. Der Dargin fürchtete aber scheinbar, für jene nicht da sein zu können, wenn er seine Aufmerksamkeit alleine der Wassermagierin schenkte. Er verabscheute das Gefühl, jemand anderem Platz machen zu müssen und wollte dies seinen Freunden nicht zuteilkommen lassen. Helena nickte langsam, in dem Glauben zu verstehen, was er ihr vermitteln wollte. Charon hingegen weitete seine Sorge sogar noch aus. Im nächsten Zug begrenzte er seinen Punkt aus, schloss nicht mehr nur seine Freunde ein, sondern im Prinzip jeden, der seine Hilfe gebrauchen konnte. Die Marinakis lachte leise und schnaufend auf, als Charon mit seiner Erklärung fertig war. Es war ein Ausdruck der Erleichterung, da sie scheinbar mit etwas Schlimmerem gerechnet hatte. “Ich möchte dich ja nicht mit dieser Beziehung einsperren.“, lächelte sie ihm hoffnungsvoll entgegen. Hoffnungsvoll darauf bezogen, dass seine Sorgen kein Hindernis sein würden, die eine Zusammenkunft verhindern würden. “Wir haben festgestellt, wie ähnlich wir uns in Sachen Hilfsbereitschaft sind. Du möchtest den Leuten helfen, möchtest da sein, für jeden, der dich brauchen könnte. Das ist doch vollkommen in Ordnung. Wenn das bedeutet, dass ich dich für eine Zeit ziehen lassen muss, dann werde ich dich nicht daran hindern.“, erklärte sie. “Wir haben beide unsere Aufgaben. Wir haben beide unsere Berufe und Berufungen. Solange Hilfsbedürftigkeit nicht bedeutet, dass jemand deine romantische Liebe, deine Küsse oder deinen... Beischlaf sucht, ist mir gleich was du tust. Du hast Freunde, die du liebst. Du stellst dich in den Dienst der Allgemeinheit. All das ist Teil dessen, was ich an dir so wertschätze.“ Alles was Helena fürchtete war es, eine Frau von vielen zu sein. Das war für sie ein Ausschlusskriterium. Darüber hinaus war sie eine Freiheit liebende Frau, deren Vorstellungen einer Beziehung nicht darauf basierten, ihren Partner an sich zu fesseln und ihn nicht mehr ziehen zu lassen. Das war in den Positionen, in denen die Zwei standen abgesehen davon ohnehin nicht möglich.
Im direkten Vergleich wirkte Charon vermutlich wie der ruhigere unter den beiden. Er wechselte zwar öfter die Position als Helena, zappelte dafür aber nicht rum. Solange er eine Haltung innehatte, blieb er in ihr ruhig. Die Marinakis wusste aber genau, dass er auch anders konnte. Wie er wurde, wenn er Feuer fing oder wenn er sich gehen ließ. Wenn er erzählte, wenn es um einen Wettbewerb ging. In Situationen wie diesen war es aber vermutlich gut, dass Charon zu einem Ruhepuls werden konnte. Anstatt zu emotional an ein potenziell sehr emotionales Thema heranzugehen, hielt der Finsternismagier das Gespräch ruhig und sachlich. Er stellte Fragen, die das Gespräch voran brachten, und er bemühte sich, klar und offen darzustellen, wo er noch Probleme sah. Die Frage war, ob das zu einer Lösung führen würde. “... war das ein Lachen?” Skeptisch hob Charon eine Augenbraue. Er hatte gerade über seine Sorgen gesprochen, und sie schnaufte geradezu vor Amüsement. Oder… war das Erleichterung? So gut war der Dargin oft nicht darin, die Gefühle Anderer zu lesen, vor Allem, wenn es um ihn selbst ging. Vermutlich war ihre Reaktion nicht böse gemeint, auch wenn sie ihm etwas komisch aufstieß. Sie stellte schließlich schnell klar, dass sie ihn nicht einsperren wollte. Dass sie Verständnis für seine Gedanken hatte, für seine Hilfsbereitschaft. Dafür, dass er nicht wollte, dass jemand sich ignoriert, zurückgelassen oder unwichtig fühlte. “... das ist wirklich in Ordnung für dich?” Sichtlich erstaunt hakte der Dargin nach, hob den Kopf. Man sah ihm an, dass das nicht die Antwort war, die er erwartet hatte. Sein Bild dessen, was gemeinhin als Liebe bezeichnet wurde, war da sehr eindeutig. Es war ein Vorwand, um jemanden für sich allein zu beanspruchen und einzusperren. Ein Weg, eine Person über eine Andere zu stellen. Wer von Liebe oder Beziehungen sprach, der wollte eine andere Person besitzen. Das war in seinen Augen eine Selbstverständlichkeit. Mit dieser Art Verständnis hatte er… wirklich nicht gerechnet.
“Warte. Moment. Hast du gerade Beischlaf gesagt?”
Er war so überrumpelt, dass es einen Moment brauchte, den Rest ihres Satzes zu verarbeiten, und er hob abwehrend die linke Hand. “Wie kommst du darauf, dass ich…? Dachtest du…? Warte, war das schon die ganze Zeit dein Problem?” Sehr irritiert und leicht entrüstet sah der Dargin sein Gegenüber an. Warum war sie der Meinung, das überhaupt hervorheben zu müssen? Hatte sie das damit gemeint, nicht die Eine zu sein? Denn… das, was er vermutet hatte, war es nicht. Sie hatte gerade gesagt, dass sie kein Problem damit hatte, wenn er seine Aufmerksamkeit auch mit Anderen teilte. Also hatte sie… “Hast du gedacht, ich will unbedingt mit irgendwelchen anderen Frauen ins Bett steigen? Ist das die Art Mensch, für die du mich hältst?” Gut, es hatte ziemlich lange gedauert, bis der Groschen bei ihm gefallen war. Der Dargin war so in seinen eigenen Vorstellungen der Welt festgehangen, dass er die Marinakis wohl gar nicht erst richtig verstanden hatte. Trotzdem… war das ein Schock. Was fand sie denn an einem Mann, dem sie so etwas unterstellen würde? Mit einem Seufzen rieb er sich die Schläfe. Das konnte doch nicht wahr sein. “Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt…?”
# 33 Natürlich lachte Helena Charon nicht aus. Es war ein offensichtlicher Ausdruck der Erleichterung, der ihr herausrutschte, als all die angesammelte Anspannung von ihr abfiel und es plötzlich doch so schien, als sei die Lösung des Problems kinderleicht, als sei für den Kompromiss, den es einzugehen galt, gar keine Überwindung notwendig. Zumindest, wenn sie ihn richtig verstanden hatte. “Nein, ich… ich dachte nur es wäre vielleicht etwas Schwerwiegenderes.“, rechtfertigte sich Helena dennoch sofort. Immerhin war es ihr wichtig, dass er nicht davon ausginge, sie machte sich über ihn lustig. Wenn das überhaupt als richtiger Lacher zu werten war, dann lachte sie höchstens über sich selbst. Darüber, dass sie die Schwere der Situation so überschätzt und sich selbst so große Sorgen gemacht hatte. “Ja, na klar! Das bist eben du! Wenn diese Seite an dir nicht wäre, dann wäre ich dir vielleicht gar nicht so zugetan, wie ich es unbestritten bin.“, redete Helena dem Weißhaarigen gut zu. “Wenn es das ist, was dir wichtig ist, dann wäre es doch unverschämt von mir, dich nicht darin zu unterstützen. Es liegt dir doch so am Herzen, den Leuten eine Stütze zu sein.“ Psst! Da! War das zu hören? Die Geröllbrocken, die ihr vom hart arbeitenden Herzen gekullert waren? Plötzlich schlug es wieder so belebt und nicht mehr überhastet… Zumindest einen Moment lang. “Öhm, ja. Ich…“, stammelte die Halbgöttin Charon entgegen. Beischlaf klang wirklich irgendwie enorm altmodisch, aber irgendwie wollte ihr grade kein besseres Wort einfallen, ohne es allzu abwertend anzusprechen. War es etwa doch so schlimm? Nein, also nicht das Wort. Darum ging es nicht. Stattdessen war es die Ehre des Magiers, in der er sich scheinbar verletzt sah. Er tat sich sogar schwer dabei, die passenden Worte zu finden, so schockiert war er von dem, was sie da gesagt hatte. Es dauerte einen Moment, bis er es schaffte sie zur Rede zu stellen und sie zu fragen, ob es das war, was sie von ihm gedacht hätte. Ob es „die Art von Mensch war, für die sie ihn hielt“. Für einen Augenblick war Helena sprachlos. Hatte sie ihn so sehr verletzt? Sie dachte grade noch, dass alles gut war und dass dies ihr Happy End war, wie das Ende einer Heldengeschichte. Nachdem der fiese Drache besiegt war, lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende, oder so ähnlich. “N-Nein. Das hat mir niemand ins Ohr gesetzt.“, widersprach die Halbgöttin, wenn auch nur zögerlich, dafür aber mit den Händen abwehrend vor ihrem Körper wedelnd. “Es war doch nur ein Beispiel.“, erklärte sie weiter. “Das bedeutet doch nicht, dass ich so von dir denke. Viel mehr, dass es genau das ist, was ich eben nicht von dir denke?“ Jedenfalls nicht mehr. Ergab es Sinn, was sie da sagte? In ihrem Kopf tat es das noch. Immerhin versprühte sie doch die Erleichterung, dass es doch nicht so übel war, worum es Charon ging. Hätte sie nun das von ihm gedacht, wäre sie doch nicht erleichtert, sondern empört gewesen… Helena atmete einmal tief durch, denn ihre Erklärungsversuche klangen doch sehr verhaspelt und hektisch. Wieder legte sie eine Hand auf ihr Schlüsselbein, wohingegen sie mit der anderen nach dem Weißhaarigen reichte. “Erinnerst du dich an Halligheim? Du sagtest, dass du mich nicht in einer Beziehung fesseln wolltest. Ich dachte, du seist auf etwas Lockeres aus, einfach nur auf Spaß. Das hat mich abgeschreckt.“, erklärte die Marinakis ihre Reaktion. “Es hat mich sogar verletzt, da dies wirklich nicht war, was ich wollte. Aber ich wollte dich! Du gibst mir das Gefühl, dass wir zueinander gehören, dass wir auf einer Wellenlänge liegen, auf einer Ebene sind. Sag mir, hast du das damals schon anders gemeint? Hattest du da schon einfach die Sorge, ich würde dich mit einer Beziehung nur an mich ketten wollen?“ Wenn, dann beruhte die ganze Dramatik zwischen ihnen auf einem einzigen Missverständnis. Alles hätte so viel leichter und einfacher sein können.
Für Charon war es eine ziemliche Erschütterung, wie selbstverständlich Helena akzeptierte, dass er sich nicht um eine einzelne Person kümmern und dafür jede andere hinten anstellen wollte. In diesem Moment stellte er die grundlegende Basis jeder Beziehung in Frage und ihre Antwort darauf war einfach, ja, klar, da konnte sie drauf verzichten. Sie mochte diese Seite an ihm sogar; die fürsorgliche Seite, die niemanden zurücklassen wollte. Vielleicht lag es daran. Sie schätzte, dass er so ein Mensch war, und legte deswegen nicht so viel Wert auf den Besitzaspekt einer Beziehung wie Andere. Das… klang tatsächlich nicht übel. Mindestens zeigte es, dass Helena eine weit bessere Wahl war als die meisten anderen Frauen dieser Welt, aber gut, das hatte Charon auch vorher gewusst.
Was er bisher allerdings nicht gedacht hätte, war, dass Helena wohl schon länger dachte, dass es mit seiner Treue nicht allzu weit her war.
“Naja… ja. Natürlich habe ich das so gemeint”, nickte Charon. Ja, er hatte damals eine Beziehung abgelehnt unter dem Aspekt, dass es eine Einschränkung ihrer beider Freiheit war. Das hatte er doch auch ziemlich genau so gesagt, oder nicht? “Das ist nun einmal, was eine Beziehung ist. Und ich wollte weder dein, noch mein Leben auf eine Person eingrenzen, die wir zu dem Zeitpunkt beide erst zweimal getroffen hatten… und die wir nicht einmal so oft hätten sehen können.” War das wirklich so ein unsinniger Gedanke für sie? Denn aus der Weltsicht des Dargin, die - zugegeben - etwas eigen war, war das der absolut logische Schluss. Ein Seufzen entkam ihm. “Ich finde es ehrlich gesagt… etwas schade, dass das der Eindruck ist, den du bekommen hast”, meinte er, relativierte seine Gefühle an der Stelle mal wieder. Dass er verletzt war, konnte er so offen nicht aussprechen. “Aber… ich möchte auch nicht an der Vergangenheit festhalten. Jetzt hatten wir mehr Zeit. Wir wissen mehr darüber, wie es ist, zusammen unterwegs zu sein, und darüber, wie es ist, getrennt zu sein. Und ich denke, durch den Austausch gestern haben wir uns noch ein gutes Stück besser kennen gelernt. Die Ausgangssituation heute ist eine ganz andere.” Sein Lächeln kehrte zurück, während er die junge Schönheit auf dem Bett betrachtete. Sie hatten über ihre Familien gesprochen, über ihre Interessen, über den Sternenhimmel und die Götter und ihre Gilden. Und ausnahmsweise hatte auch die Marinakis sich ein Stück weit geöffnet, auch wenn sie noch immer weit mehr über ihn wusste als er über sie. Hoffentlich würde er irgendwann einen Weg an dieser Geheimniskrämerei vorbei finden. Aber für den Moment wusste er, was er wissen musste. “Helena… auch wenn ich noch nie wirklich eine hatte… würde ich mich gerne an einer Beziehung mit dir versuchen”, nickte er der Marinakis zu und schenkte ihr ein freches Lächeln. “Aber nächstes Mal, wenn dich etwas stört, sagst du mir direkt, was Sache ist, in Ordnung?”
# 34 Natürlich kam es wie bei fast allem im Leben auf das richtige Maß an. Selbstverständlich wäre Helena nicht grade glücklich darüber, wenn ständig diverse Verabredungen der Beiden gesprengt werden würden, weil irgendjemand Bauchweh hatte und schon seit Jahrzehnten keine Gutenachtgeschichte mehr gehört hat. Gesunder Menschenverstand und der eigene Wille Charons, die Runenritterin auch zu sehen, sollten den Markt in diesem Falle aber bestimmt gut regeln. Nur weil sie ihn mit der Sache, die da zwischen ihnen lief, nicht an sich fesseln oder knebeln wollte, bedeutete es ja schließlich nicht, dass ihr seine Nähe egal war. Eigentlich brauchte das nicht ausgesprochen zu werden, doch in Sachen Kommunikation mussten die Beiden dennoch etwas an sich arbeiten. Wie es schien, war da in der Vergangenheit nämlich ordentlich etwas schiefgelaufen. Auch wenn das Ereignis schon länger zurücklag und ohnehin nichts mehr daran geändert werden konnte, verzweifelte Helena grade ein wenig an ihrer Erkenntnis. Dass sie so den Abstand zu Charon gesucht hatte, lag zumindest in Teilen an seinem Verständnis einer Beziehung und daran, wie sie seine Beschreibung verstanden hatte. Nämlich scheinbar ein wenig falsch. Fassungslos wanderte die Hand der Magierin zu ihrer Stirn. “Oh, man…“, murmelte sie halblaut. “Für mich klang es so, als…“ Nein, das auszuführen brächte sie nun auch nicht weiter. Die Fronten waren geklärt und Missverständnisse aus dem Weg geräumt. Diesen Eindruck hatte jedenfalls die Marinakis. Er fand es schade, dass sie so einen Eindruck von ihm bekommen hatte? Nun, es waren ja seine eigenen Worte, die sie einfach nur falsch verstanden hatte. Hätte sie damals schon geahnt, was für eine – aus ihrer Sicht – verschobene Wahrnehmung er von einer Partnerschafft hatte, hätte sie vielleicht versucht sein Bild davon einfach zu beeinflussen. So aber entwickelte sich daraus ein Kapitel ihrer gemeinsamen Geschichte, das voller Dramatik und Trauer steckte. Eines, welches aber spätestens an diesem Tage sein Ende finden sollte. Denn wie auch immer es bisher gelaufen war, die Zeiten sollten sich ändern. Die Vergangenheit wollte Charon loslassen und Helena war bereit an ihrer Stelle seine Hand zu ergreifen. Mit dem Lächeln, welches der Weißhaarige nun auf seinen Lippen trug, spross auch eines auf den ihren. Die nächste Stufe der Erleichterung war erreicht, es galt den ganzen Stress einfach von sich zu schütteln und sich auf das zu freuen, was vor ihnen lag. “Ja, lass uns den Blick nach vorne richten.“, stimmte die Magierin den Worten des Dargin zu. Dann folgte so etwas wie der Formelle Antrag, also zu der Beziehung, die Helena so angestrebt hatte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Marinakis seufzte lächelnd. Sie erhob sich von der Bettkante und überwand die gar nicht allzu große Distanz zum Crimson Sphynx Magier. “Das möchte ich auch.“, entgegnete sie auf den Wunsch, den er äußerte. Sie versuchte ihren Fuß zwischen seine Beine zu setzen, um sich auf eines von ihnen niederzulassen und ihn in ihre Arme zu schließen. “Und ich gelobe Besserung. Du hast mein Wort.“, sprach sie dabei noch. Es schmerzte sie, ihm Offenheit zu versprechen, wisstenlich, dass sie noch immer große Geheimnisse mit sich herumtrug. Doch nun, da das Zusammensein der Beiden eine ganz neue Stufe erreicht hatte, lockerte das auch ihre Einstellung zu dieser Thematik. Für den Moment jedoch wollte Helena einfach nur die Nähe Charons spüren. Mit ihrer Linken, fuhr sie über seine Schultern herum, den Hinterkopf herauf in sein Haar. Der unverwechselbare Duft des Magiers stieg ihr in die Nase. Ein ganz neues Gefühl von Heimat machte sich in ihr breit. Fernab ihrer Geburtsstadt und ihres Wohnortes.
Die Vergangenheit war vergangen, zum Glück, also musste sie nicht weiter ausgerollt werden. Charon wusste, was er wollte, hier und jetzt, und Helena dürfte es ähnlich gehen. Also waren sie sich beide einig, die nächste Seite des Buches aufzuschlagen. Das möchte ich auch, sagte sie. Damit... war es wohl besiegelt. Es war nicht das erste Mal, dass eine Frau mit Charon über das Thema einer Beziehung sprach, aber es war das erste Mal, dass er von sich aus Interesse daran bekundete. Zögerlich, noch nicht in die Tiefe hin überzeugt, dass es eine gute Idee war. Was er wollte, war, Zeit mit Helena zu verbringen. Ein Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen. Sich mit ihr zu unterhalten, zusammen Spaß zu haben. Vielleicht ein wenig mehr über die Dinge herausfinden, die sie noch vor ihm verborgen hielt. Es gab so viel an ihm, das ihn interessierte... da war dieses eine Wort, diese Beziehung nicht genug, um ihn abzuhalten. Zumindest nicht, solange sie sich einig waren, wo die Grenze lag. Denn die Bereitschaft, sich mit Leib und Seele zu verketten und seine Freiheiten aufzugeben, jene, die ihn reisen ließen, die ihm erlaubten, Gutes zu tun, die Welt zu erforschen, andere Menschen kennen zu lernen und ihre Geschichten zu hören, die hatte er nicht. Und auch, wenn sie ihm versichert hatte, dass es nicht so enden würde, gab es doch einen Teil in Charons Herzen, der eine gewisse Sorge verspürte. Über Jahre hin war er überzeugt gewesen, zu verstehen, wie solche Interaktionen unter Menschen verliefen. Diese Überzeugung schwand nicht einfach im Laufe eines Nachmittags, durch den Austausch von ein paar Worten. Und die Sorge, die diese Überzeugung auslöste, würde wohl weiter in seinem Herzen ruhen.
Aber jetzt gerade, als sich die Marinakis auf seinen Schoß setzte, sich an ihn kuschelte und sein Haar streichelte, gab es keinen Raum für Sorge. Nicht in seinem Herzen, nicht in seinem Lächeln, nicht in seinen Augen, die sich mit ihren trafen. Er genoss den Moment, genoss in wirklich. Freute sich darauf, ihn wieder zu erleben. Sanft legte Charon seine Hand in den Nacken seiner Partnerin, seiner Freundin, ließ sie nach oben gleiten in ihr zartes Haar, wo er leichten Druck ausübte, um ihr Gesicht näher an seines zu ziehen. Gestern hatte er sich davon abgehalten, sie zu küssen. Heute konnte er dieser Anziehung endlich wieder nachgeben...
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