Typ: Gebäude Besitzer:Familie Romano Beschreibung: Das Stadthaus der Familie Romano ist eines der moderneren Anwesen im Besitz des Moguls im Bereich der Spirituosen und Gastgewerbe. Das beachtliche Gebäude besteht aus drei Stockwerken und einer geräumigen Außenanlage, die ein tüchtiger Landschaftsgärtner in kleinen Ruheoasen in der Großstadt verwandelt hat. Während die oberen Räumlichkeiten vor allem den Bewohnern zugänglich sind und dort diverse Schlafzimmer, Büros und Privaträume zu finden sind, wird im Erdgeschoss häufig zu Bällen, Galen und andere Festivitäten eingeladen, auf denen sich die Reichen und Schönen von Fiore zeigen, wenn sie Bäuche pinseln wollen.
Changelog: Wenn sich im Verlauf des Rollenspiels etwas an dem Ort ändert, wird es hier aufgeführt.
Zuletzt von Claudia am Fr 3 Mai 2024 - 11:40 bearbeitet; insgesamt 4-mal bearbeitet
Da lag Claudia also auf dem Sofa und spürte, wie ihre Welt sich drehte. Einen Kloß im Hals, blubberte sie mit bebender Stimme die Bedeutung der Karte hervor und machte sich klein. Winzig, am liebsten unsichtbar. Doch nichts geschah. Nichts Schlimmes in jedem Fall. Violette Augen wurden aufgeschlagen. Verwirrt atmete Claudia durch. Sie spürte immer noch das Gewicht des Anderen auf sich, wie eine drückende Panik, doch es dauerte nur wenige Wimpernschläge um zu erkennen, dass das ein Trugbild war. Es war ihr Name, der sie mit einem Ruck wie an einem Angelhaken zurück in die Realität holte. Nicht der ihrer Familie, ihr Name. Der, den ihr Personen gegeben hatten, die sich am anderen Ende der Welt befanden. "Huh?", machte die Feline und blinzelte noch einmal, fast verschlafen. Gerade war alles so von Panik erfüllt gewesen, so von Alkohol und Händen und ... Lucien schaute sie an. In seinem Blick lag beinahe so etwas wie Fassungslosigkeit. Claudia richtete sich auf und zog ihr Kleid zurecht. Fast beschämt warf sie den Blick zur Seite. "Aufzwängen ... Nein. Keine ... Keine Sorge." Sie legte ihre Hände an ihre Wangen und kniff sich hinein. Ihr ganzer Körper füllte sich mit einem Mal mit dem tauben Gefühl des Schams und der Lächerlichkeit. Natürlich hatte sie nicht wirklich gedacht, dass er das tun würde. Nicht rational. Aber nicht alles ließ sich mit Hirnschmalz lösen oder erklären. Sein Griff war so fest gewesen, sein Gesicht so nahe. "Die Karte. Natürlich." Und dann kämpften sich Tränen ihre Kehle hoch. Es brauchte all die Willenskraft der Feline, sie nicht aus ihren Augen dringen zu lassen, sich diesen Moment der Schwäche nicht zu leisten. Sie war hier in dieser Lage, weil sie die Kontrolle hatte. Für einen Augenblick hatte sie diese verloren, doch Lucien durfte sie auf gar keinen Fall so sehen. Wenn er bemerkte, dass sie ihm gerade etwas offenbart hatte, eine Schwachstelle, eine Angst, dann würde er sie ausnutzen. Er war ein Konkurrent wie jeder anderer, ein selbstverliebter Tunichtgut, er ... entschuldigte sich. Claudia hob den Blick, als hätte Lucien laut geschrien. Seine Entschuldigung traf die Romano so unvorbereitet wie ein Faustschlag und sie machte ein Geräusch irgendwo zwischen fragend und grunzend. Kaum hatte er sich entschuldigt und ihr versprochen, dass dergleichen nicht mehr geschehe würde, versenkte er das Gesicht in die Hände. Claudias Ohren stellten sich auf und sie rutschte näher. Welche verkehrte Welt war das gerade? Fühlte sich ihr Gegenüber etwa wirklich schlecht? "Luc-", begann Claudia, doch seine Worte fegten ihr den Atem aus den Lungen. "Du willst nicht ...", wiederholte sie, klang etwas ungläubig und gab sich dafür eine mentale Ohrfeige. "Oh, du bist ..." Eine Lichtlacrima sprang im Hirn der Romano an und sie klappte den Mund ein paar Mal auf und zu wie ein Fisch. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus und legte sie sanft auf die Schulter ihres Sitznachbarn. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun oder sagen sollte, versuchte sie stattdessen mit Taten zu glänzen. Die Feline wandte sich von Lucien ab, drehte ihm den Rücken zu. Dank der zerbrochenen Reifen ihres Rocks fühlte sich das Sitzen sehr viel angenehmer an. Mit einer Handbewegung warf sie sich das silbrige Blond über den Rücken und setzte sich wieder neben Lucien, damit er Zugriff zu ihren Haaren hatte. "D-das wäre sehr lieb von dir." Sie atmete tief durch. Ein Teil von ihr war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte, doch sie hatte gesehen, wie er ausgesehen hatte. Einen Moment lang schien ein ganz anderer Mensch bei ihr zu sitzen - eine Person mit Höhen und Tiefen. Wo auch immer seine Entschuldigung hergekommen war, sie teilte sich den Ursprung mit dem Lachen von vorhin und den leuchtenden, nachfragenden Augen. Claudia beschloss, dass sie diesen Lucien mochte. "Es ist schon gut - es hat mich nur überrascht. Es ist nur ... nicht alle sind ... Manchmal ..." Sie stockte und schüttelte den Kopf. "Wir können alles machen, was Paare machen. Das ist in Ordnung für mich. Ich - ich glaube, wenn ich weiß, dass du es nicht ernst meinst, dann ist es sogar leichter für mich. Ich werde dir helfen und das überzeugend spielen." Claudia schaute über die Schulter und nickte nach unten. "Und, ähm, jetzt wo ich das mit dem Körper weiß, machst du mir bitte das Korsett auf ...? Ich glaube du hast da etwas verbogen und nun es ersticht mich ein wenig ... Da ist auch normales Kleid drunter ..."
Lucien war ein Egoist, ein Arschloch und ein Schwachkopf, wie er im Buche stand. Es wäre kein Wunder, wenn sein Bild neben den Definitionen dieser Wörter im Duden klebte. Hin und wieder genoss er es sogar, wenn seine Feinde vor Angst erzitterten. Die Betonung lag jedoch auf Feinden. Claudia war kein Feind. Natürlich fühlte er sich schlecht. Überrascht hob er den Kopf aus den Händen, als man ihm die Schulter tätschelte. Sollte es nicht anders herum sein? Er war es nicht, der Trost oder gar Zuwendung verdiente. "Nein, will ich nicht...", bestätigte er. Zwar hatte sie ihren Satz nie beendet, aber er konnte sich vorstellen, was sie hatte sagen wollen. Natürlich zweifelte sie nach dem Geschehenen an seiner Aussage, das konnte man ihr kaum verübeln. "Mh-hm." Auch dieses Mal glaubte er zu wissen, worauf sie hinaus wollte. Sie meinte definitiv 'du bist schon verliebt'! Und das war er wohl oder übel tatsächlich. Wort für Wort aussprechen würde er es allerdings nicht. Er war am heutigen Abends bereits viel ehrlicher, als er sein sollte. Er war sogar ehrlicher ihr gegenüber als mit sich selbst. Dass er ihr mit seiner Aussage womöglich den Glauben, dass er komplett schwul war, eintrichterte, erahnte er überhaupt nicht. Vollkommen falsch lag sie mit dieser Annahme nicht, aber eben auch nicht vollkommen richtig. Sein Blick folgte ihr, als sie sie ihm den Rücken zuwendete und ihm die Erlaubnis gab, ihr schier unendlich langes Haar wieder auf Vordermann zu bringen. Vielleicht hatte er sich da doch etwas zu viel zugetraut, doch er würde einen Teufel tun und das zugeben. Stattdessen schnappte er sich die ersten Strähnen und begann, sie an der Seite ihres Kopfes entlang zu flechten. Merkwürdig. Sich selbst im Spiegel dabei zu beobachten war etwas vollkommen Anderes, als es bei einer Person, die vor einem saß, zu tun. Nach einigen Wiederholungen bekamen seine Finger den Dreh jedoch zunehmend heraus, sodass er sich auf ihre Worte konzentrieren konnte. "Sind ...? Manchmal was? Wenn du möchtest, dass ich dich verstehe, musst du schon in ganzen Sätzen mit mir reden, Claudi." Mit einem leisen Seufzen stimmte er in ihr Kopfschütteln ein. "Alles? Aha...!" Das bescheuerte Grinsen, dass sich während seiner Worte auf seinen Lippen ausbreitete, war sogar zu hören. Zwar war jetzt absolut nicht der richtige Zeitpunkt für einen Witz wie diesen, aber Lucien blieb nunmal Lucien. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen. "Ich verlasse mich auf jeden Fall auf dich. Es ist äußerst wichtig, dass meine Eltern nicht mitbekommen, was bei mir wirklich läuft." Nicht nur in Hinsicht auf sein Liebesleben. Auch seine berufliche Laufbahn musste unbedingt ein Geheimnis bleiben. Doch all das waren Details, die sie hier und jetzt nicht besprechen mussten. "Wenn es dir zu viel wird, sagst du es mir." Das war definitiv keine Bitte, sondern ein klarer Befehl! Er wollte wirklich nicht, dass sich Szenen wie diese wiederholten. "Selbstverständlich." Mit den Zähnen zog er den Zopfgummi um sein Handgelenk herunter und sicherte damit seinen bisherigen Fortschritt. "Und verzeih mir." Mit geschickten Fingern löste er die Schnürung nach und nach, bis es locker genug war, dass sich die Feline selbst befreien konnte. "Eure Kleider sind aber auch verflucht empfindlich." Er hatte das Gefühl, dass bereits ein schiefer Blick ausreichte und irgendwas löste oder lockerte sich. Fürchterlich. Wäre das bei seinen Anzügen der Fall, hätte er von dem Schneider schon längst sein Geld zurück gefordert. Natürlich fiel auch bei ihm ab und an mal ein Knopf ab, wenn er zu grob war, doch das war eine seltene Ausnahme. Seine Hände kehrten zurück zu ihren Haaren, wo sie endlich die begonnene Arbeit fertig stellten. Die Zöpfe, die er jeweils an ihren Katzenohren vorbei zum Hinterkopf geflochten hatte, wurden dort mithilfe von einigen Nadeln verdreht und hochgesteckt. Es war sicherlich kein frisurtechnisches Meisterwerk, sollte allerdings ausreichen, um sämtliche kritische Augen zufriedenzustellen. "Es wird schon keiner hinterfragen, wieso du plötzlich mit kaputtem Kleid und neuer Frisur zurückkehrst." Er wusste vollkommen ohne Zweifel, dass das nicht der Fall war. Man würde sich die Mäuler zerreißen und sich allerlei Szenarien ausmalen. Ob diese besser oder schlimmer als die Realität waren, lag im Auge des Betrachters. Kritisch betrachtete er noch einmal sein Werk, letztendlich wanderten die Seelenspiegel aber ein wenig höher. Katzenohren. Sie waren merkwürdig und niedlich zugleich. "Hörst du eigentlich besser als normale Leute?" Ja, sie beschäftigten ihn. Es gab noch einige Fragen, die ihn brennend interessierten. Konnte man deren Fell mit gewöhnlichem Shampoo waschen? Musste man es kämmen? Wie sah es mit dem Schweif aus? Musste man den kämmen? Hatte sie schonmal über Piercings nachgedacht? Und natürlich die Fragen aller Fragen: Durfte er sie anfassen?
Einen Moment hatte Claudia wirklich Angst vor Lucien gehabt. Mit seinen spitzen Zähnen, seinen gierigen Händen und dem Alkohol in seinem Atem hatte er nichts Geringeres als den persönlichen Alptraum der Romano verkörpert. War dieser sanfte junge Mann, der ihr die Haare flechtete, wirklich derselbe, der noch wenige Minuten zuvor auf ihr gelegen hatte? Das Herz der jungen Feline flatterte noch immer, doch mittlerweile nicht mehr aus Angst und Panik, sondern vielmehr aus Unsicherheit. Sie wandte Lucien den Rücken zu und starrte nach vorne. Ihre Gedankenwelt schien geradezu überfüllt zu sein, vor allem in Verbindung mit den Getränken der Feier und den anstrengenden Tanzeinlagen des ganzen Abends. Selbst die Momente hier im Büro ihres Großvaters waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen. Mit einem Mal merkte Claudia, wie unfassbar erschöpft und müde sie war. Ihre verspannten Schultern senkten sich ein Stück, doch sie hielt ihren Kopf aufrecht. Es war natürlich nicht einmal im Ansatz das erste Mal, dass jemand an den Haaren Claudias herumspielte. Beinahe zu jeder festlichen Angelegenheit gab es eine Person, die bezahlt wurde, damit ihre Haare besonders glänzten und perfekt saßen. Doch sie waren nicht so warm wie Lucien. Sie machten es schnell und geschäftsmäßig. Der junge Mann schien sich vielleicht aus Unerfahrenheit, vielleicht auch aus Bewunderung für die Haarpracht der Erbin ein wenig mehr Zeit zu lassen. Das letzte Mal, dass Claudia in einem solchen Kontext die Haare geflochten bekam, befand sie sich am anderen Ende der Welt, in der Föderation von Midi. Auf dem Schoß ihrer Mutter, die leise Lieder summte, während die Strähnen über ihre Finger tanzten wie Fäden auf einem Webstuhl. Mit einem Mal war dieses Leben vorbei. An die Stelle sanfter, beschützender Finger waren andere getreten. Claudia versteifte sich etwas, so als hätte Lucien sie an den Haaren geziept. “Spar dir den Scherz! Du weißt, dass es nicht so gemeint war!”, zischte Claudia auf den Kommentar, den sich ihr Gesprächspartner auf ihre generelle Erlaubnis für "alles" natürlich nicht verkneifen konnte. Sie traute sie sogar eine zickige Tonlage anzuschlagen, die sie normalerweise nicht einmal im Privaten wirklich heraus ließ. Zum Glück war sie gerade von dem Anderen weggedreht, denn ihre Wangen wurden rosa und sie räusperte sich. “Ich bin eine Feline, Lucien. Nicht alle stoppen da, wo du aufgehört hast, ja? Sie halten mich für eine süße, kleine Stubenkatze, die man besitzen kann. Und streicheln. Und … eben solche Dinge.” Sie fasste mit einer Hand das Hangelenk der anderen Hand und atmete einmal tief durch. “Du kannst dich auf mich verlassen. Wenn das alles deinetwegen weniger wird, dann bin ich bereit, die beste Freundin zu sein, die du haben kannst. Bin ich vermutlich sowieso, hah.” Sie schwieg, als Lucien ihr versicherte, fortan auf ihre Grenzen zu achten. Worte waren billig. Das wussten sie beide vermutlich am besten. Doch bisher hatte sie nicht das Gefühl, dass sie Lucien misstrauen sollte. Die Nähe zwischen ihnen war tückisch, und ihre Ähnlichkeit ließ Claudia weicher denken, als sie das vermutlich als Vertreterin ihrer Familie sollte. Doch mit jeder Schnur ihres Korsetts, das Lucien löste, kam sich die Feline vor, als würde ein Riegen einer unsichtbaren Tür geöffnet. So lange schon saß sie in einem goldenen Käfig und warf sich gegen die Gitterstäbe. Die Feline warf das Kleidungsstück zur Seite und konnte zum ersten Mal an diesem Abend einen tiefen Atemzug nehmen. Es roch nach Alkohol, nach Feuerholz und nach den Pflegeprodukten eines Fremden. “Die Kleider sind so gemacht, damit wir uns nicht zu viel bewegen”, erklärte Claudia mit geschürzten Lippen und drehte sich wieder um, als ihre Haare fertig waren. Eine der schlanken Hände hob sich und tastete vorsichtig an den Flechtungen entlang. Keine abstehenden Haare, keine peinlichen Muster, die sie ertasten konnte. Es könnte schöner sein, aber Lucien hatte offenbar sein Bestes gegeben. “Klar, sie denken bestimmt, ich hatte ein kleines Nickerchen”, antwortete sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. “Aber das können wir alles zu unserem Vorteil nutzen, Lucien.” Einen Moment dachte Claudia nach, dann beugte sie sich zu ihrem Gesprächspartner herüber. Da sie nicht mehr das Gefühl hatte bei jedem Beugen ihres Oberkörpers Drähte in ihre Rippen zu bohren, geschah dies recht flott und flexibel. Mit einer Hand schnappte sie sich den Hemdkragen, löste ihn möglichst weit vom Hals ihres Gegenübers und presste dann die Lippen darauf, um einen vage herzförmigen Lippenstiftabdruck darauf zu hinterlassen. Zuletzt nahm sie ein bisschen davon und berührte damit, sofern Lucien sie nicht aus einem der großen Fenster mit den schweren Vorhängen trat, dessen Wange. Sie zog eine Linie, die aussah, als hätten sich Lippen auf dem Weg zum Ohr oder Hals verirrt. Dabei streckte sie ihm ihre Ohren quasi ins Gesicht. Kein Wunder also, dass er danach fragte. Allerdings stellte er eine deutlich charmantere Frage als die, die ihr sonst so gestellt wurden. Die flauschigen Ohren zuckten, als wären sie sich bewusst, dass sie gerade angesprochen wurden. “Nicht wirklich - vielleicht ein bisschen, weil sie größer sind. Ich sehe aber besser. Obwohl das Zimmer nur vom Feuer erleuchtet wird, sehe ich dich klar und deutlich in all deiner Pracht.” Sie schnaufte kurz. Dass sie außerdem mit Katzen sprechen konnte und dergleichen, erwähnte Claudia nicht. Stattdessen rutschte sie auf dem Sofa ein Stückchen zurück und wandte den Blick peinlich berührt ab. Sie hatte seinen Blick gesehen. Kurz linste Claudia nach links, dann nach rechts. Wieso hatte sie sich ausgerechnet den ausgesucht? “Willst du …?” Sie hob eine Hand und fuhr damit eines ihrer Ohren bis zum Pinselchen an der Spitze entlang. “Du darfst an sie ran. Aber wenn du einen blöden Spruch loslässt, dann beiße ich dich. Du bist nicht der Einzige mit Fangzähnen hier, verstanden?”
Natürlich wusste Lucien, dass Claudia mit 'Alles' nicht wirklich 'Alles' gemeint hatte. Trotzdem würde er sich den Kommentar niemals verkneifen. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht in zwei Wochen. Dafür war es einfach zu lustig und ihre Reaktion zu putzig. Sie klang wirklich wie eine eingeschnappte Katze, fehlte nurnoch der gesträubte Schwanz - würde er zumindest denken, wenn er sich mit Samtpfoten auskennen würde. "Niemals. Damit wirst du ab sofort leben müssen, ob du willst, oder nicht." Grinsend schnippte er ihr leicht gegen den Hinterkopf. Komplett unverständlich, was sie gegen seine Scherze hatte. So ein schöner, schmieriger Witz war doch Gold wert! Ein bisschen Spaß musste sie ihrem Fake-Freund schon lassen. Die besonders schmuddeligen Sprüche würde er sich sogar verkneifen ... hin und wieder ... vielleicht ... wenn sie Glück hatte. Na gut, vielleicht doch nicht. Für heute würde er die Katzendame aber verschonen. Er hatte sie bereits genug verschreckt. "Und ich dachte, sowas hätte in den letzten Jahrzehnten nachgelassen. Hieß es zumindest. Was weiß ich." Kopfschütteln. Er war schließlich kein Feline, bekam höchstens hin und wieder einen dummen Vampirspruch an den Kopf geworfen. Doch das war wohl nichts im Vergleich. "Wenn es den Schweinen nicht ausreicht, dass ich jetzt dein Freund bin, dann demonstriere ich gerne mal, was mit Leuten passiert, die sich an vergebene Damen heranmachen. Spätestens dann solltest du Ruhe haben." Ein wenig hoffte er ja, dass es so weit kam. Er bekam schließlich nur selten die Chance, ein paar stinkreiche, alte Perverslinge zu verprügeln. "Falls dich jemand auch nur unsittlich ansieht, sagst du mir sofort bescheid, klar?" Er würde es gar nicht erst soweit kommen lassen, dass jemand auch nur einen Finger an der Hellhaarigen anlegte. Außer natürlich sie wollte es so. "Jaja, mein Prinzesschen, du bist die Aaaallerbeste", witzelte er und verdrehte dabei übertrieben die Augen. Als sie sich schließlich das Kleid von den Schultern streifte, wendete er selbstverständlich den Blick ab. Er war schließlich anständig und anständige Leute beobachteten eine Dame nicht beim Ausziehen, auch, wenn sie noch etwas darunter trug. "Dann sollte deine Familie sich einen besseren Schneider zulegen." Er würde sie ja an den der Ashworth-Familie weiterleiten, doch der war schon beschäftigt genug mit Luciens ständigen Sonderwünschen. So alltagstauglich die Frisur, die der Schwarzhaarige kreiert hatte, auch sein mochte, den neugierigen Augen der reichen Lästermäuler würde natürlich nicht entgehen, dass nun etwas anders war. Letztendlich hatte man eben nie vollkommene Privatsphäre, selbst wenn man in dem Moment eigentlich alleine war. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", schnaubte er amüsiert. Es hatte nie auch nur ein Funke Hoffnung in seinem Herzen existiert. Schon bevor er überhaupt versucht hatte, ihre Haare zu retten, war ihm klar gewesen, dass es nichts weiter als ein Versuch der Schadensbegrenzung war. Dass es dann ausgerechnet Claudia war, die vorschlug, sich diese Sache zum Vorteil zu machen, überraschte ihn. Von sich selbst hätte er diese Idee durchaus erwartet, aber von ihr? "Warst du es nicht, die mich vorhin noch dazu ermahnt hat, unsere 'Romanze' mit Klasse anzugehen?" Verurteilend schnalzte er mit der Zunge, ließ sie jedoch gewähren. Ihr Atem streifte seinen Hals, auch, wenn ihre Lippen sich letztendlich seinem Hemdkragen widmeten. "Ich bin schon ein Pechvogel. Da kriege ich schon Küsse von einer hübschen Frau, aber keinen einzigen auf die Lippen." Sein Grinsen verzog sich kurz zu einem Schmollen. Als sie ihm ein 'Kompliment' an den Kopf warf, hellten sich seine Züge sofort wieder auf. "Heh, Glück gehabt würde ich sagen. Es kommen generell nur wenige Damen in den Genuss, mich aus nächster Nähe betrachten zu dürfen." Ob auf Distanz oder nur wenige Zentimter entfernt, er war natürlich immer unwiderstehlich schön, aber wer wollte schon ein wertvolles Meisterwerk nur aus der Ferne bewundern dürfen? Ähnlich ging es ihm mit den niedlichen Ohren seiner Fake-Freundin. Sicher, selbst aus der Ferne waren diese unfassbar putzig, aber wenn er schon die Chance bekam, auf Tuchfühlung zu gehen, würde er ganz sicher nicht nein sagen! "Wer mit Katzen spielen will, darf die Krallen - oder in diesem Fall die Zähne - nicht fürchten. Oder wie war das?" Zwinkern, während er in einem breiten Grinsen die eigenen Fangzähne zeigte. Sollte sie doch versuchen, ihn zu beißen, das war ihm jedes einzelne Wort absolut wert. "Kommt bestimmt gut, wenn wir mit Bissspuren zurückkommen. Ich beiße nämlich zurück." Angeberisch ließ er die scharfen Beißerchen hörbar aufeinander klacken. In diesem Fall log er nicht einmal. Im Kinderalter hatte er unzählige Leute blutig gebissen, der letzte Beiß'unfall' lag zwar viele Jahre zurück, doch das hieß nicht, dass er es nicht noch immer konnte. Bevor die Situation wirklich noch in gefletschten Zähnen endete hob er kurz die Hände beschwichtigend vor die Brust, ehe sich die neugierigen Finger auch schon die Katzenöhrchen schnappten. Sie drückten, zogen, flauschten mit voller Begeisterung. Das war ... unfassbar putzig! Es war selten, dass er etwas so kuscheliges zwischen die Finger bekam. "Wie schaffst du es, deine Ohren nicht konstant selbst zu begrabbeln? Das ist ja mal sowas von fucking krass."
Eine vergebene Dame? So genannt zu werden machte Claudia nervös. Aber das war nun einmal, wie sie nach dieser eigenartigen Nacht in der Öffentlichkeit auftreten würde, nicht wahr? Wenn der Morgen anbrach, dann lebten sie beide eine Lüge und bereuten es hoffentlich nicht. Claudia spannte sich ein bisschen an, doch der Schnipser gegen ihren Hinterkopf löste das steigende Gefühl einer negativen Vorahnung recht effektiv. Normalerweise piekte sie niemand; Man traute sich nur in gewissen Umständen, die Dame des Hauses Romano anzufassen. Zum Beispiel, wenn niemand hinsah. "Es hat nachgelassen, generell. Aber nicht bei allen." Es tat gut, diese Personen so offen als "Schweine" bezeichnet zu hören. Und auch wenn es Claudia missfiel, von jemandem beschützt zu werden, konnte sie nicht umhin den Schutz zu erkennen, den Lucien ihr bot. Sie brauchte vielleicht keinen strahlenden Held, doch in dieser Welt respektierten alteingesessene Personen sie nur, wenn sie bereits der Besitz eines anderen war. Eine ernüchternde Erkenntnis, die der Feline jedoch nicht hier und heute zum ersten Mal kam. "Ich lasse es dich wissen", versprach sie, aber meinte es nur bedingt ernst. In solchen Situationen war es meistens nicht angemessen, die lüsternen alten Männer zu schlagen, die Kommentare fallen ließen und ihre Finger nicht bei sich behalten konnten. Auch wenn es Claudia amüsieren würde, wenn Lucien die Faust ausrutschte. Die diplomatischen Folgen würden unangenehm werden, aber eine blutige Nase oder ein blaues Auge würde so manchem sicherlich gut stehen ... Die Mundwinkel der Erbin hoben sich zu einem ehrlichen, leicht verschlagenem Lächeln. Zum Glück saß sie gerade ohnehin mit dem Rücken zu Lucien.
Als Luciens Schadensbegrenzung vollendet war, wandte sich Claudia jedoch wieder um. Den Kommentar zum Schneider hatte sie ignoriert - als hätte er eine Ahnung von Abendkleidern! - und den Namen "Prinzesschen" hatte sie ebenso unkommentiert gelassen. Sie wollte nicht, dass sich das etablierte. Aber insgeheim wusste sie bereits, dass peinliche Spitznamen nun ein Teil ihrer Bürde waren, wenn sie diese Lüge aufrechterhalten wollte. Natürlich konnte ihr Gegenüber nicht an sich halten, ihre Lippenstiftaktion in die Gosse zu ziehen. Da war er wieder, der Lucien, den sie zu kennen glaubte. Die sanften Flechtfinger und die verletzlichen Eingeständnisse verblassten hinter dem dummen Grinsen, das sie am liebsten ins Feuer werfen würde. "Das habe ich, aber da du mein Kleid und meine Haare durcheinander gebracht hast, muss ich mich der Situation anpassen", sprach die Feline mit leichtem Vorwurf in der Stimme und rümpfte die Nase, als könnte sie sich nichts Schlimmeres vorstellen, als in einer solchen Situation mit Lucien gesehen zu werden. Aber wenn sie ein überzeugendes Schauspiel abgeben wollten, dann mussten sie mitspielen, wenn das Bühnenbild sich veränderte. "Träum schön weiter!", versicherte sie ihm mit aufgeblasenem Wangen und einer unfreiwilligen Rötung eben derer, als von Küssen auf Lippen die Rede war. So weit kam es noch ... Als bekäme ausgerechnet dieser Typ ihren ersten "richtigen" Kuss! Das Rot wurde noch tiefer, als ihre Drohung direkt gespiegelt wurde. Nein, so hatte sie das definitiv nicht gemeint. "Du ...", seufzte sie frustiert aus, kam jedoch tatsächlich auf keine schlagfertige Antwort. Ihr Kopf wurde von seltsamen Bissen geflutet und Gründen, wieso man mit diesen zurückkommen könnte. Die mentalen Bilder brannten sich fest, aber zum Glück wechselte das Thema kurz darauf auf ihre Ohren - und Luciens Bedürfnis, diese zu berühren.
"Spielst du ständig an deinen Ohren herum?", antwortete Claudia, die den Blick beim Gekraule ihrer flauschigen Hörorgane abwandte. Das Rot auf ihren Wangen erinnerte mittlerweile an reife Kirschen. Sie hob die schlanken Hände und drückte sich die Fingerknöchel auf ihre Lippen, doch konnte sie nicht verhindern, dass ein leises, brummendes Geräusch sich aus ihrer Kehle schlich. Ein Schnurren. Nur kurz jedoch, vielleicht zwei, drei Sekunden, bis sie es mit Gewalt abbrach. Claudia unterdrückte für gewöhnlich solche Merkmale ihres katzenhaften Erbes; sie wollte als Mensch gesehen und respektiert werden, nicht als schnurrendes Kätzchen. Allerdings geschah es so selten, dass jemand aus reiner Neugierde ihre Ohren streichelte und dabei keine Hintergedanken hatte. Es erinnerte sie an geborgene Zeiten in Midi, wo sie im sonnendurchfluteten Wintergarten auf dem Schoß ihrer Mutter lag ... Die Ohren begannen sich nach unten zu bewegen, die Anspannung von Claudia nahm ab. Und ehe sie sich versah, landete ihr Kopf an Luciens Brust und sie schloss die Augen, erschlaffend wie eine Marionette, der man nach stundenlangem Bühnenspiel endlich die Fäden gelockert hatte.
Lucien hoffte inständig, dass die junge Romano eine Dame ihrer Worte war. Er wartete schon lange auf einen guten Grund, einigen reichen Säcken ordentlich die Fresse zu polieren. Grundlos würden seine Eltern ihm die Hölle heiß machen und ihn enteignen, aber sie würden sicherlich Verständnis dafür haben, dass ihm 'die Hand ausgerutscht war', nachdem jemand seine geliebte Freundin angegraben hatte. Wer würde das nicht nachvollziehen können? Natürlich sprach er diesen Wunsch nicht laut aus, schließlich hatte er auch vor Claudia ein gewisses Image zu bewahren. Er beließ es bei ihren Worten, schenkte ihnen nur ein kleines Nicken. Die Diskussion über ihren (zu) zügig voranschreitenden Beziehungsstatus war sowieso viel spannender. "Gern geschehen", gab er frech zurück, ihr patziger Ton schüchterte ihn nicht im geringsten ein - im Gegenteil, er stachelte ihn an. Amüsiert beobachtete er, wie das Gesicht der Hellhaarigen immer und immer mehr einer Tomate glich. Wie unfassbar putzig! Dabei ging es doch nur ums Küssen. Die trägen Zahnräder im recht hohlen Schädel des Ashworths setzten sich langsam in Bewegung, klackten gemächlich vor sich hin, während sich eine Realisation formte. "Neeee, als ob!" Die goldenen Seelenspiegel wurden groß. "Sag bloß ..." Sein Gesichtsausdruck glich einer gewissen, gelben Elektromaus. "Wenn du mir jetzt ernsthaft sagst, dass du noch nie jemanden geküsst hast, brech ich ab." Was für ein Unschuldskätzchen hatte er sich denn da angeschafft? Er hatte seinen ersten 'richtigen' Kuss mit gerade einmal zwölf Jahren verschenkt. Zwar wusste er nicht einmal mehr den Namen des Mädels, wusste nurnoch, dass sie strohblonde Haare gehabt hatte, aber dafür wusste er noch, wieso er es getan hatte. Seine Eltern hatten ihn ausnahmsweise persönlich von der Schule abgeholt, anstatt einen ihrer blöden Butler zu senden und er hatte die Chance sofort genutzt, um seiner rebellischen Ader Ausdruck zu verleihen. Letztendlich hatte er direkt mit ihr Schluss gemacht, als man ihm klar gemacht hatte, dass man ihn enterben würde, wenn er es nicht tat. Er hatte mindestens bis zum 16. Lebensjahr zu warten und sich dann eine ordentliche Freundin zu suchen. Eine, die seinen Eltern am besten mehr gefiel als ihm. Hach, gute Zeiten. "Nö. Ich habe aber auch nicht so flauschige und putzige Ohren." Das war kein fairer Vergleich. Hätte er ein Paar Lauscher wie sie, würde er definitiv nicht die Finger davon lassen können. Er hätte das Thema noch ausführlich breittreten können, doch dann geschah es. Es kam vollkommen aus dem Nichts, erwischte den Ashworth wie ein Eimer eiskaltes Wasser. So schnell, wie es gekommen war, war es auch schon wieder verklungen, doch in seinen Ohren hallte es noch immer nach. Hatte sie gerade ... geschnurrt?! Heiliger Mario Vater Gottes! Er war sprachlos. Das war so. Unfassbar. Putzig. Scharf sog der Schwarzhaarige die Luft ein, um nicht gleich selbst Geräusche loszulassen, die die Welt lieber nicht hören wollte. Das Quietschen hing im trotzdem noch in der Kehle. Man mochte es ihm vielleicht nicht anmerken, doch er hatte eine gewaltige Schwäche für alles, was niedlich war. Und gerade eben war Claudia wirklich fürchterlich niedlich. Als wäre der kurze Schnurrer nicht schon die Sahne auf dem zuckersüßen Eisbecher gewesen, ließ sie nun auch noch den Kopf gegen seine Brust fallen und garnierte das Ganze somit noch mit der Kirsche. Am liebsten hätte er die Arme um sie gelegt und zerdrückt. Da er jedoch inzwischen wusste, dass sie nicht besonders gut darauf reagierte, eingeengt zu werden, ließ er seine Hände einfach weiterstreicheln. Eine fiel schließlich ziellos über den Sofarand, die andere tätschelte noch ein wenig ihre Haare. Vorsichtig, selbstverständlich, schließlich wollte er kein zweites Mal Friseur spielen müssen. Den eigenen Kopf ließ er über die Lehne kippen, entließ in einem langen Seufzer all die Anspannung, die der heutige Tag unbewusst verursacht hatte. Nur eine Sache konnte er nicht gehen lassen: den Wunsch, dass es nicht Claudia war, die sich gerade an ihn lehnte. Ein Gefühl, an das er sich besser schnell gewöhnte, denn es würde sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass sie ihre Nähe miteinander teilten. Es war schon merkwürdig. Von außen betrachtet. Wer sie so sah, der hätte wohl keine Zweifel daran, dass zwischen ihnen etwas lief. Dabei schlug Luciens Herz keinen Ticken schneller als sonst. Auch Claudia spürte hoffentlich das selbe. Für ihn fühlte es sich viel mehr an wie eine kleine Schwester, die nach einem schlechten Tag Trost bei ihm suchte. Er wollte das Mädel einfach nur beschützen und sicherstellen, dass niemals jemand auf dumme Ideen kam. Sie sollte bei ihm den Schutz finden, den sie brauchte, um selbstbewusst durch die Welt zu marschieren. Dabei hatten sie sich doch gerade erst kennengelernt. "Sag mal, Claudilein, bist du nicht verliebt? Hast du nicht jemanden, mit dem du eine ehrliche Beziehung anfangen könntest?"
Ob Claudia schon einmal jemanden geküsst hatte? Sie schwieg, wandte den Blick ab. Die Romano wollte dem eigentlich Fremden nicht auf die Nase binden, wie es um ihr Liebesleben stand, denn der würde sie bestimmt nur auslachen. Vermutlich sagte der verlegene Gesichtsausdruck und die Vermeidung von Blickkontakt dem Ashworth aber sowieso mehr als tausend Worte.
Claudia brummte leise, als die Müdigkeit sie überkam und sie gegen die Brust des Schwarzhaarigen sank. Sicher bedingte der Alkohol und das Adrenalin ihr kuscheliges Verhalten, denn eigentlich mied es die Feline, anderen zu sehr auf die Pelle zu rücken. Sie mochte es selbst nicht, eingeengt und gefangen zu sein oder grob angefasst zu werden. Doch so scharf Luciens Zähne auch aussahen und so spitz seine Zunge sein konnte, wenn er sie aufzog, seine Hände besaßen eine erstaunliche Sanftheit. Ihr Herz schlug zunächst schneller vor Scham und Aufregung, denn eine solche Nähe zu einer anderen Person stellte im perfekten, aber auch distanziertem Leben der Romano eine Rarität dar. Nur selten nahm sie jemand in den Arm, und jede Bekundung von Zuneigung hatte einen performativen Charakter. Küsschen, Küsschen auf die Wangen, Händeschütteln ... Alles diente einem Schauspiel von Perfektion. Einem perfekten Eindruck. Lucien hatte sie verwuschelt und neben der Spur gesehen, und er legte dennoch die Arme um sie. Innerlich verwünschte Claudia ihr verräterisches Herz, das sich seit dem Verlassen von Midi nach Nähe und Verständnis sehnte und allzu gierig den Strohhalm fasste, den der Andere ihr hinhielt. Bereute ihre Naivität, ihr Vertrauen, sah sich schon ausgenutzt und verlassen am Ende. Allein.
Aber so sehr sie es auch versuchte, sie konnte die Distanz zwischen ihnen nicht mehr vergrößern. Das regelmäßige Wummern eines Herzens an ihrem Ohr, das Gefühl von Armen, die sie hielten, wo sie doch ihr Leben lang immer alles hatte selbst halten müssen ... Mit einem Mal wurde es Claudia zu viel. Sie vergrub das Gesicht tief in Luciens Brust, ignorierte den Geruch von Alkohol, den er verströmte und wirkte, als wollte sie sich wie eine ängstliche Katze unter sein Sakko verziehen, einfach nur verschwinden. Verletzlich und zerbrechlich erschien Claudia, deren schlagfertige Maske von ihr abfiel, als der Schlaf nach ihrem Bewusstsein griff. "Nein. Ich habe niemanden", murmelte die Romano auf Luciens Frage, vernuschelt durch den Stoff seines Hemdes und so leise, das man ihre Stimme auch für die eines Kindes halten konnte. Vielleicht eines, das man zu Gunsten großer Wünsche und Erwartungen viel zu früh den Armen ihrer Eltern entrissen hatte, um sie zu einer perfekten Puppe zu machen. Eine wunderschöne Stubenkatze, für die es nie vorgesehen gewesen war, die Wildnis draußen zu erkunden und die jetzt, in Konfrontation mit der echten Welt, nicht wusste, an wen sie sich halten sollte. Langsam grub Claudia ihre Hände in das Hemd Luciens, doch ihr Griff, zunächst fest und fast verzweifelt, erschlaffte zunehmend. Je mehr sie gegen ihren neuen Freund sank, desto langsamer wurde ihr Atem, desto ruhiger ihr Herzschlag. Und ehe sie sich versah, übermannte die Romano der Schlaf. Zusammengerollt auf dem Schoß eines Mannes, den sie erst heute Abend getroffen hatte, schlief Claudia wie eine zugelaufene Katze den ruhigen Schlaf der Erschöpften.
Erwartungsvoll lagen die Goldtaler-ähnlichen Seelenspiegel des Ashworths auf der Katze, erwarteten sehnsüchtig eine Antwort. Diese erhielt er, wenn auch nicht in der Form von Worten. Entgeistert klappte seine Kinnlade auf. Wie hatte sie das denn geschafft? Sie konnte nicht viel jünger sein als er selbst und trotzdem war sie noch nie in den Genuss eines zuckersüßen Kusses gekommen? Das war ... hm, ja was war das eigentlich? Bemerkenswert, aber irgendwie auch ein wenig traurig. Es war schön, die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Person zu bekommen, doch letztendlich wusste auch Lucien nicht, wie es sich anfühlte, jemandem, den man tatsächlich liebte, so nah zu kommen. In gewisser Hinsicht waren sie also beide traurige Gestalten und gar nicht so verschieden. Sie lebten beide in einer oberflächlichen Welt, die in ihnen nicht viel mehr als ein Prestigeobjekt sah, eine Trophäe und Errungenschaft. Reichtum war etwas schönes, keine Frage. Aber so viel, wie Geld auch ermöglichen mochte, es machte im Gegenzug schrecklich einsam. Die dicke Wand aus Geldscheinen, die Lucien von seiner Außenwelt trennte, fühlte sich oft undurchdringbar an. Doch hier und jetzt bekam sie dicke Risse. Die Art, wie Claudia sich an ihn schmiegte, erweckte in ihm nicht die Befürchtung, dass sie es aufgrund von oberflächlichen Bedürfnissen tat. Sie schien verletzlich, als würde sie einfach nur jemanden brauchen, der ihr Halt gab. Und wer war Lucien, ihr das zu verwähren? Auch, wenn er es niemals zugeben oder so offen zeigen könnte wie sie, er verstand ihren Wunsch nach aufrichtiger, bedingungsloser Zweisamkeit. "Ssshh, ist schon gut", versuchte er ihr zu versichern. Er hatte sich geirrt, sie wirkte nicht verletzlich, sie wirkte, als würde sie jeden Moment in tausende Scherben zerbrechen. Getrieben von dem Wunsch, genau das zu verhindern, legte er nun doch die Arme um sie. Vorsichtig und zögerlich, dann doch mit leichtem Druck. Langsam streichelte eine Hand über ihr Schulterblatt. Er hatte nicht vor, sie festzuhalten, nur zusammenhalten wollte er sie. "Dann werde ich dir zur Seite stehen, bis du jemanden findest", versicherte er ihr leise. Sie sollte sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, in dieser verfluchten, von Oberflächlichkeiten dominierten Welt alleine dastehen zu müssen. Zar war er selbst auch kein Meister, wenn es darum ging, diese zu navigieren, er litt genauso darunter wie sie, doch das musste sie nicht wissen. Lucien wollte nicht als schwächlich gesehen werden, schon gar nicht von Leuten, die er beschützen wollte. "Heh, du zerknitterst mir das ganze Hemd...", meckerte er schließlich leise und begann, ihre Finger von seiner Kleidung zu pflücken als wäre sie eine Katze, die mit ihren Krallen in dem Stoff festhing. Natürlich machte er sich nicht wirklich Sorgen um sein Hemd. Das ließ sich bügeln oder erneut kaufen. Er wollte, dass sie sich entspannte. Und genau das tat sie auch schließlich. Ihre Muskeln lockerten sich, der Atem wurde flacher und gleichmäßiger. Sie schlief. Tief und fest. Erleichtert atmete der Schwarzhaarige auf. Viel ruhiger und entspannter wirkte sie nun. Doch während die Katze vor sich hinschlummerte, drehte die Welt sich für Lucien weiter. Das Feuer knisterte weiter leise vor sich hin, wurde zunehmend schwächer und schwächer und auch seine Gedanken wurden stets weitergetrieben von den schier unaufhaltsamen Zahnrädern in seinem Kopf. So schön das Wissen über das scheinbare Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, auch war, der düstere Schatten seiner eigenen Gefühle hing über ihm wie ein schwerer Schleier. Es wäre besser, wenn er ebenfalls versuchte, ein wenig Ruhe zu finden. Irgendwie war das Gewicht auf seinem Brustkorb und die repetetiven Streichelbewegungen seiner Hand ja doch entspannend. Er zwang seine Augen, sich zu schließen und führte seine Gedanken langsam fort von der Sehnsucht, die in seinem Herzen randalierte. Und es funktionierte, zumindest irgendwann. Irgendwann holte der Schlaf auch ihn zu sich. So ruhig und entspannt wie die Nachtruhe der Feline war seine jedoch nicht. Lucien war noch nie ein ruhiger Schläfer gewesen. Er wälzte sich, trat und schlug um sich. Dementsprechend war es kein Wunder, dass er sich irgendwann im Laufe der Nacht selbst vom Sofa katapultierte und mit einem lauten Rumms auf dem Teppich, der vor diesem lag, landete. Ob mit oder ohne Schoßkätzchen war ihm in diesem Moment nicht bewusst. "Urgghh...", gab er leise ächzend von sich und fragte sich in seinem noch immer vom Halbschlaf geprägten Zustand, ob es überhaupt Sinn hatte, ins Bett zurückzukehren. Eh? Bett? Nein, er war nicht bei sich zuhause. Es roch fremd. Bevor er jedoch dazu kam, seinen Standort und dessen Umstände zu erkunden, riss ihn eine fremde Stimme aus dem Dämmerzustand. "Miss Romano? Seid Ihr hier?"
Nur ganz langsam begann ein Funken Bewusstsein zu erwachen. Claudias Lider flatterten. Hatte gerade jemand ihren Namen gerufen? War es etwa schon Zeit zum Aufstehen? Die Feline gähnte herzhaft und räkelte sich wie eine Katze, die gerade aus ihrem Mittagsschläfchen erwacht war. Ihr flauschiger Schweif wedelte in der Luft und die Ohren zuckten. Ihre Unterlage fühlte sich so anders an ... hatten die Hausmädchen vielleicht neue Bettwäsche besorgt? Sie musste so müde gewesen sein, dass sie das gestern vorm Schlafengehen gar nicht bemerkt hatte ... Neugierig tastete Claudia über den festen Untergrund, befühlte ihn und genoss die Wärme, die davon ausging. Eine neue Erfindung aus dem Institut für Magie und Technologie? Ihre Augen wollten sich noch nicht so richtig öffnen. Der Alkohol, der ohne Zweifel noch immer in ihrer Blutbahn zirkulierte, schaffte außerdem wenig Klarheit. Die Feline fühlte sich, als habe man ihren Kopf in Watte gepackt.
Dann machte ihre Matratze ein Geräusch.
Mit einem Mal riss Claudia die Augen auf. Ihre Katzenaugen stellten sich ohne Probleme auf die Dunkelheit des Raumes um. Sie sog den Atem heftig ein und nahm den Geruch von Asche wahr, der von dem abgebranntem und mittlerweile erloschenem Kamin ausging. Die großen Fenster an den Seiten des Büros offenbarten einen Nachthimmel voller Sterne. Der Mond stand so hoch, dass er einen Silberstrahl genau auf Claudia warf, als wollte der Himmelskörper einen anklagenden Finger auf sie richten. Zurecht, denn mit Schrecken stellte die junge Erbin fest, dass sie auf jemandem lag. Sie befanden sich auf dem Boden. Claudia verfiel in eine Art Schockstarre und verweilte rittlings auf ihrem Schlafpartner, die Hände scheinbar tastend auf seinem Oberkörper. Schwarze Haare. Anzug. Lucien! Sie musste auf dem Sofa eingeschlafen sein. Ein Teil des Horrors löste sich auf, aber nur so lange, bis die Stimme hinter der Tür sich erneut meldete.
"Miss Romano?" Die alte, kupferne Türklinke zum Büro ihres Großvaters senkte sich in normaler Geschwindigkeit, aber Claudia kam es wie Zeitlupe vor. Bevor sie sich bewegen oder auch nur etwas sagen konnte, erschien die rundliche Gestalt der Haushälterin in der Tür. Das Kerzenlicht aus dem Gang und ein Leuchter in ihrer Hand warfen Licht in das Büro. Die Romano, die im Halbdunkel perfekt sah, konnte hilflos mit ansehen, wie sich in der Mimik der Bediensteten ein Wechselbad der Gefühle abzeichnete: Erleichterung, die Erbin des Hauses gefunden zu haben, Neugierde, Schrecken und Scham. "Ach du meine Güte!", sprach die Frau mittleren Alters und ließ beinahe ihren Leuchter fallen. Sie wedelte sich mit der freien Hand Luft zu und blieb in der Tür stehen, offenbar unfähig zu reagieren. Claudia war noch immer wie erstarrt und bekam keinen Ton hervor, doch sie schaffte es immerhin, sich von Lucien zu erheben. Peinlich berührt strich sie ihr Kleid glatt, dem der Reifrock fehlte. Und das Korsett. Beide lagen irgendwo neben dem Sofa auf dem Boden, wie achtlos davon geworfen. "Miss Romano! Was habe Sie sich nur dabei gedacht?! Was wird Ihr Großvater sagen!", zeterte die Haushälterin drauflos und kam näher. Wie ein besorgtes Huhn umschwirrte sie die Feline, hob eine Strähne ihrer Haare an und schnalzte missbilligend. Das Licht ihrer Kerze fiel auf Lucien, und als sie die Lippenstiftflecken auf seiner Kleidung sah, sprach sie ein kurzes Stoßgebet. "Ah, die Jugend! Die Jugend, Miss Romano. Ich verstehe es ja, aber Sie hatten doch so viel vor sich ..." Claudia verspürte mit einem Mal einen Kloß in ihrem Hals. Was sagte sie da? Hatte sie jetzt etwa nichts mehr vor sich? Die Feline ließ die Ohren und den Kopf gleichermaßen hängen. "Und wer ist das überhaupt, dieser Bursche? Hat sie Sie verführt, junger Mann? Ach, ich wusste es doch schon immer, was wirklich in Madame Lavelli steckt ..." Die Nutzung des Namens ihrer leiblichen Eltern traf Claudia wie ein Paukenschlag. Die Haushälterin hatte sie nie gemocht, weil sie sich in ihren Augen in die ehrbare Familie geschlichen hatte, doch sie so zu erleben, war doch ein ganz anderes, mieses Gefühl ...
So hatte sich der Ashworth seinen Abend und seine Nacht nicht vorgestellt. Wenn es eine Sache gab, die er hasste, dann war es, geweckt zu werden. Er war Morgenmuffel durch und durch, auch, wenn es eigentlich noch mitten in der Nacht war. Mit einem unzufriedenen "Urgh" kommentierte er das Gewicht, das sich auf seinem Körper verlagerte und sich an einem Punkt sammelte, anstatt sich wie bis eben noch zu verteilen. Was sollte das? Musste das sein? Und dann war da noch diese Stimme. Eine fremde Stimme. Verdammt nochmal, konnte man hier nicht in Ruhe schlafen? Er hatte bereits jetzt die Schnauze voll, doch es sollte noch schlimmer werden. Der warme Schein eines Kerzenleuchters legte sich über das junge Pärchen und dann konnte es auch schon losgehen. Die Feline sprang auf und ermöglichte es Lucien, endlich wieder tief durchzuatmen. Einen Atemzug den er voll und ganz ausnutzte. Im gleichen Moment begann auch das Gegacker. Wie eine aufgeregte Henne zeterte die alte Trulla vor sich hin und fing sich dafür einen genervten Blick von dem wohlhabenden Jungspund ein, der sich langsam aufrappelte. Ugh. Wie konnte eine Person um so eine Uhrzeit so viel reden? Und dann auch noch dermaßen viel Mist. Mit einer Hand strich er sich sämtliche pechschwarze Strähnen aus dem Gesicht. Seinem rastlosen Schlaf hielt nicht einmal das beste, teuerste Haarspray stand. Der goldene Blick landete auf seiner Alibi-Freundin. Sie hatte bisher noch kein Wort gesagt. Nur zugehört. Lucien hatte absolut keine Ahnung von der Körpersprache der Samtpfoten, doch er war sich ziemlich sicher, dass hängende Ohren kein gutes Zeichen waren. Na super. Das konnte er als vorbildlicher Freund natürlich nicht einfach so stehen lassen. "Claudi-Schätzchen ich glaube deine Familie sollte in eine bessere Haushälterin investieren. Das ist ja fürchterlich. Die Dame kann sich ja nicht einmal deinen Namen merken." Schlechte Laune sprudelte aus dem Ashworth heraus wie aus einer frisch geschüttelten Cako-Flasche. Eigentlich hätte er sich lieber wieder schlafen gelegt, doch so konnte er immerhin seinem Missmut ordentlich Luft machen. Tief schnaufte er durch, rieb sich noch einmal die müden Äuglein, ehe er diese auf die verrücktgewordene Henne legte. "Sie halten jetzt mal gefälligst die Luft an, Sie alte Schachtel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Familie Romano Sie dermaßen schlecht bezahlt, dass Sie sich erlauben könnten, in solch einem Ton zu reden." Er verschränkte die Arme vor der Brust und plusterte sich auf wie ein eingeschnappter Hahn. Was die konnte, konnte er schon lange. "Ich erwarte Respekt im Umgang mit mir und selbstverständlich auch meiner Partnerin. Vom Verführen kann hier beim besten Willen nicht die Rede sein, schließlich sind wir ein Paar. Alleine für diese Unterstellung hätte ich Sie schon längst gefeuert. Sie sollten dankbar für Claudis Gnade sein." Die Art, wie die Angestellte sprach, war wirklich absolut inakzeptabel. War das schön öfter passiert? Ugh. einfach nur nervig. Sicher, es war schön, Leute zu haben, die für einen arbeiteten. Es machte das Leben deutlich angenehmer und einfacher, doch Gespräche wie dieses hatte er kein bisschen vermisst. Im Gegenteil, es machte ihn sogar ein wenig froh, voll und ganz für sich zu leben. "Als irgendein Bursche würde ich mich übrigens nicht bezeichnen. Ich bin mir sicher, dass Ihnen der Name Ashworth etwas sagt." Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen richtete er den Blick direkt auf die olle Glucke, um den Schrecken in ihren Augen ausführlich genießen zu können. "Ach du liebes Bisschen!" Überrascht schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen, doch den offenstehenden Mund sah man trotzdem. Das war alles? Da hatte er sich extra den Mund fusselig geredet und das war die Reaktion, die er bekam? Das war fast schon ein wenig enttäuschend. Hoffentlich hatte die alte Schachtel ihre Lektion gelernt. Wenn nicht, musste er wohl andere Saiten aufziehen müssen. Und ein ernstes Wort mit der jüngsten Romano reden, schließlich war sie es, die sich gegen dieses Verhalten wehren sollte. Er konnte nicht immer da sein und den Beschützer spielen. Solange er das aber war, würde er es selbstverständlich tun. "Claudi-Prinzessin, ich schlage vor, wir ziehen uns auf dein Zimmer zurück. Dort können wir hoffentlich ein wenig mehr Privatsphäre genießen." Noch während er den Kopf drehte, um seine Aufmerksamkeit wieder seiner Geliebten zu schenken, wischte er sich den strengen, grummeligen Ausdruck vom Gesicht und ersetzte ihn mit einem lockeren, warmen Lächeln. Damit man auch wirklich wusste, dass er die junge Frau liebte. Kurz darauf landete auch schon eine Hand an ihrem Rücken und eine in ihren Kniekehlen um sie äußerst charmant von den Füßen zu holen und in den Arm zu nehmen. Kurz ließ er sein Gesicht neben ihrem einkehren, was man in dem fahlen Licht sicherlich als Wangenkuss interpretieren könnte. "Verzeih mir", hauchte er ihr allerdings nur ins Ohr. Er wollte nicht erneut ihre Grenzen überschreiten, doch es war vermutlich das beste, hier und jetzt ein wenig dicker aufzutragen. Das würde die Feline hoffentlich verstehen.
Schüchtern, sprachlos stand Claudia im Büro ihres Großvaters und ließ sich von der Haushälterin herunterputzen. Eigentlich widersprach dieses submissive Verhalten allem, wofür die Feline stand und wie man sie normalerweise kennen lernte. Sie war selbstbewusst und herrisch. Sie wusste um ihren Wert, ihren familiären Ruf und setzte diesen eiskalt ein, um zu bekommen, was sie wollte. Doch im Moment war sie nicht Claudia Romano, Erbin eines großen Hauses. Im Moment stand dort auf dem Teppich ein kleines Mädchen, das von ihrem Zuhause weggeschickt worden war und mit nichts am Leib als einem Köfferchen und einem Kartendeck zu fremden Menschen kam. Menschen, die sie mit offenen Armen empfingen und zur Prinzessin des Hauses machten. Und einem Hauspersonal, das sie teilweise als Fremdling, als Eindringling sah. Ein Mädchen mit Schweif und Ohren einer Katze, ein Tier, das man in schöne Kleider stecken und präsentieren musste. Die Haushälterin hatte die junge Romano von Anfang an gehasst. Hatte ihre Unzufriedenheit mit dem eigenem Leben auf die scheinbar behütete und wundervolle Existenz der jungen Erbin projiziert und ihr das Leben in der Villa Romano zur Hölle gemacht. Was Claudia auch tat, es war nie gut genug. Irgendwann hatte sie aufgehört, sich aufzuregen. Aufgehört, die Worte der Dame sie verwunden zu lassen. Sie war zu einem Stein geworden, einer Statue. Normalerweise klappte das gut. Doch diese Situation hier war eine Ausnahme. Noch nie war Claudia so ertappt worden, so vorgeführt. Das Herz pochte in ihrer Brust und sie sah Lucien neben sich in Bewegung geraten. Jetzt, wo er sie so gesehen hatte, was würde er tun? Waren seine Versprechen nur Schall und Rauch? Erkannte er nun, dass er eine andere Person vor sich hatte, als diejenige, die sie ihm vorgespielt hatte? Der Liebling ihres Großvaters, doch die Schande der Familie? Ein Parasit?
Claudia schloss die Augen und blinzelte Tränen hinfort. Dann sprach Lucien. Die zupfenden Hände der Haushälterin zogen sich zurück. Langsam hob die Feline den Blick, starrte fassungslos auf das ärgerliche Profil des Ashworths, das sich im Mondlicht silbern abzeichnete. Ihre Katzenaugen, die ihn im Halbdunkel perfekt erkannten, wurden groß. Zuletzt ließ er seinen Namen spielen und schüchterte damit die ältere Dame ordentlich ein. Sie stammelte irgendwelche Entschuldigungen, hatte offenbar nicht erwartet, dass Claudia von einer Person mit Rang und Namen mehr bekam als abschätzende Blicke. Die Worte machten die Romano ganz schwindelig. Ihr Großvater würde von all dem erfahren und sie konnte sich auf ein ernsthaftes Gespräch einstellen. Aber das lag in der Zukunft. Lucien holte Claudia von den Beinen. Der Schoß ihres Kleides fiel bis fast zum Boden, und sie drückte ihr Gesicht an den Hals des Größeren. Claudia-Prinzessin? Erschrocken ließ sich die Feline von ihrem Retter tragen, spürte seine Wärme an ihrer Wange. Beinahe augenblicklich entspannte sie sich in seinem Griff. Die Angst, der Schrecken fiel von ihr ab. Claudia war kein kleines Mädchen mehr. Sie runzelte die Stirn und starrte die rot anlaufende Haushälterin böse an. "Das wird ein Nachspiel haben", sprach sie in ihrer festeten Stimme. Dennoch war sie froh, als die Tür des Büros sich hinter ihnen schloss und sie auf den Gang getreten waren. "Danke", murmelte Claudia, nicht mehr als ein piepsiges Stimmchen, gegen Luciens Kehle und drückte ihn an sich, wobei sie ihm mit den flauschigen Ohren geradewegs im Gesicht herumwackelte. "Tut mir Leid, dass du mich so sehen musstest ..."
Was für eine merkwürdige Situation. Lucien hatte wahrlich nicht damit gerechnet, sich an diesem Tag (in dieser Nacht?) noch einmal so aufregen zu müssen. Immerhin schien seine Ansage zu fruchten, denn die Haushälterin schien kein sinnvolles Wort mehr herauszubekommen. Besser so, denn der werte Ashworth hatte keine besonders große Lust, hier und jetzt noch eine ordentliche Diskussion zu führen. Für solche Angelegenheiten kam man für gewöhnlich zu den üblichen Geschäftszeiten zu ihm, nicht mitten in der Nacht. Er war zwar bereits perfekt, doch auf seinen Schönheitsschlaf wollte er trotzdem nicht verzichten. Das Kätzchen noch immer in den Armen ließ er die olle Glucke einfach stehen, trat an ihr vorbei. Einen letzten Kommentar hatte er aber noch für sie. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen. "Ich würde Ihnen raten, darauf zu verzichten, ein weiteres Mal ohne Ankündigung in unser Zimmer zu treten. Nicht, dass Sie doch noch Dinge sehen, die Sie nicht sehen sollten." Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen warf er der Alten ein Zwinkern zu, ehe er die Tür zum Büro entschlossen hinter sich zu zog. Kaum war das leise Klacken zu hören, seufzte er schwer und langgezogen. "Was war das denn?", grummelte er träge, fast schon wie ausgewechselt. Die Schultern fielen vor, seine gesamte Körperhaltung sackte ein gutes Stück zusammen. Die Maske des selbstgefälligen Milliardärsohns fiel wieder ab. Zwar konnte er seine Rollen zu jeder Zeit spielen, so vertraut waren sie, anstrengend waren sie aber trotzdem. "Schon okay", versicherte er ihr und reckte ein wenig das Kinn, um beim Sprechen nicht die Katzenöhrchen in den Mund zu bekommen. Leisen Schrittes ließ er sich von der Romano zu ihrem Zimmer lotsen, hielt dabei sogar die Klappe. Dabei gab es Einiges, was er gerne gesagt hätte. Auf eine weitere ungeplante Begegnung konnte er allerdings verzichten, weshalb seine Gedanken vorerst eben das blieben: Gedanken. Er hätte niemals damit gerechnet, dass die bisher so schnippisch und selbstsicher wirkende Katze ausgerechnet gegenüber einer Angestellten derart einknickte. Ob es sie einfach eiskalt erwischt hatte? Oder steckte da mehr dahinter? Sicherlich würde er dem noch auf den Zahn fühlen, doch das musste nicht sofort passieren. In ihrem Zimmer angekommen verzichtete er darauf, den Lichtschalter zu betätigen, orientierte sich stattdessen mithilfe des fahlen Mondlichts. Die Feline setzte er auf ihrem Bett ab. Er hatte keinen guten Grund, wieso er sie den gesamten Weg getragen hatte. Ihr Gewicht war gering genug, dass es keine große Anstrengung forderte und irgendwie war es ziemlich niedlich, wie sie sich an ihn lehnte, als wäre er tatsächlich ihr Retter. "Du solltest für dich einstehen, Claudilein", gähnte er, während er die Schuhe von den Füßen kickte, das Jackett von den Schultern rutschen ließ und dann gemeinsam mit der Krawatte wahllos beiseite schmiss. Die Katze erwartete sicher nicht, dass er sich um diese Uhrzeit noch eine M-Kutsche nach Hause organisierte. Und falls doch, hatte sie schlichtweg Pech gehabt. Das konnte sie vergessen. "Insbesondere vor verrückten, alten Schachteln wie die. So viel Scheiße habe ich schon lang nicht mehr gehört." Ohne zu Fragen, als wäre es das selbstverständlichste der Welt, schnappte er sich ein Kissen vom Bett und schmiss es auf den Boden und sich selbst direkt hinterher. Gemütlich sah anders aus, aber besser als im Stehen zu schlafen. "Hast du vielleicht eine Decke für mich?" Das war ja wohl das Mindeste, wenn er schon auf dem Boden übernachten musste. Mit einigen vertrauten Griffen wurden die schwarzen Haare zu einem Dutt hochgebunden, ehe der Kopf endlich im Kissen landete. Er war echt verflucht müde. Die Augenringe, die er morgen garantiert haben würde, würden sowas von sein perfektes Aussehen ruinieren. Ugh.
Lucien brachte Claudia auf den Gang hinaus. Die Wangen der Feline hatten die Farbe reifer Tomaten angenommen. Ihre Gedanken schossen mit solcher Wucht durch ihren Kopf, dass ihr ganz schwindelig wurde. Wieso hatte er sie verteidigt? Weshalb hatte er solche Worte gewählt? Störte es ihn etwa nicht, welchen Ruf er sich damit verschaffte? Die junge Erbin konnte nicht anders, als eine Entschuldigung zu stammeln und sich an den Schwarzhaarigen zu klammern. Er hielt sie scheinbar locker in seinen Armen und besaß die Nettigkeit, ihre Entschuldigung anzunehmen. Wieder erlebte Claudia diese andere Seite an ihrem neuen Freund: Eine beschützende, aufopferungsvolle Facette, die hinter dem gewinnenden Lächeln lauerte. Sicher, womöglich hatte er all das nur getan, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Doch in dem Fall hätte er auch einfach gehen können. Das Weite suchen und all die Folgen auf Claudia abladen. Stattdessen hatte er seinen Namen genannt und ihre Beziehung bestätigt. Die Feline war so überwältigt von dem Freundschaftsdienst, den man ihr erwiesen hatte, dass sie auf dem Weg nichts Anderes hervorbrachte als leise gemurmelte Richtungskorrekturen.
Lucien ließ sie erst los, als er sie auf ihrem Bett absetzte. Einen Moment blieb Claudia einfach auf dem Rücken liegen und starrte die Decke an. Anfangs hatte sie sich gefürchtet, ganz alleine in diesem Zimmer zu schlafen und sich nachts in anderen Räumlichkeiten versteckt. Obwohl ihre Katzenaugen ihr erlaubten, in der Dunkelheit zu sehen, hatte sie in jeder Ecke Monster gesehen. Die Dunkelheit eines fremden Landes. Eines Tages, als sie im Bett lag und um ihre Eltern weinte, hatte die Decke des Zimmers angefangen zu leuchten. Der Sohn ihres Großvaters hatte winzige Lichtlacrima befestigt, um ihr einen Sternenhimmel zu spenden. Vorsichtig legte Claudia eine Hand auf den Stern an ihrer Wange. Die Deckenlacrima waren längst verbraucht und seit ihren zehnten Geburtstag nicht mehr aufgeladen worden, doch man sah die Punkte noch immer. Nicht alle in diesem Haushalt hassten sie. Es gab nette Menschen auf der Welt. Die Lähmung und die Schwere ihres Körpers wich einem überraschenden Tatendrang. Während Lucien sich auszog und predigte, dass sie mehr auf sich achten sollte, tapste Claudia durch den Raum und verschwand hinter einem Raumteiler, um sich ebenfalls ihres Kleides zu entledigen. Im Gegensatz zu dem Ashworth würde sie gewiss nicht in ihrer Abendgarderobe nächtigen. Es gab gewisse Protokolle zu befolgen, bevor sie sich betten konnte! "Sie drückt sich falsch aus, aber in gewisser Weise hat sie schon Recht. Ich bin nicht die leibliche Tochter der Romanos", meinte sie, die Stimme wieder etwas fester, während sie missbilligend das Reispapier aus Sakura Town anstarrte, aus dem der elegante Raumteiler gefertigt war. Sie zog sich das weiße Nachthemd über den Kopf und betrat wieder den Raum mit den großem Himmelbett. Lucien machte es sich auf dem Boden bequem, während die Feline am Kleidsaum zuppelte. Zum Glück interessierte sich der Ashworth nicht für ihr Geschlecht, denn ihr kam das Nachtkleid plötzlich furchtbar kurz vor, die Träger zu offen und der Stoff zu durchsichtig. Normalerweise hatte sie aber auch keine meckernden Jungen bei sich. Erneut schossen Claudias Gedanken zum nächsten Morgen und all den Problemen, die nach der Feier auf sie warten würden. Dann hockte sie sich auf ihr Bett und warf ihre Decke auf Lucien, als wollte sie den Schwarzhaarigen ebenso wie ihre Sorgen begraben. "Hier. Nimm meine." Sie hatte nur eine davon und würde ganz sicher nicht nach einer Bediensteten klingeln, um all das von dem Büro ihres Großvaters noch einmal erleben zu müssen. Also rollte sich Claudia auf ihrer Matratze zusammen und starrte einen Moment in die Dunkelheit des Zimmers, auf Luciens Gestalt. "Ich hoffe du schnarchst nicht", murmelte die Feline und ließ eine Hand vom Bett baumeln, um damit Luciens Dutt anzustupsen, als handele es sich dabei um ein besonders attraktives Fellknäuel. Mit dem Händchen auf dem Bommel schloss auch sie die Augen und spürte, wie die Erschöpfung zurückkehrte.
Fragend zog der Ashworth eine Braue nach oben. Die Art, wie Claudia sprach, gab ihm das Gefühl, dass er von ihrem Geständnis absolut geflasht sein sollte. Doch letztendlich war es nur ein kleines Detail im Leben der Feline, das für ihn nicht von großer Bedeutung war. "Solange du auf dem Papier ihre Tochter bist, ist der Rest vollkommen egal." Wie die Realität aussah, war oft irrelevant, wenn Dokumente und co. etwas anderes behaupteten und letzteres war es, was Lucien wirklich interessierte. Dementsprechend hatte er auch nicht viel mehr als ein halbherziges Schulterzucken dafür übrig, das sie vermutlich eh nicht sehen würde. "Und selbst wenn nicht, wäre es keine Angelgenheit, in die sich eine Haushälterin einmischen sollte, meinst du nicht?" Angestellte waren da, um ihren Job zu erledigen und nicht, um ihre neugierigen Nasen in die Angelegenheiten ihrer Hausherren und -damen zu stecken. In Sachen Beruf und Arbeitsausführung hatte er durchaus engstirnige Ansichten. Sorgen um ihr 'Outfit' hätte sich die Romano nun wirklich keine machen müssen. Nicht allerdings, weil Lucien überhaupt kein Interesse an ihrem Geschlecht hatte, sondern, weil er schlichtweg in der Dunkelheit kaum etwas sah. Es waren nur die groben Umrisse, die er von ihr erkannte. Kurz verfolgten die goldenen Seelenspiegel die katzenähnliche Gestalt, wie sie auf leisen Füßen zum Bett wanderte, das neben leisen Rascheln vom Stoff kein laut von sich gab, als sie sich darauf setzte. Die Decke, die auf ihn zuflog, erkannte er erst, als sie auf ihm landete. "Eeehhhyyy", grummelte er langgezogen, während seine Hände einen Moment lang ziellos umher griffen, um den Rest des Körpers von dem Stoff zu befreien. Sicherlich hätte ein wahrer Gentleman versucht, mit der Dame des Hauses zu diskutieren und sich geweigert, ihr die einzige Decke fortzunehmen. Doch so selbstlos war Lucien dann auch nicht. Sie war alt genug, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und wenn sie wollte, dass er sie hatte, dann würde er es hinnehmen. Beinahe wie ein Burrito wickelte er also den wärmenden Stoff um seinen Körper, bevor er den Kopf wieder in das Kissen fallen ließ. Ein wenig merkwürdig war es schon, in einem fremden Zimmer zu schlafen, jedoch kein Bett ... oder körperliche Gefallen zu teilen. Es fühlte sich eher an wie eine Pyjamaparty oder so. Vermutete er, denn bisher war er noch nicht in den Genuss einer solchen gekommen. "Nö", versicherte er. Das war keine Lüge, schnarchen tat er nicht. Dafür trat, schlug und wackelte er im Schlaf und das schlimmer als eines dieser luftgefüllten Männchen, die so gerne vor M-Kutschenhäusern vor sich hintanzten. Auch vereinzelte Worte waren keine Seltenheit. So war es wohl kein Wunder, dass das Pfötchen der Katze nicht lange auf seinen Haaren blieb. Genauso wenig war es überraschend, dass es ein lautes "Warte!" aus seinem eigenen Mund war, das den Ashworth am nächsten Morgen aus dem Schlaf holte. Kerzengerade hockte er da und blickte auf den fremden Stoff über seinen Beinen, während Traum und Realität sich langsam von einander trennten. Auch sein Herzschlag verlangsamte sich gemächlich wieder. Sämtliche Strähnen hatten sich aus seinem so sorgfältig gebundenen Dutt gelöst und hingen ihm nun quer über das Gesicht ... alles wie immer eigentlich. Was hatte er schon wieder geträumt? Er war noch keine Minute wach und hatte trotzdem bereits einen Großteil vergessen. Nur das üble Gefühl in der Magengegend blieb. Mit einem langen Seufzen ließ er sich zurück auf den Rücken fallen. "Guten Morgen, falls ich dich geweckt habe." Eine Entschuldigung bekam sie dafür jedoch keine. "Oder soll ich ab sofort 'Einen wunderschönen guten Morgen, mein liebstes Schmusekätzchen' sagen?" Für einen kleinen Witz war sich der eigentliche Morgenmuffel nie zu Schade. "Also, wie läuft das jetzt? Ich brauche unbedingt einen Kaffee ... nein, mindestens zwei. Spazieren wir einfach händchenhaltend zu deiner Familie? Wehe du schmeißt mich raus wie eine billige Affäre." Darauf hatte er wirklich keine Lust. Nicht etwa, weil er sich Sorgen machte, was diese Entscheidung für einen Einfluss auf seinen Ruf haben könnte, nein. Falls die Katzendame sich den Deal vom Vorabend noch einmal anders überlegt hatte, war ihm das ziemlich egal. Er wollte verflucht nochmal einfach nur Kaffee. Ohne Koffein im Blut funktionierte bei ihm überhaupt nichts.
Claudia verlebte eine unruhige Nacht. Einerseits fröstelte sie ohne Decke doch unerwartet stark, andererseits zeigte das schuldbewusste Unterbewusstsein der Romano anhaltende, düstere Träume. Mal wurde sie von Strudeln an Lügen und Zweifeln verschlungen, mal stand sie auf einem Podest, umringt von Nachrichtensprechern und stotterte zusammenhangloses Gebrabbel in das Lacrima Mikrophon. Zum Schluss sah sie sich selbst auf ihrem Bett liegen, spürte den Druck eines Körpers, der sie in die Matratze pinnte und sah, wie sich ein formloser Schatten zu einem Gesicht mit spitzen Zähnen und langen Haaren formte. Er öffnete den Mund und war kurz davor, ihr an die Kehle zu gehen. Dann brüllte er jedoch nur, dass sie warten sollte.
Moment. Warten?
Claudia schlug die Augen auf. Ihre Hände tasteten über die Matratze um sich herum, bevor ihr Sichtfeld die Decke über ihr registrierte. Sie hatte sich eingerollt wie eine Katze in einem Körbchen und spürte, wie sich ihr Schweif um einen ihrer Oberschenkel gewickelt hatte, als wollte er sie festhalten. Einen Augenblick lang kamen der Romano die Ereignisse der gestrigen Nacht wie ein Fiebertraum vor, doch dann sah sie mit wachsendem Schrecken anhand ihres kurzweiligen Übernachtungsgastes, dass sie nichts davon fantasiert hatte. Violette Augen weiteten sich und sie griff nach dem Saum ihres Nachthemds, um ihn energisch nach unten zu ziehen und sich so gut wie möglich mit Stoff zu bedecken, so als könnten alleine ein fester Blick Luciens dazu führen, dass spontan Generationen an Halbfelinen gezeugt wurden. Während er sie grüßte, richtete Claudia sich im Bett auf und schaute wie ein Küken, dem man das Brot stibitzt hatte zu dem Ashworth hoch. Ihre Ohren zuckten. Einen Moment lang gaffte sie einfach, dann stammelte sie ein verlegenes "Guten Morgen" hervor und strich sich das lange, hellblonde Haar über die Schultern. Es dauerte kurz, in diesem verletzlichen Zustand, bis ihre Schlagfertigkeit hochfuhr. Doch spätestens Luciens Scherz schüttelte sie aus der Trance. "Urgh, du kannst unmöglich zum Frühstück bleiben. Ich muss schon genug erklären." Claudia krabbelte aus dem Bett und stemmte die Hände in die nicht wirklich vorhandene Hüfte. "Aber Kaffee ... Kaffee klingt sehr gut. Ich schlage vor, wir schleichen uns dort hinaus." Die Feline zeigte auf das große Fenster in ihrem Zimmer, das zu einem kleinen Balkon führte. Von dort aus konnte man - das wusste sie aus Erfahrung - sehr gut an der Fassade und dem Rosengitter nach unten gelangen und neugierigen Augen und Ohren ausweichen. Alleine der Gedanke daran, dass sie mit ihrem Großvater an einem Frühstückstisch sitzen und sich erklären musste, sorgte für einen dumpfen Kopfschmerz hinter den Schläfen. Vielleicht war es allerdings auch der Sekt ... Mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter massierte sich die junge Erbin die Stelle zwischen den Augenbrauen, die sich anfühlte, als würde zum vollen Stundenschlag ein Kuckuck dort herausbrechen. Oder ein Specht. "Du kannst doch klettern, oder? Die ganzen Muskeln sind nicht nur zum Angucken?" Sie streckte eine Hand aus, um den Oberarm ihres neuen Versprochenen (urgh, Hilfe) zu pieken. Eigentlich wusste sie das ja schon, immerhin hatte Lucien sie beim Tanzen problemlos hochgehoben und später durch die Gänge getragen, aber irgendwie half Humor gerade dabei, nicht den Verstand zu verlieren. Ja, Kaffee klang wirklich gut ...
Mit einem amüsierten Schmunzeln beobachtete der Ashworth wie die Feline ihr Nachthemd zurechtrückte und ihn dann anstarrte, als wäre er der schönste Mann der Welt. Wer konnte ihr diesen Blick schon vorwerfen? Es stimmte schließlich, es gab auf dieser Welt keinen hübscheren Mann als ihn. Wenn er sich früh direkt nach dem Aufstehen im Spiegel betrachtete, blickte er genauso drein. "Starren ist unhöflich, weißt du?", erinnerte er sie schließlich, "Und über deine Kleidung brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Claudi-Schätzlein, deine Haut könnte mich auch weiterhin kaum weniger interessieren." Sie sah in dem hübschen Nachthemd wirklich niedlich aus, ja. Das konnte er nicht verneinen. Doch er hatte nicht das geringste Interesse daran, ihr den Stoff vom Leib zu reißen, auch nicht, wenn er einen Blick auf einige Zentimeter ihres unbedeckten Oberschenkels erhaschen sollte. "Meine Güte, ich fühle mich beinahe wie in meiner Jugend. Muss ich mich wirklich durch das Fenster hinausschleichen?" Er seufzte zwar, doch das Schmunzeln auf seinen Lippen machte deutlich, dass er doch einen gewissen Spaß an der Sache hatte. Wann hatte er sich das letzte Mal durch ein Fenster hinausgeschlichen? "Ich hätte zu gerne dem Gespräch mit deiner Familie beigewohnt." Das wäre sicherlich besser als jedes Theaterstück gewesen. Doch die Feline sah bereits aus, als wäre sie mit ihren Nerven vollkommen am Ende, weshalb er gar nicht erst versuchte, sie zu überreden. Ob sie wohl noch immer fertig vom Vorabend war? Oder machte sie sich Gedanken über etwas? Auch er selbst stand der neuen, gemeinsamen Zukunft mit einigen Sorgen im Gepäck gegenüber, doch er gab sich, wie eigentlich immer, zuversichtlich. Seine Eltern würden glücklich sein und ihn endlich in Ruhe lassen. Das war das Wichtigste. "Selbstverständlich kann ich das", erwiderte er mit einem Zwinkern, "Sie sind eindeutig für Beides da." Natürlich genoss er kaum etwas mehr als die Aufmerksamkeit, die sein wohltrainierter Körper bekam. Doch als Magier wusste er natürlich auch, dass eine gewisse Körperkraft für allerlei Situationen wichtig sein konnte - und wenn es nur war, um den Gegner ganz traditionell zu verprügeln. Manchmal war das wirklich die beste Möglichkeit, seinen Frust loszuwerden. Gemächlich zupfte er sich den Zopfgummi aus den Haaren und brachte mit den Händen ein wenig Ordnung in diese, ehe er hinaus auf den Balkon trat. Die Luft war frisch, aber nicht kalt und der Himmel klar. Es würde wohl ein angenehmer Tag werden. "Soll ich voraus und dich unten auffangen wie ein wahrer Gentleman?" Er grinste. Als Katze wusste sie sicher selbst, wie man an der Hauswand hinabkletterte, aber er konnte sich den Kommentar trotzdem nicht verkneifen. So merkwürdig die Situation auch sein mochte, sie eröffnete eine ganze Reihe an Witzen und Spielereien, an denen er etwas zu viel Spaß hatte. "Ich hoffe du weißt, wo es hier in der Nähe guten Kaffee gibt, ich habe keine besonders große Lust, noch ewig umherzuwandern." Mit diesen Worten schwang er sich über das Geländer.
» Crocus Lotus Mo 18 Nov 2024 - 23:17 von Sirviente
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