Typ: Zimmer Besitzer:Mary Baumgardner Beschreibung: Dieses kleine Zimmer recht weit am Anfang des Ganges (und damit in der Einflugschneise so ziemlich jeder Person, die schlafen gehen will, was ein Glücksgriff) beherbergt Mary Baumgardner, eines der Mitglieder der Gilde Satyrs Cornucopia.
Im Grunde genommen handelt es sich bei dem Zimmer eher um einen Schuhkarton als eine Übernachtungsmöglichkeit; es mag der Eindruck entstehen, man hätte die arme Bewohnerhin aus Versehen in die Abstellkammer gepfercht. Tatsächlich ist der Grundriss des Zimmers eher schmal und lang als breit und geräumig, so dass sich das Bett, der Schreibtisch mit dem Stuhl und die Schrankkommode ziemlich aneinander quetschen. Abgesehen von einer Lichtquelle und einem Fenster, das zusätzliche Wandfläche frisst, verfügt der Raum jedenfalls über keine großen Attraktionen neben der Tatsache, dass er zumindest "bewohnbar" ist. Die Abwesenheit von persönlichen Gegenständen die spärliche Möblierung lassen darauf schließen, dass Mary erst seit Kurzem hier residiert. Oder sie ist einfach sehr langweilig.
Changelog: Wenn sich im Verlauf des Rollenspiels etwas an dem Ort ändert, wird es hier aufgeführt.
Zuletzt von Mary am Fr 5 Jan 2024 - 23:01 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Mit dem fischgesichtigen Maenorwangen in den Händen über das Bett gebeugt, betrachtete Dr. Baumgardner aufmerksam, ob es in den meist frech blitzenden Iriden des Sonnensprosses etwas gab, was sie als bedenklich einstufen würde. Erfahrungsgemäß saß bei dem Guten der Schalk ja nicht nur im Nacken, sondern auch in den Äuglein, Mary suchte aber eher nach Entzündungen oder Fremdkörpern. Dabei dachte sie einerseits darüber nach, dass ihr Pflanzenfreund wirklich ziemlich verantwortungslos war, mit einer solchen Einschränkung nicht direkt zu den Medizinern der Gilde zu gehen, sondern zu ihr - war fast ein Zungenschnalzen wert, das ihrer Urgroßmutter alle Ehre gemacht hätte! - und zweitens, dass es so viele Dinge gab, die sie an Maenor einfach nicht verstand. Er war eine seltsame Mischung aus Gewöhnlichkeit und übernatürlicher Gestalt. Die warmen Wangen in ihrer Hand, seine Präsenz, seine Stimme und sein generelles Wesen waren außergewöhnlich, aber nun auch ... gewöhnlich. Er schien ein Mensch wie jeder andere zu sein und fühlte sich auch so an, doch dann erzählte er wiederum davon, dass ein Gott sich mit ihm unterhielt. In seinen Träumen. Es war diese Gratwanderung zwischen normal und übernatürlich, die Maenor zu einer unglaublich faszinierenden Person machte, auch wenn Mary natürlich auch seiner fröhlichen und einnehmenden Persönlichkeit etwas abgewinnen konnte. Entsprechend war die Sorge durchaus ernstgemeint, die sie da äußerte, denn als Lehrmeister und Freund bedeutete ihr der Sonnenanbeter durchaus etwas.
Dennoch ließ sie ihn bereitwillig ziehen, als er ihrem Griff entschlüpfte und nickte bestätigend. Das gequetschte Nuschelgetuschel hatte sie nicht wirklich verstanden, aber dass er einen Arzt aufsuchen würde, fand sie angemessen. Natürlich, so als hätte Maenor Gedanken gelesen, würde sie ihn dorthin begleiten. Da hatte er sich schon dadurch, dass er bereitwillig zugegeben hatte sich am Zimmer geirrt und jemanden für sie gehalten zu haben sein eigenes Grab geschaufelt. Sie würde nicht zulassen, dass er in die Hallen der Freiheit taumelte oder gegen irgendwelche Holzbalken klatschte. Leicht gegen die Sonne anblinzelnd, auch wenn sich ihre Augen durch intensives Training allmählich an ungewöhnliche Helligkeit gewöhnten, setzte sich nun Mary auf ihr Bett und faltete die Hände im Schoß. Das vom Fenster einfallende Licht setzte den Gottessohn strategisch mit einem Strahlenkranz in Szene und verhinderte, dass die Baumgardner allzu viel von seinen Gesichtszügen erkannte. Der dumpfe Verdacht keimte in Mary, dass das wohl durchaus Absicht war, doch sie ließ das Thema erst einmal ruhen und runzelte die Stirn ob der Neuigkeiten, die er da äußerte. Gut, er wollte also noch einmal ihre Hilfe. Die war sie bereitwillig zu geben, solange er sich vielleicht ein winziges bisschen mehr um seine Gesundheit kümmerte ... Eine Godslayerin? Nun, das Thema hatten sie bei ihrer letzten Begegnung bereits einmal angeschnitten. "Deine Schwester, also?", erfolgte die sanfte Nachfrage der Lichtmagierin. Dabei ging der Blick kurz zum Familienfoto an der Wand ihres Zimmers. Familie war der Baumgardner enorm wichtig, wie vermutlich mittlerweile jeder wusste, der länger als ein paar Minuten mit ihr auskommen musste, also hatte Maenor auf jeden Fall Marys Interesse geweckt. Nur dass nicht alle Godslayer vom gleichen Gott kamen, verstand sie noch nicht so ganz ...
Ja, Maenor war einfach Maenor. Bei dem jungen Mann handelte es sich um jemanden, der einfach frei heraus sagte, was ihm durch den Kopf ging – ob das auch angemessen und passend zur jeweiligen Situation war, sei mal dahingestellt. Für gewöhnlich wanderte er durchs Leben ohne sich großartig den Kopf über Dinge zu zerbrechen, was nach außen durchaus den Eindruck erwecken mochte, dass er über kein großes Verantwortungsbewusstsein verfügte. Was auch in irgendeiner Art und Weise stimmte. Jedenfalls gab der braunhaarige Magier in regelmäßigen Abständen viel Unsinn von sich, was meist für Lachen, Kopfschütteln oder Stirnrunzeln sorgte – manchmal separat, manchmal aber auch in Kombination. Und seine flapsigen Kommentare und unüberlegten Sprüche sorgten oft dafür, dass sich Menschen überrumpelt fühlten. Der Fice hingegen war recht schlagfertig und hatte in den meisten Fällen einen flotten Spruch auf Lager, mit dem er seine Unsicherheit überspielen und die meisten Aussagen kontern konnte … doch hier und jetzt, war es Mary Baumgardner gelungen, diese Mischung aus wandelndem Clown und Wasserfall sprachlos zu machen. „Meine … was?“, gab Maenor höchst verdattert von sich und blinzelte die kleinere Magierin verwirrt an, die sich indes auf ihr Bett niedergelassen hatte. In einem Rollentausch ließ sich der junge Mann hingegen auf ihrem Schreibtischstuhl nieder und blickte seine Gildenkollegin höchst verwirrt an. Also, nochmal von vorne. Soeben offenbarte ihr der exzentrische Magier, dass er endlich seinesgleichen getroffen hatte, sogar eine Frau. Eine Godslayerin. Die Art und Weise, wie der Lichtgodslayer mit dieser Information herausgerückt war, deutete doch daraufhin, dass er an dieser Frau interessiert war. Wie um alles in der Welt kam die Baumgardner jetzt auf die Idee, dass es sich dabei um seine Schwester handelte? „Wie um alles in der Welt kommst du darauf, dass diese Godslayerin meine Schwester sei?“, erkundigte er sich mit einem eulenhaften Gesichtsausdruck, als er die Sprache zurückgewonnen hatte. „Ich teile dir mit, dass ich meinesgleichen getroffen habe und ich sie interessant finde, und du versuchst mich hier zum Redneck zu machen? Dabei dachte ich, dass der Osten des Landes das Alabama Fiores sei.“, teilte er ihr lachend mit, seine übliche Flapsigkeit und Selbstsicherheit an den Tag legend. Was auch immer diese Aussage bedeuteten sollte. Aber wann hatten die Worte des Fice jemals einen tieferen Sinn ergeben?
Sich die Frage von Mary nochmal durch den Kopf gehen lassend, lachte Maenor leise und kopfschüttelnd vor sich hin. Bei Ra, wie kam man auf so eine Schlussfolgerung? Und er dachte, dass er der Scherzkeks war … offensichtlich hatte die gute Mary auch einen interessanten Sinn für Humor. „Nein, sie ist sicher nicht meine Schwester. Ich habe sie schließlich noch nie zuvor gesehen. Außerdem wurden wir von unterschiedlichen Göttern aufgezogen.“, stellte er klar und warf der Baumgardner einen belustigten Blick zu. Dass er dabei von der Erziehung durch Götter sprach, als ob es das normalste der Welt sei, war dem Fice natürlich nicht bewusst. Er kannte es nicht anders und war sich nach wie vor nicht dessen bewusst, dass nicht jeder so offen darauf wie Cassandra oder Thana reagierten. Und wenn er ehrlich war, dann juckte es ihn auch nicht wirklich, was man von ihm dachte oder ob man ihm glaubte. Schließlich erstarb das Lachen und Maenor blickte die blonde Lichtmagierin mit einem Hauch von Ernsthaftigkeit an. „Wie macht man das hier in Fiore, wenn man jemanden interessant findet und mehr über sie erfahren möchte? Erlegt man hier auch ein Monster und schickt ihr den Kopf als Trophäe zu?“, fragte er Mary mit ernstem Gesichtsausdruck. „Ich kann doch nicht einfach schreiben: Hey schöne Runenritterin, danke nochmal für die Rettung vor dem Seeungeheuer beim letzten Mal. Übrigens würde ich gerne mehr über dich erfahren. Und über deinen Ziehvater auch. Das klingt doch super lame. Und was dann? Lade ich sie zu mir ein? Ich kann doch gar nicht richtig kochen… Hilf mir bitte, Mary! Du weißt doch sicher, wie so etwas hier funktioniert, oder?“, bat er seine jüngere Gildenkollegin um Rat und deutete damit zumindest an, dass er nicht mit den fiorischen Gebräuchen vertraut war. Die Frage war doch, ob die Baumgardner diese Aussage so interpretierte, dass seine Wurzeln außerhalb Fiores lagen. Zeitgleich quasselte er wie ein Wasserfall weiter und bombardierte die Lichtmagierin mit Information über Information. Nebelkerze erfolgreich gezündet, was?„Denkst du, ich sollte ihr auch einen Brief schreiben? Könntest du mir dabei bitte auch helfen?“ Damit konnte Maenor doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sowohl Cassandra als auch Helena einen Brief schreiben. Oder besser gesagt, einen Brief von seiner Gildenkollegin schreiben lassen, da er ja gerade Probleme mit seinen Augen hatte. Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn war eben ziemlich schmal…
Während Maenor verbal auf möglicherweise existente vierte Wände einschlug, glubschte Mary den Göttersohn des Lichts an wie ein Fisch, der die verzerrten Umrisse eines Aquariumsbesuchers zu deuten versuchte. HÄ? Die Lippen der Baumgardner waren leicht geschürzt, was man bei ihr sowohl beim Nachdenken als auch beim Ausdruck von Missbilligung beobachten konnte, doch wo genau sich Mary auf diesem Gefühlsspektrum befand, das war noch nicht ganz sicher. Wie der übliche Wasserfall quasselte Maenor vor sich hin und machte hier einen Terz, als könnte die Lichtmagierin nur aufgrund weniger Brocken wissen, dass es ihm hier um Romantik ging! Die Hände auf die Knie gelegt und den Kopf in Schräglage gebracht, musste Mary erst einmal mit der Information klarkommen, dass es mehrere Götter gab und nicht alle Godslayer miteinander verwandt waren. Über diese eigenartige Sorte Mensch wusste sie nun einmal nur, was Maenor ihr erzählte und das hielt sich in Grenzen, da er ja lieber über seine kaputten Augen sprach! Die ihrigen, goldenen, kniffen sich leicht zusammen und sie offenbarte ein verständnisvolles Nicken. Mit einem kurzen Satz fasste sie dieses heikle Thema zusammen: "Achso. Du bist also verliebt!"
Für Mary, die behütet auf einem idyllischen Bauernhof aufgewachsen war, der weitab von großen Städten lag und ein hinterwäldlerisches und friedliches Leben genossen hatte (aber dennoch keinen roten Hals aufwies!), waren solche Fragen recht simpel. Liebe war eine große Sache: Sie hatte sie zwischen ihrer Großmutter und ihrem Großvater gesehen, zwischen ihren Eltern und natürlich auch in diversen Büchern davon gelesen. Mary selbst war zwar eher pragmatisch veranlagt, aber auch ihr doch recht weiches Herz konnte von einer besonders schnulzigen Geschichte erweicht werden. Da sie überdies noch recht jung war und die Schattenseiten der Romantik bisher an ihr vorübergezogen waren, hatte sie ein recht verklärtes Bild. Insofern ging Mary nicht davon aus, dass Maenor sich für irgendwelche schlagkräftigen Argumente seines gottgleichen Ebenbildes interessierte, sondern einen wachen Geist kennen gelernt hatte, dem er Hals über Kopf verfallen war! Die Augen der Baumgardner wurden groß und sie setzte sich noch etwas gerader auf, als Maenor sie erneut um Hilfe bat. Dafür ließ sie sogar die Sache mit den anderen Göttern ziehen, denn sie hatte nun keine Zeit, dass ihr schon wieder das Weltbild von dieser Pflanze von Person zerschmettert wurde. Es ging hier um Liebe oder Tod, jawohl!
"Also normalerweise versuchst du erst einmal herauszufinden, was sie mag. Wenn es Monsterköpfe sind, dann wäre das vielleicht eine gute Geschenkidee ... Aber Süßigkeiten sind meistens eine sichere Wahl." Immerhin ging es da ja doch eher um die Geste als um den Inhalt - man zeigte, dass man sich für das Gegenüber interessierte und zuhörte. Mary wollte zwar nichts von Maenor, aber auch sie hörte zu und war einen Moment abgelenkt von seiner seltsamen Formulierung, wie man das in "Fiore" machte. Er kam also woanders her? Vage war Mary bewusst, dass es jenseits des Königreiches noch andere Länder gab, doch von solchen hatte sie zuvor noch nie gehört. Ah, das war auch interessant, aber ... Nein! Sie musste helfen! "Seeungeheuer? Also das, was du vorschlägst klingt eigentlich gut. Du solltest ehrlich sein und schreiben, was du im Herzen spürst, dann wird sie sicher antworten." Darauf legte sie den Kopf noch etwas schiefer. Blonde Haare begannen sie an den Armen zu kitzeln und sie hatte selbst etwas von einer Eule, als sie kurz die Augen schloss und versuchte, sich einige Szenarien im Geiste vorzustellen, die vielleicht zu Erfolg führen mochten. "Lad sie doch in ein Lokal ein, dann musst du nicht kochen oder Gastgeber sein und kannst dich mit ihr unterhalten. Außerdem ist es nicht anständig, wenn ein Mann und eine Frau einfach so bei einem der beiden Zuhause sind ..." Insofern frevelte Maenor auch gerade hier in diesem Schuhkarton von Zimmer gegen den guten Anstand von Uromi Baumgardner, aber was sie nicht wusste, sorgte nicht dafür, dass der Schlappen der Schande durch Südfiore segelte ... "Natürlich helfe ich dir beim Schreiben!"
Nein, Maenor hatte noch keinen wachen Geist wie ihn gefunden. Und auch keinen schlafenden Geist. Generell hatte er noch nie Geister zu Gesicht bekommen, aber das war ja auch gar nicht das Thema. Beim Fice handelt es sich um einen Freigeist, der das Leben in vollsten Zügen genoss und nichts sonderlich ernst nahm. Kaum hatte er Mary also sein Anliegen erklärt, beobachtete er seine blonde Gildenkollegin in Erwartung irgendeiner Reaktion, die sogleich erfolgte. Mit einem verständnisvollen Nicken teilte sie ihm mit, dass er sich … verliebt hatte? Verdutzt blinzelte er die kleinere Magierin an. Ja, der Fice fand Helena attraktiv, keine Frage. Niemand mit Augen im Kopf hätte verneinen können, dass es sich bei der Godslayerin um eine attraktive Person handelte. Sein Interesse wurde zusätzlich aufgrund ihrer göttlichen Herkunft und ihres göttlichen Ziehvaters gesteigert. Allerdings handelte es sich bei ihr nach wie vor um eine Runenritterin, sodass er nach wie vor vorsichtig sein sollte. Aber selbst wenn man all diese Informationen außer Acht ließ, kannte er die junge Frau gerade mal einen Tag. Wie konnte man davon ausgehen, dass er sich in so kurzer Zeit Hals über Kopf in jemanden verliebt hatte? Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte der junge Mann die Baumgardner an. „Ich bin von deinen Kombinationsfähigkeiten zwar ziemlich beeindruckt, aber bevor du hier die Hochzeitsglocken läutest, schalt‘ mal einen Gang herunter. So weit sind wir noch nicht.“, beschwichtigte er die Lichtmagierin mit einem Hauch von Trockenheit in der Stimme und bremste etwas ihre romantische Vorstellung von … naja Romantik halt. Au Backe, in was ritt er sich jetzt schon wieder rein? Dabei hatte er doch nur eine Nebelkerze zünden wollen, um von seinen schlechten Augen abzulenken…
Im Geiste stellte sich Maenor vor, wie er Helena in der linken Hand einige Süßigkeiten und in der rechten Hand den Kopf eines getöteten Monsters entgegenhielt. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, dass die furchtlose und heldenhaft agierende Marinakis sich für das Geschenk in der rechten Hand entschieden hätte. Aber wo bekam man auf die schnelle ein Monster her, welches er jagen konnte? Und wie sorgte er dafür, dass der abgetrennte Kopf nicht barbarisch stank, wenn er ihn ihr überließ? Hmm, naja egal. Das war ein Problem für Zukunfts-Maenor mit vielen Grüßen von Gegenwarts-Maenor. Indes bemühte sich die blonde Lichtmagierin, um Ideen für eine mögliche Verabredung zu sammeln. Gerade wollte er eine Einladung in ein Restaurant verneinen – wer war er denn, Krösus?! – als ihm die Jungmagierin ernsthaft mitteilte, dass es nicht anständig war, wenn Mann und Frau einfach so beisammen in einer der zugehörigen Wohnungen waren? „Aber danach ins Hotel ist in Ordnung, oder?“, erkundigte er sich zunächst mit ebenso ernster Miene bei seiner Kollegin, ehe er laut auflachte. „Du meinst so anständig wie die zwei Magier, die sich aktuell in diesem Heim aufhalten?“, fragte er mit einem Schmunzeln nach und neckte seine Kollegin damit ein wenig. Oh, die gute Mary hatte ja ein wirklich unschuldiges Bild von der Welt! „Keine Sorge, ich lade Frauen erst nach der dritten Verabredung zu einem Kaffee zu mir nach Hause ein. Ich lasse nicht einfach so jeden bei der erstbesten Gelegenheit in mein Heim kommen.“, witzelte er weiter und zeigte dabei mit einem schalkhaften Grinsen auf das Zimmer, in welchem sie sich befanden. Es war durchaus lustig, die blonde Lichtmagierin ein wenig aufzuziehen, aber alles Gute musste mal zu einem Schluss kommen. „Spaß beiseite, aber leider wird es mir nicht möglich sein, in ein Restaurant zu gehen. Aber dafür habe ich eine andere Idee, und zwar … ein mysteriöses Abenteuer.“, beendete Maenor den Satz mit einem verschwörerischen Flüstern. Mit einem Mysterium? Was er wohl vor hatte?
Bevor der Schlappen der Schande über Mary und/oder Maenor hereinbrechen und sie ihrer gerechten Strafe zuführen konnte, stand der junge Mann auf und begann in dem kleinen Raum umherzulaufen, während er in Gedanken die Worte durchging, die Mary zu Papier bringen würde. *Ich hab’s!* Die entsprechenden Worte im Geiste zurechtgelegt, wandte er sich wieder seiner Kollegin zu. „Okay, schreib bitte mit: Hallo schöne Runenritterin, ich danke dir nochmal für die Rettung vor dem Seeungeheuer auf unserer letzten Quest. Die Umstände haben dazu geführt, dass wir unsere Unterhaltung nicht beenden konnten. Ich möchte gerne mehr über dich erfahren, also was hältst du von einem weiteren Abenteuer Unterwasser? Zwar wirst du dann eine Weile lang nicht meine Stimme vernehmen können, doch verspreche ich, bis dahin der Unterwasserzeichensprache mächtig zu sein. Und anschließend kann ich für eine Stärkung in Form einer südfiorischen Spezialität sorgen. Um was es sich genau handelt, wirst du erfahren, wenn es so weit ist. Mit sonnigen Grüßen aus dem Süden, M.F. Und, hast du alles mitgeschrieben? Was denkst du?“, fragte der junge Mann seine Gildenkollegin mit Stolz in der Stimme. Hoffentlich hatte sie keine Sauklaue! Aber Maenor konnte sich für seine Ideen selbst auf die Schulter klopfen. Unterwasser konnte er zwar nicht sprechen, dafür brauchte er sich auch nicht zu verhüllen. Und Helena konnte sehr wohl sprechen! Außerdem war dieses Unterwasserabenteuer echt Wahnsinn gewesen, weshalb er unbedingt auf ein weiteres gehen wollte. Blieb nur noch die Thematik der südfiorischen Spezialität. „Du Mary, könntest du mir eventuell, unter Umständen, vielleicht beibringen, wie man etwas Südfiorisches kocht?“, druckste der braunhaarige Magier etwas herum, ehe er schließlich auf den Punkt kam. Mal sehen, was die Gute wohl von seinem Brief und seiner Bitte hielt. Da er ja nicht lesen konnte, wäre er auch nicht in der Lage zu sehen, ob die Baumgardner wirklich seinen Worten folgte oder sie ihrer eigenen Kreativität freien Geist ließ. An ihrer Stelle hätte sich der Fice sicherlich einen kleinen Schabernack nicht verkneifen können…
In Süd-Fiore wurden Feldfrüchte für das restliche Königreich angebaut, was dem Landstrich den Titel als "Kornkammer" verliehen hatte. Umso passender war es also, dass Maenor die einzigartige Gelegenheit bekam, die Farbpalette der erntereifen südfiorischen Tomaten zu bewundern, die Mary ihm unter Zuhilfenahme der Blutgefäße in ihrem Gesicht präsentierte. Kurz: Die Baumgardner lief knallrot an, öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch und hob die Hände, um das Gesicht zu verdecken. Auf den dunklen Wangen der Jugendlichen hätte man nun ein Spiegelei braten können, und es fehlte nicht mehr viel, dass ihr Dampf aus den Ohren blies. Das Problem war hier nicht nur, dass Maenors Scherze recht zielsicher in eine große Unsicherheit der Lichtmagierin bohrten, sondern auch, dass sie tatsächlich nur wenig Ahnung davon hatte, was bei solchen Dingen eigentlich ablief. Ganz nach dem Motto, dass Unwissenheit ja grundsätzlich die Fantasie anregte, starb Mary also gerade eine Million Tode, während sich ihr lichtanbetender Freund amüsierte. Es hätte ja durchaus gereicht eine Nebelkerze zu zünden, aber um bei der Metapher zu bleiben, hatte er ihr gerade eher die komplette Sonne ins Zimmer geholt, die Mary nun zu einem knusprigen Häufchen Asche weggrillte. "I-i-i...", stammelte die hervor und schaute dabei abwechselnd den nomadischen Zimmerwanderer vor sich und ihre Hände an, die zuvor noch an seine Wangen gelegen hatten. Stimmt ja, er war in ihrem Zimmer UND sie hatte ihn angefasst. Und sie hatten sogar, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten, auf ihrem Bett gesessen. Tja, da man ja offenbar durch Osmose schwanger wurde, durfte der Lichtgottessohn nun bei seiner ohnehin schon schwierigen finanziellen Situation auch noch Alimente abdrücken, nicht wahr? Aber nein, halt. Mary schüttelte den Kopf, glubschte Maenor noch immer an, als habe er sie gerade flötend in den Abgrund gestoßen, und verengte die Augen, als er ihr eröffnete, dass er nur Spaß machte. Wie konnte dieser Typ nur so mit dem Herzen einer Frau spielen?! Einen Moment lang überlegte Mary, ob sie eine reelle Chance hatte, ihn mit einem ihrer Kissen zu ersticken, verwarf solche Mordgelüste aber wieder, da er ihr ja versproche hatte, ihr bei der Lichtmagiesache zu helfen. Dass sie momentan vor allem ihm nützte und irgendwie zu seiner Sekretärin geworden war, bemerkte sie nicht.
"Warte!" Mary hechtete an ihm vorbei zu ihrem Schreibtisch und fischte ein Blatt Papier plus Tintenschreiber hervor, um die romantischen Ergüsse des Maenors auf Papier zu bringen. Sie hatte schon die Hälfte zu Papier gebracht, als ihr auffiel, was er ihr überhaupt diktierte. Unter Wasser? Zeichensprache? All das kam der Baumgardner doch recht kurios vor und sie nahm sich fest vor, nach Details zu fragen, doch dann kam da der Satz mit der südfiorischen Spezialität und ihr schwante Übles. Maenor konnte nicht kochen und offenbar auch kein Restaurant aufsuchen (wieso auch immer?), also gab es eigentlich nur eine logische Konsequenz, nämlich, dass sie ...
„Du Mary, könntest du mir eventuell, unter Umständen, vielleicht beibringen, wie man etwas Südfiorisches kocht?“ Mary schürzte die Lippen und blickte von ihrem Zettel auf. Die Schrift war hübsch und gerade, eine deutlich leserliche, aber eben auch ohne Zweifel feminine Schrift. Aber das war ja nicht ihr Problem. Die goldenen Augen der Lichtmagierin starrten Maenor an, und sie schnaufte, als sie seine unfassbare Dreistigkeit bemerkte, ihr Zimmer zu entweihen, sich vorlesen zu lassen, sie einfach so zu seiner Protokollistin zu machen und jetzt sollte sie auch noch für sein Date kochen? Man mochte fast spüren, dass in diesem Moment dunkle Schwaden aus Mary hervorkamen und das Sonnenlicht im Zimmer etwas schwächer wurde. Einige geschlagene Augenblicke starrte sie diesen jungen Mann einfach nur an, dann klatschte sie ihm den Zettel vor die Brust und riss ihre Zimmertür auf. Offenbar hatte sie genug. Mit einer auffordernden Bewegung deutete sie auf den Ausgang zum größeren Gang der Gildenhalle. Sie würde sich hier nicht ausnutzen lassen! Maenor war zwar ihr Freund, aber selbst die Baumgardner hatte irgendwo eine Grenze, also würde sie nun entschlossene und bestimmte Worte finden, damit das hier gar nicht erst zur Gewohnheit werden konnte!
Es gab wenige Dinge auf der Welt, die Maenor Fice derart erheiterten, wie Mitmenschen aufs Glatteis zu führen und sie hops zu nehmen. Genau so, wie er es just bei Mary getan hatte, die indes rot wie eine Sriracha-Soße angelaufen war. Mit einem breiten Lächeln beobachtete er die völlig überforderte junge Frau vor sich, die gar nicht wusste, was sie mit sich machen sollte. Mit hochrotem Gesicht blickte sie sich zunächst im Zimmer um, ehe sie etwas vor sich hinstammelte und schließlich noch ihre eigenen Hände begutachtete. Offensichtlich hatte der Fice hier einen Nerv getroffen! Generell konnte man von den Aussagen der Lichtmagierin schließen, dass sie ein Stück weit prüde war, was dieses spezielle Thema anging. Allerdings war sie auch ein paar Jährchen jünger als er selbst, sodass er Nachsicht mit ihr hatte und nicht nochmal nachtrat, indem er weiter auf dem Thema herumritt. Anders als der braunhaarige Magier, war die blonde Jungmagierin ja im behüteten Süden von Fiore aufgewachsen und nicht etwa ihr halbes Leben lang mit einem ziemlich verantwortungslosen Gott durch die Reiche gereist, wo sie die eine oder andere Erfahrung aufgeschnappt hatte. Wie ein wahrer Gentleman, schwieg der Lichtgodslayer einfach und genoss das Schauspiel der peinlich berührten Baumgardner.
Die flammenfarbenen Seelenspiegel beobachteten kurz seine kleinere Gildenkollegin, während diese eifrig seine Worte niederschrieb, ehe sie wieder im kleinen Raum umherschweiften. In Gedanken stellte sich Maenor nun seinem nächsten Problem: Dem Versand des Briefes. *Hmmm.* Warum sich der junge Mann nun darüber den Kopf zerbrach? Ganz einfach, denn wenn er den Brief verschickte, musste er auch seine Adresse hinterlegen. Das bedeutete wiederum, dass die Spur zu ihm zurückgeführt werden konnte, was möglichst zu vermeiden war. Genau aus diesem Grund hatte er auch nicht vor - anders als bei dem noch zu verfassenden Brief an Cassandra - Helena im Brief seine Adresse zu verraten. Falls sie antworten sollte, würde sie ihre Antwort an das Gildenhaus von Satyrs Cornucopia adressieren müssen. Doch bevor es dazu kam, musste die Godslayerin den Brief ja auch irgendwie erhalten. Den Brief in Crocus Town persönlich zu übergeben, kam auch nicht infrage - für nichts in der Welt würde er sich in die Höhle des Löwen aka das Hauptquartier der Rune Knights begeben. Wo kam er denn hin?! Aber ... könnte er diesen Brief nicht durch eine dritte Person übergeben lassen? Damit stellte er sicher, dass der Brief ankam, ohne dass die Runenritter direkt von seiner Adresse erfuhren. *Jaaa, das könnte funktionieren!*
Kaum hatte Maenor seine Lichtkumpanin um einen Nachhilfekurs beim Kochen gebeten, blickte sie ihn eindringlich an. Ui, was war denn jetzt los? Im nächsten Moment überraschte ihn Mary, als sie ihm mir nichts, dir nichts, das Schreiben auf die Brust klatschte, die Tür aufriss und nach draußen auf den Gang zeigte. Verdattert blickte der Fice die junge Frau an und fragte sich willkürlich, ob er es mit seinem Schabernack zu weit getrieben hatte. Gerade wollte der junge Mann noch einen flapsigen Spruch von sich geben, um die angespannte Situation ein wenig zu entspannen, als die Baumgardner diese von sich aus auflöste. "Dann mal auf zur Küche." Puh, eine Welle der Erleichterung überkam Maenor, was sich in einem breiten Lächeln auf seinem Gesicht erkenntlich machte. "Super! Was kochen wir denn?", erkundigte er sich bei seiner Gildenkollegin, als er neben ihr herschritt und sie Beide zielstrebig in Richtung der Gildenküchen liefen. "Danke auch für den Brief, ohne dich hätte ich das niemals geschafft!" Oh ja, wahre Worte. Wenn Mary nur gewusst hätte, wie wahr diese Worte wirklich waren... "Übrigens müssten wir noch Cassandra schreiben, sonst findet sie ja meine Wohnung nicht. Aber das können wir ja noch später machen. Dafür hast du echt was gut bei mir! Falls also irgendwo der Schuh drückt oder du dir was wünschen solltest und ich mich revanchieren kann, lass es mich einfach wissen!", sprach er mit einem breiten Lächeln zur Jungmagierin. Oh ja, war er nicht herzallerliebst? Ironie off.
Wenigstens einer hier hatte Spaß ... Mary qualmte noch die Birne, als sie gemeinsam aus dem Zimmer der Baumgardner traten. Vorsichtig linste sie erst zu einer, dann zur anderen Seite, ob irgendein plötzliches Gildenmitglied mitbekam, dass da nicht nur sie, sondern auch der Maenor das Zimmer verließ. Nicht, dass sie sich etwas vorzuwerfen hatte, aber man wollte ja auch keine Gerüchte irgendeiner Art streuen ... Bloß dumm, dass Mary nicht realisierte, dass sie hier nicht mehr auf dem Land war, wo alte Frauen ihre Perlen ergriffen, wenn sie eine einzige Berührung sahen, sondern in einer liberalen Künstlerstadt und einem noch viel liberalerem Künstlerhaus der Künstlergilde. Wo es mehr oder weniger zum Alltag gehörte, sich für diverse Zeichnungen und Anatomiestudien Modell zu stehen, war man eher weniger prüde. Es würde noch eine Weile dauern, bis man das Landei aus Mary gepellt hatte ... Niemand war auf dem Gang. Sehr gut. Maenor lauschend, runzelte die Lichtmagierin beim Laufen die Stirn. "Erzähl mir mehr über sie - was war das mit den Seeungeheuern unter Wasser? Meinst du, sie würde gerne Meeresfrüchte essen?" Im Geiste ging Mary ein paar fischhaltige Gerichte durch, die sie Maenor zutraute, blieb aber auch offen für andere Möglichkeiten. Dazu musste sie natürlich vor allem wissen, ob der Fice zu irgendwelchen kulinarischen Leistungen fähig war oder die Tatsache, dass er sich sein Essen normalerweise kaufte von aufrichtiger Unfähigkeit rührte. Zur Not bekam er sicher ein paar Eier gebraten und Reis gekocht ...
Als sie die Gemeinschaftsküche der Satyrs erreichten, nickte Mary. Nicht etwa zur Tür, sondern nach hinten, rang sich sogar ein Lächeln ab. Immerhin - und das mochte sie Maenor zu Gute halten - bedankte er sich bei ihr. Außerdem ging die Baumgardner davon aus, dass er ihr im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr wohl helfen würde, wenn sie etwas brauchte, nur konnte sie sich nicht so recht vorstellen, was sie abgesehen von den ohnehin schon arrangierten Magietipps denn von ihm wollen könnte ... Na ja, ein Gefallen war immer gut! "Keine Ursache! Wir suchen ein Gericht aus, dann schreibe ich dir das Rezept auf." Mary wusste ja nicht, dass er damit genau nichts anfangen konnte ... Auch wenn sie allmählich ein gewisser Verdacht beschlich, so wenig zügig der vergnügte Maenor zum Arzt wollte. Dafür, dass er sie nicht erkannt zu haben schien (eigene Aussage!), rannte er jetzt nicht gerade gegen sämtliche Türen und Fenster. Kurios.
In der Küche angekommen, stellte Mary fest, dass sie zwar nicht alleine waren, die Anwesenden sich aber in Grenzen hielten. Jemand in der Ecke platzierte gerade Früchte auf eine mehrstöckige Torte und grüßte freundlich nickend, ein anderes Mary unbekanntes Gildenmitglied war an einem der Herde zu Gange und schien einen deftigen Eintopf zu produzieren, dessen Inhalt seltsamerweise regenbogenfarben funkelte und blitzte. Mary nickte auch jener freundlich zu und nahm dann Aufstellung an einer der Theken, um ein Brett und ein Messer hinzulegen. Danach trat sie an den großen Vorratsschrank, der allerlei Materialien für die Zubereitung von künstlerischen und gewöhnlichen Speisen enthielt (und zu dem Mary regelmäßig beitrug!) und fischte nach verschiedenen Zutaten. Gerade hielt sie in einer Hand eine große, runde Fleischtomate, als ihr ein Gedanke kam. "Sagmal, Maenor ...", fragte sie leise, bedeutete dem Godslayer, näher zu rücken, "kennst du jemanden namens Hyun?" Je nachdem, ob Maenor gerade seine aufmerksamen fünf Minuten hatte, mochte er erkennen, dass Mary dabei einen Gesichtsausdruck zeigte, den sie bisher noch nicht vor dem anderen offenbart hatte und allgemein selten zeigte: Furcht.
Ja, anders als Mary, zerbrach sich Maenor generell sehr selten den Kopf – außer, sein eigener stand auf dem Spiel. Es war dem jungen Mann völlig egal, welches Etablissement oder Raum er mit welcher Person auch immer er verließ. Das Schamgefühl war ihm in den Jahren seiner Reisen mit Ra abhanden gekommen, was der Grund dafür war, dass er einfach in den Tag hineinlebte und selten Sorgen verspürte. Mal ganz abgesehen von den Runenrittern, die ihn möglicherweise suchten und an sein Heimatland ausliefern konnten. Oder die unbezahlten Strom- und Wasserrechnungen, die ihm mal wieder den Tag verdarben. Oder, wenn er mal nichts zu essen hatte und deshalb etwas schnorren musste. Oder … okay, lassen wir das. Die kopfzerbrechenden Situationen ließen sich zumindest an einer Hand abzählen. Aber hey, niemand war perfekt, nicht wahr? Als sich die blonde Magierin nun nach dem Abenteuer mit Helena erkundigte, fühlte sich der Fice ganz in seinem Element, was so viel bedeutete wie, dass er endlos erzählen und quatschen konnte. „Unser Auftrag hat uns zum Clover Lake geführt, denn ein krankes Mädchen benötigte eine Heilpflanze, welche nur in den dortigen Unterwasserhöhlen wuchs. Deshalb sind wir also gemeinsam Unterwasser gegangen und stell dir meine Überraschung vor, als wir Beide plötzlich im Wasser atmen konnten!“, begann der exzentrische Künstler mit seinen Erzählungen und gestikulierte dabei mit seinen Händen, um seine spannende Geschichte an den richtigen Stellen zu unterstreichen. „Vermutlich ist es ihrer Herkunft zu verdanken, dass sie Unterwasser sprechen konnte. Das traf jedoch nicht auf mich zu. Kannst du es dir vorstellen, wie es ist, wenn man eine ganze halbe Stunde nicht reden kann?!“, echauffierte sich der Fice mit gespielt entrüsteter Miene bei seiner Kollegin und blickte sie dabei an. Vermutlich konnte die Baumgardner ein Lied davon singen und wünschte es sich gelegentlich auch mal, dass dasselbe an der Oberfläche für den jungen Mann galt. „Wir fanden also diese Unterwasserhöhle, wurden aber dabei von einem rieeeeesigen Aal angegriffen. Locker dreißig, vierzig Meter lang. Lange Rede, gar kein Sinn: Wir haben die Pflanze gefunden, ich hab‘ dem Aal mit Laseraugen eingeheizt, er hat mich ausgeknockt und dann wurde ich gerettet.“, fasste er den Auftrag mit der Marinakis mit einem Lächeln zusammen. Bei dem Lächeln, was Maenor aufsetzte, hatte man eher das Gefühl, dass er von einer schönen Runde Kaffee und Kuchen am Nachmittag erzählte und nicht etwa davon, dass er von einem riesigen Seeungeheuer Unterwasser ausgeknockt worden war. „Also, so wie sie dem Aal eins mitgegeben hat, isst sie bestimmt Meeresfrüchte.“, antwortete der braunhaarige Künstler flapsig und schulterzuckend. Woher sollte er wissen, was Helena gerne aß und was nicht?
Der anfängliche Enthusiasmus des jungen Mannes hinsichtlich der Kochstunde ließ merklich nach, als ihm die blonde Jungmagierin mit einem Lächeln mitteilte, dass sie ihm das Rezept im Anschluss aufschreiben würde. „Toll. Genau so hatte ich es mir vorgestellt.“ Ob es Maenor wohl gelang, die Enttäuschung aus seiner Stimme rauszuhalten? Verdammt, warum nur wurden ihm immer Steine in den Weg gelegt?! Dass er dabei selbst einen Teil der Schuld trug, da er einfach nicht zu lesen und schreiben lernte, blendete der junge Mann einfach mal aus. Tja, Reflektion ging anders. Aber egal. Gemeinsam betraten die beiden Satyrs Cornucopia Magier die Gildenküche, in der sich bereits mehrere Gildenkollegen befanden und ihre eigenen Süppchen kochten – haha, Schenkelklopfer. Vor nicht allzu langer Zeit hatte der Fice hier Valda getroffen, eine der Gildenköchinnen, und mit ihr gemeinsam ein äußerst leckeres und üppiges Frühstück zubereitet! Allerdings fehlte von der Oni jegliche Spur, sie war also nicht anwesend. Ganz der Gentleman, beobachtete Maenor die blonde Lichtmagierin bei der Arbeit, als sie den großen Vorratsschrank nach den benötigten Zutaten für ihr Gericht durchstöberte. Sein Typ würde schon verlangt werden, wenn es so weit war! Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, als Mary ihn auch schon adressierte und ihm deutete, näher zu kommen. Diese Seite der jungen Frau hatte er noch nicht zuvor gesehen, weshalb er sich neugierig näherte und sich fragte, was jetzt wohl kam. Als sich die Baumgardner nach jemandem namens Hyun bei ihm erkundigte, wollte er schon ein breites Grinsen aufsetzen und einen flapsigen Spruch à la „Ist das dein Freund?“ lassen, ehe ihn der Gesichtsausdruck der jungen Frau innehalten ließ. Unterbewusst erinnerte ihn dieser Gesichtsausdruck an den seiner eigenen Schwester, vor unzähligen Jahren, als das Schloss angegriffen worden war. Dunkel erinnerte er sich daran, wie ängstlich ihn Isabelle damals angeblickt hatte. *Wieso erinnert mich das nur daran? Warum muss ich gerade jetzt daran denken?* Hatte er nicht die Vergangenheit längst hinter sich gelassen? Damit wirkte ihre Frage auf jeden Fall völlig anders als zunächst angenommen. „Nein, habe ich noch nie gehört.“, antwortete der Fice und sein übliches Lächeln fror ein wenig ein. „Muss man den kennen? Wieso fragst du?“, erkundigte er sich nun in ebenso leiser Stimme und legte den Kopf ein wenig schief, während er nähertrat und seine blonde Kollegin aufmerksam und eingehend betrachtete. Mit einem Mal war sein Interesse geweckt und für einen Augenblick lang jegliche Briefe und Kochen vergessen!
Wer hätte es Maenor verdenken können, bei der Erwähnung eines unbekannten Mannes direkt auf romantische Beziehungen zu schließen? Zwar mochte man bei Mary nicht sofort in diese Richtung denken, aber sie befanden sich ja nur deshalb in der Küche, weil Maenor einer unbekannten Godslayerin sein Interesse über den Weg, den Liebe sprichwörtlich ging, demonstrieren wollte: Durch den Magen! Entsprechend hätte Mary gewiss verziehen, hätte der kleine Lichtgott sie diesbezüglich aufgezogen. Aber leider ging es nicht um solch harmlose Gespräche und die Baumgardner wollte nicht aus dem Nähkästchen plaudern, um sich die heißesten Datingtipps von ihrem Freund abzuholen, sondern erkundigte sich aus einem eher gegenteiligen Grund: Wenn es nach ihr ging, würde sie diesen Kerl nämlich am liebsten nie wieder sehen. Die Furcht im Blick der Jugendlichen war echt, auch wenn sie sich sehr darum bemühte, die lockere Stimmung nicht zu sehr gen Boden zu ziehen. Das Gesicht abgewandt, die Stirn gerunzelt, lehnte sie sich mit der Schulter an den Vorratsschrank, wo Maenor und die Schranktür sie vor neugierigen Augen verbargen und schlang sich die Arme um den Körper. Eine ihrer Hände glitt unwillkürlich über ihre Schulter, dort wo erst vor Kurzem ein beachtlicher Bluterguss verheilt war, den sie beim panischen Weglaufen von dieser Person bekommen hatte. Diesem ... dunklen Magier, wie sie mittlerweile vermutete. Vielleicht auch nur ein Magier mit kriminellem Hintergrund, aber wo genau da die Grenze war, das wusste die Baumgardner nicht.
Nach kurzem Zögern und Sortieren ihrer Gedanken blickte sie zu Maenor auf, die Augen groß. "Man muss nicht, nein. Ich habe vor Kurzem eine Quest erledigt, hier in Maldina. Und da sind wir aufeinander gestoßen. Er war zu Beginn ganz nett, aber es stellte sich heraus, dass er ... gegen mich gearbeitet hat. Und er ist auf mich losgegangen, mit so einem magischen Hundebiest, das mich dann ... gebissen hat." Mary sprach leise, als könnten zu laute Worte den Schrecken der Nacht wieder zu sich beschwören. Für den anderen Magier mochte es nur ein Ärgernis gewesen sein, doch ihr, die sie bisher nur einmal Kontakt mit einer feindlichen Person gehabt hatte, bereitete es schlaflose Nächte. "Ich war trotz meiner Magie im direkten Kampf vollkommen wehrlos. Wenn ich nicht Glück gehabt hätte, hätte er mich vielleicht ... aus dem Weg geräumt." Dass der Gedanke ihr Angst machte, ließ sich recht offensichtlich in ihrem Gesicht ablesen. "Ich dachte, du wüsstest vielleicht etwas über ihn oder so. Ich habe irgendwie Angst, dass so etwas noch einmal passiert, weil ich gar nicht weiß, was ich tun soll, wenn man mich nochmal mit Fäusten und Tritten angreift ... Also, so richtig Angst." Das mochte als Magierin nun etwas jämmerlich klingen, aber Mary hatte bisher eben nur einmal mit einer Gefahr durch andere Menschen zu tun gehabt, und da war sie beinahe erschossen worden. So gesehen gab es bei ihr wohl nur Extreme. Einen Moment noch sah sie Maenor an, dann zog sich ein peinlich berührter Rotschimmer auf ihre Wangen und sie wandte sich wieder den Zutaten zu. "Ich ... ähm, nicht so wichtig."
Es war recht unüblich für den exzentrischen Künstler, dass er nicht etwa herumzappelte, während er ungeduldig darauf wartete, mehr über das Anliegen seiner kleineren Gildenkollegin zu erfahren. Stattdessen glich er einem wachsamen Falken, der sein Gegenüber aus flammenfarbenen Seelenspiegeln aus konzentriert beobachtete und auf eine Reaktion wartete. Maenor stand also mit vor der Brust verschränkten Armen da, während Mary sich wohl noch innerlich sortierte und nach den richtigen Worten suchte. Schließlich sprudelten die Informationen nur so aus hier heraus. Dieser Kerl hatte also eine gemeinsame Quest mit der Baumgardner bestritten, so weit so gut. Allerdings war er irgendwann aus irgendeinem Grund auf sie losgegangen und hatte das nette Mädchen angegriffen. Offensichtlich hatte sie dieser Typ nicht nur mit irgendeinem magischen Köter angegriffen, sondern ihr auch noch im Nahkampf zugesetzt. Und wenn der Fice nun die Worte seiner kleineren Lichtkumpanin richtig interpretierte, war sie ihrem Gegner im Nahkampf völlig ausgeliefert gewesen. Mehr noch, diese Erfahrung schien sie bis aufs Knochenmark verängstigt zu haben, sodass sie nicht wusste, wie sie in Zukunft auf so einen Angriff reagieren sollte. Natürlich konnte Maenor selbst mit seinen göttlichen Augen nicht in den Verstand der Jungmagierin blicken und erkennen, dass diese traumatische Erfahrung ihr schlaflose Nächte besorgte. Und doch stand seiner Kollegin nicht nur die Angst ins Gesicht geschrieben, sondern man fühlte sie förmlich in jeder ihrer Aussagen. Die ganze Zeit über hatte Maenor keinen Mucks gemacht und hatte stumm den Worten der blonden Magierin gelauscht, bis sie schließlich mit ihrer Erzählung fertig war. Daraufhin löste er die verschränkten Arme vor der Brust auf und blickte Mary scharf an. "Wo finde ich diesen @Hyun?", erkundigte sich der Fice leise bei seiner Kollegin. Wirklich sonderbar war dabei die völlige Abwesenheit von Schalk und Witz in seiner Stimme. Vielleicht zum allerersten Mal in den letzten Jahren, erweckte der junge Mann einen ernsten Eindruck, einen sehr ernsten Eindruck. "Aus welcher Gilde stammt er nochmal?", hakte er weiter nach, denn er meinte sich nicht zu erinnern, diese Information von der Blondine erhalten zu haben. Aber was war der Grund für diese doch sehr Lustiger-Kerl-Untypische Reaktion?
Der Ursprung für diese Reaktion und diesen Schutzinstinkt war die Erinnerung an seine Schwester, als Mary ihn derart ängstlich und ein Stück weit hilflos angeschaut hatte. Seine siebenjährige Schwester hatte dem zehnjährigen Maenor damals denselben Blick zugeworfen - ein Anblick, der sich für den Rest seines Lebens in sein Unterbewusstsein gebrannt hatte. Allerdings war der Fice selbst von dieser Erinnerung und der Intensität überrascht, die sie innehatte. Es war eine Erinnerung, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Ein Teil seines Lebens, den er für längst begraben und vergessen hielt. Aber da die Erinnerung nun emporgekommen war, musste er dementsprechend mit den Konsequenzen leben. Innerlich tobte tatsächlich ein Kampf im Fice: Mary zu helfen vs sich von Mary helfen zu lassen. Wenn sie ihm nicht beibrachte, wie man kochte, dann würde er seinem Gast höchstens etwas Verbranntes präsentieren können. Wenn er aber der Baumgardner nicht in diesem Moment der Not half, dann würde ihn dieser Blick und diese Erinnerung aus der Vergangenheit ewig verfolgen. Infolgedessen gab es in seinem Verstand einen mühelösen Knockout. "... Pack alles wieder zusammen und schreib mir einfach das Rezept auf. Das bekomme ich schon irgendwie hin.", teilte er der Lichtmagierin nach einigen Sekunden mit, während er innerlich eine Träne vergoss. Aber das wäre eine Herausforderung für Zukunfts-Maenor. Gegenwarts-Maenor hatte jetzt einen anderen, deutlich wichtigeren Auftrag. Mit seinem Daumen zeigte er zur Tür hinter sich, die Seelenspiegel dabei auf dem Gesicht seiner jüngeren Kollegin ruhend. "Komm, wir gehen in den Trainingsraum. Es wird Zeit für einen Crash-Kurs in Selbstverteidigung, damit du in Zukunft nicht nochmal während so einer Situation hilflos ausgliefert bist." Immer noch recht ernst dreinblickend, vergingen einige Sekunden, ehe wieder das altbekannte Grinsen auf seinem Gesicht auftauchte und er seine Kollegin damit bedachte. Was wäre der braunhaarige und exzentrische Künstler ohne einen passenden Spruch für jede Situation? "Wenn du einen Abgrund vor dir siehst, der dir Angst mach, geh' ruhig ein Stück zurück. Aber sieh das niemals als Weglaufen, sondern vielmehr als Anlauf für einen Sprung nehmen. Und dann wirst du diesen Abgrund überwinden können!" Wow, er hätte echt Motivationscoach werden sollen ... aber hey, es zählte doch der Gedanke dahinter, nicht wahr?
Offplay - Geschenke von Mama Teilnehmer: Ravinuthala, Mary
Hach ja, was für eine aufregende Nacht das noch geworden war! Thala liebte es ja, wenn laut gefeiert wurde - und ihre Trommeln trugen da einen doch erheblichen Anteil zu bei! Aber selbst, wenn sie gerade nicht die Musikszene dominiert hatte, hatte sie viel mit Valda getanzt, einen Haufen getrunken, noch mehr gegessen und Alles in Allem eine tolle Zeit mit einigen ihrer Gildenmitglieder verbracht. Passion war tief in den Werten von Satyrs Cornucopia verankert, sodass zwischen ein paar Griesgrämen und Einzelgängern ein ganzer Haufen Leute war, die gerne sangen und tanzten und aßen und feierten und vielleicht sogar mal ein wenig kämpften. Also die perfekte Umgebung für eine energiereiche Oni wie Ravi! Natürlich hatte auch ihre Energie ihre Grenzen. Irgendwann hatte sich die Tsumiho hinlegen und ein paar Augen schließen müssen, und jetzt, wo sie in der Ecke der Empfangshalle aufgewacht war, ein fremdes Hemd über eines der Hörner ihrer Maske gehängt, war die Nacht vorbei. Kurz prüfte die Oni, ob sie noch alle ihre Sachen dabei hatte - zwei Trommelstöcke, Check, mehr sollte da auch gar nicht sein -, ehe sie entspannt aufstand und sich erstmal streckte und ein wenig gähnte. Wie man sie kannte, gähnte Thala nicht gerade leise, aber wirklich laut wurde es erst, als sich ihr Mund wieder schloss und stattdessen ihr Magen anfing zu knurren. Ah, richtig, es war wieder soweit. Wenn man sich ausgepowert und eine Weile geschlafen hatte… dann war erstmal Essenszeit!
“Hey, hey, HEY! Guten Morgen, Mama!”, rief die Oni heiter, während sie die Tür zu Marys Zimmer aufstieß. Die junge Blondine, der sie damals beim Einzug in der Gilde geholfen hatte, gehörte zu den (nicht gerade wenigen) Leuten, die Ravinuthala sehr schätzte. Einerseits, weil sie ein angenehmes Naturell hatte. Andererseits auch, weil sie sie echt gut durchfütterte. Regelmäßige Bentos und ein Bett, das immer für sie offen stand, schmeichelten der Hünin sehr, insofern verbrachte sie mehr als gerne Zeit mit der Lichtmagierin. In der Hinsicht war es wohl auch nicht schwer zu schätzen, warum sie heute hier war: “Ich hab echt Kohldampf! Hast du ne Lunchbox für mich? Extra groß, bitte!”, grinste die Oni und zwinkerte ihrer Freundin zu. “Das beste Essen gibt’s immer noch bei Mama, HAH!” Die überschwängliche Art der Tsumiho wich allerdings schon nach ein paar wenigen Sekunden Überraschung, als sie einen ordentlichen Blick auf die Gardner werfen konnte. Was die gerade machte, war kein Essen, sondern… irgendwas Anderes. Große Nadeln pieksten durch die Luft und zogen dabei Wolle mit sich mit… oder so. Leicht irritiert legte Ravinuthala den Kopf schief. “Hey… Was machste’n da?”
Mary hatte nicht besonders gut geschlafen. Als waschechtes Landei, das auf einem idyllischen Bauernhof im Süden von Fiore aufgewachsen war, konnten ihr laute Umgebungsgeräusche eigentlich nichts anhaben. Doch als sie gestern erschöpft von einem Auftrag in ihr Zimmer gepurzelt war, hatten sie nicht Froschquaken und Kuhlaute gestört, sondern eine zünftige Fete in der Gildenhalle. Unter anderen Umständen hätte sich Mary dieser Feierlichkeit angeschlossen und versucht an der Bar auszuhelfen oder allzu große betrunkene Malheure zu verhindern, doch sie war derart platt gewesen, dass ihre einzige Handlung darin bestand sich das Kissen auf den Kopf zu drücken und zu leiden.
Entsprechend hatte Mary heute ihr Zimmer auch nur kurz für die morgendlichen Waschungen verlassen und befand sich noch im Schlafanzug. Sie war etwas blass, unter ihren Augen lagen Ansätze von dunklen Schattierungen und ihr war überdies ein bisschen übel. Letzteres hatte nicht unbedingt etwas mit ihrem Schlafmangel zu tun, sondern damit, dass Nicos Vermieterin sie zur Feier des Tages auf Gebäck im Café im Untergeschoss eingeladen hatte und die Baumgardner etwa ihr Körpergewicht in Torte verdrückt hatte. Sie bereute nichts. Aber da das Landei heute auch keine anderen wichtigen Termine hatte, wollte sie sich einen entspannten, ruhigen Tag gönnen. Nichts beruhigte Mary so sehr wie gemächliches Handwerk, ein gutes Buch und eine angenehme Atmosphäre. Aus diesem Grund hatte sie eine Duftkerze angezündet, sich in ihre Bettdecke gekuschelt und strickte gerade an einem Projekt. Der Herbst war schließlich der Vorbote des Winters und in Maldina gab es viele schicke Läden mit Wollstoffen, wie das überquellende Holzkästchen der Schande unter ihrem Bett bezeugte. Von Zuhause hatte sie auch ein großes Knäuel bekommen. Noch wusste Mary nicht ganz, was sie am Ende produzieren würde, aber es tat einfach gut, die Finger zu bewegen. Nichts war zu hören außer ihr entspanntes Atmen und das Klackern der Stricknadeln. Himmlisch ...
Und dann fiel beinahe die Tür aus den Angeln. Mary hätte sich vor Schreck fast selbst mit einer ihrer Stricknadeln erstochen. Zwar war sie Ravinuthalas enthusiastische Eintritte mittlerweile gewöhnt, doch bisher hatte sie noch keine Lösung gefunden, wo sie nicht erst einmal mit weit aufgerissenen Augen zur Präsenz starrte, die sich in ihr kleines Zimmer schob. Im Gegensatz zu ihr sah die Oni lebhaft aus wie nie zuvor. Mary wollte schon fragen, was los war, doch wie immer brauchte es von ihr recht wenig konversationellem Input. Ravinuthala war eben eine Person, die wusste, was sie wollte. Mary schätzte das sehr, denn sie traute sich selbst nicht einmal im Ansatz so für ihre Bedürfnisse einzustehen. Wenn sie doch nur diesen Spitznamen nicht immer verwenden würde, die Leute kamen noch auf komische Gedanken! Mary lief direkt rot an. "Ich hab selbst auch noch nicht gefrühstückt, ich kann uns ... huh?" Die Baumgardner robbte etwas zur Seite, um Platz auf dem Bett zu machen. Es war in dem engen Schuhschrank-Zimmer die einzige wirkliche Sitzmöglichkeit. Das Fenster war auch geschlossen, wenn sich Ravinuthala also auf die Matratze warf, bestand wenig Chance, dass Mary auf die Straßen Maldinas geschossen wurde. "Das? Ich weiß, es sieht noch nicht nach viel aus ..." Die Lichtmagierin kam nicht auf die Idee, dass die Oni nicht wusste, was sie da machte und interpretierte die Aussage also eher als Kunstkritik. Das Gesicht wurde direkt noch ein paar Rotschattierungen dunkler. Es stimmte schon, an die Kunstwerke so mancher Gildenmitglieder konnte sie nicht heranreichen ...
Zurückhaltung gehörte nicht zu Ravinuthalas Stärken. Um fair zu sein: Sie würde Zurückhaltung vermutlich auch gar nicht als Stärke betrachten. Man kam doch viel weiter und hatte auch viel mehr Spaß, wenn man sich einfach mal was traute und vorwärts stürmte, um das zu tun, worauf man halt echt Bock hatte. Zum Beispiel eine echt krasse Feier feiern und dann am nächsten Morgen was zusammen futtern mit der kuscheligen Mary! Die hatte auch selber noch nicht gegessen, wie’s aussah. Das passte doch perfekt! Vorher gab’s aber noch eine andere Sache, die die Aufmerksamkeit der Oni auf sich zog… nämlich was auch immer der süße Blondschopf da mit ihren großen Nadeln machte. “Ich mein… ich seh, wie’s aussieht”, stellte Ravi fest und setzte sich neben Mary aufs Bett, lehnte sich über sie, um über ihre Schulter hinweg hinab auf das kleine Stück Wolle zu gucken, das sie gerade bearbeitete. “Schätze, du trainierst, wie man wen mit ner Nadel sticht? Wirkt aber wie ne ganz schöne Trockenübung, hey. Keine Ahnung, ob dir das für’n Kampf viel bringt.” Vielleicht tat es das aber doch, konnte sie nicht wirklich einschätzen. Irgendwas zum Thema Einstichwinkel? Oder wie viel Kraft man brachte, um durch Haut zu kommen? Wobei da Wolle vielleicht nicht das beste Material war, um das auszutesten. “Wär ja nich meine Art Waffe…”, stellte die Tsumiho fest, schüttelte den Kopf. “Gehn die nich voll leicht kaputt, Mama?”
Im Zuge ihrer Fragen sah Thala ihre Freundin natürlich auch an, wie sich das gehörte. Man musste ja nicht nur hören, was das Gegenüber sagte, sondern auch sehen, was das mit dem Gesicht machte. Aber das Gesicht machte sich gerade gar nicht mal so gut! Klar war die Baumgardner ein hübsches Mädel wie immer, aber von der Farbe her stimmte da doch was nicht. “Hey, hey! Bist ja ganz rot!”, stellte die Tsumiho überrascht fest und legte der Blondine eine große Hand an die Stirn. “Hm… bist warm, oder? Wärmer als sonst, denk ich”, stellte sie fest, überlegte kurz. “Geht’s dir nich gut, Mary?” Krankheiten waren jetzt nicht das größte Thema in Ravinuthalas Oni-Stamm gewesen. Sie traten relativ selten auf, schließlich waren Oni sehr resistent, und wenn’s einem mal nicht gut ging, konnte man da meistens durchpowern. Außerdem hatten sie ja auch noch ihren tollen Schamanen, der helfen konnte, wenn’s mal ernst wurde. Menschen, so hatte Thala festgestellt, waren da aber empfindlicher. Bei denen reichte schon ein kleines bisschen erhöhte Temperatur, dass sie umkippten und nutzlos waren. Und ein bisschen Husten und Schniefen wurde ganz schnell zu einem Grund dafür, gar nichts mehr machen zu können. Anders als Oni waren Menschen nicht in der Lage, allein zu überleben… sie brauchten jemanden, der sich um die kümmerte. Und glücklicherweise hatte Mary die beste Kümmererin überhaupt direkt an ihrer Seite! “Magst du dich noch ein bisschen ausruhn?”, fragte Ravi sanft, auch wenn ihr ‘sanft’ immer noch ziemlich laut war, und legte liebevoll die Arme um den Hals des Mädchens, zog die jüngere an ihre Brust. “Ich knuddel dich auch, bis es dir wieder besser geht, hah!” Das war doch bestimmt genau das, was die Baumgardner jetzt gerade brauchte, nicht? Ein bisschen Zuneigung und Nähe und Ruhe! Auch wenn Knuddeln mit Ravinuthala nicht immer sonderlich ruhig war. “Oder wär’s dir lieber, wenn ich nen Arzt-Typi holen gehe…?”
Es gab wohl kaum zwei so unterschiedliche Mitglieder von Satyrs Cornucopia wie Mary und Ravinuthala: Stürmisch und ruhig, laut und leise, ausgelassen und zögerlich. Und doch verbanden die Freundinnen einige essentielle Gemeinsamkeiten: Sie liebten beide ihre Kameraden über alles und verfolgten starke Prinzipien. Auf Ravinuthala war Verlass, so chaotisch und wild sie auch wirken mochte. Mary hätte ihr zugehört, hätte sie ihr eine ehrliche Kritik zu ihrem Strickwerk geben wollen, doch offenbar hatte die Baumgardner die Neugierde der Größeren vollkommen falsch interpretiert. Als hätte Mary ein exotisches Tier auf dem Schoß kam Ravinuthala neben ihr auf die Matratze und begutachtete das neueste Projekt des Landeis. Noch konnte man wirklich wenig sehen, da sie im Augenblick noch einige Strickmuster durchprobierte. Sie wollte etwas Warmes für ihre Freundin stricken, aber wollte auch unbedingt etwas herstellen, was sich bei allen möglichen Eskapaden streckte und dehnte. Wie sie wusste, ging es bei Ravinuthala gerne einmal etwas gröber zur Sache, deshalb sollte das kostbare Geschenk nicht sofort reißen. Peinlich berührt zeigte Mary also das Objekt der Kritik, das momentan nicht mehr als ein wolliger Waschlappen war. Doch bei den Worten ihrer Zimmerbelagerin hoben sich die Brauen der Lichtmagierin. "Erstechen?", platzte es verdattert aus Mary heraus und sie blickte auf die Nadeln, als würden sie durch das Ratespiel Ravinuthalas in einem ganz neuen, tödlicheren Licht erstrahlen. "Nein, das ist keine Waffe und auch nicht zum Erstechen! Die sind recht stumpf ... Ich stricke, das ist so etwas wie Nähen." Zumindest im weitesten Sinne. Nähen kannte Ravinuthala bestimmt, denn immerhin wurden soweit Mary wusste auch Felle auf Trommeln festgenäht, nachdem sie gespannt wurden. Und ihre Hosen waren ja auch irgendwo zusammengenäht ... Glaubte das Landei wenigstens.
Gerade machte Mary den Mund auf und wollte bei der Gelegenheit etwas verlegen ansprechen, für wen dieses Projekt eigetlich gedacht war, doch da wechselte da Thema auch schon wieder. Sie war rasante Gespräche mit Ravinuthala mittlerweile gewöhnt und blinzelte nur, als die Pranke der Oni einen Moment lang fast das ganze Gesicht der Baumgardner bedeckte. Sie war angenehm warm, doch tatsächlich war die Stirn der Kleineren nicht nur ob der Schamesröte erwärmt. Ob sich Mary tatsächlich eine Krankheit zugezogen haben konnte? Normalerweise hatte sie ein recht gutes Immunsystem, das die meisten Keime abwehren konnte, doch ab und zu erwischte es sogar Mary. Insbesondere, wenn sie viel und unaufhörlich arbeitete, um auch ja all ihren Freunden vor Einbruch der kalten Saison plüschige Kleidungsstücke zu bereiten! "Uhm, mir ist nur ein bisschen übel ...", murmelte Mary, hob aber schon die Hände, um anzuzeigen, dass man sich um sie auch ja keine Sorgen machen sollte. Bloß nicht! Sonderlich weit kam sie jedoch nicht in ihrem Protest, denn sogleich legten sich starke Arme um sie und bewegten sie, als wäre sie nichts weiter als eine Stoffpuppe. Mit einem Fiepen, das an ein gequetschtes Meerschweinchen erinnerte, krachte Mary in die Brust ihrer Freundin und ächzte leise. "Das ist lieb von dir", presste das Landei hervor, das zum Frühstück gerade Bandagen essen durfte. "Ein Arzt ist aber nicht nötig", versicherte sie sogleich und bemühte sich, die Kuschelposition der beiden so zu verändern, dass Ravinuthalas Gewicht nicht auf Mary lastete, sondern umgekehrt. Die Baumgardner, im Vergleich zu der Oni eher winzig, blieb halb auf ihrer Freundin liegen, flutschte mit einem Arm in die Freiheit und hielt wie zur Ablenkung den Wolllappen mitsamt Nadeln nach oben vor ihre Gesichter. Vielleicht auch teilweise, damit Mary beim wilden Geknuddel nicht von den eigenen Stricknadeln erdolcht wurde. "Ich habe nur etwas schlecht geschlafen. Draußen war die ganze Nacht Krach. Weißt du etwas darüber?", fragte Mary leise und legte das Strichprojekt möglichst unauffällig an einen Oberarm der Oni an. Sie würde deutlich mehr Material brauchen, wenn sie auch nur einen Bizeps bekleiden wollte ...
Ravi machte sich nicht allzu viele Gedanken über die Unterschiede zwischen ihr und Mary, wobei ihr natürlich auch einige auffielen. Im Besonderen hatte die Baumgardner einige sehr liebenswerte Qualitäten, die der Älteren ein Lächeln ins Gesicht zauberten, gerade weil sie selbst die nicht einfach nachstellen konnte. Zum Beispiel war die Blondine super weich, wie ein Schwamm oder eine Puppe, die man einfach in die Arme nehmen konnte, wenn man sich gut fühlen wollte! Und sie machte echt gutes Essen! Und mit Pflanzen kannte sie sich auch gut aus, und bestimmt auch mit anderen Sachen, von denen die Tsumiho nicht viel Ahnung hatte! Über Waffen musste sie aber noch ein bisschen was lernen. Die Nadeln, die sie benutzte, wirkten schon ein wenig stümperhaft. “Oh, du nähst?” Überrascht blinzelte Ravinuthala, sah noch einmal hinab auf das, was die Finger ihrer Freundin da zusammenwoben. “... Nähen sieht aber anders aus, hey.” Ein bisschen konnte sie selbst das auch, musste man ja lernen, wenn einem Klamotten wichtig waren. Aber für das Arbeiten mit den kleinen Nadeln war sie dann doch ein bisschen zu grobmotorisch. “Mochi ist gut im Nähen. Und @Karma ganz besonders, aber die kennst du glaube nicht”, stellte Ravi fest und begann dann mit breitem Lächeln zu lachen. “Ich kann das aber nich so gut! Die Nadeln sind mir zu klein… da wären deine vermutlich noch besser für mich, HAH!” Richtig, diese Stricknadeln hatten schon ordentlich Volumen. Die lagen vermutlich selbst einer Oni wie Ravi gut in der Hand.
Apropos gut in der Hand… Als Thala erkannte, wie rot ihre Freundin war, hatte die ganz schnell ihre Hand an der Stirn. Bei einem Oni war das zwar nicht besorgniserregend - sie selbst und Karma waren ja ohnehin Rothäute -, aber mit Menschen musste man ja vorsichtig sein. Gerade mit solchen wie Mary, die leicht zerdrückbar wirkten. “Klingt nich gut!”, stellte Thala fest, als der Jüngeren jetzt sogar übel war. “Passt du nich gut auf dich auf, Mama? Du guckst immer nach mir, aber du musst doch auch nach dir selber gucken! Oder soll ich das lieber machen?” Irgendwie hatte Ravi das Gefühl, dass sich Mary immer um alle anderen Leute kümmerte, aber der Gedanke, dass sie vielleicht ihr eigenes Wohlergehen vernachlässigte, kam ihr jetzt erst. Schließlich wirkte die Blondine immer so heiter und zufrieden! Wobei Ravi zugegebenermaßen nicht so wirklich wusste, wie man sich ordentlich um kranke Freunde zu kümmern hatte. Ihre erste Maßnahme - das Bandagenfrühstück - wirkte erst einmal vielversprechend. “Krach? Nee, hab kein Krach gehört”, meinte die Oni nachdenklich, während sie sich mit dem Rücken mehr an die Wand lehnte, damit Mary auf ihr ordentlich Platz hatte und gemütlich liegen konnte. Ihr rechter Arm war dabei natürlich weiterhin fest um das Mädchen geschlungen, sonst wäre es schließlich kein ordentliches Knuddeln! “Aber ich hab da ja auch nich so drauf geachtet. War ja gestern beim Feiern hier vorne dabei, hah! Das war übel gut!” Ja, das hatte schon Laune gemacht! Allein der Gedanke zauberte ihr ein breites Grinsen auf’s Gesicht. “Hey, hey! Ich hab dich da gar nich gesehen, Mama! Warst du etwa nich dabei? Obwohl du hier warst?” Überrascht blinzelte die Oni die Jüngere an, während sie von dieser Erkenntnis getroffen wurde. Das konnte doch nicht sein, dass Mary eine Gildenfeier verpasste! Oder war das wegen ihrer Krankheit? “Du musst doch rauskommen, wenn was abgeht! Da geht’s schließlich drum, dasswer alle zusamm als Gilde ne gute Zeit ham, HEY!”, rief Ravi aus, während sie versuchte, den Blick ihrer Freundin einzufangen. “Die Köche machn gutes Kochen und Gebacktes gab’s auch! Und n Haufen zu Trinken und super Musik, HEY! Ich hab zwischendurch selber ne Weile annen Trommeln gestanden, das kannste doch nich verpassen, HEY!” Und ja, natürlich war es laut geworden dabei. Aber das war ja kein Krach, richtig? Wenn überhaupt, hätte so eine Feier die arme, kranke Mary direkt wieder aufgepeppelt!
“... Hm?”
Etwas überrascht blickte Ravi hinüber zu ihrem Arm, wo sie gerade die leichte Berührung der Wolle spürte. Das kitzelte glatt… aber die Frage war wohl eher, warum Mary ihr Strickzeug überhaupt da hinhielt. “Hey, hey. Was machste’n da?”, hakte die Oni nach, grinste ihre süße Patientin an. “Wenn du das mit dem Stechen an mir üben möchtest, dann schuldest du mir aber was, hey!”
Ein Teil von Marys Gesichtszügen schlief ein, als Ravinuthala ihr nonchalant das Geheimnis des Krachs verriet. Da lag also der Hase im Pfeffer, das hätte sich das Landei eigentlich denken können ... Aber zunächst ging es um das Nähen. Die Namen, die ihre Freundin nannte, sagten Mary tatsächlich nichts, doch sie war froh, der Oni wenigstens ansatzweise erklären zu können, was es mit ihrer momentanen Tätigkeit auf sich hatte ohne die Überraschung zu verderben. Die Baumgardner zweifelte auch keinen Moment lang an Ravis Aussage, dass ihr normale Nähnadeln zu klein waren. Man konnte die Oni zwar bestimmt in gewissen Aspekten als sehr geschickt bezeichnen, aber Mary beschlich der Verdacht, dass es sich bei ihrer Zimmerbelagerin doch eher um eine Grobmotorikerin handelte. Zwar konnte man Fingerfertigkeit bis zu einem gewissen Grad trainieren, doch die Lichtmagierin sah vor ihrem geistigen Auge schon zerrissene Kleider und verbogene Nadeln ... Für gewisse Dinge nutzte man zwar gerne einmal gebogene Nadeln, aber ... na ja. Vielleicht blieb Ravinuthala doch lieber bei ihren Trommeln! "Das kann ich mir vorstellen ..."
Hm - passte Mary nicht gut auf sich auf? Normalerweise tat sie das. Trank genug, aß brav ihr Gemüse und betätigte sich körperlich, zum Beispiel im Kampftraining oder bei ihrer Arbeit als Questboard-Beauftragte, wenn sie hinter Leuten herrennen musste, die Questzettel bunkerten. Eigentlich war Mary sehr vernünftig, blieb auch nicht bis in die Puppen auf oder lebte irgendwie ungesund, und doch ... Ab und zu vernachlässigte Mary ihr eigenes Wohlergehen für andere. Ob sie sich in Quests vor Gefahren schmiss oder einfach in ihrer Freizeit all ihre Zeit und Energie aufopferte ... ein wenig war Mary doch abhängig von der Zustimmung und Zuneigung ihrer Freunde. War es da verwunderlich, dass sie sich manchmal vergaß? "Mach dir bitte keine Sorgen um mich. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe, dann geht es mir direkt wieder besser!" Wie zum Beweis lächelte Mary breit, wenn auch etwas erschöpft und richtete das Strickzeug neu aus, jedenfalls bis die ganze Sache mit dem Krach erwähnt wurde. "Klingt wirklich nach einer spaßigen Zeit und als hätte ich etwas verpasst. Beim nächsten Mal bin ich wieder dabei, versprochen!" Wenn ich eh nicht schlafen kann, kann ich wenigstens mitfeiern ... Mary nahm es den Satyrs nicht übel, dass sie ausgelassen und kameradschaftlich miteinander Party machten. Die Baumgardner war schließlich in einer großen Familie aufgewachsen und hatte ihr ganzes Leben in einem Gasthaus gearbeitet, wo es auch schon einmal rauer zugehen konnte. Andere hätten sich vielleicht am Geräuschpegel und Chaos gestört, doch in Mary weckten solche Erzählungen ein warmes Gefühl von Zuhause.
"Was? Unsinn, ich steche dich doch nicht. Die Nadeln sind stumpf, schau", schüttelte Mary den Kopf und piekte mit der tatsächlich stumpfen Spitze ihrer Stricknadel leicht in Ravinuthalas Arm. Vermutlich käme sie da nicht einmal durch die robuste Haut der Oni, wenn sie sich anstrengen würde. Aber natürlich wollte Mary ihrer Freundin nicht wehtun. Stattdessen rückte sie etwas herum, so dass sie etwas bequemer halb auf dem Schoß der deutlich Größeren saß und diese über ihren Kopf hinweg beobachten konnte, was Mary tat. Sie hob die beiden Hände an, strickte ein paar Maschen und zeigte dann, dass ein Teil einer Reihe bei ihrem Projekt hinzugefügt wurde. "Siehst du, was ich mache? Das ist ein Kragen. Irgendwann wird es etwas zum Anziehen. Was magst du eigentlich an Farben? Ähm, unabhängig davon." Wow, Mary war mal wieder eine Meisterin der Subtilität. "Und was hälst du von Schals ...?"
Natürlich nutzten die nähenden Oni im Allgemeinen etwas größere Nadeln, als es die Menschen taten; es war nicht so, als würden sie mit Werkzeugen arbeiten, die für ihre Größe eher Spielzeugen ähnelten. Aber trotzdem war bei Nähnadeln vorgesehen, dass man sie leicht zwischen Daumen und Zeigefinger halten konnte… und das war für Ravi dann doch ein Stück zu klein, auch wenn ihre Schwester und ihre Cousine gut damit umgehen konnten. Fast schon schade, dass Mary nicht nach den Namen fragte, die sie nicht kannte. Gerne hätte die Tsumiho ihr eine Menge über ihre Familie erzählt! Aber gut, Marys Wohlergehen war wahrscheinlich das wichtigere Thema, auch wenn die Blondine meinte, Thala solle sich keine Sorgen um sie machen. “Na, wenn du das sagst, Mama!”, lachte die Ältere der beiden auf. Die Oni war ziemlich leicht zu beruhigen, nicht zuletzt, weil sie sich ohnehin nicht allzu sehr aufregte, wenn man bei ihr nicht den falschen Punkt traf. Im Allgemeinen war sie ziemlich entspannt. “Aber wenn ich merk, dass was nich stimmt, dann pass ich auf dich auf, klar? Weiß doch, dass Menschen nich gut mit könn, wennse krank werden, HAH!” Breit grinsend legte sie sanft ihr Kinn auf dem Schopf ihrer Freundin ab, um über Mary nach unten zu sehen und ihr Stricken zu begutachten. “Und für heut stell ich auch sicher, dassde deine Ruhe echt bekommst, kay? Kay?”
Hier, warm und sicher auf Ravinuthalas Schoß sitzend, konnte Mary sich doch sicher ordentlich entspannend und erholen. “Sehr gut, sehr gut. Freu mich drauf, mit dir zu feiern”, lächelte die Hünin und trommelte mit ihrem Zeige- und Mittelfinger leicht auf der Haut der Jüngeren, während sie ihre Nähe genoss. “Kannste gut tanzen? Wenne mir sagst, auf was für Musik du stehst, leg ich dir auch den richtigen Beat auf, hah!” Die Tsumiho für ihren Teil liebte es zu feiern und sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass es Leute gab, denen das nicht gefiel. Es war schließlich Spaß pur! Energie und Nähe und Futter und das die ganze Nacht lang! Oben in den Bergen, im Stamm der roten Sonne, hatten sie und ihre Oni-Schwestern und -Brüder ganz oft aufgelegt. Trommeln hatten geknallt, es wurde um ein Feuer getanzt. Das Ergebnis einer guten Jagd, das nicht selten der Anlass für solche Feiern war, wurde durchgebraten und ordentlich präsentiert, sodass alle was abhaben konnten! Noch besser wurde es, wenn die Jahreszeit die richtige war, um aus den frisch gewachsenen Pflanzen gute Getränke zu brauen. Da arteten die Feiern gern mal ganz besonders aus…
“Was du mit stumpfen Nadeln willst, versteh ich immer noch nich”, gab Thala zu und legte ihren Kopf leicht schief. Stechen ging nicht. Es waren auch keine Trainingsnadeln. Und wie man ohne zu Stechen nähen sollte, das war ihr auch noch nicht klar. “Wär’s nich besser, wenn sie spitz sind? Oder sind deine einfach nur alt und abgestumpft?” Das ginge natürlich auch. Wenn das der Fall war, müssten sie Mary einfach neue Nadeln besorgen! Am Besten half ihr Thala dann beim Aussuchen, damit sie dieses Mal auch wirklich welche bekam, die im Kampf nicht einfach nachgaben. So, wie es aussah, funktionierte das, was die Baumgardner gerade machte, aber auch mit diesen stumpfen Nadeln. “Krass…”, murmelte die Oni mit einem Blick auf den Kragen, den ihre Freundin gemacht hatte. “Da wird ja noch’n richtiges Oberteil draus, HEY!” Darüber wollte Mary gerade aber wohl gar nicht reden. Plötzlich und ohne erkenntlichen Anlass schwenkte sie das Thema komplett um, und zwar auf Farben. “Farben?” Ja, tatsächlich. Farben. Seltsam, aber okay. Ravi war niemand, der sich neuen Themen einfach verschloss. Nachdenklich hob sie ihren Kopf, blickte hinauf gen Decke. “Hmm… Also, Rot mag ich. Und Braun, und Weiß”, stellte sie fest, was sich auch gut mit ihrem typischen Stil deckte. Gerade erdige Töne sah man an der Kriegerin sehr häufig. Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen. “Oh, ein bisschen Blau find ich auch gut. Erinnert mich an meine Schwester.” Es war tatsächlich ganz lustig. Ravinuthala hatte viel von ihrer Mutter geerbt, der roten Oni, während Ukemochi deutlich mehr nach ihrem Vater kam, dem blauen Oni. Ihre Haarfarben zeigten das gut an. Sie begannen bei beiden Mädchen weiß, wie die Haare von Sheherazade, aber die von Ravi wurden dann rot und die von Mochi zum Ende hin blau. Da war es wohl kein Wunder, dass die Jüngere die Farbe eng mit ihr verband. “Was magst du denn so für Farben, Mama?”, hakte sie nach, drehte die Frage einmal um, enthusiastisch wie eh und je. “Gelb und grün würd ich zuerst raten, hah!”
Farben waren aber nicht das Einzige, was Mary interessierte. Die bekam ja grade gar nicht genug davon, mehr über Ravi erfahren zu wollen! Der Oni gefiel das natürlich durchaus. Sie lernten sich so besser kennen! “Schals sehen super lustig aus! Vor Allem die Rot-Grünen mit den voll komischen Mustern drauf”, lachte sie, als sie darüber nachdachte, worin sie die Menschen im letzten Winter so hatte herumlaufen sehen. Die zogen echt das seltsamste Zeug an. “Ich glaub aber… selber hab ich noch gar keinen Schal getragen.” Nachdenklich starrte sie durch das Zimmer, ehe sie mit den Schultern zuckte, was die kleine Baumgardner in ihrem Arm vermutlich für einen Moment leicht durchrüttelte. “Ne, echt noch nie. Kann mich zumindest nich dran erinnern, hey.” Schals waren halt auch so ein Kleidungsstück, das hatte sie hier bei den Menschen das erste Mal gesehen. Der Zweck war für sie nicht gerade offensichtlich und auch, wenn sie ganz lustig aussehen konnten, hatte sie nie auch nur darüber nachgedacht, sich selbst einen zu besorgen. Neugierig, jetzt auch ein bisschen mehr über Mary zu erfahren, deutete sie hinab auf deren weiterhin arbeitende Nadeln. “Aber hey, hey, sag ma. Warum machste das überhaupt, dieses… Stricken? Ich mein… wie biste zu gekommen, hm? Hm?”
Normalerweise waren Schöße nicht gut als Sitzfläche zum Arbeiten geeignet, aber Ravinuthala war so viel größer als Mary, dass sich das Landei im Moment fühlte, als säße sie auf einem steinharten Thron. Ganz so unbequem war es jedoch nicht, denn auch wenn die Oni nicht gerade weich und nachgiebig war, strahlte sie eine Wärme aus, die sicher teilweise auch von ihrem sonnigem Gemüt herrührte. Hieß ihr Stamm nicht sogar so ähnlich? Mary legte den Kopf schief, doch sie kam nicht wirklich zu tiefschürfenden Überlegungen, denn ihre laute und aufgeweckte Gesprächspartnerin erklärte direkt, dass sie hier Ruhe bekommen sollte. Mary verkniff sich die Skepsis und entschloss sich, die positive Seite daran zu sehen. "Klar, das weiß ich doch. Du passt immer auf mich auf. Mit dir in meiner Nähe kann mir nichts passieren!" Außer vielleicht ein Gehörsturz. Aber dass Ravinuthala im Ernstfall wirklich auf Mary achten würde, das bezweifelte die Baumgardner nicht eine Sekunde lang. In der Brust ihrer Freundin trommelte ein großes, treues Herz.
Mary grinste, als sie den ewigen Takt Ravinuthalas auf ihrer Haut spürte und lehnte sich etwas mehr gegen die Oni. Zwar mochte die Größere nicht ganz derselben Beschreibung entsprechen, doch fühlte sich die Lichtmagierin vielleicht auch wegen des Unterschieds ihrer Größen hier besonders geborgen. Es war ein wenig, als schmiege sie sich an eine große Schwester, die sie nie hatte. Obwohl Mary ihre Familie sehr liebte, hatte sie immer die Rolle des ältesten Kindes und alle damit einhergehenden Verantwortungen eingenommen. Hier mit der Oni fühlte sie sich frei und entspannt - ihr Gegenüber erwartete nichts von ihr. Vermutlich waren diese Momente die einzigen in Marys Alltag, in denen die Baumgardner sich wirklich traute, ihre Anspannung fallen zu lassen und nicht die Person zu sein, die andere beschützte. "Das hört sich gut an! Ich weiß nicht, ob ich gut tanzen kann. Aber Zuhause haben wir im Frühling oft um bunt geschmückte Bäume getanzt, das kann ich!" Zwar hatten sie mit ziemlicher Sicherheit sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Tanz, aber zum Takt einer Trommel herumspringen, das würde sie schaffen!
Mary verzichtete darauf das Thema mit den spitzen oder stumpfen Nadeln noch weiter aufzurollen und zeigte stattdessen vor, was sie mit den Stricknadeln machte, indem sie Ravinuthala ein paar Maschen vorstrickte. Ihre Begeisterung war ganz außer jedem Verhältnis zur Aktion, weswegen Mary direkt wieder rot wurde. Wenn das so weiterging, dann konnte die Oni sie in ihrem Stamm aufnehmen ... "Rot und Braun, das hätte ich mir denken können. Und Blau? Trägt deine Schwester viel Blau?" Der Gedanke, dass es Onis verschiedener Farben gab, kam Mary gar nicht. Eigentlich wusste sie erschreckend wenig über das Volk, obwohl sie so viel Zeit mit einer von ihnen verbrachte. "Ich? Ja, du hast Recht! Aber weiß und rosa finde ich auch gut." Leider kam sie nicht oft dazu, sich sonderlich feminin zu kleiden. "Aber eigentlich mag ich alle Farben. Ob sie mir alle stehen ist so eine Frage. Gelb ist schön, aber meine Haarfarbe passt da nicht so gut dazu. Du hast echt Glück! Das passt zu allem!" Sie streckte eine Hand aus und zupfte vorsichtig an einer der vorderen, weißen Haarsträhnen ihrer Freundin. Selbst das kräftige Rot weiter hinten sah bestimmt gut aus. Spontan musste Mary an weihnachtliche Kostüme denken und schmunzeln. Winterfesthaare, das hatte die Oni. Und zu wem passte es besser, als die Verkörperung von Festlichkeit und Freude?
"Interessant", ließ Mary zur Sache mit dem Schal verlauten und hielt sich beim Achselzucken fest, um nicht durch die Gegend zu purzeln. Ein wenig musste die Kleinere trotzdem rutschen, um eine bequemere Position zu bekommen. Vermutlich sah sie in ihrem Schlafanzug mit den verwuschelten Haaren gerade aus wie eine Puppe für Ravinuthala, die sie zuerst ein paar Runden durch die Gegend geschleift hatte, bevor sie sich diese zum Nickerchen ins Bett geholt hatte. "Ich finde es beruhigend, aber ich glaube, es kommt von meiner Urgroßmutter. Sie hat es mir gezeigt, als ich noch ganz klein war und nur hässlichen Kram produziert habe. Wenn ich das Geräusch der Nadeln höre, die aneinander klackern, dann erinnert mich das an Zuhause. Hast du auch sowas? Geräusche, die dich an Zuhause erinnern? So wie die Trommeln?" Mary lächelte leicht und drückte das Strickzeug fester an ihre Brust. Warum genau sie im Moment strickte, würde sie Ravinuthala natürlich noch nicht auf die Nase binden! "Was hat man denn bei dir so gemacht, um sich zu beschäftigen? Hast du oft mit deiner Schwester ... ähm ... getrommelt?"
Sicherlich war Mary zufrieden mit ihrem herausragenden Sitzplatz! Ravi grinste solange breit, selbst sehr zufrieden, dass ihre Freundin sie als ihre Beschützerin akzeptierte. „Aber klar, KLAR!“, freute sie sich, ohne zu ahnen, was für Pläne ihr kleiner Schützling zwischen ihren Beinen ausheckte. Sie konnte schließlich spüren, dass sich der stets so aktive Körper der Jüngeren an ihren Bauchmuskeln entspannte. „Klar kannste tanzen. Wenne Musik hörn kannst, kannste auch tanzen“, stellte die Oni entschieden klar. Menschen machten solche Sachen ja immer gerne kompliziert, aber aus ihrer Perspektive war es ganz einfach. „Wenne Musik hörst, dann haste das Gefühl, du musst dich bewegen, nich, nich? Und dann tust du das einfach! Und wenn du dich so bewegt, wie's sich gut anfühlt, dann tanzt du, hey!“ Thala selbst konnte – Überraschung – ein ganz schöner Trampel sein, wenn sie tanzte, aber es machte trotzdem übel Laune und bisher hatte sich noch kein anderes Mitglied ihres Stammes beschwert. Nur Menschen manchmal, aber da hörte sie gar nicht hin. Sie hatte Spaß, also würde schon alles richtig sein! „Ne, die trägt nich viel Blau“, meinte Ravi und schüttelte den Kopf. „Mehr so... weiß und so, ne?“ Im ersten Moment war ihr nicht so recht klar, wieso Mary das dachte, aber es war ja auch egal. Es klickte nach ein paar Momenten, dass sie sich vermutlich einfach nur fragte, was die ältere Tsumiho mit dieser Farbe verband. „Meine Mama ist ja ein roter Oni, so wie ich“, erklärte Ravi aufmerksam und rutschte ein wenig auf dem Bett herum, damit ihr Fuß nicht über die Kante hing, als ihr Schneidersitz etwas enger wurde. Stabiler. „Aber mein Papa ist ein blauer Oni, und Mochi kommt mehr nach ihm. Du siehst das, wenn du dir unsere Haare anguckst, hey! Meine sind rot, wenn sie nicht weiß sind, nich?“ Grinsend lehnte sich Ravinuthala so weit über ihre Freundin, dass ihr wuscheliges Haar gut in deren Sichtfeld stecken sollte. „Und Ukemochi ist halt anders, hey. Die hat kein rot, aber die hat blau. Wie bei Papa.“ Und Mary? Die mochte so ziemlich das, was Thala von ihr erwartet hätte. Wobei... „Rosa? Hätt ich nich gedacht. Haste das schonma getragen?“ Nachdenklich legte die Tsumiho den Kopf schief. Sie erinnerte sich auf jeden Fall grad nicht dran. Als Mary dann aber begann, an ihren Haaren zu zupfen, musste sie lachen und richtete sich wieder ordentlich auf. Die Baumgardner war schon deutlich frecher geworden als an ihrem schüchternen ersten Tag. So gehörte sich das!
„Stricken is beruhigend?“ Leicht staunte Ravinuthala bei dem Gedanken. So hatte sie Nähen überhaupt nicht erlebt, als sie sich daran probiert hatte. „Meinst du nich eher einschläfernd?“ Vielleicht war sie da auch ein wenig voreingenommen. Diese Art Feinarbeit und Zeug, wo man viel Zeit oder viele Gedanken investieren musste, war schwierig für Ravi. Schlafen war so viel einfacher und schöner und sie machte es echt dauernd, da fiel es ihr natürlich leicht, von der Nadel zum Nickerchen zu wechseln und nicht andersrum. Nachdenklich legte sie den Kopf in den Nacken. „Geräusche von zuhause...“ Ja, das Trommeln gehörte da definitiv dazu, aber gab es noch mehr Sachen? Die Tsumiho liebte ihren Stamm, ihre Heimat, ihre Familie. Sie dachte oft zurück, bemühte sich aber, stattdessen vorwärts zu blicken. Aber ja, wenn sie so darüber nachdachte, gab es einige Laute, die sie mit ihrem Heim in Verbindung brachte. „Wenn sich Leute raufen oder wenn man ordentlich auf was draufhaut“, meinte sie, ihre Augen weit offen Richtung Decke starrend. Sie war selbst überrascht, dass die Gedanken wie von selbst kamen. „Das Heulen von Wölfen und das Rascheln von Blättern und die Art, wie Leute lachen, wenn sie ganz viel getrunken haben. Und Karmas Stimme auch.“ Ukemochis Stimme war inzwischen weniger eine Erinnerung an zuhause, schließlich sahen sie sich hier ständig, aber Karmajeevan war definitiv jemand, den sie nur mit den Bergen verband und damit, dort zu sein. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie oft ihre Cousine sie herausgefordert hatte, sei es nun zum direkten Kampf oder zur Jagd. Es war jedes Mal ein Erlebnis gewesen. „Und der Wind. Der Wind auch.“ Alles, irgendwie. Die ganze Welt. Jetzt, wo Ravinuthala darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass sie doch gar nicht so selten an ihr Heim dachte. Vielleicht vermisste sie es mehr, als ihr bewusst war.
„Wir ham alles gemacht, damals. Aber Mochi is nich so die Trommlerin. Sie fand mehr die Sachen spannend, die Papa uns gezeigt hat... und dann nur noch ihr. Aber gekämpft haben wir viel!“ Fröhlich grinste Ravi. Ein kleines Duell war doch immer noch das Schönste. „Aber auch alles Andere, was man so machen konnte. Wir haben Zelte gebaut und wir haben Essen gemacht und Getränke auch und natürlich gejagt. Ich weiß sogar noch, wie man nen Hocker zusammenbaut, hey!“ Als Oni gab es nichts, wo man sich komplett rausziehen konnte, zumindest nicht in Ravis Stamm. Jeder lernte alles, was zum Überleben und für die Gruppe wichtig war. Jeden von ihnen konnte man in der Welt aussetzen und er konnte sich wenn nötig sein eigenes Camp aufbauen und ohne große Schwierigkeiten ernähren. „Es ist wichtig, dass jeder mal alles macht. Auch wenn wir am Ende eine Sache mehr machen. So wie ich trommle und... kriegere.“ Sie lachte kurz. Das war nicht das richtige Wort, oder? „Was hast du denn zuhause gemacht, Mama?“
Wenn man Musik hören konnte, dann konnte man tanzen? Mary schmunzelte, als sich Ravinuthala die Welt mal wieder einfach machte. Vielleicht war sie das eigentlich sogar und die Oni war im Gegensatz zu allen anderen eben nicht auf dem Holzweg. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich einfach so im Takt von wilder Musik zu bewegen und dabei am Ende noch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch in der Gegenwart ihrer stürmischen Freundin fühlte sie sich mutig. Vielleicht würde Mary das nächste Mal mehr auf ihre Instinkte hören und sich nicht für Freude und Ausgelassenheit schämen. In der Künstlergilde gab es nie einen Mangel an schönen Tönen - und konnten es die Musiker nicht auch als Kompliment verstehen, wenn man im Takt wackelte und so? "Bewegen, wie es sich gut anfühlt ..." Mentale Bilder davon, wie Mary mit dem Hintern wackelte und sich im Rhythmus durch die Gegend warf trieben der Baumgardner mal wieder die Schamesröte ins Gesicht. Das durfte niemals jemand sehen!
"Ein roter Oni?" Mary legte den Kopf schief. Ihr Fokus lag auf den Rottönen, die Ravintuhala trug und ihre Stirn runzelte sich. Sonderlich viel wusste das Landei nun einmal nicht über das Volk der Oni. Dass sie sich in Farben unterteilten, hatte sie zum Beispiel noch nie zuvor gehört. Da Mary diese erklärende Seite an ihrer Freundin bisher kaum gesehen hatte, hing sie bei jedem Wort an ihren Lippen und beobachtete ihre Mimik und Gestik genau. Sie wollte mehr über das Leben Ravinuthalas vor dem Gildenbeitritt erfahren! Ihre Mutter war also rot und ihr Vater blau ... Bedeutete das, dass ihre Eltern aus verschiedenen Stämmen kamen? "Hm, hättet ja auch ... lila werden können!", versuchte Mary den Offenbarungen zu folgen. Noch immer verstand sie nicht alles, aber bestimmt waren die Personen, von denen die Oni sprach nett. Irgendwoher musste der Charakter schließlich kommen. Auch wenn Nicolo ebenfalls sehr nett war und seine Familie ... nicht. "Na ja, es gefällt mir, aber ich trage sowas doch nicht", drukste Mary etwas herum und zog am Stoff ihres Schlafanzugs. Das war wieder so eine Sache, bei der man sie anstarren konnte und die junge Frau fühlte sich im Kartoffelsack nun einmal am wohlsten. Als graue Maus eben, die man gerne übersah.
Mary plusterte ihre Backen auf und schüttelte energisch den Kopf. Ihre Reaktion überraschte sie selbst - aber Ravinuthala hatte etwas an sich, bei dem man sich mehr traute, man selbst zu sein. "Einschläfernd? Na, hör mal ...", empörte sie sich kurz und boxte der Oni leicht gegen den Bauch, doch hatte sie das Gefühl, dass sie ihr genauso gut einen Wattebausch gegen den Torso hätte werfen können. Kurz setzte sich Mary auf um im Anklang an ihre Großmutter mit der Zunge zu schnalzen, hörte aber wieder zu, als es um heimatliche Geräusche ging. Die goldenen Augen der Baumgardner folgten denen ihrer Freundin an die Decke. Es war nicht schwer, sich bei den Beispielen vorzustellen, wie Oni miteinander rauften und tranken, und wie Ravinuthala mit wehenden Haaren durch peitschende Bergwinde lief und Wolfsgeheul ihr folgte. Wie anders die Welt dort oben gewesen sein musste. Wie eigenartig, dass ein freies Wesen wie Ravintuhala, der man einst die ganze Welt zu Füßen gelegt zu haben schien nun mit einem Landei auf einem Bett hockte und übers Stricken redete. Wenn Ravinuthala als Wall des Schutzes in ihrem Bett schlief, träumte sie dann von solch abenteuerlichen Orten und von Personen, die sie vermisste? Mary drückte ihre Wange gegen Ravis Brust und quetschte die Oni in einer bemüht festen Umarmung, indem sie das Strickzeug auf ihren Schoß legte und die Arme um den massiven Oberkörper fädelte. "Das klingt sehr schön."
Ravinuthala zeichnete das Bild einer eingeschworenen Gemeinschaft, wo man sich auf den anderen verlassen konnte. So wie sie es beschrieb, verband sie ein tiefes Band mit dieser Karma und Mochi. "Du trommelst und kriegerst nicht nur", erinnerte Mary ihre Freundin mit einem Grinsen und übernahm das falsche Wort direkt, ohne groß Gedanken daran zu verschwenden. Es schmälerte die Implikationen von Gewalt und weniger angenehmen Dingen, mit denen sie sich nicht beschäftigen wollte. "Was du machst, hilft auch anderen. Das, was dein Stamm dir gezeigt hat, das trägst du hinaus in die Welt. Bei uns war es ganz ähnlich. Wir haben uns auch geholfen. Meine Familie hat sich um die Tiere und Pflanzen gekümmert und mein Vater und Großvater schmieden Waffen und Werkzeuge!" Mary zögerte jedoch, bevor sie noch mehr ins Detail gehen konnte und schaute zu ihrer Freundin herüber. Der Jugendlichen brannte seit gerade eben eine Frage unter den Nägeln. "Warum bist du eigentlich hier in der Gilde und nicht ... Jägerin mit Karma oder ... was auch immer Mochi macht?"
Sich bewegen, wie es sich gut anfühlte! Alles machen, wie es sich gut anfühlte! Das war eine ziemlich gute Zusammenfassung von Ravinuthalas Stil. Beim Tanzen, bei der Musik, auf der Arbeit, beim Training, im Leben allgemein. Bisher lief es ziemlich gut für sie, auch wenn sie dafür natürlich mehr auf die Regeln der Menschen achtete, als es andere Oni vielleicht tun würden. Auf jeden Fall würde sie sicher gern mal mit Mary wackeln! “Jap, jap. Ein roter Oni.” Die etwas unklare Frage ihrer Freundin bestätigte Thala mit einem Nicken. Sie mochte es tatsächlich, ein bisschen zu erklären, auch wenn sie normalerweise nicht als die große Gelehrte auftrat. “Lila?”, lachte sie auf, schüttelte den Kopf. “Hast du schonmal nen lila Oni gesehn? Ich nicht! Aber bei mir im Stamm warn die meisten auch rot oder blau, ha!” Nicht alle, natürlich, wär ja auch irgendwie seltsam, aber lila… Ne, das wär ihr neu. Hieß natürlich nicht, dass es das nicht geben konnte, aber für die Tsumiho war der Gedanke grad eher lustig. Farben waren halt so eine Sache - offenbar auch für Mary. “Rosa trägst du nich? Obwohl du’s magst?” Leicht verwundert blinzelte die Hünin auf die Baumgardner hinab. Das verstand sie nicht so wirklich. Tat doch keinem weh, wenn sie rosa Kleidung anhatte, oder? “Ich mein, warum nich anziehen, was du gut findest? Ich würd’s tun”, lachte sie auf. Ob es Mary da wohl helfen würde, wenn sich Ravinuthala auch mal rosa anzog? Passte zwar eher nicht zu ihrer Hautfarbe, aber dann wäre das Mädchen zumindest nicht allein damit. “Wette, das sieht voll gut an dir aus, Mama!”
Dass Thala nicht viel mit dem Stricken anfangen konnte schien Mary nicht so gut zu finden, zumindest nicht mit der Wortwahl. Machte sie ziemlich deutlich mit ihrem empörten Stoß. Den nahm die Oni aber mit einem glücklichen Lachen entgegen. Manchmal konnte die kleine Blondine schon schüchtern wirken, aber Ravi liebte es, wenn sie aus sich heraus kam. Außerdem wusste sie, dass sie ihr nicht wirklich böse war. Spätestens die dicke Umarmung wenig später zeigte das ziemlich deutlich. “Hey, hey! Ich hoff’s doch, dass ich Leuten helf! Funktioniert doch alles gleich nur halb so gut, wenn man sich nich unterstützt”, grinste sie breit und nahm gerne das Lob Marys entgegen. Die kannte das wohl auch von ihrer Familie. Die einen machten das Tierzeug und das Pflanzenzeug und die anderen Waffen und Zeug. “Klingt schön, deine Familie. Klingst echt… warm, schätz ich. Wenn du so redest.” Fröhlich lächelte die Oni Mary an. Der Gedanke, danach zu fragen, warum sie nicht mehr bei ihrer Familie hockte, kam ihr überhaupt nicht. Für sie war der Drang, auszuziehen und mehr von der Welt zu sehen, eine Selbstverständlichkeit. “Bin doch mit Mochi zusammen hier! Die ist auch in der Gilde”, grinste sie, auch wenn die ältere Schwester des Duos mit der Gemeinschaft hier nicht ansatzweise so warm geworden war wie ihre enthusiastische Blutsverwandte. “Wenn du alt genug bist, dann kannst gehn und dir mehr von der Welt angucken, hey! Da hab ich richtig drauf gegeiert, bis ich’s tun durfte! Und hab dann hier bisschen rumgeguckt und gesehn, was für cooles Zeug ihr Menschen so habt. Wusst aber nicht, wie das alles hier so läuft, da hat mich Savanna aufgegabelt, die hat die Gilde hier ja gemacht, nich? Hat mich zu eingeladen und mich hier schlafen lassen und mir ein bisschen gezeigt, wie das bei euch so abgeht und wie man eure Bücher liest und so. War richtig spannend, HEY!” Ein gellendes, dröhnendes Lachen entkam ihr bei diesen schönen Erinnerungen. Ja, Satyrs Cornucopia lag der Tsumiho echt am Herzen und die Gildenmeisterin war ihr eine Freundin für die Ewigkeit. Sie konnte gar nicht wieder gutmachen, was sie hier alles an Freundlichkeit entgegen bekommen hatte, und dabei schuftete sie ihre Muckis schon ordentlich ab. “Mochi hab ich dann auch wieder gefunden. Die war bei so Menschen, die sie verkaufen wollten, weil sie nich nen Mensch ist. Fand sie auch nicht toll, deshalb mag sie euch nicht so. Aber mit der Hilfe von der Gilde hab ich sie frei bekommen und jetzt sind wir hier, HAH!” Sie grinste breit. Ja, auf diesen Erfolg war sie stolz. “Karma ist bei ner anderen mit drin, in der Wüste. Die ist auch happy. Klar geh ich irgendwann wieder nach Hause, aber bis dahin gibt’s noch ne Menge zu tun und zu sehn. Und bis dahin… Da hast du mich hier anner Backe, Mama! HAH!”
Rot und blau ergaben zwar in der Farbenlehre lila, aber offenbar funktionierte das bei Oni anders. Die Nachfrage zeigte aber, wie wenig Mary wirklich von dem wilden Volk wusste. Eigentlich hielt sie Ravinuthala nur für einen großen, impulsiven Menschen, denn bisher hatte diese ihr keine Gründe gegeben, dies nicht zu tun. Vor allem in einer so chaotischen Gilde wie Satyrs Cornucopia trafen stets so viele verschiedene Persönlichkeiten aufeinander, dass Mary meistens versuchte, allen mit offenen Armen zu begegnen. Leicht fiel dem Landei das nicht immer, immerhin war sie in einer liebevollen, wenn auch etwas konservativen Familie aufgewachsen. Es war noch nicht so lange her, dass nicht alle Humanoide in Fiore mit Menschenrechten ausgestattet worden waren und das merkte man gerade der isolierten und älteren Bevölkerung durchaus an. Für Mary war es absolut absurd, dass irgendjemand ihre Freundin ansehen könnte und sie als weniger als einen Menschen sah, aber die Welt war nun einmal nicht immer gerecht. “Hm, vermutlich eine doofe Frage”, lachte die Baumgardner trotzdem und schüttelte den Kopf. Eigentlich ja klar. Ihre Mutter hatte braune Haare und ihr Vater blonde, und es waren drei Blondschöpfe bei ihr und ihren Brüdern herausgekommen und kein wildes Gemisch aus braun und blond. Dennoch war ein violetter Oni eine interessante Vorstellung für jemanden wie Mary, die keine Ahnung davon hatte, was diese Farben bedeuten sollen. In Ravinuthalas Stamm waren die meisten rot oder blau - also war das ein gemischter Stamm. Und sie und ihre Schwester hatten offenbar einfach unterschiedliche Eigenschaften ihrer Eltern abbekommen. So langsam verstand Mary etwas mehr von diesem kuriosem Volk. Als die Sprache wieder auf ihre Kleidung kam, wurde die Jugendliche eine Schattierung dunkler auf den Wangen. Genau das war doch der Grund, wieso sie sowas nicht trug! Sie wollte nicht, dass man sie sah. Mary war eine graue Maus, die im Hintergrund blieb und lieber keine Probleme machte. So war sie erzogen worden, auch wenn ihre Persönlichkeit in letzter Zeit öfter einmal nach außen trat, wenn sie sich nicht mehr länger kontrollieren konnte. “So einfach ist das leider nicht”, seufzte sie daher zu ihrer Freundin und verzog die Schnute. “Ich bin nicht so selbstbewusst wie du.” Oder vielleicht war sie zu bewusst auf die Meinungen anderer fixiert und hatte Angst vor … Ja, vor was eigentlich?
Zum Glück wechselte das Thema relativ schnell und die Lichtmagierin musste sich nicht noch mehr Gründe einfallen lassen, wieso sie ihre Großmütterchenkleidung gegen Stücke austauschen sollte, die ihr besser gefielen. Stattdessen lächelte Mary nur leicht. “Es war schön bei meiner Familie. Warm, mh? Kann sein - es fühlt sich warm an.” Sie legte eine Hand auf ihre Brust, auf Herzhöhe und schluckte. Ab und zu verspürte Mary noch immer das Heimweh, das sie am ersten Tag in der Gilde gefühlt hatte. Auch wenn sie mittlerweile durchaus behaupten konnte, sich eingelebt zu haben, wurde jemand mit solch festen Wurzeln in ihrem Zuhause das Gefühl vermutlich niemals los. Doch sie liebte es auch hier in der Gildenhalle, bei ihren Freunden. Wenn sie Questzettel sortieren und den Menschen des Südens helfen konnte, war Mary am glücklichsten und am freisten. Insgeheim verstand sie Ravinuthala vermutlich besser, als sie es für möglich gehalten hatte. Und obwohl ihre Schwester auch in der Gilde war, war es sicherlich nicht dasselbe. So wie das Sitzen hier mit ihrer Freundin auf dem Bett, im Schlafanzug, einfach nicht dasselbe war wie Zuhause. Eine andere Sache. Aber deshalb schlechter? “Savanna hat dir die Gilde gezeigt und Lesen beigebracht? Auch Magie?” Mary lächelte. Das passte zu ihrer Gildenmeisterin. Sie hatte ein Auge für Leute, die auf dem ersten Blick zu nichts und niemanden zu passen schienen und sie mit ihrer Präsenz zu umhüllen, bis man sich als Teil eines bunten Füllhorns fühlte. Der Name der Gilde kam sicher nicht von irgendwoher. Ihr eigenes Erlebnis war da nicht viel anders gewesen. Gut erinnerte sich Mary daran, wie sie zitternd vor der Gildenmeisterin gestanden und um Beitritt gebeten hatte. Savanna hatte einen Blick auf sie geworfen und sie gefragt, welche Eigenschaften sie an sich schätzte. Beinahe wie aus der Pistole geschossen, hatte Mary ihr geantwortet, was sie von anderen gehört hatte. Hilfsbereitschaft. Freundlichkeit. Höflichkeit. Und Savanna hatte kaum von ihrem Farbeimer auf gesehen, in dem sie zwei sich fürchterlich beißende Farben mischte und gesagt: “Das sind alles Eigenschaften, mit denen du anderen Leuten dienst. Was macht DICH aus?” Und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Mary das Gefühl, von jemanden nicht als Bedienung, nicht als Erziehungshelferin oder als Mädchen für alles gesehen zu werden, sondern als Person. Auch Mary fühlte nichts als Respekt für ihre Gildenmeisterin und würde wegen der Freundlichkeit und Offenheit, die sie hier erlebt hatte, alles geben. “Sie war bei Menschen, die … sie verkaufen wollten?”, fragte Mary plötzlich, als die Erzählung dunkler wurde. Ihre Augen wurden groß und sie hob eine Hand vor den Mund. Natürlich wusste Mary, dass es solche Leute gab. Aber es war schockierend, davon zu hören. Und Karma war in der Wüste, in einer Gilde? Damit war sicher die berühmte Wüstengilde gemeint, aus der Cassandra kam. Mary vergaß ab und an den Namen, aber sie erinnerte sich genau an das Augensymbol, weil sie es auf Kekse für ihre Freundin aus dem Westen gemalt hatte. Als Ravinuthala sagte, dass Mary sie “an der Backe hatte”, musste auch Mary grinsen und entließ ein Miniatur-”hah!”. Es war nicht einmal ansatzweise so laut wie das ihrer Freundin, aber offenbar färbte ein wenig etwas an die Kleinere ab. Apropos abfärben … “Ich möchte dich noch sehr lange an der Backe haben, Ravi. Deine Gesellschaft bedeutet mir sehr viel”, meinte Mary und drückte ihr Gesicht vor Verlegenheit einen Moment gegen den Körper der anderen. “Pass bei deinen Aufträgen bitte auf dich auf, ja? Und … nehmen wir einmal an, du würdest nach Nord-Fiore gehen müssen, würde dann sogar jemandem wie dir kalt werden?” Sehr subtil, wie immer. Aber wenn Ravinuthala mit einem Schal oder einem Pullover nichts anfangen konnte, dann musste sie sich ein anderes Design überlegen.
„Es gibt keine doofen Fragen! Hab ich zumindest mal gehört!“, lachte Thala fröhlich und klopfte der Baumgardner auf ihrem Schoß freundschaftlich auf die Schulter. Und selbst wenn, stellte die Oni sicher doofere. Auch das hörte sie des Öfteren. Trotzdem war sie ein gutes Stück selbstbewusster, als es Mary anscheinend war. „Nicht? Warum nicht?“, blinzelte Thala leicht irritiert, verstand nicht ganz, was das Problem war. „Wusste gar nicht, dass man selbstbewusst sein muss, um Klamotten zu tragen! Ich hab das Gefühl, das machen Menschen dauernd. Du auch!“ Wenn das nicht war, worüber die Blondine sprechen wollte, dann würde Ravi sie nicht drängen. Gab ja immer noch genügend andere Themen, die man bereden konnte, solange sie mit dem Stricken beschäftigt war. Familie, zum Beispiel, war für die Oni ein sehr schönes Thema. Ihre Familie, Marys Familie, aber auch die Gilde, die irgendwie auch zur Familie gehörte. Für die Tsumiho tat sie das auf alle Fälle, vor Allem bestimmte Mitglieder wie Valda, Ronja, Mary selbst und natürlich die große Chefin Savanna, die so viel für sie getan hatte. „Magie hab ich nicht von ihr gelernt, nee. Magie kann ich überhaupt erst seit ganz kurz, war super schwer für mich“, gab Ravinuthala zu und fuhr sich durch die Haare. Auch wenn es ihr ein bisschen unangenehm war, konnte sie zugeben, dass sie keine gute Magierin war. Sie arbeitete jetzt ja ordentlich daran, das zu ändern. „Das hab ich am Ende mit Ronja hingekriegt, die ist voll clever, wenn es ums Zaubern geht... und eine super geduldige Lehrerin, hehe! Aber ja, Lesen und so kenn ich von Savanna.“ Sie nickte. „Weißt du... Menschen leben ja super kompliziert, finde ich. Und wenn man nicht versteht, dass man Geld haben soll oder vorsichtig mit Dingern umgehen muss, weil euer Zeug super zerbrechlich ist, dann werdet ihr sofort voll sauer. Es ist echt schwer, als Oni zu verstehen, was hier abgeht, ohne jemanden, der's einem erklärt.“ Valda und Karma hatten sicher ähnliche Schwierigkeiten gehabt. Der Lebensstil eines Menschen unterschied sich einfach grundlegend von dem eines Oni, und ihre Riesengesellschaft war mit den weit kleineren Stämmen auch nicht zu vergleichen.
„Jap, jap.“ Lächelnd nickte Thala, bestätigte Marys Rückfrage. Ja, Menschen hatten ihre Schwester verkaufen wollen. Ihre Reaktion darauf war vermutlich arg ruhig. Einerseits, weil die Tsumiho einfach kein Naturell war, das sich leicht runterziehen ließ. Vor Allem aber, weil sie, anders als ihrer Schwester, keine Vorstellung von der Grausamkeit hatte, die hinter diesen Taten steckte. Sie hatte zwar ein paar Erklärungen gehört, aber konnte sich dazu kein Bild zusammenreimen. Dafür war sie vermutlich zu gutmütig und ein Stück zu naiv. „Ah, aber sag ihr lieber nicht, dass ich dir das gesagt hab! Ich glaub, sie will nicht, dass ich das erzähle!“ Das fiel ihr jetzt reichlich spät ein, aber Mary konnte sie ja vertrauen. Die würde schon nicht plappern. Sie war ein cleveres Mädel und eine gute Freundin, und ihr kleines Hah! entlockte der Hünin ein warmes, tiefes Lachen. „Ich find's auch super, dich bei mir zu ham!“, grinste die Oni fröhlich und legte ihre beiden Arme fest um die Jüngere, knuddelte sie einmal ordentlich durch auf das Risiko hin, dass ihre Nicht-Piks-Nadeln vielleicht an eine ungewünschte Stelle piksten. Manchmal musste Zuneigung einfach klar gezeigt werden! „Ich pass immer auf, hey! Wenn mir einer ans Leder will, gibt’s zwei auf die Mütze!“, grinste sie breit und nickte. „Joa, ja, schon, ne? Ich mein, bin keine Frostbeule! So weich wie ihr Menschen werd ich da nich, HEY!“ Wieder lachte sie. Die zitterten ja schon, wenn mal ein kühles Lüftchen wehte. „Sowas wie die Hitze inner Wüste oder bei nem Vulkan oder so, das kann nem Oni wie mir ja gar nix, ne? Aber ja, wenn ich so im Schnee unterwegs bin, das spür ich schon. Hatt vor'n paar Monaten ma ne Quest, da hab ich Ronja kennen gelernt. Da bin ich auch durch'n Schnee gelaufen. Da war das Outfit hier dann doch ein bisschen kalt, HAH!“ Ja, damals war sie mit den Bandagen und der weiten Hose rumgerannt, so wie immer. Es hatte funktioniert, aber es wäre gelogen zu behaupten, dass sie die Kälte nicht gespürt hatte. „Aber hey, hey! Sag mal!“ Zwei ihrer großen Finger unter das Kinn der Baumgardner klemmend drückte Ravi ihren Kopf leicht hoch, um ihr in die Augen zu sehen. Das ging ja nicht, wenn Marys Gesicht die ganze Zeit an ihrer Haut gedrückt blieb. „Wie lang geht das mit dem Stricken noch, hey? Wenn's lange dauert, schlaf ich echt noch ein, hey!“
Selbstbewusstsein war so eine Sache, nicht wahr? Ravi strahlte es aus jeder Faser ihres Daseins, doch Mary hatte schon immer so ihre Probleme damit gehabt. Dabei hatte das Landei ein liebevolles Elternhaus und eine positive Erziehung genossen. Nur leider hatten ihre Erziehenden ihr eher Werte von Bescheidenheit und Zurückhaltung vermittelt. So freundlich die Baumgardners auch sein mochten, sie gehörten zu den alteingesessenen Familien des Südens und hatten für Mary eine recht veraltete Rolle im Sinn. Außerdem hatten sie ihr Glaubenssätze vermittelt, die sie davon abhielten, so frei in ihrer Mode zu sein wie ihre Freundin. Bei den Onis redete sicher nicht der ganze Stamm, wenn der Rock ein wenig zu kurz war. Mary seufzte leise und schüttelte einfach den Kopf - das Thema wollte sie wirklich nicht weiter aufrollen. Vielleicht irgendwann, wenn sie sich besser fühlte, mehr geschlafen hatte und sie bereit war, Ravi ihre Zweifel zu erklären. Die Oni war aufbauend und offen, aber sie schien nur wenig von den Eigenheiten der Menschen zu verstehen. Teilweise hielt Mary das für einen Segen.
Die Lichtmagierin betrachtete Ravi, als diese zugab, wie schwer ihr Magie fiel. Trotzdem hatte sie sich für eine Laufbahn als Gildenmagierin entschieden. Dass ihre Freundin nicht vor Herausforderungen zurückschreckte wusste der Blondschopf, aber das war schon ... besonders. Ihr war das Erlernen von Magie immer erschreckend leicht gefallen. Wo auch immer sie die Kraft für die Lichtmagie herzog, war viel davon vorhanden. Mittlerweile fühlte sich Mary im Umgang damit sehr sicher, doch gleichzeitig konnte sie den Frust verstehen, der damit einherging, länger für Sachen zu brauchen. Sie war langsam und ungeschickt und hatte im Training mit Maenor oft eins auf den Deckel bekommen, bis sie die Grundzüge des Nahkampfs verstanden hatte. "Verstehe", murmelte Mary und meinte dies auch so. "Es war sicher nicht leicht für dich. Aber du hast es doch echt gemeistert, unter Menschen zu leben. Größtenteils." Die Baumgardner warf einen unauffälligen Blick auf ihr Bett, das von der Oni beinahe vollkommen ausgefüllt war und dachte an die Nächte zurück, wo sie sich aneinander quetschen mussten, damit keiner von ihnen aus den Federn fiel. Ob Oni auch alle zusammen in einem Haufen schliefen? Na ja ... eins nach dem anderen. "Diese Ronja klingt freundlich. Vor einer Weile hat noch jemand von ihr gesprochen ... Wir kennen uns noch nicht, aber ich würde sie gerne kennen lernen!" Alle Mitglieder der Satyrs waren potenzielle Freunde, wenn es nach Mary ging. Und wer Ravi mochte und half, der konnte gar kein schlechter Mensch sein.
"Keine Sorge, von mir erfährt sie nichts", versprach Mary mit ernstem Nicken. Sie konnte sich ohnehin vorstellen, dass Ravis Schwester nicht gerne an diese traumatischen Ereignisse erinnert wurde. Zwar konnte sich auch die Baumgardner die Schrecklichkeit von Sklavenhändlern nicht wirklich vorstellen, doch mittlerweile hatte sie dank ihrer gefährlicheren Quests einen tieferen Einblick in die Abgründe der Menschheit bekommen. Wenn sie nur an die Wilderer dachte, die ihre Waffen ohne zu zögern auf sie und Esmée gerichtet hatten, nur weil sie gierig nach Geld waren ... Mary erschauderte, doch all zu dunkle Gedanken konnte sie nicht fassen, da sie kurz darauf von starken Armen gedrückt wurde. Leise fiepend ächze Mary wie ein platter Hamster und schnappte nach Luft. Alles in ihrem Blickfeld und ihren Sinnen war plötzlich Ravi. Ein Stein fiel Mary dennoch vom Herzen: Sie wollte ihre Freundin nicht verlieren und hörte es daher gerne, dass sie auf sich aufpassen würde. Leider konnte sie nicht andauernd um ihre Lieben herumglucken wie eine Mutterhenne, doch wenigstens konnte sie dafür sorgen, dass diese wussten, dass jemand Zuhause auf sie wartete! "Das ist gut, das ist gut", erwiderte die Baumgardner ominös auf die Frage nach der Kälte. Gut. Damit war es beschlossen. Sie würde ihr Projekt fortsetzen und der Oni einen Winterpullover stricken! Wie lange der dauern würde? "Ein paar Tage!" Da Mary aber bereits spürte, dass diese Antwort Ravi nicht zufrieden stellen würde, schob sie die Stricknadeln vorerst zur Seite (irgendwie waren die eh halb unter einer Oniachsel verschwunden, wieso nur?) und blickte zu ihrer Freundin hoch. "Das kann ich aber auch wann anders machen. Ich fühle mich schon etwas besser, jetzt, wo ich mich ausruhen konnte. Wenn du möchtest, können wir etwas anderes machen." Vorsichtig robbte Mary vom Schoß der Oni und stellte sich vor das Bett. Das winzige Zimmer war mit den beiden schon fast komplett ausgefüllt, aber die Gildenhalle bot ja eine Vielzahl an Aktivitäten. "Ich wollte dich ohnehin noch wegen einer anderen Sache um Rat fragen ..."
Bescheidenheit und Zurückhaltung, selbst in rudimentärer Form, suchte man bei Ravinuthala vergeblich. Sie war der Inbegriff von Selbstausdruck, war eine Protzerin sondergleichen und eine stolze Kriegerin, die sich nur zu gerne laut und deutlich in den Mittelpunkt rückte. Sich nicht einfach alles zu nehmen, was sie haben wollte, war auch etwas, was sie in der Form nur von Menschen gelernt hatte und auch nur respektierte, so weit die Zivilisation reichte. Insofern ging sie wohl komplett gegen die Glaubenssätze, die Mary geformt hatten. Dass sich die beiden trotzdem so gut verstanden, war wohl ein Wunder. “Haha, ja! Ich bin voll gut darin, mit Menschen zu leben, hey!”, grinste die Oni fröhlich. “Die annern Oni, die ich hier kenn, tun sich da schwerer mit.” Karma kam wohl langsam dahin, hatte aber doch so einige Regeln und Grenzen vor Augen, die sie nicht verstand und insofern nicht respektieren wollte. Valda überforderte Menschen gerne mal mit ihren großen Meinungen und direkten Rückfragen, und Ukemochi versuchte kaum, sich mit Nicht-Oni zu organisieren. Thala fand es da ja ziemlich hilfreich, dass sie gleich mehrere Personen kannte, die ihr sehr aktiv bei der Integration und Entwicklung halfen. “Jap, jap. Ronja ist super!”, strahlte sie fröhlich, mit einem entschlossenen Nicken. “Ich stell euch zwei gern vor, hey! Sie is so lieb wie du, aber ohne die Angst, zu sagen, was sie richtig findet!”
Ein paar Tage? So lange wollte die Tsumiho jetzt aber nicht auf Marys Bett rumhocken und nichts tun! Glücklicherweise schien die Jüngere das zu verstehen und legte ihr Strickzeug beiseite. Sie konnten also etwas Anderes machen? “JAWOHL!” Mit einem Freudenschrei hüpfte Ravinuthala auf, sprang geradezu vom Bett, Mary fest in ihren Armen, damit die bloß nicht davonflog. Stattdessen wurde sie Momente später ganz sanft und ordentlich wieder auf dem Boden abgestellt. “Überleg schon die ganze Zeit, ob ich nich ne Runde laufn sollte, hah! Bin grad voll von Energie! Oh, oder Tanzen üben könn wir auch, wenn du magst!” Lachend und mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen war Thala voll und ganz bereit, den Tag richtig zu starten. Nicht nur mit sitzen und stricken, auch wenn sie schon ziemlich gern kuschelte. Sie hielt aber inne, als sie realisierte, dass Mary noch etwas von ihr wollte. “Oh, oh?” Neugierig sah sie die kleine Blondine an. Auch wenn sie vor Tatendrang strotzte, war die Oni nicht der Typ dafür, sich keine Zeit für ihre Freunde zu nehmen. Vor Allem, weil es so wirkte, als wäre das eine Sache, die die Baumgardner wirklich beschäftigte. Sich ein Stück weit herunterfahrend, schenkte Ravi ihrer Freundin ein sanftes, sonniges Lächeln. “Aber klar, klar. Schieß los”, meinte sie und nickte aufmunternd. “Wenn ich dir wo helfen kann, tu ich’s doch gern, hey!”
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