Ortsname: Straßen von Idylia Art: Freiraum Spezielles: Dieser Ort gehört zum Dorf Idylia. Beschreibung: Das Straßennetzwerk des grünen Dorfes ist für Ortsfremde eine wahre Augenweide: Wild gesprossene Ranken und Wurzeln bilden Weggeflechte, Bänke aus grob geschlagenem Holz werden von riesigen Blüten überschattet und viele der Gebäude liegen, verbunden durch natürlich aussehende Treppen in den Baumkronen der Stadt. Der Einklang zwischen Natur und Mensch ist auf den überwucherten Straßen offenkundig. Zwar ist es nicht so einfach hier zu navigieren, dafür hat man stets frische Luft und den Duft des Waldes in der Nase.
Change Log: Sobald sich innerhalb des Rollenspiels etwas an dem Ort ändert, wird es hier kurz vermerkt.
Die gepflasterten Straßen Maldina Towns waren durch den Regenfall nur etwas rutschig geworden, doch das Gleiche ließ sich leider nicht für die weniger gut befestigten Feldwege sagen, die Dörfer, Höfe und kleine Städte miteinander verknüpften. Sie besaßen den Luxus steinerner Stabilitätsmaßnahmen nicht, so dass der Untergrund schlammig und glatt geworden war. Es war nicht das erste Mal, dass Mary im Regen unterwegs war, aber normalerweise wusste sie es besser, als auf die Straße zu gehen. Mit zunehmender Entfernung von den sicheren Gemäuern der Stadt schützte die beiden Jungmagier zwar weiterhin der Regenschirm vor himmelwärtigen Unannehmlichkeiten, allerdings konnte das gute Teil nur wenig gegen den Matsch machen, der es bizarrerweise verstand, sich gleichermaßen an den Schuhen festzusaugen und den Untergrund in eine spiegelglatte Fläche zu verwandeln. Ein paar Mal drohte die Lichtmagierin während ihrer Wanderung gen Nordosten abzurutschen, und nur das panische Festklammern am Arm ihres Questpartners hielt sie davon ab, neben ihren Stiefelabdrücken auch ihr Gesicht in den Boden zu prägen. Wenig verwunderlich bei diesen meteorologischen Traumtag begegneten Mary und Nico niemanden auf den Straßen, der todesmutig oder seltsam genug war, zu solchen Wetterverhältnissen eine Reise zu unternehmen. War es ohnehin selten, dass man auf den Straßen jemanden traf, der nicht auf einen Heukarren ritt oder eine Schafherde trieb, erschien der Landstrich an diesem Tag noch ausgestorbener. Die Regenfäden umgaben sie wie ein Vorhang, prasselte und spritzte von Felsen, Laub und Gewässern, als würden zusammen mit den beiden Magiern noch ganze Armeen marschieren. Mary, die Regen, Matsch und Spaziergänge in eben solchen Wetterbedingungen nicht sonderlich mochte, hatte den Großteil des Weges schweigsam verbracht, nur unterbrochen von schockbedingten Atemeinsaugern, wenn die Stiefel wieder über den Boden glitschten.
Mary wurde nicht durch die gräulichen Umrisse von Bäumen und Ranken auf ihren Zielort aufmerksam, sondern durch die Geräusche: Tausende, vielleicht sogar Millionen von applaudierenden Ameisen. Immer wieder hatte die Lichtmagierin auf ihrem Weg durch das Land heimliche Blicke zu Nico riskiert und mit steigernder Scham festgestellt, dass er durchnässt wurde, während ihre Kleidung trocken blieb, doch sie hatte nichts dagegen unternehmen können, weil sie zu beschäftigt damit gewesen war, nicht hinzufallen. Nun jedoch schaute sie nicht mehr zu ihrem Questpartner, sondern zum eigenartigem Schauspiel, das sich ihnen bot. Überall raschelte es, als die Regentropfen auf die Blätter fielen, die das Dorf Idylia wie eine Kuppel umgaben, von hölzernen Ranken absprangen und in hunderten von Pfützen landeten, die sich durch die eigenartig verknotete und verwinkelte Stadtarchitektur gebildet hatten. An vielen Stellen waren die Häuser zu sehen, die in ihrem Stil denen der anderen Siedlungen in der Gegend ähnelten, doch das war eigentlich auch schon alles, was hier normal war. Baumstämme mit gigantischen Wurzeln durchbrachen die Straßenoberflächen und waren zu kunstvollen Brücken geschnitzt, Ranken und Blüten fungierten als Regenschirme und waren teilweise in die Etablissements und Läden integriert worden und in vielen der größeren Baumkronen waren Häuser zu sehen, die sich an ihre hölzernen Nachbarn schmiegten. Was auch immer dafür gesorgt hatte, dass dieses Dorf von derart vielen Pflanzen überwuchert worden war, die Einwohner hatten sich darum gekümmert, dass es zumindest aussah, als kämen sie gut zurecht.
Allerdings war auch deutlich zu sehen, dass die sicherlich fleißigen Arbeiter des Dorfes nicht überall mit ihren Werkzeugen hinterherkamen. Straßen waren überwuchert, Blumenteppiche sprossen teils ungehindert auf Hausdächern und zahllose Eingänge schienen von einem dichten Moss bewachsen zu sein, der es gewiss erschwerte, die Türen zu öffnen. Der Wachstumsschub der Vegetation war offenkundig nicht zur vorteilhaft. "Sieh dir das an", murmelte Mary erstaunt, als der Regenvorhang und das Dorf dahinter sich vor ihnen öffnete und blieb stehen, als mit leisen Geräuschen mehrere der riesigen Blüten begannen, sich zu neigen und Regenwasser auf die Straßen zu gießen. Es duftete schwer nach feuchtem Gras - ein starker floraler Duft lag in der Luft. Wenige Leute waren auf den Straßen zu sehen und jene, die etwas zu erledigen hatten, liefen mit hochgeschlagenen Krägen und tief in die Gesichter gezogenen Mützen herum, um nicht nur den Regentropfen, sondern auch den Taufen durch die Blüten zu entgehen. "Meinst du, wir sollten hier mit jemandem sprechen? Und vielleicht sollten wir den Regen aussitzen, so kriegen wir doch nie ganzen Gewächse unter Kontrolle." Wie auch immer das auch bei schönem Wetter zu schaffen sein sollte. Was hast du uns nur aufgeschwatzt, Nico ...
Mit einem Geräusch als würde ein Eimer aus dem ersten Stock auf die Straße ausgeleert werden, entlud eines der gewaltigen Blätter seine Ladung. Sprühwasser erwischte Nicos Hosenbeine, die dadurch nicht einmal nasser, aber vielleicht sauberer als vorher wurden. Nicht, dass der junge Mann etwas davon mitbekommen hatte. Während des Wegs hatte er vor allem darauf geachtet, dass Mary nicht durchtränkt wurde, ab und an zu ihr hinüber geschaut und währenddessen leise in sich hinein gesummt, die Melodie eines Stücks, an dem er arbeitete, verbessert. Der Weg war an sich einigermaßen angenehm gewesen. Zumindest hatte er Mary gedanklich als angenehme Gesellschaft verbucht. Außerdem hatte sie die letzte Strecke den Regenschirm alleine übernehmen müssen, wobei er die Versuche seine rechte Seite zu schützen gewaltig sabotiert hatte. Der Mantel würde trocknen. Und grade dachte er da ohnehin nicht dran, denn in seinen Mund hätte grade eines seiner geliebten M-Peds quer rein gepasst. Idyllia war selbst im Regen eine Märchenstadt. Wie viele Lieder und Gedichte sie wohl schon inspiriert hatte? Selbst in einer Welt voller Magie war das hier doch verflucht beeindruckend. Oder beeindruckend verflucht, wenn er sich die Größe dieser Ranken so betrachtete. Schweigend machte Nico einen Schritt nach vorne, wurde beinahe sofort triefnass und verzog sich mit einem Schnaufen wieder halb unter den Schirm.
"Suchen wir uns ein Gasthaus oder sowas. Irgendwas, wo wir uns einen Moment ins Warme und Trockene setzen können. Vielleicht weiß da auch jemand Bescheid welche Häuser wir genau von Unkraut befreien sollen. Die meisten sehen ja komplett in Ordnung aus. Kann mir nicht vorstellen, dass die Leute Gildenmagier anwerben um ein wenig Moos, oder was auch immer das Grüne an der Tür da ist, wegzumachen", brachte er nach einen Moment des Atem beraubten Schweigens hervor. Sein Kopf pendelte suchend herum, bevor er die Hand nach dem Regenschirm ausstreckte und schlicht die Führung übernahm. Zumindest musste Mary jetzt mitkommen, wenn sie nicht geduscht werden wollte. "Entschuldigung! Entschuldigung, wir suchen ein Gasthaus", wurde dann auch gleich der nächste Herr grausam attackiert, der mit seinem hochgeschlagenen Kragen vermutlich grade selber lieber im Inneren eines Hauses wäre. "Da habt ihr Idyllia aber einem schlechten Tag erwischt", ertönte es aber zumindest gut gelaunt vonseiten des Herren unter dessen Regenhut hervor. Eine Hand zeigte den beiden Jungmagiern den Weg tiefer in die Stadt hinein an. Von dem Ärmel tropften bereits feine Wasserperlen hinab. "Unter der Gänseblume heißt es. Die Straße dort entlang. Wenn ihr zu einem Vorhang aus Gras kommt, da einfach durch. Das Haus unter der...na ja... unter der Gänseblume halt." Damit waren sie doch schonmal ein gewaltiges Stückchen weiter. Nico vollführte eine Verbeugung, die aufgrund der Tatsache, dass er den Regenschirm hielt und dabei wieder nasse Haare bekam, weil er den Kopf unter eben jenem hervor streckte, reichlich wenig elegant ausfiel. "Seid vielmals bedankt, der Herr. Einen trockeneren Tag wünsche ich Euch." Mit einem Kopfnicken und einer Erwiderung der Wünsche verschwand der Herr mitsamt Regenhut, der von Nico neidisch angestarrt wurde, zwischen ein paar Kletterranken. "Also, auf unter die Gänseblume."
Der Vorhang des Grases teilte sich durch die vereinten Bemühungen der beiden Jungmagier und gab die Sicht auf ein Haus frei, das sich tatsächlich unter einer gewaltigen Gänseblume befand. Die Pflanze diente wohl auch als Stütze. Zumindest verlief der Stängel quer durch das Dach. Eindringendes Wasser hatte das Haus wohl trotzdem nicht zu befürchten. Die reinweißen Blütenblätter bildeten einen ziemlich effektiven Schutz gegen die herabstürzenden Wassermassen. Noch ein paar rettende Schritte ins Trockene und Nico nahm den Schirm runter, schüttelte das treue Ding einmal aus und klappte es wieder zusammen. Das Gasthaus sah ziemlich einladend aus. Die Fenster blinkten den beiden warm und hell entgegen. Rauch drang aus einem Schornstein und rußte die Unterseite der schützenden Pflanze ein. Mit ein paar schnellen Schritten und nur ein Mal dank der glatten Sohlen wegflutschend, erreichte Nico als erster die Türe und hielt sie für Mary auf. Sowas gehörte sich schließlich. Das Innere hielt den erweckten Eindruck. Im Kamin prasselte ein Feuerchen. Hinter der Theke stand eine beleibte Dame älteren Jahrgangs und rührte in einem Kessel auf dem Feuer herum. Eine Treppe im hinteren Bereich versprach, dass es wohl auch Zimmer für die Nacht gab. Den Laden voll zu nennen hätte jedoch an Realitätsflucht gegrenzt. Es war absolut leer. Vermutlich dem Wetter geschuldet. "Hallo, hi, dürfen wir uns einen Moment setzen? Mary, möchtest du was Warmes zu trinken haben? Schadet sicher nicht. Und wir hätten ein paar Fragen wegen des Auftrags für Gildenmagier, der von hier kam. Vielleicht könnten Sie uns weiterhelfen? Das wäre sehr freundlich", überspülte Nico die Frau hinter dem Tresen gleich nach dem Eintreten. Die sah die beiden erst reichlich irrtiert an, bevor sie herzlich auflachte und sie mit den Händen in Richtung eines Fenstertisches winkte. "Bin gleich bei euch!"
Mary war keine Botanikerin, doch sie war sich ziemlich sicher, dass es keine Gänseblumen gab. Das waren Gänseblümchen. Kleine, an Margeriten erinnernde Gewächse, die man übrigens auch zu sehr leckerem Salat verarbeiten konnte. Dieses Wissen teilte die Jugendliche jedoch nicht mit ihrem Questpartner, denn sie war zu beschäftigt damit, seiner Wuselei zu folgen und dabei unter dem Schirm zu bleiben. Jetzt, wo sie nicht mehr durch die Pampa spazierten, begann ihr Herz beim Gedanken daran, dass sie hier mit einem Mann (gut, einem Jungen) unter einem Schirm stand, zu klopfen. Weniger, weil sie hier gerade Schmetterlinge in abdominalen Regionen entwickelte, sondern weil sie sich wie zuvor im Wirtshaus von Ardea wieder Sorgen machte, ob jemand hier sie oder ihre Eltern erkannte. Letzteres kam durchaus einmal vor. Zwar waren ihre Erzeuger nicht berühmte Opernsänger oder Orchestergeigen wie die von Nicolo, doch hier im ländlichen Gebiet von Südfiore hatte ihr Vater als Schmied durchaus etwas zu sagen, immerhin gehörte er einer Handwerksgilde an und hatte für eine nicht unerhebliche Anzahl Bauern Werkzeuge hergestellt, die sie für ihren Lebensunterhalt brauchten! Mary war stolz auf ihre Familie, allerdings würde sie mit solchen Errungenschaften eher nicht prahlen - war eine ziemliche Nische und Nico hätte sie wohl nur komisch angesehen. Was ihre Urgroßmutter nur sagen würde, wenn sie Mary so sah ...
Zu viel Zeit zum Nachdenken war glücklicherweise nicht, denn Gras schob sich im wahrsten Sinne es Wortes in das Gesicht der Lichtmagierin. Es war gar nicht so einfach, einen Vorhang an Gras zu entfernen, wenn es nass war und daher schwer und man zugleich noch mit einem Schirm kämpfte. Nicht sonderlich geschickt, aber immerhin einigermaßen effektiv kämpften sich die beiden Magier durch den Grasvorhang, vor dem man sie immerhin gewarnt hatte, und fanden sich dann vor dem genannten Gasthaus wieder. Achso. Ja. GänseBLUME. Verstehe. Die riesige Blume stellte alles in den Schatten, was Mary jemals an Wiesengewächsen gesehen hatte. Dass Bäume groß waren, auch überdurchschnittlich groß, das vermochte die Lichtmagierin ja noch zu glauben, immerhin waren die auch in normalen Proportionen nicht gerade klein, aber dieses monströse Gänseblümchen brachte das Landei zum Staunen; keine geringe Leistung, eine Bauerntochter mit einer Pflanze zu beeindrucken. Die Jugendliche legte den Kopf in den Nacken und starrte die weißen Blüten der Blume an, als handelte es sich dabei um die gewaltigen Flügel eines Vogels, der sie nicht nur im übertragenen Sinne unter seine Schwingen genommen hatte. Das war eine schlechte Entscheidung, denn von der Kante eines Blütenblattes tropfte es ganz ordentlich, so dass Mary Nicolo wild blinzelnd und mit feuchtem Gesicht folgte, nur eine Danksagung ob seiner kavalierhaften Art der Türöffnung in seine Richtung nuschelnd.
Das Innere des Gasthauses hatte eine heimelige, vor allem jedoch eine trockene und warme Atmosphäre. Sich Blütenschleim aus dem Auge puhlend, betrachtete die Lichtmagierin vor allem den riesigen, in die Inneneinrichtung integrierten Blumenstiel, ehe sie sich Nicolo anschloss und einen Platz am Fenster einnahm. Im Gegensatz zu Nico war sie nicht sonderlich nass geworden, weswegen sie auch nicht verstärkt darauf achten musste, dass sie nichts verdreckte. Stattdessen verschränkte Mary die Arme auf der Tischplatte und blickte durch das Fenster in den Regen- und Grasvorhang Idylias hinaus. "Ich nehme eine Suppe, glaube ich", weihte Mary ihren Kameraden in ihre weiterführenden kulinarischen Pläne ein - und musste ob des Temperaturwechsels tatsächlich leicht schniefend die Nase hochziehen. Das hielt sie aber nicht davon ab, sich ein bisschen über den Tisch gen ihres Partners zu lehnen und ihn mit großen, ernsten Augen anzusehen, in denen sich spiegelte, dass die Zahnräder ihres Geistes wieder einmal auf Überstunden schufteten. "Was meinst du, was das alles verursacht hat? Und wie sollen wir das alles an einem Tag schaffen? Sollen wir uns ein Zimmer nehmen? Also - je eines. Ähm. Suppe?" Die war sicher warm und angenehm an so einem Tag - und wer aß, der musste nicht reden.
Wie üblich machte es sich Nico auf dem Stuhl bequem. Das bedeutete vor allem über der Rückenlehne zu hängen wie ein Schluck dessen, was da draußen in Strömen herunter kam. Im Gegensatz zu seinem Gegenüber machte sich der junge Mann nicht die geringsten Sorgen, dass er mit einem gleichaltrigen Wesen des anderen Geschlechts gesehen werden könnte. Denn einerseits waren seine Eltern weit entfernt in Crocus Town, andererseits war es ihm auch komplett egal, was der allergrößte Teil der vernunftbegabten Wesenheiten über ihn dachte. Wenige Ausnahmen gab es natürlich. Wie zum Beispiel der begossene Pudel auf der anderen Seite des Tisches. "Suppe klingt gut. Da wird einem warm im Bauch. Aber warten wir wegen der Zimmer doch erstmal ab, was wir überhaupt machen sollen, oder? Vielleicht sind diese Bohnenranken nach den hiesigen Maßstäben winzig." Das waren sie vermutlich nicht, sonst hätte man keine Magier gerufen. Wobei Nico schon einen genialen Plan hatte, wie sie mit diesen Ranken umgehen könnten. Die kamen sicher aus irgendeiner Pflanze. Und wenn man die Pflanze zerstörte, gingen die Ranken doch sicher auch kaputt? Vielleicht sollte er lieber Mary danach fragen, da er eigentlich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie Pflanzen funktionierten, wenn er mal ehrlich mit sich selbst war.
"So, da haben wir mal ein bisschen Suppe für euch. Bei dem Wetter draußen könnt ihr das sicher gebrauchen", ertönte es munter von der Gastwirtin, die den beiden je einen Teller zuschob. Beinahe sofort wirkte es als hätte Nico einen Stock verschluckt, so aufrecht saß er plötzlich. Was man von ihm dachte war ja vielleicht egal, aber hier ging es um eine Gildenangelegenheit. Soweit möglich schloss er jedoch eine sitzende Verbeugung gen der Frau an. "Vielen Dank. Das ist sehr freundlich und es duftet ganz ausgezeichnet. Wir sind von Satyrs Cornucopia und sollen mit der Ranken-Situation behilflich sein. Leider hatten wir noch keine Gelegenheit zu fragen, wo exakt das Problem in der Stadt denn überhaupt ist." Dass er während der Erklärung den Löffel zur Hand nahm, schien die Wirtin nicht zu stören. Die wiederum stemmte die Hände in die Hüften und besah sich die beiden Jungmagier eindringlich. "Noch so jung und schon Magier. Ayay, vielleicht werde ich auch einfach älter. Das Gesuch hat jemand aus dem östlichen Teil der Stadt aufgegeben. Da ist wohl wieder was mit einer Pflanze passiert, was mit all denen hier passiert ist. Aber man gewöhnt sich ja an alles. Wenn ihr nach draußen geht, dreht euch nach rechts und folgt der Wurzel, auf der ihr dann gleich seid. Wenn da Ranken drüber wachsen, seid ihr richtig." Eifriges Nicken vonseiten Nico, der sich soeben den Löffel vollgeladen und in die Schnute geschoben hatte und es dankenswerterweise vorzog zu schweigen statt Suppe quer über den Tisch zu verteilen.
Wenn die Ranken aber schon eine...nun, eine Straße blockierten, waren sie aber vermutlich ziemlich groß. Das würde wohl eine ganze Weile dauern, bis sie da durch kamen, selbst mit Magie. Auf der anderen Seite war Mary ziemlich präzise mit ihren Schneidstrahlen und er musste nur den richtigen Ort finden, wo er keinen Kollateralschaden an Sachen verursachte, die man noch brauchen würde. "Weiß man woran dieser Riesenwuchs liegt?", griff er schlussendlich Marys Frage von eben auf. Im Zweifel die Einheimischen fragen war mehr oder minder sein Lebensmotto. Also, eigentlich nicht. Aber es war trotzdem ein guter Spruch. Die Frau zuckte jedoch nur mit den Schultern. "Vielleicht ein verrückter Magier? Nix für ungut." Sie zuckte mit den Schultern, Nico zuckte mit den Schultern, winkte dann beruhigend mit dem Löffel ab. Manche Magier waren bekloppter als ein Schnitzel. Das war nun einmal so. "Aber ich lasse euch zwei mal in Ruhe essen. Wenn ihr mehr Fragen habt, kommt aber ruhig zu mir." Jetzt waren es die Zahnräder hinter Nicos Stirn, die Überstunden leisteten. "Weißt du, ich glaube das mit dem Zimmer ist eine sehr gute Idee, Mary"
Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck löffelte Mary ihre Suppe, nachdem sie sich mit einem tiefem Kopfneigen und einem "Vielen Dank!" bei der Gastwirtin erkenntlich gezeigt hatte. Die Wärme und die herzhafte Würzung taten gut. Beides trieb an so einem kalten und ekeligem Tag Kraft zurück in die Knochen und die zwar nicht geschundenen, aber klammen Muskeln der Lichtmagierin. Der erste Löffel war dennoch ein ganz kleines bisschen misstrauisch erfolgt. Zwar war Mary kein sehr empfindlicher Esser und mochte viele Gerichte, außerdem probierte sie sehr gerne neue Speisen, doch irgendwie hatte die Lichtmagierin damit gerechnet, dass die Suppe grün schmecken würde oder vielleicht sogar Gänseblümchen darin herumschwammen. Seit sie in Maldina Town lebte, wusste sie, dass in einer Stadt der Künstler und Touristen recht häufig Sachen auf Speisekarten landeten, die nicht wegen ihrer Leckrigkeit, sondern wegen ihres ... ästhetischen Wertes gegessen wurden. Da bekam man teilweise ein kunstvoll gefaltetes Salatblatt und zahlte mehr, als ihre Mutter für einen ganzen Kessel Eintopf verlangt hätte. Mary war solchen Etablissements bisher zweifelsfrei aus dem Weg gegangen. Sie mochte Hausmannskost, deftige Portionen und liebevolle Küche, die durfte dann auch schon einmal chaotisch aussehen. Bei ihr aßen die Augen weniger mit als die Nase. Blumen rochen auch gut, aber ob sie diese wirklich außerhalb von Salaten essen wollte? Nun, musste sie ja nicht, denn zum Glück handelte es sich hier um eine leckere, herzhafte Suppe ganz ohne Blumeneinlage.
Hatte sie diesen Suppenexkurs nur intern geführt, um sich wegen des Zimmers weniger Gedanken zu machen? Oh ja. Mary befand sich nämlich gerade in einer kleinen Zwickmühle: Sie wusste, dass Nicolo notorisch knapp bei Kasse war und war sich nicht sicher, ob er genug Jewels hatte, um ein Zimmer für sich alleine zu erwerben. Er wirkte ziemlich verzweifelt, bei diesem Wetter eine Quest zu machen, also ging Mary ganz logisch davon aus, dass sein Vermieter bald bei ihm klingelte und am Ende des Geldes noch eine ganze Menge Monat übrig war. Normalerweise wäre es nun kein Problem für die Baumgardner, zu teilen. Aber bei Zimmern ... Das war die große Frage. Der vernünftige Teil von Mary sagte ihr, dass dabei nichts passieren konnte und die Schreckgespenster, die ihre Großeltern in ihr wecken wollten allesamt genau das waren: Prüde Belehrungen. Der abergläubische, gehorsame und ziemlich prüde Teil Marys wurde beim Gedanken daran, dass man sich ein Zimmer teilen könnte beinahe ohnmächtig. Allerdings galten all diese schrecklichen Warnungen ja eigentlich nur, wenn man sich ein Bett teilte und normalerweise verfügten einigermaßen respektable Gasthäuser über Doppelzimmer. Das hätte auch den Vorteil, dass man sich beraten konnte. Ach, das brachte doch alles nichts. Sie kam nicht weiter, bevor sie nicht fragte, also straffte Mary, die bisher von gefräßiger Schweigsamkeit erfüllt gewesen war ihre Schultern und hob den Kopf, um Nicolo in Augenschein zu nehmen. Nein, der kam ihr auf jeden Fall wie ein freundlicher Zeitgenosse vor, außerdem hatten sie ja eine Abmachung, dass sie sich gegenseitig helfen und unterstützen würden. Das war in einer ganz ähnlichen Szenerie versprochen worden. Mary lächelte sachte und fasste sich ein Herz, denn wie die alte Omi, die sie hier modetechnisch repräsentierte, wollte die junge Magierin auch nicht wirken: "Sollen wir uns eins teilen?"
Zu Nicos Glück war er nicht nur so anspruchsvoll wie Hausschimmel, wenn es um Essen ging, sondern das war nicht einmal nötig. Die Suppe war warm, ganz ordentlich gewürzt und erfreute seinen inneren Müllschlucker mit einem besseren Geschmack als neunundneunzig Prozent dessen, was er selbst an einem seiner besten Tage hätte produzieren können. Und der eine Prozent bestand aus Tee und Kaffee, wovon ihm immer wieder gesagt wurde, dass das keine Nahrung sei. Schwätzer, allesamt. Der junge Peralta schaffte es irgendwie die Waage zwischen seiner überhasteten Essgeschwindigkeit und Tischmanieren zu halten. Auf der einen Seite wollte er möglichst rasch wieder los, wegen der Hummeln im Hintern. Auf der anderen Seite wollte er sich hier nicht aufführen wie ein Barbar und alles vollkleckern. Außerdem müsste er dann schon wieder Klamotten waschen und das kostete Zeit, die in produktivere Dinge wie die Zucht einer zufällig in seiner Tasche gelandeten Amano-Olive gehen könnte. Der Pflanze ging es nicht gut, aber war es nicht der Wille, der zählte? Vielleicht war der Wille der Pflanze einfach zu schwach. Das musste es sein. Der Essgeschwindigkeit entsprechend klirrte Nicos Löffel jedoch bereits auf den leeren Teller, als Mary ihre Frage stellte.
Mit schief gelegtem Kopf betrachtete Nico sein Gegenüber. Ein was teilen? Getränk? Aber sie konnten doch genauso gut je eines bestellen. Das hatten sie zwar schon in Ardea gemacht, aber was, wenn sie beide zu viel Durst hatten? Natürlich hatte er noch den mitgenommenen Tee, aber es gehörte sich schließlich nicht mitgebrachtes in einem Gasthaus auszupacken. Sich zurücklehnend musterte Nico Mary einen Moment lang still. Es arbeitete sichtlich hinter seiner Stirn, bis er endlich heraus platzte: "Oh, ein Zimmer! Du meinst ein Zimmer teilen. Sicher. Das spart Geld. Und hier gibt es bestimmt eins mit zwei Betten. Ich schnarche auch nicht, glaube ich. Öhm, stört's dich, wenn nachts das Licht angeht? Manchmal fallen mir zu den schlimmsten Zeiten die besten Sachen ein und das muss ich dann aufschreiben, bevor der Gedanke wieder verfliegt. Geht auch ganz schnell. Meistens. Und ich verspreche nicht die Violine auszupacken, während du schläfst." Wenn er es recht bedachte, hatte er nur keine Wechselkleidung dabei. Hoffentlich müffelte er morgen nicht, das wäre ziemlich unangenehm. Aber irgendwas zum Waschen gab es hier sicher auch. Bekam er schon irgendwie hin. Nicolo Peralta, Meister der Vorausplanung. Irgendwie hatte er überhaupt nicht damit gerechnet, dass der Auftrag länger als einen Tag brauchen könnte. Was bei alleine zwei Stunden Fußmarsch pro Richtung schon irgendwie ziemlich dumm war.
Nico, dessen Persönlichkeit den Eltern wohl jede Sorge darum genommen hatte, dass er jemals irgendwas unlauteres mit einem Mädchen anstellen könnte - oder es war ihnen schlicht egal -, teilte auch die Sorgen der jungen Baumgardner nicht. Das Lächeln Marys erwiderte er mit einem eigenen, faltete die Hände vor dem vollgefressenen Bauch. "Dann kümmere ich mich um das Zimmer. Glaube wir haben ohnehin fast freie Auswahl. Ist ja jetzt nicht grade brechend voll hier. Irgendwelche Wünsche wegen der Aussicht? Oh, wollen wir uns heute noch ansehen, was wir hier eigentlich machen müssen? So spät ist es ja noch nicht. Aber das Gepäck können wir dann ja schonmal hier lassen. Mir tut nämlich der Rücken weh und der Geigenkasten macht's echt nicht besser."
Ein großer Vorteil daran, Quests mit Nicolo Peralta abzuschließen, war, dass Mary zu Dingen kam. Zum Essen, zum Planen, doch leider auch zum Nachdenken. Da sie einen Großteil ihrer gemeinsamen Zeit mit Zuhören verbrachte, was Mary nicht übermäßig herausforderte, denn das tat sie generell lieber als reden, hatten ihre mentalen Kapazitäten alle Zeit der Welt, wilde Kapriolen zu schlagen und zu allen möglichen Gedankensprüngen zu kommen, die sie ständig in einen eigenartigen Zustand der Aufregung versetzte. Dabei gab es für solches kindische Verhalten gar keinen Grund! Sie hatte sich nur wenige Male in ihrem Leben wirklich geschämt, und das war eigentlich immer das Ergebnis von einem Fehlverhalten ihrerseits gewesen. Wenn sie ein Spielzeug ihres Bruders zerstörte oder versuchte zu verbergen, dass sie bei ihren Haushaltspflichten getrickst hatte, dann schämte sie sich aus gutem Grund und wurde bestraft. Aber hier tat sie ja nichts Falsches, doch die Scham war trotzdem da und das Schlimmste: Bestraft werden konnte sie ohne Verbrechen auch nicht, also wie wurde sie das Gefühl wieder los?
Wäre Mary etwas weiter in ihrer persönlichen Entwicklung gewesen und hätte gewusst, wie man mit außerfamiliären Personen normal kommunizierte und agierte, hätte sie ihre Aufregung und ihre Hilflosigkeit im Umgang mit männlichen Personen richtigerweise ihrer Erziehung zugeschrieben. Wer glaubte, dass Speichelaustausch zur Entstehung eines neuen Lebens reichte, konnte sich nun einmal wenig vorstellen und daher auch mit wenig umgehen. Mary war diese Dinge betreffend tatsächlich sehr naiv, so dass sie gar nicht auf die Idee kam, dass Nicolo etwas tun könnte oder vorhaben könnte - sie war eher nervös wegen der Möglichkeit, dass es a) unbekannte Dinge gab, die ihr eher wie Schreckgespenster vorkamen (danke Erziehung!) und b) dass die ganze Welt Bescheid wusste außer sie selbst. Insofern half es Mary durchaus, dass Nico sich nichts anmerken ließ und sie die frevelhafte Tätigkeit des geteilten Zimmers nun in Angriff nahmen. Kurz überlegte Mary, ob sie ihren Questpartner darauf hinweisen sollte, dass man das in ländlichen Regionen eigentlich nicht machte (stapelte man in Städten einfach? Da waren doch alle freizügig!) aber sie war nicht darauf vorbereitet, Fragen nach dem "Wieso" zu beantworten, also löffelte sie Suppe und schloss insgeheim mit all ihrer generellen sozialen Zukunft ab.
Nachdem die Angelegenheit mit dem Zimmer lang und breit erläutert wurde (von Nicolos Seite verbal, von ihr nur innerlich), konzentrierte sich Mary erst einmal auf die Vernichtung der Suppe und hob erst wieder den Blick der goldenen Augen, als ihr Partner weitere Fragen stellte. Diese hatten mit ihrer Quest zu tun, was ein deutlich angenehmeres Gesprächsthema war. Das Mädchen legte den Kopf schief, sachte mit dem Löffel über den Boden der Schüssel schabend. "Die Aussicht ist mir eigentlich egal. Ich glaube, hier gibt es eh nur Gänseblume oder Gänseblume. Uns die Arbeit anzusehen klingt vernünftig. Außerdem muss es ja einen Questgeber irgendwo geben, der uns vielleicht mit Werkzeugen ausstatten kann. Wir sollten uns bei der Person melden, denn ich weiß hier ehrlich gesagt nicht, was hier Unkraut ist und was nicht." Die letzten Worte sprach Mary absichtlich etwas leiser als die anderen, da sie ja nicht wusste, wie stolz die Leute hier auf ihre Blumenstadt sein mochten. Ganz nett anzusehen war Idylia alle Male, aber wohl auch ziemlich wartungsaufwändig. Da kannte sie noch wen ... "Warum tut dein Rücken weh? Bist du verletzt?"
Den Geigenkasten belassend wo er war, angelehnt an seinen Stuhl, schob sich von letzterem und streckte den Rücken durch. Es knackte unheil verkündend, als er die Hände ins Kreuz stemmte und drückte. Ganz normal. "Hm? Keine Sorge, der Rücken tut mir nur weh, weil ich meinen wundersamen Fokus mitgeschleppt habe. Gib' mir ein paar Minuten und ich bin wieder topfit. Also. So fit wie möglich. Ob das jetzt topfit ist, wage ich zu bezweifeln. Glaube ich war seit Jahren nicht mehr richtig ausgeschlafen. Den Auftraggeber finden wir bestimmt irgendwo da, wo die Überwucherung schlimmer wird. Ganz bestimmt. Die Leute hier sind vermutlich auch schon fleißig am Werk. Immerhin gibt's ja keine Garantie, dass überhaupt jemand Gildenaufträge annimmt. Oder wann sie jemand annimmt. Die werden sich bestimmt freuen uns zu sehen. Ich geh' das Zimmer besorgen!", entfesselte Nico mal wieder einen verbalen Tsunami, bevor er auch schon Richtung Tresen stakte. Elegant war das nicht, wirkte eher wie ein Cowboy, der sich in die Hose gemacht hatte. Aber wenigstens stellte es nicht das geringste Problem dar ein Zimmer zu bekommen. Abgesehen von den beiden bemitleidenswerten Jungmagiern waren nur zwei weitere Reisende überhaupt unter der Gänseblume untergekommen. Was, wie er jetzt wusste, dem Regen geschuldet war, der total und richtig gut für die Pflanzen war und scheinbar auch nötig, aber leider auch die Kunden vertrieb und wie sollte sie denn das Gasthaus am Laufen halten, wenn keine Reisenden kamen, da die Leute, die hier wohnten, sich ja lieber selbst was kochten und oh weh und überhaupt. Nico, dem es ziemlich wenig ausmachte, wenn jemand anders die Stille füllte, ließ den Wortschwall der Gastwirtin über sich ergehen, schaffte es sogar an den richtigen Stellen zu nicken und mitleidende Sozialgrunzer von sich zu geben.
Um Zeit und Jewels ärmer, einen Zimmerschlüssel reicher und mit dem gleichen Wissensstand wie vorher, da er komplett auf Durchzug geschaltet hatte, watschelte Nico zum Tisch zurück und hob den Zimmerschlüssel an, bevor er ihn Mary entgegen hielt. "Wir wissen beide, dass du den besser aufbewahren solltest. Wenn ich das mache, muss am Ende noch einen verlorenen Schlüssel ersetzen oder sowas. Wollen wir uns dann schonmal ansehen, was uns bevor steht? Und vielleicht schon mal mit dem Auftraggeber sprechen, Werkzeuge besorgen, und so weiter. Oh, warte, ich bringe den Geigenkasten auf's Zimmer", ging es gleich schon wieder los. Aber gesagt und getan. Nico zog den Zimmerschlüssel wieder zurück, huschte rasch mitsamt Geigenkasten nach oben und kam ohne jenen wieder runter. Das Ganze hatte nicht sonderlich lange gedauert und er konnte danach einfach die gleiche Pose wie vorher erneut einnehmen, den Schlüssel auffordernd in Richtung Mary haltend. "Das Zimmer ist ziemlich hübsch. Viele Blumen. Wird dir gefallen, denke ich. Hat sogar ein kleines Badezimmer. Aber nach draußen sieht man nur das Riesengras. Das sollte man mal zurecht stutzen, damit sich der Einbau des Fenster auch gelohnt hat." Riesenbotaniker Peralta, zu Diensten. Ohne so wirklich eine Antwort abzuwarten, rauschte Nico dann auch schon deutlich beschwingter als vorher in Richtung Regenschirm neben der Tür zurück. Ein kurzer, prüfender Blick zu Mary, dann nach draußen. Es regnete immer noch. Zurück zu Mary und ihrem weißen Kleid, wieder nach draußen. Schlussendlich ruhte Nicos Blick auf seiner eigenen, rechten Schulter. Tja, wirst wohl wieder nass werden müssen, Schulter.
Mittlerweile kam sich Mary in Nicolos Gegenwart vor wie eine Weissagungsmagierin. Nicht, weil ihre Vorhersagen ihn betreffend eintrafen, sondern weil sie auf beinahe magische Art aus dem Redefluss des Musikmagiers die für sie wichtigen Informationen herauslesen musste wie aus einem Kartendeck, das die ganze Zeit vor ihren Augen aufgefächert wurde. Immerhin war er von Tatendrang beseelt, so dass Mary in aller Ruhe aufessen konnte, während Nico schon davonsprang wie ein junges Reh und ihnen das Zimmer besorgte. Das Zimmer, Einzahl. Mary versuchte angestrengt, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was später am Tag geschehen würde: Sie würden sich ein Zimmer UND ein Badezimmer teilen. Allein der Gedanke daran, dies mit einem Jungen zu tun, den sie eigentlich noch nicht wirklich kannte, brachte die Lichtmagierin schon wieder an den Rand der Verzweiflung. Es war also ganz gut, dass sie kurz alleine war, denn das schenkte Mary die nötigen Sekunden, die sie brauchte, um sich zu fassen, das Geschirr säuberlich zusammen zu stellen, damit man es einfacher abräumen konnte und Anstalten zu machen, sich zu erheben. Da kam Nico aber schon zurück und streckte ihr den Schlüssel entgegen. Hatten sie nur einen bekommen? Was, wenn sie sich aufteilen mussten? Sie wollte Nico gerade darum bitten, bitte noch einen zweiten Schlüssel zu besorgen und griff nach dem ihren, da zog der Musikmagier ihn wieder zurück und ließ Mary mit halb geschlossenen Augen und einem "Ernsthaft?"-Gesichtsausdruck auf dem Stuhl zurück. So sehr konnte dessen Rücken ja wohl nicht schmerzen, wenn er schon wieder davontrampelte.
Danke, Nico. Sehr nett. Mary erhob sich etwas schwerfälliger aufgrund der Last der Enttäuschung, die auf ihren Schultern lag und blickte zur Treppe, während die Gastwirtin amüsiert die Schultern anhob und von der ganzen Sache eher belustigt schien. Nein, ganz toll. Sie hätte ja auch gerne ihren Rucksack abgeladen, war ja nicht so, als würde sie Federn transportieren, immerhin hatte sie Essen und Getränke für sie beide eingepackt. Nein, natürlich musste der Geigenkasten in Sicherheit gebracht werden, der wog ganz sicher auch mehr als ihr Rucksack. Aber mit Mary dem Landei konnte man das ja machen, sie war ja ein Esel auf zwei Beinen, ein Packtier ... Die Lichtmagierin atmete tief durch und straffte die Rucksackriemen, nachdem sie sich das Gepäckstück wieder auf den Rücken geschnallt hatte. Mit einem wenig begeistertem Gesichtsausdruck pflückte Mary Nico den Schlüssel aus der Hand und steckte ihn in eine Tasche ihres Kleides, als der Musikmagier zurückgekehrt war. Gerade, als Nicolo den Schirm aufspannte, schürzte Mary die Lippen und beschloss, dass sie diesmal lieber nass wurde, als sich mit diesem egoistischem Tölpel unter einen Schirm zu quetschen. Am Ende dachten hier noch Leute, dass sie zusammen waren oder so, und wenn das ihre Großeltern erreichte ... Mit dem seltenen, aber dafür etwas heißer brennendem Zorn beseelt, stapfte Mary nach draußen und wunderte sich, dass sie nicht augenblicklich nass wurde. "Ich glaube, der Regen hat aufgeh-", ließ sie verlauten, doch dies war ein Trugschluss gewesen. Die großen Blütenblätter der überdimensionalen Gänseblume hatten als eine Art Schirm fungiert, doch das Gewicht der Wassertropfen war zu groß geworden. Mit einem lauten Platschen wurde Mary von dem Äquivalent eines gefüllten Eimers eiskalten Regenwassers übergossen, als sich das Blütenblatt neigte. Das brach ihre Aussage ab und sorgte auch dafür, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes abgekühlt wurde. Die Kälte des Wassers hatte ihr die Luft aus den Lungen gepresst, so dass statt einem Geräusch nur ein Keuchen und das Hevorprusten von Wasser aus Nase und Mund die Folge war. "-ört."
Es war ein vergeblicher Versuch, den Nico startete, um Mary vor dem Sturzbach zu bewahren. Der verzweifelte hinterher hechtende Peralta brauchte den Regenschirm erst mit mehreren Sekunden Verspätung über die Questpartnerin. Er selbst bekam wenig mehr als das Spritzwasser ab, das von Widerstand Mary quer durch die Umgebung verteilt wurde. Mit schief gelegtem Kopf starrte er von Mary in Richtung des nach wie vor vorhandenen Regens außerhalb der gewaltigen Überdachung durch das noch gewaltigere Gänseblümchen. Es regnete. Warum hatte sie das jetzt also gemacht? Mit einem Kopfschütteln wurde der Regenschirm zusammen gefaltet und unter den Arm geklemmt, bevor er die Hände nach Marys Schultern ausstreckte. "Hat er nicht. Denke wir sollten erstmal deine Klamotten und dich trocknen. Sonst holst du dir noch den Tod. Und, ähm, wie soll ich das sagen? So kannst du nicht durch die Stadt stiefeln. Warte, hier", hob Nico gewohnt quasselig an. Der Regenschirm wurde mit der Spitze in die Erde gerammt, damit er sich selbst seines Mantels entledigen konnte. Der war zwar an der Schulter immer noch reichlich durchnässt, aber das machte jetzt wohl kaum mehr einen Unterschied. Den Blick mit sichtlicher Mühe auf Marys Kopf gerichtet, versuchte er zuerst sie ihres Rucksacks zu entledigen und dann den Mantel Mary um die Schultern zu legen. Hui. Gefahr abgewendet. Zum Glück hatte das niemand außer ihm gesehen. Also...zu ihrem Glück. Ähm. Ja. Wo war er? Ach, richtig.
Mit sanfter Gewalt per Schulterdruck schickte er sich an Mary zurück in Richtung Gasthaus zu bugsieren. Immerhin gab es darin einen Kamin. Und Marys Klamotten sollten wirklich wieder getrocknet werden. Auch wenn das natürlich bedeutete, dass Mary und Klamotten getrennt werden müssten. Äh. Boah, echt kalter Wind hier. Besser schnell rein mit ihr. Die Gastwirtin nahm die rasche Rückkehr der beiden mit einiger Belustigung zur Kenntnis. Ob sie Marys spontane Dusche mitbekommen hatte oder nicht, würde wohl ungeklärt bleiben müssen. In jedem Fall nickte sie bestätigend auf Nicos Nachfrage, ob sie die Feuerlacrima im Zimmer benutzen dürften. Das würde hoffentlich reichen um Mary wieder ausgehfertig zu machen. "Dauert bestimmt nicht lange, bis alles wieder trocken wird. Ähm, soll ich hier warten? Wenn ja, kannst du bitte meinen Mantel mit aufhängen? Das wäre nett, der bedeutet mir viel. Ich bleibe hier unten und...trinke eine eisgekühlte Limonade oder sowas. Jep. Das klingt gut. Möchtest du einen Tee ins Zimmer? Tut doch bestimmt gut was Warmes zu bekommen, nachdem es dich derart erwischt hat." Und für ihn wäre was kaltes jetzt auch gut. Den Blick irgendwohin richtend, sehr interessant diese Holztäfelung im Essbereich, linste Nico nur ab und an zu Mary hinüber. Sowas hatte er ja schon irgendwie befürchtet, seitdem sie aufgebrochen waren. Was meinte sie denn, warum er wie ein Depp mit dem Regenschirm hinter ihr hergelaufen war? Ein leiser Seufzer entfuhr ihm. Die ganze durchnässte Schulter umsonst. Wobei, nein, eigentlich nicht. Sonst wäre das hier noch früher passiert. Wenn es nur sowas wie einen Kutschendienst geben würde, der Leute gegen Jewels in andere Städte fuhr, wie es das in Crocus Town gab. Egal. Passiert war passiert. "Kannst mir ja Bescheid geben, wenn ich wieder ins Zimmer kann. Ich zeichne solange etwas oder so."
Während Mary noch hustend und blinzelnd gegen das eiskalte Wasser kämpfte, dass sich über sie ergossen hatte, spürte sie plötzlich Nicos Hände auf ihren Schultern. Die Baumgardner legte den Kopf in den Nacken und glubschte verwirrt unter begossenen Haarsträhnen in das verschwommene Gesicht ihres Questpartners. Hätte er einen solchen Körperkontakt initiiert und dabei gar nichts gesagt, hätte sich sicherlich jeder einzelne von Marys Muskeln angespannt, doch da er sie sofort wieder mit Worten übergoss, prustete sie nur weiter und hörte zu. Nachdem das Gröbste des Wassers aus ihren Augen und Haaren gelaufen war, runzelte sie die Stirn. Die Magierin hatte bereits zu zittern begonnen, denn der kalte Wind und der stürmische Regen, der noch immer vorherrschte (wie dumm sie gewesen war!) trafen auf ihre durchnässte Gestalt und brachten sie zum Schlottern. Eher peripher bekam sie mit, dass ihr der Rucksack entrissen wurde. Das Bewusstsein für Ort und Zeit kehrte in all der Scham erst wieder zurück, als sie plötzlich einen warmen Mantel um ihre Schultern spürte. Bei Nicolo reichte der ja schon ein Stück nach unten - bei ihr berührte er beinahe den Boden. Natürlich konnte sie so nicht durch die Stadt gehen, da bekam sie alle Entzündungen der Lunge und jeden Schnupfen, den ihre Urgroßmutter ihr jemals beim Vergessen ihrer Jacke prophezeit hatte gleichzeitig. Aber wieso reagierte Nicolo so seltsam? "E-es tut mir ..."
Gerade wollte sich Mary entschuldigen, denn diese ganze Angelegenheit war peinlich und sie hielt damit das Questgeschehen aus, da spürte sie plötzlich, wie der Ältere sie zurück ins Gasthaus schob und mit der Gastwirtin sprach. Die Gedanken der Lichtmagierin waren noch damit beschäftigt, nicht zu erfrieren, den Mantel ihres Partners enger um den Körper zu ziehen und sich zu fragen, was sie da für einen eigenartigen Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers gesehen hatte. Sie konnte es nicht verorten, da sie so etwas noch nie gesehen hatte. Enttäuschung? Nervosität? Ein wenig von allem? Oh je, sie hatte sich wirklich zum Narren gemacht! Durch ihren blöden Trotz und ihre schon wieder verrauchte Wut tropfte sie nun alles voll. Am liebsten hätte sie auch noch direkt aus ihren Augen getropft, aber Mary riss sich zusammen. Es war nicht das erste Mal, dass sie nass geworden war - manchmal riss einem ein Tier in den Wassertrog, das kam schon einmal vor - entsprechend wusste sie, was zu tun war. Nicolo kehrte zurück und wurde schon mit deutlich ernsterer Miene begrüßt als noch zuvor. Durch den rasanten Wechsel zwischen Wärme und Kälte (und die Peinlichkeit) waren Marys Wangen gerötet. Die Hände griffen noch immer am Hals nach dem Mantel, den sie eher wie eine Poncho trug. Hätte Mary den wahren Grund für Nicolos Verlangen nach eiskalter Limonade erfahren, wäre sie vielleicht direkt wieder nach Hause gegangen oder hätte jemanden gebeten, für sie ein schwarzes Loch zu erschaffen, doch so war sie immerhin nur peinlich berührt. "G-gut. Bis gleich."
Nicolos Plan klang soweit schlüssig, also erklomm Mary nach einem kurzen, unsicheren Blick zurück zu ihrem Partner die Treppe und suchte nach ihrem Zimmer. Den Schlüssel hatte sie ja, also verschaffte sie sich ohne weitere Probleme Zutritt zu ihrer Übernachtungsgelegenheit und atmete einmal tief durch, als sie die beiden Betten sah, die in der Mitte des Zimmers, aber mit Abstand zueinander bereitstanden. Es gab auch ein Badezimmer, wodurch diese Gaststube schon mehr Luxus besaß als das Zimmer, in dem Mary derzeit hauste, denn sie musste sich ihre Küche und ihre Waschanlagen mit dem Rest der Gildenmitglieder teilen, die im Gildenhaus lebten. Das war nicht immer schlecht, immerhin traf man da auch interessante Gesellen und war nie allein, aber etwas Privatsphäre schätzte Mary durchaus. Die Baumgardner vermied zum Glück für ihre geistige Gesundheit die Spiegel im Zimmer, da sie sich beeilte, Nicos Mantel und ihr Kleid gleichermaßen aufzuhängen. Alles darunter war ebenso pitschnass, weshalb Mary sich ein großes Handtuch aus dem Bad holte, sich darin einwickelte und die letzten Reste ihrer Kleidung ebenfalls an das Feuerlacrima hing. Eigentlich konnte sie gleich ... Mary wandte sich dem Badezimmer wieder zu, zupfte an ihren mit Gänseblumenblütenstaub und Regenwasser durchtränkten Haaren und beschloss, die Annehmlichkeiten der Gaststube zu nutzen und ein kleines Bad zu nehmen. Das war besser als warmer Tee und würde außerdem die vom Laufen geschundenen Muskeln (und vielleicht ihre Gedanken) etwas beruhigen. Zuvor nahm sie aber noch einen Notizzettel vom kleinen Tisch im Zimmer und pappte ihn an die Tür, nachdem sie "Ich bin baden!" daraufgekritzelt hatte. Nicolo würde schon keine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn sie für eine kleine Weile verschwand, zumal sie ja schon gesagt hatten, dass sie ihre Quest auch morgen erledigen konnten ...
Die blubbernden Bläschen im Glas Limonade mit den Augen verfolgend, hatte es sich Nico wieder auf den alten Plätzen der beiden bequem gemacht. Mit einem Finger tippte er mit dem Nagel gegen das Glas, dass es leise klirrte. Da gab man sich Mühe ein totaler Gentleman zu sein und so und da wurden die Anstrengungen von der anderen Seite komplett sabotiert. Sowas. Na ja, es war ein Unfall gewesen, verursacht durch...öh...ja durch was eigentlich. Warum waren Leute kompliziert? Noten waren einfach. Man setzte sie an die richtigen Orte und dann symbolisierten sie eine Melodie. Oder auch keine Melodie, wenn man es disharmonisch wollte. Leute dagegen stellten eine Disharmonie für sich selbst dar. Manch einer war ein ganzes Madrigal alleine. Wieder andere hüpften und sprangen harmonisch durch ihr Leben als täten sie den ganzen Tag nichts anderes als exakt das Richtige. Das Tippen gegen das Glas veränderte sich und wurde nun selbst zu einer kleinen Melodie. Am besten erwähnte er die ganze Sache gegenüber Mary nicht. Nichts gegen sie, aber sie wirkte nun nicht grade wie ein Persönchen, mit der man über sowas lachen konnte. Betretenes Schweigen schien da eher angesagt zu sein und er war verflucht schlecht darin einfach mal still zu sein. Tink, tinktink, tiiink, tink.
Nachdem diese Sache, wenigstens für Nico, geklärt war, rollten seine Gedanken schon wieder weiter. Das Problem war, dass es jetzt grade für ihn nichts zu tun gab. Mary war oben und tat vermutlich Mädchensachen, diese mysteriösen Dinge, die die ätherischen Wesen des anderen Geschlechts machten, wenn sie nicht grade außerhalb eines Badezimmers waren. Und er? Er saß hier unten, hatte die Peinlichkeit von eben für sich selbst innerlich abgehakt und langweilte sich. Der Geigenkasten war im Zimmer und damit außer Reichweite, bis man ihm erlaubte eben jenes Zimmer wieder zu betreten. Und hier unten hatte er nur seine Umhängetasche mit dem Zeichenkram und den nützlichen Sachen für Reisen - Wasserflasche - und den weniger nützlichen Sachen für Reisen - Farbtuben und Pinsel - dabei. Nicos Stirn ruhte nun auf dem Tisch, als er den Kopf darauf ablegte. Was gab es zu tun, was gab es zu tun? Außer natürlich irgendwen zusätzlichen finden und mit Mary einmal Kleidung einkaufen zu gehen. Ganz offensichtlich brauchte sie mehr Auswahl in ihrer Garderobe. Vielleicht sogar mal etwas, was nicht monochrom war und bei dem der einzige Farbspritzer eine Haarschleife war. Musste man nur jemand anderen, am besten eine andere Frau, finden, der willens war mitzukommen. Aber ganz sicher hatte auch Satyrs Cornucopia jemand modebewussten zu bieten. Die Person musste man halt nur finden. Vielleicht könnte sie dann auch Nico beraten. Irgendwie hatte er keine neue Kleidung gekauft, seit er abgereist war. Und mindestens neue Schuhe wären bald mal nötig.
Die Langeweile wurde nicht wirklich besser. Inzwischen hatte er einen ganzen Haufen an Kritzeleien zu Papier gebracht. Hauptsächlich Damenkleidung, inspiriert von irgendwelchen Märchen oder Musikstücken, meistens höchstgradig überladen und vermutlich durch all die Stoffschichten und kleinen Details schwer genug um das Laufen unpraktisch zu gestalten. Daneben Herrenbekleidung, deutlich schnittiger im...Schnitt, wobei er derzeit eine Vorliebe für Rockschöße zu haben schien. Aber sowas sah einfach edel aus, fand Nico, Modeconnaisseur par excellence. Inzwischen war doch zumindest einiges an Zeit vergangen. Ein Blick nach draußen machte das mehr als deutlich. Es hatte zu dämmern begonnen. Mary musste doch auch so langsam fertig sein, oder nicht? In jedem Fall würde kein Schaden entstehen, wenn er mal nachsehen ging, ob er wenigstens an seinen Geigenkasten kam. Den Zeichenkram sorgfältig verstaut schob sich Nico von der Sitzgelegenheit im Untergeschoss und stakte die Treppe nach oben. Die Tür zum Zimmer wurde jedoch durch ein unüberwindbares Hindernis blockiert. Einen Zettel, der mehr als deutlich machte, dass er das Zimmer nicht betreten sollte. "Mary? Darf ich kurz rein und meine Violine holen oder ist das grade ein ungünstiger Zeitpunkt?"
Mary war geschmolzen. Das ist metaphorisch gemeint; ihr Aggregatszustand hatte sich selbstverständlich nicht wirklich verändert, auch wenn sich ein Teil der Lichtmagierin zwischenzeitlich wünschte, sie würde die Gestalt einer Suppe annehmen, um durch den Abfluss aus dieser peinlichen Quest zu verschwinden. Als Nicolo sie abgeholt hatte, war ihr bereits elend zumute gewesen. Sie hatte sich schon den ganzen Tag fehl am Platz gefühlt. Nutzlos, ungeschickt - wie ein Außenseiter in der eigenen Gilde. Ein Lichtlacrima, das an sich ganz schön anzusehen war, aber immer zu ungünstigen Zeitpunkten komische Flackeranfälle bekam. Kurzum: Jemand, auf den man sich in den entscheidenden Momenten nicht verlassen konnte, weil ihr einfach das Zeug zum Magier fehlte. Die Peinlichkeit der aktuellen Quest hatte überdies nicht wirklich geholfen, Marys Stimmung zu heben. Sie saß nun schon einige Zeit in der Badewanne, die Arme um die Knie geschlungen, und versuchte ich zu sammeln. Die Augen starrten intensiv gegen die weißen Kacheln und obwohl das Wasser warm und beruhigend war, insbesondere nach ihrem unfreiwilligem Eisbad von der mutierten Gänseblume, reichte die wohlige Atmosphäre kaum aus, dass ihr wirklich behaglich wurde. Die Haare klebten Mary wie an den Wangen und am Rücken. Wie ein begossener Pudel schien sie im Badewasser zu schmelzen und über alles Schlechte nachzugrübeln, das ihr in letzter Zeit widerfahren war.
Der Nachteil daran, wenn man eigentlich ein von Grund auf optimistischer Mensch war, war, dass man eine recht große Fallhöhe besaß. Realisten oder Pessimisten reagierten vielleicht mit weniger Überraschung auf Widrigkeiten, während das bisher eher märchenhafte und idyllische Leben der Baumgardner sie zwar auf körperlich harte Arbeit und eine aufrichtige Persönlichkeit, allerdings nur wenig auf die mentalen Herausforderungen des Erwachsenwerdens vorbereitet hatte. Die Bauerstochter hatte noch nie über sich selbst nachdenken müssen - noch nie hatte sie sich fragen müssen, ob sie für irgendetwas gut genug sei, weshalb ihr diese Gedanken nun nicht nur erdrückend schwer, sondern auch fremd vorkamen. Auch hatte sie wenig Erfahrung im Umgang mit dem anderen Geschlecht, wenn dieses nicht mit ihr verwandt war oder ein Getränk bei ihr bestellte - zwar war sich Mary bewusst, dass sie alleine durch das Teilen eines Zimmers und eines Regenschirmes irgendwelche Statuten brach und ihre Urgroßmutter in Schockstarre versetzen würde, doch die Gründe dafür befanden sich in einer Art Nebel der naiven Unwissenheit. Da Mary nicht wusste, was sie eigentlich falsch machte und welche seltsamen Sittsamkeitsregeln sie angeblich brach, blieb da nur dieses vage schlechte Gewissen, an dem die Zahnräder ihres Geistes herumbissen, ohne wirklich funktionierende Gedankengänge zu produzieren. Nicolo hatte sicher mehr Ahnung von allem, doch der Gedanke daran ihn zu fragen, wieso sie sich schlecht fühlte, weil sie etwas mit ihm machte, würde vermutlich eine ganze Reihe seltsamer Gespräche eröffnen, die in einer genaueren Analyse des Grundes endeten, wieso sie nun in der Badewanne saß. Und warum er so gestottert hatte.
Mary war nicht blöd - würde ihr im wahrsten Sinne des Wortes das Licht aufgehen, würde sie sich so schnell nicht erholen. Gewiss hätte sie noch lange in der Wanne gebrütet, bis ihr womöglich sogar etwas eingefallen wäre - Introspektion beherrschte die Lichtmagierin zumindest - doch das Klopfen an der Zimmertür riss sie aus ihrer negativen Gedankenspirale. Wie ein alarmiertes Erdmännchen setzte sich Mary in der Badewanne auf und zerschmertte beinahe alle Knochen in ihrem Leibe, als sie sich aus der Sanitäranlage hochstemmte und nach einem großen, weißen Handtuch griff, das sie sich um den Körper schlang. Ihre Kleider hingen über dem Kamin mit dem Feuerlacrima und waren auf gar keinen Fall bereits trocken. Allerdings war dieses Handtuch, das Mary sich unter die Achseln klemmte als handelte es sich dabei um eine lebensherhaltene Maßnahme für sie, groß genug, dass selbst jemand mit Falkenblick nichts sehen würde außer Schultern und Waden, die für manche zwar schon skandalös sein mochten, aber Nicolo hoffentlich nicht direkt so kritisch erwischen würden, dass er rückwärts die Treppe herabstürzte. "K-komm rein!", rief Mary auf ihrem Weg vom Badezimmer zur Schlafstatt und warf einen prüfenden Blick auf die Kleidungsstücke, die zum Glück nicht in die magischen Flammen gestürzt waren. Die langen, blonden Haare flogen wie ein Schal um ihre Schultern, doch sie bibberte immerhin nicht mehr und ihre Wangen hatten eine gesündere Farbe angenommen. Die Hände hielten das Handtuch fest, um auszuschließen, dass es sie verlassen konnte, selbst, wenn sie nun in einer Orkanböe Urlaub machen würde und sie starrte gen Tür, als könnte sie diese alleine durch die Kraft ihrer Gedanken verschwinden lassen. Wie lange hatte sie in der Wanne gesessen? Wie geduldig war Nicolo? Diese beiden Fragen, so dachte Mary, bedingten sich vermutlich gegenseitig irgendwo. Aber irgendwann würde sie ihrem Questpartner ins Auge sehen müssen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich noch nie wirklich außerhalb der Öffentlichkeit miteinander getroffen hatten - selbst bei ihrem Plausch vom Morgen waren sie auf einem frei zugänglichem Gang in einem öffentlichen Gildenhaus gewesen. Und nun teilten sie sich ein Zimmer. Dabei kannten sie sich eigentlich kaum. Was, wenn Nicolo in Wirklichkeit noch seltsamer war als sie es ohnehin schon angenommen hatte? Sagt das Mädchen im Handtuch ...
Der Anblick reichte nicht um Nico rückwärts wieder aus der Tür und die Treppe hinab zu befördern. Tatsächlich schien er Mary zuerst gar nicht richtig wahrzunehmen. Immerhin hatte sie ihn herein gebeten und damit war die Sache für ihn erledigt. Natürlich bat man jemanden, den man kaum kannte, nur dann ins Zimmer, wenn man salonfertig war. Ein unterhaltsames Wort, salonfertig. Immerhin implizierte es, dass man sich weitaus mehr aufgebrezelte hatte, als das normalerweise der Fall war, denn immerhin ging es in den Salon. Nicos Eltern hatten einen Salon. Es war ein furchtbarer Raum, der meistens erfüllt war von seichten Unterhaltungen, Rauch und dem Geruch von Alkohol. Bei Nico bedeutete salonfähig, dass er Kleidung anhatte. Besser wurde es meistens nicht, auch wenn die Kleidung durch glückliche Fügung manchmal sogar zusammen und ihm passte. In jedem Fall bedeutete salonfähig normalerweise nicht, dass die Person sich im Handtuch in besagtes Zimmer bequemte. "Hey, danke. Inzwischen habe ich alle Pflanzen vor dem Haus gezeichnet und sogar die Wirtin, außerdem eine Skizze des Innenraums, paar Kleider, Fracks, wie findest du eigentlich Rockschöße? Ich finde die ja todschick. Möchte auch mal einen Mantel mit diesen Flappen hinten dran haben", brachen die ungefilterten Gedankengänge Nicos gleichzeitig mit ihm in das Doppelzimmer.
Der Blick des jungen Mannes ging zuerst in Richtung Geigenkasten. Er war noch immer vor Ort, angelehnt an eines der Betten. Exzellent. Wo war eigentlich das Notenpapier? Er hatte doch ganz sicher welches mitgenommen. Immerhin ging er nie ohne Notenpapier aus dem Haus, für den Fall, dass die Inspiritation ganz unverhofft kam. Wobei sich das ja auch mit einem Lineal oder einem anderweitigen geraden Stück Holz bewerkstelligen ließ. Suchend schweifte sein Blick durch das Zimmer. Mal sehen, Geigenkasten, Marys trocknende Klamotten, blanke Wade, Wasserkaraffe auf dem Nachttisch, offene Türe zum Bad. Moment, was. Nur langsam kehrte sein Blick zu dem ihm unbekannten Körperteil zurück, kletterte ebenso langsam an Mary hoch. Manchmal bedeutete salonfähig wohl doch nur ein Badetuch. In einem Akt eleganter Akrobatik drehte sich Nico gleichzeitig um, versuchte sich mit der Hand die Augen zu verdecken und fand dabei mit voller Wucht einen Pfosten seines Betts unter Einsatz des großen Zehs. In dem verzweifelten Versuch sich gleichzeitig die Hand über die Augen, aber auch um den schmerzenden Zeh zu halten, legte er mit dem verbliebenen Fuß einen munteren, wenn auch recht einseitigen Stepptanz auf dem Boden hin. "Entschuldigung! Ich wollte nicht spinksen oder sowas!", quiekte er hervor wie ein Meerschweinchen. In Ordnung. Das war passiert. Ähm. Bei solchen Gelegenheiten gab man der Dame was zum Anziehen, oder? Aber sie hatte schon seinen Mantel bekommen und das Hemd konnte er nicht ausziehen. Die Frackweste konnte er zwar ausziehen, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie das Gegenteil von bedeckt verursachte, wenn es um weibliche Körper ging ohne das nun jemals genauer gesehen oder vor diesem Moment auch nur in Betracht gezogen zu haben.
Mit Ohren in der Farbe blühenden Klatschmohns durchquerte Nico das Zimmer im Krabbengang, den rechten Fuß dank der Schmerzen immer noch nur vorsichtig aufsetzend, und streckte die Hand nach dem Geigenkasten aus. "Äh. Entschuldige. Aber ich dachte, du hättest mich reingerufen. Glaube ich. Äh. Ist dir das nicht unangenehm? Mit dem...also, nicht, dass ich hingeschaut hätte, Handtuch. Geht's dir denn wieder besser? Du kannst sicher auch noch was wärmendes kriegen. Ichholdirdasauchgern,wasauchimmerduhabenwillst."
Mary hatte bereits damit gerechnet, dass die Langeweile Nicolo zu ihrem Zimmer getrieben hatte. Vielleicht schwang auch ein wenig Sorge um seine heilige Violine mit hinein, aber obwohl die Baumgardner den Musikmagier noch nicht wirklich gut kannte, glaubte sie durchaus, dass er genug Vertrauen in sie setzte, dass er nicht davon ausging, sie würde sein Instrument als Quietscheentchen zweckentfremden und im Bad ein paar Saiten zupfen. Oder war es Saiten streichen? Was es auch war, Mary war eher eine Zuhörerin als eine Musikerin. Das passte zwar nicht unbedingt zum Gildencredo der Satyr, verschaffte ihr aber ironischerweise oft schnelle Freunde, weil die meisten Mitglieder ziemliche Labertaschen waren und überdies gerne im Mittelpunkt standen - wer konnte es ihnen auch verübeln? Mary jedoch war es gewohnt, dass man sie nicht beachtete, entsprechend dachte sie sich auch nichts dabei, dass Nico mit ihr sprach, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Der Musikant war gerne einmal etwas zerstreut und für Mary, die sich das riesige Handtuch wie ein Kleid umgebunden hatte und gerade eher aussah wie eine humanoide Biskuitrolle, gab es in ihrer Richtung sowieso nichts zu sehen. Sie hatte mittlerweile immerhin aufgehört zu tropfen, so dass der hübsche Teppichboden vor dem Kamin, vor dem sie stand, kein Wasser mehr aufsaugen musste. Es bohrten sich nur die nackten Zehen in die weiche Unterlage, während Mary schon auf eine Antwort sinnierte. Sie war sich nie so ganz sicher, ob Nico wirklich eine Antwort wollte oder sie eher als menschliches Notizbuch verwendete, aber für den Fall der Fälle, dass es sich doch noch um einen Dialog statt eines Monologes handelte, bereitete sie mental Erwiderungen vor.
Es stellte sich heraus, dass es auch diesmal ein vergebliches Unterfangen gewesen war, sich an einem echten Gespräch zu erproben, da Nicolo aus irgendeinem Grund plötzlich eine Art Anfall bekam, zum Kreisel mutierte und sich den Fuß am Bett zerschmetterte - jedenfalls klang es so. Wieso hatte er eigentlich immer etwas gegen seine Füße? Zweimal hatte er sie sich nun schon im Beisein der Lichtmagierin verletzt. Diese stand auf ihrem Teppich, hielt ihr Handtuch fest und hatte die Stirn gerunzelt. Spinksen? Schauen? Aber ... es gab doch gar nichts zu schauen? Irritiert blickte Mary an sich herab. Gut, Nico konnte sehen, dass sie zwei Arme, zwei Beine und Schultern besaß, doch daran war vermutlich nichts wirklich Skandalöses, denn mit diesen Merkmalen konnte auch der Musikmagier aufwarten. Die Lippen geschürzt, überlegte Mary, was in aller Welt nun in ihren Questpartner gefahren war, dass er an ihrem Aufzug Anstoß nahm. Die Lichtmagierin machte einen Schritt auf Nico zu, weil er Schmerzen zu haben schien, streckte sogar einen Arm aus, ließ ihn dann aber wieder sinken, als sie sah, welche Farbe seine Ohren angenommen hatten. Hä? "Badet ihr Zuhause nicht zusammen?" Das war die einzige logische Erklärung, die Mary einfiel. Bei ihr Zuhause lief das mit dem Baden etwas anders ab, weil warmes Wasser ein kostbares Gut war, das man im Zweifelsfall sehr weit schleppen musste. Nicht alle Haushalte (ihrer zum Beispiel nicht) besaßen eine Wasserleitung, die warmes Wasser direkt in eine Badewanne lotste. Das war ein Luxus, weswegen sie das auch gerade in Anspruch genommen hatte. Selbst wenn Nicolo das nicht kannte, hatte sie ihm ja wohl kaum im Bad sitzend die Tür aufgemacht. Ausgerechnet die prüde Mary, die beim Teilen eine Regenschirms schon Anfälle bekam, schämte sich hier nicht wirklich, wo Nico doch nur etwas erkennen könnte, wenn er spontan durch Stoff sehen konnte. Verkehrte Welt? Vielleicht kamen sie auch einfach gefühlt aus unterschiedlichen Realitäten ... "Nein, das ist mir nicht unangenehm. Ich dachte, du wolltest nur deinen Geigenkasten holen? Meine Sachen sind noch nicht trocken." Sie zeigte, wie um sich zu verteidigen auf die Kleider, die am Kamin baumelten und wurde nun doch rot, weil ihr Partner rot geworden war. Wenn er nämlich rot wurde, dann hatte er vielleicht an etwas gedacht (Mary hatte keine Vorstellung, was das sein könnte) und das hieß, dass das hier vielleicht doch nicht so war, als würde sie versuchen ihre Brüder in die Badewanne treiben ..."G-geht es deinem Fuß gut? Vielleicht fangen wir morgen mit der Arbeit für die Quest an. Du kannst hierbleiben, wenn du magst." Das klang jetzt wie eine Einladung, also fügte Mary noch in etwas quietschender Frequenz ein "Das Bad ist echt gut" an.
Während in Nicos Kopf langsam aber sicher ein Musikstück Gestalt annahm, bei dem aus irgendeinem Grund um Honigmelonen ging, wurden die Noten immer wieder von anderen Gedanken davon gejagt. Warum war ihr das nicht unangenehm, war die große Frage. Natürlich zeigte das Handtuch, nicht, dass er es gesehen hätte, weniger Haut als ein Badeanzug. Aber das Handtuch, nicht, dass er es gesehen hätte, war nichts, was man draußen trug. Also war es, nicht, dass er hingesehen hätte, keine Kleidung für draußen, sondern für Privatgemächer. Wie man eben auch nicht mit einem Handtuch, nicht, dass er hingesehen hätte, oder im Bademantel auf die Straße ging, präsentierte man sich nicht im Handtuch, nicht, etc., oder im Bademantel Leuten, die man erst seit kurzem kannte. Da gab es sicher irgendwo ein ungeschriebenes Gesetz. Paragraph achtundvierzig B, Gammelkleidungsgesetz, oder sowas. "Du sollst dich nur Leuten in Gammelkleidung präsentieren, die dem bereits zugestimmt haben." Irgendwie sowas gab es da ganz sicher. Wie sonst wären die Schelten der Eltern zu erklären, wenn er mal im weichen, warmen Bademantel durch das Haus stravanzt war? Ob sie Zuhause nicht zusammen badeten? Sich die eigenen Eltern nackt und dann auch noch zusammen in einem Zimmer vorzustellen war nun wirklich nichts, was Nico in irgendeiner Art und Weise jemals auch nur im Ansatz gebraucht hätte. Aber hier stand er nun, hatte das Bild im Kopf und stand kurz davor sich durch das Fenster zu übergeben ohne es vorher zu öffnen. Andererseits sorgte das immerhin dafür, dass er die Hand wieder von den Augen nehmen konnte. Es störte Mary nicht, also genügte es vielleicht, wenn er einfach woanders hinschaute, zum Beispiel wohin er die Füße setzte um weiteren Schmerzen vorzubeugen.
"Äh, nein. Nein, wir baden nicht zusammen. Könnte mich nicht daran erinnern irgendein anderes Familienmitglied jemals im Bad gesehen zu haben. Will ich auch gar nicht. Die sind alle runzlig wie Rosinen, glaube ich. Außerdem, ne. Möchte ich echt nicht. Würde auch Ärger dafür kriegen. Zumal meine Mutter in der Badewanne singt und mein Vater seine Geige mitnimmt. Das wäre nicht mal im Ansatz entspannend. Ist das bei dir in der Familie anders?", hakte Nico nach, der den Blick fest auf die Tür zum Badezimmer gerichtet hatte. Ganz sicher konnte er es schaffen sich darin den pochenden Fuß zu kühlen, eine Dusche zu nehmen und dann angezogen wieder raus zu kommen. Das klang gut. Immerhin waren seine Klamotten, im Gegensatz zu Marys, nicht pitschnass. Nach einem kurzen Ausrutscher nun auch den Blick in Richtung der trocknenden Klamotten der Questpartnerin vermeidend, krabbte Nico ins Bad. "Machen wir morgen mit der Quest weiter. Vielleicht ist das Wetter bis dahin auch, au, besser." Das Bad war...in Ordnung. Klein, beengt, aber immerhin eine Badewanne. Auch wenn diese kein löwenbefußtes Monstrum aus weißem Porzellan war und auch kein Tischchen für eilige Notizen daneben stand. "Und bis dahin sind deine Klamotten bestimmt trocken, au. Warum immer die Füße, Nico?! Sollte ein Zehennagel blau anlaufen, Mary?", ertönte es unterbrochen vom Geräusch fließenden Wassers aus dem Bad. Nico balancierte auf einem Fuß und hielt den entsockten anderen in einer Hand. Die andere Hand hatte sich im Rand der Badewanne verkrallt, damit er nicht schon wieder umkippte. "Das wird bestimmt wieder, glaube ich, brauchst nicht reinkommen. Autsch. Faszinierend. Hab mir noch nie so oft weh getan wie seit meiner Zeit bei der Gilde. Und ich wurde schon mehrfach verprügelt."
Nachdenklich sank Mary auf das Bett zurück, das sich näher an den Fenstern des Zimmers befand. Als die warme Matratze einsank, entfaltete sich auch ihre Lunge und entließ ein tiefes, verwirrtes Seufzen. Was war das gerade gewesen? War sie möglicherweise die merkwürdige Person in dieser Gleichung? Der Baumgardner war das Ganze plötzlich peinlich, weil es Nicolo offensichtlich höchst unangenehm gewesen war, sie so zu sehen und mit ihr zu sprechen. Mit aufeinandergepressten Lippen sah Mary an sich herab. War sie hässlich? Er hatte es ja kaum ausgehalten, sie auch nur einige Momente anzusehen, also musste sie offenbar irgendetwas haben, was die Augen angriff oder so - oder sie war das Gegenteil von dem, was Nico hübsch fand. Wieso dachte sie darüber nach? Na ja, ihr Questpartner hatte bisher immer recht stilsicher gewirkt und verbrachte offenbar einen Großteil seiner Freizeit mit Kunst. Wenn er also bei ihrem Anblick sofort den Kopf wegdrehte, dann war sie vielleicht grotesk ... oder wie die Profis das nannten. Dass es einen anderen Grund haben könnte, der fiel der Baumgardner natürlich nicht ein, was vermutlich gut war. Hätte sie die Gedanken ihres Violinenspielers lesen können, wäre sie vielleicht einfach in strömenden Regen zurück nach Maldina Town gerannt und hätte sich in einem der schönen Parks eingegraben.
So hörte sie nur zu, wie Nicolo sein fragliches Leben Zuhause schilderte. Offenbar hatte man es da nicht so mit der Herzlichkeit, doch das wusste Mary ja bereits. Er hatte es damals schon angeschnitten, als sie im Herbstlaubhof Limonade zusammen getrunken hatten und er sie gemalt hatte. Das Bild hing über Marys Bett und wenn man sie fragte, dann war es nicht nur wegen seiner hübschen Strichführung ein Meisterwerk. Nachdenklich blickte Mary auf ihre nackten Zehen und wackelte mit ihnen, als wären sie Zuschauer, die ihre Entscheidungen und Aussagen beurteilen durften, bevor sie ausgesprochen waren. Leider halfen sie ihr nicht wirklich. "Ja, ganz anders. Baden ist bei uns eine große Sache. Mein Vater und mein Großvater hacken Feuerholz und machen ein großes Feuer. Wir Kinder holen das Wasser aus dem Brunnen hinter dem Haus und meine Mutter und meine Großmutter bereiten den großen Zuber vor. Und dann ... baden wir. Meine Urgroßmutter flechtet mir die Haare und die Frauen und Männer reden über alles mögliche - also, wir trennen uns da schon, bis auf die kleinen Kinder eben. Und dann sitzen wir alle zusammen am Feuer und ..." Marys Stimme erstarb mit einem Mal, denn ein dicker Kloß in ihrem Hals versperrte den Worten den Weg. Heftig blinzelnd würgte sie ein wenig an dem Kloß herum, entschied sich dann aber, lieber zu schweigen, als dass sie Nicolo etwas vorflennte. Das wäre in dem ganzen Kontext jetzt irgendwie seltsam. Nicht nur verspürte Mary nun Heimweh, sie hatte auch Mitgefühl für Nicolo und wollte ihn am liebsten umarmen, weil er solche geschätzten Erinnerungen nicht besaß. Aber nicht im Handtuch. "W-wer hat dich denn verprügelt?", hakte Mary nach, den blauen Zehennagel dezent überspringend. Auch hatte sie nicht vor, Nicolo im Badezimmer zu überraschen. Dennoch klang ihre Stimme nicht nur belegt, sondern auch von Empörung erfüllt. Wer bitte verprügelte Nicolo? Sie kannte kaum eine höflichere Person. Sicher gab es Leute, die seinen Redeschwall seltsam finden würden oder denen er vielleicht mit seiner ständigen Abgelenktheit auf den Senkel ging, aber verprügeln ...? Das hatte niemand verdient. Außer vielleicht ein paar Wilderer und Fieslinge ...
Als wäre er ein innen am Türrahmen hängender Papagei schob sich Nicos Kopf zur Hälfte dahinter hervor und lugte zurück ins Zimmer als Marys Stimme erstarb. Das hatte doch eigentlich ganz nett geklungen. Nicht, dass so etwas mit seiner Familie möglich oder auch nur ansatzweise von ihm gewünscht gewesen wäre - es gab angenehmere Methoden sich den Tag und die Laune zu ruinieren, eine Käsereibe über den Schädel ziehen z.b. - aber wenn Mary das so erzählte wirkte es als würde ihr das zumindest gefallen. Eine steile Falte bildete sich auf der Stirn des jungen Peralta, als die Neuronen langsam wieder in kognitive Sphären feuerten und nicht mehr mit dem Gedanken an runde Stück Obst beschäftigt waren. Verspürte sie vielleicht dieses mystische Gefühl des Heimwehs, von dem er bislang immer nur in Gedichten und Erzählungen gelesen, es aber noch nie selbst verspürt hatte? Aber konnte sie denn ihre Familie nicht jederzeit besuchen gehen? Sie hatte doch gesagt, dass sie aus Süd-Fiore kam. Da konnte es nicht so weit bis zu ihrem Zuhause sein. Außer natürlich da fuhr kein Zug hin. Vielleicht war das Dorf so wie Alcea einfach richtig tief im A... - internes Hüsteln - malerisch gelegen. Aber gut, Thema Familie grade mal weitläufig umschiffen. Nico pflanzte einige metaphorische Warnbojen um die Familieninsel im turbulenten Ozean des eigenen Verstands. Deren Überlebenschancen standen zugegeben schlecht, aber den Versuch war es schließlich wert. Die Nase verschwand zuerst wieder hinter dem Türrahmen als Nico in die Tiefen des Badezimmers abtauchte. Ein Fuß streckte sich gen Tür aus und schob sie ran, wenn auch nicht ganz zu. Mary würde ihm wohl kaum was wegschauen und durch eine komplett geschlossene Türe konnte man sich nicht unterhalten.
"Das klingt ziemlich nett. Deine Familie wirkt so harmonisch. Als wärt ihr ein Madrigal. Hm. Hmmm. Können sie singen? Mir ist da grade so eine Idee gekommen. Arbeite ich später dran. Nehme einfach mal an ihr hattet kein Lacrima zum Erhitzen des Wassers, oder? Gut, hatten wir lange Zeit auch nicht. Hat ziemlich lange gedauert, bis durch meine Eltern Geld in die Familienkasse kam. Und Mateos Laden wirft jetzt nicht grade gigantischen Gewinn ab", bretterte das Schiffchen im Verstandesozean Nicos mit Stoß ins Nebelhorn und Partybeleuchtung die Warnbojen gnadenlos um, um am Strand der Familieninsel Schiffbruch zu erleiden und umzufallen. Kacke. Toll gemacht, Nico. Es plätscherte als der junge Peralta den Versuch unternahm nicht im Waschbecken zu ertränken, als er sich Wasser ins Gesicht patschte. Gleich darauf plätscherte es noch einmal, als augenscheinlich die Badewanne erneut bemüht wurde. Und, anders konnte es ja nicht sein, begann Nico erst leise zu summen und dann zu trällern. Unterbrochen wurden die fröhlichen Melodien von dem Wechsel zwischen leisem Gesang und Gesumme, sowie weiterem Geplapper. "Und na ja, das mit dem Verprügeln waren so ein paar Idioten, die einfach wahre Kunst nicht verstehen. Die meinten doch tatsächlich, dass mein Vater die Anstellung als erste Geige nicht verdient, sondern sich erschlichen hätte. Konnte ich nicht so stehen lassen. Aber die waren größer, stärker und zu dritt. Also habe ich eins auf den Deckel bekommen. Hat aber nicht viel geblutet."
Mary benötigte einen Augenblick, um den Kloß in ihrem Hals zu bekämpfen, doch sie war zum Glück niemand, der einfach so vor anderen zu weinen begann. Das war bisher nur einmal passiert und zumindest die Baumgardner empfand, dass sie dafür einen Freifahrtschein hatte, denn damals war sie beinahe von einem verrückten Wilderer erschossen worden. Ihr Heimweh schmerzte sie zwar, doch die Lichtmagierin war sich auch bewusst, dass sie alleine durch die Tatsache, diesen Schmerz empfinden zu können jemand war, der sich glücklich schätzen konnte. Andere, die sie bereits kennen gelernt hatte, hatten entweder keine Familie mehr oder eine, zu der sie nur ungerne zurückkehren würden. Der Umstand, dass ihre Familie sie liebte und sich um sie sorgte, war also etwas, was man eher zelebrieren als betrauern sollte, weswegen man Mary auch eigentlich niemals dabei ertappte, wie sie sich über die teilweise etwas übertriebene Fürsorge ihrer Blutsverwandten beschwerte.
Wie immer, wenn Nicolo sich in seine Monologe verstrickte, hatte es etwas Beruhigendes. Mary empfand seine Stimme als recht angenehm, weil sie eine gewisse inheränte Melodie besaß, als wären auch die Stimmbänder Teile eines Instruments. Nicolo spielte die Saiten seiner Stimme zwar nicht ganz so geschickt und verzaubernd wie seine Geige (zumindest für Mary, die ihn ja noch nicht lange kannte), aber es hatte etwas Angenehmes, nichts zum Gespräch beitragen zu müssen. Dieses Gefühl hatte Mary bei mehreren Individuen von Satyrs Cornucopia, auch wenn sie es nie zugeben würde. Wer würde schon Verständnis dafür haben, dass sie es mochte, wenn man sie in einem Gespräch an die Wand plapperte? Dass sie mochte, wenn andere von den Dingen erzählten, die ihnen Ansporn gaben, weil sie sich daraus selbst befeuerte, wie ein kleiner Motor, der nur laufen konnte, wenn er mit positiven Emotionen ihrer Umgebung gefüttert wurde? Vergessen war das Heimweh, die Zweifel über den eigenen Körper, und die aktuelle Situation der Peinlichkeit. Durch Nicolos merkwürdige Art, durch die Badezimmertür mit ihr zu sprechen und sie trotz aller Seltsamkeiten einzubeziehen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, fühlte sich Mary sicher. Sie antwortete nicht direkt, musste sie auch nicht, denn abgesehen von zustimmenden Grunzlauten war ihre Rolle bei gemeinsamen Gesprächen ohnehin eher darauf beschränkt die Wand zu sein, an der Nicolo sich seine eigenen Themen zurückwerfen konnte, ein bisschen wie beim Ballspielen. Er war also verprügelt worden, weil er seinen Vater verteidigt hatte.
Den Gedankengang an sich konnte Mary verstehen, denn auch sie hatte keine Angst davor, sich vor jene zu stellen, die sie beschützen wollte (egal ob diese eigentlich viel stärker waren als sie selbst) doch nach allem, was ihr Partner bisher erzählt hatte, schienen Nicolos Eltern ihn nicht gerade mit Zuneigung zu überschütten. Dennoch trat er für ihn ein - ob sein Vater das wusste? Mary hatte sich von ihrem Bett erhoben und das Kleid, das mittlerweile einigermaßen trocken war gegriffen, um es sich nach dem Anziehen der Unterwäsche über den Körper zu streifen. An einigen Stellen war es noch etwas klamm, aber das war definitiv besser als das Handtuch. Sie würde auch in dem Ding schlafen müssen, denn Wechselkleidung hatte sie sich unglücklicherweise nicht eingepackt (dann wäre ja auch das Dilemma von gerade eben nicht der Rede wert gewesen). Es dauerte einen Moment, in dem die Baumgardner ihr Handtuch faltete und an die Stelle des Feuers hängte, wo zuvor ihr Kleid gewesen war, bis Mary auf die vielen Aussagen des Violinisten antwortete, sich nun selbst vor den lacrimagesteuerten Flammen drehend wie ein Rotisseriehühnchen. "Manchmal glaube ich, du hast keinen wirklichen Selbsterhaltungstrieb, Nico. Du kannst wieder gucken - ich bin angezogen. Möchtest du lieber am Fenster oder an der Tür schlafen?" Nicht, dass sie jetzt schon schlafen mussten. Aber wenn es jemanden gab, der sich beschäftigen konnte, dann war es vermutlich Nico ...
Als nunmehr blitzsauberes Schweinchen verließ Nico das Badezimmer. An sich war er zwar abgetrocknet und vollständig wieder angezogen, allerdings hingen ihm die braunen Haare wie feuchte Algenstränge ins Gesicht und bildeten eine klamme Glocke um seinen Schädel. Brrr, unangenehm. Statt der Rockschöße seines Mantels zog er dieses Mal eine Schwade Wasserdampf hinter sich her, die sich sogleich auf allem niederließ, was zu nah an der Badezimmertür war. Da achtete irgendwer ganz offensichtlich null auf Durchlüftung. Wild mit einem Handtuch über den Kopf wuschelnd, hätte Nico nicht einmal schauen können, wenn Mary ihn direkt dazu aufgefordert hätte. Blieb also nichts übrig als der Questpartnerin in Hinsicht auf den Status ihrer Salonfähigkeit zu vertrauen. Nur kurz öffnete sich eins seiner Augen um die Wahrheit der Worte zu prüfen. Mit konfliktbehafteten Gedanken stellten sie sich jedoch als Wahrheit heraus. Zumindest, soweit er sehen konnte, bevor ihm eine feuchte Haarsträhne versuchte unter das Augenlid zu kriechen und das Auge hinterlistig auszustechen. Mit einem weinerlichen Fießgeräusch fuhr Nico daher damit fort seine Haare trocken zu rubbeln. Zum Unglück aller umliegenden erlaubte diese Tätigkeit natürlich weiter zu sprechen, auch wenn er dabei Gefahr lief die eigenen Haare einzusaugen. Ein Risiko, dass der junge Peralta mit dem ihm üblichen Desinteresse von Gefahr für sein Leib, Leben und Zufriedenheit, in Kauf nahm.
"Manchmal, ja. Glaube das liegt ein bisschen in der Familie. Wir Peraltas setzen uns ein Ziel und versuchen das zu erreichen, komme, was da wolle. Gut, für meine Eltern bestand die Gefahr immer eher darin durch den Dreck gezogen zu werden. Also, metaphorisch. Da sind nicht wirklich Leute gekommen und haben sie am Kragen gepackt. Wobei das eine Mal ging es wirklich zur Sache. Die Künstlerszene kann echt explosiv sein, wenn es um Prestige geht. In der Oper wurde sogar mal jemand ermordet. Eine Sängerin, glaube ich. Oder war es ein Sänger? Egal. Allez oop", schaffte es Nico wieder einmal das Gespräch mehr oder minder alleine zu führen. Das Handtuch in einer Hand, griff er mit der anderen nach einer von Mary, um sie einmal rasch mit einer tänzerischen Bewegungen um deren eigene Achse zu drehen. Tatsächlich wollte er aber nur an ihr vorbei, um zum Fenster zu gelangen, wo das Handtuch mit einem Minimum an Aufmerksamkeit vage so auf dem Fensterbrett drapiert wurde, dass es vielleicht, vielleicht aber auch nicht, trocknen würde. "Ist mir eigentlich egal, wo ich schlafe. Sehr viel schlafen werde ich ohnehin nicht. Schlaf und ich haben ein ziemlich turbulentes Verhältnis. Manchmal sehen wir uns tagelang nicht. Hm. Geh du doch ans Fenster, wenn du magst. Der Sonnenaufgang ist von hier bestimmt sehr hübsch anzusehen." Außerdem würde das Licht der aufgehenden Sonne sich wunderbar in ihren Haaren einfangen, was er so aber garantiert nicht sagen würde, sonst starb sie vermutlich auf der Stelle. Wobei. Vielleicht auch nicht. Einen Moment lang schaut Nico zu Mary hinüber, bevor er sich, als hätte sie ihr Einverständnis zur Bettverteilung gegeben, mit blanken Füßen im Schneidersitz auf dem türseitigen niederließ. "Sind manche Dinge es denn nicht wert, dass man sich Gefahr aussetzt? Was das dann genau ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Bei mir ist es Inspiration. Bei dir vermutlich deine Familie, oder?"
Etwas, das es wert war, sich Gefahr auszusetzen? Mary war froh, etwas zu haben, auf das sich ihre Gedanken stürzen konnten, denn Nicos kleine Tanzeinlage mit ihr hatte die Baumgardner doch recht verwirrt zurückgelassen. Wieso war er nicht einfach an ihr vorbeigegangen, sondern hatte ihre Hand genommen und sich gedreht? Ein blasses, rotes Schimmern war um die Nasenregion auf die Wangen der Lichtmagierin getreten, was nichts mit dem Bad und der durch den Kamin ausgestrahlten Wärme zu tun hatte. Getanzt hatte Mary gewiss schon öfter, allerdings waren die Tänze, die sie auf dem Dorf gelernt hatte sicherlich nichts gehen das, was man in Opern machte. Man tanzte doch in Opern, oder? Sie wusste, dass es dort um Musik ging und jemand sang, aber sie war weder jemals in einer solchen Veranstaltung gewesen noch glaubte sie, dass sie sich das jemals würde leisten können. Eigentlich hätte sie ja damit rechnen müssen, dass Nicolo so etwas tat - es war sozusagen natürlich für ihn. Er tänzelte herum, wenn er sich bewegte, trällerte beim Sprechen und faselte wie eine auf den Saiten hüpfende Violine von einem Thema zum Anderen. Dennoch war es Mary nicht gewohnt, einfach so ... einbezogen zu werden. Es war nicht nötig gewesen, sie zu wirbeln und zu zwirbeln, denn so viel Breite versperrte ihre Winzigkeit wahrlich nicht. Während Mary also gedanklich auf Sparflamme existierte und eine Hand sich öffnete und schloss, dort, wo sie vollkommen unverhofft gehalten worden war, hatte Nicolo die kleine Angelegenheit schon überspielt und auf sein Bett gesetzt, als wäre nichts. Auch Mary sank auf das Bett, allerdings setzte sie ihre Füße nicht auf die Matratze, sondern verschränkte die Hände im Schoß und blickte den gegenüberliegenden Peralta an, als würden sie hier ein Vorstellungsgespräch abhalten. Es war nur noch nicht ganz sicher, wer von wem interviewt wurde. Würde nun jemand die Tür zum Schlafzimmer aufreißen und auf die beiden Jugendlichen blicken, würde er bereits alles erkennen, was es in ihren Persönlichkeiten zu erkennen gab.
Gefahr war etwas, das Mary noch immer wie eine abstrakte Größe vorkam. Sicher hatte sie sich bewusst für ein Leben als Magierin entschieden (wie sie wusste genau wie Nico), aber sie war bisher erst einmal wirklich in Gefahr gewesen. Ihre Aufträge beliefen sich noch immer vor allem auf Botengänge und Unkrautvernichtung, weswegen man nun wirklich nicht behaupten konnte, dass sie täglich ihr Leben aufs Spiel setzte. Sie würde es tun, wenn sie müsste - das hatte sie in Fallrock gelernt. Und in dem Moment, in dem der Lauf der Waffe auf sie gedeutet hatte, hatte sie keinen Gedanken an ihre Familie verschwendet. Menschen, die einen liebten und sich Sorgen machten, konnten manchmal auch ein Hindernis sein - sie konnten lähmen. Unsicher blickte Mary ihr Gegenüber an und runzelte die Stirn, als hätte seine Frage sie ernsthaft zum Nachdenken angeregt. Die meiste Zeit über beantwortete sie die ganzen Fragen von Nicolo gar nicht, weil er die Tendenz hatte, sich selbst zu antworten. Aber diesmal schien er tatsächlich auf einen Dialog aus zu sein, also versuchte Mary ihre Gedanken irgendwie in Worte zu fassen. "Meine Familie ist nicht der Grund, wieso ich mich in Gefahr begebe, aber ich würde es für sie tun.", begann das Mädchen zu erklären. Eine ihrer Hände fuhr über ihren Oberschenkel, als würde das Glattstreichen ihres Kleidstoffes auch ihre Gedanken ordnen. "Gefahr ist ein Teil meines Berufes - ich erdulde sie, damit andere sie nicht spüren müssen. Wenn ich mich Räubern und Bösewichten in den Weg stelle, dann können sie andere nicht ausrauben. Wenn ich Ungeheuer bekämpfe, dann richten sie woanders keinen Schaden an. Ich möchte, dass dieses Land friedlich ist und jeder das tun kann, was er sich erträumt. Ich habe das Recht bekommen, meinem Traum zu folgen, also habe ich die Verantwortung, auf meinem Weg so viele Hindernisse wie möglich für meine Nachfolger zu beseitigen." Mary hatte ihre Hände angesehen, die ihr schwach und klein für solch eine hochtrabende Rhetorik vorkamen, doch nun hob sie den Kopf und blickte Nicolo an. Die Mundwinkel hoben sich zu einem fröhlichen und offenen Lächeln und die Augen bildeten kleine, umgedrehte Us. Als sie den Kopf schieflegte, bewegten sich die noch etwas feuchten und daher schweren Haarspitzen vor ihrer Brust wie die Pendel einer Uhr. "Du bist mein Partner, Nico, also haben wir auch Verantwortung füreinander! Versuch also heute ausreichend zu schlafen, damit wir morgen dieser Stadt helfen können, ja?"
Wieder war es nur eine kurze Zeit, in der Nico wenigstens den Eindruck erweckte, dass er Mary aufmerksam zuhörte. Gleich darauf drehte er sich halb auf dem Bett herum, machte für einen Moment das strampelnde Kleinkind mit den Beinen, als er verzweifelt versuchte an die Umhängetasche am anderen Ende des Bettes zu gelangen. Tatsächlich war der junge Peralta eigentlich ganz Ohr, nur hatten Marys Worte ein mentales Bild ausgelöst, das zu Papier gebracht werden wollte. Was sie da sagte klang nämlich ziemlich verflucht heldenhaft. Mit Helden kannte sich Nico aus. Sie hatten fabelhafte Frisuren, Check. Sie waren mutig und zögerten nicht sich vor jemanden zu werfen, Check. Aber sie machten das nicht, weil sie Anerkennung wollten, sondern weil es gut und richtig war es zu tun, Check. Außerdem hatten sie Schwerter...kein Check. Und sie konnten gut singen...unbekannt, vorläufiger Check. Die Helden waren immer gut aussehend. Check. Und sie kamen entweder aus den bescheidensten oder den hochtrabendsten Verhältnissen. Definitiver Check. Für eine richtige Heldenreisen fehlten natürlich noch ein paar Komponenten, wie das große Unglück und der Mentor. Das wünschte er Mary zwar nicht, aber er machte sich keine Illusion irgendeinen Einfluss darauf haben zu können. Nun stammte Nicos Wissen über Helden aus den vielen Opern, die er zwangsweise hatte anhören müssen, weswegen es sich nur in mikroskopischen Mengen mit der Realtität überschnitt. Wie vieles an ihm.
"Das ist ziemlich mutig. Glaube ich könnte das nicht. Also, wenigstens nicht so...", unterbrach er sich um eine wedelnde Handbewegung in Richtung Mary als Gesamtes zu machen: "Nicht so ohne weiteres. Aber wenn du das sagst, klingt das als würdest du das auf jeden Fall schaffen. Hm, hm, hm." Wieder eine Unterbrechung, als Nico über den Rand seiner Zeichenkladde hinweg zu Mary hinüber sah. "Jeder Held braucht natürlich einen Barden, der die Heldentaten für die Nachwelt festhält. Sonst beraubt man die Welt um Material für Legenden, Theaterstücke, Lieder und Opern. Wäre auch irgendwie nicht fair, immerhin müssen wir Künstler ja auch von was leben. Hm, hm, mh. Dreh mal kurz den Kopf nach rechts. Ich brauche dein Seitenprofil", bat er noch, während unter raschen, aber nicht sonderlich sauberen Strichen ein Bild auf dem Papier Gestalt annahm. Bei der Bitte darum doch ausreichend zu schlafen, verzog er das Gesicht, als hätte er soeben in eine Zitrone gebissen. Schlaf und er hatten eine...komplizierte Beziehung. Wenn er schlafen wollte, lag er war, während ihm einhundert Idee kamen. Sowie er aufstand um diese Ideen zu verwirklichen, wurde er müde, prügelte das Gefühl mit großzügigen Mengen Kaffee oder Schwarztee nieder und begann mit der Arbeit. Die Antwort auf Marys Bitte war dem entsprechend ein leidvoller Sozialgrunzer. "Versuchen werde ich es. Also, das mit dem Schlafen. Ist immer ein bisschen schwierig, um ehrlich zu sein", fuhr Nico mit dem Brabbeln fort, wobei er in Richtung Kladde sprach. Nur ab und an hob sich sein Blick, wenn auch nicht weil es höflich gewesen wäre im Gespräch das Gegenüber anzuschauen, sondern wohl viel eher um Mary ordentlich auf's Papier zu bringen. "Wenn mir eine Idee kommt, werde ich aufstehen und die umsetzen. Wobei ich mir Mühe geben werde dich nicht zu wecken, versprochen."
Ein Versprechen, das sich hoffentlich bewahrheitete. Nicht nur stellte Nico die Skizze für das Bild fertig. Es zeigte Mary in der Seitenansicht, die mit hoch erhobenem Schwert auf etwas stand, das je nach Betrachter eine übergroße Bulldogge oder ein schrecklicher Dämon sein konnte. Lichtstrahlen brachen durch die Wolken über ihr und schienen auf sie herab als wäre sie ein Engel, der soeben der Hölle den Krieg erklärte, und dafür göttliche Unterstützung erhielt. Direkt daneben befand sich aus irgendeinem Grund eine Kritzelei, die einen winzigen Nico mit übergroßem Kopf und Violine in Händen darstellte. Der Schlaf hatte sich jedoch mal wieder als ewiger Antagonist heraus gestellt. Zwei Mal verließ Nico in der Nacht den Raum, mitsamt Violine, um zuerst den Versuch zu unternehmen die Gänseblume zu erklettern, was ein kläglicher Fehlschlag war, verursacht durch Nudelarme. Das zweite Mal ging er hinaus in den Regen, da ihm es ihm um vier Uhr morgens wie eine ausgezeichnete Idee vorgekommen war ein onomatopoetisches Stück über den Regen zu schreiben. Und wie und wann fing man besser die Geräusche einer regenumwogten Nacht ein, als alleine in einer eben solchen? Wenigstens waren seine Klamotten bereits wieder trocken, als mit all dem Elan einer arthritischen Schnecke durch das Fenster in die aufgehende Sonne schaut. Nicht den geringsten Vertrag mit dem Pflichtbewusstsein habend, grunzte Nico einmal auf, drehte sich um und zog sich die Decke über den Kopf. Nur noch fünf Minuten.
Am nächsten Morgen erwachte Mary sogar noch kurz vor dem Sonnenaufgang. Sie waren zeitig schlafen gegangen (etwas, das die Baumgardner auch außerhalb ihrer Quests tat) und daher fühlte sich die Lichtmagierin durchaus ausgeschlafen, als sie die Decke zurückschlug und gen Badezimmer tapste. Während sie ihre morgendlichen Waschungen erledigte, linste Mary aus dem Fenster und betrachtete die vorsichtigen Sonnenstrahlen, die sich bereits einen Weg durch das Morgenrot bahnten. Es regnete nicht mehr - nur vereinzelt stürzten sich noch Tautropfen von den übergroßen Blüten der Gänseblume, die das Gasthaus in den Schatten stellte. Die Ranken, die in Idylia allgegenwärtig waren, schienen durch das Regenwasser, das sie genährt hatte, in einem saftigen Grün zu glühen und die Straßen waren noch leer. Nur einige wenige schlaftrunkene Bewohner torkelten zu ihren Arbeitsstätten oder kehrten nach langen Nachtschichten nach Hause zurück. Als Mary sich sauber fühlte und der Geschmack des Abends aus ihrem Mund verschwunden war, strich sie in Ermangelung einer Bürste die Haare zurecht und überprüfte ihr Kleid auf Vorzeigbarkeit. Sie hatte darin geschlafen, entsprechend ließ sich nicht verhindern, dass es an einigen Stellen verknittert war, doch da der Tag harte körperliche Arbeit versprach, würde das früher oder später sowieso niemandem mehr auffallen.
Auf leisen Sohlen schlich Mary in das Schlafzimmer und beobachtete den unförmigen Deckenklumpen, zu dem Nico verschmolzen war. Während sie ihr eigenes Bett machte, warf sie ab und zu einen Blick über die Schulter, doch abgesehen von gutturalen Grunzlauten und leichten raupenartigen Bewegungen schien Nicolo noch nicht im Reich der Wachen wandeln zu wollen. Stirnrunzelnd dachte sich die Baumgardner nicht zum ersten Mal, dass der arme Kerl auf einem Bauernhof nicht überleben würde, wo man jeden Tag so früh aufstehen musste. Sie hatte kein Problem damit, beschloss sich aber auch ihre Überlegenheit in diesen Belangen nicht auf Nico abzuwälzen, sondern trat zu ihrem Rucksack, fischte ihre Geldbörse hervor und verschwand aus dem Zimmer nach unten. Dort angekommen, begrüßte sie die Gastwirtin, die gerade dabei war, Brotteig auf einem großen Tisch zu kneten und die Türe zur Küche offen gelassen hatte, damit etwas frische Luft in die Gaststube wehen konnte. Die Tische waren bereits abgewischt, auch wenn so früh keiner daran dachte, zu frühstücken. Nach einem kurzen Gespräch über Brot und die diesjährige Getreideernte hatte Mary ein kleines Tablett erbeutet, das sie etwas wackelig die steile Treppe nach oben trug, dabei die Augen leicht zusammengekniffen, als könnte sie das Porzellan so einschüchtern, sich nicht zu Tode zu stürzen. Mit dem Fuß schob die Baumgardner die gemeinsame Zimmertür auf. Sie hatte eine gute Stunde mit der Gastwirtin geplauscht, so dass die Sonne nun auch endlich aufgegangen war und ihre gemeinen Stahlen gen Nicos Bett laserte, wo Mary nicht mehr auf der Fensterseite lag, um ihn abzuschirmen. Mit leisem Geklapper stellte die Lichtmagierin das Tablett auf Nicos Nachttisch und kletterte auf ihr Bett, um das Fenster zu öffnen und auch hier frische Landluft willkommen zu heißen. Es hatte ebenfalls den Nebeneffekt, dass dadurch angenehmer und vor allem frischer Kaffeegeruch gen Nico geblasen wurde, der vielleicht reichen würde, um das Deckenmonster an die Oberfläche zu lassen. Mary selbst griff nach ihrem mit Marmelade beschmierten Brot, legte sich den Teller auf den Schoß und begann zu knuspern, während sie ihren Questpartner auffordernd anstarrte. "Nico? Wir sollten bald los und an die Arbeit gehen."
Augenlider = Sandsäcke. Auch etwa gleich viel Sand drin und drum herum. Müde blinzelte Nico sich Krümelchen aus den Augen, die der Sandmann so großzügig darin verteilt hatte. Der Stand der Sonne sagte ihm, dass es noch nicht Zeit war aufzustehen. Immerhin hatte sie sich kaum über den Horizont erhoben, weswegen es noch morgens sein musste. Aber was war das, was da seine Nase umscheichelte? Der Geruch der weiten Welt? Mitnichten. Es war Lebenselixier aus gerösteten Bohnen, das ihm irgendwer auf den Nachttisch gestellt hatte. Wie ein Gremlin aus dem Schrank tauchte Nico halb aus dem Deckengewust auf, mit dem er nur dem Anschein nach verschmolzen war. Zwei Hände streckten sich nach der Tasse aus und bargen sie unter der Nase des jungen Mannes, der für den Moment einfach nur atmete. Normalerweise wurde das über den Tag nicht unbedingt produktiver, abhängig davon, wen man fragte. Zumindest belebte der erste Schluck Kaffee den jungen Peralta weit genug, dass er sich über die Augen reiben und Mary anschauen konnte. Immer noch halb in dem Deckengewirr steckend, grunzte er etwas, was vage dankbar klang, bevor der Rest des Kaffees den Weg alles Irdischen ging. Mit all dem Enthusiasmus eines Gletschers rollte Nico aus dem Bett und ins Bad. Darin plätscherte es gewaltig, bis Nico nicht minder müde, aber zumindest sauber wieder hervor kam. Eine Strähne seiner Haare stand trotzdem noch antennenartig vom Kopf ab, wippte munter den Takt seiner Schritte mit. Mit einer schwungvollen Bewegung warf sich Nico seinen Mantel über. Endlich wieder vollständig angezogen.
"Guten Morgen, Mary. Danke für den Kaffee. Bist mal wieder eine Lebensretterin", grummelte Nico ungewohnt wortkarg hervor. Mit einem mächtigen Strecker, bei dem der eine oder andere Rückenwirbel sich geräuschvoll meldete, schien er dann doch auch bereit zu sein. Bereiter würde er wohl zumindest nicht mehr werden. Noch rasch den Geigenkasten übergeworfen und die Schuhe an die Füße, dann konnte es, zumindest nach Meinung von Nico schon losgehen. "Hast du gut geschlafen? Das Bett war eigentlich gar nicht übel. Hoffe, ich habe dich nicht geweckt? Bin vielleicht ein paar Mal aufgewacht. Hm, Frühstück. Nehme ich mir auf die Hand mit. Du willst vermutlich frisch ans Werk. Oh, das wird gut. Wollte ohnehin ein paar neue Zauber ausprobieren und ein paar wehrlose Pflanzen hauen mich wenigstens nicht, wenn ich sie bearbeite. Hab' da an ein paar Sachen gearbeitet. Meinst du, ich kann noch einen Kaffee mit auf den Weg bekommen?", füllte Nico wie gewohnt den gesamten vorhandenen Gesprächsraum mit dem eigenen Geschwätz. Wenigstens war er so höflich Mary die Tür mit einer Verbeugung zu öffnen und ihr damit den Vortritt zu überlassen. Dass er dabei seine leere Kaffeetasse prekär schief hielt, sodass die letzten Tropfen drohten sich auf den blitzblanken Boden zu stürzen, bemerkte er schlicht nicht. "Stehst du immer so früh auf? Und du hattest nicht mal Kaffee. Möchtest du einen Tee oder sowas? Oh, wir sollten uns Wasser mitnehmen. Ob die Wirtin uns vielleicht ein paar Flaschen mitgeben kann? So sonnig wie das da draußen aussieht, werden wir die bestimmt brauchen." Von der vorherigen Trägheit war nichts mehr übrig. Es bestand die Aussicht auf einen erfüllten Auftrag und damit Jewels. Die Miete war ihm sicher!
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